Urteil des LG Köln vom 08.02.2006

LG Köln: berechnung des invaliditätsgrades, unfallversicherung, versicherungsschutz, versicherungsnehmer, fett, transparenzgebot, rente, leistungsfähigkeit, kenntnisnahme, aufmerksamkeit

Landgericht Köln, 26 O 426/05
Datum:
08.02.2006
Gericht:
Landgericht Köln
Spruchkörper:
26. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 O 426/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils
zu vollstre-ckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
1
Die Parteien sind durch einen Unfallversicherungsvertrag miteinander verbunden.
Vertragsbeginn war der 1.9.2001, als Vertragsdauer war ein Zeitraum von zunächst 5
Jahren vereinbart mit einer automatischen Verlängerungsoption für den Fall einer
fehlenden Kündigung. Als Tarif war "Unfallgiro Komfort" mit Zuwachs von Leistung und
Betrag vereinbart. Im ersten Versicherungsschein vom 31.8.2001 war für den Zeitraum
1.9.2001 bis 1.9.2002 eine monatliche Rente von 1.000 DM angegeben.
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In dem Vertrag wurde die Geltung der Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen
2000 der Beklagten (im Folgenden AUB 2000) und u.a. der Besonderen Bedingungen
für die Versicherung einer Unfallrente bei einem Invaliditätsgrad ab 50 Prozent (im
Folgenden Besondere Bedingungen) vereinbart.
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Auf Seite 4 des Versicherungsscheins vom 31.8.2001 ist unter "wichtige Hinweise" und
der Zahl 920, die sich auch auf Seite 2 hinter der vereinbarten Rentenleistung findet,
aufgeführt:
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"Es gelten die Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfallrente bei
einem Invaliditätsgrad ab 50 %."
5
In den dem Kl. zur Verfügung gestellten Verbraucherinformationen heißt es auf S. 5
unter "Was bietet die Unfallversicherung" u.a.:
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"Unfallrente Komfort: Bei einer unfallbedingten dauernden Beeinträchtigung der
körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit von mindestens 50 % zahlen wir
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unabhängig vom Lebensalter der Person zusätzlich zu einer Invaliditätsleistung -
sofern diese vereinbart ist – monatlich die Unfallrente bis zum Ende des Monats, in
dem die versicherte Person stirbt."
In der Verbraucherinformation auf S. 23f. sind auch die "Besonderen Bedingungen für
die Versicherung einer Unfallrente bei einem Invaliditätsgrad ab 50 Prozent"
abgedruckt, wobei diese Überschrift fett gedruckt und "Unfallrente
Komfort" dabei hervorgehoben ist.
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In diesen Besonderen Bedingungen zur Unfallrente Komfort heißt es, dass ergänzend
zu Ziff. 2 der AUB 2000 eine Unfallrente entsprechend den nachfolgenden Bedingungen
gezahlt wird. Im Folgenden wird unter Ziff. 1 der Besonderen Bedingungen
(Voraussetzungen für die Leistung) bestimmt, Bl. 44 d.A.:
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"Die Voraussetzungen für eine Invaliditätsleistung sind nach Ziff. 2.1.1.1 der AUB
2000 der A-Sachvers. gegeben.
10
Der Unfall hat zu einem nach Ziff. 2.1.2.2.1 bis Ziff. 2.1.2.2.4 und Ziff. 3 der AUB
2000 der A-Sachvers. ermittelten Invaliditätsgrad von mindestens 50 % geführt."
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In Ziff. 2.1.1.1 der AUB 2000 der Beklagten heißt es:
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"Die versicherte Person ist durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder
geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt (Invalidität). Die Invalidität ist
13
- innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
14
- innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt
schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden."
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Im Versicherungsschein vom 31.8.2001 wird jedoch auf eine Verlängerung dieser
Fristen hingewiesen (18 und 24 Monate).
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Bei den anderen in Bezug genommenen Ziffern der AUB 2000 handelt es sich um die
Bestimmungen zur Berechnung des Invaliditätsgrades, der Gliedertaxe (2.1.2.2.1),
andere Körperteile (2.1.2.2.2.), Vorinvalidität (2.1.2.2.3.), Zusammenrechnung
(2.1.2.2.4.) und Mitwirkung von Krankheiten (3.).
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Bei Verletzung des Fußes im Fußgelenk ist gem. Ziff. 2.1.2.2.1 (Gliedertaxe) der AUB
2000 ein fester Invaliditätsgrad von 40 % vereinbart.
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Am 10.4.2002 erlitt der Kläger einen Unfall bei einem Sprung von einer LkW-
Ladefläche. Dabei zog er sich eine bimalleolare Fußgelenksfraktur im oberen
Sprunggelenk links zu.
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Die Beklagte lehnte eine Leistung aus der Unfallversicherung mit Schreiben vom
16.4.2005 und 23.6.2005 ab, nachdem der Kläger unter Vorlage eines ärztlichen
Berichts vom 8.8.2002 Invalidität geltend gemacht hatte.
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Der Kläger beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 24.365, 15 € nebst 5 Prozentpunkte über
dem Basiszinssatz gem. § 1 des Diskontüberleitungsgesetzes vom 9.6.1998 als
Zinsen seit dem 24.2.2005 zu zahlen,
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an ihn ab dem 1.9.2005
Unfallrente Komfort nebst 5 Prozentpunkte über dem Basissatz gem. § 1 des
Diskontüberleitungsgesetzes vom 9.6.1998 als Zinsen in der dann jeweilig
vereinbarten Höhe zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
25
Die Beklagte ist der Auffassung, ein Anspruch auf Zahlung der Unfallrente bestehe
schon daher nicht, da der erforderliche Invaliditätsgrad von 50 % schon aufgrund der
festen Gliedertaxe von 40 % nicht erreicht werden könne.
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Die Beklagte ist außerdem der Ansicht, der ihr vorliegende ärztliche Bericht vom
8.8.2002 erfülle nicht die Voraussetzungen i.S.d. Bedingungen und lege insbesondere
nicht die unfallbedingte Invalidität dar und später vorgelegte ärztliche Unterlagen seien
erst nach Ablauf der maßgeblichen Frist erstellt worden.
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Zur Ergänzung des Sach – und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten und zu den Akten gereichten Schriftsätzen nebst Anlagen Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist unbegründet.
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Dem Kläger steht kein Anspruch auf Versicherungsleistungen aus der mit der Beklagten
geschlossenen Unfallversicherung wegen des Unfallereignisses am 10.4.2002 zu (§§ 1
Abs. 1 S. 2, 179 Abs. 1 VVG).
31
Die Beklagte ist nicht leistungspflichtig, denn der hier erforderliche Invaliditätsgrad von
50 % wird vorliegend nicht erreicht.
32
Bei einer Verletzung des Fußes im Fußgelenk ist gem. Ziff. 2.1.2.2.1 (Gliedertaxe) der
AUB 2000 ein fester Invaliditätsgrad von 40 % vereinbart.
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Die Gliedertaxe schließt als vorrangige Sonderregelung einen höheren oder geringeren
Invaliditätsgrad, der sich aus der konkreten Beeinträchtigung ergeben könnte, aus
(Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl. § 7 AUB 94 Rn. 24).
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Auch das hier betroffene obere Sprunggelenk gehört anatomisch zum Fußgelenk.
Selbst wenn dafür auf die Gliedertaxe "Bein bis zur Mitte des Unterschenkels" abgestellt
würde, ergäbe dies nur eine max. Gliedertaxe von 45 % nach Ziff. 2.1.2.2.1 der AUB
2000.
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Nach dem Versicherungsvertrag setzt die Leistungspflicht der Beklagten einen
Invaliditätsgrad von 50 % voraus.
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Dies ergibt sich aus Ziff. 1 der Besonderen Bedingungen in Verbindung mit den dort in
Bezug genommenen Bestimmungen der AUB 2000, namentlich Ziff. 2.1.1.1 und Ziff.
2.1.2.2.1 bis 2.1.2.2.4.
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Ziff. 1 der Besonderen Bedingungen beinhaltet die weitere Voraussetzung, dass der
Unfall nach den in Bezug genommen Bestimmungen zu einem Invaliditätsgrad von
mindestens 50 % geführt hat. Bei der in Bezug genommenen Ziff. 2.1.2.2.1. der AUB
2000 handelt es sich um die Gliedertaxe. Damit ist ausweislich der Besonderen
Bedingungen auch bei der Unfallrente Komfort der Invaliditätsgrad nach der festen
Gliedertaxe zu bestimmen.
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Bei der Regelung über den erforderlichen Invaliditätsgrad von 50 % als
Leistungsvoraussetzung handelt es sich auch um keine überraschende Klausel im
Sinne von § 305c Abs. 1 BGB. Es liegt keine so ungewöhnliche Bedingung vor, dass
der Vertragspartner nicht damit zu rechnen brauchte. Voraussetzung von § 305c Abs. 1
BGB ist, dass zum einen eine objektiv ungewöhnliche Klausel vorliegt. Zum anderen
muss der Klausel ein Überrumpelungs- oder Übertölpelungseffekt innewohnen (BGH
NJW 1995, 2637, 2638). Dabei ist auf die Erkenntnismöglichkeiten eines
Durchschnittskunden abzustellen (BGH a.a.O.). Von einem Überrumpelungs- oder
Übertölpelungseffekt kann vorliegend nicht ausgegangen werden, denn zum einen ist in
den Verbraucherinformationen auf S. 5 die Unfallrente Komfort mit dem 50 %-Erfordernis
im Überblick dargestellt. Zum anderen ist auch bei den Besonderen Bedingungen auf S.
23 der Verbraucherinformation in der Überschrift ".. bei einem Invaliditätsgrad ab 50 %"
fett gedruckt und "Unfallrente Komfort" dabei hervorgehoben. Auch im
Versicherungsschein findet sich unter "Wichtige Hinweise" Ziff. 920 die Bemerkung,
dass die Besonderen Bedingungen für die Versicherung einer Unfallrente bei einem
Invaliditätsgrad ab 50 % gelten.
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Die Regelung verstößt auch nicht gegen § 307 BGB. Eine unangemessene
Benachteiligung des Klägers liegt nicht vor.
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Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot gem. § 307 Abs. 1 S. 2 BGB kann vorliegend
nicht erblickt werden. Das Transparenzgebot verpflichtet den Verwender, Rechte und
Pflichten seines Vertragspartners in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen möglichst
klar und durchschaubar darzustellen (BGH NJW 2001, 2014, 2016). Hier ist das
Erfordernis eines Invaliditätsgrades von 50 % an mehreren Stellen in den
Vertragsbedingungen hervorgehoben, insbesondere fett gedruckt in der Überschrift zu
den Besonderen Bedingungen. Diese Voraussetzung ist für den durchschnittlichen
Versicherungskunden auch ohne weiteres aus sich heraus verständlich. Die Tatsache,
dass die in Bezug genommene Gliedertaxe mit den einzelnen Graden der Invalidität in
der Klausel nicht wörtlich wiedergegeben, sondern nur auf die entsprechende Ziff.
2.1.2.2.1 der AUB 2000 verwiesen wird, ist unschädlich (vgl. OLG Düsseldorf, VersR 97,
1134). Denn ein Nachlesen und eine Kenntnisnahme dieser Bestimmungen war dem
Versicherungsnehmer ohne Schwierigkeiten möglich. Zudem wäre auch eine unnötige
Wirrnis im Klauseltext unschädlich, wenn sich der Klauselinhalt mit der gebotenen
Aufmerksamkeit erschließen lässt (BGH NJW-RR 95, 749).
41
Das 50 % Erfordernis weicht auch weder von wesentlichen Grundgedanken des VVG
ab, noch schränkt sie die wesentlichen Rechte und Pflichten, die sich aus dem
Versicherungsvertrag ergeben, so ein, dass die Erreichung Vertragszwecks gefährdet
42
wäre, § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB.
Eine vertragliche Abweichung von Allgemeinen Versicherungsbedingungen ist möglich,
sofern die Änderung – wie hier - weder zwingende noch halbzwingende Vorschriften
des VVG verletzt.
43
Eine Einschränkung der vertragswesentlichen Rechte und Pflichten dergestalt, dass
eine Aushöhlung der Kardinalpflichten vorliegt, ist hier nicht gegeben.
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Die Unfallversicherung dient der Absicherung bei Unfällen. Die Hauptleistung der
Unfallversicherung besteht dabei in der Invaliditätsleistung.
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Eine Aushöhlung der Kardinalpflichten kann dann angenommen werden, wenn ein
wirtschaftlich sinnvoller Versicherungsschutz nicht mehr gewährleistet werden kann und
eine berechtigte Erwartung des Versicherungsnehmers enttäuscht wird (OLG
Düsseldorf, VersR 97, 1134). Dabei ist die Klausel nicht isoliert zu bewerten, sondern
aufgrund einer Beurteilung des gesamten Vertragsgefüges, um gegebenenfalls eine
Kompensation etwaiger Nachteile durch Vorteile an anderer Stelle berücksichtigen zu
können.
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Auch ist zunächst zu beachten, dass die AUB selbst keinen lückenlosen
Versicherungsschutz wegen Unfallverletzungen gewähren und der durchschnittliche
Versicherungsnehmer dies auch nicht erwartet (OLG Düsseldorf a.a.O.). Als ein Vorteil
für den Versicherungsnehmer kann gewertet werden, dass der streitgegenständliche
Vertrag sich nicht auf eine einmalige Invaliditätsleistung, sondern auf eine lebenslange
Rente richtet.
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Zwar wird die Leistung hier in nicht geringen Maße eingeschränkt, aber für bedeutende
Fallgruppen und Vollinvalidität besteht Leistungsschutz. Gerade bei
schwerwiegenderen Fällen, wie z.B. bei Verlust oder Funktionsfähigkeit eines Auges,
bewertet mit 50 %, oder einer Hand im Handgelenk (55 %) greift die Versicherung ein.
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Damit besteht weiterhin ein wirtschaftlich sinnvoller Versicherungsschutz.
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Vergleichbar einschränkende Klauseln wurden von der Rechtsprechung bislang als
zulässig erachtet, so vom OLG Düsseldorf für den Fall einer Klausel mit einem 20 %igen
Invaliditätsgrad (VersR 97, 1134) und vom OLG Frankfurt für den Fall einer Klausel, die
eine Invaliditätsentschädigung nur bei Totalverlust eines Glieds entsprechend der
Gliedertaxe oder bei Ganzinvalidität vorsieht (VersR 2001, 451).
50
Die Frage, ob die weiteren Anspruchsvoraussetzung, wie eine ärztliche Feststellung der
unfallbedingten Invalidität, vorliegt, kann damit mangels Einrittspflicht der Beklagten
dahinstehen.
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Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
52
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709 S. 1 und 2
ZPO.
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