Urteil des LSG Bayern vom 21.03.2006

LSG Bayern: anhaltende somatoforme schmerzstörung, reaktive depression, berufsunfähigkeit, schlosser, befund, zustand, bandscheibenvorfall, erwerbsfähigkeit, telefonist, verfügung

Bayerisches Landessozialgericht
Urteil vom 21.03.2006 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Landshut S 7 RJ 1581/02
Bayerisches Landessozialgericht L 5 R 435/04
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18. Juni 2004 dahingehend
abgeändert, dass die Beklagte unter teilweiser Änderung des Bescheides vom 8. Mai 2002 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2002 verurteilt wird, dem Kläger Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. August 2003 zu gewähren. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten
zurückgewiesen. II. Die Beklagte hat dem Kläger dessen notwendige außergerichtliche Kosten des
Berufungsverfahrens zu zwei Dritteln zu erstatten. III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
1.
Der 1960 geborene Kläger ist gelernter Schlosser und war in diesem Beruf seit 1. September 1977 im Eisenbahn-
Bereich bei der R. AG in deren Firma R. Fahrzeug-Werkstätten GmbH beschäftigt. Bei ihm ist ein Gesamtgrad der
Behinderung von 30 wegen LWS-Erkrankung mit somatoformen Schmerzstörungen und einer Funktionsbehinderung
des Kniegelenks rechts anerkannt (Bescheid vom 2. April 2003).
Vom 11. April bis 2. Mai 2000 durchlief der Kläger ein Heilverfahren der Beklagten in der orthopädischen Klinik T.
wegen generalisierten Wirbelsäulensyndroms, initialer Fußwurzelarthrose links, alimentärer Adipositas und diskreter
asymptomatischer Hyperurikämie. Der Entlassungsbericht beschreibt den Kläger als arbeitsfähig bei Aufnahme,
während der Maßnahme sowie bei Entlassung. Der Kläger könne seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als
Betriebsschlosser erneut aufnehmen, schweres Heben und Tragen über 20 kg ohne technische Hilfsmittel sowie
langanhaltendes Arbeiten in Zwangshaltungen sollten allerdings reduziert werden.
Am 24. November 2001 stellte der Kläger den streitigen Rentenantrag. Nach Beiziehung der einschlägigen
medizinischen Befund- und Behandlungsberichte veranlasste die Beklagte eine ambulante Untersuchung in der
Ärztlichen Gutachterstelle R. am 18. Dezember 2001. Dort diagnostizierte Dr. B.:
- Cervikobrachialsyndrom bei Bandscheibenvorfall C5/C6 und C6/C7 mit Funktionsminderung ohne neurologische
Ausfälle oder belangvolle Wurzelschädigung. - Lendenwirbelsäulenbeschwerden bei Abnützungen und Funktions
minderung. - Sulcus-ulnaris-Syndrom beidseits in Remission. - Leichte Fußwurzelarthrose links. - Übergewicht.
Die Leistungsfähigkeit sei zweifelsohne herabgesetzt, für den erlernten Beruf als Schlosser sei der Kläger nur
halbschichtig einsatzfähig. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne er ohne weiteres leichte Arbeiten vollschichtig
ausüben, ohne häufiges Bücken und ohne Über-Kopf-Arbeiten.
Auf dieser Basis lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 8. Mai 2002 den Rentenantrag ab mit der Begründung, der
Kläger könne mit dem festgestellten Leistungsvermögen im erlernten Beruf als Betriebsschlosser mit Kontrollfunktion
Tätigkeiten im Umfang von mindestens sechs Stunden täglich ausüben.
Im anschließenden Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, er müsse eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit beanspruchen können, weil er als Betriebsschlosser Berufsschutz genieße.
Unter Einbezug weiterer ärztlicher Befund- und Behandlungsberichte ergab eine sozialmedizinische Stellungnahme,
der Kläger könne nur noch leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig ausüben, könne sich aber auf
Verweisungstätigkeiten wie Qualitätsprüfer, Kassierer in SB-Tankstellen, Hausmeister sowie Mechaniker im
industriellen Gerätebau umstellen. Dem folgend wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2002
den Widerspruch als unbegründet zurück.
2.
Im anschließenden Klageverfahren vor dem Sozialgericht Landshut hat der Kläger beantragt, ihm eine
Erwerbsminderungsrente zu gewähren. Aufgrund der Gesundheitsstörungen und Krankheitsmerkmale sei er auf Dauer
außer Stande, einer beruflichen Tätigkeiten nachzugehen. Nach Beiziehung der Schwerbehindertenakten und
Einholung aktueller Befund- und Behandlungsberichte hat der Orthopäde Dr. W. ein Sachverständigengutachten
aufgrund ambulanter Untersuchung vom 15. Juli 2003 erstellt (31. Juli 2003) mit den Diagnosen:
- degenerativ fehlstatisches Halswirbelsäulensyndrom bei bekanntem Bandscheibenvorfall C5/C6 und C6/C7 mit
Funktionsminderung ohne Nervenwurzelreizerscheinungen.
- Aufbrauchsveränderungen an Brust - und Lendenwirbelsäule mit Fehlstatik und schmerzhafter
Bewegungseinschränkung ohne Nervenwurzelreizerscheinungen.
- Initiale mediale Gonarthrose und Retropatellararthrose beidseits.
- Posttraumatische Arthrose des rechten Sprunggelenkes.
- Spreizfuß beidseits.
- Epicondylopathie am rechten Ellenbogen.
- Zustand nach Carpaltunnelsyndromoperation am linken Handgelenk.
- Reizerscheinungen an beiden Schultergelenken ohne nennenswertes funktionelles Defizit.
- Übergewicht.
Im Vordergrund stünden die Aufbrauchserscheinungen im Bereich des Achsenorgans bei besonderer Betroffenheit der
Halswirbelsäule. Es zeigten sich zudem Reizerscheinungen der Schultergelenke, Zustand nach Carpaltunnelsyndrom
linkes Handgelenk sowie Epicondylopathie rechts. Eine wesentliche Funktionseinschränkung lasse sich durch letztere
Gesundheitsstörungen jedoch nicht ableiten. Im Vergleich zum Gutachten des Dr. B. vom 20. Dezember 2001 seien
degenerative Veränderungen beider Kniegelenke hinzugetreten, die radiologisch nachweisbar seien. Der Kläger sei
noch in der Lage, leichte Arbeiten regelmäßig in wechselnder Arbeitshaltung, zeitweise im Stehen, zeitweise im
Gehen und zeitweise im Sitzen durchzuführen. Die Arbeiten sollten in geschlossenen Räumen ohne schweres Heben
und Tragen, ohne häufiges Bücken und ohne Über-Kopf-Arbeiten durchgeführt werden. Der Kläger könne diese
Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Als Schlosser könne er nicht mehr tätig sein, in Betracht
kämen jedoch Tätigkeiten in der Prüfung und Kontrolle von elektromechanischen Geräten und Bauteilen, ferner als
Kassierer an Selbstbedienungstankstellen. Die erforderliche Umstellungsfähigkeit besitze er.
Demgegenüber hat der Kläger eingewandt, er könne die Verweisungstätigkeiten nicht ausüben, Prüf- und
Kontrolltätigkeiten seien Tätigkeiten in Zwangshaltungen. Kassierertätigkeiten erforderten gelegentlich auch
mittelschwere Arbeiten. Dazu hat die Beklagte auf Grund sozial-ärztlicher Stellungnahme der Chirurgin Dr. L. erwidert,
der Kläger könne die vorgeschlagenen Verweisungstätigkeiten doch noch erbringen.
Mit Urteil vom 18. Juni 2004 hat das Sozialgericht die Beklagte verurteilt, dem Kläger eine Rente wegen teilweiser
Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab 1. Dezember 2001 auf Dauer zu gewähren. Ausgehend von dem
Gutachten des Dr. W. vom 31. Juli 2003 sei der Kläger berufsunfähig, weil er seinen Facharbeiterberuf als Schlosser
nicht mehr ausüben könne. Die benannten Verweisungstätigkeiten kämen nicht mehr in Betracht. Der Kläger könne
sich von den bisher ausgeübten grob mechanischen Schlosserarbeiten nicht auf feinmechanische Tätigkeiten in
absehbarer Zeit umstellen. Prüf- und Kontrolltätigkeien stünden außenstehenden Bewerbern vom Arbeitsmarkt nicht
zur Verfügung. Mangels Verweisungstätigkeit habe der Kläger Anspruch auf die begehrte Rente.
3.
Dagegen hat die Beklagte Berufung eingelegt mit der Begründung, der Kläger könne noch zumutbare
Verweisungstätigkeiten verrichten. Mit dem von Dr. W. festgestellten Leistungsvermögen könne er noch Tätigkeiten in
der Montage und Herstellung elektromechanischer oder mechanischer Kleinteile ohne zeitliche Einschränkung
ausüben.
Der Senat hat nach Beiziehung der Verwaltungsakten der Beklagten, des AVF L. und Einholung aktueller Befund- und
Behandlungsberichte ein neurologisches Sachverständigengutachten des Dr. S. (9. Februar 2005) sowie auf Antrag
des Klägers ein neurochirurgisches Gutachten des K. H. (16. Dezember 2005) eingeholt.
Dr. S. hat diagnostiziert:
- cervikale und lumbale Wurzelreizzustände (ohne Nachweis von Wurzelkompressionsschäden durch
Wirbelsäulenverschleiß) - Zustand nach Neurolyse eines Carpaltunnelsyndroms links mit funktionell bedeutungslosem
sensiblem Defizit des Nervus medianus links - seit 2002: anhaltende somatoforme Schmerzstörung, - seit 14. April
2004 und unverändert seit 28. September 2004 sensible nervus-medianus-Schädigung rechts mit Einschränkung des
Tastsinnes, - seit Jahren leichte Abspreizschwäche des rechten Daumes in folge Strecksehnendurchtrennung.
Der Kläger könne infolge hiervon noch acht Stunden täglich leichte Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung, zeitweise
im Stehen, zeitweise im Gehen und zeitweise im Sitzen ausüben. Diese sollten in geschlossenen Räumen ohne
schweres Heben und Tragen, häufiges Bücken und Über-Kopf-Arbeit durchgeführt werden. Stark die Nervenkraft
belastende Arbeiten unter erheblichem Zeitdruck mit besonderer Überwachungstätigkeit im Publikumsverkehr oder im
Mehrschichtbetrieb (bei möglichem Zweischichtbetrieb) seien nicht zumutbar. Die somatoforme Schmerzstörung sei
möglicherweise besserbar, was bei gewisser Chronifizierung und doch erkennbarem Rentenwunsch aber zumindest
nicht überwiegend wahrscheinlich sei. Die Sensibilitätsstörungen der rechten Hand seien durch medizinische
Maßnahmen nicht mehr besserbar, allerdings binnen eines Zweijahreszeitraums könnten diese spontan abklingen,
wobei zur Wahrscheinlichkeit keine Aussagen getroffen werden könnten. Die Umstellungsfähigkeit des Klägers sei
ebensowenig wie die Gebrauchsfähigkeit der Hände außergewöhnlich eingeschränkt.
Der Sachverständige H. hat diagnostiziert:
- Chronisches Schmerzsyndrom mit Ausgang von der Halswirbelsäu le, ausstrahlend in beide Schultern und Arme
sowie in den Hinterkopf mit Spannungskopfschmerz bei degenerativer HWS-Er krankung mit Maximum im Bereich
C5/C6 und C6/C7 bei Spinalka nalstenose mit vorgefallenen Bandscheiben. - Carpaltunnelsyndrom rechts, leichtes
Restdefizit im Versor gungsgebiet der Medianusnerven links. - Ulnarisrinnensyndrom beidseits. - Tennisellenbogen
rechts. - Reizerscheinungen beider Schultergelenke. - Linkskonvexe Skoliose BWS und LWS mit deutlicher Irritation
im Übergang der Brust- zur Lendenwirbelsäule. - Wiederkehrende Lumboalgien und Lumboischialgien bei Arthrose der
Wirbelgelenke und Bandscheibenvorfall L4/L5. - Beginnender Verschleiß des Kniegelenkknorpels. - Verschleiss
Sprunggelenk rechts. - Übergewicht, Nabelbruch, reaktive Depression und - somatoforme Schmerzstörung.
Ein halbes Jahr nach der Untersuchung des Dr. S. sei an der Hand rechts keine Besserung eingetreten. Bei deutlicher
Greifschwäche und sichtbarer Daumenballenathropie liege nicht nur eine Störung der feinmotorischen Fähigkeiten,
sondern auch der groben Greifkraft vor. Da eine offene Revisionsoperation durchgeführt worden sei, müsse aus
neurochirurgischer Sicht eine mechanische Kompression der Nerven ausgeschlossen sein, so dass eine weitere
Operation die Situation nicht bessern könne. Der Kläger sei als Schlosser nicht mehr belastbar. Das
Restleistungsvermögen erlaube zumutbare andere Tätigkeiten nicht. Vollschichtig leistbar seien Tätigkeiten, bei
denen der Kläger lediglich Prozesse beaufsichtigen und bedarfsweise zum Beispiel durch Knopfdruck steuern müsse.
Arbeitsverhältnisse mit Beanspruchung der Gebrauchshand seien unter drei Stunden täglich ausübbar. Der Kläger sei
Rechtshänder, der rechte Arm sei erheblich gemindert durch mehrere Gesundheitsstörungen, nämlich Defektsyndrom
rechts, Medianusnerverkrankung nach zweimaliger Carpaltunneloperation mit Zerstörung der Feinmotorik und
Feinsensibilität an Daumen-, Zeige- und Mittelfinger, Schwäche der groben Kraft der Greiffunktion, chronisches
Schmerzsyndrom der Nackenregion sowie Irritationssyndrom der Schultern.
Auf Anforderung einer konkreten Verweisungstätigkeit hat die Beklagte unter Bezugnahme auf eine
sozialmedizinische Stellungnahme des Chirurgen, Internisten, Nephrologen und Notfallmediziners Dr. S. Tätigkeiten
als Hochregallagerarbeiter, Gabelstaplerfahrer und Telefonist benannt. Dabei hat sich die Beklagte auf die
Stellungnahme des Dr. S. bezogen, wonach die Feststellungen des Sachverständigen H. im Gegensatz zu denen des
Dr. S. stünden, welche eine Kraftminderung rechts nicht habe feststellen können mit Ausnahme einer mittelgradig
eingeschränkten Kraftfunktion für die Daumenabspreizung rechts, welche jedoch Folge einer Schnittdurchtrennung
einer Daumenstrecksehne sei. K. H. widerspreche sich in seinem Gutachten, wenn er einerseits von der
Unverzichtbarkeit der Gebrauchshand spreche, aber eine überwiegend sitzende Tätigkeit vollschichtig zumutbar
erachte.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18. Juni 2004 aufzuheben und die Klage gegen
den Bescheid vom 8. Mai 2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2002 abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 18. Juni 2004
zurückzuweisen.
Beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2006 waren die Verwaltungsakten der
Beklagten. Darauf sowie auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und auf die Akten des AVF L. wird zur Ergänzung
des Tatbestandes Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz - SGG -), aber nur
teilweise begründet.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 8. Mai 2002 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 9. Dezember 2002, mit welchem die Beklagte den Antrag des Klägers vom 24.
November 2001 auf Gewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit abgelehnt hat. Diese Entscheidung
ist rechtswidrig, wie das Sozialgericht mit dem angefochtenen Urteil vom 18. Juni 2004 teilweise zu Recht festgestellt
hat, denn der Kläger wird in seinem Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung infolge Berufsunfähigkeit
ab 1. August 2003 durch diese Entscheidung verletzt.
1.
Der geltend gemachte Rentenanspruch des Klägers richtet sich nach den §§ 43, 240 SGB VI in der ab 1. Januar 2001
geltenden neuen Fassung durch das Gesetz zur Reform der Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vom 20.
Dezember 2000 (BGBl I S. 1829), vgl. § 300 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 SGB VI. Ein Rückgriff auf den vor In-Kraft-Treten
der neuen Rechtslage gestellten Rehabilitationsantrag ist nicht möglich, weil das Heilverfahren in der orthopädischen
Klinik Tegernsee im Mai 2000 geendet hatte und mit der Entlassung als arbeitsfähig abgeschlossen war. Davon geht
auch der Kläger selbst aus.
Wie sich aus dem Akteninhalt ergibt, erfüllt der Kläger auch die medizinischen und besonderen
versicherungsrechtlichen Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit
gemäß § 43 Abs. 1 i.V.m. § 240 SGB VI. Er hat insbesondere die erforderliche Wartezeit zurückgelegt und ist vor
dem 2. Januar 1961 geboren.
Der Kläger genießt aufgrund des erlernten und bis zuletzt ausgeübten Berufes als Betriebsschlosser Berufsschutz als
Facharbeiter, wie sich aus den Akten ergibt. Diesen Facharbeiterberuf kann der Kläger nach den übereinstimmenden
Feststellungen der im gerichtlichen Verfahren, aber auch im Verwaltungsverfahren gehörten Sachverständigen nicht
mehr ausüben, da ihm das mit dem Schlosserberuf einhergehende schwere Heben und Tragen von Gegenständen
gesundheitsbedingt nicht mehr zumutbar ist. Dies entspricht auch der Einschätzung der Beklagten im gesamten
Verfahren.
2.
Entgegen der Berufung kann der Kläger auch die begehrte Rente beanspruchen, weil es keine Tätigkeit gibt, die ihm
sozial zumutbar wäre und die er gesundheitlich wie fachlich noch bewältigen könnte. Insofern richtet sich die soziale
Zumutbarkeit einer Verweisungstätigkeit nach der Wertigkeit des bisherigen Berufes; nach ständiger Rechtsprechung
darf der Kläger auf die nächst niedrige Gruppe der angelernten Arbeiter verwiesen werden (zur Verweisbarkeit vgl.
BSG Urteile vom 29. März 1994 - B 13 RJ 35/93 sowie B 5 RJ 34/97 R). In Würdigung der gehörten Sachverständigen
ist der Senat überzeugt, dass der Kläger aufgrund seiner Gesundheitsstörungen nicht mehr in der Lage ist, die von der
Beklagten benannten Verweisungstätigkeiten auszuüben; anderweitige Verweisungstätigkeiten sind nicht ersichtlich.
Diese Einschätzung ist zu beziehen auf den Zeitpunkt der fachorthopädischen Untersuchung des Dr. W. am 15. Juli
2003.
Nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. W. konnte dieser in Auswertung der vorhandenen Vorbegutachtung,
Befunde und Behandlungsberichte sowie aufgrund eigener anamnestischer klinischer und röntgenologischer
Untersuchung feststellen, dass im Vordergrund der Beschwerden des Klägers die Erkrankungen der Wirbelsäule
stehen. Die am Untersuchungstag erstellten Röntgenaufnahmen zeigen eine Verschmälerung der Zwischenräume im
Bereich der mittleren und unteren HWS, sowie eine deutliche Unconvertebralathrose im Bereich der mittleren und
unteren HWS, festzustellen sind ein kurzer lordotischer Knick bei C1/C2, eine deutliche Spondylose bei C5/C6, eine
Osteochondrose C5/7 sowie eine Anthrose der Wirbelgelenke C6/C7. Im Bereich der Brustwirbelsäule war eine
Verschmälerung der Zwischenwirbelräume mit vermehrter subchondraler Sklerosierung im Sinne einer Ostechondrose
festzusehen, bei deutlicher Spondylophytenbildung. Im Bereich der Lendenwirbelsäule war eine diskrete
Unregelmäßigkeit im Bereich der Grundplatte L4 und Deckplatte L5 bei verschmälertem Zwischenwirbelraum
festzustellen ebenso wie initiale Aufbrauchsveränderungen im Bereich der Facettengelenke L4/5 und L5/S1. Hieraus
sowie aus den funktionellen Untersuchungen hat Dr. W. stichhaltig geschlossen, dass der Kläger vor allem aufgrund
der Wirbelsäulenveränderungen nur regelmäßig leichte Arbeiten in wechselnder Arbeitshaltung, zeitweise im Stehen,
zeitweise im Gehen und zeitweise im Sitzen durchführen konnte, wobei die Arbeiten in geschlossenen Räumen ohne
schweres Heben und Tragen, ohne häufiges Bücken und ohne Überkopfarbeiten durchgeführt werden sollten. Diese
Diagnosen und Einschätzungen entsprechen im Wesentlichen denen des Dr. S. sowie auch in weiten Zügen des K. H.
in dem zweitinstanzlich erstellten Gutachten.
Mit diesen Leistungseinschränkungen ist der Kläger nicht in der Lage, als Staplerfahrer tätig zu sein, ebensowenig als
Telefonist, weil diese Tätigkeiten ausschließlich im Sitzen auszuüben wären. Aber als Hochregallagerarbeiter kann der
Kläger wirbelsäulenbedingt nicht mehr tätig sein.
Entsprechend der berufskundlichen Stellungnahme der Bundesagentur für Arbeit vom 11. Mai 2005 werden
Hochregallagerarbeiter in kleinen Betrieben immer wieder mit schwerem Heben und Tragen sowie Bücken beim Be-
und Entladen oder Lagerarbeiten betraut. Dafür ist der Kläger nicht geeignet. In kleineren und mittleren Betrieben
müssen die Hochregallagerarbeiter mit Hubstaplern, Niederhubwagen oder Hochregalfahrzeugen tätig sein. Sie sind
dabei ausschließlich mit Arbeiten im Sitzen betraut. Ein Wechsel der Sitzhaltung ist nur sehr beschränkt möglich, so
dass eine für den Kläger unzumutbare Belastung der Wirbelsäule vorliegt.
Auch in sehr großen Betrieben, in denen Hochregallagerarbeiter im Wesentlichen nur computergesteuerte Kontroll- und
Führungsarbeiten ausüben, ist der Kläger nicht einsetzbar. Denn gefordert wird eine überwiegend sitzende
Arbeitshaltung, was dem von Dr. W. überzeugend geforderten Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen nicht
entspricht. Zudem wird diese Tätigkeit überwiegend in Wechselschicht, häufig auch in Nachtschicht ausgeübt, was
der Kläger nicht mehr erbringen kann. Im Übrigen hält der Senat die Feststellungen der Bundesagentur für Arbeit
insofern für wenig überzeugend, als dort eine computersteuernde Tätigkeit postuliert wird, die auch von Fachfremden
innerhalb von drei Monaten erlernbar sei sollte. Denn zumindest Grundwissen im Lager und Warenwesen wird von
einem Hochregallagerarbeiter zu verlangen sein, damit er die Steuerung und Überwachung eines umfangreichen
Lagers bewältigen kann. Die hierfür notwendigen Computersysteme werden wohl kaum simpelster Natur sein, so dass
nachhaltig zu bezweifeln ist, ob der Kläger innerhalb der zumutbaren Anlernzeit von drei Monaten die entsprechende
Qualifizierung erlernen könnte. Auch hält es der Senat für bedenklich, wenn in einer Stellungnahme zu dem
bezeichneten Beruf des Hochregallagerarbeiters drei verschiedene Berufsbilder unterschieden werden, nämlich die
eines solchen in Großbetrieben, in Mittelbetrieben und in kleinen Betrieben. Es fehlt zudem eine Stellungnahme zur
Angabe des befragten Industrieverbandes in Berlin und Brandenburg, schätzungsweise stünden bundesweit mehrere
100 Arbeitsplätze dieser Art zur Verfügung. Einer abschließenden Entscheidung bedarf es jedoch insoweit nicht, da
der Kläger, wie oben dargestellt, bereits aus anderen Gründen die Tätigkeit des Hochregallagerarbeiters in großen
Betrieben nicht leisten kann. Auch die übrigen von der Beklagten im Laufe des Verfahrens benannten Tätigkeiten
kommen als zumutbare Verweisungstätigkeiten nicht in Betracht. Bei kontroll- sowie qualitätsprüfenden Tätigkeiten
handelt es sich um Tätigkeiten einfachster Art, nicht jedoch um Anlerntätigkeiten; auf Arbeiten der niedrigsten
Qualitätsstufe braucht sich der Kläger infolge Facharbeiterschutzes nicht verweisen zu lassen.
Der Kläger erfüllt damit die Voraussetzungen einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ab
Untersuchungsdatum des Dr. W. , der seine Einschätzungen auf Untersuchungen und bildgebende Verfahren vom 15.
Juli 2005 gestützt hat, so dass auf die Berufung der Beklagten der Rentenbeginn auf 1. August 2003 festzusetzen
war. Eine zeitliche Befristung war nicht auszusprechen, weil Dr. W. in Übereinstimmung mit den späteren
Feststellungen der Sachverständigen Dr. S. und H. im Bereich der Wirbelsäule einen nicht mehr besserbaren Zustand
angegeben hat, was dem Charakter der Erkrankungen als degenerative und nicht mehr reversible Defekte entspricht.
3.
Über einen weitergehenden Anspruch des Klägers auf Rente wegen voller Erwerbsminderung ist infolge des zuletzt
gestellten Antrages des Klägers nicht zu entscheiden; im Übrigen könnte der Kläger noch leichte Tätigkeiten des
allgemeinen Arbeitsmarktes jeweils über sechs Stunden täglich ausüben, wie Dr. W. und Dr. S. überzeugend
festgestellt haben. Auch K. H. sieht den Kläger in der Lage, bei einer überwiegend sitzenden Tätigkeit, bei der der
Kläger lediglich Prozesse beaufsichtigen und bedarfsweise z.B. durch Knopfdruck eingreifen müsste, vollschichtig zu
leisten. Der Kläger ist damit nicht voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 SGB VI.
Auf die Berufung der Beklagten war deshalb der Rentenbeginn auf den 1. August 2003 abzuändern, im Übrigen aber
die Berufung zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht ersichtlich (§ 160 SGG).