Urteil des LSG Bayern vom 06.05.2004

LSG Bayern: kosten für unterkunft und verpflegung, venire contra factum proprium, grundsatz der prozessökonomie, treu und glauben, reisekosten, nebenkosten, krankenkasse, fahrkosten, petition

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 06.05.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht München S 44 KR 425/00
Bayerisches Landessozialgericht L 4 KR 67/02
I. Das Urteil des Sozialgerichts München vom 16. November 2001 wird aufgehoben und die Beklagte wird unter
Abänderung der Bescheide vom 6. Mai 1998, 6. Dezember 1998 und 14. Januar 2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Juni 2000 verurteilt, dem Grunde nach die im Zusammenhang mit den
Behandlungen des Klägers am 16. Januar und 19. Juni 1998 am D.-Institut A. entstandenen Fahrkosten sowie die
Kosten für Übernachtung und Verpflegung zu erstatten. II. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten
beider Rechtszüge zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung der Fahr-, Übernachtungs- und Verpflegungskosten im Zusammenhang mit Behandlungen im
D.-Institut/A. anlässlich der Behandlungen am 16.01.1998 und 19.06.1998.
Der 1943 geborene und bei der Beklagten versicherte Kläger wurde nach seinen Angaben seit 1953 wegen Stotterns
ambulant und stationär nervenärztlich und psychotherapeutisch sowie logopädisch behandelt.
Nachdem die Beklagte mit Bescheid vom 16.05.1995 die Kostenübernahme für die "Kernsche-Intensiv-
Stottertherapie" im "Institut für Stottertherapie" in Bad Z. abgelehnt und ihn auf die Möglichkeit hingewiesen hatte,
dass eine Kostenbeteiligung an der D.-Therapie im D.-Institut/A. möglich sei, erteilte sie ihm am 09.08.1995 eine
Kostenzusage für einen 10-tägigen Intensivkurs sowie Übernachtung, Verpflegung und Fahrten nach dem
Bundesreisekostengesetz. Bei der Del-Ferro-Methode handelt es sich um ein spezielles Atemtraining, das auf ein
reibungsloses Funktionieren des Zwerchfells gerichtet ist. Der Stotterer lernt, während des Sprechens den
erforderlichen Luftdruck, der für die Kontrolle der Stimmbänder notwendig ist, stabil zu halten. Der Kläger nahm
daraufhin vom 06.11. bis 15.11.1995 an der 10-tägigen Stottertherapie im D.-Institut/A. teil. Nach Angaben des
Instituts gehören regelmäßige Nachuntersuchungen zur Intensivtherapie und sind in deren Preis enthalten. Der Kläger
machte entsprechend seinen Ankündigungen von der Möglichkeit der Nachbehandlung im D.-Institut/A. Gebrauch und
befand sich dort im Januar 1996, Juli 1996, November 1996, Januar 1997, Mai 1997, September 1997 und Januar
1998. Die Beklagte übernahm hierfür die Reisekosten sowie die Kosten für Übernachtung und Verpflegung.
Am 11.09.1997 erklärte die Beklagte unter Bezugnahme auf ihre Kostenzusage vom 09.08.1995, dass sie letztmalig
für die Behandlung am 12.09.1997 bereit sei, die Reisekosten im bekannten Rahmen zu übernehmen. Weitere
Leistungen bezüglich dieser Therapie im D.-Institut/A. könnten nicht mehr erbracht werden. Mit den Bescheiden vom
27.01.1998 und 29.01.1998 lehnte sie es ab, für weitere Nachbehandlungen im D.-Institut/A. einen Zuschuss zur
Verfügung zu stellen bzw. weitere Kosten zu übernehmen. Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 06.05.1998 für
die letztmals bewilligte Fahrt zur Behandlung am 12.09.1997 im D.-Institut/A. Fahrkosten in Höhe von 411,60 DM und
teilte mit, damit seien sämtliche Leistungen bezüglich dieser Therapie abgegolten. Hiergegen legte der Kläger am
20.05.1998 Widerspruch ein und nahm im Juni 1998 ein weiteres Mal an einer Behandlung im D.-Institut/A. teil.
Sie bewilligte mit Bescheid vom 06.12.1998 im Anschluss an die früheren Kostenerstattungen eine Nachzahlung von
insgesamt 2.966,69 DM und lehnte nach dem Nachbehandlungstermin vom 11.09.1997 eine weitere Kostenerstattung
ab. Mit Bescheid vom 12.02.1999 erläuterte sie die Zusammensetzung der Nachzahlungen für die Behandlungen im
Jahre 1996 und Januar, Mai und September 1997 und mit Bescheid vom 26.02.1999 gewährte sie die Verzinsung der
Nachzahlung in Höhe von 244,70 DM. Der Kläger legte gegen die Bescheide vom 06.12.1998 und 12.02.1999 am
31.08.1999 Widerspruch ein und machte geltend, die Beklagte habe ihm auch die Banküberweisungsgebühren in Höhe
von 40,00 DM, die Kosten für das Reisegepäck, eine weitere Übernachtung und die Kosten für die Benutzung
öffentlicher Verkehrsmittel in M. und A. bezüglich der Aufenthalte im November 1995, Mai und Dezember 1996 zu
erstatten. Er beantragte außerdem die Genehmigung weiterer Nachuntersuchungen.
Der Medizinische Dienst der Spitzenverbände der Krankenkassen Nordrhein führte in der Stellungnahme vom
21.10.1999 bezüglich der sprachtherapeutischen Behandlung im D.-Institut/A. aus, bei ungesicherter Effizienz und
unbekanntem Risikoprofil bezüglich der eventuellen Nebenwirkungen könne nicht davon ausgegangen werden, dass
es sich bei dieser Therapie um eine wirtschaftliche Therapieform handle. In der Stellungnahme des Medizinischen
Dienstes der Krankenversicherung in Bayern (MDK, Gutachter Dr.T.) vom 12.01.2000 wird die medizinische
Notwendigkeit der Del-Ferro-Therapie wegen der Möglichkeit logopädischer Behandlung am Wohnort verneint.
Mit Bescheid vom 14.01.2000 verwies die Beklagte auf die früheren Bescheide vom 09.08.1995 und 06.05.1998 und
stellte fest, dass eine logopädische Behandlung am Wohnort ergänzt durch Psychotherapie ausreichend und
wirtschaftlich sei. Nach dem Nachbehandlungstermin am 11./12.09.1997 komme keine weitere Kostenerstattung in
Betracht. Hiergegen legte der Kläger am 11.02. 2000 Widerspruch ein.
Die Beklagte übernahm mit Bescheid vom 17.02.2000 auch die Kosten für öffentliche Verkehrsmittel für die jeweiligen
Fahrten zum und vom Bahnhof in M. und A. und erstattete insgesamt 168,02 DM. Mit dem auch hiergegen
eingelegten Widerspruch vom 09.03.2000 machte der Kläger wieder eine Kostenerstattung für
Banküberweisungsgebühren, eine weiter Übernachtung und die Reisegepäckversicherung sowie eine Verzinsung
dieses Betrags geltend. Er richtete am 21.03.2000 in dieser Angelegenheit eine Petition an den Deutschen
Bundestag. Die Beklagte erstattete mit Bescheid vom 23.03.2000 die Kosten einer weiteren Übernachtung für den
April 1996 (112,00 DM) und verzinste diesen Betrag sowie den vorher errechneten Erstattungsbetrag von 168,02 DM
mit 46,48 DM (Gesamterstattung 326,50 DM). Der Kläger erhob am 20.03.2000 Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den
Medizinischen Dienst der Krankenkassen. Das Bundesministerium für Gesundheit antwortete mit Schreiben vom
27.04.2000 auf die Petition des Klägers vom 21.03.2000, erläuterte die Rechtslage bezüglich der
Auslandsbehandlungen und verwies ihn auf die Möglichkeit, die Entscheidungen der Krankenkasse von der
Aufsichtsbehörde (Bundesversicherungsamt) überprüfen zu lassen.
Mit dem Widerspruchsbescheid vom 15.06.2000 gewährte die Beklagte dem Kläger im Wege der Teilabhilfe 23,00 DM
für die Reisegepäckversicherung und wies im Übrigen den Widerspruch zurück. Ein weiterer
Kostenübernahmeanspruch bestehe nicht, angefallene Reisekosten für Nachbehandlungen (Stottertherapie) im D.-
Institut/A. für die Zeit nach dem 12.09.1997 ergäben keinen Anspruch auf Kostenbeteiligung. Nach den Feststellungen
des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung Nordrhein vom 21.10.1999 handle es sich bei der Del-Ferro-
Therapie angesichts der ungesicherten Effizienz nicht um eine wirtschaftliche Therapieform. Eine
Auslandsbehandlung könne auch nur dann in Betracht kommen, wenn eine dem allgemeinen anerkannten Stand der
medizinischen Erkenntnis entsprechende Behandlung im Inland nicht möglich sei. Dem Kläger stehe in Deutschland
ein breitgefächertes therapeutisches Angebot zur Verfügung, ein Versorgungsmangel sei damit auszuschließen. Die
seinerzeit getroffene Leistungszusage sei eine Einzelfallregelung gewesen, aus der sich ein Leistungsanspruch nicht
herleiten lasse. Mit Schreiben vom 01.09.1997 sei festgestellt worden, dass Reisekosten zu Nachbehandlungen in A.
nach dem 12.09.1997 nicht mehr übernommen werden können. Damit sei dem Kläger bekannt, dass die
nachfolgenden in Anspruch genommenen Behandlungen im D.-Institut/A. keinen Leistungsanspruch begründen
würden.
Der Kläger hat sodann am 20.06.2000 die Petition an den Deutschen Bundestag und die Beschwerde gegen die
Beklagte durch Einbeziehung des Widerspruchsbescheides erweitert.
Er hat am 07.07.2000 Klage beim Sozialgericht München (SG) erhoben und die Erstattung der Kosten für die
Nachuntersuchungstermine am 16.01.1998 und 19.06.1998 beim D.-Institut/ A. (Reise- und Nebenkosten,
Unterbringung, Verpflegung) geltend gemacht sowie eine Kostenübernahme für weitere gleichgeartete
Nachuntersuchungstermine im Umfang der ärztlichen Bescheinigungen vom 03.08.1997 und 08.12.1997 oder noch
anderer einzureichender ärztlicher Bescheinigungen. Er hat sich zur Begründung des Klagevorbringens auf seine
Petition bezogen und die Einholung eines medizinisch-psychotherapeutisch-logopädischen
Sachverständigengutachtens beantragt. Er hat auf die Anfrage des SG mitgeteilt, die Rechnungen im Zusammenhang
mit den streitigen Behandlungen befänden sich bei der Beklagten. Bisher seien die Ausgaben der Höhe nach von der
Beklagten nie bestritten worden. Mit Schriftsatz vom 26.10.2001 hat er die Klage bezüglich des zweiten Klageantrags
vom 10.07.2000 zurückgenommen.
Das SG hat mit Urteil vom 16.11.2001 die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die
Nachuntersuchungstermine am 16.01. und 19.06.1998 beim D.-Institut/A. bestehe nicht. Ein solcher Anspruch folge
nicht aus einer Kostenzusage der Beklagten aus dem Jahre 1995. Die damalige Kostenzusage habe lediglich die 10-
tägige Intensivtherapie umfasst, nicht hingegen die Kosten für eventuell anfallende Nachuntersuchungstermine. Auf
einen möglicherweise bestehenden Vertrauensschutz aus der Tatsache, dass die Beklagte Reisekosten für eine
Reihe von Nachuntersuchungen in der Vergangenheit gezahlt habe, könne der Kläger sich nicht berufen. Die Beklagte
habe mit Schreiben vom 11.09.1997 ausdrücklich erklärt, dass sie letztmalig für die Behandlung am 12.09.1997 bereit
sei, die Reisekosten zu übernehmen. Eine Kostenerstattung, komme auch nicht nach dem Sozialgesetzbuch V in
Betracht. Das Gesetz sehe lediglich Kostenerstattungen für ärztliche Behandlungen im Ausland vor. Außerdem gäbe
es Möglichkeiten, die Krankheit des Klägers auch im Inland zu behandeln. Schließlich könne das Klagebegehren nicht
auf Europarecht gestützt werden. Den Mitgliedsstaaten stehe es grundsätzlich frei, festzulegen, ob oder unter
welchen Bedingungen ein Anspruch auf Leistung bestehe. Die nationalen Sozialgesetzgeber könnten bindend für ihre
Versicherten vorschreiben, dass z.B. unwirtschaftliche Behandlungsstandards ausgeschlossen seien. Da eine
Erstattungsmöglichkeit nach deutschem Sozialversicherungsrecht u. a. ausscheide, weil die Del-Ferro-Methode keine
dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlungsmöglichkeit darstelle,
sei auch ein europarechtlicher Anspruch zu verneinen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers vom 20.03.2002, mit der er wieder die nachgewiesenen Kosten für die
Nachuntersuchungstermine am 16.01.1998 und 19.06.1998 beim D.-Institut/A. geltend macht. Im Hinblick auf seine
Tatsachenbehauptungen seien die jetzige Leiterin des D.-Instituts zu vernehmen, ärztliche
Sachverständigengutachten einzuholen und medizinisches Schrifttum beizuziehen. Integrierter Bestandteil des 10-
tägigen Therapiekurses seien etliche anschließende eintägige Nachtherapiekurse, die vom Kurspreis mit umfasst
gewesen seien. Ein Anspruch ergebe sich auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes und der Zusage
der Gewährung von Leistungen. Es sei weder therapeutisch sinnvoll noch indiziert, eine einmal begonnene und bisher
erfolgreiche Therapie abzubrechen. Es gebe keine gleiche bzw. adäquate Behandlungsmethode in Deutschland. Die
streitgegenständlichen Sprachstörungen seien psychotherapeutisch nicht zu behandeln. Die bisherigen in Deutschland
durchgeführten Behandlungen in Form von Psychotherapie und Logopädie seien nicht erfolgreich gewesen, hingegen
die Behandlung am D.-Institut/A ... Es sei nicht relevant, ob die Therapie von Ärzten oder Nichtärzten durchgeführt
worden sei. Die Beklagte selbst habe ihn auf die Behandlung am D.-Institut in A. verwiesen.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts München vom 16.11.2001 und Abänderung der
Bescheide vom 06.05.1998, 06.12.1998, und 14.01.2000 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. 06.2000 zu
verurteilen, die nachgewiesenen Kosten für die Nachuntersuchungstermine am 16.01.1998 und 19.06.1998 beim D.-
Institut zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht wurden die Akten der Beklagten und des SG.
Auf den Inhalt dieser Akten und die Sitzungsniederschrift wird im Übrigen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die frist- und formgerecht eingelegte Berufung (§ 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG) ist zulässig; der Wert des
Beschwerdegegenstandes übersteigt 500,00 EUR (§ 144 Abs.1 Satz 1 Nr.1 SGG). Auch wenn bezüglich der hier
streitigen Leistungen deren Höhe nicht genau feststeht, geht der Senat davon aus, dass die Nebenkosten der Höhe
nach wie bei den früheren Aufenthalten des Klägers angefallen sind. Da der Kläger für einen Aufenthalt im
Zusammenhang mit der Behandlung beim D.-Institut/A. im Jahr 1997 für die Hin- und Rückfahrt mit der Bahn,
zweimaliger Übernachtung und Verpflegung sowie die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel 337,10 DM und 374,25
Gulden geltend gemacht hat, wird für die beiden streitigen Aufenthalte der genannte Wert des
Beschwerdegegenstandes überschritten.
Die Berufung des Klägers ist in dem Sinne begründet, als die Beklagte zur Übernahme der Nebenkosten im
Zusammenhang mit den Behandlungen im D.-Institut A. am 16.01.1998 und 19.06.1998 für die Fahrten,
Übernachtungen und Verpflegung dem Grunde nach zu verurteilen ist.
Bei einer Klage auf Gewährung einer sozialrechtlichen Leistung ist grundsätzlich die kombinierte Anfechtungs- und
Leistungsklage die zutreffende Klageart (§ 54 Abs.1,.4 SGG), da hiermit nicht nur über die Rechtmäßigkeit des
Verwaltungsaktes des Sozialleistungsträgers entschieden, sondern die Behörde zugleich zur Leistung verurteilt wird.
Mit einer danach ergangenen gerichtlichen Entscheidung wird der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt und dem
Grundsatz der Prozessökonomie Rechnung getragen. Im vorliegenden Fall kann die Beklagte nur dem Grunde nach
verurteilt werden, da der Kläger, wir er am 09.04.2001 dem SG mitgeteilt hat, die Belege über die streitigen Leistungen
bei der Beklagten zur Abrechnung eingereicht hat; sei befinden sich jedoch nicht in der Kassenakte und sind auch von
der Beklagten nicht vorgelegt worden. Die Höhe der streitigen Leistungen ergibt sich aus den Anlagen der
Erstattungsanträge an die Beklagte vom 05.06.1998 und 02.11.1998. Die Voraussetzungen für ein Grundurteil gemäß
§ 130 Abs.1 SGG sind hier erfüllt. Denn die Klage ist auf die Zahlung einer Geldleistung gerichtet und es steht fest,
dass ein Geldbetrag zu zahlen ist. Streitig sind hier außerdem Einzelleistungen aus einem Grundverhältnis, nämlich
dem Behandlungsvertrag mit dem D.-Institut, der die medizinisch notwendigen Nachbehandlungen mitumfasst.
Mögliche Anspruchsgrundlagen für die geltend gemachten Nebenkosten sind § 60 Sozialgesetzbuch V (SGB V), § 18
Abs.2 SGB V und Artikel 22 Abs.1 lit.a, c EWG-VO 1408/71. Nach § 60 Abs.1 SGB V übernimmt die Krankenkasse
nach den Absätzen 2 und 3 die Kosten für Fahrten einschließlich der Transporte nach § 133 (Fahrkosten), wenn sie
im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse notwendig sind. Welches Fahrzeug benutzt werden kann,
richtet sich nach der medizinischen Notwendigkeit im Einzelfall. Mit der Gewährung von Fahrkosten sollen andere
notwendige Leistungen der Krankenversicherung ermöglicht werden. Bereits vor Einführung der Vorgängervorschrift
des § 194 Reichsversicherungsordnung im Jahre 1974 war durch die höchstrichterliche Rechtsprechung anerkannt,
dass Reisekosten als unselbständige Nebenleistungen zur jeweiligen Hauptleistung zu übernehmen sind
(Bundessozialgericht - BSG - vom 10.10.1978 BSGE 47, 79 f.). Ungeachtet der gesetzlichen Normierung in einer
besonderen Vorschrift regelt auch § 60 SGB V den Anspruch auf Übernahme von Fahrkosten als unselbständige
akzessorische Nebenleistung, die grundsätzlich wie die Hauptleistung zu behandeln ist (BSG a.a.O.; BSG vom
27.11.1990 USK 9083; BSG vom 23.02.1999 BSGE 83, 285 mit weiteren Nachweisen).
Unter § 60 SGB V fallen nur reine Beförderungskosten, die im Zusammenhang mit einer Leistung der Krankenkasse
entstanden sind. Als Leistungen kommen hauptsächlich alle Sachleistungen aus dem Katalog des § 11 SGB V in
Betracht, also wie hier die Krankenbehandlung gemäß § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.3 SGB V in Gestalt der Gewährung eines
Heilmittels, nämlich der Logopädie (§ 32 Abs.1 SGB V). Zu § 60 SGB V gehören jedoch nicht die übrigen Kosten wie
die Kosten der Übernachtung, der Verpflegung und des Gepäcktransports (Kassler Kommentar - Höfler, § 60 SGB V,
Rdnr.6 mit weiteren Nachweisen).
Unerheblich in diesem Zusammenhang ist, dass bei den Bahnfahten jeweils eine Reise in das Ausland stattgefunden
hat. Denn § 60 SGB V schließt die Kostenübernahme für Leistungen mit einer Grenzüberschreitung nicht aus, so
dass die Ruhensvorschrift des § 16 Abs.1 Nr.1 SGB V (Auslandsaufenthalt) hier nicht zum Tragen kommt. Dies ergibt
sich im Umkehrschluss aus § 60 Abs.4 Satz 1 SGB V, der die Kosten des Rücktransports in das Inland von der
Leistungspflicht der Krankenkassen ausnimmt. Mit dieser Ausnahmeregelung wird zugleich klärend festgestellt, dass
die Übernahme von Fahrtkosten zu Auslandszielen von der Leistungspflicht des § 60 SGB V im Übrigen mitumfasst
ist. Hiervon geht das BSG auch bezüglich der Vorgängervorschrift des § 194 RVO aus (Urteil vom 27.11.1990 a.a.O.).
Die Übernahme der übrigen geltend gemachten Kosten für Unterkunft und Verpflegung fällt zunächst unter die
Regelung des § 18 Abs.2 SGB V. Danach kann in den Fällen des Abs.1 die Krankenkasse auch weitere Kosten für
den Versicherten und für eine erforderliche Begleitperson ganz oder teilweise übernehmen. § 18 Abs.1 SGB V regelt
die völlige oder teilweise Kostenübernahme einer medizinisch erforderlichen Behandlung, wenn eine dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechende Behandlung einer Krankheit nur im Ausland
möglich ist, im Sinne einer Ermessensregelung. Über die von § 18 Abs.1 SGB V erfassten Behandlungskosten hinaus
werden von der Leistungspflicht nach § 18 Abs.2 SGB V weitere Kosten sowie die Kosten für eine erforderliche
Begleitperson erfasst. Übernahmefähige weitere Kosten, die im Zusammenhang mit der Behandlung anfallen, sind
nach den Motiven des Gesetzgebers Kosten des Gepäcktransports, der Unterbringung und Verpflegung der
Begleitperson oder Flug- und Transportkosten (Kassler Kommentar - Peters, § 18 SGB V, Rdnr.5 mit weiteren
Nachweisen zu dem Regierungsentwurf zum GRG). Ob die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllt sind, kann
jedoch dahinstehen, da § 18 SGB V nachrangig ist gegenüber dem über- und zwischenstaatlichen Recht (BSG vom
09.10.2001 BSGE 89, 34; Kassler Kommentar - Peters, a.a.O. Rn.3). Lediglich ergänzend sind in einem Fall der
Krankenbehandlung in einem Staat der europäischen Gemeinschaft die §§ 16 bis 18 SGB V heranzuziehen. Ebenso
ist die Anwendung der Erstattungsnorm des § 13 Abs.3 SGB V ausgeschlossen (BSG vom 09.10.2001 a.a.O.).
Nach Artikel 22 Abs.1 lit. a., c EWG-Verordnung (VO) 1408/71 hat ein Arbeitnehmer, der die nach den
Rechtsvorschriften des zuständigen Staates mit dem Leistungsanspruch erforderlichen Voraussetzungen,
gegebenenfalls unter Berücksichtigung des Artikels 18, erfüllt, und a) dessen Zustand während eines Aufenthalts im
Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates unverzüglich Leistungen erfordert oder
c) der vom zuständigen Träger die Genehmigung erhalten hat, sich in das Gebiet eines anderen Mitgliedsstaates zu
begeben, um dort eine seinem Zustand angemessene Behandlung zu erhalten, Anspruch auf:
i) Sachleistungen für Rechnung des zuständigen Trägers vom Träger des Aufenthalts- oder Wohnorts nach den für
diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften, als ob er bei ihm versichert wäre.
Nach Abs.2 Satz 2 dieser Vorschrift darf die nach Abs.1 lit c erforderliche Genehmigung nicht verweigert werden,
wenn die betreffende Behandlung zu den Leistungen gehört, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates
vorgesehen sind, in dessen Gebiet der Betreffende wohnt, und wenn er in Anbetracht seines derzeitigen
Gesundheitszustandes und des voraussichtlichen Verlaufs der Krankheit diese Behandlung nicht in einem Zeitraum
erhalten kann, die für diese Behandlung in dem Staat, in dem er seinen Wohnsitz hat, normalerweise erforderlich ist.
Diese Voraussetzungen sind entgegen der Beklagten und dem SG hier erfüllt. Denn die im vorliegenden Fall ärztlich
befürwortete und von der Beklagten dem Kläger empfohlene Behandlung des Stotterns ist eine Krankenbehandlung,
die unter § 27 Abs.1 Satz 2 Nr.1, 3 SGB V fällt. Es wird auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen, dass
insoweit der Versicherungsfall Krankheit gegeben ist, der unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes (§ 12 SGB
V) in Form einer ärztlichen Leistung, erforderlichenfalls unter Einbeziehung von Heilmittelerbringern oder durch
psychologische Psychotherapeuten behandlungsbedürftig und behandlungsfähig ist (§§ 28 Abs.1, 3, 124 SGB V).
Es steht auch fest, dass die Beklagte die von ihr im August 1995 genehmigte konkrete Behandlung im D.-Institut/A. ,
also die dort erbrachte spezifische Behandlungsmethode in Form von Anschlussbehandlungen nach der
vorausgegangenen Grundbehandlung im November 1995, im Inland nicht innerhalb des vorgesehenen üblichen
Zeitraums anbieten kann. Es geht im vorliegenden Fall nicht um irgendeine Behandlung des Stotterns durch einen
inländischen Leistungserbringer, wie die von der Beklagten eingeholten gutachtlichen Stellungnahmen des MDK
ausführen, sondern um die konkrete, von der Beklagten dem Kläger empfohlene und finanzierte Leistung des D.-
Instituts/A. , die durch Nachbehandlungen zu Ende zu bringen war.
Die von der Beklagten genehmigte Grundbehandlung, die der Kläger im November 1995 als zweiwöchigen Grundkurs
absolviert hat, und die medizinisch erforderlichen Nachbehandlungen, die von den Kosten der Grundbehandlung
bereits erfasst sind, bilden therapeutisch gesehen eine Einheit. Die Beklagte hatte mit der Kostenzusage für die Del-
Ferro-Therapie auch die medizinisch notwendigen Nachbehandlungen genehmigt. Damit ist nicht eine zeitlich
unbefristete Möglichkeit von Nachbehandlungen gegeben, da das D.-Institut/A. Nachbehandlungen nur nach den
Umständen des Einzelfalles und der medizinischen Notwendigkeit übernimmt. Da aber der Kläger im Januar und Juni
1998 vom D.-Institut/A. im Anschluss an die Grundbehandlung nachbehandelt wurde, bestehen auch keine Bedenken
hinsichtlich des zeitlichen Zusammenhangs zur Grundbehandlung. Ferner ist zu berücksichtigen, dass das
Abschließen einer erfolgversprechenden Behandlung sowohl für den Kläger als auch für die Beklagte günstiger ist, als
der Beginn einer anderen Behandlung durch einen neuen Leistungserbringer. Da die Beklagte bereits die
Grundbehandlung und eine Reihe von Nachbehandlungen anerkannt und die Nebenkosten übernommen hat, würde sie
sich zu ihrem früheren Verhalten in Widerspruch setzen, wenn sie nunmehr die Zweckmäßigkeit der Behandlung nach
der Del-Ferro-Methode an sich als unwirtschaftlich (§ 12 Abs.1 SGB V) bezeichnet. Es gilt auch im öffentlichen Recht
der allgemeine Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB), hier in dem Verbot eines "venire contra factum
proprium". Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 09.10. 2001 BSGE 89, 34 f.) enthält Artikel 22 Abs.1
EWG-VO 1408/71 den Fall der Sachleistungsaushilfe in einem anderen Mitgliedsstaat zu den Bedingungen dieses
Staates. Ziel der Vorschrift ist es, dem Versicherten die erforderliche Auslandsbehandlung als Sachleistung, also
kostenfrei, zur Verfügung zu stellen. Hatte der zuständige Träger die Genehmigung zu Unrecht abgelehnt, so hat er
dem Versicherten die entstandenen Kosten in der Höhe zu erstatten, wie sie bei ordnungsgemäßem Verhalten
angefallen wären.
Danach ergibt sich eine Leistungsverpflichtung für die übrigen Kosten der beiden Auslandsbehandlungen in A. für
Hotel und Verpflegung. Dass es sich hierbei um Leistungen handelt, die der Träger des Aufenthaltsorts nach den für
ihn geltenden Rechtsvorschriften zu erbringen hat, ist hier nicht zweifelhaft, da die Beklagte diese Leistungen stets
einschließlich des Aufenthalts am 12.09.1997 letztlich übernommen hat. Da es sich bei den streitigen Leistungen um
akzessorische Nebenleistungen zu der Übernahme der Kosten der Behandlung handelt, ist die Beklagte dem Grunde
nach verpflichtet, auch die genannten Nebenkosten zu erstatten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs.2 Nr.1, 2 SGG).