Urteil des LG Duisburg vom 31.01.2008

LG Duisburg: einsichtnahme, rechtsgeschäft unter lebenden, abtretung, daten, krankenversicherung, verfügung, behandlungsvertrag, abrechnung, schweigepflicht, verschwiegenheit

Landgericht Duisburg, 5 S 77/07
Datum:
31.01.2008
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 77/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Duisburg, 2 C 5170/06
Tenor:
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Amtsgerichts Duisburg
vom 4. Juli 2007 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die gesamten
Krankenunterlagen betreffend die Behandlung des linken Knies der
Patientin Frau , geboren am 18.10.1925, bestehend aus Aufnahme –
und Entlassungsbefund sowie Berich-ten und Röntgenunterlagen, zur
Einsichtnahme zur Verfügung zu stellen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
G r ü n d e
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Die zulässige Berufung hat Erfolg. Die Klägerin hat aus übergegangenem Recht der
Frau aus deren Behandlungsvertrag mit dem Beklagten einen Anspruch auf
Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen.
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Dabei kann dahinstehen, ob das Recht auf Einsichtnahme als Nebenrecht zum
denkbaren und dann auf die Klägerin gemäß § 116 SGB X kraft Gesetzes
übergegangenen Schadensersatzanspruch ebenfalls entsprechend § 401 BGB auf die
Klägerin übergegangen ist, § 412 BGB. Denn jedenfalls hat die Patientin ihren
Anspruch auf Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen wirksam an die Klägerin
abgetreten.
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I. Zwischen den Parteien steht außer Streit, dass ein Patient selbst als Nebenanspruch
aus dem Behandlungsvertrag die Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen
beanspruchen kann, wobei dieser Anspruch des Patienten grundsätzlich ohne
Darlegung eines besonderen Interesses besteht (vgl. grundlegend BGHZ 72, 132 (137);
BGHZ 85, 327 [332]; BGH NJW 1983, 2627 [2628]). Demnach bedarf keiner weiteren
Erörterung, dass Frau in die Behandlungsunterlagen des Beklagten Einsicht hätte
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nehmen können – und sich dabei überdies schon wegen der am 17.11.2005
durchgeführten Amputation ohne Weiteres auf ein besonderes Interesse an der
Einsichtnahme hätte berufen können.
II. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Anspruch auf Einsichtnahme durch
Rechtsgeschäft unter Lebenden vom Patienten auf einen Dritten übertragen werden.
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1. Allein, dass der Anspruch auf Einsichtnahme in die Patientenunterlagen letztlich auf
dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten beruht, führt nämlich nicht dazu, dass der
Vertragsanspruch in vollem Umfang ein höchstpersönlicher Anspruch wäre, der weder
unter Lebenden noch von Todes wegen ganz oder nur teilweise auf andere übergehen
könnte (BGH NJW 1983, 2627 [2628]). Vielmehr kann der vertragliche Nebenanspruch
vom Patienten auch wirtschaftlich genutzt – und damit abgetreten – werden, so wenn er
der Klärung möglicher Schadensersatzansprüche gegen den behandelnden Arzt dienen
soll (vgl. BGH aaO). Dass der Patient den Anspruch auf Einsichtnahme abtreten kann,
zeigt sich nicht zuletzt daran, dass der Patient natürlich nicht gehindert ist, die zu seinem
Schutz geführten Behandlungsunterlagen zunächst selbst einzusehen und das
Ergebnis der Einsichtnahme im Anschluss Dritten – und dabei natürlich vor allem seiner
Krankenversicherung - mitzuteilen.
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Die gegenteilige Auffassung des Landgerichts Mönchengladbach in der vom Beklagten
für sich in Anspruch genommenen Entscheidung vom 31.10.2007 verkennt bereits, dass
der Bundesgerichtshof seine in BGHZ 85, 327 abgedruckte Entscheidung ergänzt und
dabei die Natur des Einsichtsrechts und seine Übertragbarkeit ausdrücklich im
vorbeschriebenen Sinne klargestellt hat (NJW 1983, 2627 [2628]). Entgegen der
Auffassung des Landgerichts Mönchengladbach steht einer Abtretung auch § 399 BGB
nicht entgegen, da sich bei richtiger Betrachtung der Inhalt des Einsichtsrechts nicht
ändert. Denn auch die Einsichtnahme des Patientin kann – wie schon § 810 BGB zeigt
– allein dazu dienen, sich Klarheit über das Bestehen und den Umfang eines
Schadensersatzanspruch gegen den behandelnden Arzt zu verschaffen.
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2. Der weitere Gedanke des Beklagten, der Sozialdatenschutz stehe einer Abtretung
entgegen, liegt fern. Er verkennt, dass es um den Schutz der Daten des Patienten geht,
der schwerlich verletzt sein kann, wenn dieser über die zu seinen Gunsten erfassten
Daten disponieren möchte. Die vom Beklagten insoweit für sich in Anspruch
genommene Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 3.7.2002 besagt nichts dazu,
ob ein Patient seinen Anspruch auf Einsichtnahme an einen Dritten (hier: seine
Krankenversicherung) abtreten kann. Sie stellt lediglich klar, dass die Krankenkassen
nicht aus eigenem Recht Einsichtnahme in die Behandlungsunterlagen nehmen
können, um die Richtigkeit der Abrechnung überprüfen zu können. Dies ist in der Tat
eine sozialrechtliche Problematik – im Gegensatz zu der nach dem bürgerlichen Recht
zu beantwortenden Frage nach der Abtretbarkeit eines vertraglichen Anspruchs eines
Patienten.
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III. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts hat Frau in der
"Schweigepflichtentbindungserklärung und Herausgabegenehmigung" vom 9.2.2006
der Klägerin die Abtretung ihres Anspruchs auf Einsichtnahme in die
Behandlungsunterlagen angeboten – und nicht nur gestattet, ihr Patientenrecht im
eigenen Namen geltend zu machen. Sie wollte nicht nur, dass der Klägerin die
Behandlungsunterlagen zur Prüfung von Behandlungsfehlern zur Verfügung gestellt
werden sollten. Vielmehr ging es der Zedentin, wie der letzte Satz der Erklärung zeigt,
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darum, der Klägerin die Einsichtnahme zur Geltendmachung von eigenen
Ersatzansprüchen zu ermöglichen.
Diese - von der Klägerin ausweislich der Aufforderung an den Beklagten vom 20.2.2006
angenommene - Abtretung ist auch nicht gemäß § 134 BGB in Verbindung mit dem
Rechtsberatungsgesetz nichtig, da es, wie auch der Beklagte insoweit zutreffend
hervorhebt, um die Klärung eines eigenen Anspruchs der Klägerin geht, nämlich des
möglich erscheinenden Schadensersatzanspruchs wegen einer Falschbehandlung
durch den Beklagten.
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IV. Der Einsichtsgewährung steht die ärztliche Schweigepflicht des Beklagten nicht
entgegen, nachdem die Zedentin ihn gegenüber der Klägerin von der Pflicht zur
Verschwiegenheit entbunden hat.
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V. Ein Grund, die Revision zuzulassen besteht nicht, da der Bundesgerichtshof die
Frage, ob der Anspruch des Patienten auf Einsichtsnahme in die
Behandlungsunterlagen übertragbar ist, bereits entschieden hat.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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Streitwert: 2.000 EUR.
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