Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 09.06.2004

LSG Bwb: gemeinschaftspraxis, hausarzt, versorgung, wichtiger grund, freie arztwahl, wechsel, abrechnung, vergütung, vertragsarzt, behandlung

Landessozialgericht Baden-Württemberg
Urteil vom 09.06.2004 (nicht rechtskräftig)
Sozialgericht Reutlingen S 1 KA 620/00
Landessozialgericht Baden-Württemberg L 5 KA 4316/02
Bundessozialgericht B 6 KA 76/04 R
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Juli 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat der Beklagten auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig sind die Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 1/96 bis 4/98.
Der Kläger ist als Allgemeinarzt in R. niedergelassen und zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er führte
vom 1. Februar 1993 bis 31. Dezember 1995 mit dem Allgemeinarzt Dr. U. eine Gemeinschaftspraxis. Seit 1. Januar
1996 sind beide in einer Praxis-gemeinschaft tätig.
Im Rahmen von Wirtschaftlichkeitsprüfungen nahm der Prüfungsausschuss für die Quartale 1/96 bis 2/97 beim Kläger
Streichungen der Ordinationsgebühr (Gebührennummer (GNR) 1 EBM) in den Fällen vor, in denen auch Dr. U. die
GNR 1 EBM abgerechnet und die Patienten den Abrechnungsscheinen zufolge überwiegend behandelt hatte.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Der damit befasste Beschwerdeausschuss setzte mit Beschluss vom 22.
Juli 1999 hinsichtlich dieser Fälle das Wirtschaftlichkeitsprüfungsverfahren aus, um der beklagten Kassenärztlichen
Vereinigung Gelegenheit zur Prüfung und Entscheidung über eine sachlich-rechnerischen Berichtigung zu geben. Den
gleichen Beschluss fasste der Prüfungsausschuss in den bei ihm anhängigen Wirtschaftlichkeitsprüfungen betreffend
die Quartale 3/97 bis 4/98 (Beschlüsse vom 4. August 1999 und 14. Oktober 1999).
Mit Bescheid vom 8. November 1999 strich daraufhin die Beklagte im Rahmen einer sachlich-rechnerische
Berichtigung die GNR 1 EBM in den Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 1/96 bis 2/97 zwischen 256
mal und 330 mal pro Quartal. Im Einzelnen: im Quartal 1/96 322-mal = 101.710 Punkte im Quartal 2/96 310-mal =
100.630 Punkte im Quartal 3/96 330-mal = 106.980 Punkte im Quartal 4/96 327-mal = 108.075 Punkte im Quartal 1/97
300-mal = 96.930 Punkte im Quartal 2/97 256-mal = 83.380 Punkte, insgesamt also 597.705 Punkte
An der Nr. 2 EBM erfolgte keine Streichung. Bezüglich der Quartale 3/97 bis 4/98 wurde hinsichtlich der GNR 1 EBM
keine Berichtigung durchgeführt, da die zu erwartenden Kürzungsbeträge niedriger liegen würden als die
Überschreitungspunktzahl des Praxisbudgets, worunter die GNR 1 EBM einzuordnen sei. Des Weiteren strich die
Beklagte in den Quartalen 1/96 bis 4/98 die (nicht budgetierte) Hausarztpauschale pauschal in Höhe von 30% pro
Quartal (Kürzungsbetrag insoweit 25.835,22 DM).
Zur Begründung führte sie aus, die Überprüfung der Quartalsabrechnungen 1/96 bis 4/98 habe ergeben, dass
durchschnittlich 58% der Patienten des Klägers in beiden Praxen überwiegend mit "Originalschein" primär hausärztlich
behandelt worden seien. Offensichtlich sei die Praxisgemeinschaft wie früher die Gemeinschaftspraxis weiter geführt
worden. In den Doppelfällen seien damit in nicht gerechtfertigter Weise die doppelte Abrechnung der
Ordinationsgebühr und der hausärztlichen Grundpauschalen sowie Vorteile bei der Budgetberechnung und bei der
Wirtschaftlichkeitsprüfung erreicht worden. Das Verhalten der beiden Ärzte stelle einen Verstoß gegen § 76 Abs. 3 i.
V. m. § 73 SGB V (Hausarztsystem) dar. Der Kläger und Dr. U. hätten ihre Patienten weder dazu angewiesen, im
Rahmen der Praxisgemeinschaft einen Arzt auszuwählen, noch hätten sie über die Hintergründe einer solchen
Wahlentscheidung und deren Konsequenzen informiert. Hierzu hätte auch die Information gehört, dass der Hausarzt
innerhalb eines Quartals nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes gewechselt werden könne. Diesen Verpflichtungen
seien der Kläger und Dr. U. nicht nachgekommen (u. a. mit Hinweis auf Urteil des erkennenden Senats vom 12. Mai
1999 -L 5 KA 490/99-). Danach sei dieses Verhalten als pflichtwidrig zu werten und berechtige zu einer
entsprechenden sachlich-rechnerischen Berichtigung. Weiter führte die Beklagte aus, nach dem zitierten Urteil des
erkennenden Senates brauche sie nicht in jedem Einzelfall die Unrichtigkeit der Abrechnung nachzuweisen. Die von
der Beklagten im Einzelnen dargestellten konkreten Fälle einer Doppelabrechnung seien damit als Nachweis einer
grobfahrlässig falschen Doppelabrechnung zu sehen, was zum Wegfall der Richtigkeit der Abrechnungssammel-
erklärung und damit zur Rechtswidrigkeit des auf ihr beruhenden Honorarbescheides insgesamt führe. Bei der
Neufestsetzung des Honorars habe sie sodann ein weites Schätzungsermessen. Im Ergebnis sei festzustellen, dass
bei der Hausarztpauschale nach GNR 8066 die Falschabrechnung entsprechend der Ordinationsgebühr (GNR 1) auf
30% pro Quartal geschätzt werde, woraus sich in den Quartalen 1/96 bis 4/98 eine jeweilige 30-prozentige Streichung
der GNR 8066 ergebe. Die GNR 1 EBM sei beim Kläger in den Behandlungsfällen gestrichen worden, in denen auch
Dr. U. diese GNR abgerechnet und den Abrechnungsunterlagen zufolge die Patienten überwiegend behandelt habe
(eine entsprechende Auflistung wurde dem Bescheid beigefügt). Die sich daraus in den Quartalen 1/96 bis 2/97
errechneten Streichungen ergäben eine Kürzung an der Summe aller abgerechneten Ordinationsgebühren in Höhe von
durchschnittlich rund 30%.
Hiergegen erhoben der Kläger und Dr. U. mit gemeinsamen Schreiben vom 16. November 1999 Widerspruch und
führten zur Begründung aus, sie behandelten (durchschnittlich und gerundet) pro Quartal zusammen 1500 Patienten,
jeder also 750; sie rechneten 2000 Scheine ab, jeder also 1000 pro Praxis seien also nur 25% Doppelfälle. Im Übrigen
sei nach dem geltenden Recht ein Patient eben nicht an einen Hausarzt gebunden. Jeder Patient, der in die Praxis
komme, werde gefragt, zu welchem Arzt er wolle. Freie Arztwahl sei oberstes Gebot und sie (der Kläger und Dr. U.)
seien nicht verpflichtet, diese Entscheidung zu steuern. Die abgerechneten Leistungen seien ordnungsgemäß erbracht
worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Februar 2000 wies die Beklagte den Widerspruch im wesentlichen aus den selben
Gründen des Ausgangsbescheides zurück. Unter anderem verwies die Beklagte noch ausdrücklich darauf, soweit der
Kläger und Dr. U. geltend machten, sie hätten erst im Zusammenhang mit einer mündlichen Verhandlung vor dem
Beschwerdeausschuss am 18. März 1999 erfahren, welche Verfahrensweise, sprich Abrechnungsscheine, bei der
Inanspruchnahme des jeweils anderen Arztes zu beachten seien, könnten sie sich hierauf nicht berufen. Schon mit
der Auflösung der Gemeinschaftspraxis hätten sie sich über die rechtlichen Verpflichtungen im Klaren sein und in ihre
Überlegungen für die weitere gemeinsame Praxisführung einbeziehen müssen. Dies sei ganz offensichtlich nicht
erfolgt.
Aus den Anlagen zum Widerspruchsbescheid ergeben sich noch folgende Zahlen:
Steigerung von Fallzahl und Honorar der Praxisgemeinschaft im Vergleich zum durchschnittlichen Honorar der
Gemeinschaftspraxis aus den Quartalen 1/93 bis 4/95:
-Tabellen können nicht ordnungsgemäß dargestellt werden- Quartal Honorarsteigerung Fallzahlsteigerung 1/96 89 %
70 % 2/96 62 % 51 % 3/96 46 % 62 % 4/96 42 % 55 %
Doppelfälle in der Praxis des Klägers:
-Tabellen können nicht ordnungsgemäß dargestellt werden- Quartal Fallzahl des Klägers Anzahl Doppelfälle
Doppelfälle in % Über-weisungen Aufträge Vertretungs-scheine 1/96 1177 713 61 21 - 2 2/96 1069 665 62 - - 1 3/96
1093 784 72 - - - 4/96 1079 729 68 - - - 1/97 1027 650 63 5 - 4 2/97 1048 609 58 1 - 3 3/97 953 573 60 3 - - 4/97 1020
570 56 - - 3 1/98 1061 554 52 1 - - 2/98 1018 531 52 - - 50 3/98 929 427 46 - - 91 4/98 981 444 45 1 - 168 1/99 1124
507 45 2 16 144 2/99 1071 512 48 5 15 146
Hiergegen hat der Kläger am 8. März 2000 Klage vor dem Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. In Ergänzung zum
bisherigen Vortrag hat er noch geltendgemacht, die Mitbehandlung von Patienten durch den jeweils anderen Arzt
erfolge immer nur im Sinne der Konsultation bzw. wegen dessen Spezialisierung oder wegen der Abwesenheit des
einen Arztes. Ein Überweisungsschein dürfe in diesen Fällen nicht gefordert werden. Auch seien die
Berichtigungsbescheide mit dem Prinzip des Vertrauensschutzes nicht vereinbar.
Das SG hat mit Urteil vom 17. Juli 2002 die Klage abgewiesen. Es hat hierbei die Auffassung vertreten, der Kläger
und Dr. U. hätten im streitigen Zeitraum nach außen hin ihre Praxis als zwei rechtlich selbstständig handelnde und
wirtschaftende Ärzte in Praxisgemeinschaft gem. § 33 Abs. 1 Ärzte-Zulassungsverordnung (Ärzte-ZV) mit
gemeinsamen Praxisräumen und gemeinsamer Beschäftigung von Hilfspersonal geführt, ihre Praxis in Wirklichkeit
aber als Gemeinschaftspraxis gem. § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV betrieben. Dies ergebe sich aus der hohen Zahl von
hausärztlichen Doppelbehandlungen, wie die Beklagte im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid im
Einzelnen dargelegt habe. Demnach seien im Durchschnitt 58% der vom Kläger hausärztlich betreuten und
abgerechneten Patienten auch von Dr. U. primär hausärztlich behandelt und abgerechnet worden, im Spitzenquartal
3/96 seien es 72% gewesen. Der hier vorliegende Sachverhalt sei dem dem Urteil des erkennenden Senats vom 12.
Mai 1999 zu Grunde liegenden Sachverhalt vergleichbar, auf das insoweit auch Bezug genommen werde. Die
Beklagte habe im angefochtenen Bescheid und Widerspruchsbescheid den Umfang der vorgenommenen Streichungen
bei der Hausarztpauschale und bei der GNR 1 EBM im Einzelnen dargelegt, die dortigen Erwägungen und
Berechnungen seien nicht zu beanstanden.
Der Kläger hat gegen das seinen Bevollmächtigten am 14. Oktober 2002 zugestellte Urteil am 4. November 2002
Berufung eingelegt. Zur Begründung macht er geltend, grundsätzlich stehe zwar außer Frage, dass die Beklagte
berechtigt sei, die Honorarabrechnungen der Vertragsärzte auf sachliche und rechnerische Richtigkeit zu prüfen und
gegebenenfalls den Honorarbescheid zu berichtigen. Im vorliegenden Falle sei jedoch die vorgenommene Korrektur
der Honorarbescheide durch die Beklagte nicht mehr durch die Kompetenz zur sachlich-rechnerischen Berichtigung
gedeckt. Auch nach der Rechtsprechung des BSG sei Voraussetzung für die Berichtigung das Vorliegen von Fehlern
der Abrechnung. Ungeachtet der in der Praxis vorkommenden und unvermeidlichen Abgrenzungsschwierigkeiten
müsse klar unterschieden werden, ob dem Arzt vorgehalten werde, Leistungen falsch abgerechnet oder lediglich
bestimmte Leistungen in einem unwirtschaftlichen Ausmaß erbracht und abgerechnet zu haben. Am Maßstab dieser
Kriterien habe die Beklagte die schon grundsätzlich bestehenden Grenzen zur sachlich-rechnerischen Berichtigung
überschritten. Die angegriffene Entscheidung sei aber auch vor allem deswegen rechtswidrig, da der Kläger und Dr. U.
zur Doppeleinlesung berechtigt gewesen seien. Ein explizites Verbot habe es zum Zeitpunkt der fraglichen Quartale
nicht gegeben. Erst am 18. März 1999 sei dem Kläger die Rechtsansicht der Beklagten zur Frage der
Doppeleinlesung mitgeteilt worden. Unter anderem widerspräche es auch der Abrechnungspraxis der Kassenärztlichen
Vereinigungen, jede Doppeleinlesung für unzulässig zu erachten, wie die Praxis der Zubilligung von Toleranzgrenzen
von 5% und mehr zeige. Das SG gehe jedoch von einer grundsätzlichen Unzulässigkeit aus. Auch § 76 SGB V, auf
den das SG unter Berufung auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 12. Mai 1999 (L 5 KA 94/99) Bezug
nehme, schließe eine solche "Doppeleinlesung" nicht grundsätzlich aus. Nach dieser Bestimmung sollten die
Versicherten den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt innerhalb eines Kalendervierteljahres nur
bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln. Auch sei eine solche Verpflichtung zu verneinen, Patienten
anzuhalten, nur einen "Hausarzt" im jeweiligen Quartal aufzusuchen. Die gegenteilige Ansicht verkenne die Freiheit
der Patienten. Der Patient könne auf Grund der immer noch bestehenden freien Arztwahl mit seiner Chipkarte jeden
dieser Fachärzte, unter anderem auch die Fachärzte für Allgemeinmedizin, so oft und so viel er wolle aufsuchen. Der
Kläger und Dr. U. seien zwei Fachärzte mit unterschiedlichen Schwerpunkten - chirurgisch-orthopädisch bzw.
internistisch-geriatrisch - was den Patienten durch die dreijährige Gemeinschaftspraxis hinreichend bekannt gewesen
sei. Daran habe sich nach Umwandlung in eine Praxisgemeinschaft nichts geändert, sodass sich die Patienten je
nach Beschwerden einmal von dem einen Arzt und das andere Mal von dem anderen Arzt hätten behandeln lassen
wollen. Dies sei auch keine absichtliche Steuerung seitens des Klägers und Dr. U., sondern maßgeblich sei allein der
Wunsch der Patienten. Hierbei handele es sich nicht um einen Hausarztwechsel. Ein zwingender
Vergütungsausschluss auf Grund einer Doppeleinlesung bestehe daher nicht, eine Honorarberichtigung käme daher
nur in Betracht, wenn Leistungen abgerechnet würden, die überhaupt nicht erbracht worden seien oder wenn die
erbrachten Leistungen als unwirtschaftlich anzusehen seien.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 17. Juli 2002 sowie den Bescheid der Beklagten vom 8. November 1999
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Februar 2000 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend und führt ergänzend aus, entgegen der Auffassung des Klägers sei
nach dem schon mehrfach zitierten Urteil des erkennenden Senats vom 12. Mai 1999 die hier vorgenommene
Korrektur der Honorarbescheide sehr wohl durch die Kompetenz der Beklagten zur sachlich-rechnerischen
Berichtigung gedeckt. Des Weiteren stünden nach der ständigen Rechtsprechung des BSG Honorarbescheide per se
auf Grund der dem Vertragsarztrecht immanenten Besonderheiten unter dem Vorbehalt später durchzuführender
sachlich-rechnerischer Berichtigungen sowie Wirtschaftlichkeitsprüfungen. Selbstverständlich sei dann auch in dem
Umfang zu berichtigen, in dem Fehler in der Abrechnung vorlägen. Der erkennende Senat habe in dem schon zitierten
Urteil zu einem dem hiesigen vergleichbaren Fall entschieden, dass sich aus § 76 Abs. 3 SGB V ein Regel-
Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne ergebe, dass ein Versicherter in einem Quartal grundsätzlich den Arzt nicht
wechseln solle. Dies sei Teil des Systems der vertragsärztlichen Versorgung, gerade das sogenannte
Hausarztsystem sei darauf angelegt, dass bei einem Arzt die Fäden zusammenlaufen sollten. Dieses Ziel erfordere
im Regelfall die Entscheidung des Versicherten für einen Hausarzt. Wenn der Arzt verpflichtet sei, den Versicherten
über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung zu unterrichten, so folge daraus, dass er den Patienten auch
davon unterrichten solle, den Hausarzt nur aus wichtigem Grund zu wechseln. In einer de jure bestehenden
Praxisgemeinschaft, die de facto aber als Gemeinschaftspraxis (weiter)geführt werde, könnten nach der
Rechtsauffassung des erkennenden Senats des LSG im zitierten Urteil nicht beide Praxisgemeinschaftspartner die
GNR 1 EBM sowie die Hausarztpauschale beanspruchen. Denn eine tatsächlich nur einmal gemeinsam erbrachte
Leistung könne nicht rechtlich in zwei selbstständige Leistungen aufgeteilt werden. Daran, dass der Kläger und sein
Kollege Dr. U. faktisch die frühere Gemeinschaftspraxis weitergeführt hätten, bestehe kein Zweifel. Dies zeige sich
zum einen in der Höhe des prozentualen Anteils der Doppelfälle beider Praxen (durchschnittlich 58% der Patienten)
sowie anhand der im Bescheid aufgelisteten Einzelfälle. Diese belegten exemplarisch, dass die Patienten von beiden
Ärzten auch hausärztlich behandelt worden seien. Für spezielle Untersuchungsverfahren auf Grund bestimmter
unterschiedlicher Qualifikationen der Ärzte sei der Weg der Überweisung zu wählen. Im Übrigen ergebe sich dies auch
aus den eigenen Ausführungen des Klägers und seines Kollegen Dr. U. aus dem bereits vom SG zitierten Schreiben
der beiden vom 29. Januar 1997, wonach sie sich aus den dort dargelegten Gründen gezwungen gesehen hätten, die
Gemeinschaftspraxis wieder aufzulösen und in Form einer Praxisgemeinschaft fortzuführen, sich an der Praxisführung
jedoch nichts Wesentliches geändert habe. Zwar bestehe nach § 76 SGB V für den Patienten kein zwingendes
Verbot, den Hausarzt innerhalb desselben Quartals zu wechseln. Dies alles zeige aber, dass der Kläger und sein
Kollege die ihnen gem. § 76 Abs. 3 obliegende Pflicht, die Patienten auch davon zu unterrichten, dass der Hausarzt
nur aus wichtigem Grund innerhalb desselben Quartals gewechselt werden solle, verletzt hätten. Bezüglich des
Vortrages, dass die Zubilligung von Toleranzgrenzen von 5% und mehr zeige, dass es der Abrechnungspraxis der
Kassenärztlichen Vereinigungen widerspräche, jede Doppeleinlesung für unzulässig zu erachten, sei darauf
hinzuweisen, dass es eine solche Toleranzgrenze im Bereich der Beklagten nicht gebe und im Übrigen aus der
ungerechtfertigten Abrechnung anderer Vertragsärzte kein Recht des Klägers erwachsen könne.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Verwaltungsakte der
Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere statthaft. Ein Berufungsausschlussgrund des § 144 Abs.
1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) liegt nicht vor. Der Beschwerdewert von EUR 500,00 ist überschritten. Denn der
Kläger wendet sich gegen eine Verminderung seiner Vergütung in Höhe von unter anderem 25.835,22 DM, was einem
Betrag von 13.189,11 EUR entspricht, sowie gegen Kürzungen in Höhe von 597.705 Punkten, dies entspricht bei
einem Punktwert von 0,07 DM 41.839,35 DM bzw. 21.392,12 EUR, insgesamt also 34.581,23 EUR
II.
Die zulässige Berufung des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat die Klage mit zutreffender Begründung
abgewiesen. Die Beklagte hat die Abrechnung der Quartale 1/96 und 4/98 des Klägers zu Recht sachlich-rechnerisch
berichtigt.
Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 des Bundesmantelvertrages-Ärzte (BMV-Ä) und § 34 Abs. 4 Satz 1 und 2 des
Bundesmantelvertrages Ärzte-/Ersatzkassen (EKV-Ä), die auf der Rechtsgrundlage des § 82 SGB V beruhen, obliegt
den Kassenärztlichen Vereinigungen die Prüfung der von den Vertragsärzten vorgelegten Abrechnungen ihrer
vertragsärztlichen Leistungen hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Dies gilt insbesondere für die
Anwendung des Regelwerkes. Die Kassenärztliche Vereinigung berichtigt die Honorarforderung des Vertragsarztes bei
Fehlern hinsichtlich der sachlich-rechnerischen Richtigkeit. Der leicht abweichende Wortlaut des § 34 EKV-Ä enthält
in der Sache keine andere Regelung. Nach § 2 Abs. 1 des auf der Grundlage des § 85 Abs. 4 SGB V ergangenen
HVM sind für die Abrechnungen die gesetzlichen und vertraglichen Gebührenregelungen maßgebend. Nach § 5 Abs. 1
HVM prüft die Beklagte die eingereichten Abrechnungen auf sachliche und rechnerische Richtigkeit. Bei dieser
Prüfung ist u.a. darauf zu achten, ob die Bestimmungen der Gebührenordnungen beachtet und die richtigen
Gebührenordnungsnummern angesetzt worden sind. Die vom Kläger eingereichten Abrechnungen für den Quartale
3/99 und 4/99 sind jedenfalls insoweit fehlerhaft, als er nicht in allen zur Abrechnung eingereichten Fällen einen
Anspruch auf die Vergütung der GNR 1 EBM und der hausärztlichen Grundpauschale hat.
Nach § 76 Abs. 3 SGB V sollen die Versicherten den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Arzt
innerhalb eines Kalendervierteljahres nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes wechseln (Satz 1). Der Versicherte
wählt einen Hausarzt (Satz 2). Der Arzt hat den Versicherten vorab über den Inhalt und Umfang der hausärztlichen
Versorgung zu unterrichten (Satz 3). Unter Bezugnahme auf das Urteil des Senats vom 12. Mai 1999 (L 5 KA 94/99)
hat das SG im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass sich aus § 76 Abs. 3 SGB V ein Regel-Ausnahme-
Verhältnis ergibt und ein Versicherter in einem Quartal grundsätzlich den gewählten Hausarzt nicht wechseln soll. Aus
dem Gesamtzusammenhang dieser gesetzlichen Regelung folgt zwangsläufig, dass der Wechsel des Hausarztes nur
in Ausnahmefällen in Betracht kommen kann und dass der Vertragsarzt nicht durch ein Verhalten dazu beitragen darf,
dass die Versicherten im Quartal den Hausarzt ohne wichtigen Grund wechseln. Aus der in § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V
enthaltenen Verpflichtung, den Versicherten vorab über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung zu
unterrichten, ergibt sich weiter, dass der hausärztlich tätige Vertragsarzt den Versicherten darauf hinweist, dass der
Wechsel des Hausarztes nur aus einem wichtigen Grund erfolgen soll. Welche Anforderungen im Einzelnen an diese
Unterrichtung des Versicherten zu stellen sind, hängt von den Umständen des einzelnen Falles ab. Da die
Versicherten durch Vorlage ihrer Versichertenkarte jederzeit einen anderen Vertragsarzt aufsuchen können, lässt sich
zwar ein Wechsel des Vertragsarztes und auch des Hausarztes innerhalb eines Quartals nicht vermeiden und es kann
zu einer doppelten Vergütung der hausärztlichen Grundleistungen bei demselben Versicherten im selben Quartal
kommen. Besondere Maßstäbe gelten insoweit aber in Fällen, in denen die an der hausärztlichen Versorgung
teilnehmenden Vertragsärzte in irgendeiner Form zusammenarbeiten und der Versicherte innerhalb dieser
gemeinsamen Praxisorganisation den Hausarzt wechselt. Diese besondere Verpflichtung ergibt sich beim Kläger und
Dr. U. jedenfalls aus der Bestimmung des § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V, weil sie von dem Wechsel erfahren und damit
mit den Versicherten die Gründe des Wechsels erörtern können. Sie sind deshalb in der Lage, Vorsorge gegen einen
solchen Wechsel ohne wichtigen Grund und damit einen vom Gesetz als unbegründet angesehenen Wechsel des
Hausarztes zu treffen.
Deshalb kann ein zulässiger Wechsel des Hausarztes innerhalb eines Quartals nur in einzelnen Fällen gegeben sein,
keineswegs aber wie im Falle des Klägers zwischen 45% und 72% (so die Feststellungen der Beklagten im
Ausgangsbescheid) der Abrechnungsfälle. Es ist schlechterdings nicht vorstellbar, dass in der Hälfte bzw. in sogar
deutlich mehr als der Hälfte der Fälle Versicherte einen wichtigen Grund gehabt haben sollen, den Hausarzt innerhalb
desselben Quartals zu wechseln und dabei dann den in derselben Praxisorganisation tätigen weiteren Arzt als
Hausarzt zu wählen. Denn ein wichtiger Grund liegt nur vor, wenn unter Berücksichtigung der Interessen des
Versicherten eine weitere hausärztliche Behandlung durch den gewählten Hausarzt bis zum Ende des Quartals nicht
mehr zumutbar ist.
Gerade im Falle des Klägers und Dr. U. bestand jedenfalls eine besondere Verpflichtung darauf zu achten, dass die
Versicherten nicht beide Ärzte im selben Quartal als Hausärzte wählen und in Anspruch nehmen. Sie ergibt sich
daraus, dass die Praxis früher als Gemeinschaftspraxis und damit im Verhältnis zur Beklagten als einheitliche Praxis
geführt wurde und ab dem Quartal 1/96 als Praxisgemeinschaft, ohne dass eine räumliche Trennung und auch eine
Aufteilung des Praxispersonals erfolgte. Für die Versicherten, die in der Regel den rechtlichen Unterschied zwischen
einer Gemeinschaftspraxis und Praxisgemeinschaft nicht kennen, ist diese Änderung der Rechtsform nicht erkennbar.
Auch kennen die Versicherten die sich für die Behandlung ergebenden Änderungen nicht. Da bei Urlaub oder
Krankheit eines der beiden Ärzte gleichwohl ein weiterer Arzt vorhanden war, musste bei den Versicherten
zwangsläufig der Eindruck entstehen, es liege weiterhin eine einheitliche Praxis vor und die Behandlung erfolge wie in
einer Gemeinschaftspraxis durch den jeweils anwesenden Arzt.
Auf unterschiedliche Behandlungsschwerpunkte können sich die Kläger dabei nicht berufen. Eine Spezialisierung
innerhalb eines Behandlungsspektrums entspricht nicht dem Wesen des Hausarztes. Dementsprechend hat etwa der
Senat eine Erweiterung fachärztlicher Zusatzbudgets nach den Allgemeinen Bestimmungen A I Teil B Nr. 4.3 EBM
bei Hausärzten für nicht möglich erachtet (vgl. zum Beispiel: Urteil vom 10. Mai 2000 - L 5 KA 3295/99 - E-LSG KA-
072).
Jedenfalls für die streitigen Quartale hätten der Kläger und Dr. U. deshalb entsprechende Bemühungen unternehmen
müssen, um die "Doppelbehandlungen" zu unterbinden, zum Beispiel über die Praxis-EDV zu prüfen, ob der
Versicherte im selben Quartal bereits bei dem anderen Arzt in Behandlung war. Dies haben sie nicht getan. Insoweit
haben sie pflichtwidrig gehandelt. Gebührentatbestände, deren Voraussetzungen nur deshalb vorliegen, weil zuvor ein
abredegemäß stattgefundener oder zumindest grob fahrlässig in Kauf genommener Pflichtverstoß begangen wurde,
können nicht als erfüllt behandelt werden. Die Berufung hierauf ist rechtsmissbräuchlich.
Der Kläger und Dr. U haben aber nicht nur pflichtwidrig Situationen ausgenutzt, sie haben sie vielmehr bewusst
herbeigeführt. Aus dem Verhalten des Klägers und Dr. U. ist zwangsläufig der Schluss zu ziehen, dass die Änderung
der Rechtsform in eine Praxisgemeinschaft lediglich nach außen hin erfolgte, intern aber nach wie vor eine
Gemeinschaftspraxis betrieben wurde. Dies ergibt sich in der Tat schon aus dem vom SG bereits zitierten Schreiben
des Klägers und Dr. U. vom 24. Januar 1997 (im Zusammenhang mit der Wirtschaftlichkeitsprüfung des Quartals
1/96), auf das diese im Widerspruchsverfahren Bezug genommen haben und in dem u. a. ausgeführt wird: "Gegen die
unseres Erachtens nach rechtswidrige Verfahrensweise haben wir einerseits beim Sozialgericht Klage eingereicht,
andererseits sahen wir uns gezwungen, die Gemeinschaftspraxis wieder aufzulösen und in Form einer
Praxisgemeinschaft fortzuführen. An der Praxisführung hat sich damit jedoch nichts Wesentliches geändert." Auch
haben der Kläger und Dr. U. keine nachvollziehbaren Gründe dafür dargelegt, weshalb die Änderung von einer
Gemeinschaftspraxis in eine Praxisgemeinschaft zu Quartal 1/96 erfolgt ist. Schließlich legen die von der Beklagten
im Widerspruchsbescheid wiedergegebenen Zahlen es zwingend nahe, dass in den Fällen des Klägers die
Doppeleinlesungen nicht Folge der freien Arztwahl der Patienten sind, sondern dass systematisch darauf hingewirkt
wurde, dass Doppelbehandlungen stattfinden. Anders lassen sich 14 % Doppeleinlesungen an ein und demselben Tag
im Quartal 3/96 und die in der Spitze bis zu 72 % der Patienten umfassenden Doppelbehandlungen nicht erklären.
Auch konnte es nur durch Doppelbehandlungen zu den riesigen Fallzahlsteigerungen und dem exorbitanten
Gewinnanstieg beim Kläger und Dr. U. kommen.
Nach Auffassung des Senates haben sich der Kläger und Dr. U die Patienten systematisch zugeschanzt. Das
systematische Zuweisen von Patienten an andere ärztlichen Kollegen ohne medizinische Notwendigkeit und allein mit
dem Ziel, dem ärztlichen Kollegen Einnahmen zu verschaffen, ist rechtsmissbräuchlich. An der
Rechtsmissbräuchlichkeit bestehen - jedenfalls bezüglich der hier gekürzten 30 % der Fälle - für den Senat keine
Zweifel. Insoweit liegt ein völlig anderer Sachverhalt vor als der, der der Entscheidung des Sozialgerichts Frankfurt zu
Grunde lag, weswegen sich eine Auseinandersetzung mit dieser Entscheidung erübrigt. Werden Gebührentatbestände
durch rechtsmissbräuchliches Handeln erfüllt, besteht kein Anspruch auf eine Vergütung. Zu Recht hat die Beklagte
die geltend gemachten Gebührenanforderungen des Klägers im Wege der sachlich-rechnerischen Richtigstellung
berichtigt.
Damit war auch die Abrechnungssammelerklärung unrichtig, denn dem Kläger und Dr. U. hätte schon allein aufgrund
des Wechsels von der Gemeinschaftspraxis zur Praxisgemeinschaft ab 1. Januar 1996 bei Kenntnis der gesetzlichen
Vorschriften klar sein müssen, dass sie nicht wie bisher weiterhin Patienten gemeinsam hausärztlich behandeln
können. Bezüglich des Ansatzes rechtsmissbräuchlich herbeigeführter Gebührentatbestände trifft den Kläger der
Vorwurf des Vorsatzes, zumindest aber der der groben Fahrlässigkeit.
Ist die Abrechnungs-Sammelerklärung unrichtig, ist die Beklagte berechtigt, das dem Vertragsarzt zustehende
Honorar zu schätzen. Bei der Schätzung besteht kein der Gerichtskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum. Sie
gehört zu den Tatsachenfeststellungen. Das Gericht hat sie deshalb selbst vorzunehmen bzw. jedenfalls selbst
nachzuvollziehen (vgl. BSG SozR 3-5550 § 35 Nr. 1 m.w.N.).
In nicht zu beanstandender Weise hat die Beklagte die Höhe des Kürzungsbetrages aus den zu Unrecht angesetzten
Gebührennummern ermittelt und im Wege einer Schätzung auf 30% festgesetzt. Der Anteil der sachlich-rechnerischen
Berichtigung der GNR 1 EBM beim Kläger betrug in den streitigen Quartalen bei im Schnitt gut 1000 Scheinen
durchschnittlich ca. 300 Fälle, also ca. 30%, sodass die Beklagte auch in entsprechender Quote bei der
Hausarztpauschale das Honorar niedriger schätzen durfte. Wie das SG ist auch der Senat der Auffassung, dass die
Beklagte damit ihr Schätzungsermessen zutreffend ausübte. Wenn bei der hohen Zahl der Eingangs dargestellten
Doppelabrechnungen lediglich 30 % gekürzt werden, ist dies keinesfalls zu Lasten des Klägers ermessensfehlerhaft.
Denn ihm werden von der Beklagten für eine hohe Zahl von Patienten mit Doppeleinlesungen die angeforderten
Gebühren belassen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und 4 SGG in der bis 2. Januar 2002 geltenden Fassung, die nach
dem Urteil des BSG vom 30. Januar 2002 (- B 6 KA 12/01 R -in SozR 3-2500 § 116 Nr. 24) in Fällen weiterhin
anwendbar ist, in denen - wie hier - das gerichtliche Verfahren vor dem 2. Januar 2002 anhängig geworden ist. (vgl.
z.B. BSG, Beschluss vom 30. August 2002 - B 13 SF 1/02 S -in SozR 3-1500 § 184 Nr. 2).
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.