Urteil des LG Frankfurt am Main vom 04.01.2005

LG Frankfurt Main: sicherungsverwahrung, wiederaufnahme des verfahrens, ne bis in idem, unterbringung, vollzug der strafe, herztransplantation, körperliche unversehrtheit, besondere gefährlichkeit

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Gericht:
OLG Frankfurt 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 1278/04
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 100 Abs 1 GG, § 74f Abs 3
GVG, § 55 StGB, § 66 Abs 1 Nr
3 StGB, § 66b Abs 1 StGB
(Nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung: Zuständiges Gericht bei
Anschlussvollstreckung; neue Tatsachen als Voraussetzung
der nachträglichen Sicherungsverwahrung; Hangtäter;
Vorlage an Bundesverfassungsgericht bei vorläufiger
Unterbringung)
Tenor
Die Beschwerde wird verworfen.
Gründe
I.
1. Der seit dem Jahre 1985 in der Bundesrepublik Deutschland lebende, in Y
geborene, mittlerweile staatenlose und mit einem bis zum Jahre 2038 befristeten
Aufenthaltsverbot in seinem Heimatland belegte Betroffene wurde durch das Urteil
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 21.01.1987, Aktenzeichen 1 KLs 76 Js
29778/86, wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer
Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. a. Nach den dort getroffenen Feststellungen
hatte er in O 1 am 06.10.1986 nachts einer ihm zuvor nicht bekannten Studentin
angeboten, sie mit dem PKW von einem Lokal, in dem sich beide als Gäste
aufgehalten hatten, nach Hause zu fahren. Die Studentin nahm dieses Angebot
an. Als sie in der Nähe ihrer Wohnung aus dem Fahrzeug des Betroffenen
aussteigen wollte, fragte dieser sie, ob er mit in ihre Wohnung kommen könne. Als
die Geschädigte dies verneinte, hielt er sie plötzlich am Hals fest und zog sie an
den Haaren zu sich herüber. Dabei würgte er sie, bis sie keine Luft mehr bekam
und momentweise das Bewußtsein verlor. Sodann stieß er die Geschädigte quer
über die Vordersitze - den Kopf zur Fahrerseite. Mit der einen Hand hielt er sie am
Hals fest, mit der anderen zog er ihr die Strumpfhose, die Unterhose und den BH
aus. Ferner streifte er ihr Kleid bis zum Hals hoch. Als die Studentin versuchte, sich
zu wehren, drückte ihr der Betroffene den Hals zu, so daß sie begann, Todesangst
zu empfinden, und drohte ihr, sie könne tun, was sie wolle, er werde sie doch
umbringen. Zudem gab er ihr zwei feste Ohrfeigen, wovon sie noch mehrere Tage
Schmerzen hatte. Dann zog der Betroffene, der das Opfer mit der einen Hand
weiterhin festhielt, sich selbst Hose und Unterhose herunter und verlangte von
dem Opfer, ihn mit der Hand sexuell zu befriedigen. Da die Geschädigte dies
energisch ablehnte, rieb er sein Glied selbst. Dann führte er sein erigiertes Glied in
ihre Scheide ein und übte den Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguß aus.
Danach gelang es der Geschädigten, sich aus dem Auto zu befreien und zu
entkommen. Sie hatte in der Folgezeit aufgrund der erlittenen Mißhandlungen
Blutergüsse am Oberkörper, dem Hals und den Armen, litt etwa einen Monat unter
Depressionen sowie noch zur Zeit des Urteils teilweise unter Magenschmerzen
und Schlafstörungen.
In der Hauptverhandlung hatte der Betroffene die Tat im wesentlichen
eingestanden und lediglich behauptet, das Opfer habe vor dem Aussteigen mit
ihm geschmust und ihm einen Abschiedskuß gegeben.
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Ausweislich der von der Strafkammer getroffenen Feststellungen ist er Betroffene
vor seiner Einreise in die Bundesrepublik Deutschland in der Zeit zwischen 1972
und 1984 je zweimal wegen Nötigung zum Beischlaf, Raubes, Verstoßes gegen das
Waffengesetz und je einmal wegen Hehlerei, unbefugten Gebrauchs von
Kraftfahrzeugen, Fälschung besonders geschützter Urkunden und schweren
Betruges zu Freiheitsstrafen von insgesamt sechs Jahren und sieben Monaten
verurteilt worden.
b.
Der Betroffene saß in der dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom
21.01.1987 zugrunde liegenden Sache ab dem Tattag (06.10.1986) bis zum
11.10.1988 zunächst in Untersuchungs-, dann in Strafhaft. Nach einer kurzen
Haftunterbrechung befand er sich sodann weiter in Strafhaft vom 25.10.1988 bis
zum Zweidrittelzeitpunkt am 19.02.1990. Die Reststrafe wurde ihm durch Beschluß
des Landgerichts Kassel - Strafvollstreckungskammer - vom 08.02.1990 auf drei
Jahre (mithin bis zum 18.02.1993) zur Bewährung ausgesetzt.
Während der Haft heiratete der Betroffene und nahm den Namen seiner Ehefrau
an. Im Jahre 1989 wurde eine gemeinsame Tochter geboren.
2.
Noch innerhalb der laufenden Bewährungszeit beging der Betroffene am
21.07.1992 zwei weitere Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung.
a.
Nach einer Auseinandersetzung mit seiner Ehefrau fuhr er mit einer
Blutalkoholkonzentration zwischen 1,6 und 1,8 Promille nachts in das ...
Bahnhofsviertel und ließ eine Prostituierte zum Zwecke des Geschlechtsverkehrs,
für den eine Zahlung von 50 DM vereinbart worden war, in seinen Wagen
einsteigen. Nachdem er mit ihr auf einen Parkplatz gefahren war, hielt er ihr ein
Messer an den Hals und forderte sie auf, sich zu entkleiden. Mit den Worten: „Was
wäre, wenn ich nicht bezahlte?“ drückte er das Messer so an den Hals der
Geschädigten, daß diese es spürte. Aus Angst kam sie den Aufforderungen des
Betroffenen nach. Nachdem sie sich nackt ausgezogen hatte, befahl dieser ihr,
seine Hose zu öffnen und den Mundverkehr auszuüben, wobei er sie weiterhin
ständig mit dem Messer bedrohte. Anschließend mußte sich die Geschädigte auf
den Schoß des Betroffenen setzen, wo er sein Glied in ihre Scheide einführte.
Nachdem er es wieder herausgezogen hatte, onanierte er, riß kurz vor dem
Orgasmus den Kopf des Opfers über seinen Penis und ejakulierte in ihr Gesicht.
Danach forderte er die Geschädigte auf, das Fahrzeug sofort zu verlassen, was
diese auch tat.
Weniger als einer Stunde nach dieser Tat fuhr der Betroffene - nunmehr mit einer
Blutalkoholkonzentration von 1,4 bis 1,6 Promille - erneut in das ...
Bahnhofsviertel, um mit einer anderen Prostituierten, der er wiederum 50 DM
versprach, den Geschlechtsverkehr auszuüben. Nachdem er mit dieser
Geschädigten zu diesem Zweck zum Universitätsgelände gefahren war und sie
dort ihren Lohn forderte, zog er ein Messer, richtete dessen Spitze auf ihren Hals,
drückte es an diesen und forderte sie auf, sich auszuziehen. Als er das Messer, um
eine besseres Ausziehen der Kleidung zu ermöglichen, etwas von dem Hals des
Opfers entfernt hatte, nutzte dieses die Gelegenheit und floh aus dem Auto. Der
Betroffene konnte kurz darauf aufgrund der Angaben der Geschädigten
festgenommen werden.
Er wurde wegen der beiden vorgenannten Taten von dem Landgericht Frankfurt
am Main durch Urteil vom 03.03.1993 wegen Vergewaltigung in Tateinheit mit
sexueller Nötigung sowie wegen versuchter Vergewaltigung, jeweils in Tateinheit
mit Trunkenheit im Verkehr und Fahren ohne Fahrerlaubnis, begangen in beiden
Fällen im Zustand der (nicht ausschließbaren) erheblich eingeschränkten
Steuerungsfähigkeit (§ 21 StGB) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren
verurteilt. Die Einzelstrafen betrugen drei Jahre und drei Monate sowie ein Jahr und
zehn Monate.
In der Hauptverhandlung hatte der Betroffene beide Taten gestanden.
In der Strafzumessung führte die Kammer unter anderem aus, da der A nunmehr
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In der Strafzumessung führte die Kammer unter anderem aus, da der A nunmehr
das vierte Mal wegen eines Sexualdelikts bestraft worden sei, sei seine
psychiatrische und psychologische Behandlung während der Haftzeit zur
Vermeidung künftiger einschlägiger Taten unbedingt erforderlich.
b.
Der Betroffene saß in dieser Sache ab dem Tattag (21.07.1992) bis zum
20.03.1995, dem Zweidrittelzeitpunkt, zunächst in Untersuchungs-, dann in
Strafhaft, wobei er sich ab dem 14.11.1994 im offenen Vollzug befand. Ab dem
20.03.1995 verbüßte er - nach Bewährungswiderruf - bis zum 16.11.1996 die
Reststrafe aus der Verurteilung vom 21.01.1987 und ab dem 16.11.1996 bis zum
22.05.1997 einen Teil des Strafrests aus der Verurteilung vom 03.03.1997.
Das Landgericht Frankfurt am Main - Strafvollstreckungskammer - hatte durch
Beschluß vom 20.05.1997 die Vollstreckung des Rests der Freiheitsstrafe aus dem
letztgenannten Urteil für die Dauer von drei Jahren zur Bewährung ausgesetzt.
Zur Vorbereitung dieser Entscheidung hatte die Strafvollstreckungskammer
zunächst ein Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. med. B und
sodann ein weitere Gutachten der Diplompsychologin C und des Psychiaters D
eingeholt. Gemäß dem an den Sachverständigen Dr. med. B gerichteten
Gutachtenauftrag sollte der Betroffene im Hinblick auf eine möglicherweise noch
fortbestehende Gefährlichkeit im Bereich der Sexualdelinquenz begutachtet
werden.
aa.
In seinem Gutachten vom 01.01.1997 gelangte Dr. B zu folgendem Ergebnis: Der
Betroffene mache in psychopathologischer Hinsicht einen unauffälligen Eindruck,
Hinweise für gestörte Persönlichkeitsradikale im Bereich des Antriebs, der Affekte,
der Aggressivität, der Begabung, des Charakters, des Denkens und der
Denkweisen, des Einfühlungsvermögens, der Emotionalität und der Empfindlichkeit
sowie des Gemüts hätten sich nicht ergeben. Auch im Bereich von Temperament,
Wille und Stimmung sowie von Sexualität sei keine Pathologie angegeben worden.
Da diese Situation in gleicher Weise vor Begehung der Taten aus dem Urteil vom
03.03.1993 bestanden habe, sei ein Kontrast zwischen normkonformen
Verhaltensmöglichkeiten des Betroffenen innerhalb strafender Institutionen des
Rechts und seinen zum Teil hochaggressiven Straftaten unter
Freiheitsbedingungen zu verzeichnen. Völlig zu Recht habe daher die
Sozialtherapeutische Anstalt der Justizvollzugsanstalt ... im Jahre 1988 ausgeführt,
die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung seien bei dem Betroffenen
eingebettet in eine insgesamt kriminelle Entwicklung und nicht auf dem
Hintergrund einer umschriebenen sexuellen Problematik oder Deviation zu sehen.
Bei dem Betroffenen sei aus psychiatrischer Sicht eine dissoziale Persönlichkeit
und eine Haltschwäche zu diagnostizieren, wobei im Vordergrund der
Strukturverbiegung seines Charakters die Haltschwäche mit der Behinderung
stehe, Strebungen und Triebe in vollem Umfang eigenverantwortlich und
normkonform zu organisieren und auszurichten, wobei der Betroffene beim
Durchbruch dissozialer Impulse eine hochaggressive Entschluß- und
Durchsetzungsfähigkeit zeigen könne.
Im Hinblick auf die Frage nach der möglicherweise noch fortbestehende
Gefährlichkeit im Bereich der Sexualdelinquenz gelangte der Sachverständige zu
dem Ergebnis, der Betroffene sei ein Problemfall, da bei ihm sich im
Charakterologischen liegende ungünstige Prognosekriterien mit im allgemeinen
günstigen Gesichtspunkten wie Familie und Arbeit durchflechten würden, wobei die
Familienkonstellation ihn allerdings auch in der Vergangenheit nicht vor schweren
Rückfällen bewahrt habe. Das vorhandene Geflecht prognostisch günstiger und
ungünstiger Faktoren lasse es nicht zu, die Möglichkeit noch fortdauernder
Gefährlichkeit (auch) im Bereich der Sexualdelinquenz zu verneinen. Die Bejahung
der Möglichkeit noch fortdauernder Gefährlichkeit im Bereich der Sexualdelinquenz
meine hier merklich mehr als nur den abstrakten Begriff der Möglichkeit. Der
vorgegebene Begriff der Möglichkeit entspreche praktisch dem des
beurteilungsrelevanten „Risikos“ oder der - nach Auffassung des
Sachverständigen - konkret fortbestehenden „Gefährlichkeit“ im Bereich der
Sexualdelinquenz.
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bb.
Gegenüber den von der Strafvollstreckungskammer zusätzlich bestellten
Gutachtern C und D gab der Betroffene unter anderem an, bei den
Vergewaltigungen sei es ihm darum gegangen, seine Mutter dafür zu bestrafen,
daß sie die von ihm gewünschte intakte Familie nicht geboten habe. In diesem
Zusammenhang sei es ihm auch um Erniedrigung der vergewaltigten Frauen
gegangen, und zwar als eine „Umkehrung der Hilflosigkeit, weniger aus Spaß“,
sondern in der Art: „Dir ist es nicht möglich, mich wegzuschicken, weil Du bist die
brutal Unterlegene“.
In ihrem Gutachten vom 04.04.1997 gelangten die Sachverständigen C und D zu
folgendem Ergebnis: Die durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen
hätten unter anderem ergeben, daß der Betroffene mit einen Intelligenzquotienten
von 130 über eine sehr hohe allgemeine Intelligenz verfüge. Hirnorganische
Störungen lägen bei ihm nicht vor.
Der psychiatrische Befund ergebe jedoch eine narzistische Störung auf Borderline-
Niveau. Die vorliegenden Informationen und Untersuchungsergebnisse wiesen
aber auch darauf hin, daß der Betroffene hinsichtlich wesentlicher
Persönlichkeitsbereiche einen positiven Entwicklungsprozeß vollzogen habe. Es
könne nach derzeitigem Kenntnisstand nicht mehr von einer haltschwachen
Persönlichkeit gesprochen werden. Die aktuelle Zustandsdiagnose lasse durchaus
eine günstige Prognose zu. Nicht nur die Sozialprognose - einschließlich der
glaubhaften nunmehrigen Alkoholabstinenz - stelle sich als günstig dar. Vielmehr
sei auch die kriminologische Prognose aufgrund der Entwicklungsfortschritte des
Betroffenen überwiegend positiv.
Die Möglichkeit, daß der Betroffene weitere einschlägige Straftaten begehe, könne
sicherlich nicht mit Gewißheit verneint werden. Bei Berücksichtigung aller
vorliegenden Informationen und Untersuchungsbefunde sei aber davon
auszugehen, daß ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für die Begehung
erheblicher strafbarer Handlungen nicht gegeben sei. Eine bedingte Entlassung
des Betroffenen könne daher verantwortet werden, wobei diese von bestimmten
psychosozialen Rahmenbedingungen - unter anderem der Auflage einer
ambulanten psychotherapeutischen Behandlung - begleitet sein solle.
cc.
Die Strafvollstreckungskammer gelangte in dem bereits erwähnten Beschluß vom
20.05.1997 aufgrund der von ihr - wegen des unterschiedlichen Ergebnisses der
beauftragten Sachverständigen - herangezogenen von Rasch entwickelten
Kriterien der klinischen Prognose kriminellen Verhaltens zu dem Ergebnis, eine
erneute vergleichbare Straffälligkeit des Betroffenen sei wenig wahrscheinlich, so
daß seine Entlassung - in Übereinstimmung mit der Auffassung der
Staatsanwaltschaft und der Justizvollzugsanstalt - verantwortet werden könne. Sie
setzte daher den Strafrest unter anderem mit der Weisung der Aufnahme einer
ambulanten psychotherapeutischen Behandlung für die Dauer von drei Jahren zur
Bewährung aus.
3.
Innerhalb dieser Bewährungszeit beging der Betroffene, der sich Mitte des Jahres
1997 von seiner Ehefrau getrennt hatte, erneut eine einschlägige Straftat.
a.
Er hatte am 14.01.1999 eine Gelegenheitsprostituierte unter dem Vorwand in
seine Wohnung in O 2 gelockt, dort mit ihr gegen Entgelt den Geschlechtsverkehr
durchführen zu wollen. Als die Geschädigte ihn aufgesucht hatte, bedrohte er sie
mit einem etwa 30 Zentimeter langen Schlachtermesser, legte einen Arm um
ihren Hals und würgte sie. Sodann führte er sie in das Schlafzimmer und zwang sie
dort unter weiterer Drohung mit dem Messer, den Oral- und Vaginalverkehr mit
ihm zu vollziehen.
Für diese Tat, die er in der Hauptverhandlung eingestanden hatte, wurde der
Betroffene von dem Landgericht Hannover durch Urteil vom 15.03.1999 wegen
Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Urteil wurde
noch am gleichen Tag rechtskräftig.
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Zu dem Hintergrund der Tat enthält das Urteil des Landgerichts Hannover
folgende Feststellungen: Der Betroffene leidet an einer Herzmuskelschwäche und
steht auf der Liste für eine Herztransplantation an 16. Stelle. Er kam deshalb im
Juni 1998 nach O 2 und wurde in der ... (gemeint: Medizinische ...) und anderen
Kliniken stationär behandelt. Ohne eine Herztransplantation hat er eine
Lebenserwartung von noch etwa zwei Jahren, mit neuem Herz eine solche von 15
bis 18 Jahren. Im November 1998 wurde der Betroffene aus der Klinik entlassen,
weil zu erkennen war, daß für die in Aussicht genommene Herztransplantation
keine Krankenversicherung zur Bezahlung der Operationskosten bestehen würde.
Der Betroffene war über seine Ehefrau als Familienmitglied bei deren
Krankenkasse mitversichert, wobei die Mitgliedschaft jedoch mit der
bevorstehenden - am 22.01.1999 auch tatsächlich erfolgten - Scheidung endete.
Da er von einem Arzt erfahren hatte, daß das Land für Strafgefangene die Kosten
der erforderlichen medizinischen Behandlungen und Operation trage, beschloß er -
so die ohne Einschränkung getroffenen Feststellungen des Landgerichts -, eine
Straftat zu begehen, um für längere Zeit in Haft zu gelangen und dann während
der Haftverbüßung die erforderliche Herztransplantation auf Kosten des Landes
durchführen zu lassen.
b.
Wegen dieser Verurteilung saß der Betroffene in der Zeit vom 14.01.1999, dem
Tattag, bis zum 14.01.2004 zunächst in Untersuchungs- und dann in Strafhaft.
c.
Im Zusammenhang mit der geplanten Herztransplantation beauftragte die
Justizvollzugsanstalt ... die Diplompsychologin E mit der Erstellung eines
Sachverständigengutachtens zu der im Vorfeld der möglichen Operation zu
klärenden Frage, ob der Betroffene die erforderliche Zuverlässigkeit für die mit der
Operation verbundene langwierige und umfangreiche Nachbehandlung besitze. Die
Sachverständige gelangte in ihrem Gutachten vom 24.11.1999 zu dem Ergebnis,
im Rahmen des 16-Persönlichkeitsfaktorentests nach Cattell und des Freiburger
Persönlichkeitsinventars entstehe ein weitgehend unauffälliges
Persönlichkeitsprofil. Allerdings sei - auch ohne daß ein umfassendes
Persönlichkeitsbild entworfen werde - ersichtlich, daß bei dem Betroffenen
Aggression und Sexualität eine Koppelung erfahren hätten und unter Alkohol nicht
ausreichend gehemmt worden seien, was zu aggressiven Sexualdelikten geführt
habe. Der Betroffene verfüge, wie in der psychologischen Untersuchung
angeklungen sei, über eher wenig Empathievermögen und schwinge mit anderen
Personen eher wenig affektiv mit. Für die Frage nach einem zuverlässigen
Nachsorgeverhalten im Anschluß an eine Herztransplantation seien diese
Persönlichkeitseigenarten jedoch irrelevant. Von seinem kognitiven Profil her sei
der intelligente Betroffene gut in der Lage, die an ihn nach einer Operation
gestellten Anforderungen logisch zu durchdringen und diese sinnvoll und
zuverlässig zu erfüllen.
d.
Im Rahmen der Prüfung der Möglichkeit einer bedingten Entlassung zum
Zweidrittelzeitpunkt beauftragte das Landgericht Lüneburg die Sachverständige
Dr. med. F, Fachärztin für Psychiatrie, ... ...krankenhaus ..., mit der psychiatrischen
Begutachtung des Betroffenen, wobei insbesondere die Frage geklärt werden
sollte, ob bei dem Betroffenen keine Gefahr des Fortbestehens der durch die Tat
zutage getretenen Gefährlichkeit mehr vorliege.
Die Sachverständige gelangte in ihrem Gutachten vom 20.07.2002 nach mehreren
ausführlichen Explorationen des Betroffenen zu folgendem Ergebnis: Der
Betroffene leide an einer mittelgradigen Herzinsuffizienz bei dilativer
Kardiomyopathie, die unter medikamentöser Behandlung so weit habe verbessert
werden können, daß er kardial kompensiert und stabil sei, so daß derzeit keine
Notwendigkeit einer Herztransplantation bestehe.
Von dem psychischen Befund her bestünden bei dem Betroffenen keine Hinweise
auf wahnhafte Denkinhalte oder Ich-Störungen. Er erscheine intelligent, zeige sich
redegewandt und habe sich bereitwillig und ausführlich auf die
Untersuchungsgespräche eingelassen. Auf konkrete Nachfragen zu
problematischen Themen reagiere er jedoch mitunter widerwillig und erscheine
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problematischen Themen reagiere er jedoch mitunter widerwillig und erscheine
hochgradig kränkbar, wenn das makellose Bild, das er von sich entwickelt habe,
angekratzt werde. In Bezug auf seine zahlreichen Vorstrafen bestehe teilweise die
Tendenz, diese zu verharmlosen oder auch zu bestreiten im Sinne davon, selbst
ein Opfer der Justiz oder anderer Machenschaften zu sein. Empathie mit den
Opfern im Sinne von emotionaler Beteiligung oder Betroffenheit sei bei dem
Betroffenen kaum spürbar.
Hinsichtlich der zur Verurteilung vom 21.01.1987 führenden Tat habe der
Betroffene angegeben, es sei ein lustiger, geselliger Abend gewesen, in dessen
weiteren Verlauf er und die Geschädigte vor deren Haus im gegenseitigen
Einverständnis in seinem PKW miteinander geschlafen hätten. Das Geständnis in
der Hauptverhandlung habe er nur aus taktischen Gründen abgegeben. Gleiches
gelte für seine späteren geständigen Angaben gegenüber den Sachverständigen
Dr. B, C und D. Zu den Beweggründen der beiden Taten der Verurteilung vom
03.03.1993 habe der Betroffene erklärt, aus heutiger Sicht habe er sich
gegebenenfalls für die erste Fehlverurteilung rächen wollen; möglicherweise sei es
jedoch auch der unbewußte Wunsch gewesen, wieder in Haft zu gehen, um aus
seinen privaten Problemen herauszukommen. Zu der letzten Tat vom 14.01.1999
habe der Betroffene angegeben, er habe sich, um für längere Zeit in Haft zu
kommen, vermutlich deshalb für eine Vergewaltigung entschieden, weil er deren
Ablauf aus den Vortaten gekannt habe.
Weiter hat die Sachverständige Dr. F ausgeführt, vom psychiatrischen Befund her
bestehe bei dem Betroffenen vermutlich eine narzistische und dissoziale
Persönlichkeitsstörung. Zur Frage der Krankheits- und Kriminalprognose ist Frau
Dr. F unter Heranziehung der „Vorhersage der Gewalt mit dem HCR 20“ in der
modifizierten und adaptierten Übersetzung der kanadischen Übersetzung der
Originalversion 2 von Webster, Douglas, Eaves und Hart (1997) zu folgenden
Ergebnissen gelangt:
Eine psychotische oder hirnorganische Erkrankung bestehe nicht. Es liege jedoch
eine Persönlichkeitsstörung im Sinne des ICD - 10 oder des DSM - IV vor. Im
Rahmen des PCL-R (Psychopath Checklist Revised), welcher bei einem hohen Wert
stärkster einzelner Prädiktor für zukünftige Gewalttätigkeiten sei, weise der
Betroffene einen hohen, im Bereich „Psychopath“ liegenden Wert auf.
Bei der Bewertung der gegenwärtigen Situation des Betroffenen sei festzustellen,
daß dieser keine Einsicht in seine Persönlichkeitsproblematik habe; sein
Aggressions- und Gefährlichkeitspotential sei ihm nicht bewußt. Seine Einstellung
gegenüber „Recht und Ordnung“ sei negativ geprägt, die Einstellung gegenüber
den früheren Gewalttaten zeige einen Mangel an Reue und Empathie. Vor dem
Hintergrund der bisherigen Therapiemaßnahmen (zweimalig Sozialtherapie sowie
darüber hinaus Einzeltherapie) habe kein positiver Behandlungserfolg erreicht
werden können.
Für die Bewertung der Zukunft des Betroffenen sei ein Instrument zur Vorhersage
sexueller Gewalttaten, der SVR-20, in deutscher Übersetzung zur Anwendung
gekommen. Hierbei hätten sich bei dem Betroffenen in 16 von 20 Unterpunkten
auffällige Ergebnisse gefunden, die entweder eindeutig das Vorliegen des
jeweiligen Risikomerkmals bejaht oder das Vorliegen wahrscheinlich gemacht
hätten.
So gebe es Anhaltspunkte für das Bestehen einer sexuellen Deviation im Sinne
eines sexuellen Sadismus (sexuelle Erregung durch das physische oder psychische
Leiden anderer).
Zusammenfassend ergebe sich aus den angewandten Prognoseinstrumenten in
der Gesamtschau der Risikofaktoren bzw. prognostischen Merkmale trotz der
schweren Herzerkrankung des Betroffenen ein hohes Rückfallrisiko. Die durch die
Straftat zutage getretene Gefährlichkeit bestehe unvermindert fort. Es bestehe
indes aufgrund des beanstandungsfreien Verlaufs früherer Vollzugslockerungen
kein Anhalt dafür, daß der Betroffene zukünftig Vollzugslockerungen mißbrauchen
werde und währenddessen eine Straftat zu erwarten sei.
Auf der Grundlage dieses Gutachtens wurde eine Aussetzung des Strafrests durch
das Landgericht Lüneburg abgelehnt.
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Nach vollständiger Verbüßung der Strafe aus dem Urteil des Landgerichts
Hannover vom 15.03.1999 verbüßte der Betroffene in der Zeit vom 14.01.2004 bis
zum 10.11.2004 die Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main
vom 03.03.1993. Das Landgericht Frankfurt am Main - Strafvollstreckungskammer
- hatte durch Beschluß vom 18.06.1999 insoweit die am 20.05.1997 gewährte
Aussetzung des Strafrests widerrufen.
f.
Am 09.08.2004 erstellte der Psychotherapeut Dipl.-Psych. Dr. G einen Bericht über
den Verlauf der bei dem Betroffenen in der Zeit zwischen April 2003 und Februar
2004 in 37 Sitzungen durchgeführten Psychotherapie. In diesem Bericht wird
mitgeteilt, der Betroffene habe sich in der Therapie offen und bemüht gezeigt, die
Hintergründe der zu den Verurteilungen führenden Taten zu ergründen. Auffällig in
der Lebensgeschichte des Betroffenen sei, daß er immer wieder das Erreichte
zerstört habe. Das Bild von Frauen sei bei ihm sehr belastet, einerseits durch die
asoziale Mutter, andererseits durch die völlig schwache und hilflose Stiefmutter. In
der Kindheit habe er, da Widerspruch nicht geduldet worden sei, nie gelernt,
Konflikte auszutragen. Seine Straftaten seien daher auch eine Flucht aus seinem
Gefühl der Machtlosigkeit gewesen.
Zusammenfassend führte Dr. G aus, die Frage einer Wiederholungsgefahr lasse
sich nie mit Sicherheit beantworten. Der Betroffene scheine sich nun aber zum
ersten Mal konkret Gedanken über die Abläufe zu machen und habe
wahrscheinlich erst jetzt mit der Bearbeitung seiner Probleme wirklich begonnen.
Die Gefahr eines Rückfalls werde deshalb dieses Mal geringer bewertet.
4.
Seit dem 10.11.2004 befindet sich der Betroffene in Haft aufgrund des mit der
Beschwerde angefochtenen Unterbringungsbefehls vom 20.09.2004.
Durch Beschluß vom 12.11.2004 hat die Strafkammer - entsprechend dem
Vorschlag der Verteidigerin des Betroffenen - die Sachverständigen Prof. Dr. med.
H und Dr. med. I mit der gemäß § 275 a Abs. 4 Satz 2 StPO vorgesehenen
psychiatrischen Begutachtung des Betroffenen beauftragt.
II.
Die Beschwerde ist zulässig (§ 304 StPO), bleibt in der Sache jedoch ohne Erfolg.
Der angefochtene Unterbringungsbefehl weist zwar eine für die Anordnung einer
freiheitsentziehenden Maßnahme sehr stark verkürzte Begründung auf, ist in der
Sache jedoch zu Recht ergangen.
1.
Das Landgericht Frankfurt am Main war für den Erlaß des Unterbringungsbefehls
sachlich und örtlich zuständig, obwohl der Betroffene zuletzt von dem Landgericht
Hannover wegen einer Katalogtat verurteilt worden ist. Zuständig für die
Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung ist gemäß § 74 f Abs. 1 GVG im Falle eines
landgerichtlichen Ausgangsurteils grundsätzlich die Kammer, die als Tatgericht
entschieden hat. Dies wäre hier das Landgericht Hannover. Gemäß § 74 f Abs. 3
GVG gelten allerdings in den Fällen des § 66 b StGB die Regelungen über die
Zuständigkeit für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 462 a Abs. 3 Satz 2
und 3 StPO) entsprechend. Bei verschiedenen Urteilen verschiedener Gerichte
richtet sich die Zuständigkeit demnach zunächst nach der schwersten Strafart,
dann nach der höchsten Strafe und schließlich - wenn ansonsten kein Unterschied
bei den vorherigen Kriterien besteht - nach dem zuletzt ergangenen Urteil. Auch
hieraus würde sich zunächst, da das Landgericht Hannover eine höhere
Freiheitsstrafe als das Landgericht Frankfurt am Main in dem zuletzt vollstreckten
Urteil vom 03.03.1993 ausgesprochen hat, die Zuständigkeit des erstgenannten
Gerichts ergeben. Durch die gesetzlich vorgesehene entsprechende Anwendung
der Zuständigkeit für die nachträgliche Gesamtstrafenbildung sind jedoch auch die
in § 55 StGB geregelten grundsätzlichen Voraussetzungen für die Bildung einer
Gesamtstrafe zu berücksichtigen. Gemäß § 55 StGB aber scheidet eine
nachträgliche Gesamtstrafenbildung mit einer bereits vollständig vollstreckten
Strafe aus. Da das Strafende der von dem Landgericht Hannover verhängten
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Strafe aus. Da das Strafende der von dem Landgericht Hannover verhängten
Freiheitsstrafe bereits am 14.01.2004 erreicht war, im Anschluß hieran die
Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom
03.03.1993 vollstreckt wurde und der Antrag der Staatsanwaltschaft auf
nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung erst
während des letztgenannten Zeitraums (am 09.09.2004) erfolgte, ist die
Zuständigkeit des Landgerichts Frankfurt am Main gegeben.
Hieran ändert nichts, daß - wie noch auszuführen sein wird - im vorliegenden Fall
bei der Frage, ob vor dem Ende des Vollzugs Tatsachen im Sinne des § 66 b Abs. 1
StGB erkennbar geworden sind, an dem Zeitpunkt des Erlasses des Urteils des
Landgerichts Hannover anzuknüpfen ist. Denn der Gesetzgeber hat sich bei der
Bestimmung der Zuständigkeit für die Anordnung der Maßregel des § 66 b StGB
dafür entschieden, die für die nachträgliche Gesamtstrafenentscheidung
geltenden Zuständigkeitsregelungen entsprechend anzuwenden und die
Entscheidung nicht etwa ohne Rücksicht auf die Höhe der Strafe oder den Stand
der Strafvollstreckung dem Gericht zu übertragen, dessen Urteil zuletzt ergangen
ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob die in § 74 f Abs. 3 GVG enthaltene
Zuständigkeitsregelung auch bei einer willkürlichen Veränderung der
Vollstreckungsreihenfolge zum Tragen kommen kann. Denn ein solcher Fall liegt
hier nicht vor. Die vollständige Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des
Landgerichts Hannover - ohne Unterbrechung zum Zweidrittelzeitpunkt - vor einer
Vollstreckung des nach § 57 StGB ausgesetzten Rests der Strafe aus dem Urteil
des Landgerichts Frankfurt am Main vom 03.03.1993 entspricht zwar nicht der in §
43 Abs. 2 Nr. 1 und Abs. 3 StVollstrO enthaltenen Regelung, läßt jedoch im
Hinblick auf das gemäß § 43 Abs. 4 StVollstrO bestehende Ermessen keine Willkür
erkennen.
2.
Auch die sachlichen Voraussetzungen für den Erlaß eines Unterbringungsbefehls
nach § 275 a Abs. 5 Satz 1 StPO liegen vor. Das Landgericht ist im Ergebnis zu
Recht davon ausgegangen, daß dringende Gründe für die Annahme vorhanden
sind, daß gegen den Betroffenen die nachträgliche Sicherungsverwahrung
angeordnet werden wird.
a.
Vom Gesetzeswortlaut her kommt hier sowohl eine nachträgliche Anordnung der
Unterbringung des Betroffenen in der Sicherungsverwahrung nach § 66 b Abs. 1
StGB als auch - wegen der zuletzt erfolgten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe
von fünf Jahren - eine solche nach § 66 b Abs. 2 StGB in Betracht. Eines Rückgriffs
auf die letztgenannte Vorschrift, die erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken
ausgesetzt ist (vgl. Ullenbruch in Münchener Kommentar zum StGB, § 66 b, Rdnr.
48; Kinzig NStZ 2004, 655, 658), weil durch sie die nachträgliche
Sicherungsverwahrung bereits beim Vorliegen nur einer einzigen Katalogtat
ermöglicht wird, obwohl dem Gericht des Ausgangsverfahrens wegen Fehlens der
Voraussetzungen des § 66 StGB eine Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht
möglich gewesen wäre (und eine primäre Sicherungsverwahrung bei dieser
Sachlage bis heute nicht möglich ist), bedarf es hier jedoch nicht, da dringende
Gründe bereits für die Anordnung der Maßregel nach § 66 b Abs. 1 StGB sprechen.
Ausgangspunkt des § 66 b Abs. 1 StGB ist das Vorliegen von Tatsachen, die auf
eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen.
Hierbei muß es sich, wie bereits dem Gesetzeswortlaut zu entnehmen ist, um
neue Tatsachen handeln, das heißt um solche, die erst nach einer Verurteilung
wegen einer der in § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Katalogtaten und vor dem
Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe bekannt geworden sind; diese Tatsachen
müssen zudem von erheblicher Art sein (vgl. Ullenbruch in Münchener Kommentar
zum StGB, § 66 b, Rdnr. 66-72). Dies entspricht auch dem Willen des
Gesetzgebers. Nach der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundesregierung
stellt die Neuregelung in § 66 b Abs. 1 StGB zunächst auf Tatsachen ab, die im
Vollzug der Freiheitsstrafe bekannt werden und von einer gewissen Erheblichkeit
sein bzw. jenseits einer gewissen Erheblichkeitsschwelle liegen müssen
(Bundestagsdrucksache 15/2887, S. 10 und 12).
Demgemäß setzt eine nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung voraus, daß während des Strafvollzugs Tatsachen zutage
treten, die geeignet sind, die Persönlichkeit des Verurteilten und damit das
Rückfallrisiko in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Tatsachen, die bis zum
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Rückfallrisiko in einem neuen Licht erscheinen zu lassen. Tatsachen, die bis zum
Schluß der tatrichterlichen Hauptverhandlung bekannt oder für das Gericht
erkennbar waren - wie etwa die kriminelle Entwicklung des Verurteilten - scheiden
daher aus (OLG Koblenz StV 2004, 665, 667). Denn der mit der nachträglichen
Anordnung der Maßregel verbundene Eingriff in die Rechtskraft des
Ausgangsurteils zuungunsten des Verurteilten, bei dem es sich der Sache nach
um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu Lasten des Verurteilten und um die
Schaffung eines (bisher) gesetzlich nicht geregelten Wiederaufnahmegrundes
handelt (vgl. hierzu Hanack in Festschrift für Rieß, S. 709, 719 f.; Müller-Metz,
Vorbehaltene und nachträgliche Sicherungsverwahrung, in: Kriminologie und
Praxis, Band 42 (2003), S. 225, 252 ff.), bedarf einer besonderen Rechtfertigung,
die allenfalls dann mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar sein kann, wenn
sie an Umstände anknüpft, die nach der Rechtskraft entstehen oder bekannt
werden und geeignet sind, die Gefährlichkeit des Verurteilten in einem deutlich
anderen Licht als zum Zeitpunkt des Ausgangsurteils erscheinen zu lassen (OLG
Koblenz StV 2004, 665, 668).
Diese Grundsätze stehen im Einklang mit der Begründung des Gesetzesentwurfs.
Dort wird ausgeführt, die durch § 66 b StGB eröffnete Möglichkeit der
nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung solle den Gerichten
ausschließlich eine Reaktionsmöglichkeit auf die vermutlich seltenen Fälle bieten,
in denen sich die fortdauernde Gefährlichkeit eines Verurteilten erst im
Strafvollzug ergebe (Bundestagsdrucksache 15/2887, S. 12).
Dabei ist es allerdings - wie erwähnt - nicht zwingend erforderlich, daß die
Tatsachen erst während des Strafvollzugs neu eingetreten sind. Es reicht, wie eine
Auslegung der Vorschrift anhand des Normzwecks ergibt, vielmehr aus, daß die
Tatsachen erst während der Inhaftierung bekannt geworden sind (ebenso OLG
Koblenz StV 2004, 665, 667/668; Ullenbruch in Münchener Kommentar zum StGB,
§ 66 b, Rdnr. 72; Begründung des Gesetzesentwurfs, Bundestagsdrucksache
15/2887, S. 12). Zu diesen erst während der Inhaftierung bekannt gewordenen
Tatsachen können unter bestimmten Voraussetzungen auch solche zählen, die
sich aus einem gemäß § 454 Abs. 2 StPO eingeholten Prognosegutachten ergeben
(vgl. OLG Koblenz StV 2004, 665, dort an einer Stelle offengelassen - S. 667 -, an
anderer Stelle - S. 668 - zumindest im Grundsatz bejaht). Voraussetzung hierfür
ist, daß es sich bei den im Rahmen eines solchen Gutachtens gewonnen
Anhaltspunkten für eine erhöhte Gefährlichkeit nicht um das bloße Ergebnis einer
Gesamtwürdigung bereits bekannter Tatsachen unter zusätzlicher
Berücksichtigung des Vollzugsverhaltens handelt (vgl. OLG Koblenz, a.a.O., S.
667).
b.
Ausgehend von diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall neue und erhebliche
Tatsachen gegeben.
Dabei ist hinsichtlich des Zeitpunkts für die Beurteilung der Neuheit nicht auf den
Erlaß des Urteils des Landgerichts Frankfurt am Main vom 03.03.1993, sondern auf
den Zeitpunkt des Urteils des Landgerichts Hannover und damit auf den
15.03.1999 abzustellen. Zwar verbüßte der Betroffene zuletzt die Reststrafe aus
dem erstgenannten Urteil. Dies führt jedoch nicht dazu, daß hinsichtlich der
möglichen neuen Tatsachen auf den Zeitpunkt dieses Urteils abzustellen ist.
Maßgeblich sind vielmehr die zuletzt begangenen Straftaten und damit der
Zeitpunkt des letzten Urteils, in dem der Tatrichter eine Entscheidung über die
primäre Anordnung der Sicherungsverwahrung hätte treffen können (vgl.
Ullenbruch in Münchener Kommentar zum StGB, § 66 b, Rdnr. 38). Anderenfalls
könnte bereits durch eine Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge der für den
mit § 66 b StGB verbundenen Grundrechtseingriff bedeutsame
Anknüpfungszeitpunkt verschoben werden. Diese grundsätzliche Problematik hat
der Gesetzgeber erkannt und in der Begründung des Gesetzesentwurfs in
anderem Zusammenhang ausgeführt, es reiche für das Tatbestandsmerkmal „vor
Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe“ aus, daß sich der Betroffene zwar nicht im
Vollzug der Strafe aus dem Ausgangsurteil, wohl aber im Vollzug einer anderen
Freiheitsstrafe befinde, da es bei ansonsten gleichbleibenden Voraussetzungen
nicht sachgerecht wäre, wenn die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der
Sicherungsverwahrung von Zufälligkeiten der Vollstreckungsreihenfolge abhinge
(Bundestagsdrucksache 15/2887, S. 12). Letzteres hat auch für die Bestimmung
des Anknüpfungszeitpunkts der neuen Tatsachen zu gelten.
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Neue Tatsachen gegenüber dem Erkenntnisstand zur Zeit des Urteils des
Landgerichts Hannover sind in dem oben unter Ziffer I. 3. d. genannten Gutachten
der Sachverständigen Dr. med. F vom 20.07.2002 enthalten. Es handelt sich
hierbei vornehmlich um das Ergebnis der von der Sachverständigen zur
Vorhersage sexueller Gewalttaten vorgenommenen Untersuchung mittels des
SVR-20, die ergeben hat, daß bei dem Betroffenen in 16 von 20 Unterpunkten
auffällige Ergebnisse vorliegen, die entweder eindeutig das Vorliegen des jeweiligen
Risikomerkmals bejahen oder das Vorliegen wahrscheinlich machen. Die
Untersuchung hat auch Anhaltspunkte dafür ergeben, daß bei dem Betroffenen
eine sexuelle Deviation im Sinne eines sexuellen Sadismus vorliegt.
Diese Erkenntnis ist für die Beurteilung der Gefährlichkeit eines Sexualtäters von
erheblicher Bedeutung, da mit einer auf sadistischen Beweggründen beruhenden
und in entsprechender Art und Weise begangenen Straftat gegen die sexuelle
Selbstbestimmung sowohl in körperlicher als auch in seelischer Hinsicht deutlich
höhere Risiken für das Opfer verbunden sind als mit einem ohne solchen
Hintergrund begangenen Sexualdelikt. Die genannte Deviation des sexuellen
Sadismus war dem Landgericht Hannover bei Erlaß des Urteils nicht bekannt. Sie
ergab sich noch nicht einmal im Ansatz aus den zu diesem Zeitpunkt über den
Betroffenen vorliegenden, unter Ziffer I. dargestellten Sachverständigengutachten.
Neu gegenüber dem Erkenntnisstand zum Zeitpunkt des Urteils vom 15.03.1999
und ebenfalls für die Gefährlichkeitsbeurteilung erheblich ist auch das Ergebnis des
von Frau Dr. F durchgeführten PCL-R - Testverfahrens (Psychopath Checklist
Revised), bei dem ein - wie im Falle des Betroffenen - im Bereich „Psychopath“
liegender hoher Wert nach Auffassung der Sachverständigen als der stärkste
einzelne Prädiktor für zukünftige Gewalttätigkeiten zu bewerten ist.
Neu ist schließlich auch - zumindest in dieser Bestimmtheit - die Einschätzung der
Sachverständigen Dr. F, daß bei dem Betroffenen, der ihr gegenüber auch
erstmals (entgegen seinen früheren Angaben in den Hauptverhandlungen und bei
den anderen Sachverständigen) die Begehung der Tat vom 06.10.1986 bestritten
hat, ein hohes Rückfallrisiko bestehe. Der in der Beschwerdebegründung
hervorgehobene Umstand, daß die Sachverständige im Zusammenhang mit
dieser Einschätzung auch ausgeführt habe, die durch die Straftat zutage
getretene Gefährlichkeit bestehe unvermindert fort, ändert hieran nichts.
Daß der Betroffene (auch) im Bereich der Sexualdelinquenz gefährlich sei, hatte
zwar bereits Jahre zuvor der Sachverständige Dr. B festgestellt. Dieser sah die
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung bei dem Betroffenen allerdings
noch eingebettet in eine insgesamt kriminelle Entwicklung und nicht auf dem
Hintergrund einer umschriebenen sexuellen Problematik oder Deviation. Mithin
ging Dr. B damals „nur“ von einer konkret fortbestehende Gefährlichkeit und
damit von dem konkreten Risiko eines Rückfalls, nicht aber von einem sogar hohen
Rückfallrisiko und damit auch nicht von einer hohen Gefährlichkeit des Betroffenen
aus. Die Erkenntnis hoher Gefährlichkeit ergab sich - worauf noch näher
einzugehen sein wird - angesichts der damals bestehenden besonderen Lebens-
und Gesundheitssituation des Betroffenen auch nicht zwingend aus dem Umstand,
daß von diesem am 14.01.1999 erneut eine Vergewaltigung begangen wurde.
c.
Der Bewertung der aufgezeigten Erkenntnisse aus dem Gutachten der
Sachverständigen Dr. F als neue Tatsachen in dem oben genannten Sinne steht
angesichts der im vorliegenden Fall gegebenen besonderen Umstände
ausnahmsweise nicht entgegen, daß das Landgericht Hannover von einer
Erörterung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 StGB abgesehen
und auch keinen psychiatrischen Sachverständigen hinzugezogen hat, obwohl das
Vorleben des Betroffenen hierzu Anlaß geboten hätte.
Zum Zeitpunkt der Verurteilung durch das Landgericht Hannover lagen die
formellen Voraussetzungen für die Anordnung der Sicherungsverwahrung sowohl
nach § 66 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB als auch nach § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB vor.
Auch bestanden greifbare Anhaltspunkte für eine mögliche Bejahung der
Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB.
In der Begründung des Entwurfs des Gesetzes zur Einführung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung wird zu diesem Problemkreis ausgeführt, es sei bewußt
darauf verzichtet worden, die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der
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darauf verzichtet worden, die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der
Sicherungsverwahrung etwa für den Fall auszuschließen, daß zuvor in demselben
Verfahren eine Anordnung abgelehnt worden sei. Dies wird damit begründet, es sei
inkonsequent, einerseits die Notwendigkeit der Möglichkeit einer nachträglichen
Anordnung anzuerkennen, das Gericht andererseits aber an einer - auf die Zukunft
gerichteten - Prognoseentscheidung festzuhalten, die sich nach Auffassung des
Gerichts selbst aufgrund später bekannt gewordener Tatsachen als objektiv
unzutreffend erweise. Die Möglichkeit einer nachträglichen Anordnung bestehe
demnach sogar dann, wenn das Gericht die Anordnung einer ursprünglich
vorbehaltenen Anordnung abgelehnt habe (Bundestagsdrucksache 15/2887, S.
12).
Dies kann angesichts der Tragweite des mit der Anordnung der nachträglichen
Sicherungsverwahrung verbundenen Eingriffs in die Rechtskraft des
Ausgangsurteils jedoch nicht bedeuten, daß auch in den Fällen, in denen schon
zum Zeitpunkt der Entscheidung des erkennenden Gerichts alles dafür sprach, auf
die Anordnung der Sicherungsverwahrung zu erkennen, das bloße Vorliegen neuer
Tatsachen nachträglich die Möglichkeit der Anordnung dieser Maßregel eröffnet.
Denn die nachträgliche Sicherungsverwahrung dient nicht dazu, Rechtsfehler
nachträglich zu korrigieren. Dies ist vielmehr die Aufgabe des Rechtsmittels der
Revision; dementsprechend sieht auch das Recht der Wiederaufnahme eine
Korrektur von Rechtsfehlern zu Lasten des Verurteilten nicht vor (vgl.
Senatsbeschluß vom 22.10.2002 - 3 Ws 557/02).
Dies führt dazu, daß eine Anwendung des § 66 b Abs. 1 StGB jedenfalls dann
ausscheidet, wenn die Sachlage gegenüber dem Zeitpunkt des Ausgangsurteils
unverändert ist und sich lediglich in der Bewertung der prognoserelevanten
Tatsachen eine Abweichung ergeben hat. Ebenso kommt § 66 b Abs. 1 StGB nicht
zum Tragen, wenn ausgeschlossen werden kann, daß das erkennende Gericht des
Ausgangsurteils auch bei Kenntnis und unter Berücksichtigung der neuen
Tatsachen zu einer Anordnung der Sicherungsverwahrung gelangt wäre, wie etwa
im Falle einer fehlerhaften Verneinung der formellen Voraussetzungen der
Sicherungsverwahrung.
Es kann dahingestellt bleiben, ob aus den genannten Grundsätzen auch folgen
muß, daß § 66 b StGB nur dann zur Anwendung kommen kann, wenn nach dem
rechtskräftigen Urteil des erkennenden Gerichts die Sicherungsverwahrung nicht
zu den Rechtsfolgen der Tat gehörte, die rechtlich zulässig und im konkreten Fall
geboten waren (so OLG Koblenz StV 2004, 665, 668, dort jedoch nicht
entscheidungserheblich). Denn die Voraussetzungen dieser Einschränkung des
Anwendungsbereichs des § 66 b StGB liegen, selbst wenn dem Oberlandesgericht
Koblenz zu folgen wäre, hier nicht vor.
Der vorliegende Fall weist Besonderheiten auf, die nicht besorgen lassen, daß der
Antrag der Staatsanwaltschaft auf nachträgliche Verhängung der
Sicherungsverwahrung im Ergebnis auf eine bloße Korrektur von Rechtsfehlern des
Landgerichts Hannover und der dortigen Staatsanwaltschaft hinausläuft. Aus
welchem Grund das Landgericht Hannover von der Anordnung der
Sicherungsverwahrung abgesehen hat, läßt sich den Urteilsgründen nicht
entnehmen. Die dortige Staatsanwaltschaft hatte in der Anklageschrift keinen
Antrag nach § 66 StGB gestellt. Eine Antragstellung ist offenbar auch in der
Hauptverhandlung nicht erfolgt, wie sich aus dem Umstand ergibt, daß das Urteil
noch am Tag seiner Verkündung rechtskräftig geworden ist und die eintägige
Hauptverhandlung, wie den Angaben des Betroffenen gegenüber der
Sachverständiger Dr. med. F zu entnehmen ist, ohne Zeugen und
Sachverständige durchgeführt wurde.
Trotz dieser Verfahrensweise des Landgerichts Hannover bleibt die Möglichkeit
einer Anwendung des § 66 b StGB hier eröffnet. Zwar gehörte die
Sicherungsverwahrung bei Erlaß des Urteils vom 15.03.1999 zu den Rechtsfolgen
der Tat, die rechtlich zulässig waren; es kann indes nicht festgestellt werden, daß
die Verhängung der Maßregel im konkreten Fall aus der Sicht des im
Ausgangsverfahren erkennenden Gerichts auch geboten war (vgl. zu diesen
Gesichtspunkten OLG Koblenz StV 2004, 665, 668).
Dem Landgericht Hannover mußte sich weder ein Hang des Betroffenen im Sinne
des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB noch eine sexuelle Deviation im Sinne eines sexuellen
Sadismus als bekannt aufdrängen. Damals stellte sich, wie durch das Gutachten
der Sachverständigen Dr. F bestätigt wird, die Situation so dar, daß aus
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der Sachverständigen Dr. F bestätigt wird, die Situation so dar, daß aus
medizinischer Sicht die Lebenserwartung des Betroffenen ohne die Durchführung
einer Herztransplantation auf etwa zwei Jahre begrenzt war. Vor diesem
Hintergrund war die Strafkammer zu der Überzeugung gelangt, die Einlassung des
Betroffenen, er habe die erneute Vergewaltigung gewissermaßen zur Rettung
seines eigenen Lebens verübt, sei glaubhaft, wobei die Überzeugung der Kammer
so weit ging, daß sie ohne Erwähnung des Zweifelssatzes in den Feststellungen der
Einlassung des Betroffenen folgte. Bei objektiver Betrachtung wären schon damals
Zweifel an der Richtigkeit der Einlassung des Betroffenen angezeigt gewesen. Es
war jedoch angesichts des seinerzeitigen Krankheitsbildes des Betroffenen, der
sich - wie dem Gutachten der Sachverständigen Dr. F zu entnehmen ist - im
Strafvollzug noch Jahre später zum Zwecke der Sicherstellung der medizinischen
Versorgung mit Medikamenten, Sauerstoff und hydraulisch verstellbarem Bett
dauerhaft im Lazarett der Justizvollzugsanstalt befand, noch vertretbar und im
Rahmen des tatrichterlichen Beurteilungsspielraums, von der Annahme einer
Gefährlichkeit des Betroffenen für die Allgemeinheit (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) und
von einer Anordnung der Sicherungsverwahrung abzusehen.
Die Entscheidung des Landgerichts Hannover ist vor diesem Hintergrund
betrachtet auch nicht dahingehend zu verstehen, daß sich die Strafkammer etwa
wegen rechtsirrig angenommenen Fehlens der Voraussetzungen des § 66 Abs. 1
Nr. 1 und 2 StGB nicht zur Verhängung der Sicherungsverwahrung in der Lage
gesehen hätte. Es ist vielmehr davon auszugehen, daß die Kammer glaubte, die
besondere Gefährlichkeit des Betroffenen (§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB) wegen dessen
sehr angespannter gesundheitlicher Situation und der für glaubhaft erachteten
Beweggründe der Tat verneinen zu können. Hierin liegt unter Berücksichtigung der
damals vorliegenden Erkenntnisse jedenfalls kein so schwerwiegender Fehler, daß
die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auf eine unzulässige
Rechtsfehlerkorrektur hinausliefe.
d.
Nach Aktenlage ergibt die gemäß § 66 b Abs. 1 StGB vorzunehmende
Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner
Entwicklung während des Strafvollzugs, daß er mit hoher Wahrscheinlichkeit
Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer körperlich oder seelisch schwer
geschädigt werden. Es liegen daher auch insoweit dringende Gründe für die
Annahme der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung vor.
Im Rahmen der Gesamtwürdigung sprechen deutlich für das Bestehen einer hohen
Wahrscheinlichkeit der Begehung weiterer Vergewaltigungen, daß der Betroffene
bereits sechs Taten dieser Art begangen hat. Hierbei hat ihn auch seine im Jahre
1998 erstmals diagnostizierte Herzerkrankung nicht von der Begehung der letzten
Tat am 14.01.1999 abgehalten, obwohl es ihm damals schlechter ging als heute.
In Bezug auf die Persönlichkeit des Betroffenen kommt hinzu, daß diese nach dem
oben auszugsweise wiedergegebenen Gutachten der Sachverständigen Dr. F,
welches der Senat nachvollzogen hat und nach Aktenlage für überzeugend
erachtet, Besonderheiten aufweist, die ein hohes Rückfallrisiko begründen.
Andererseits ist im Rahmen der Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, daß der
Betroffene im Vollzug ein im wesentlichen vorbildliches Verhalten gezeigt hat und
ihm von der Sachverständigen E in deren Gutachten vom 24.11.1999 ein
weitgehend unauffälliges Persönlichkeitsprofil sowie Zuverlässigkeit bescheinigt
wurde. Auch ist zu bedenken, daß der Psychotherapeut Dr. G in seinem
Therapieverlaufsbericht vom 09.08.2004 zu dem Ergebnis gelangt ist, die Gefahr
eines Rückfalls werde nunmehr geringer bewertet als früher.
Diese Gesichtspunkte sind indes auch in einer Gesamtschau nicht geeignet, die
durch die eingangs erwähnten Umstände begründete Rückfallwahrscheinlichkeit
unter die Schwelle der von § 66 b Abs. 1 StGB vorausgesetzten hohen
Wahrscheinlichkeit zurückzuführen. Das Gutachten der Sachverständigen E hat
nicht eine Gefährlichkeitsprognose zum Gegenstand, sondern beschränkt sich auf
die Frage der Zuverlässigkeit im Bereich der medizinischen Nachsorge, für die die
Persönlichkeitseigenarten des Betroffenen nach Einschätzung von Frau E ohne
Bedeutung sind. Hinzu kommt, daß in dem Gutachten ausdrücklich erwähnt wird,
es sei kein umfassendes Persönlichkeitsbild entworfen worden. Bei dem Bericht
des Dr. G handelt es sich, wie dieser in seinem Anschreiben an die
Justizvollzugsanstalt ... vom 09.08.2004 ausdrücklich betont, nicht um ein
Gutachten. Zudem wird die von Herrn Dr. G vorgenommene Einschätzung des
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Gutachten. Zudem wird die von Herrn Dr. G vorgenommene Einschätzung des
Rückfallrisikos dadurch relativiert, daß er zugleich mitteilt, der Betroffene scheine
sich nun erstmals konkret Gedanken über die Abläufe zu machen und habe
wahrscheinlich erst jetzt mit der Bearbeitung seiner Probleme wirklich begonnen.
Dies zeigt, daß tatsächlich gegenüber der zwei Jahre zuvor erstellten Diagnose der
Sachverständigen Dr. F keine nennenswerte Veränderung eingetreten ist.
e.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 66 b Abs. 1 StGB sind erfüllt. Daß es
sich bei den von dem Betroffenen mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartenden
weiteren Vergewaltigungen um solche Straftaten handelt, bei denen die Opfer
zumindest seelisch schwer geschädigt werden, steht außer Frage (vgl.
Tröndle/Fischer, 52. Auflage, § 66 StGB, Rdnr. 20).
Die übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB sind, wie oben bereits erwähnt (Ziffer
II. 2. c.), ebenfalls erfüllt. Es liegen auch dringende Gründe für die Annahme vor,
daß bei dem Betroffenen ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB zur
Begehung erheblicher Straftaten besteht.
Das für die Anordnung der primären Sicherungsverwahrung erforderliche Merkmal
des Hangs ist auch Voraussetzung einer nachträglichen Anordnung der
Unterbringung in der Sicherungsverwahrung. Zwar läßt sich der Begründung des
Gesetzentwurfs entnehmen, daß im Rahmen des § 66 b StGB auf das Merkmal
des Hangs verzichtet worden sei, weil der Regelung die Überlegung zugrunde liege,
daß der Strafvollzug angesichts der künstlichen, stark kontrollierenden und
reglementierenden Bedingungen nicht geeignet sei, zum Zeitpunkt des Vorbehalts
der Sicherungsverwahrung bestehende Unsicherheiten hinsichtlich des Merkmals
des Hangs zu beseitigen, was erst recht gelten müsse, wenn gerade das
Vollzugsverhalten - unter Umständen erstmals - Anlaß gebe, sich mit der
Gefährlichkeit des Täters auseinanderzusetzen (Bundestagsdrucksache 15/2887,
S. 13). Im Wortlaut des Gesetzes hat diese Zielsetzung des Gesetzgebers
allerdings keinen Niederschlag gefunden, da § 66 b Abs. 1 StGB, ohne § 66 Abs. 1
Nr. 3 StGB auszunehmen, von den „übrigen Voraussetzungen des § 66 StGB“
spricht, die für die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung erfüllt sein
müssen. Es ist auch kein sachlicher Grund erkennbar, warum der mit § 66 b Abs. 1
StGB ohnehin verbundene Eingriff in die Rechtskraft des Ausgangsurteils zum
Nachteil des Betroffenen so weit gehen soll, daß an die nachträgliche Anordnung
der Maßregel geringere Anforderungen gestellt werden als an die Anwendung des
§ 66 StGB im Ausgangsverfahren (vgl. Müller-Metz, Vorbehaltene und
nachträgliche Sicherungsverwahrung, in: Kriminologie und Praxis, Band 42 (2003),
S. 225, 234). Ein Verzicht auf das Merkmal des Hangs bei der nachträglichen
Anordnung der Sicherungsverwahrung würde eine Auflösung der notwendigen
Verknüpfung dieser Maßregel mit dem materiellen Strafrecht bedeuten und damit
gegen das strafrechtliche Schuldprinzip verstoßen (vgl. Tröndle/Fischer, 52.
Auflage, § 66 a StGB, Rdnr. 5 b). Überdies wäre die mit einem Verzicht auf das
Merkmal des Hangs verbundene zusätzliche Ausweitung des Anwendungsbereichs
des § 66 b Abs. 1 StGB gegenüber § 66 StGB mit dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit nicht zu vereinbaren (Ullenbruch in Münchener Kommentar
zum StGB, § 66 b, Rdnr. 95).
Die Auffassung, daß ein Hang im Sinne des § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB Voraussetzung
für die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
ist, steht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Dieser hat
im Urteil vom 22.10.2004 (Aktenzeichen 2 StR 140/04) zu der vorbehaltenen
Sicherungsverwahrung gemäß § 66 a StGB ausgeführt, diese komme nur in
Betracht, wenn zum einen ein Hang im Sinne von § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB
festgestellt sei und wenn zum anderen eine erhebliche, naheliegende
Wahrscheinlichkeit dafür bestehe, daß der Täter für die Allgemeinheit im Sinne von
§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB gefährlich sei und dies auch zum Zeitpunkt einer möglichen
Entlassung aus dem Strafvollzug sein werde.
Ist aber schon für die Anwendung des § 66 a StGB die Feststellung eines Hangs
erforderlich, so hat dies erst recht für die nachträgliche Anordnung der
Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB zu gelten.
Ein Hang setzt nach ständiger Rechtsprechung einen eingeschliffenen inneren
Zustand des Täters voraus, der ihn immer neue Straftaten begehen läßt.
Hangtäter ist derjenige, der dauerhaft zu Straftaten entschlossen ist oder
aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn
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aufgrund einer fest eingewurzelten Neigung immer wieder straffällig wird, wenn
sich die Gelegenheit bietet; ebenso aber auch derjenige, der willensschwach ist
und aus innerer Haltlosigkeit Tatanreizen nicht zu widerstehen vermag.
Entscheidend für § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB ist das Bestehen eine solchen Hanges,
nicht dessen Ursache (BGH NStZ-RR 2004, 202, 203; Tröndle/Fischer, 52. Auflage,
§ 66 StGB, Rdnr. 18; Müller-Metz StV 2003, 42, 43).
Bei dem Betroffenen wurden bereits durch den Sachverständigen Dr. B in dessen
Gutachten vom 01.01.1997 ein eingeschliffenes, sexualdelinquentes
Verhaltensmuster und darüber hinaus eine Haltschwäche festgestellt. Ein solches
eingeschliffenes Verhaltensmuster hat auch die Sachverständige Dr. F in ihrem
Gutachten vom 20.07.2002 diagnostiziert und darüber hinaus hervorgehoben, daß
der Betroffene in der Vergangenheit in Konfliktsituationen in stereotyper Weise mit
delinquentem Verhalten reagiert habe. Wie stark das sexualdelinquente Verhalten
bei ihm eingeschliffen ist, zeigt sich daran, daß der Betroffene Anfang des Jahres
1999 selbst in damals schwerkrankem Zustand auf die Konfliktsituation der nicht
vorhandenen Kostendeckung für eine Herztransplantation nicht etwa „nur“ mit der
Begehung einer Straftat reagiert hat, die keine oder nur geringe körperliche oder
seelische Beeinträchtigungen des Opfers mit sich bringt, sondern wiederum zu
massiver sexueller Gewalt gegriffen hat.
3.
Damit sind sämtliche Voraussetzungen für den Erlaß eines Unterbringungsbefehls
nach § 275 a Abs. 5 Satz 1 StPO erfüllt.
Zu einer Aussetzung des Verfahrens und einer Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG in Bezug auf § 66 b Abs. 1
StGB, auf dessen Gültigkeit es für die Entscheidung ankommt, sah sich der Senat
trotz der im Schrifttum und auch durch einzelne Mitglieder des 2. Senats des
Bundesverfassungsgerichts im Rahmen des die nachträgliche Unterbringung von
Straftätern betreffenden Urteils vom 10.02.2004 (Aktenzeichen 2 BvR 834/02 und
1588/02) in Form einer abweichenden Meinung geäußerten Bedenken nicht
veranlaßt.
Von Teilen der Literatur wird die Auffassung vertreten, die nachträgliche
Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB - und damit auch der hier
entscheidungserhebliche § 66 b Abs. 1 StGB - sei ungeachtet der in § 275 a StPO
enthaltenen, der primären Anordnung der Sicherungsverwahrung entsprechenden
Verfahrensgarantien verfassungswidrig und verstoße überdies gegen Art. 5 Abs. 1
Satz 2 EMRK (Ullenbruch in Münchener Kommentar zum StGB, § 66 b, Rdnr. 35 ff.,
insbesondere Rdnr. 47 und 43; Kinzig NStZ 2004, 655, 660).
Beanstandet wird insbesondere, mit dem Institut der nachträglichen
Sicherungsverwahrung werde ohne zwingenden Grund in die Rechtskraft des
Ausgangsurteils und in das Vertrauen des Verurteilten in dessen unveränderten
Bestand eingegriffen sowie gegen das allgemeine Rückwirkungsverbot (Art. 2 Abs.
1, 20 Abs. 3 GG) verstoßen. Der Sache nach handele es sich bei der
nachträglichen Sicherungsverwahrung - woran deren gesetzliche Regelung
außerhalb der StPO nichts ändere - um eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu
Lasten des Verurteilten und um die Schaffung eines gesetzlich nicht geregelten
Wiederaufnahmegrundes. Zwar sei letzteres durch Art. 103 Abs. 3 GG („ne bis in
idem“) nicht gänzlich ausgeschlossen, setze jedoch voraus, daß ein Festhalten an
der Rechtskraft zu schlechthin unerträglichen Ergebnissen führen würde, an denen
es hier fehle.
In diese Richtung weisende Bedenken haben bereits vor dem Inkrafttreten des
Gesetzes zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung drei der Richter
des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts im Rahmen ihres
Minderheitsvotums zu dem bereits erwähnten Urteil vom 10.02.2004 erhoben
(BVerfG NJW 2004, 750, 759). Im Rahmen dieser abweichenden Meinung wird
ausgeführt, die aus der fehlenden Gesetzgebungskompetenz der Länder folgende
Unvereinbarkeit der Straftäterunterbringungsgesetze der Bundesländer Bayern
und Sachsen-Anhalt - deren Verfassungsmäßigkeit mit zwei
Verfassungsbeschwerden angegriffen wurde - mit dem Grundgesetz hätte, anders
als von der Senatsmehrheit vertreten, nicht bloß zu einer
Unvereinbarkeitserklärung, verbunden mit der Anordnung einer befristeten
Fortgeltung, sondern zur Erklärung ihrer Nichtigkeit führen müssen. Die engen
Voraussetzungen einer Weitergeltungsanordnung seien nicht erfüllt. Weder sei die
Weitergeltung der verfassungswidrigen Straftäterunterbringungsgesetze zwingend
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Weitergeltung der verfassungswidrigen Straftäterunterbringungsgesetze zwingend
geboten - die Nichtigkeit stelle vielmehr lediglich die vor dem Erlaß der Gesetze
bestehende Risikolage wieder her - noch sei das Bundesverfassungsgericht zu
ihrer Anordnung überhaupt berechtigt.
Die Weitergeltungsanordnung lasse sich zudem - unter anderem - mit dem
allgemeinen Rückwirkungsverbot (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit 20 Abs. 3 GG)
nicht vereinbaren. Das Institut der nachträglichen Sicherungsverwahrung knüpfe
notwendig an eine konkrete Anlaßtat an. Diese sei sowohl Legitimationsgrundlage
der Unterbringung, entfalte zugleich aber auch eine limitierende Wirkung. Habe der
Betroffene seine Freiheitsstrafe verbüßt und sei auch eine etwaige
freiheitsentziehende Maßregel erledigt, so sei der durch die Anlaßtat gesetzte
Sachverhalt abgeschlossen und könne allenfalls unter den engen
Voraussetzungen der Wiederaufnahme des Verfahrens zuungunsten des
Angeklagten (§ 362 StPO) nochmals Gegenstand einer Anknüpfung von
Rechtsfolgen sein. Daran vermöge auch die Erkenntnis der fortdauernden
Gefährlichkeit des Betroffenen nichts zu ändern. Die
Straftäterunterbringungsgesetze der Länder hätten deshalb nachträglich ändernd
in bereits abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen.
Die in diesem Eingriff liegende Rückwirkung sei durch das Rechtsstaatsprinzip
grundsätzlich verboten. Ein Ausnahmetatbestand, der eine Durchbrechung dieses
Verbots rechtfertigen könnte, sei nicht ersichtlich. Es lägen dafür weder zwingende
Gründe des gemeinen Wohls vor noch fehle es den Betroffenen an einem
schutzbedürftigen und schutzwürdigen Vertrauen in den Fortbestand der
Rechtslage. Den sich aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes ergebenden
Anforderungen genüge es nicht, daß die Gefährlichkeit der Betroffenen entweder
bereits im Zeitpunkt der Aburteilung positiv bekannt gewesen sei, gleichwohl aber
nicht zur Verhängung einer entsprechenden Strafe oder zur Anordnung
freiheitsentziehender Maßregeln geführt habe oder aus Rechtsgründen nicht habe
führen dürfen, oder sie aufgrund der im Zusammenhang mit der Tat deutlich
gewordenen Begleitumstände bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt hätte
erkannt werden können, ohne daß hieraus die entsprechenden Folgerungen in
dem dafür vorgesehenen Strafverfahren gezogen worden seien. Die grundsätzlich
im Strafurteil vorgenommene Begrenzung der Freiheitsentziehung enthalte für die
verurteilten Straftäter die verbindliche Verheißung, nach Strafverbüßung und
Erledigung einer freiheitsentziehenden Maßregel wieder ein Leben in Freiheit
führen zu können. Die Schutzwürdigkeit des so begründeten Vertrauens könne
nicht mit verfassungsrechtlich - aufgrund des Vorliegens weitreichender
Möglichkeiten effektiver Gefahrenabwehr (etwa in Form der Führungsaufsicht und
der Maßnahmen nach allgemeinem Sicherheits- und Polizeirecht) - nicht zwingend
gebotenen Anliegen des Schutzes der Bevölkerung vor gravierenden Straftaten in
Frage gestellt werden (BVerfG NJW 2004, 750, 761).
Das Bundesverfassungsgericht hatte bisher über die Frage der
Verfassungsmäßigkeit des § 66 b StGB noch nicht zu entscheiden. Gegenstand
des bereits erwähnten Urteils vom 10.02.2004 waren die
Straftäterunterbringungsgesetze zweier Bundesländer. Das
Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, die unbefristete
oder beliebig oft verlängerbare Unterbringung nach voller Verbüßung der
Schuldstrafe stelle einen besonders schwerwiegenden Eingriff in die Freiheit des
betroffenen Straftäters dar (BVerfG NJW 2004, 750, 754). Die bisherige Erfahrung
mit den landesrechtlichen Straftäterunterbringungsgesetzen habe jedoch gezeigt,
daß es tatsächlich einige wenige Verurteilte gebe, gegen die zum Urteilszeitpunkt
aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen keine Sicherungsverwahrung
angeordnet worden sei, die sich aber gleichwohl zum Entlassungszeitraum als
hochgefährlich darstellten. Der Schutz vor solchen Verurteilten, von denen auch
nach Verbüßung ihrer Freiheitsstrafen schwere Straftaten gegen das Leben, die
körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung
anderer mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten seien, stelle ein überragendes
Gemeinwohlinteresse dar. Diesen Schutz durch geeignete Mittel zu gewährleisten,
sei Aufgabe des Staates. Wie der Gesetzgeber diese Aufgabe wahrnehme,
unterliege seinem weiten Gestaltungsspielraum. Die Verfassung gebe den Schutz
als Ziel vor, nicht aber seine Ausgestaltung im Einzelnen. Auch angesichts des
hohen Wertes des Freiheitsrechts erscheine ein verfassungsgemäßer Ausgleich
der kollidierenden Grundrechtspositionen in besonderen Ausnahmefällen möglich,
wenn die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der Freiheitsentziehung durch
eine enge Bindung an den zu erfüllenden Schutzzweck streng begrenzt würden
(BVerfG, a.a.O., S. 757).
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Weiter führte das Bundesverfassungsgericht in dem Urteil vom 10.02.2004 aus, es
sei von ihm in dem dort vorliegenden Verfahren zwar nicht darüber zu befinden, ob
der von den Ländern gewählte Weg [der nachträglichen Unterbringung] inhaltlich
und verfahrensrechtlich mit den materiellen Vorgaben der Verfassung
übereinstimme. Jedenfalls stehe aber ein vom zuständigen Gesetzgeber
entwickeltes Konzept nachträglicher Anordnung einer präventiven Verwahrung
noch inhaftierter Straftäter bei entsprechend enger Fassung nicht von vornherein
unter dem Verdikt der Verfassungswidrigkeit (BVerfG, a.a.O., S. 758).
Der Senat hat vor dem Hintergrund dieser Ausführungen des
Bundesverfassungsgerichts die oben erwähnten Bedenken gegen die
Verfassungsmäßigkeit des hier entscheidungserheblichen § 66 b Abs. 1 StGB
eingehend geprüft. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, daß eine Vorlage an das
Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 GG hier schon im Hinblick auf
die Art des vorliegenden Verfahrens, in welchem es nicht um eine endgültige
Entscheidung über die nachträgliche Anordnung der Unterbringung in der
Sicherungsverwahrung, sondern um die Rechtmäßigkeit der vorläufigen
Inhaftierung des Betroffenen zur Sicherung des Verfahrens geht, nicht angezeigt
ist.
Eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist zwar schon in frühen
Verfahrensstadien zulässig. So hat das Bundesverfassungsgericht bereits im Jahre
1955 entschieden und hieran seitdem in ständiger Rechtsprechung festgehalten,
daß es der Zulässigkeit einer Vorlage nicht entgegenstehe, wenn diese in einer
Strafsache bereits vor der Eröffnung des Hauptverfahrens erfolge, da sich das
erkennende Gericht bereits in diesem Abschnitt über die Gültigkeit der in Betracht
kommenden Strafnormen schlüssig werden müsse (BVerfGE 4, 352; 47, 109; 54,
47). Ebenso kann eine Vorlage unter bestimmten Voraussetzungen schon in
Bezug auf eine gerichtliche Zwischenentscheidung, durch die das gerichtliche
Verfahren noch nicht im gegebenen Rechtszug abgeschlossen wird, - im konkreten
Fall ging es um die Frage der von der Gültigkeit einer bestimmten Norm
abhängigen verfahrensrechtlichen Handlungsfähigkeit einer Prozeßpartei - zulässig
sein (BVerfGE 63, 1). Vorlagen in einer solchen Verfahrenslage sind angesichts des
Grundgedankens der Subsidiarität der Verfassungsgerichtsbarkeit, welcher auch in
Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG zum Tragen kommt, aber nur in Grenzen
zulässig. Die mit dem Normenkontrollverfahren verbundene Inanspruchnahme des
Bundesverfassungsgerichts läßt sich nur rechtfertigen, wenn sie zur Entscheidung
eines anhängigen gerichtlichen Verfahrens oder auch schon für eine Entscheidung
in einem solchen Verfahren unerläßlich ist (BVerfGE 63, 1).
Dementsprechend sieht das Bundesverfassungsgericht im Bereich der
Eilverfahren, in denen es um Entscheidungen über eine vorläufige Regelung geht,
eine Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG nur in Ausnahmefällen als zulässig an; sie
kommt nur dann in Betracht, wenn insbesondere in dem Verfahren eine
abschließende Entscheidung ergeht oder wenn die vorläufige Regelung die
endgültige Entscheidung weitgehend vorwegnehmen würde (BVerfG DAVorm
1997, 629; vgl. auch BVerfGE 46, 43; 63, 131).
Beides ist hier nicht der Fall. In dem vorliegenden Verfahren nach § 275 a Abs. 5
Satz 1 StPO, bei dem es sich nicht - wie im Falle des Eröffnungsverfahrens - um
ein frühes Stadium des Hauptsacheverfahrens, sondern um ein eigenständiges
vorläufiges Verfahren handelt, wird keine abschließende Entscheidung über die
Frage der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung getroffen. Dies
bleibt vielmehr der erkennenden Strafkammer in dem Verfahren gemäß § 275 a
Abs. 2 bis 4 StPO vorbehalten. Auch wird durch die mit der Beschwerde
angegriffene Inhaftierung des Betroffenen die durch Urteil nach einer
Hauptverhandlung zu treffende Entscheidung über die Anordnung der Maßregel
nicht vorweggenommen. Die oben erwähnte Voraussetzung der Unerläßlichkeit
einer Inanspruchnahme des Bundesverfassungsgerichts im
Normenkontrollverfahren ist unter Berücksichtigung der im Urteil vom 10.02.2004
enthaltenen Ausführungen ebenfalls nicht gegeben.
4.
Einer Kostenentscheidung bedarf es nicht (vgl. OLG Frankfurt MDR 1982, 954;
Hanseatisches OLG Hamburg NStZ 1991, 100 - mit weiteren Nachweisen).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.