Urteil des LSG Bayern vom 24.10.2001

LSG Bayern: krankenversicherung, rückforderung, eigenes verschulden, grobe fahrlässigkeit, materielles recht, leichte fahrlässigkeit, behörde, rechtswidrigkeit, versicherungspflicht, ermessensausübung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 24.10.2001 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Bayreuth S 3 RA 202/97
Bayerisches Landessozialgericht L 1 RA 17/01
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20. Januar 2000 insoweit
aufgehoben, als die Beklagte zur Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 1. November 1995 verpflichtet wurde.
II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. III. Die Beklagte ist verpflichtet, dem Kläger auch die
außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten. IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Der am 1922 geborene Kläger war bis 30.09.1987 als Versicherungsoberinspektor bei der N.-Versicherung im
Außendienst beschäftigt. Zu seinen Aufgaben gehörte vor allem die Vermittlung kleinerer Unfall-, Kranken- und
Lebensversicherungen. Bei selteneren Krankenversicherungen wurden Spezialisten der N.-Versicherung
herangezogen.
Am 08.07.1987 beantragte der Kläger die Gewährung von Altersrente. Zusammen mit der Rentenantragstellung gab er
auch eine Meldung zur Krankenversicherung der Rentner - KVdR - ab. Danach war er seit 1950 Mitlied der AOK,
zuerst Pflichtmitglied und ab 03.08.1966 "und noch" freiwilliges Mitglied. Die AOK Bayreuth-Kulmbach bestätigte am
10.07.1987 die freiwillige Mitgliedschaft, gab an, die Voraussetzungen des § 165 Abs.1 Nr.3
Reichsversicherungsordnung - RVO - (Vorversicherungszeit) seien erfüllt und ab Rentenantragstellung liege ein
Ausschlussgrund nach § 165 Abs.6 Nr.2, 3 RVO vor. Am 24.08.1987 beantragte der Kläger die Bewilligung eines
Zuschusses gemäß § 83e Abs.1 Nr.2 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - zur freiwilligen Krankenversicherung.
Die AOK bestätigte einen freiwilligen Beitrag in Höhe von DM 538,66. Die Beklagte bejahte laut Verfügung vom
29.09.1987 die Voraussetzungen für einen Beitragszuschuss zur freiwilligen Krankenversicherung.
Mit Bescheid vom 24.07.1987 bewilligte die Beklagte ab 01.10. 1987 Altersruhegeld wegen Vollendung des 65.
Lebensjahres. Dabei stellte sie fest, dass der Kläger bei einer gesetzlichen Krankenkasse pflichtversichert sei. Die
Beklagte habe die Beiträge einzubehalten und an die Krankenversicherung abzuführen. Für Zeiten, für die
Krankenversicherungsbeiträge aus der Rente zu entrichten seien, bestehe Anspruch auf einem Beitragszuschuss (§
83e Abs.1 Nr.1 AVG). Der Zuschuss beginne am 01.10. 1987. Die Beklagte bewilligte ab 01.10.1987 einen
Beitragszuschuss zur Krankenversicherung in Höhe von 133,00 DM und brachte einen Beitrag zur
Krankenversicherung in Höhe von 266,00 DM in Abzug, so dass sich ein monatlicher Zahlbetrag in Höhe von 2.121,20
DM errechnete. Mit Bescheid vom 28.09.1987 stellte die Beklagte die bisher gezahlte Rente ab 01.10.1987 neu fest.
Sie berücksichtigte zusätzlich die Zeit vom 01.01.1985 bis 30.09. 1985 und erkannte einen Anspruch auf
Beitragszuschuss ab 01.10.1987 zur freiwilligen Krankenversicherung an. Im Übrigen verbleibe es bei der
Unanfechtbarkeit des Bescheides vom 24.07.1987. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Am 16.09.1994 ging bei der Beklagten die Mitteilung der AOK ein, dass der Kläger seit 01.10.1987 pflichtversichertes
Mitglied sei. (Weitere Unterlagen waren bei der AOK nicht ermittelbar, vgl. Schreiben vom 12.07.1999).
Mit Bescheid vom 31.10.1994 wurde die Rente des Klägers neu berechnet, wobei die Beklagte nunmehr davon
ausging, dass der Kläger seit 01.10.1987 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung unterliege.
Von diesem Zeitpunkt an stehe ihm der bisher nach § 83e Abs.1 Nr.2 AVG bzw. § 106 SGB VI für die freiwillige
Krankenversicherung gezahlte Beitragszuschuss nicht mehr zu. Über den Wegfall des Anspruchs auf
Beitragszuschuss und ggf. den daraus folgenden Rückforderungsanspruch sollte der Kläger demnächst gesondert
Bescheid erhalten. Die Beklagte behielt laut Bescheid vom 31.10.1994 für die Zeit ab 01.01.1992 den Beitragansteil
des Rentners ein und errechnete "eine Überzahlung" in Höhe von 10.107,32 DM für die Zeit bis 30.11.1994. Mit
weiterem Bescheid vom 25.10.1994 forderte sie Beiträge für die Zeit vom 01.01.1990 bis 31.12.1991 in Höhe von
insgesamt 3.847,02 DM nach. Der Kläger legte am 21.11.1994 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid vom
01.11.1995 zurückgewiesen wurde. Im nachfolgenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Bayreuth (Az.: S 10 RA
169/95) hob die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom 27.03.1996 die Bescheide vom 25. und 31.10.1994 auf.
Mit Schreiben vom 23.01.1995 klärte die Beklagte den Kläger darüber auf, dass der Zuschuss zur
Krankenversicherung nach § 106 SGB VI zu Unrecht gewährt worden sei, da er ab 01.10. 1987 der
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung unterlegen sei. Es sei beabsichtigt, den Bescheid vom 28.09.1987
mit Wirkung ab 01.10.1987 nach § 45 Sozialgesetzbuch, Zehntes Buch - SGB X - zurückzunehmen und die für die
Zeit vom 01.10.1987 bis 30.11.1994 zu Unrecht gewährten Beitragszuschüsse in Höhe von 13.957,22 DM nach § 50
Abs.1 SGB X zurückzufordern. Die Voraussetzungen dafür seien erfüllt, weil der Kläger die Fehlerhaftigkeit des
Bescheides habe kennen müssen. Der Kläger äußerte sich dahin, er habe die Rechtswidrigkeit des Bescheides nicht
erkennen können. Er habe keine falschen Anträge gestellt. Einer Rückzahlungsverpflichtung stehe auch entgegen,
dass er nichts Erspartes habe. Zur Bereinigung der Sache, sei er bereit, 20,- DM monatlich zurückzuzahlen. Im
Übrigen sei nicht nachzuvollziehen, dass nunmehr der volle Betrag von fast 14.000,- DM gefordert werde, obwohl zu
Beginn von einer gewissen "Verjährung" gesprochen worden sei.
Mit "Rückforderungsbescheid" vom 28.07.1995 stellte die Beklagte fest, der Beitragszuschuss sei zu Unrecht
gewährt, da der Kläger ab 01.10.1987 der Versicherungspflicht in der Krankenversicherung unterlegen sei. Der
Bescheid vom 28.09.1987 werde betreffend die Bewilligung eines Beitragszuschusses mit Wirkung vom 01.10.1987
nach § 45 SGB X zurückgenommen und die für die Zeit vom 01.10.1987 bis 30.11.1994 zu Unrecht geleisteten
Beitragszuschüsse in Höhe von insgesamt 13.957,22 DM nach § 50 Abs.1 SGB X zurückgefordert. Die
Voraussetzungen für die Entscheidung sei nach Lage der Akten erfüllt, weil der Kläger aufgrund der ihm gegebenen
Informationen die Fehlerhaftigkeit des Bescheides kannte bzw. hätte erkennen müssen (§ 45 Abs.2 Satz 3 Nr.3 SGB
X). Bei der Rückforderung zu Unrecht geleisteter Beträge greife die Vorschrift der Verjährung nicht, so dass diese für
Zeiten ab 01.10.1987 zu erstatten seien. Dieser Bescheid wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 24.07.1996 kündigte die Beklagte eine Aufrechnung des Rückforderungsbetrags auf der Grundlage
des § 51 Abs.l und 2 SGB I an und erklärte mit Bescheid vom 10.10.1996 eine Aufrechnung von monatlich 531,50 DM
ab 01.12.1996. Der Kläger legte am 30.10.1996 Widerspruch gegen den Bescheid vom 10.10.1996 ein, worauf die
Beklagte mit Bescheid vom 09.12. 1996 die monatliche Auf- bzw. Verrechnung auf 200,- DM festsetzte. Ebenfalls am
30.10.1996 beantragte der Kläger die Überprüfung des Rückforderungsbescheides vom 28.07.1995 auf der Grundlage
des § 44 SGB X. Die Beklagte lehnte eine Korrektur des Rückforderungsbescheides vom 28.07.1995 ab (Bescheid
vom 19.12.1996). Die gegen die Bescheide vom 10.10.1996, 09.12.1996 sowie 19.12.1996 eingelegten Widersprüche
wies die Beklagte mit Bescheid vom 09.06.1997 zurück.
Der Kläger erhob gegen die Bescheide vom 10.10. und 19.12.1996 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
09.06.1997 am 03.07.1997 Klage zur Niederschrift beim Sozialgericht Bayreuth. Mit Beschluss vom 19.03.1999
trennte das Sozialgericht den Rechtsstreit betreffend die Verrechnung der angeblichen Schuld in monatlichen
Teilbeträgen ab (S 3 RA 88/99) und führte die Klage gegen den Bescheid vom 19.12.1996 unter dem Az.: S 3 RA
202/97 fort. Der Kläger begründete die Klage damit, er habe die Zahlungen gutgläubig entgegengenommen und sei
davon ausgegangen, dass die Beklagte die Zahlungen an die Krankenkasse ordnungsgemäß leiste. Die
Rückforderung sei nicht gerechtfertigt, da die Behörde und nicht er schuldhaft gehandelt habe, auch habe er nach der
Verhandlung vor dem Sozialgericht Bayreuth gedacht, dass damit der gesamte Komplex erledigt sei.
Das Sozialgericht zog die verfilmte KVdR-Akte der Beklagten bei und lud die AOK Bayern, Direktion Bayreuth -
Kulmbach zum Rechtsstreit bei (Beschluss vom 06.10.1999). Durch Anfragen an die Beigeladene stellte das
Sozialgericht fest, dass der Kläger bis 30.09.1987 freiwilliges Mitglied und danach Pflichtmitglied der AOK gewesen
sei (Auskunft vom 08.11.1999).
Mit Urteil vom 20.01.2000 hob das Sozialgericht den Bescheid vom 19.12.1996 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 09.06.1997 auf und verurteilte die Beklagte, den Rückforderungsbescheid vom
28.07.1995 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.11.1995 aufzuheben. Es begründete seine
Entscheidung im Wesentlichen damit, der Bescheid vom 28.09.1987 im Zusammenhang mit der Bewilligung eines
Beitragszuschusses zur Krankenversicherung sei zwar rechtswidrig und habe den Kläger im Sinn des § 45 SGB X
begünstigt. Auch lasse sich feststellen, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit dieses Bescheides infolge grober
Fahrlässigkeit nicht erkannt habe. Doch habe es die Beklagte im Rückforderungsbescheid vom 28.07.1995
unterlassen, die nach § 45 Abs.1 SGB X gebotenen Ermessenserwägungen anzustellen. Aus diesem Grunde könne
der Kläger ungeachtet der Bestandskraft des Bescheides vom 28.07.1995 nach § 44 SGB X dessen Aufhebung
verlangen.
Die Beklagte legte am 02.03.2001 Berufung ein und beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Bayreuth vom 20.01.2000 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladene stellt keinen Antrag.
Zur Begründung trägt die Beklagte vor, es könne dahingestellt bleiben, ob sie es unterlassen habe, im Bescheid vom
Zur Begründung trägt die Beklagte vor, es könne dahingestellt bleiben, ob sie es unterlassen habe, im Bescheid vom
28.07.1995 Ermessenserwägungen anzustellen. Denn ein solcher Ermessensfehler könne ausschließlich im Rahmen
des regulären Rechtsbehelfsverfahrens, nicht jedoch im Überprüfungsverfahren nach § 44 SGB X gerügt werden. Sie
vertritt in Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 24.10.1996, Az.: 4 RA 27/95
und 28.05.1997 Az.: 14/10 RKg 25/95 und insbesondere unter Bezugnahme auf Steinwedel in KassKomm § 44 SGB
X Rdnr.33 zur Reichweite des § 44 SGB X folgende Auffassung: Formelle Fehler, die einer Behörde im
Zusammenhang mit einer Bescheidaufhebung und Rückforderung von Sozialleistungen unterlaufen sein könnten,
seien jedenfalls dann unbeachtlich, wenn das materielle Recht für die Betreffenden einen Leistungsanspruch nicht
vorsehe. Zu solchen formellen Fehlern gehöre auch eine etwaige Nichtbeachtung der Erfordernisse, die in § 45 SGB X
niedergelegt seien. Insbesondere könne eine unterbliebene Ermessensausübung nicht zu einer Verpflichtung der
Behörde führen, einen in Bestandskraft erwachsenen Bescheid nachträglich aufzuheben. Hintergrund dieser
Rechtsauffassung sei der Umstand, dass § 44 SGB X der Durchsetzung materiellen Rechts zum Durchbruch
verhelfen solle. Sowohl dem Wortlaut als auch dem Sinn und Zweck des § 44 SGB X sei zu entnehmen, dass die
Bürger über § 44 SGB X lediglich eine Überprüfung der materiellen Rechtslage verlangen könnten.
Im Hinblick auf mehrere am BSG anhängige Revisionsverfahren (u.a. B 4 RA 15/99 R) zur Frage einer
Wiederauszahlung von formell zu Unrecht zurückgeforderten Sozialzuschlägen (Art.40 Rentenüberleitungsgesetz -
RÜG -) regte die Beklagte das Ruhen des Verfahrens an, womit sich der Kläger und die Beigeladene einverstanden
erklärten. Der Senat ordnete daraufhin mit Beschluss vom 31.05.2000 das Ruhen des Verfahrens an. Auf Antrag der
Beklagten wurde das Verfahren fortgesetzt (Beschluss vom 09.01.2001). Die Beklagte erklärte, das Verfahren B 4 RA
15/99 sei durch Prozesserklärung beendet worden. Die Rücknahme der Revision durch die Beklagte sei aber nicht
erfolgt, weil die Beklagte ihre Rechtsansicht zur Reichweite des § 44 SGB X geändert habe; vielmehr seien andere
Erwägungen, insbesondere eine Gleichbehandlung mit bei den Landesversicherungsanstalten - LVA - versicherten
Empfängern von Sozialzuschlägen Grundlage für die Revisionsrücknahme gewesen.
Zur Ergänzung des Sachverhalts wird auf die beigezogene Akte der Beklagten und die Akten des Sozialgerichts
Bayreuth sowie die Akte des Bayerischen Landessozialgerichts Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die gemäß den §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz - SGG - ohne Zulassung statthafte, form- und fristgerecht eingelegte
Berufung ist zulässig; sie kann aber nur insoweit Erfolg haben, als das Sozialgericht die Beklagte verpflichtet hat, den
Widerspruchsbescheid vom 01.11.1995 aufzuheben. Im Übrigen bleibt die Berufung ohne Erfolg. Dies bedeutet, dass
die Beklagte verpflichtet ist, den Bescheid vom 28.07.1995 im Rahmen einer Überprüfung nach § 44 SGB X
zurückzunehmen. Was die Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 01.11.1995 angeht, so bezieht er sich nicht
auf den Bescheid vom 28.07.1995, vielmehr waren Gegenstand des Widerspruchsverfahrens nur die Bescheide vom
31.10. 1994 und 25.10.1994, die sich mit der Nachforderung des Beitragsanteils des Klägers zur Krankenversicherung
der Rentner ab 01.10.1987 befassten. Ausschließlich über diese Frage wurde auch im Widerspruchsbescheid vom
01.11.1995 entschieden. Er steht nicht im Zusammenhang mit dem Bescheid vom 28.07.1995, der die Aufhebung der
Bewilligung eines Beitragszuschusses zur freiwilligen Krankenversicherung sowie die Rückforderung einer
festgestellten Überzahlung betraf. Bezüglich der Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom 01.11.1995 ist die
Berufung der Beklagten erfolgreich.
Im Übrigen scheitert sie. Die Überprüfung gemäß § 44 SGB X ergibt, dass der auf der Grundlage des § 45 SGB X
ergangene Bescheid vom 28.07.1995 rechtswidrig und deswegen aufzuheben ist. Dies bedeutet allerdings nicht, dass
die Beklagte verpflichtet ist, über den 30.11.1994 hinaus den Beitrag zur freiwilligen Krankenversicherung weiter zu
bezahlen. Denn es besteht zwischen den Beteiligten eindeutig Einigkeit, dass sich der Kläger allein gegen die
Aufhebung für die Zeit vom 01.10.1987 bis 30.11.1994 wendet. Was die Zeit danach angeht, so besteht unstreitig
Versicherungspflicht in der Krankenversicherung der Rentner. In der mündlichen Verhandlung vor dem Sozialgericht
Bayreuth wurde am 27.03.1996 ausdrücklich erklärt, dass Beitragsspflicht und Beitragsabführung (mit Einbehaltung
des Beitragsanteils des Klägers) unstreitig seien. Die Überprüfung bezieht sich demnach nur auf die Zeit vom
01.10.1987 bis 30.11. 1994.
Nach § 44 Abs.1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsakts das Recht
unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist und soweit
deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Nach dem Urteil
des BSG vom 12.12.1996 in SozR 3-1300 § 44 Nr.19 umfasst dabei § 44 Abs.1 Satz 1 SGB X nicht nur Fälle, in
denen den Betroffenen ein rechtlicher Nachteil durch unrechtmäßiges Vorenthalten einer Sozialleistung entstanden ist,
sondern auch solche, in denen Sozialleistungen gezahlt, die Leistungsbewilligungen nachträglich aber als rechtswidrig
zurückgenommen und die Erstattung der erbrachten Leistungen angeordnet worden ist. Auch umfasst der Wortlaut
des § 44 SGB X sowohl Fehler des Verfahrens als auch des materiellen Rechts.
Zweifelhaft ist jedoch, ob § 44 SGB X den Betroffenen in vollem Umfang so stellt, als habe er rechtzeitig einen
Rechtsbehelf gegen den Verwaltungsakt eingelegt. Dies wird von der Beklagten unter Bezugnahme insbesondere auf
Steinwedel sowie auf Mutz-Meye-Paulus-Pflüger, DAngVers 1999, S.345 ff. verneint. Die Beklagte vertritt die Ansicht,
formelle Fehler, die einer Behörde im Zusammenhang mit einer Bescheidaufhebung und Rückforderung von
Sozialleistungen unterlaufen sein könnten, seien jedenfalls dann unbeachtlich, wenn das materielle Recht für die
Betreffenden einen Leistungsanspruch nicht vorsieht. Zu solchen formellen Fehlern gehöre auch eine etwaige
Nichtbeachtung der Erfordernisse, die in § 45 SGB X niedergelegt sei, wie die unterbliebene Ermessensausübung. Für
die Richtigkeit der Ansicht der Beklagten spricht grundsätzlich der Zweck des § 44 SGB X, der darin besteht, dem
Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung zu verschaffen und der Verwaltung zur Herstellung
materieller Rechtmäßigkeit die Möglichkeit zu eröffnen. Gerade die Vorschriften der §§ 45, 48 SGB X zeigen aber,
dass der Gesetzgeber es unter gewissen Voraussetzungen ebenfalls für "rechtmäßig" ansieht, wenn ein Versicherter
eine an sich ihm materiell-rechtlich nicht zustehende Leistung behält. Wie das Thüringer Landessozialgericht mit Urteil
vom 19. Mai 1999 Az.: L 6 RA 751/98 (rechtskräftig durch Rücknahme der Revision durch die Beklagte) festgestellt
hat, hat der Gesetzgeber durch die Schaffung der §§ 45, 48 SGB X bestimmte Konstellationen anerkannt, in denen
ein Begünstigter aus Vertrauensschutzgründen auch eine rechtswidrig erlangte Leistung behalten darf. Die
Einräumung des Vertrauensschutzes ist ein Gebot der materiellen Gerechtigkeit, das dem in § 44 Abs.1 SGB X
verankerten Gebot der materiellen Gerechtigkeit, über Sozialleistungen nur dann verfügen zu dürfen, wenn die
Voraussetzungen des entsprechenden Leistungsgesetzes vorhanden sind, gleichrangig ist. Unter materielles Recht
fallen nach dem Urteil des Thüringer Landessozialgerichts somit nicht nur die Vorschriften des materiellen
Leistungsrechts, sondern auch die Vertrauensschutzvorschriften der §§ 45, 48 SGB X. Das Thüringer
Landessozialgericht befindet sich in Übereinstimmung mit den Urteilen des Bundessozialgerichts vom 04.02.1998,
Az.: B 9 V 16/96 R und 28.05.1997 Az.: 14/10 RKg 25/95 in SozR 3-1300 § 44 Nr.21. Was das von der Beklagten
zitierte Urteil des Bundessozialgerichts vom 24.10.1996, Az.: 4 RA 27/95 angeht, so betraf es zwar den Fall der
Aufhebung einer bestandskräftigen Entscheidung nach § 45 i.V.m. § 50 SGB X. Im entschiedenen Fall waren aber in
vollem Umfang die Voraussetzungen des § 45 SGB X eingehalten, so dass das BSG dahingestellt ließ, ob und
inwiefern § 44 SGB X im Rahmen einer späteren Überprüfung der bestandskräftigen Entscheidung ggf. nur die
Anwendung eines eingeschränkten Prüfungsmaßstabes gebiete. Hinzu kommt, dass das BSG von einer
Ermessensreduzierung auf Null ausgegangen ist, was im Falle des Klägers nicht angenommen werden kann. Beim
Kläger ist zweifelhaft, ob grobe Fahrlässigkeit überhaupt vorliegt, von einer Ermessensreduzierung auf Null wegen
Bösgläubigkeit kann nicht gesprochen werden. Die genannte Entscheidung des BSG ergibt für die zu entscheidende
Frage der Auswirkung von Formfehlern bei Überprüfung nach § 44 SGB X nichts her, da das Bundessozialgericht
keine Formfehler feststellen konnte.
Soweit sich die Beklagte auf Steinwedel in KassKomm § 44 SGB X Rdnr.32 beruft, so trifft zwar zu, dass Steinwedel
zwischen Fehler des Verfahrens und des materiellen Rechts im Rahmen des § 44 SGB X unterscheidet und die
Ansicht vertritt, dass § 44 SGB X jedenfalls nicht zur Korrektur von Verstößen gegen die Anhörungspflicht
(allgemeine Meinung) oder von reinen Formverstößen dienen soll, da die Regelung nicht jede Versäumung einer
Anfechtungsfrist ungeschehen machen solle. Steinwedel wendet sich insbesondere dagegen, wenn dem Bürger
wegen Verletzung von vertrauensschützenden Vorschriften des Verfahrensrechts der Anspruch auf erneuten Bezug
einer ihm nach dem Leistungsrecht nicht zustehenden Leistung (vgl. Urteil des 9. Senats a.a.O.) zugebilligt wird,
wenn ihm diese Leistung in der Vergangenheit gezahlt, jedoch unter Verstoß gegen vertrauensschützende
Verfahrensnormen fehlerhaft entzogen worden war (wie in BSG SozR 3-1300 § 44 Nr.24). Eindeutig führt aber
Steinwedel andererseits aus: Zutreffend ist jedoch der dem Urteil des 14. Senats des BSG (SozR 3-1300 § 44 Nr.21)
zugrunde liegende Gedanke, dass § 44 SGB X bei Eingriffen der Verwaltung (Rückforderung überzahlter Leistungen)
anzuwenden ist. Es erscheint unbillig, dass die Verwaltung Eingriffsrechte aus einem rechtswidrigen, wenn auch
bindenden Aufhebungs- oder Rücknahmebescheid und dem darauf beruhenden Rückforderungsbescheid herleitet. Der
Schutz vor Eingriffen der Verwaltung wie Rückforderung geht weiter als der des Ansinnens, nicht zustehende
Leistungen weiter (wieder) zu beziehen (s. auch die gesetzgeberische Wertung in §§ 45 und 48 Abs.1 SGB X).
Insoweit geht es nicht um das erst wiederherzustellende Vertrauen auf den künftigen Weitererhalt nicht zustehender
Leistungen, sondern um das Vertrauen, aufgrund eines wirksamen Verwaltungsakts erhaltene und noch gehaltene
Leistungen auch weiterhin behalten zu dürfen. Dies bedeutet, dass auch nach Ansicht von Steinwedel in KassKomm
§ 44 Rdnr.33 bei der Überprüfung von Aufhebungs- und Rückforderungsbescheiden im Rahmen des § 44 SGB X
formelle Fehler der Entscheidung nach § 45 SGB X - außer Anhörungsverstoß - eine Rolle spielen.
Soweit Steinwedel im Übrigen weiter ausführt, dass diese Grundsätze auch eine Lösung für die Fälle der
Rückforderung zu Unrecht gezahlter Sozialzuschläge, deren Empfänger sich nicht gegen die ursprüngliche Entziehung
gewandt hatten, eine Lösung bieten, ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte selbst in fünf Revisionen, bei denen es
um die Problematik der Wiederauszahlung von zurückgeforderten und erstatteten Sozialzuschlägen ging, die Revision
zurückgezogen bzw. den Anspruch anerkannt hat (B 4 RA 39/99 R, 50/99 R, 46/99 R, 15/99 R und 21/99 R). Soweit
die Beklagte nunmehr vorträgt, dies stehe in keinem Zusammenhang mit der Beurteilung der Reichweite des § 44
SGB X, sondern habe nur der Gleichbehandlung der Versicherten mit den bei der LVA Versicherten gedient, ist zu
sagen, dass offensichtlich die LVA die Ansicht vertritt, dass auch formelle Fehler eine Überprüfung nach § 44 SGB X
begründen können.
Ausgehend von dieser Rechtsansicht hat die Beklagte zu Unrecht die Aufhebung des Bescheides vom 28.07.1995 im
Rahmen des § 44 SGB X abgelehnt. Der Bescheid vom 28.07.1995 lässt jede Ermessensausübung vermissen, die
Beklagte hat dazu selbst in der Berufungsbegründung ausgeführt:"Dabei hat die Beklagte eine Ermessensausübung
nicht erkennen lassen." Diese Unterlassung führt zur Rechtswidrigkeit des Bescheides vom 28.07.1995, wobei sich
die Frage der Heilbarkeit im Sinne des § 41 SGB X in der ab 01.01.2001 geltenden Fassung nicht stellt. Eine
Ermessensreduzierung auf Null ist bei der gegebenen Sachlage nicht anzunehmen, wobei der 4. Senat (Urteil vom
30.10.1997, Az.: 4 RA 71/96) sogar bei einer Ermessensreduzierung auf Null eine Ermessensentscheidung der
Verwaltung verlangt; fehle sie, sei der Verwaltungsakt als rechtswidrig aufzuheben. Im Hinblick darauf, dass der
Kläger zutreffende Angaben bezüglich seiner freiwilligen Krankenversicherung und auch der Voraussetzungen einer
Pflichtversicherung in der KVdR gemacht hat, die Beklagte sowohl im Bescheid vom 24.07.1987 als auch im
Bescheid vom 28.09.1987 dem Kläger einen Beitragszuschuss bewilligt hat, war die Sach- und Rechtslage für den
Kläger nicht so klar überschaubar, dass von einer zu Ermessensreduzierung auf Null führenden Bösgläubigkeit
gesprochen werden könnte. Im Übrigen kommt hinzu, dass die Beklagte ihr eigenes Verschulden an der
Rechtswidrigkeit und an der Überzahlung in keiner Weise in Rechnung gestellt hat. Auch zeigt der Ablauf des
späteren Verfahrens bzgl. Beitragsnachforderung und Rückforderung des Beitragszuschusses, dass dem Kläger die
verschiedenen Ansprüche und gesetzlichen Voraussetzungen nicht klar gewesen sind. Der Sachverhalt ist so
gestaltet, dass mehr für leichte Fahrlässigkeit des Klägers als für schwerwiegende grobe oder Vorsatz spricht. Im
Ergebnis war der Bescheid jedenfalls wegen fehlenden Ermessensgebrauchs rechtswidrig und die Beklagte in der
Folge verpflichtet, den Bescheid aufzuheben.
Die Berufung der Beklagten ist demnach nur bezüglich der Aufhebung des Bescheides vom 01.11.1995 begründet und
im Übrigen zurückzuweisen.
Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs.2 SGG nicht erfüllt sind.