Urteil des LG Wuppertal vom 18.08.2008

LG Wuppertal: durchsuchung, ermittlungsverfahren, grundrechtseingriff, beendigung, unterliegen, kontrolle, belastung, streckmittel, polizei, beweismittel

Landgericht Wuppertal, 23 Qs 293/08
Datum:
18.08.2008
Gericht:
Landgericht Wuppertal
Spruchkörper:
3. Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
23 Qs 293/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Remscheid, 10 Gs 59/07
Sachgebiet:
Strafrecht
Tenor:
Es wird festgestellt, dass der Durchsuchungsbeschluss des
Amtsgerichts Remscheid vom 12.9.2007 insoweit rechtswidrig gewesen
ist, als er die Durchsuchung der Person und des vom vormaligen
Beschuldigten bewohnten Zimmers einschließlich der dazugehörigen
Sachen und Behältnisse, Nebengelasse, Kraftfahrzeuge und Garagen
angeordnet hat.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem vormaligen
Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der
Staatskasse zur Last.
Gründe:
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I.
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Aufgrund polizeilicher Ermittlungen in einem anderen Verfahren hatte die
Staatsanwaltschaft Hinweise darauf, dass drei Bewohner der Asylbewerberunterkunft
am xxx in R mit Drogengeschäften, insbesondere dem Handel mit Kokain und Heroin,
zu tun haben könnten. Es handelte sich um die Bewohner M und P Auf der Grundlage
einer aktuellen Belegungsliste der Asylbewerberunterkunft vom 11.9.2007 wurden
daraufhin auch gegen die übrigen Bewohner der Unterkunft Ermittlungsverfahren
eingeleitet, darunter auch den Beschwerdeführer E. Am 12.9.2007 beantragte die
Staatsanwaltschaft beim Amtsgericht Remscheid den Erlass eines
Durchsuchungsbeschlusses, mit welchem die Durchsuchung aller Zimmer der
Asylbewerberunterkunft angeordnet werden sollte. Das Amtsgericht erließ den
beantragten Beschluss noch am gleichen Tag. Am 24.10.2007 erfolgte in der
Asylbewerberunterkunft und im angrenzenden Waldstück – gestützt auf den
Durchsuchungsbeschluss – durch ein Großaufgebot von Polizeibeamten eine
umfangreiche Durchsuchungsmaßnahme, bei der um 6 Uhr morgens simultan eine
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Vielzahl von Türen gewaltsam geöffnet wurde und erheblicher Sachschaden entstand.
Auch das Zimmer des damals abwesenden Beschwerdeführers wurde durchsucht.
Allein bei dem in der Unterkunft zufällig angetroffenen L , der dort gar nicht gemeldet war
und gegen den sich der Durchsuchungsbeschluss demzufolge auch gar nicht richtete,
wurde in einer Jackentasche ein kleines Stück Haschisch gefunden. Im Übrigen
konnten weder in der Asylbewerberunterkunft selbst noch in dem angrenzenden
Waldstück Drogen, Streckmittel, Verpackungsmaterial oder Verkaufslisten aufgefunden
und sichergestellt werden. Gefunden wurden lediglich zwei entwendete
Navigationsgeräte sowie eine abhandengekommene Dauerfahrkarte für den öffentlichen
Personennahverkehr. Dafür, dass der Beschwerdeführer hiermit etwas zu tun haben
könnte, fanden sich keine Anhaltspunkte. Das gegen ihn wie gegen die übrigen
Bewohner der Asylbewerberunterkunft wegen des Verdachts einer
Betäubungsmittelstraftat eingeleitete Ermittlungsverfahren ist im April 2008 von der
Staatsanwaltschaft nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden.
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II.
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1.
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Die Beschwerde ist zulässig, obgleich die mit dem angefochtenen Beschluss
angeordnete Durchsuchungsmaßnahme bereits abgeschlossen ist.
Wohnungsdurchsuchungen unterliegen auch nach ihrer Beendigung aufgrund des
damit verbundenen schwerwiegenden Grundrechtseingriffs richterlicher Kontrolle, weil
sich die Belastung durch den Grundrechtseingriff typischerweise auf eine Zeitspanne
beschränkt, in der eine gerichtliche Entscheidung im Beschwerdeverfahren nicht zu
erlangen ist (vgl. Meyer-Goßner, 50. Aufl., vor § 296 Rz. 18a m.w.N.). Für die
Zulässigkeit der Beschwerde spielt es auch keine Rolle, dass sich der
Beschwerdeführer zum Zeitpunkt der Durchsuchung nicht in seinem Zimmer aufhielt.
Dieser Umstand lässt den Grundrechtseingriff nicht entfallen.
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2.
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Die Beschwerde des vormaligen Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts
Remscheid ist auch begründet. Der Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts
Remscheid war rechtswidrig, soweit er auch den Beschwerdeführer erfasste. Im Hinblick
auf diesen lagen weder die Voraussetzungen des § 102 noch die des § 103 StPO vor.
Aus dem Ermittlungsverfahren ergaben sich bis zuletzt weder zureichende tatsächliche
Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer selbst in Drogengeschäfte verwickelt
sein könnte, noch dafür, dass in dem von ihm bewohnten Zimmer Drogen oder
Beweismittel zu finden sein könnten. Das Gegenteil ist der Fall. Die Zeugin S2, die mit
dem Beschuldigten M befreundet war, berichtete in ihrer Vernehmung vor der
Beantragung des Durchsuchungsbeschlusses – wie auch alle übrigen von der Polizei
vernommenen Zeugen – von Drogengeschäften von Schwarzafrikanern. Der
Beschwerdeführer hingegen ist Libanese. Auch erklärte die Zeugin, dass Drogen ihres
Wissens wegen der dortigen Kontrollen nicht in der Asylbewerberunterkunft, sondern im
Wald gelagert würden. Für Letzteres sprach auch eine polizeiliche Beobachtung im
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Rahmen einer Videoobservation. Damit aber lagen im Hinblick auf den
Beschwerdeführer bei zutreffender Würdigung des Sachverhalts keine Verdachtsgründe
vor, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichten und die
Anordnung einer Durchsuchung seiner Person und des von ihm belegten Zimmers
rechtfertigen konnten (vgl. auch BVerfG, Beschl. v. 15.12.2005 – 2 BvR 372/05).
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3.
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Die Kostenentscheidung folgt aus einer entsprechenden Anwendung von § 467 Abs. 1
StPO.
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