Urteil des LG Paderborn vom 14.01.2008

LG Paderborn: eintritt des versicherungsfalls, vertrag zugunsten dritter, versicherungsnehmer, schenkung, lebensversicherungsvertrag, zuwendung, nachlass, bereicherung, erwerb, auflage

Landgericht Paderborn, 4 O 595/06
Datum:
14.01.2008
Gericht:
Landgericht Paderborn
Spruchkörper:
4. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4 O 595/06
Tenor:
Unter Aufhebung des Teilversäumnisurteils vom 20.02.2007 werden die
Beklagten verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 23.530,27 € (i.
W. dreiundzwanzigtausendfünfhundertdreißig 27/100 Euro), die
Beklagten zu 2-6) und 8-10) nebst 4 Prozent Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 02.01.2007, die Beklagte zu 7) nebst 4 Prozent
Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.01.2007 und die Beklagte
zu 1) nebst 4 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem
26.01.2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Beklagten zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Der Kläger macht gegen die Beklagten Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungs-
ansprüche geltend.
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Die Beklagten sind aufgrund privatschriftlichen Testamentes vom 04.11.2002 Erben der
am 13.07.2004 verstorbenen Frau ..., zuletzt wohnhaft in ..., geworden. Der Kläger ist der
Vater der Erblasserin und ihres Bruders. Die Mutter der Erblasserin ist vorverstorben.
Die Erblasserin selbst war unverheiratet und kinderlos.
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Der Nachlass der Erblasserin setzt sich wie folgt zusammen:
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1. Sparbuch bei der Bank für Caritas 76,01 €
2. Sparbuch bei der Bank für Caritas 15.916,36 €
3. Sparbuch bei der Bank für Caritas 6.582,36 €
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4. Sparbuch bei der Bank für Caritas 6.064,52 €
5. Wertpapierdepot 70.166,81 €
6. Girokonto 5.691,26 €
7. DIFA-Fonds 17.912,57 €
8. DIFA-Fonds 9.692,39 €.
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Des weiteren hatte die Erblasserin zwei Lebensversicherungen bei der ... mit
Versicherungsnummer ... und Versicherungsnummer ..., sowie zwei Versicherungen bei
dem Versorgungswerk der ... GmbH Nr. ... und Nr. ... abgeschlossen. Widerruflich
Bezugsberechtigte waren die Beklagten. Die ausgezahlte Versicherungssumme
zuzüglich Überschussbeteiligung belief sich bei der Lebensversicherung der ... mit der
Versicherungsnummer ... auf 44.490,08 €, bei der Lebensversicherung der ... mit der
Versicherungsnummer ... auf 20.374,92 €. Bezüglich der Versicherung Nr. ... bei dem
Versorgungswerk der ... GmbH belief sich die ausgezahlte Versicherungssumme nebst
Überschussanteil auf insgesamt 50.721,10 €, bei der Versicherung Nr. ... auf 3.125,90 €.
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Auf den Pflichtteils- sowie Pflichtteilsergänzungsanspruch des Klägers haben die
Beklagten insgesamt 39.173,30 € gezahlt.
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Der Kläger ist der Ansicht, dass die Lebensversicherung der ... mit der
Versicherungsnummer ... nicht nur mit der Summe der eingezahlten Prämien in Höhe
von unstreitig 60.936,80 €, sondern mit der gesamten Versicherungssumme in die
Berechnung einzustellen sei. Schenkungsgegenstand sei die gesamte
Versicherungssumme und nicht etwa die Summe der eingezahlten
Versicherungsprämien. Bei der weiteren Lebensversicherung der ... mit
Versicherungsnummer ... sowie den Versicherungen bei dem Versorgungswerk der ...
GmbH seien ebenfalls nicht die Prämien, sondern die Versicherungssumme zu
berücksichtigen. Bei der Lebensversicherung mit der Versicherungsnummer ... greife die
10-Jahressperre gemäß § 2325 Abs. 3 BGB nicht ein, da bei einem Vertrag zugunsten
Dritter auf den Todesfall bei einem widerruflichen Bezugsrecht der Zeitpunkt, in dem der
Schenker den Gegenstand tatsächlich und rechtlich an den Beschenkten verliere, der
des Erbfalls sei, denn bis zu diesem Zeitpunkt hätte die Erblasserin das Bezugrecht
jederzeit wiederrufen oder ändern können.
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Die Kammer hat am 20.02.2007 im schriftlichen Vorverfahren gegen die Beklagte zu 1)
Teilversäumnisurteil erlassen (vgl. Blatt 52 ff. der Akte). Gegen das ihr am 13.03.2007
zugestellte Teilversäumnisurteil hat die Beklagte zu 1) mit Schriftsatz vom 14.03.2007,
bei Gericht eingegangen am selben Tag, Einspruch eingelegt.
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Nachdem der Kläger ursprünglich beantragt hat, die Beklagten zur Zahlung von
24.033,77 € nebst Zinsen zu verurteilen, hat er die Klageforderung mit Schriftsatz vom
29.11.2006 auf 23.530,27 € reduziert und beantragt nunmehr,
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die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 23.530,27 € nebst 4
Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,
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das Teilversäumnisurteil vom 20.02.2007 aufzuheben und die Klage
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abzuweisen.
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Bezüglich der Lebensversicherung der ... mit Versicherungsnummer ... sind die
Beklagten der Ansicht, dass pflichtteilsrelevant nur die gezahlten Prämien in Höhe von
16.936,80 € seien. Bezüglich der Lebensversicherung der ... mit Versicherungsnummer
... greife die 10-Jahressperre gemäß § 2325 Abs. 3 BGB ein, da die Erblasserin, was
zwischen den Partein unstreitig ist, zum Stichtag des 01.06.1994 60.000,00 DM an die ...
als Beitragsvorauszahlung überwiesen habe. Die tatsächliche Entfernung aus dem
aktuellen Barvermögen sei daher außerhalb der 10-Jahresfrist erfolgt. Bezüglich der
Versicherungen bei dem Versorgungswerk der ... GmbH seien ebenfalls nur die
innerhalb der 10-Jahresfrist unstreitig gezahlten Prämien in Höhe von 2.396,12 € in die
Berechnung einzustellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist begründet.
19
Das am 20.02.2007 erlassene Teilversäumnisurteil gegen die Beklagte zu 1) war jedoch
aufzuheben, da der Kläger keinen Antrag auf Erlass eines Versäumnisurteils gestellt
hat.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Pflichtteils- und
Pflichtteilsergänzungsanspruch in der geltend gemachten Höhe von 23.530,27 € aus §§
1925 Abs. 3, 2303 Abs. 2, 2325 BGB zu.
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Nachdem der Beklagtenvertreter in der mündlichen Verhandlung vom 03.05.2007
unstreitig gestellt hat, dass sich die Summe auf dem Sparbuch der Caritas nicht auf
15.616,36 €, sondern auf 15.916,36 € belief, war für die Entscheidung des
Rechtsstreites letztlich nur von Bedeutung, ob die Versicherungssumme oder nur die
von der Erblasserin geleisteten Prämien als Gegenstand der Zuwendung anzusehen
sind.
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Nach der Rechtsprechung von RG und BGH sowie der ihr folgenden herrschenden
Meinung ist bei einer Lebensversicherung für den Todesfall mit widerruflicher
Bezugsberechtigung eines Dritten ergänzungserheblicher Gegenstand der Schenkung
nicht die Versicherungssumme, sondern die vom Erblasser entrichteten Prämien bis
zum Grenzwert der Versicherungssumme, da der Versicherungsanspruch von dem
Dritten originär aus dem Lebensversicherungsvertrag und nicht aus dem Vermögen des
Versicherungsnehmers erworben werde (RGZ 128, 187 (190); BGHZ 7, 134 (143); BGH
FamRZ 1976, 615 ff.; MüKo/Musielak, § 2301 Rn. 43; Staudinger/Olshausen, § 2325 Rn.
38; Erman-Schmidt, § 2301 Rn. 14; i. Erg. wohl auch Soergel/Dieckmann, § 2325 Rn.
22) .
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Der 9. Zivilsenat des BGH hat jedoch in seinem Urteil vom 23.10.2003 (Aktenzeichen:
IX ZR 252/01) unter Aufhebung der bisherigen Rechtsprechung – allerdings zum
Zuwendungsgegenstand im Insolvenzrecht - entschieden, dass bei einem
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Lebensversicherungsvertrag mit widerruflicher Bezugsberechtigung eines Dritten der
Anfechtungsanspruch gegen den Dritten nach dem Eintritt des Versicherungsfalls stets
auf Rückgewähr des Anspruchs auf die Versicherungssumme bzw. der
Versicherungssumme selbst und nicht auf Rückgewähr der von dem
Versicherungsnehmer geleisteten Prämien gerichtet ist. Er hat dies damit begründet,
dass der Bezugsberechtigte die Versicherungssumme als eine durch den Versicherer
vermittelte unentgeltliche Leistung des Versicherungsnehmers im Sinne von § 134 Abs.
1 InsO erwerbe, sofern der Bezugsberechtigte für den Erwerb keine Gegenleistung
aufbringen müsse. Diese unentgeltliche Leistung sei auch im Falle einer anfänglichen
Begünstigungserklärung als eine mittelbare Zuwendung des Versicherungsnehmers
anfechtbar, da der Versicherungsnehmer die an den Bezugsberechtigten ausgezahlte
Versicherungssumme mit seinen Prämienaufwendungen "erkauft" habe.
Die Kammer ist der Auffassung, dass die zitierte Entscheidung des BGH zum
Insolvenzrecht auf die vorliegende erbrechtliche Problematik übertragbar ist und bei
dem hier vorliegenden widerruflichen Bezugsrecht die gesamte Versicherungssumme
zuzüglich etwaiger Überschussanteile der Ergänzung unterliegt (so auch
Prölls/Martin/Kollhosser, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Auflage, Anm. 48 zu § 13
ALB 86; Hasse; Lebensversicherung und erbrechtliche Ausgleichsansprüche, S. 38 ff.;
Elfring ZEV 04, 305 m.w.N.; wohl auch Palandt/Edenhofer, 65. Auflage, § 2325 Rn. 12).
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Denn eigentlicher Gegenstand der Schenkung ist der Anspruch auf die
Versicherungssumme. Wäre diese Schenkung unterblieben, dann wäre der
Versicherungsanspruch nach § 1922 Abs. 1 BGB in den Nachlass des
Versicherungsnehmers gefallen und hätte bei der Berechnung des Pflichtteils nach §
2311 Abs. 1 Satz 1 BGB in vollem Umfang Berücksichtigung gefunden. Die
Pflichtteilsberechtigten können deshalb verlangen, dass der Anspruch auf die
Versicherungssumme nach § 2325 Abs. 1 BGB dem Nachlass des
Versicherungsnehmers hinzugerechnet wird und ihren Pflichtteilsanspruch
entsprechend erhöht.
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Bei der widerruflichen Begünstigung erfolgt unabhängig davon, ob der Dritte sofort mit
Vertragsschluss oder erst später benannt wird, die ausgleichpflichtige, unentgeltliche
Vermögensverschiebung durch eine mittelbare Zuwendung des
Versicherungsanspruchs, wobei die Bereicherung des Beschenkten – bei
wirtschaftlicher Betrachtungsweise – aus dem Vermögen des Schenkers herrührt. Der
Versicherungsanspruch verbleibt zunächst im Vermögen des Versicherungsnehmers,
bis der Dritte mit Eintritt des Versicherungsfalls ein dem Forderungsrecht des
Versicherungsnehmers gleichartiges Forderungsrecht erwirbt (vgl. Hasse aaO, S. 38).
Hasse ist zuzustimmen, wenn er meint, dass die Gleichartigkeit nicht unter Hinweis
darauf verneint werden kann, dass der zunächst dem Versicherungsnehmer zustehende
und dann vom Begünstigten erworbene Versicherungsanspruch grundsätzlich erst mit
Eintritt des Versicherungsfalls (d. h. zeitgleich mit dem Rechtserwerb des Dritten) fällig
wird und dann – anders als zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers – auf Auszahlung
der vereinbarten Versicherungssumme gerichtet ist, die nur bis zur Höhe des
Deckungskapitals durch die vom Versicherungsnehmer aufgewendeten Mittel und –
insbesondere bei einer kurzen Versicherungsdauer – überwiegend aus den Mitteln der
versicherten Gemeinschaft gespeist wird. Denn dieser Umstand – Anspruchsfälligkeit
bei Eintritt des Versicherungsfalls mit einem im Vergleich zu einer vorzeitigen
Vertragsbeendigung zu Lebzeiten des Versicherungsnehmers erweiterten
Leistungsumfang unter Heranziehung der versicherten Gemeinschaft – stellt eine
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Eigentümlichkeit der Todesfallversicherung dar, die weder mit der Art des
Rechtserwerbs des Begünstigten in Zusammenhang steht, noch Rückschlüsse auf eine
angeblich fehlende Bereicherung des Begünstigen aus dem Vermögen des
Versicherungsnehmers zulässt (vgl. Hasse aaO, S. 39 f.). Dieses Ergebnis entspricht
auch der Auffassung des 9. Zivilsenats des BGH, der in seinem Urteil vom 23.10.2003
ausführt, bei mittelbaren Zuwendungen kommt es "grundsätzlich nicht darauf an, welche
Mittel der Versprechensempfänger (Schuldner) aufgebracht, sondern welche Leistungen
der Versprechende nach dem Inhalt seiner Vertragsbeziehung zum Schuldner bei
Eintritt der Fälligkeit zu erbringen hatte […]. Übertragen auf den
Lebensversicherungsvertrag bedeutet dies, dass die anfechtbare Leistung nicht in der
Summe der vom Versicherungsnehmer aufgebrachten Prämien, sondern in der dem
Dritten ausbezahlten Versicherungssumme zu sehen ist."
Bei Zugrundelegung einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise besteht bei der
widerruflichen Begünstigung die Vermögensminderung beim Versicherungsnehmer in
dem Verlust des Versicherungsanspruchs, der zugleich den Vermögenszuwachs beim
Begünstigten darstellt (vgl. Hasse aaO). Ergänzungserheblicher
Schenkungsgegenstand ist mithin der Versicherungsanspruch zuzüglich etwaiger
Überschussanteile.
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Diese Betrachtungsweise korrespondiert letztlich auch mit der Rechtslage im
Erbschaftssteuer- und Schenkungssteuerrecht. Hier entspricht es einer allgemeinen
Auffassung, dass der Erwerb des Bezugsberechtigten in Gestalt des vollen Wertes der
Versicherungssumme der Erbschaftssteuerpflicht nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG
unterliegt (RFHE 23, 242; BFHE 56, 622 (624); BFHE 57, 648 (649-650); BFHE NJW
1999, 3736).
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Da bei der widerruflichen Begünstigung der Rechtserwerb des Dritten erst mit Eintritt
des Versicherungsfalls erfolgt, der - wie hier bei der Todesfallversicherung auf das
eigene Leben des Versicherungsnehmers – mit dem Erbfall identisch ist, ist die
Schenkung vorliegend auch nicht gemäß § 2325 Abs. 3 BGB der Pflichtteilsergänzung
entzogen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Zwar ist die Reduzierung
des Klageantrages mit Schriftsatz vom 29.11.2006 von 24.033,77 € auf 23.530,27 € als
teilweise Klagerücknahme zu werten, da klägerseits eine bereits vor Anhängigkeit
geleistete Zahlung der Beklagten vom 12.09.2006 in Höhe von 578,50 € nicht
berücksichtigt worden ist. Dennoch waren den Beklagten die Kosten des Rechtsstreits
voll aufzuerlegen, da es sich bei der Zuvielforderung in Höhe von 503,50 € um eine
verhältnismäßig geringfügige Zuvielforderung (2 %) handelt und keine höheren Kosten
angefallen sind.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in §
709 ZPO.
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