Urteil des LSG Bayern vom 20.10.2005

LSG Bayern: besondere härte, treu und glauben, verjährung, venire contra factum proprium, wiederaufnahme des verfahrens, negativer kompetenzkonflikt, geschäftsführender gesellschafter, arbeitsamt

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 20.10.2005 (rechtskräftig)
Sozialgericht Regensburg S 2 KR 31/98
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 181/02
Bundessozialgericht B 12 KR 30/05 R
I. Auf die Berufung der Beigeladenen wird das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21. März 2002 aufgehoben
und die Klage abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist, ob die Beigeladene an den Kläger die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vom 01.04.1982 bis 30.11.
1996 zu erstatten hat.
Am 29.01.1982 schlossen der Kläger und die Zeugen K. und M. einen notariell beurkundeten Gesellschaftsvertrag zur
Errichtung der S. Fußböden GmbH. Der bei der Beklagten versicherte Kläger war einzelvertretungsberechtigter
Geschäftsführer und an der Gesellschaft zu 33,3 % beteiligt. Mit dem gleichfalls notariell beurkundeten Vertrag vom
21.09.1984 wurde die Beteiligung des Klägers auf 48% erhöht. Die von der Beklagten durchgeführten
Betriebsprüfungen in den Jahren 1986 und 1993 ergaben keine Beanstandungen.
Mit dem an den Kläger gerichteten Bescheid vom 30.01.1997 stellte die Beklagte unter Bezugnahme auf ein im
Dezember 1996 geführtes Gespräch fest, dass aufgrund der Veränderungen im Gesellschaftsvertrag seit September
1984 bei dem Kläger kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestehe; er sei als Geschäftsführer der GmbH mit
einem Geschäftsanteil von 48,8% als selbständiger Unternehmer anzusehen.
Am 14.02.1997 beantragte die GmbH bei der Beklagten die Rückerstattung der Sozialversicherungsbeiträge ab
01.04.1982 für den Kläger und den Gesellschafter K. ; die Beklagte leitete die Anträge an die damalige Bundesanstalt
für Arbeit (Beigeladene) und Bundesversicherungsanstalt für Angestellte weiter zur Erstattung der jeweiligen Beiträge.
Die Beigeladene (Arbeitsamt S.) stellte mit Bescheid vom 02.07.1997 gegenüber dem Kläger fest, der
Erstattungsanspruch sei für die vor dem 01.12.1992 entrichteten Beiträge für die Zeit vom 01.04.1982 bis 30.11.1986
in Höhe von 52.384,26 DM verjährt. Besondere Gründe, die Einrede der Verjährung nicht zu erheben, lägen nicht vor.
Der Erstattungsanspruch betrage zuzüglich Zinsen 5.629,37 DM. Auch der Arbeitgeberanteil in Höhe von 5.629,37 DM
werde an den Kläger überwiesen. Der gesamte Auszahlungsbetrag umfasse somit 11.258,74 DM. Ein gleichlautender
Bescheid erging am 02.07.1997 auch gegenüber der GmbH.
Hiergegen legte die GmbH am 10.07.1997 Widerspruch ein; die Einrede der Verjährung für den Zeitraum vor dem
01.12.1992 sei unter Berücksichtigung des Vertrauenschutzes eine unbillige Härte. Es seien daher auch die Beiträge
vor diesem Zeitpunkt zu erstatten. Die Widerspruchsstelle des Arbeitsamts S. wies mit dem Widerspruchsbescheid
vom 04.08.1997 den Widerspruch gegenüber der GmbH zurück. Vor dem 01.12.1992 entrichtete Beiträge seien
verjährt. Die Einrede der Verjährung werde nach pflichtgemäßen Ermessen nur in Fällen einer besonderen Härte nicht
erhoben. Eine besondere Härte sei im allgemeinen anzunehmen, wenn die Beitragsentrichtung deshalb zu Unrecht
erfolgt ist, weil sie auf einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Bundesanstalt für Arbeit oder der Einzugstelle
beruht oder weil über den Verjährungszeitraum hinaus rückwirkend Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt ist. Die
Erhebung der Einrede der Verjährung stelle keine unzulässige Rechtsausübung dar. Unkenntnis über das tatsächliche
Bestehen der Versicherungsfreiheit sei ein typischer Fall einer möglicherweise eintretenden Verjährung.
Mit Bescheid vom 07.11.97 erläuterte die Beklagte gegenüber dem Klägerbevollmächtigten die Voraussetzungen der
Sozialversicherungspflicht für einen im Unternehmen einer GmbH mitarbeitenden Gesellschafter und lehnte eine
Haftung wegen Verletzung der Auskunfts- und Beratungspflicht, auch im Hinblick auf die durchgeführten
Betriebsprüfungen, ab. Das Arbeitsamt habe sich in den Bescheiden zu Recht auf die Verjährung berufen und diese
Bescheide seien bindend geworden.
Die Beklagte wies mit dem Widerspruchsbescheid vom 10.02.1998 den dagegen eingelegten Widerspruch des
Klägerbevollmächtigten vom 07.01.1998 zurück. Der Kläger unterliege aufgrund der Tätigkeit als geschäftsführender
Gesellschafter bei der Firma S. Fußböden GmbH in der Zeit ab 01.09.1984 nicht der Versicherungspflicht zur
Kranken- und Rentenversicherung sowie nicht der Beitragspflicht zur Arbeitslosenversicherung. Für die Zeit vom
01.09.1984 bis 31.12.1986 werde für den Bereich der Krankenversicherung die durchgeführte Pflichtversicherung als
Fehlversicherung belassen. Ein Anspruch auf Erstattung der in der Zeit vom 01.09.1984 bis 31.12.1996 zu Unrecht
entrichteten Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung gegenüber der Kasse bestehe nicht. In der fehlenden
Beanstandung der Beitragsentrichtung durch die Einzugsstelle liege kein Verwaltungsakt. Der Kläger könne einen
sozialrechtlichen Herstellungsanspruch nicht darauf stützen, dass die Kasse im Rahmen ihrer Betriebsprüfungen nicht
schon zu einem früheren Zeitpunkt das Nichtvorliegen eines versicherungs- bzw. beitragspflichtigen
Beschäftigungsverhältnisses hätte feststellen können. Für die Frage der Erstattung von zu Unrecht entrichteten
Pflichtbeiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung seien der Rentenversicherungsträger beziehungsweise das
Arbeitsamt zuständig.
Der Klägerbevollmächtigte hat mit der Klage vom 03.03.1998 beim Sozialgericht Regensburg (SG) beantragt, die
Beklagte unter Abänderung der Bescheide zur Erstattung der für die Zeit vom 01.09.1984 bis 31.12.1996 zu Unrecht
entrichteten Beiträge zur Arbeitslosenversicherung zu verpflichten. Es habe ein Beratungsfehler der Kasse
vorgelegen, die Erhebung der Einrede der Verjährung durch das Arbeitsamt sei rechtsmissbräuchlich. Die Beigeladene
hat mit Schreiben vom 05.06.1998 die Abweisung der Klage beantragt und darauf hingewiesen, dass der Kläger gegen
den Widerspruchsbescheid vom 04.08.1997 Klage nicht erhoben hat, so dass der Bescheid bindend geworden ist.
Der Kläger hat am 27.04.2000 beim Arbeitsamt S. die Rückerstattung der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung vom
01.04.1982 bis 30.11.1992 beantragt. Die Beigeladene (Arbeitsamt S.) hat mit dem, mit einer Rechtsbehelfsbelehrung
versehenen Bescheid vom 30.05.2000 das Schreiben des Klägers als Antrag auf Rücknahme des Verwaltungsakts
gewertet und eine Aufhebung des Bescheides vom 02.07.1997 abgelehnt.
Das SG hat die erste mündliche Verhandlung vom 07.04.2000 nach Anhörung des Klägers zur weiteren
Beweisaufnahme vertagt. Der Klägerbevollmächtigte hat mit dem Schriftsatz vom 13.04.2000 weiterhin eine
Beitragserstattung der Beklagten für die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung geltend gemacht.
Das SG hat in der zweiten mündlichen Verhandlung vom 31.05.2001 als Zeugen den Geschäftsstellenleiter der
Beklagten R. gehört, der ausgesagt hat, dass im Archiv der Geschäftsstelle über den streitigen Vorgang nichts
enthalten sei und dass er sich an Einzelheiten nicht mehr erinnern könne. Nach Hinweis des Vorsitzenden, dass auch
eine Verurteilung der Beigeladenen bei Gefahr unvereinbarer Entscheidungen infrage komme, hat das Gericht die
Streitsache zur weiteren Beweiserhebung vertagt.
In der dritten mündlichen Verhandlung am 27.07.2001 hat das SG als Zeugen den Mitgesellschafter K.
einvernommen. Er hat ausgesagt, dass der Zeuge R. ihm die Mitgliedschaft bei der Beklagten empfohlen habe. Der
Zeuge M. , der Steuerberater des Klägers, hat angegeben, er sei zunächst der Ansicht gewesen, dass der Kläger
sozialversicherungspflichtig gewesen sei und er habe den Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 1982 wahrscheinlich der
Beklagten nicht übersandt. Bei der Erhöhung der Beteiligung des Klägers im Jahr 1984 auf 48,5% habe er Zweifel an
der Richtigkeit seiner früheren Auffassung getragen, diesbezüglich mit der Beklagten aber nicht verhandelt.
Schließlich hat das SG noch den Zeugen L. , einen früheren Mitarbeiter der Beklagten, gehört, aber die Aussage nicht
protokolliert. Der Klägerbevollmächtigte hat in der mündlichen Verhandlung noch hilfsweise beantragt, die
Bundesanstalt für Arbeit zur Beitragserstattung zu verpflichten.
In der vierten mündlichen Verhandlung am 21.03.2002 hat das SG wieder die Zeugen L. und R. einvernommen. Der
Zeuge R. hat angegeben, er habe den Gesellschaftsvertrag aus dem Jahr 1982 erstmals im Laufe des
Beitragserstattungsverfahrens gesehen, vorher habe es keine Unterlagen hierüber in der Geschäftsstelle gegeben. Der
Zeuge L. hat ausgesagt, zu seinem Aufgabenbereich habe es auch gehört, den Gründen einer Kündigung der
Mitglieder nachzugehen.
Das SG hat in diesem Termin die Beigeladene verurteilt, dem Kläger die vom 01.04.1982 bis 30.11.1996 von ihm an
die Bundesanstalt für Arbeit sowohl als Arbeitnehmer als auch als Arbeitgeber entrichteten Beiträge zu erstatten; im
Übrigen hat es die Klage abgewiesen und entschieden, dass die Beklagte die außergerichtlichen Kosten des Klägers
trägt. In den Urteilsgründen hat es die Auffassung vertreten, die Voraussetzungen für ein Wiederaufnahmeverfahren
im Verhältnis zur Beigeladenen lägen vor; das SG sei zur Entscheidung in der ersten Instanz zuständig, einer Abgabe
an das Bayerische Landessozialgericht bedürfe es nicht. Die Beigeladene sei zur Erstattung der zu Unrecht
entrichteten Beiträge verpflichtet. Die Einrede der Verjährung sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben
unzulässig. Nach der mehrheitlichen Überzeugung der Kammer liege eine unzureichende Beratung bzw. Aufklärung
des Klägers durch einen Bediensteten der Beklagten als Einzugsstelle vor. Dem Zeugen L. hätte sich nach dem
Gesamtergebnis der mündlichen Verhandlung aufdrängen müssen, dass ab Veränderung der
Gesellschaftsverhältnisse im Jahr 1984 eine Versicherungspflicht des Klägers nicht mehr bestanden habe. Wegen
des fehlerhaften Verhaltens der Beklagten bei der Betriebsprüfung im Jahr 1993 sei es der Beigeladenen verwehrt, die
Verjährung einzuwenden.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beigeladenen vom 12.09.2002. Sie macht geltend, die Beklagte habe dem
Kläger bereits am 14.12.1996 mitgeteilt, dass seit 1984 kein abhängiges Beschäftigungsverhältnis bestehe. Zuständig
für die Beitragserstattung sei nicht die Beklagte, sondern die Beigeladene. Die Verurteilung zur Beitragserstattung ab
01.12.1992 sei rechtswidrig, da die Beigeladene ab diesem Zeitpunkt die Beiträge erstattet habe. Im Übrigen sei die
erhobene Einrede der Verjährung keine unzulässige Rechtsausübung gewesen. Das SG habe die Beweiswürdigung
unzureichend durchgeführt, die Zeugen hätten die Ansicht des Klägers nicht bestätigt.
Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schreiben vom 12.08.2003 entgegnet, der Beklagten seien alle Umstände seit 1982
bekannt gewesen. Das Verhalten der Beklagten sei der Beigeladenen zuzurechnen und die von ihr erhobene Einrede
der Verjährung sei unzulässig.
Die Beigeladene beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Regensburg vom 21.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Klägerbevollmächtigte beantragt,
die Berufung der Beigeladenen zurückzuweisen.
Die Beklagte schließt sich der Beigeladenen an.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten, des SG und
der Beigeladenen. Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1, 151 Sozialgerichtsgesetz -
SGG); nach den Berechnungen der Beigeladenen überschreitet der Betrag der Beitragserstattung die Wertgrenze von
500,00 Euro.
Die Berufung ist begründet; das angefochtene Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Verurteilung der Beigeladenen zur Beitragserstattung für den Zeitraum vom 01.12.1992 bis 30.11.1996 ist
rechtswidrig, da diese die Beiträge für diesen Zeitraum erstattet hat. Eine Verurteilung der Beigeladenen zur
Beitragserstattung in der übrigen Zeit vom 01.04.1982 bis 30.11.1992 ist schon aus verfahrensrechtlichen Gründen
nicht zulässig, ohne dass es zunächst auf die Frage ankommt, ob die von der Beigeladenen erhobene Einrede der
Verjährung eine unzulässige Rechtsausübung bedeutet.
Das SG stützt sich bei der Verurteilung der Beigeladenen zu Unrecht auf § 181 SGG. Will danach das Gericht die
Klage gegen einen Versicherungsträger ablehnen, weil es einen anderen Versicherungsträger für leistungspflichtig
hält, obwohl dieser bereits den Anspruch endgültig abgelehnt hat oder in einem früheren Verfahren rechtskräftig befreit
worden ist, so verständigt es den anderen Versicherungsträger und das Gericht, das über den Anspruch rechtskräftig
entschieden hat, und gibt die Sache zur Entscheidung an das gemeinsam nächsthöhere Gericht ab. Die Vorschrift
verweist im übrigen auf § 180 Abs.2 und 4 und 5 SGG und damit auch auf die Vorschriften über die Wiederaufnahme
des Verfahrens. § 181 SGG soll verhindern, dass eine gerichtliche Entscheidung ergeht, die mit einem bereits
erlassenen unanfechtbaren Verwaltungsakt oder rechtskräftigen Urteil nicht vereinbar ist. Ein negativer Konflikt soll
damit vermieden werden. Die Vorschrift hat zur Voraussetzung, dass das Gericht in dem Rechtsstreit den beklagten
Versicherungsträger nicht für passiv legitimiert hält und dass nach seiner Auffassung ein anderer Träger
leistungspflichtig wäre. Ferner wird vorausgesetzt, dass der andere Leistungspflichtige den Anspruch des Klägers
aber wegen fehlender Zuständigkeit beziehungsweise materieller Unrichtigkeit abgelehnt hat oder eine frühere Klage
abgewiesen worden ist, weil die Leistungspflicht des Beklagten angenommen worden ist. Es muss also eine frühere
bindende oder rechtskräftige Entscheidung vorliegen, die der nunmehr zu treffenden Entscheidung widerspricht
(Meyer-Ladewig u.a., SGG, 8. Auflage, § 181, Rdnrn.1, 2 m.w.N.; Ulmer in Henning u.a., SGG, § 181, Rz.3, Krasney-
Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 4. Auflage, S.475). Mit dieser gesetzlichen Regelung soll ein
negativer Kompetenzkonflikt vermieden werden.
Regelungszweck des § 181 SGG ist, ebenso wie in §§ 180 und 75 SGG, es verfahrensrechtlich zu ermöglichen, im
Sozialrecht widersprechende Entscheidungen zu vermeiden und die materiell-rechtlich richtige Entscheidung ohne
Rücksicht auf eine bereits eingetretene Rechtskraft oder Bindungswirkung durchzusetzen. Während durch § 75 Abs.5
SGG - auch aus prozessökonomischen Zwecken - erreicht werden soll, dass schon im Verfahren gegen den ersten
ablehnenden Bescheid widersprechenden Entscheidungen vorgebeugt wird, bieten die §§ 180, 181 SGG eine
verfahrensrechtliche Handhabe, rechtskräftige oder verbindliche Entscheidungen zu beseitigen, die einander
widersprechen (§ 180 SGG) oder im Widerspruch zu einer beabsichtigten Entscheidung stehen (§ 181 SGG). Da es
also Aufgabe des besonderen Wiederaufnahmeverfahrens nach § 181 SGG ist, eine materiellrechtlich richtige
Entscheidung ohne Rücksicht auf eine bereits eingetretene Rechtskraft oder Bindungswirkung durchzusetzen, wird
vorausgesetzt für die Anwendung dieser Vorschrift, dass die frühere (bindend oder rechtskräftig gewordene)
Entscheidung ihrem materiellen Inhalt nach der nunmehr zu treffenden Entscheidung widerspricht
(Bundessozialgericht - BSG - vom 21.05.1980, BSGE 50, 111). In diesem vergleichbaren Fall hatte die Beklagte ihre
Leistungspflicht wegen fehlender Leistungszuständigkeit verneint, während der Beigeladene seine
Leistungszuständigkeit bejahte, aber das Leistungsbegehren des Klägers aus anderen Gründen ablehnte. Das BSG
schloss mit der genannten Begründung die Anwendung des § 181 SGG aus.
So liegt der Fall auch hier. Denn die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden, die mittlerweile bindend
geworden sind, ihre Leistungszuständigkeit verneint, während die Beigeladene ihre Leistungszuständigkeit bejaht und
den Beitragserstattungsanspruch dem Grunde nach als bestehend anerkannt, ihn lediglich mit der Einrede der
Verjährung nicht erfüllt hat. Damit fehlt es auch im vorliegenden Fall an einer widersprechenden Entscheidung im
Sinne des § 181 SGG. Die Ablehnung eines Anspruches in § 181 SGG ist etwas anderes als die Erhebung der
Einrede der Verjährung, bei der es nicht um den Anspruch geht, sondern um ein Leistungsverweigerungsrecht, d.h. die
Erfüllung des Anspruchs. Auch wenn eine dauernde Einrede dem Anspruch auch auf Dauer entgegensteht und
Forderungen, denen eine dauernde Einrede entgegensteht, zivilrechtlich gelegentlich so behandelt werden, wie wenn
sie nicht bestünden (z.B. §§ 813, 814 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB), lässt sich jedoch daraus kein allgemeiner
Grundsatz für die Anwendung des § 181 SGG ableiten. Wegen der verfahrensrechtlichen Möglichkeit, auch bindend
gewordene, nicht begünstigende Verwaltungsakte einer nochmaligen Kontrolle durch die Verwaltung zu unterziehen (§
44 Sozialgesetzbuch X - SGB X) sowie der anschließenden Möglichkeit des sozialgerichtlichen Rechtsschutzes
(Art.19 Abs.4 Grundgesetz, § 51 Abs.1 SGG) besteht auch kein Bedürfnis, § 181 SGG erweiternd auszulegen. Eine
analoge Anwendung des § 181 SGG ist wegen des prozessualen Ausnahmecharakters dieser Vorschrift nicht
möglich, es fehlt schon an einer Regelungslücke.
Die Verurteilung der Beigeladenen lässt sich auch nicht auf § 75 Abs.5 SGG stützen. Danach kann ein
Versicherungsträger nach der Beiladung verurteilt werden. Zwar setzt diese Vorschrift nicht voraus, dass, jedenfalls
soweit es um die Verurteilung zu einer Leistung geht, ein Vorverfahren durchgeführt worden ist (Meyer-Ladewig u.a.,
SGG, § 75, Rndnr 18a m.w.N.). § 75 Abs.5 SGG lässt also eine Verurteilung des beigeladenen Versicherungsträgers
zu, ohne dass dieser zuvor einen Bescheid erlassen oder ein notwendiges Vorverfahren durchgeführt hat. Hierfür fehlt
es aber an einer Grundlage, wenn der Beigeladene bereits einen bindend gewordenen ablehnenden Bescheid erlassen
hat oder rechtskräftig befreit worden ist. § 75 Abs.5 SGG ist nicht als eine andere Bestimmung des Gesetzes im
Sinne des § 77 SGG anzusehen, mit der die Schranke der Bindungswirkung durchbrochen werden kann. Dies gilt
auch für die Fälle, in denen der Kläger einen Anspruch auf Rücknahme des früheren Bescheides nach § 44 Abs.1
Sozialgesetzbuch X geltend machen kann. Denn diese Vorschrift betrifft das Verwaltungsverfahren und regelt das
Recht der Behörde zur Rücknahme eines bindend geworden Verwaltungsaktes und die Pflicht zu einer eventuellen
Neufeststellung. Dagegen kann sie prozessuale Befugnisse des Gerichts nicht erweitern. Dem stehen auch hier der
Ausnahmecharakter des § 75 Abs.5 und der Wiederaufnahmevorschriften entgegen (BSG vom 31.5.1988, 2 RU
67/87).
Selbst wenn § 181 SGG anwendbar wäre, hätte die Berufung der Beigeladenen gleichfalls Erfolg. Denn sie hat zu
Recht die Einrede der Verjährung erhoben (§ 27 Abs.2 Sozialgesetzbuch IV - SGB IV). Danach verjährt der
Erstattungsanspruch in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beiträge entrichtet worden sind.
Entgegen dem Kläger liegt hierin keine unzulässige Rechtsausübung. Zweck der Verjährung ist es, dem Schuldner die
Abwehr unbegründeter Ansprüche zu erleichtern. Sie konkretisiert Maximen von Treu und Glauben in Gestalt der
allgemeinen Rücksichtnahmepflichten und erspart zugleich Beweiserhebungen. Darüber hinaus dient sie der
Rechtssicherheit und dem Rechtsfrieden. Der Rechtsverkehr benötigt klare Verhältnisse und soll deshalb vor einer
Verdunkelung der Rechtslage bewahrt bleiben, wie sie bei späterer Geltendmachung von Rechtsansprüchen aufgrund
längst vergangener Tatsachen zu befürchten wäre. Aber auch in den Fällen, wo über die tatsächlichen Verhältnisse
keine Zweifel bestehen und die Verjährung begründete Ansprüche betrifft, ist sie durch die Gedanken des
Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit gerechtfertigt. Tatsächliche Umstände, die lange Zeit unangefochten
bestanden haben, sollen im Interesse des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit als bestehend anerkannt werden
(BSG vom 29.07.2003 SozR 4-2400 § 27 Nr.1 = USK 2003 - 27, Palandt-Heinrichs, BGB, 64. Auflage, Überbl vor §
194, Rndnr. 7 bis 9).
Die Beigeladene hat die Einrede der Verjährung frei von Ermessensfehlern (§ 39 Abs.1 Sozialgesetzbuch I) erhoben.
Sie hat im Widerspruchsbescheid vom 04.08.1997 ausgeführt, die Einrede der Verjährung werde nach pflichtgemäßem
Ermessen nur in Fällen einer besonderen Härte nicht erhoben und (offensichtlich im Anschluss an ihre
Dienstanweisung zu § 27 SGB IV) den Begriff besondere Härte erläutert. Nach Auffassung der Beigeladenen ist eine
besondere Härte im allgemeinen anzunehmen, wenn die Beitragszahlung deshalb zu Unrecht erfolgt ist, weil sie auf
einem fehlerhaften Verwaltungshandeln der Bundesanstalt für Arbeit, der Einzugstelle oder eines Trägers der
Rentenversicherung (als Prüfinstitution) beruht, d.h. die fehlerhafte Beitragszahlung muss von einer dieser Stellen
nachweislich verursacht worden sein. Die Beigeladene hat diese Rechtslage ein weiteres Mal im Rahmen des § 44
SGB X überprüft (Bescheid vom 30.05.2000). Die Begründung des genannten Widerspruchsbescheides genügt
insgesamt den Anforderungen an die Begründung von Ermessensentscheidungen gemäß § 35 Abs.1 Satz 3 SGB X.
Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Beigeladene sich mit der Einrede der Verjährung in Widerspruch zu ihrem
früheren Verhalten beziehungsweise dem Verhalten der Einzugsstelle gesetzt hat. Es ist in diesem Zusammenhang
insbesondere zu berücksichtigen, dass die Beklagte keine genaue Kenntnis über den Inhalt der Gesellschaftsverträge
und die Position des Klägers innerhalb der Gesellschaft hatte. Damit fehlt es auch an einem der Beigeladenen
zuzurechnenden Tatbestand, der der Erhebung der Einrede der Verjährung unter dem Gesichtspunkt des so
genannten venire contra factum proprium entgegenstehen könnte. Daran ändern auch die von der Beklagten
durchgeführten Betriebsprüfungen in den Jahren 1986 und 1993 nichts. Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG
(Urteil vom 29.07. 2003, a.a.O., m.w.N.) sind die Prüfbehörden bei Arbeitgeberprüfungen nach § 28p SGB IV auch in
kleineren Betrieben nicht zu einer vollständigen Überprüfung der versicherungsrechtlichen Verhältnisse aller
Versicherten verpflichtet. Gemäß § 28p Abs.1 Satz 1 SGB IV prüfen die Träger der Rentenversicherung
beziehungsweise bis 31.12.1995 die Einzugsstellen bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre
sonstigen Pflichten nach dem SGB IV, die im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag stehen,
ordnungsgemäß erfüllen. Sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier
Jahre. Die Prüfstelle erläßt im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der
Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung. Das Nähere hierzu wird in der
Beitragsüberwachungsverordnung (BÜVO) geregelt, die auch eine stichprobenartige Prüfung zulässt (§ 6 Abs.1
BÜVO). Hat es bei derartigen Prüfungen zunächst keine Beanstandungen gegeben, sich jedoch später herausgestellt,
dass die Versicherungs- und Beitragspflicht von Beschäftigten vom geprüften Arbeitgeber bereits im Prüfzeitraum
unzutreffend beurteilt wurde, können nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus
solchen Betriebsprüfungen keine weitergehenden Rechte herleiten. Prüfungen haben unmittelbar im Interesse der
Versicherungsträger und mittelbar im Interesse der Versicherten den Zweck, die Beitragsentrichtung zu den einzelnen
Zweigen der Sozialversicherung zu sichern. Sie sollen Beitragsausfälle verhindern helfen und die Versicherungsträger
in der Rentenversicherung davor bewahren, dass aus der Annahme von Beiträgen für nicht versicherungspflichtige
Personen Leistungsansprüche entstehen. Eine über diese Kontrollfunktion hinausgehende Bedeutung kommt den
Betriebsprüfungen nicht zu. Sie bezwecken insbesondere nicht, den Arbeitgeber als Beitragsschuldner zu schützen
und ihm eine Entlastung zu erteilen; dies ist wegen der Beschränkung der Betriebsprüfung auf bestimmte Einzelfälle
oder Stichproben ausgeschlossen.
Mangels einer Pflichtverletzung der Beigeladenen beziehungsweise der Beklagten ergibt sich auch kein Anhaltspunkt
für eine Haftung unter dem Gesichtspunkt des Herstellungsanspruchs.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat wegen der grundsätzlichen Bedeutung (Anwendung des § 181 SGG bei verjährten Ansprüchen) die
Revision zugelassen (§ 160 Abs.2 Nr.1 SGG).