Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 21.07.2015

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LSG Baden-Württemberg Urteil vom 21.7.2015, L 11 KR 1257/15
Krankenversicherung - Krankengeld - Ruhen bei Auslandsaufenthalt -
Verweigerung der Zustimmung nach § 16 Abs 4 SGB 5 durch die Krankenkasse
bei Verzögerung des Antritts einer stationären Reha-Maßnahme der RV aufgrund
einer Urlaubsreise - kein Ermessensfehlgebrauch
Leitsätze
Verweigert die Krankenkasse einer Versicherten, die Krankengeld erhält, die
Zustimmung zu einem Auslandsaufenthalt (hier: 4-wöchige USA-Reise), liegt kein
Ermessenfehler vor, wenn sich die Krankenkasse darauf stützt, dass durch die
Urlaubsreise eine vom Rentenversicherungsträger bereits bewilligte stationäre Reha-
Maßnahme nicht sofort, sondern erst nach dem Urlaub angetreten werden konnte.
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom
13.02.2015 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
1 Die Beteiligten streiten über das Ruhen eines Krankengeldanspruchs während
eines Auslandsaufenthaltes.
2 Die am … 1955 geborene Klägerin ist bei der Beklagten pflichtversichert. Bei ihr
wurde ab 30.01.2013 bis 23.03.2015 Arbeitsunfähigkeit zunächst wegen einer
schweren depressiven Episode ohne psychotische Symptome (F32.2G)
festgestellt. Die Beklagte gewährte ihr ab 13.03.2013 (Bescheid vom 20.03.2013)
Krankengeld iHv 55,01 EUR je Kalendertag.
3 Die Deutsche Rentenversicherung Bund teilte der Beklagten mit Schreiben vom
02.05.2013 mit, dass der Klägerin eine stationäre Leistung zur medizinischen
Rehabilitation für die Dauer von fünf Wochen in der Fachklinik A. bewilligt worden
sei. Auf Anfrage der Beklagten teilte die Klinik am 16.05.2013 mit, dass die
Aufnahme der Klägerin im Juli 2013 vorgesehen und eine frühere Anreise wegen
eines gebuchten Urlaubs nicht möglich sei.
4 Daraufhin forderte die Beklagte die Klägerin auf, ein ärztliches Attest einzureichen,
aus dem hervorgehe, in welchem Zeitraum sie verreise, an welchem Ort sie sich
während des Urlaubs aufhalte und dass gegen die Reise keine ärztlichen
Einwände bestünden.
5 Die Klägerin teilte am 23.05.2013 mit, dass Sie vom 07.06.2013 bis zum
06.07.2013 in die U. reise und diese Reise bereits ein Dreivierteljahr
geplant/gebucht gewesen sei. Gleichzeitig übersandte sie ein ärztliches Attest vom
Allgemeinmediziner Dr. G.. Er führte aus, dass die Reise bereits lange vor
Ausbruch der derzeitigen Krankheit gebucht worden sei und ärztlicherseits keine
Einwände bestünden, da die Reise dem seelischen Gleichgewicht eher gut tue.
6 Der Lebensgefährte der Klägerin hatte die Reise im Januar 2013 gebucht. Die
Flugtickets wurden am 08.02.2013 bezahlt, die Buchungsbestätigungen am
18.02.2013 und 20.02.2013 erstellt. Eine Reiserücktrittsversicherung bestand
nicht.
7 Die Klägerin wurde am 16.07.2013 in der Klinik A. aufgenommen und am
20.08.2013 arbeitsunfähig entlassen. Für die Zeit der Maßnahme zahlte die
Deutsche Rentenversicherung Bund Übergangsgeld. Die Reha-Ärzte teilten im
Entlassbrief mit, dass die Klägerin derzeit noch die kurzfristige Krankschreibung
benötige, um eine bereits mehrfach dringend empfohlene ambulante
Psychotherapie einzuleiten sowie die Maßnahmennachsorge IRENA zu beginnen.
Des Weiteren bestünde die Notwendigkeit einer Abklärung einer demenziellen
Entwicklung. Nach der Einschätzung der Reha-Ärzte konnte entgegen der Ansicht
der Klägerin nach einem Ablauf von höchstens vier Wochen mit dem Erreichen der
Arbeitsfähigkeit gerechnet werden.
8 Für die Zeit vom 07.06.2013 bis 06.07.2013 zahlte die Beklagte kein Krankengeld
an die Klägerin.
9 Mit Schreiben vom 06.08.2013 erhob die Klägerin „Widerspruch wegen der
fehlenden Krankengeldzahlung von Juni bis Juli 2013“. Sie teilte mit, dass die
Urlaubspläne in ihrer Firma bis spätestens Anfang der zweiten Januarwoche 2013
durch alle Mitarbeiter der Arbeitsgruppe zu erfolgen hatten. Deshalb habe sie
bereits im November 2012 mit den Urlaubsplanungen begonnen, die dann bereits
Anfang Januar 2013 gebucht und abgeschlossen gewesen seien. Zudem habe
der Hausarzt die Reise in ein warmes solides Land als sehr positiv für den
Heilungsprozess bewertet und dies auch attestiert.
10 Mit Schreiben vom 09.08.2013 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass für die Zeit
des U.-Aufenthalts der Krankengeldanspruch nach den Regelungen des § 16 SGB
V ruhe.
11 Mit Schreiben vom 05.09.2013 wiederholte die Klägerin den Widerspruch und wies
ergänzend darauf hin, dass bei Stornierung der Reise hohe Kosten angefallen
wären und sie bei Vertragsabschluss im Januar nicht habe wissen können, dass
sich ihre Krankheit so lange hinziehen würde. Die Beklagte wertete das Schreiben
als Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.08.2013 und forderte ein Gutachten
des MDK an.
12 Dr. P. vom MDK erstattete am 13.09.2013 ein Gutachten und stellte fest, aus den
Unterlagen sei ersichtlich, dass die notwendige Therapie durch die durchgeführte
Reise wesentlich verzögert worden sei. Dies gelte für die geplante Aufnahme in der
psychosomatischen Rehaklinik (Verzögerung um vier Wochen). Bei einer
psychischen Erkrankung könne eine Reise mit damit verbundenen Umstellungen
sowie einer Vielzahl neuer Reize und Eindrücke das Krankheitsbild durchaus
deutlich verschlechtern. Die von der Klägerin angenommene positive Auswirkung
auf die Rekonvaleszenz sei im Vorfeld keinesfalls gesichert gewesen, sei auch
fachärztlicherseits nicht empfohlen worden und sei auch nicht eingetreten. Es sei
nicht dokumentiert, dass eine Behandlung im Ausland gewährleistet gewesen sei.
Eine deutliche Verlängerung der AU-Dauer durch die vierwöchige Auslandsreise
sei insgesamt anzunehmen. Eine Facharztbehandlung sowie Einleitung einer
Psychotherapie sei weiterhin dringend erforderlich.
13 Mit Widerspruchsbescheid vom 11.10.2013 wies die Beklagte den Widerspruch
zurück. Zur Begründung führte sie aus, dass der Anspruch auf Krankengeld
während eines Auslandsaufenthaltes ruhe, es sei denn ein Versicherter halte sich
nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland
auf. Die Entscheidung über die Erteilung einer Zustimmung sei eine gerichtlich
überprüfbare Ermessensentscheidung. Eine ungerechtfertigte Inanspruchnahme
von Krankengeld sei auszuschließen, da die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit im
Ausland nicht in Zweifel zu ziehen gewesen sei und damit eine missbräuchliche
Inanspruchnahme ausgeschlossen werden habe können. Im Vordergrund stehe
die Frage, ob durch den Auslandsaufenthalt die Gefahr einer Verlängerung der
Arbeitsunfähigkeit bestehe, etwa weil eine notwendige medizinische Behandlung
dadurch unterbrochen werde oder weil die Reise dem Genesungsprozess
abträglich sein. Aufgrund der Verzögerung der geplanten Aufnahme in der
psychosomatischen Klinik von vier Wochen durch die U.-Reise sei eine
wesentliche Verzögerung der notwendigen Behandlung eingetreten. Es sei nicht
auszuschließen, dass durch eine sofortige Behandlung die noch bis heute
andauernde Arbeitsunfähigkeit hätte verkürzt werden können. Eine Zustimmung
für die U.-Reise habe deshalb von der Beklagten nicht erteilt werden können.
14 Am 13.11.2013 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Karlsruhe erhoben.
15 Sie ist der Auffassung, dass ihr ein Krankengeldanspruch auch für die Zeit des
Urlaubs in den U. zustehe. Sie habe die Reise rechtzeitig angezeigt. Die Beklagte
hätte bereits vor Bescheiderteilung eine Ermessensentscheidung treffen und den
MDK einschalten müssen. Zum Zeitpunkt der Buchung der Reise im Januar 2013
habe sie nicht erahnen können, dass sie danach an einer Depression so schwer
erkranken würde, dass ihr die Arbeitsleistung unmöglich werde. Die Beklagte gehe
fälschlicherweise davon aus, dass eine Facharzttherapie nicht dokumentiert sei.
Es sei auch nicht bedacht worden, dass die Stornierung der Reise die Depression
der Klägerin aufgrund der finanziellen Belastungen, der Enttäuschung des
mitreisenden Partners und wegen entgangener Urlaubsfreude verschlimmert hätte.
Eine Verschiebung des Urlaubs auf die Zeit nach der Kurmaßnahme sei nicht
möglich gewesen, da der Lebensgefährte als Reisepartner keinen Urlaub gehabt
hätte. Die Kurmaßnahme habe keine Besserung gebracht, sie sei immer noch
arbeitsunfähig. Eine ex-post-Betrachtung sei unzulässig.
16 Das Sozialgericht hat die behandelnden Ärzte Dr. G., den Neurologen und
Psychiater Dr. E. sowie die Ärzte der Klinik A. befragt.
17 Dr. G. hat die Auffassung vertreten, dass die Absage der Reise und der Beginn der
stationären Behandlung bereits ab Anfang Juni 2013 keine vorzeitige und
wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes der Klägerin zur Folge gehabt
hätte. Die Reise sei im Hinblick auf die Gesundheitsstörung der Patienten eher
positiv zu werten gewesen.
18 Die Reha-Ärzte sind der Ansicht gewesen, dass die nahe liegende Annahme
bestünde, dass eine konsequente und zeitlich dichte ambulante oder stationäre
Psychotherapie zu einem früheren Zeitpunkt zu einer Besserung des
Gesundheitszustandes der Klägerin hätte beitragen können. Die Absage der Reise
und der sofortige Beginn der stationären Behandlung Anfang Juni 2013 hätte keine
vorzeitige oder wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes zur Folge
gehabt. Eine Aufnahme sei im Mai 2013 möglich gewesen.
19 Auch Dr. E. hat keinen wesentlichen Nachteilen der gesundheitlichen Entwicklung
der Klägerin durch den Aufschub des Antritts des Heilverfahrens gesehen.
20 Mit Urteil vom 13.02.2015 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass es sich bei der Zustimmung zu einem
Auslandsaufenthalt um einen Verwaltungsakt handle, der im pflichtgemäßen
Ermessen der Beklagten stehe. Deshalb sei die richterliche Überprüfung
beschränkt. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sei der
Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung. Die Beklagte habe die
Ermessensentscheidung im Widerspruchsbescheid nachgeholt. Sie habe auch
alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Gesichtspunkte in Form der
Gefahr eines Leistungsmissbrauches, der Dauer der Unterbrechung der ärztlichen
Behandlung sowie der Gefahr einer Verlängerung der Arbeitsunfähigkeit als Folge
des Auslandsaufenthaltes bei der Entscheidungsfindung mit einbezogen. Die
Beklagte habe sich zulässig auf das schlüssige MDK-Gutachten gestützt. Auf den
Umstand, dass sich die Einschätzung der Beklagten in der Folgezeit nicht
bewahrheitet habe, komme es im Hinblick auf den maßgeblichen Zeitpunkt für die
Beurteilung der Ermessensentscheidung nicht an. Ebenso sei es nicht von
Bedeutung, dass die befragten Ärzte unter rückschauender Beurteilung des bei
der Klägerin bestehenden Krankheitsverlaufes zu der Einschätzung gelangt seien,
dass ein früherer Beginn der Rehabilitation und eine Absage der Reise keine
wesentliche Besserung des Gesundheitszustandes zur Folge gehabt hätte.
21 Gegen das am 02.03.2015 den Klägerbevollmächtigten zugestellte Urteil haben
diese am 02.04.2015 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg
eingelegt.
22 Die Klägerin ist der Ansicht, dass nicht absehbar gewesen sei, dass sie über den
Reiseantrittszeitpunkt hinaus arbeitsunfähig erkrankt bleiben würde. Der Umstand,
dass sie vom 19.02.2013 bis 23.05.2013 bei Dr. E. in Behandlung gewesen sei,
sei der Beklagten offensichtlich nicht bekannt gewesen, da diese noch im Oktober
2013 eine solche fachärztliche Diagnostik und Behandlung empfohlen habe. Auch
nach Stornierung der Reise und dem Antritt der Rehabilitationsmaßnahme zu
einem früheren Zeitpunkt hätte sie weitere ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen
müssen. Sie wäre nicht früher arbeitsfähig geworden. Vielmehr hätte die
Stornierung der Reise einen wesentlichen Nachteil im Heilungsverlauf gebracht.
Die Prognose der Rehabilitationseinrichtung habe sich nicht bestätigt. Der
Bescheid vom 09.08.2013 sei rechtswidrig, weil keinerlei
Ermessensgesichtspunkte erkennbar seien. Selbst wenn eine solche
Ermessensausübung nachträglich begründet werde, sei bezüglich der zugrunde
zu legenden Tatsachen auf den Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen
Verwaltungsaktes abzustellen. Deshalb könne sich die Beklagte nicht auf das erst
im Widerspruchsverfahren eingeholte MDK-Gutachten und den Entlassungsbericht
stützen.
23 Die Klägerin beantragt,
24 das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13.02.2015 und den Bescheid der
Beklagten vom 09.08.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
11.10.2013 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, über den Antrag der
Klägerin auf Zustimmung zum Auslandsaufenthalt unter Beachtung der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
25 Die Beklagte beantragt sinngemäß,
26 die Berufung zurückzuweisen.
27 Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung erklärt.
28 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalt und des Vorbringens der
Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz sowie die
Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
29 Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und
fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem
Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist
statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
30 Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 09.08.2013 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.10.2013, mit dem sinngemäß der
Antrag auf Zustimmung zum Auslandsaufenthalt während des Bezugs von
Krankengeld abgelehnt worden ist. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht
abgewiesen, denn der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in
ihren Rechten.
31 Soweit mit der Berufung entgegen der Klage nunmehr nicht mehr die Zahlung von
Krankengeld, sondern die Erteilung der Zustimmung gem. § 16 Abs 4 SGB V
begehrt wird, liegt gem § 99 SGG keine Klageänderung vor, da der Klagegrund
nicht geändert wird und ausschließlich die rechtlichen Ausführungen ergänzt oder
berichtigt werden bzw allenfalls der Klageantrag in der Hauptsache beschränkt
wird. Denn die Zustimmung der Beklagten zum Auslandsaufenthalt ist eine
Bedingung für den Zahlungsanspruch.
32 Gemäß § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn
die Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Nach § 16 Abs 1 Nr 1 SGB V ruht der
Anspruch auf Leistungen, solange Versicherte sich im Ausland aufhalten, und
zwar auch dann, wenn sie dort während eines vorübergehenden Aufenthalts
erkranken, soweit in diesem Gesetzbuch nichts Abweichendes bestimmt ist. Eine
Ausnahme von der gesetzlichen Ruhensanordnung findet sich in § 16 Abs. 4 SGB
V. Danach ruht der Anspruch auf Krankengeld nicht, solange sich Versicherte
nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit mit Zustimmung der Krankenkasse im Ausland
aufhalten. Der Wortlaut der Vorschrift („im Ausland aufhalten.“) legt die Annahme
nahe, dass die Zustimmung der Krankenkasse vor Beginn des
Auslandsaufenthalts vorliegen muss (Wagner in Krauskopf, Soziale
Krankenversicherung/Pflegeversicherung, § 16 SGB V Rn 32, Beck OK/Harich
SGB V, § 16 Rn 30-35; aA SG Mainz 12.11.2010, S 7 KR 231/08, juris; LSG Berlin
22.03.2000, L 9 KR 69/98). Die Frage kann jedoch offen bleiben. Ein Anspruch auf
Zahlung von Krankengeld bzw Erteilung einer Zustimmung besteht auch dann
nicht, wenn die Zustimmung auch nachträglich erteilt werden kann.
33 Die erforderliche Zustimmung der Krankenkasse steht im pflichtgemäßen
Ermessen der Beklagten gem § 39 SGB I. Nach dem Zweck der Ermächtigung
sind insbesondere von Bedeutung, welche Zwecke mit dem Auslandsaufenthalt
verfolgt werden, ob eine Rückkehr ins Inland möglich und zumutbar ist (Interessen
der Versicherten), mit welchen Mitteln und welchem Grad von Sicherheit die AU
festgestellt werden kann und mit welchen Aussichten die AU im Inland besser bzw
schneller beseitigt werden könnte (Belange der Solidargemeinschaft; Noftz in
Hauck/Noftz, SGB, 08/13, § 16 SGB V, Rn 69; Blöcher in Schlegel/Voelzke,
jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 16 SGB V, Rn. 60)
34 Die Ermessensentscheidung der Beklagten ist nur eingeschränkt gerichtlich
überprüfbar. Das Gericht darf bei der Ermessensüberprüfung nicht sein eigenes
Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens setzen. Bei der Überprüfung
der eigentlichen Ermessensentscheidung findet nur eine Rechtskontrolle, keine
Zweckmäßigkeitsüberprüfung statt. Das Gericht überprüft lediglich, ob
Ermessensfehler vorliegt und ob der Kläger durch den Ermessensfehler beschwert
ist. Für die Rechtskontrolle durch das Gericht ist die Begründung des Bescheides
und des Widerspruchsbescheides wesentlich. Dass von dem Ermessen fehlerfrei
Gebrauch gemacht worden ist, muss sich aus ihr ergeben; sie muss die
Gesichtspunkte erkennen lassen, von denen die Verwaltung ausgegangen ist. Die
Berücksichtigung und Angabe der Besonderheiten des Einzelfalls kennzeichnet
eine ordnungsgemäße Ermessensausübung (Keller in Meyer-
Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 54 SGG, Rn 28).
35 Zu den Ermessenfehlern zählen Ermessensnichtgebrauch,
Ermessensunterschreitung, Ermessensüberschreitung und
Ermessensfehlgebrauch. Ein Ermessensfehlgebrauch liegt vor, wenn die Behörde
ein unsachliches Motiv oder einen sachfremden Zweck verfolgt, ferner wenn sie
nicht alle maßgebenden Ermessensgesichtspunkte in die Entscheidung
einbezogen oder wenn sie die abzuwägenden Gesichtspunkte fehlerhaft gewichtet
oder einen unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt hat
(BSG 9.11.10, B 2 U 10/10 R).
36 Es kann offen bleiben, ob maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach-
und Rechtslage bei der hier einschlägigen Verpflichtungsklage der Zeitpunkt der
letzten mündlichen Verhandlung ist, weil das Bescheidungsbegehren eines
Klägers auf die Verurteilung der Verwaltung zu einer zukünftigen Entscheidung
gerichtet ist (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, § 54 SGG, Rn 34a
mwN), oder ob es als Prognoseentscheidung der Zeitpunkt der letzten
Behördenentscheidung ist. Jedenfalls ist maßgeblicher Zeitpunkt entgegen der
Ansicht des Klägerbevollmächtigten nicht die Ausgangsentscheidung, da
Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens gem. § 95 SGG der ursprüngliche
Verwaltungsakt in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden
hat, ist.
37 Zur Überzeugung des Senats liegt zu keinem Zeitpunkt ein Ermessensfehler vor.
Im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte Ermessen ausgeübt und die zu Grunde
gelegten Gesichtspunkte für und wider eine Zustimmung ausführlich dargelegt.
Entgegen dem Vorbringen des Klägerbevollmächtigten stützte sich die Beklagte
bei der Begründung der Ermessensentscheidung auch nicht auf die Prognose der
Reha-Ärzte im Entlassungsbericht. Vielmehr führte sie sogar aus, dass aufgrund
der medizinischen Unterlagen kein Zweifel daran bestand, dass die
Arbeitsunfähigkeit auch über den 06.07.2013 hinaus Bestand haben wird. Deshalb
ist auch unbeachtlich, dass der MDK und wohl auch die Beklagte nicht beachtet
haben, dass die Klägerin ab 19.02.2013 bei Dr. E. fachärztlich in Behandlung
gewesen ist.
38 Soweit die Beklagte im Widerspruchsbescheid ausführte, dass eine Verzögerung
der geplanten Aufnahme in die psychosomatische Klinik von vier Wochen durch
die U.-Reise auch eine wesentliche Verzögerung der notwendigen Behandlung
darstelle und nicht auszuschließen sei, dass durch eine sofortige Behandlung die
noch bis heute andauernde Arbeitsunfähigkeit hätte verkürzt werden können, ist
ein Ermessensfehlgebrauch nicht erkennbar. Ins Ermessen ist als Belang der
Solidargemeinschaft einzustellen, mit welchen Aussichten die Arbeitsunfähigkeit im
Inland besser bzw schneller beseitigt werden könnte. Es liegt auf der Hand, dass
grundsätzlich prognostisch eine stationäre Maßnahme der medizinischen
Rehabilitation der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit mehr dient, als ein Urlaub,
vor allem bei der die Klägerin betreffenden Gesundheitsstörung einer schweren
depressiven Episode. Wenn eine zeitnahe Aufnahme in die Klinik möglich ist, dann
besteht grundsätzlich die Aussicht auf Beseitigung der Arbeitsunfähigkeit bei
Durchführung dieser Maßnahme. Dann darf aber auch die Versagung der
Zustimmung zum Auslandsaufenthalt maßgeblich darauf gestützt werden, wenn
der Auslandsaufenthalt die Aufnahme in die Klinik verzögern würde.
Stornierungskosten für den Fall des Reiserücktritts gehören zum privaten
Risikobereich und können durch eine Reiserücktrittsversicherung für bestimmte
Fälle begrenzt werden. Darauf kommt es für die Entscheidung der Beklagten nicht
an.
39 Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
40 Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Nr 1 und 2 SGG).