Urteil des LG Kleve vom 16.11.2010

LG Kleve (stgb, stpo, örtliche zuständigkeit, unterbringung, bewährung, anordnung, zuständigkeit, strafkammer, widerruf, kommentar)

Landgericht Kleve, 181 StVK 276/10
Datum:
16.11.2010
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
1. Strafvollstreckungskammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
181 StVK 276/10
Schlagworte:
Zuständigkeit, Bewährungswiderruf, Kriesenintervention, StVK
Normen:
§ 462 a Abs. 2 StPO, § 463 StPO, § 67b StGB, § 67 h StGB
Leitsätze:
Das Gericht des ersten Rechtszuges, das die Unterbringung gem. §§ 63,
67 b StGB im Urteil zur Bewährung ausgesetzt hat, ist auch dann noch
für die Widerrufsentscheidung zuständig, wenn sich der Verurteilte
inzwischen in der Krisenintervention befindet.
Tenor:
N erklärt sich die 1. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts L für
sachlich unzuständig.
Gründe
1
I.
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Im Sicherungsverfahren wurde durch Urteil der 1. großen Strafkammer des Landgerichts
N vom 25.11.2004 die Unterbringung der in N wohnhaften Probandin in einem
psychiatrischen Krankenhaus angeordnet (§ 63 StGB). Gleichzeitig wurde die
Vollstreckung der Unterbringung zur Bewährung ausgesetzt (§ 67b StGB). Das Urteil
wurde sogleich rechtskräftig.
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Durch Beschluss vom 23.08.2010 hat das Gericht des 1. Rechtszuges (die 1. große
Strafkammer des Landgerichts N) die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus – längstens bis zum 23.11.2010 - in Vollzug gesetzt (Krisenintervention
gemäß § 67h StGB) und die sofortige Vollziehbarkeit (§ 463 Abs. 6 Satz 2 StPO)
angeordnet.
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Die Probandin, die sich zwischenzeitig in der LVR-Klinik W (Landgerichtsbezirk N)
befand, wurde auf Veranlassung des Landschaftsverbandes für die restliche Zeit der
Krisenintervention in die LVR-Klinik C (Landgerichtsbezirk L) aufgenommen.
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Mit dem am 15.11.2010 hier eingegangenen Bewährungsheft hat die Staatsanwaltschaft
N nunmehr bei der StVK des LG L den Widerruf der Aussetzung zur Bewährung
beantragt.
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II.
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Es fehlt an der sachlichen Zuständigkeit der StVK, da für die Entscheidung über den
Widerrufsantrag gem. §§ 463 Abs. 1, 462a Abs. 2 StPO das Gericht des ersten
Rechtszuges zuständig ist.
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Solange der Vollzug der Maßregel nicht begonnen hat, ist für Nachtragsentscheidungen
das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig (Appl in Karlsruher Kommentar zur StPO,
6. Aufl., § 462a Rn. 10; Kamann, Handbuch für die Strafvollstreckung, 2. Aufl. Rn. 304;
Röttle/Wagner, Strafvollstreckung, 8. Aufl., Rn. 1047; Hubrach in Leipziger Kommentar
zum StGB, 12. Aufl., § 56f Rn. 1). Der Vollzug der Maßregel gemäß § 63 StGB
(Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus) hat hier noch nicht begonnen;
sie wurde zeitgleich mit der Anordnung zur Bewährung ausgesetzt; ein rechtskräftiger
Widerruf liegt noch nicht vor.
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Dem entsprechend ist das erstinstanzliche Gericht, das in seinem Urteil gleichzeitig mit
Anordnung die Aussetzung der Unterbringung zur Bewährung (§ 67b StGB) angeordnet
hat, auch für die Anordnung der Krisenintervention zuständig (LG T [1. Strafkammer],
Beschluss vom 10.12.2008 – 1 BRs 4/08, abrufbar bei juris mit Anm. Peglau, jurisRR-
StrafR 6/2009; Fischer, StGB, 57. Aufl., § 67h Rn. 5 in Verbindung mit § 67g Rn. 13). Zu
Recht ist daher hier insoweit die 1. große Strafkammer des LG N tätig geworden.
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die Untergebrachte sich derzeit in der
Krisenintervention gemäß § 67h StGB befindet. Vorbereitende Maßnahmen innerhalb
des Vollstreckungsverfahrens begründen nämlich die Zuständigkeit der StVK nicht
(Appl in Karlsruher Kommentar zur StPO, 6. Aufl., § 462a Rn. 10; Graalmann-Scheerer
in Löwe-S, StPO, 26. Aufl., § 462a Rn. 8). Dem entsprechend werden beispielsweise
auch die Untersuchungshaft und die Sicherungshaft nicht schon als Straf- bzw.
Maßregelvollstreckung eingeordnet (Meyer-Goßner, StPO, 53. Aufl., § 462a Rn. 5).
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Auch praktische Überlegungen sprechen für die vorstehende Ansicht. Bei Anordnung
der Krisenintervention durch das erstinstanzliche Gericht muss dieses ständig von Amts
wegen prüfen, ob die Krisenintervention wegen Wegfalls der
Anordnungsvoraussetzungen vorzeitig wieder aufgehoben werden kann. Es würde zu
einer unnötigen Doppelbelastung der angespannten Ressourcen der Justiz und zur
Gefahr widersprüchlicher Entscheidungen führen, wenn gleichzeitig für die
Entscheidung über den Widerruf ein anderes Gericht zuständig wäre. Zudem ist es
sachdienlich, wenn die Kammer, die auf der Grundlage einer alle erheblichen Umstände
aufklärenden Hauptverhandlung "besondere Umstände" im Sinne des § 67b StGB
festgestellt hat, auch diese Nachtragsentscheidung trifft.
12
III.
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Dahingestellt bleiben kann, ob die örtliche Zuständigkeit durch einen zeitig begrenzten
Aufenthalt in der Krisenintervention begründet werden kann.
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Eine Verweisung an das erstinstanzliche Gericht scheidet mangels Rechtsgrundlage
aus (vgl. OLG D, Beschluss vom 20.02.2009 – 2 Ws 32/09). Weder § 209 StPO noch
§ 462a Abs. 1 Satz 3 StPO greifen ein.
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