Urteil des LSG Bayern vom 26.04.2006

LSG Bayern: rente, berufsunfähigkeit, vergütung, zumutbarkeit, erwerbsfähigkeit, auskunft, ausgabe, behörde, hilfskraft, umschulung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 26.04.2006 (rechtskräftig)
Sozialgericht München S 17 RA 377/03
Bayerisches Landessozialgericht L 13 R 4174/04
Bundessozialgericht B 13 R 263/06 B
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 8. Juli 2004 wird auf die Berufung der Beklagten aufgehoben soweit
diese verurteilt worden ist, der Klägerin Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung zu zahlen. II. Die Klage gegen den
Bescheid vom 28. Mai 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. März 2003 wird abgewiesen. III.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten um Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1948 geborene Klägerin war nach ihrer Übersiedelung aus Polen seit 1991 bei der Beklagten versichert. In ihrer
Heimat übte sie nach einer Schlosserausbildung zunächst verschiedene Tätigkeiten als Arbeiterin aus. Während des
Besuches der Fachmittelschule (in Deutschland als mittlerer Schulabschluss anerkannt) von 1985 bis 1988 und
danach war sie als Verkäuferin, Hilfskraft im Gesundheitswesen, Kassiererin und Angestellte in verschiedenen
Betrieben beschäftigt.
Im Anschluss an einen Deutschkurs von 1991 bis 1992 nahm die Klägerin vom November 1992 bis Februar 1993 an
einem Vorbereitungskurs für eine Umschulung teil und absolvierte die Berufsfachschule für Sozialpflege in M. mit
einem Abschluss zum 19.07.1995 als staatlich geprüfte Sozialbetreuerin. Vom 01.10.1996 bis zur Arbeitsunfähigkeit
ab 22.05.2001 (Kündigung zum 30.06.2002) arbeitete die Klägerin, laut Arbeitsvertrag vergütet nach Gehaltsgruppe
VIII der Anlage 1a zum Bundesangestelltentarif (BAT), bei der S. Wohn- und Werkstätten für Blinde und
Sehbehinderte GmbH als Pflegekraft.
Nach einer Bandscheibenoperation am 29.05.2001 stellte sie am 03.12.2001 einen Antrag auf Gewährung von Rente
wegen Erwerbsminderung. Diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 28.05.2002 ab, weil die Klägerin Tätigkeiten
ohne Heben und Tragen, ohne Zwangshaltungen, überwiegend im Sitzen noch mindestens sechs Stunden täglich
verrichten könne. Damit liege weder teilweise noch volle Erwerbsminderung noch teilweise Erwerbsminderung bei
Berufsunfähigkeit vor. Ihren hiergegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, nur eingeschränkt
Gehen und Sitzen zu können. Die Beklagte wies ihn mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2003 zurück.
Dagegen hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht München (SG) mit der Begründung erhoben, dass sich ihr
Gesundheitszustand weiterhin verschlechtert habe und eine Depression hinzugekommen sei. Das SG hat eine
Auskunft der S. Wohn- und Werkstätten für Blinde und Sehbehinderte GmbH eingeholt, wonach die Klägerin zuletzt
nach Vergütungsgruppe VII BAT für ihre Tätigkeit als Pflegekraft, die eine Berufsausbildung von mindestens zwei
Jahren voraussetze, entlohnt worden sei. Die vom SG bestellten Sachverständigen Dres. L. und S. haben in ihren
Gutachten vom 26.08.2003 bzw. vom 03.02.2004 neben einem unklaren Schwächegefühl der Beine, einem
Lendenwirbelsäulensyndrom und einer Übergewichtigkeit eine Somatisierungsstörung mit funktioneller Gangstörung
diagnostiziert, womit die Klägerin in ihrem bisherigen Beruf als Pflegekraft nur weniger als drei Stunden täglich
arbeiten könne. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei sie aber noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten
überwiegend im Sitzen und in geschlossenen Räumen ohne Heben und Tragen von schweren Gegenständen, ohne
Zwangshaltungen, ohne Zeit- und Termindruck vollschichtig auszuüben. Leichte Büroarbeiten, ohne ständiges Sitzen,
auch an Maschinen und Büromaschinen seien möglich.
Die Beklagte hat zum Beweisergebnis vorgebracht, dass das Unvermögen zur Ausübung des bisherigen Berufs nicht
zu Berufsunfähigkeit führe, weil die Klägerin auf eine Tätigkeit als Büro-hilfskraft nach der Vergütungsgruppe IX BAT
verwiesen werden könne. Ihre zuletzt erfolgte Eingruppierung habe auf einem so genannten Bewährungsaufstieg
beruht. Bei dem Ausbildungsgang einer Sozialbetreuerin handle sich um eine landesrechtlich geregelte schulische
Ausbildung an Berufsfachschulen mit einer Dauer von zwei Jahren, was nur zum Berufschutz auf der Ebene einer
angelernten Angestellten mit einer Ausbildung von mindestens zwei Jahren führe. Für die Verweisungstätigkeit einer
Bürohilfskraft sei eine verwaltungsnahe oder sogar kaufmännische Vorbildung nicht erforderlich. Es handle sich um
stets einfache, wiederkehrende, schematische und nach Anweisung auszuführende Arbeit, wie z. B. das Sortieren
und Ablegen von Schriftgut aller Art, das Öffnen und Auszeichnen der eingehenden Post, dass Anlegen und
Beschriften von Akten sowie das verteilmäßige Erfassen und die Ausgabe von Büromaterial.
Durch Urteil vom 08.07.2004 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin Rente aufgrund teilweiser
Erwerbsminderung wegen Berufsunfähigkeit zu zahlen, und im übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es
ausgeführt, dass die Klägerin wegen des von den Sachverständigen Dr. L. und Dr. S. festgestellten vollschichtigen
Erwerbsvermögens zwar keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung habe, aber ein Leistungsfall der
teilweisen Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit vorliege. Die Klägerin habe den Berufsschutz einer Angelernten im
oberen Bereich mit einer Anlernzeit von 12 bis 24 Monaten. Damit werde mit dem von der Beklagten benannten
Verweisungsberuf einer Bürohilfskraft nach Vergütungsgruppe IX BAT eine Berufsunfähigkeit nicht ausgeschlossen.
Diese Tätigkeit sei der Klägerin objektiv nicht zumutbar. Die von der Beklagten durch grobe Umschreibung
bezeichneten Berufstätigkeiten eines Registrators bzw. eines Beschäftigten in der Poststelle eines größeren
Betriebes oder einer Behörde verlangten üblicherweise eine Belastung bis zu mittelschweren Arbeiten, Tätigkeiten mit
Bücken, Hantieren über Kopfhöhe und das Besteigen von kleinen Leitern. Dies sei der Klägerin nach den
Feststellungen der Sachverständigen nicht möglich. Bei diesem Ergebnis könne die Frage der subjektiven
Zumutbarkeit offen bleiben.
Hiergegen hat die Beklagte Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) eingelegt, weil es sich bei der von ihr
benannten Verweisungstätigkeit nicht, wie vom SG angenommen, um die ei-nes Registrators gehandelt habe, sondern
um diejenige einer Bürohilfskraft, deren Ausbildungsgang im Einzelnen nicht geregelt sei. Das Vorhandensein dieses
Berufes sei bereits durch das in erster Instanz vorgelegte, für das Landessozialgericht Brandenburg erstattete,
berufskundliche Gutachten vom 23.09.2003 (K. R.) unter Beweis gestellt worden. Ergänzend hat die Beklagte noch
auf Urteile des Bayer. LSG vom 18.12.2003 mit dem Az.: L 14 RA 251/00 und vom 23.06.2005 mit dem Az.: L R
4011/03 sowie weitere berufskundliche Gutachten des Sachverständigen K. vom 21.04.2004, des Sachverständigen
L. vom 08.06.2002, des Landesarbeitsamtes (LAA) Bayern vom 23.06.2000, des LAA Hessen vom 03.04.2004 und
der Bundesagentur für Arbeit, Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland vom 07.01.2005 zum Berufsbild einer
Bürohilfskraft hingewiesen. Danach seien Bürohilfstätigkeiten in zahlreichen Tarifverträgen benannt und fänden sich
auch in den Arbeitsmarktzahlen der Bundesagentur für Arbeit wieder.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 08.07.2004 aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid vom
28.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2003 abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie vertritt die Ansicht, dass ihr aufgrund ihrer Bezahlung nach Vergütungsgruppe VII BAT, die nach Anlage 10 des
TV Sozial- und Erziehungsdienstes erfolgt sei, der Berufschutz einer Fachangestellten zustehe und deswegen eine
Verweisung auf Tätigkeiten der Vergütungsgruppe IX unzulässig sei. Zu Unrecht nehme die Beklagte bei der Klägerin
eine Vergütung als Folge eines Bewährungsaufstiegs an. Diese habe von Anfang an Tätigkeiten der
Vergütungsgruppe VII in der Fallgruppe 1 (schwierige fachliche Tätigkeiten nach den Protokollnotizen Nr. 1 und 2 - in
Einrichtungen für Behinderte -) verrichtet. Schließlich handle es sich bei den Tätigkeit einer Bürohilfskraft nicht um
leichte Tätigkeiten. Beispielsweise würden bei den Sozialgerichten Aktenvorgänge nicht in standardisierten
Aktenordnern, sondern in zum Teil sehr umfangreichen Aktenbündeln abgelegt. Auch seien bei der Materialausgabe
von Büroklammern mittelschwere Lasten zu bewegen. Zu den erforderlichen EDV-Arbeiten reiche der Klägerin eine
Einarbeitung von drei Monaten im Übrigen nicht aus.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Urteil ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, weil sich die Beteiligten zuvor im Erörterungstermin vom 22.02.2006 damit einverstanden erklärt haben.
Die ohne Zulassung (§ 144 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -) statthafte Berufung ist form- und fristgerecht
eingelegt (§§ 143, 151, 153 Abs. 1, 87 Abs. 1 Satz 2 SGG) und hat auch in der Sache Erfolg.
Gegenstand der Berufung war allein die Verurteilung der Beklagten zu einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
ab 01.12.2001. Mangels eigener Berufung der Klägerin bzw. eines weitergehenden Antrags ist das Urteil des SG
rechtskräftig, soweit es im Übrigen die Klage (wegen voller Erwerbsminderung) zurückgewiesen hat.
Das Urteil des SG ist aufzuheben, da der Klägerin kein Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung
zusteht. Der Bescheid der Beklagten vom 28.05.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2003 ist
nicht zu beanstanden.
Der Anspruch der Klägerin richtet sich wegen ihres am 03.12.2001 gestellten Antrag bereits nach §§ 43, 240 SGB VI
in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Renten wegen verminder-ter Erwerbsfähigkeit vom 20.12.2000 - EM-
RefG (§ 300 Abs. 1 und 2 SGB VI, Art 24 Abs. 1 EM-RefG).
Ungeachtet des Vorliegens der allgemeinen Wartezeit und der besonderen persönlichen Voraussetzungen für Renten
wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 43 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI) - insoweit verweist der Senat auf die Gründe der
angefochtenen Entscheidung des SG und die Bescheide der Beklagten und sieht von einer weiteren Darstellung der
Entscheidungsgründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG in der Fassung der Vereinfachungsnovelle vom 11.01.1993) - ist die
Klägerin nicht wegen Berufsunfähigkeit im Sinne von 240 SGB VI teilweise erwerbsgemindert.
Wegen der Anspruchsvoraussetzungen einer Berufsunfähigkeit wird wiederum auf die zutreffenden Ausführungen des
SG verwiesen, insbesondere was deren Tatbestandsvoraussetzungen, das Unvermögen der Klägerin zur Ausübung
ihres bisherigen Berufs als Pflegekraft sowie ihre Einstufung als Angelernte im oberen Bereich betrifft. Darüber
hinausgehend wird noch auf die Grundlagen der Ausbildung staatlich geprüfter Sozialbetreuer nach der Dritten
Verordnung zur Änderung der Berufsfachschulordnung Hauswirtschaft und Kinderpflege vom 07.06.1991 (bayerisches
Gesetz - und Verordnungsblatt 1991, 164 ff.) hingewiesen. Danach erfolgt die Ausbildung in zwei Schuljahren mit einer
integrierten fachpraktischen Ausbildung ab dem zweiten Halbjahr des ersten Ausbildungsabschnittes und einem
theoretischen Stoffplan, der auch kaufmännische Fächer umfasst. Damit genießt die Klägerin Berufschutz als
Angelernte im oberen Bereich.
Der Ansicht der Klägerin, dass sie den Berufschutz einer voll ausgebildeten Fachangestellten mit dreijähriger
Ausbildung besitzt, kann nicht beigetreten werden. Sie kann sich dazu auch nicht auf ihre tarifliche Vergütung
stützen. Einer solchen kann bei nicht im regulären Ausbildungsgang erworbener Berufsqualifikation hinsichtlich des
Vorliegens der beruflichen Kenntnisse und Fähigkeiten eine Indizwirkung zukommen (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nrn.
13 und 14). Der Beurteilung der im Grundsatz dem Arbeitsleben näherstehenden Tarifpartner wird danach zwar ge-
folgt. Erkennbar nicht leistungsgerechte Einstufungen bleiben aber unbeachtet (BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr. 22). Die
Klägerin war originär nicht in der Gruppe einer Fachangestellten nach BAT VII eingeordnet. Nach dem von ihr
vorgelegten Arbeitsvertrag vom 03.12.1996 war sie in Vergütungsgruppe VIII der Anlage 1a zum BAT eingruppiert.
Erst in einer späteren Auskunft des Arbeitgebers an das SG vom 05.06.2003 wird die Vergütungsgruppe VII genannt.
Dies erklärt sich nur durch den so genannten Bewährungsaufstieg, der aus Vergütungsgruppe VIII heraus nach einer
Bewährungszeit von zwei Jahren in die Vergütungsgruppe VII erfolgt (Fallgruppe 2 der Vergütungsgruppe VII BAT).
Bewährungsaufstieg bedeutet, dass ein Angestellter ohne Änderung seiner Tätigkeit nach einer bestimmten
Bewährungszeit in die nächst höhere Vergütungsgruppe höhergruppiert wird. Eine an sich mögliche erstmalige
Eingruppierung in Vergütungsgruppe VII (Fallgruppe 1) liegt angesichts des Wortlauts des Arbeitsvertrages nicht vor.
Dies hätte auch eine Beschäftigung mit schwierigen fachlichen Tätigkeiten vorausgesetzt, die weder aus der
Aufgabenbeschreibung in der Arbeitgeberauskunft noch dem Arbeitsvertrag ersichtlich sind. Die von der Klägerin als
Argument angeführten Sachverhalte der Protokollnotiz Nr. 1 und Nr. 2 sind nicht gegeben. Die Klägerin hat keine
entsprechende Zulage erhalten, die nur in der Vergütungsgruppe VII und höher vorgesehen ist. Sie war auch nicht mit
schwierigen fachlichen Tätigkeiten betraut, was im Arbeitsvertrag bzw. der Arbeitgeberauskunft zum Ausdruck hätte
kommen müssen. Nach der im Arbeitsvertrag in Bezug genommen Vorschrift des § 22 Abs. 3 BAT (vgl. § 4 des
Arbeitsvertrages) ist die Vergütungsgruppe des Angestellten im Arbeitsvertrag anzugeben. Mit der Angabe "BAT VIII"
kann aber entgegen der Behauptung der Klägerin gerade nicht die Vergütungsgruppe VII Nr. 1 ("Kinderpflegerinnen mit
staatlicher Anerkennung ... mit schwierigen fachlichen Tätigkeiten.") gemeint sein. Nach der Beschreibung der
Tätigkeiten in der Arbeitgeberauskunft verrichtete die Klägerin die normale Arbeit eine Pflegekraft. Schwierige
fachliche Tätigkeiten liegen vor, wenn - bezogen auf die Tätigkeit einer Kinderpflegerin/Sozialbetreuerin - sich die
Aufgaben aus der Normal- bzw. Grundtätigkeit herausheben. Beispiele für derartige Tätigkeiten enthält die
Protokollnotiz Nr. 11 (Bund) bzw. Proto-kollerklärung Nr. 2 (Vergütungsordnung für den Bereich der Vereinigung der
kommunalen Arbeitgeberverbände) der Anlage 1a zum BAT (vgl. Uttlinge/Breier/Kiefer/Hoffmann/Dassau, Kommentar
zum BAT, Teil II G Sozial- und Erziehungsdienst, Kommentierung der Anlage 1a, Seite 68.5). Darin sind zwar generell
Tätigkeit in Einrichtungen für Behinderte und psychiatrischen Kliniken aufgeführt, was aber angesichts des
Beispielcharakters der Protokollerklärung nicht besagt, dass alle Tätigkeiten in einer Behinderteneinrichtung nach BAT
VII zu bewerten sind. Dem widerspricht gerade auch die ursprüngliche Eingruppierung durch den Arbeitgeber, die von
der Klägerin akzeptiert worden ist. Damit kann es auch dahingestellt bleiben, ob eine originäre Vergütung nach BAT
VII Fallgruppe Nr. 1 zum Berufschutz einer voll ausgebildeten Fachangestellten mit dreijähriger Ausbildung führt. Im
Übrigen bestehen keine Bedenken, auch staatlich geprüfte Sozialbetreuerinnern in entsprechender Anwendung der
Tätigkeitsmerkmale für Kinderpflegerinnen in die Vergütungsgruppe VIII bis VIb einzugruppieren (a.a.O. S. 68.6
m.w.N.).
Ausgehend von einem Hauptberuf mit der sozialen Wertigkeit eines Angelernten im oberen Bereich ist die Klägerin
sozial zumutbar, wie von der Beklagten geschehen, auf alle Tätigkeiten im Bereich der Angelernten zu verweisen. Bei
der Prüfung der subjektiven Zumutbarkeit erfolgt auch für Angestellte eine Einteilung in Berufsgruppen anhand der für
den jeweiligen Beruf erforderlichen Ausbildung als generelle - wenn auch bei tatsächlicher Ausübung des Berufs nicht
zwingende - Zugangsvoraussetzung (BSGE 55, 45; BSGE 49, 54). Diese Gruppen sind nach ih-rer Leistungsqualität,
gemessen nach Dauer und Umfang der im Regelfall erforderlichen Ausbildung, nicht nach Entlohnung oder Prestige,
geordnet. Zur praktischen Ausführung der rechtlichen Vorgaben und zur Vermeidung einer nicht zu rechtfertigenden
unterschiedlichen Anwendung bei Berufen mit gleicher Qualität ist das sog Mehrstufenschema entwickelt worden (vgl.
SozR 2200 § 1246 Nr. 137), welches eine sachgerechte Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte und eine
sachgerechte Differenzierung unterschiedlicher Gegebenheiten (gemäß Art. 1 Abs. 3 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG) durch
die Rechtsprechung (und die Rentenversicherungsträger) erleichtern soll. Es haben sich danach im wesentlichen drei
Gruppen mit den Leitberufen des "unausgebildeten" Angestellten, des Angestellten mit einer Ausbildung bis zu zwei
Jahren und des Angestellten mit einer längeren Ausbildung" (BSGE 48, 202; 49, 450, 55, 45) herausgebildet.
In den "unteren" Stufen, auch den sog. Oberangelernten wie bei der Klägerin, besteht nur insoweit ein Berufschutz,
als nicht auf Tätigkeiten mit ganz geringem qualitativen Wert (z.B. Reiniger, Platzarbeiter, Parkplatzwächter)
verwiesen werden darf (BSGE 43, 243, 247). Die Verweisbarkeit ist insofern eingeschränkt, als sich die zumutbaren
Verweisungstätigkeiten durch Qualitätsmerkmale, etwa das Erfordernis einer Einweisung und Einarbeitung oder die
Notwendigkeit beruflicher oder betrieblicher Vorkenntnisse, auszeichnen (BSG SozR 2200 § 1246 Nr. 143, S. 473
m.w.N., Urteil vom 09.04.2003, Az.: B 5 RJ 38/02 R). Bei Angelernten des oberen Bereichs sind
Verweisungstätigkeiten konkret zu benennen. Dem ist die Beklagte durch die Benennung des Berufs einer
Bürohelferin, verbunden mit Beschreibungen durch zahlreiche Sachverständigengutachten, nachgekommen. Aus den
im Tatbestand aufgeführten Gutachten ergibt sich, dass Bürohilfstätigkeiten in größeren Betrieben der Industrie und
des Handels sowie im öffentlichen Dienst verrichtet werden und meist nach den Gehaltsgruppe 1
(Gehaltsrahmentarifvertrages der Metall- und Elektroindustrie bzw. des Großhandels) Kenntnisse und Fertigkeiten
erfordern, die durch ein zweckgerichtetes Anleiten von bis zu drei Monaten erworben werden. Dies belegt das
Gutachten des Verwaltungsbeamten M. L. vom 08.07.2002. Weiter führt der Sachverständige R. K. aus, dass es sich
bei der Tätigkeit eines Bürogehilfen im Einzelnen zwar auch um den Botendienst und den Mitarbeiter in der Poststelle
oder im Versand handelt, daneben aber auch Arbeitsplätze vorhanden sind mit Sortieren und Ablegen von Schriftgut
aller Art, dem Beschriften von Akten, dem Ausführen von schematischen Rechenarbeiten, dem Erstellen von Tabellen
und Listen, dem Bedienen einfacher Büromaschinen, dem Führen von Karteien, der Mithilfe beim Verwalten von
Büromaterial, dem Ausfüllen von Formularen von Hand und der Hilfs- und Zuarbeit für Fachkräfte. Erkennbar wird
dabei auf Tätigkeiten im öffentlichen Dienst nach der Gehaltsgruppe in BAT IXb Nr. 1 abgestellt (vgl. insoweit auch S.
6 des Gutachtens des Sachverständigen R.), eine Eingruppierung, die sich aus derjenigen nach BAT X heraushebt
und die mehr als nur vorwiegend mechanische Tätigkeiten, also ein gewisses Maß an Mitdenken und Überlegungen
gegenüber den einfacheren Tätigkeiten erfordert, ohne bereits schwierigere Tätigkeiten abzuverlangen.
Eine derartige Verweisung ist entgegen der Ansicht der Klägerin zulässig, auch wenn sie ausgehend von der zuletzt
vergüteten Gruppe VII BAT um zwei Vergütungsgruppen zurück geht. Denn die im Stufenschema zum Ausdruck
kommenden Grundsätze der sozialen Zumutbarkeit werden eingehalten. Der Sprung über zwei Gruppen beruht im
Falle der Klägerin darauf, dass die Vergütung nach BAT VII nicht auf deren Können und Leistung beruhte. Schließlich
existiert auch neben dem Stufenschema, das nur die Verweisung über eine Stufe erlaubt, kein Rechtssatz, wonach
eine Verweisung um zwei Vergütungsgruppen innerhalb eines Tarifvertrag mit über 10 Tarifgruppen unzulässig wäre.
Entgegen der Ansicht des SG ist der Klägerin eine solche Tätigkeit auch von ihrem objektiven Leistungsvermögen her
zumutbar. Ihr gesundheitliches Restleistungsvermögen entspricht den körperlich-geistigen Anforderungen einer
Bürohilfstätigkeit. Das SG geht in seiner Entscheidung unzulässig verengend nur von den Tätigkeiten eines
Registrators oder eines Mitarbeiters im Postein- oder Postauslauf eines größeren Betriebes oder einer Behörde aus.
Die von der Beklagten vorgelegten berufskundlichen Gutachten weisen aber überzeugend nach, dass eine Vielzahl an-
derer Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, die keine zeitweise bis mittelschweren Arbeiten und nicht das
Besteigen von kleinen Leitern oder ein Hantieren über Kopfhöhe verlangen. Auch hier wird wiederum auf die Gutachten
M. L. (S. 4), R. K. (S. 7) sowie K.-H. R. (S. 5) verwiesen. Danach stellt die Verweisungstätigkeit einer Bürohilfskraft
keine hohen Ansprüche an das gesundheitliche Leistungsvermögen. Es handelt sich um körperlich leichte Arbeiten in
geschlossenen Räumen. Der medizinisch geforderte Haltungswechsel kann voll eingehalten werden. Bei Bedarf sind
individuell notwendige Pausen möglich. Die von der Klägerin aus der sozialgerichtlichen Tätigkeit angeführten
Umstände betreffen nur spezielle Botentätigkeiten und sind im Übrigen durch Verkleinerung der Aktenbündel
gewichtsmäßig beherrschbar. Das gleiche gilt für die Ausgabe von Büroklammern.
Die Einarbeitung in derartige Tätigkeiten innerhalb von drei Monaten ist der Klägerin ebenfalls zumutbar möglich.
Dabei kommen ihr ihre bisher erfolgten Ausbildungen zur mittleren Berufsebene, der Vorbereitungskurs auf ihre
Umschulung und ihre zweijährige Ausbildung zur Sozialbetreuerin zugute. Gerade durch den erfolgreichen Abschluss
ihrer zweijährigen Fachschulausbildung hat die Klägerin den Besitz ausreichender geistiger Fähigkeiten, aus denen sie
im Übrigen auch ihren Berufschutz herleitet, unter Beweis gestellt. Schließlich beinhalten die Pflichtfächer der
Berufsfachschule für Sozialpflege, wie sich aus dem vorgelegten Abschlusszeugnis ergibt, nicht nur fachspezifische
Gegenstände, sondern allgemein bildende Fächer wie Deutsch, Sozialkunde, Berufs- und Rechtskunde und
Wirtschaftslehre mit Fachrechnen. Darüber hinaus war die Klägerin schon in Polen in Beschäftigungsverhältnissen als
Angestellte tätig und hat damals bereits ein beachtliches Umstellungsvermögen gezeigt. Dafür, dass der Klägerin
diese Fähigkeiten zwischenzeitlich abhanden gekommen wären, zeigen sich keine Anhaltspunkte. Der
Sachverständige Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 03.02.2004 zwar eine Somatisierungsstörung festgestellt, ohne
dass dadurch aber das Merk- und Konzentrationsvermögen, das technische Verständnis sowie die Reaktions- und
Übersichtsfähigkeit gestört waren. Danach sind Ausdauer und Nervenkraft der Klägerin nur geringfügig eingeschränkt.
Die praktische Auffassungsgabe und die geistige Beweglichkeit sind durchschnittlich. Die Leistungsmotivation der
Klägerin war hoch.
Die Klägerin ist auch nicht in der Bedienung der üblichen Bürokommunikationsmittel, wie Telefon, Fax- und
Kopiergeräte oder den für sie erforderlichen Einsatz am Personalcomputer (PC) eingeschränkt. Für
Bürohilfstätigkeiten sind, wie die Beklagte zurecht ausführt, keine umfangreichen Kenntnisse über die
Funktionsweisen und komplizierten Bedienungsprogramme erforderlich. Es handelt es sich hierbei um einfache, sich
ständig wiederholende Dateneingaben. Entsprechende Fertigkeiten sind innerhalb einer dreimonatigen Einweisungszeit
in die Tätigkeit als solche vermittelbar. Auch dies belegen wiederum die Aussagen der berufskundlichen
Sachverständigen und des medizinischen Sachverständigen Dr. S. , wie auch die von der Beklagten die angeführten
Entscheidungen des 14. Senats des Bayer. Landessozialgerichts.
Demnach hat die Berufung Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf der Erwägung, dass er seinen Anspruch der Klägerin nicht gegeben war (§ 193
SGG).
Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 160 Abs. 1 Nrn. 1 und 2 SGG).