Urteil des LG Kleve vom 16.04.2008

LG Kleve: pfändung, zustellung, pfandrecht, anfechtbarkeit, zwangsvollstreckung, zivilprozessordnung, anwendungsbereich, auszahlung, versicherung, anfechtung

Landgericht Kleve, 2 O 332/07
Datum:
16.04.2008
Gericht:
Landgericht Kleve
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 332/07
Tenor:
Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 7.392,55 Euro
zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 25.03.2006 sowie weitere 555,60 Euro nebst
Zinsen in Höhe von fünf Pro-zentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 11.10.2007 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt das beklagte Land.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
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Der Kläger wurde mit Beschluss des Amtsgerichts Kleve vom 17.01.2006 zum
Insolvenzverwalter über das Vermögen des Dr. Dr. xy bestellt. Der Insolvenzantrag
wurde am 01.06.2005 seitens Dritter gestellt. Bereits seit dem Jahr 2003 war der
Insolvenzschuldner zahlungsunfähig.
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Der Kläger nimmt das beklagte Land aus Insolvenzanfechtung in Anspruch.
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Der Insolvenzschuldner betrieb eine zahnärztliche und oralchirurgische Praxis.
Nachdem er spätestens im Jahre 2003 diese Tätigkeit einstellte, bezieht er seitdem von
der Nordrheinischen Ärzteversorgung Renteneinkünfte.
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Mit einer Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 09.01.2003 pfändete das beklagte
Land diese Renteneinkünfte zur Rentennummer ####1 wegen fälliger Ansprüche in
Höhe von insgesamt 610.489,41 Euro.
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Am 07.05.2003 gab der Insolvenzschuldner gegenüber dem Finanzamt N die
eidesstattliche Versicherung ab; vor dem Amtsgericht Rheinberg, Aktenzeichen 14 M
1422/06, gab er die eidesstattliche Versicherung am 03.09.2003 ab.
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Die Deutsche ##### erwirkte am 17.06.2003 einen Pfändungs- und
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Überweisungsbeschluss wegen Forderungen in Höhe von 50.000,00 Euro und stellte
diesen ebenfalls der ##### zu.
In dem Zeitraum März 2005 bis Januar 2006 zahlte die Drittschuldnerin an das beklagte
Land monatlich 672,05 €, insgesamt 7.392,55 €.
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Mit Schreiben vom 03.03.2006 erklärte der Kläger gegenüber dem beklagten Land die
Insolvenzanfechtung und forderte zur Zahlung der erlangten Beträge bis zum
24.03.2006 auf. Nachdem das beklagte Land die Zahlung ablehnte, forderte der Kläger
mit anwaltlichem Schreiben vom 05.06.2007 erneut vergeblich zur Zahlung auf.
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Der Kläger ist der Ansicht, die durch die Zwangsvollstreckung in die Renteneinkünfte
erlangten Zahlungen seien inkongruent im Sinne des § 131 InsO und damit anfechtbar.
Bei der Dreimonatsfrist des § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO komme es nicht auf den Zeitpunkt
der Pfändung an, sondern auf den jeweiligen Monat, in welchem die Rentenansprüche
fällig werden. Denn diese entstünden im Sinne des § 140 InsO jeden Monat neu. Daher
seien von der Anfechtung alle Zahlungen der Drittschuldnerin seit März 2005 erfasst.
Die Frage des relevanten Zeitpunktes sei bereits höchstrichterlich entschieden durch
das Urteil des Bundesfinanzhofes vom 12.04.2005, ZinsO 2005, Seite 888 – 890.
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Darüber hinaus verlangt der Kläger die außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung
ersetzt.
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Der Kläger beantragt,
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1. das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 7.392,55 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe
von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.03.2006 zu zahlen
und
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2. das beklagte Land zu verurteilen, an ihn weitere 555,60 Euro nebst Zinsen in
Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2007 zu
zahlen.
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Das beklagte Land beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es ist der Ansicht, der maßgebliche Zeitpunkt für die Insolvenzanfechtung sei die
Zustellung der Pfändungs- und Einziehungsverfügung vom 09.01.2003, da sich gem.
§ 832 ZPO bei Pfändungen von fortlaufenden Bezügen das Pfandrecht auch auf die
nach der Pfändung fälligen Beträge beziehe. Da allein die Verwertungshandlung im
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Dreimonatszeitraum liege, habe der Kläger keinen Anspruch auf Auszahlung des
geforderten Betrages. Das von dem Kläger zitierte Urteil des Bundesfinanzhofes betreffe
einen anderen Fall.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien
nebst Anlagen Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist begründet.
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Dem Kläger steht gegen das beklagte Land ein Zahlungsanspruch in Höhe von
7.392,55 Euro zu gem. § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO. Der Betrag setzt sich zusammen aus
den von März 2005 bis Januar 2006 von dem beklagten Land eingezogenen
Ansprüchen des Insolvenzschuldners gegen die Drittschuldnerin in Höhe von monatlich
672,05 Euro.
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Nach § 143 Abs. 1 Satz 1 InsO muss zur Insolvenzmasse zurückgewährt werden, was
durch die anfechtbare Handlung aus dem Vermögen des Insolvenzschuldners
veräußert, weggeben oder aufgegeben ist. Mit der erfolgreichen Anfechtung entsteht ein
schuldrechtlicher Anspruch auf Rückgewähr zur Insolvenzmasse (FK-InsO/Dauernheim,
§ 143 Rn. 1). Die in dem Zeitraum März 2005 bis Januar 2006 von der Drittschuldnerin
an das beklagte Land erbrachten Zahlungen von monatlich 672,05 Euro erfolgten
insolvenzrechtlich in anfechtbarer Weise.
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Nach der Vorschrift des § 131 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, wenn sie einem
Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt, die er nicht oder nicht in
der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte (inkongruente Deckung), und die
Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder
nach diesem Antrag (§ 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO) bzw. innerhalb des zweiten oder dritten
Monats vor dem Eröffnungsantrag bei gleichzeitiger Zahlungsunfähigkeit des
Insolvenzschuldners (§ 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO) vorgenommen worden ist. Unter die
inkongruenten Rechtshandlungen im Sinne dieser Vorschrift fallen auch
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, weil ein Gläubiger keinen Anspruch darauf hat, im
Wege der Zwangsvollstreckung eine Sicherung oder Befriedigung zu erlangen. Die
Befugnis des Gläubigers, sich mit Hilfe hoheitlicher Zwangsmittel eine rechtsbeständige
Sicherung oder Befriedigung der eigenen fälligen Forderung zu verschaffen, tritt dann
hinter dem Schutz der Gläubigergesamtschaft zurück (BGHZ 136, 309, 312 f.).
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Derartige anfechtbare Rechtshandlungen liegen in den genannten Zahlungen der
Drittschuldnerin an das beklagte Land. Dies gilt für die Zahlungen im März und April
2005 gem. § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO, da der Insolvenzantrag am 01.06.2006 gestellt
wurde und der Insolvenzschuldner nach dem unstreitigen Vortrag des Klägers bereits zu
diesem Zeitpunkt zahlungsunfähig war. Für die Zahlungen ab Mai 2005 bis Januar 2006
folgt die Anfechtbarkeit aus § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
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Dabei fallen die Rechtshandlungen in diesen Zeitraum, da als maßgeblicher Zeitpunkt
für die Anfechtbarkeit derselben das jeweilige Entstehen des Pfändungspfandrechts
relevant ist, dieses jeweils (erst) gemeinsam mit der Forderung entsteht und schließlich
die hier gepfändeten Rentenansprüche jeden Monat neu entstehen.
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Nach der Vorschrift des § 140 Abs. 1 InsO gilt eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt
vorgenommen, in dem ihre rechtlichen Wirkungen eintreten. Um rechtliche Wirkung
entfalten zu können, muss das Pfändungspfandrecht aber entstanden sein.
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Zwar entsteht dieses bei der Forderungspfändung nach § 829 Abs. 3 ZPO bzw. § 309
Abs. 2 Satz 1 AO 1977 grundsätzlich mit der Zustellung des Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses bzw. der Pfändungs- und Einziehungsverfügung an den
Drittschuldner, womit hier die Zustellung im Januar 2003, welche außerhalb des
Anfechtungszeitraums liegt, maßgeblich wäre. Etwas anderes gilt aber bei der Pfändung
künftiger Forderungen. Hier entsteht das Pfandrecht erst mit der Entstehung des
gepfändeten Rechts (vgl. u.a. BGH, Urt. v. 22.01.2004, NJW 2004, 1444; BFH, Urt. v.
12.04.2005, ZinsO 2005, 888; Stöber, Forderungspfändung, 14. Aufl., Rn. 30; Musielak,
Kommentar zur Zivilprozessordnung, 5. Aufl., § 829 Rn. 17). Es lässt sich die
Überlegung anführen, dass, wenn die Pfändung in eine nicht dem Schuldner gehörende
Forderung ins Leere geht, auch die Pfändung in eine noch nicht dem Schuldner
gehörende Forderung zunächst nicht zum Entstehen des Pfandrechts führen kann.
Insoweit ist die Wirksamkeit des Pfändungsaktes als solchem von dem Entstehen des
jeweiligen Pfändungspfandrechts in Bezug auf die konkrete – später entstehende –
Forderung zu unterscheiden. Nur der Pfändungsakt selbst ist auch bei künftigen
Forderungen bereits mit der Zustellung wirksam und entfaltet seine Wirkung im
Verhältnis zu anderen Gläubigern, insbesondere bei der Rangwahrung.
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Dies gilt auch für die im vorliegenden Fall erfolgte Pfändung von künftigen
Rentenansprüchen. Zwar betrifft die von dem Kläger zitierte Entscheidung des BFH vom
12.04.2005 in der Tat nicht unmittelbar die hier maßgeblichen Rentenansprüche,
sondern sonstige künftig fällig werdenden Ansprüche. Doch auch bei
Rentenansprüchen handelt es sich um künftig entstehende Forderungen, die monatlich
neu zur Auszahlung fällig werden. Mit der Zustellung der Pfändungs- und
Einziehungsverfügung vom 09.01.2003 wurden diese Ansprüche daher zwar in ihrer
Gesamtheit gepfändet, womit insbesondere die rangwahrende Wirkung erzielt wurde.
Das Pfändungspfandrecht selbst entstand aber jeden Monat neu mit dem Entstehen und
Fälligwerden der einzelnen monatlichen Forderung.
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Nichts anderes folgt aus § 832 ZPO, welcher bestimmt, dass das Pfandrecht, das durch
die Pfändung einer Gehaltsforderung oder einer ähnlichen in fortlaufenden Bezügen
bestehenden Forderung erworben wird, sich auch auf die nach der Pfändung fällig
werdenden Beträge erstreckt. Unter fortlaufenden Bezügen in diesem Sinne sind neben
den Lohn- und Gehaltsforderungen auch Rentenansprüche zu verstehen (vgl. § 850
Abs. 2 u. Abs. 3 ZPO; Musielak, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 5. Aufl., § 832 Rn.
2). Doch diese Vorschrift trifft bereits ihrem Wortlaut nach keine Aussage darüber, wann
eine derartige Pfändung im Einzelnen wirksam wird. Sie stellt lediglich sicher, dass sich
der Pfändungsbeschluss auch ohne ausdrückliche Anordnung auf alle künftig fällig
werdenden Raten bezieht (BGH, Beschluss v. 21.11.2002, NJW 2003, 1457, 1458). Ihr
Zweck ist es, durch einen einzigen Pfändungsbeschluss auch alle künftig fälligen
Bezüge zu erfassen und eine Vielheit von Pfändungen einzelner Forderungen aus
späteren, fortlaufenden Bezügen zu vermeiden (Zöller/Stöber, Zivilprozessordnung, 26.
Aufl., § 832 Rn. 1). Eine Aussage über den für die Anfechtbarkeit maßgeblichen
Zeitpunkt ist der Vorschrift nicht zu entnehmen. Insoweit ist die Pfändung von
Rentenbezügen nicht anders zu behandeln als die Pfändung anderer künftig fällig
werdender Forderungen. Dies entspricht auch dem Ziel der Insolvenzanfechtung,
nämlich dem Schutz der gleichmäßigen Gläubigerbefriedigung durch
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Rückgängigmachung von in zeitlicher Nähe zur Verfahrenseröffnung erfolgten
Vermögensverschiebungen (FK-InsO/Dauernheim, § 129 Rn. 1).
Auch die Regelung des § 114 Abs. 3 Satz 3 i.V.m. § 88 InsO führt zu keinem anderen
Ergebnis. Das Argument, dass die Vorschrift des § 114 InsO überflüssig wäre, wenn es
auf das jeweilige Entstehen der Forderung ankäme, da durch den Bezug auf § 88 InsO
das Pfandrecht ansonsten niemals bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirken
könne, überzeugt nicht. Ein eigener Anwendungsbereich verbleibt für § 114 InsO
beispielsweise bei bereits bestehenden, aber noch nicht fälligen Ansprüchen (vgl.
Argumentation des BFH, Urt. v. 12.04.2005, aaO.) Ein weiterer Anwendungsbereich ist
auch die über die bloße Sicherung hinausgehende Zwangsvollstreckung, also
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen, die unmittelbar zur Befriedigung des
Vollstreckungsgläubigers geführt haben. Auf diese erstreckt sich – im Gegensatz zu §
114 Abs. 3 InsO - die Vorschrift des § 88 InsO nicht (OLG Frankfurt a.M., Urt. v.
23.05.2002, NZI 2002, 491, 492 m.w.N.; FK-InsO/App, § 88 Rn. 6). Die Vorschrift des §
114 InsO ist daher auch nach dem hiesigen Ergebnis nicht überflüssig.
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Die Zinsforderung sowie der Anspruch des Klägers auf Ersatz der Kosten der
außergerichtlichen Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten folgen aus §§ 280 Abs. 2, 286
Abs. 1 Satz 1 BGB.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.
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Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruhen auf § 709 ZPO.
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Streitwert: 7.392,55 Euro
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