Urteil des LSG Bayern vom 04.02.2003

LSG Bayern: berufliche tätigkeit, berufskrankheit, medizinisches gutachten, anerkennung, bevölkerung, krankenschwester, auskunft, geeignetheit, diagnose, einfluss

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 04.02.2003 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Augsburg S 5 U 7/02
Bayerisches Landessozialgericht L 3 U 235/02
Bundessozialgericht B 2 U 119/03 B
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.06.2002 wird zurückgewiesen. II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die Beklagte die von der Klägerin geltend gemachten Erkrankungen und
Beschwerden wie eine Berufskrankheit - BK - gemäß § 9 Abs. 2 des 7. Sozialgesetzbuches - SGB VII -
anzuerkennen und zu entschädigen hat.
Die 1959 geborene Klägerin arbeitete in den letzten 20 Jahren als Krankenschwester in Behinderteneinrichtungen und
Krankenhäusern, zuletzt im Berufsförderungszentrum - BFZ - D ... Seit 29.10.1997 bezieht sie von der
Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in Berlin Erwerbsunfähigkeitsrente. Ihre Erkrankungen bzw. Beschwerden
wie Polyneuropathie, Muskelerkrankung (Myopathie), Störung der Bewegungskoordination (Ataxie) und Hörstörung
erheblichen Ausmaßes, Leistungsminderung in Teilbereichen und zunehmende Überempfindlichkeit gegenüber
chemischen Stoffen (multiple chemical sensitivity - MCS -) führt sie auf ihren beruflichen Umgang mit
Desinfektionsmitteln und Putzmitteln zurück. Am 16.11.1999 zeigte der Nervenarzt Dr.B. , T. , der Beklagten seinen
Verdacht, bei der Klägerin könne eine Berufskrankheit vorliegen, an. Darin bezeichnete er die bei der Klägerin
vorhandenen Gesundheitsstörungen als Polyneuropathie, erhebliche Myopathie, erhebliche Ataxie, Hörstörung,
Leistungsminderung in Teilbereichen sowie eine zunehmende chemische Überempfindlichkeit nach langjähriger
Tätigkeit mit toxischen Stoffen, vor allem mit Desinfektions- und Putzmitteln. Die Beklagte lehnte es mit Bescheid
vom 26.04.2000 und Widerspruchsbescheid vom 21.09.2000 ab, eine BK nach § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Nr.
1317 der Berufskrankheitenverordnung - BKVO - anzuerkennen. Sie stützte sich auf zahlreiche Befunde der
behandelnden Ärzte und eine Stellungnahme des Gewerbearztes Dr.K. vom 28.03.2000. Danach habe keine adäquate
Exposition gegenüber Lösungsmitteln, die für die Entstehung einer BK der Nr. 1317 geeignet seien, bestanden; die
Diagnose einer Polyneuropathie sei nicht gesichert; das Fortschreiten des Krankheitsbildes nach dem Ende der
Exposition spreche gegen einen Zusammenhang mit der vermuteten beruflichen Belastung. Die Klägerin betrieb
dagegen ein Klageverfahren vor dem Sozialgericht - SG - Augsburg unter dem Aktenzeichen S 5 U 380/00. Im
Rahmen dieses Verfahrens machte die Klägerin geltend, bei ihr liege eine MCS vor, welche zwar noch nicht in das
Verzeichnis der Berufskrankheiten aufgenommen sei, welche aber wie eine BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII
anzuerkennen sei. Daneben seien Berufskrankheiten nach den Nrn. 4301, 4302 und 5101 zu prüfen. Mit Bescheid
vom 10.10.2001 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer MCS als bzw. wie eine Berufskrankheit ab. MCS sei nicht
in der Liste der Berufskrankheiten enthalten. Es lägen keine neuen medizinischen Erkenntnisse vor, wonach die
Tätigkeit der Klägerin als Krankenschwester grundsätzlich geeignet sei, diese Erkrankung zu verursachen. Es sei
daher unerheblich, ob sie an der Krankheit leide und ob diese auf ihre berufliche Tätigkeit als Krankenschwester
zurückzuführen sei. Der Widerspruch blieb ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 13.12.2001).
Dagegen hat die Klägerin beim SG Augsburg Klage erhoben. Das SG hat die Beteiligten mit Schreiben vom
21.02.2002 auf die Entscheidung des Bayerischen Landessozialgerichts (Bay LSG) vom 11.07.2001 (Az.: L 2 U
300/99) hingewiesen. In diesem Urteil lehnte der erkennende Senat die Anerkennung eines MCS-Syndroms als
Berufskrankheit ab, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht gegeben
seien. Die Klägerin hat dagegen vorgebracht, die vom SG zitierte Entscheidung setze sich mit der Problematik einer
MCS-Erkrankung nicht hinreichend auseinander und berücksichtige nicht neueste medizinische Erkenntnisse. Mit
Einverständnis der Beteiligten hat das SG im schriftlichen Verfahren mit Urteil vom 04.06.2002 die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, nach den Feststellungen des Bay LSG seien bezüglich der MCS-Erkrankung
wesentliche wissenschaftliche Fragen noch offen. Neue wissenschaftlich gesicherte Erkenntnisse lägen nicht vor.
Dem Hilfsantrag der Klägerin, die Akten des zweiten Senats des Bay LSG beizuziehen, stünden
datenschutzrechtliche Gründe entgegen. Durch die Übersendung des anonymisierten Urteils sei dem
Rechtsstaatsprinzip und der Sachaufklärung in ausreichender Form Genüge getan. Den Anträgen, ein medizinisches
Sachverständigengutachten von Amts wegen bzw. nach § 109 Sozialgerichtgesetz - SGG - einzuholen, sei nicht zu
entsprechen gewesen, weil der Antrag darauf abziele, ob speziell bei der Klägerin eine MCS-Erkrankung durch
berufsbedingte Expositionen vorliege. Dies könne jedoch offenbleiben, weil selbst dann, wenn eine durch Berufsstoffe
verursachte MCS bei der Klägerin vom Gutachter angenommen würde, die Klage keine Erfolgsaussicht hätte, da
schon das Gleichsetzen des MCS-Syndroms mit einer Berufskrankheit nach § 9 Abs. 2 SGB VII derzeit
ausgeschlossen sei.
Dagegen hat die Klägerin Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie am 07.10.2002 vortragen lassen, durch ein
medizinisches Gutachten nach § 106 oder nach § 109 SGG sei zu klären, ob die bei ihr vorliegende MCS durch
berufliche Einflüsse verursacht wurde.
Der Senat hat beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung (BMA) angefragt, ob seit der Fassung der letzten
BKVO neue Erkenntnisse hinsichtlich einer MCS-Erkrankung vorlägen. Am 23.10.2002 hat der BMA geantwortet,
neue Erkenntnisse lägen nicht vor. Der beim BMA gebildete Sachverständigenbeirat, Sektion "Berufskrankheiten",
habe diese Frage bisher nicht geprüft. Eine solche Prüfung sei derzeit auch nicht beabsichtigt. Man könne davon
ausgehen, dass diese Fragestellung den Verordnungsgeber auch künftig nicht beschäftigen werde. Vor dem
Hintergrund eines kaum eingrenzbaren Krankheitsbildes, wie bei MCS, als Folge einer fast beliebig ausweitbaren
Schadstoffexposition sei wegen der besonderen Bedingungen des Berufskrankheitenrechts, nämlich der erforderlichen
"generellen Eignung", eine Anerkennung von MCS als Berufskrankheit nicht begründbar. In Anbetracht der
unterschiedlichsten Schadstoffkombinationen für die Verursachung von in unterschiedlichsten Ausprägungen und
Formen auftretenden Krankheitsbildern als auch in Anbetracht, dass der Nachweis der Überhäufigkeit der Erkrankung
im Vergleich zur übrigen Bevölkerung nach medizinisch-wissenschaftlichen Grundsätzen nicht zu belegen sei,
könnten in nächster Zeit auch keine "neuen Erkenntnisse" erwartet werden. Die Tatsache der Erkrankung als solcher
und ein nur möglicher Zusammenhang mit einer beruflichen Tätigkeit könnten im Unfallversicherungsrecht eine
Berufskrankheit nicht begründen. Dem Antrag der Klägerin, das Ruhen des Verfahren anzuordnen, bis im
Parallelverfahren vor dem SG Augsburg (Az.: S 5 U 380/00), wo gerade ein Gutachten von Prof.Dr.H. eingeholt werde,
Klarheit gewonnen sei, hat der Senat nicht entsprochen. Mit Schreiben vom 21.01. 2003 hat die Klägerin das
inzwischen eingegangene Gutachten von Prof.Dr.H. vom 11.12.2002 vorgelegt und beantragt dieses zu verwerten.
Darin hat der Sachverständige zwar ausgeführt, dass in der medizinischen Wissenschaft derzeit kein Konsens
bestehe, ob MCS als eigenständiges Krankheitsbild überhaupt existiere. Jedoch habe er mehrere vergleichende
Untersuchungen an 40 Patienten mit nachgewiesener Chemikalienempfindlichkeit und 19 gesunden Kontrollpersonen
durchgeführt und dabei eine Zytokinerhöhung bei den MCS-Patienten gefunden. Eine solche bestehe auch bei der
Klägerin und zusätzlich eine verminderte Immunabwehrlage. Letztere führe zu einer starken Einschränkung der
Leistungsfähigkeit. Neu sei die Erkenntnis, dass bei MCS-Patienten eine ausgeprägte Inflammation des
Immunsystems nachzuweisen sei. Hinsichtlich der Beschwerdesymptomatik bei der Klägerin, nämlich
Konzentrationsminderung, Kurzzeitgedächtnisprobleme, welche Symptome einer Encephalopathie sein könnten,
müsse die weitere Entwicklung beobachtet werden. Auf Grund des von dem Neurologen Dr.F. geäußerten Verdachts
einer frühkindlichen Störung sei ihm eine diesbezügliche abschließende Bewertung derzeit nicht möglich; eine
Nachuntersuchung in zwei Jahren empfehle er. Symptome einer Polyneuropathie habe er nicht nachweisen können.
Es bestehe ein eindeutiger zeitlicher Zusammenhang der Symptome vermehrter Entzündungen und der verminderten
Abwehrlage mit der Exposition gegenüber Desinfektionsmitteln. Seiner Information zufolge seien neue Erkenntnisse
eines MCS-Syndroms durch den wissenschaftlichen Beirat des Bundesumweltamtes zu erwarten, welche noch nicht
veröffentlicht worden seien. Im Falle der Klägerin empfehle er eine Einzelfallentscheidung nach § 9 Abs. 2 SGB VII;
die Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage 20 vH seit Januar 1997 und 50 vH seit dem 18.07.2002, dem Tag
der Untersuchung der Klägerin durch ihn. Die Klägerin hat sich durch dieses Gutachten in ihrer Auffassung bestätigt
gesehen. Am 23.01.2003 hat sie ferner vorgetragen, sie habe Umgang mit diversen Berufsstoffen, Lösungsmitteln,
Lindan-haltigen Körperreinigungsmitteln, Desinfektionsmitteln, Medikamenten etc. gehabt. Dies mache deutlich, dass
sie beruflich stärker mit derartigen Berufsstoffen Umgang gehabt habe, als dies im normalen Haushaltsbereich der
Fall sei. Im Hinblick auf das Gutachten des Hautarztes Dr.B. (wohl in den Verfahren zu den BK en der Nrn. 1317 und
5101) beantrage sie eine weitere ärztliche Auskunft bei Dr.B. einzuholen. Dieser habe zur gleichen Zeit wie Dr.B.
einen Epikutantest abgelesen und weitere Spätreaktionen festgestellt. Vorsorglich beantrage sie, der Beklagten
aufzugeben, die Sicherheitsblätter über die verwendeten Berufsstoffe während ihrer Beschäftigung als
Krankenschwester beim früheren Arbeitgeber anzufordern. Bereits 1977 seien kleine rote Flecken an den Händen, ab
1986 Kopfschmerzen, 1988 zudem Drehschwindel, Gleichgewichtsstörungen, Krankheitsgefühl mit erhöhter
Körpertemperatur, Müdigkeit und Schwäche am ganzen Körper, Muskelschmerzen, Lähmungserscheinungen,
Atemnot, Kratzen im Hals und Husten aufgetreten. Im Übrigen hat die Klägerin auf 23 Seiten ihre verschiedenen
Tätigkeiten, die dabei verwendeten Berufsstoffe sowie die dabei aufgetretenen Beschwerden der vorstehenden Art
geschildert.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Augsburg vom 04.06.2002 und
des Bescheids vom 10.10.2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 13.12.2001 zu verurteilen, eine MCS-
Erkrankung mit verschiedenen Beschwerden wie eine Berufskrankheit gem. § 9 Abs. 2 SGB VII anzuerkennen und
diese ab 01.01.1993 nach einer MdE um 20 vH und ab 18.07.2002 nach einer MdE um 50 vH zu entschädigen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 04.06.2002
zurückzuweisen.
Sie hat sich durch die Auskunft des BMA vom 23.10.2002 in ihrer Auffassung bestätigt gesehen.
Im Übrigen wird gem. § 136 Abs. 2 SGG auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und
zweiter Instanz Bezug genommen.
II.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist zulässig (§§ 143, 151 SGG), aber unbegründet.
Zutreffend hat das SG bereits einen Anspruch der Klägerin auf Anerkennung und Entschädigung einer MCS-
Erkrankung verneint. Auf die dortigen Ausführungen, insbesondere zu den rechtlichen Voraussetzungen der
Anerkennung einer BK nach § 9 Abs. 2 SGB VII nimmt der Senat gem. § 153 Abs. 2 SGG Bezug und sieht insoweit
von einer Wiederholung der gesetzlichen Grundlagen ab. Ergänzend weist er auf die Auskunft des BMA vom
23.10.2002 hin. Danach ist noch nicht einmal die Frage, ob es sich bei MCS um ein medizinisch von anderen
Krankheitsbildern abgrenzbares Krankheitsgeschehen handelt, hinreichend geklärt. Denn die dem MCS-Krankheitsbild
von einigen Wissenschaftlern, so auch von Prof.Dr.H. , zugeordneten Symptome, finden sich auch bei einer Vielzahl
anderer Erkrankungen. Der Senat kann die Frage offen lassen, ob die von Prof.Dr.H. an 40 MCS-Erkrankten und 19
gesunden Vergleichspersonen durchgeführten Untersuchungen wissenschaftlichen Erfordernissen entsprechen.
Jedenfalls kann dem Gutachten, das die Klägerin in das Berufungsverfahren eingeführt hat und das der Senat im
Urkundenbeweis verwerten kann, keinerlei Anhalt dafür entnommen werden, dass bestimmte Berufsstoffe generell
bestimmbare Beschwerden verursachen würden (generelle Geeignetheit) und Krankenschwestern bei ihrer beruflichen
Tätigkeit solchen Noxen generell in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt wären
(Einwirkungshäufigkeit). Prof.Dr.H. versucht lediglich zu beweisen, dass bei der Klägerin eine MCS-Erkrankung
vorliegt, wobei er eine Polyneuropathie, welche von Dr.B. noch als im Vordergrund stehend und eine MCS beweisend
angesehen wurde, ausschließt und eine Encephalopathie zumindest derzeit nicht als gesicherte Diagnose zu
bezeichnen wagt. In diesem Zusammenhang ist seine Äußerung, in der medizinischen Wissenschaft bestehe kein
Konsens, ob es sich bei MCS überhaupt um ein eigenständiges Krankheitsbild handle, für den Senat von Bedeutung.
Denn danach bestehen bereits Zweifel, ob MCS als gesicherte Diagnose gelten kann. Die Klägerin selbst berichtete
stets und tat dies auch in ihrem letzten Schreiben vom 29.11.2002, bei ihr seien ab 1977 zunächst
Hauterscheinungen und im Laufe der Jahre danach unterschiedlichste Beschwerden von Kopfschmerzen über
Schwindel, Muskelschmerzen bis hin zu Atemnot aufgetreten. Demnach scheinen verschiedenste Organe betroffen
zu sein, ohne dass eine Erklärung greifbar wäre, wie und in welchem Ausmaß die Aufnahme der angeblichen Noxen
stattfinden konnte. Folglich konnten auch keine bestimmbaren Schadstoffe im Körper der Klägerin gefunden werden.
Dass sich bei ihr - so Prof.Dr.H. - Hinweise auf eine "ausgeprägte vermehrte Inflammation des Immunsystems" ent-
decken ließ, kann nicht den Nachweis für eine Schadstoffaufnahme in relevantem Umfang ersetzen. Denn der
Sachverständige vermag nicht darzulegen, ab welchem Ausmaß der von ihm angenommenen Schadstoffaufnahme
eine solche Inflammation aufzutreten pflegt. Folglich kann er auch nicht sagen, ob Krankenschwestern generell durch
ihre Berufstätigkeit diese Verminderung der Abwehrlage aufweisen bzw. welche Voraussetzungen im Einzelfall
hinzutreten müssen und ob dann dem beruflichen Einfluss die wesentliche Ursache im Rechtssinn zukommt. Sein
Rückschluss, aus der von ihm bei der Klägerin beobachteten vermehrten Inflammation sei das Vorliegen einer MCS-
Erkrankung zu folgern, ist nur auf den Einzelfall der Klägerin beschränkt. Damit kann er allenfalls "beweisen", dass
das Krankheitsbild bei der Klägerin als Folge einer MCS-Erkrankung aufzufassen sei. Keineswegs läßt sich mit
diesem Rückschluss die hier allein wesentliche Frage beantworten, ob Krankenschwestern generell - und zwar
unabhängig von den ihnen im Einzelfall abverlangten besonderen Tätigkeiten - in erheblich höherem Grad als die
übrige Bevölkerung zumindest an einer solchen vermehrten Inflammation ihres Immunsystems leiden. Noch viel
weniger kann geklärt werden, welche Berufsstoffe und in welchem Ausmass sie die Immunabwehr stören. Dies Frage
vermag Prof.Dr.H. nicht einmal im Einzelfall der Klägerin darzulegen. Unverständlich sind seine Äußerungen, jetzt
seien Syptome im Sinne einer Encephalopathie zu beobachten - welche nach Kenntnis der Aktenlage aber von der
Klägerin bereits auf das Jahr 1978 bzw 1988 datiert werden -, jedoch sei eine sichere Zuordnung zum Bild der MCS-
Erkrankung derzeit noch nicht möglich; hierzu bedürfe es einer Kontrolle in zwei Jahren. Er läßt überhaupt eine
Erklärung vermissen, auf welche Weise sich der angebliche Einfluss der beruflich verwendeten Chemikalien auf das
Immunsystem auswirkt. Offensichtlich hält er insoweit einen zeitlichen Zusammenhang für ausreichend; zumindest
deuten seine Worte auf Seite 38 seines Gutachtens darauf hin. Er führt dort aus, es bestehe ein eindeutiger zeitlicher
Zusammenhang zwischen den Symptomen der vermehrten Entzündungen und der verminderten Abwehrlage und der
Exposition gegenüber Desinfektionsmitteln. Die von ihm genannten Ergebnisse der vom Umweltbundesamt in Auftrag
gegeben Studie sind für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit ohne Belang. Prof.Dr.H. führt selbst aus, Ziel der
Studie sei es gewesen, zu klären, ob es sich bei MCS um eine psychische bzw. eine psychosomatische Erkrankung
handle. Die Studie habe erbracht, dass MCS keinem psychischen oder psychomotorischem Krankheitsbild
zugeordnet werden könne und dass es sich bei MCS um eine Erkrankung mit besonders hohem Schweregrad handle.
Demnach war es nicht Ziel der Studie, die hier maßgeblichen, bereits mehrfach genannten Fragen, nämlich ob
Krankenschwestern generell durch den Umgang mit bestimmten Berufsstoffen in erheblich höherem Maß als die
übrige Bevölkerung gefährdet sind, an MCS zu erkranken, zu klären. Zudem verkennt Prof.Dr.H. offensichtlich, was
"neue Erkenntnisse" im Zusammenhang mit dem Berufskrankheitenrecht bedeuten. Insoweit kommt es ausschließlich
darauf an, ob nach der letzten Fassung der Anlage 1 zur BKVO neue Erkenntnisse gewonnen worden sind, die die
generelle Geeignetheit von Stoffen beweisen, eine erhöhte Krankheitsbereitsschaft bei einer bestimmten
Berufsgruppe, durch bestimmte Berufsstoffe hervorzurufen (vgl. hierzu BSG vom 04.06.2002; B 2 U 20/01 R;
Fundstelle Juris). Solche neuen Erkenntnisse konnte weder die von Prof. Dr.H. bei der Klägerin gefundene
verminderte Immunabwehr noch die von ihm genannte, mit einer anderen Fragestellung befasste Studie des
Bundesumweltamtes liefern. Die Ausführungen von Prof.Dr.H. sind ohne Wert für den hier zu entscheidenden
Rechtsstreit. Von Bedeutung sind hingegen die vorstehend bereits genannten Darlegungen des BMA im Schreiben
vom 23.10. 2002. Auf die schriftsätzlich gestellten, in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholten Anträge der
Klägerin brauchte der Senat bei dieser Sachlage nicht einzugehen. Denn hautärztliche Auskünfte oder das Beiziehen
der Sicherheitsblätter der von der Klägerin in ihrem Beruf tatsächlich verwendeten Stoffe, helfen nicht, das
vorgenannte Defizit der generellen Geeignetheit und der erheblich höheren Gefährdung von Krankenschwestern
(gruppentypische Risikoerhöhung) auszugleichen. Danach sind die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 9
Abs. 2 SGB VII, welcher einziger Streitgegenstand des Berufungsverfahren ist, nicht erfüllt. Die Berufung der Klägerin
war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich nicht um eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung i.S. einer
abstrakten Rechtsfrage handelt, sonder um eine Einzelfall bezogene Frage im Falle der Klägerin und der Senat nicht
von einer höchstrichterlichen Entscheidung abweicht (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).