Urteil des LSG Bayern vom 30.07.2008

LSG Bayern: altersgrenze, entlastung, beitragssatz, krankenversicherung, eltern, gleichbehandlung, vergleich, wehr, belastung, ausnahme

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 30.07.2008 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 P 38/07
Bayerisches Landessozialgericht L 2 P 9/08
I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 21. Januar 2008 wird
zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist der Beitragszuschlag für Kinderlose zur Pflegeversicherung.
Die 1981 geborene Klägerin wandte sich mit Schreiben vom 1. Juli 2006, eingegangen bei der Beklagten am 18.
September 2006, gegen den erhöhten Beitragssatz zur studentischen Krankenversicherung, der sich mit dem
Grundgesetz nicht vereinbaren lasse. Versicherte, die aus gesundheitlichen Gründen keine Kinder haben könnten,
würden zudem benachteiligt. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juni
2007 zurück. Der Beitragssatz zur gesetzlichen Pflegeversicherung betrage seit 1. Juli 1996 bundeseinheitlich 1,7 v.H
... Für Kinderlose erhöhe sich dieser Beitragssatz nach Ablauf des Monats, in dem das Mitglied das 23. Lebensjahr
vollendet habe, um einen Beitragszuschlag in Höhe von 0,25 Beitragssatzpunkten. Die Klägerin habe bereits zum
Zeitpunkt der Stellung des Antrags für die Kranken-/Pflegeversicherung als Studentin das 23. Lebensjahr vollendet.
Eine Elterneigenschaft sei nicht nachgewiesen. Folglich sei im Bescheid vom 5. Mai 2006 der erhöhte
Pflegeversicherungsbeitrag zum Ansatz gekommen.
Die hiergegen gerichtete Klage hat die Klägerin nicht weiter begründet. Mit Gerichtsbescheid vom 21. Januar 2008
wies das Sozialgericht Regensburg die Klage ab. Die Klägerin habe das 23. Lebensjahr vor dem 1. Januar 2005
vollendet und sei kinderlos. Sie sei weder vor dem 1. Januar 1940 geboren, noch habe sie seit dem 1. Januar Wehr-
oder Zivildienst geleistet oder Arbeitslosengeld II bezogen. Damit seien die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
55 Absatz 3 Satz 1 Elftes Sozialgesetzbuch (SGB XI) erfüllt. Mit der Regelung über den Beitragszuschlag für
Kinderlose habe der Gesetzgeber auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 3. April 2001 reagiert. Das
Gericht habe mit diesem Urteil entschieden, dass es mit Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz nicht zu
vereinbaren sei, dass Mitglieder der sozialen Pflegeversicherung, die Kinder betreuen und erziehen und damit neben
dem Geldbeitrag einen generativen Beitrag zur Funktionsfähigkeit eines umlagefinanzierten
Sozialversicherungssystems leisten, mit einem gleich hohen Pflegeversicherungsbeitrag wie Mitglieder ohne Kinder
belastet würden. Der Beitragszuschlag für Kinderlose entspreche den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts.
Nicht zu beanstanden sei, dass der Gesetzgeber den Auftrag des Bundesverfassungsgerichts durch eine Erhöhung
des Beitragssatzes für Mitglieder ohne Kinder statt durch eine Beitragsermäßigung für Mitglieder mit Kindern erfüllt
habe, da bereits die relative Entlastung die vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erachtete
Gleichbehandlung von Versicherten mit und ohne Kinder beseitige. Dass der Gesetzgeber eine grob differenzierende
Regelung getroffen habe, sei verfassungsrechtlich unbedenklich, weil der Gesetzgeber über einen großen Spielraum
bei der Ausgestaltung eines dem Grundgesetz entsprechenden Beitragsrechts in der sozialen Pflegeversicherung
verfüge. Dies habe auch das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich betont. Auf die Gründe der Kinderlosigkeit stelle
das Gesetz nicht ab. Es gehe auch nicht darum, Kinderlose zu bestrafen. Die Regelung über den Beitragszuschlag
knüpfe nicht an eine Behinderung oder Gesundheitsstörung an, sondern lediglich an die Kinderlosigkeit.
Zur Begründung der am 3. März 2008 eingelegten Berufung führte die Klägerin im Schreiben vom 28. Juli 2008 aus,
sie fühle sich durch den erhöhten Beitrag in ihren Grundrechten eingeschränkt. Das Gesetz stelle eine Diskriminierung
derjenigen dar, die keine Kinder bekommen könnten. Die Altersgrenze von 23 Jahren sei unzumutbar. In diesem Alter
könne kaum jemand einem Kind die Sicherheit bieten, die es brauche. Seit 2005 pflege sie ihren Vater und leiste
damit aktiv einen Beitrag zur Entlastung der Pflegekasse.
Die Klägerin stellt den Antrag, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 21. Januar 2008 sowie den
Bescheid der Beklagten vom 5. Mai 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juni 2007 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf den Inhalt der beigezogenen Akte der Beklagten sowie der Klage- und
Berufungsakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, sachlich aber nicht begründet.
Zu Recht hat das Sozialgericht Regensburg die Klage abgewiesen. Von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe wird abgesehen, da der Senat die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung
als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -).
Ergänzend ist noch darauf hinzuweisen, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 3. April 2001 ausdrücklich
eine beitragsrechtliche Besserstellung der Versicherten, die Kinder betreuen und erziehen, im Vergleich zu Mitgliedern
ohne Kinder verlangt. Die danach erforderliche beitragsrechtliche Differenzierung zwischen diesen beiden
Personenkreisen konnte der Gesetzgeber sowohl durch eine beitragsrechtliche Entlastung der Eltern als auch - wie
geschehen - durch eine Belastung der Versicherten ohne Kinder vornehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat dem
Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum bei der Ausgestaltung eines Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1
Grundgesetz entsprechenden Beitragsrechts eingeräumt. Wie das Bundessozialgericht in seiner Entscheidung vom
27. Februar 2008 (B 12 P 2/07 R) nochmals bestätigte, ist die Entscheidung des Gesetzgebers, zur Umsetzung des
Urteils des Bundesverfassungsgerichts Kinderlose mit einem erhöhten Beitrag zu belasten, nicht zu beanstanden.
Denn hierdurch wird die verfassungsrechtlich geforderte relative Beitragsentlastung bewirkt. Es ist nicht ersichtlich,
dass der Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers dahin eingeschränkt war, dass nur eine Beitragsreduktion
verfassungsrechtlich zulässig gewesen wäre. Eine solche Regelung hätte zu Beitragsausfällen geführt, die mit
Beitragssatzerhöhungen hätten kompensiert werden müssen. Der Ausgleich einer relativen Beitragsentlastung im
Beitragssystem der sozialen Pflegeversicherung setzte bei angestrebter Beibehaltung des Beitragsaufkommens
voraus, dass Kinderlose höhere Beiträge als bisher zu zahlen haben.
Soweit die Klägerin die Gleichbehandlung von ungewollt kinderlosen Versicherten mit Versicherten mit Kindern
begehrt, findet eine solche Forderung im Verfassungsrecht keine Stütze. Das Bundesverfassungsgericht hat gerade
im Vergleich mit kinderlosen Versicherten eine Entlastung der Gruppe der Versicherten mit Kindern gefordert, ohne
dabei auf die Gründe der Kinderlosigkeit abzustellen (BSGE a.a.O.).
Die in § 55 Abs. 3 S. 1 SGB XI geregelte feste Altersgrenze von 23 Jahren ist aus Gründen der Praktikabilität und
Verwaltungsvereinfachung vorgesehen. Dies ergibt sich aus den Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 15/3671). Dort
wird ausgeführt, es wäre nicht gerechtfertigt, auch von Kindern und jungen Erwachsenen (vor Vollendung des 23.
Lebensjahres) einen Beitragszuschlag wegen Kinderlosigkeit zu erheben, denn dies würde nicht mit der erstrebten
Besserstellung von Eltern und Familien im Einklang stehen. Die Altersgrenze von 23 Jahren entspricht der
Altersgrenze in der gesetzlichen Krankenversicherung und der Pflegeversicherung, ab der für nicht erwerbstätige
junge Erwachsene die Familienversicherung endet und sie selbst Beiträge zu entrichten haben.
Die Ausnahme für Wehr- und Zivildienstleistende ist sachlich gerechtfertigt, weil sie einen Dienst für die Allgemeinheit
erbringen. Befreit werden auch die Bezieher von Arbeitslosengeld II, da die zu erwartenden Mehreinnahmen außer
Verhältnis zu dem Verwaltungsaufwand für die Ermittlungen der Voraussetzungen für den Beitragszuschlag und
Abzug der Geldleistung stünden.
Damit liegen für die Ausnahmen vom Beitragszuschlag sachliche Gründe vor, die die Klägerin nicht für sich in
Anspruch nehmen kann. Die Ungleichbehandlung ist daher gerechtfertigt. Aufgrund typisierender Regelungen in
Einzelfällen auftretende Härten sind grundsätzlich verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 77, 308
ff).
Die Kostenentscheidung richtet sich nach § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.