Urteil des LSG Bayern vom 07.05.2009

LSG Bayern: prothese, versorgung, verordnung, verfügung, fettleibigkeit, reparatur, gesellschaft, adipositas, ernährungsberatung, entlastung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 07.05.2009 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Würzburg S 4 KR 545/06
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 459/07
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG Würzburg vom 9. Oktober 2007 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einer zweiten Unterschenkelprothese.
Dem 1976 geborenen Kläger ist nach einem Unfall im Sommer 2001 der rechte Unterschenkel amputiert worden. Die
Beklagte versorgte ihn im Juni 2002 erstmals mit einer Prothese, die dann jeweils im September 2003 und April 2005
gegen eine neue ausgetauscht wurde. Die Versorgung mit einer zusätzlichen Prothese, die vom Orthopäden Dr. K. am
16.11.2005 verordnet worden war und wofür der Lieferant 5.635,70 Euro veranschlagt hatte, lehnte die Beklagte mit
Bescheid vom 29.11.2005 ab. Seinen Widerspruch dagegen ließ der Kläger mit der Maßgeblichkeit der
vertragsärztlichen Verordnung begründen. Er lebe allein und sei stets auf eine funktionierende Prothese angewiesen.
Insbesondere wenn die derzeit verwendete repariert werde, müsse er auf eine zweite Prothese zurückgreifen können.
Sein hohes Körpergewicht von 140 Kilogramm führe zu besonderem Verschleiß. Nachdem die Beklagte dies als nicht
ausschlaggebend angesehen und im Widerspruchsbescheid vom 03.05.2006 ihre Ablehnung bestätigt hatte, ließ der
Kläger am 18.05.2006 Klage zum Sozialgericht Würzburg erheben und die Gründe für die Notwendigkeit einer
Wechselprothese wiederholen. Der Chirurg Dr. H., der den Kläger regelmäßig betreut, berichtete am 06.12.2006 von
einer erfolgreichen Knieoperation links im November 2005 und einem danach unveränderten Befund. Der Kläger legte
dem Sozialgericht eine Auflistung über die Zeitdauer der seit März 2006 durchgeführten Reparaturen vor. Inzwischen
tauschte die Beklagte im Juli 2007 die vorhandene Prothese gegen eine neue aus. Das Sozialgericht wies nach
mündlicher Verhandlung am 09.10.2007 die Klage ab. Eine Doppelversorgung sei unter keinem Gesichtspunkt
geboten. Auch die vom Kläger geltend gemachten Gründe, vorrangig das reparaturbedingte Fehlen, sei nicht
stichhaltig, insbesondere wenn man die jeweilige Dauer der reparaturbedingten Ausfälle der vorhandenen Prothese
betrachte. Deswegen eine weitere Prothese dauernd vorzuhalten, sei nicht notwendig.
Mit der dagegen eingelegten Berufung drängt der Kläger weiterhin darauf, dass unter seinen besonderen,
normabweichenden Umständen, nämlich sein hohes Körpergewicht, welches zu verringern ihm nicht möglich sei, und
dem Umstand, dass er allein lebe, nur die Doppelversorgung seine Grundbedürfnisse ausreichend befriedigen könne.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 09.10.2007 und den zugrunde liegenden
Bescheid der Beklagten vom 29.11.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.05.2006 aufzuheben und
ihm mit einer weiteren Unterschenkelprothese zu versorgen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen und verweist auf die aus ihrer Sicht bestehende, ausreichende
Versorgung.
Im Übrigen wird zur weiteren Darstellung des Tatbestandes auf den Inhalt der Gerichtsakten bzw. der Kassenakte der
Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 151 SGG). Der Kläger ist weiterhin beschwert,
obwohl er entsprechend gemäß der hier streitgegenständlichen ärztlichen Verordnung vom 16.11.2005 inzwischen
eine neue Prothese im Juni 2007 erhalten hat. Sein Begehren ist weiterhin auf eine Doppelversorgung gerichtet, also
auf das zur Verfügungstellen einer zusätzlichen Prothese neben der im Juni 2007 ausgewechselten. Dies ist
ausreichend, um ein Rechtsschutzinteresse für die Durchführung des Berufungsverfahrens anzunehmen.
Der Erfolg seines Rechtsmittels ist ihm jedoch verwehrt, denn es steht ihm keine zusätzliche Prothese zu, so dass
die Entscheidung des Sozialgerichts als zutreffend zu bestätigen ist. Es ist von der Beklagten nicht angezweifelt
worden, dass der Kläger Anspruch auf Versorgung mit einer Unterschenkelprothese hat (§ 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3
SGB V). Es handelt sich dabei um ein Hilfsmittel im Sinne des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V. Nach dieser gesetzlichen
Vorschrift haben Versicherte Anspruch auf Versorgung u.a. mit Hilfsmittel, die im Einzelfall erforderlich sind, um eine
Behinderung auszugleichen, soweit das Hilfsmittel nicht als allgemeiner Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens
anzusehen ist oder nach § 34 Abs. 4 ausgeschlossen ist. Die beiden Einschränkungen sind hier zu verneinen und
daher allein zu prüfen, ob die Versorgung des Klägers mit einer zweiten Prothese medizinisch erforderlich im Sinne
des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V ist. Das ist nicht der Fall. Erforderlich ist ein Hilfsmittel dann, wenn es ausreichend,
zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig ist, wie dies allgemein in § 12 Abs. 1 SGB V vorgeschrieben ist. Es muss
zum Behinderungsausgleich unentbehrlich oder unvermeidlich sein. Eine Doppelversorgung lässt sich anhand dieses
Maßstabes nicht begründen (so auch der Senat bei einer ähnlichen Konstellation im Urteil vom 29.11.2007 - L 4 KR
5/06). Die vom Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen erlassenen Richtlinien über die Verordnung von
Hilfsmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung (Hilfsmittelrichtlinien vom 17.06.1992) konkretisierten dies unter der
Nr. 21 dahin, dass eine Mehrfachausstattung mit Hilfsmitteln grundsätzlich nicht verordnet werden kann. Als
Ausnahme kommen lediglich hygienische Gründe in Betracht oder wenn aufgrund besonderer Beanspruchung durch
den Versicherten diese Mehrfachversorgung zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Beides lässt sich nicht feststellen.
Das was der Kläger anführt, ist nicht geeignet, eine Versorgung über das Erforderliche hinaus zu begründen. Seine
Bedenken bestehen allein darin, dass er im Falle einer Reparatur seiner vorhandenen Prothese über keine spezielle
Ersatzprothese verfügt. Diese Furcht allein ist aber nicht anspruchsbegründend. Das ergibt sich aus dem bisherigen
Verlauf seines Lebens als Prothesenträger. Wie das Sozialgericht im Einzelnen dargestellt hat, waren die zeitlichen
Ausfälle in den vergangenen Jahren jeweils nur von kurzer Dauer und widerlegen das Szenario, wie es der
Klägervertreter in seiner Berufungsbegründung dargestellt hat. So wäre im Einzelfall zu prüfen, ob während der
Reparatur vom Lieferanten nicht eine - wenngleich sicher etwas einfachere - Prothese leihweise als Übergangshilfe zur
Verfügung gestellt werden kann. Auch die vom Sozialgericht herangezogene Überlegung, dass im häuslichen Bereich
kurzfristig die Beweglichkeit mit Unterarmstützen bei einem 32-jährigen ausreichend gewährleistet ist, ist nicht zu
widerlegen. Daneben weist der Kläger auf sein abnormes Körpergewicht hin, welches die Prothesenversorgung
außergewöhnlich erschweren würde. Das spricht aber nicht für eine Mehrfachversorgung, sondern nur für die
Anforderung an die Qualität der vom Lieferanten zur Verfügung zu stellenden Prothese. Es dürfte auch nicht
unzumutbar sein, wenn der Kläger von sich aus Maßnahmen ergreift, seine Fettleibigkeit spürbar zu verringern. Seine
lapidare Auskunft gegenüber dem Senat, dass er sein Körpergewicht nicht verringern könne, zeigt, dass hier noch ein
weites Feld der Verbesserung nicht nur der Lebensqualität, sondern auch der Entlastung seines Beinstumpfes und
des Kunstbeines möglich ist. Die Beklagte bietet dazu Ernährungsberatung an, ebenso Selbsthilfegruppen wie auch
die Teilnahme am Behindertensport. So kann der behandelnde Arzt hier in Anwendung der Leitlinien der Deutschen
Adipositas-Gesellschaft zumutbare Möglichkeiten aufzeigen, an dieser Stelle anzusetzen.
Die für einen erhöhten Verschleiß der Prothese angeführte Fettleibigkeit jedenfalls vermag keine Erforderlichkeit für
eine Doppelversorgung zu begründen, sondern allenfalls die Forderung an den Hersteller und Leistungserbringer eine
solide Ausführung der Prothese zu liefern, die der übermäßigen Belastung Stand hält, wobei der Kläger aber auch
gehalten ist, mit diesem Gerät verantwortlich umzugehen.
Somit findet sich unter keinem Blickwinkel ein hinreichender Grund, den Kläger über die gesetzliche Grundregel
hinaus eine doppelte Versorgung zukommen zu lassen.
Angesichts des Verfahrensausgangs besteht kein Anlass, dem Kläger seine außergerichtliche Kosten zu erstatten (§
193 SGG).
Gründe, die Revision nach § 160 SGG zuzulassen, sind nicht ersichtlich.