Urteil des LG Duisburg vom 29.09.2004

LG Duisburg: kollision, anhalten, fahrzeug, verkehr, vorrang, entlastung, geschwindigkeit, überholen, erfüllung, unfall

Landgericht Duisburg, 11 S 113/04
Datum:
29.09.2004
Gericht:
Landgericht Duisburg
Spruchkörper:
11. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
11 S 113/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Oberhausen, 36 C 3525/03
Tenor:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts
Oberhausen vom 19.03.2004 (36 C 3525/03) wird auf seine Kosten
zurückgewiesen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.411,22 €
festgesetzt.
Gründe
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I. Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO
abgesehen.
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II. Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Amtsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat über den bereits
vorgerichtlich gezahlten Betrag hinaus keinen weiteren Anspruch auf Schadensersatz
gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 StVG, 3 PflVG. Die Kammer verweist zunächst zwecks
Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen der
amtsgerichtlichen Entscheidung.
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Das Berufungsvorbringen gibt keinen Anlass zu einer Abänderung der getroffenen
Entscheidung. Das Amtsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass den Kläger ein
erhebliches Mitverschulden an der Verursachung des Unfalls trifft, weil dieser seinen
Pflichten aus § 9 Abs. 5, 10 StVO beim Rückwärtsausparken nicht ausreichend
nachgekommen ist. Dabei werden dem Rückwärtsausparkenden durch die StVO die
höchsten Sorgfaltsanforderungen auferlegt, die die StVO kennt. Hiernach muss der
rückwärts Ausparkende zu jedem Zeitpunkt des Ausparkvorgangs jegliche Behinderung
oder Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausschließen, also auch nur beim ersten
Anzeichen von Verkehr auf der Straße (unabhängig von der Frage, auf welcher
Straßenseite der andere Verkehr sich bewegt) rechtzeitig anhalten, um eine Kollision zu
vermeiden.
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Da der Unfall bereits nach den unstreitigen Umständen in Zusammenhang mit dem
Ausparken und dem Rückwärtsfahren geschehen ist, spricht gegen den Kläger der
Beweis des ersten Anscheins. Insoweit ist aufgrund allgemeiner Erfahrungsgrundsätze
grundsätzlich zu vermuten, dass eine Kollision mit einem rückwärts ausparkenden
Fahrzeug auf die Unachtsamkeit des Ausparkenden zurückzuführen ist (vgl. OLG
Saarbrücken NZV 1992, 234; Hentschel, § 9 StVO Rn. 55, § 10 StVO Rn. 11 jeweils
m.w.N.; Janiszewski/Jagow/Burmann § 9 StVO Rn. 55 a).
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Unter diesen Umständen obliegt es dem Kläger, den Beweis des ersten Anscheins zu
erschüttern, d.h. Umstände darzulegen und ggf. (falls im Streit stehend) zu beweisen,
die geeignet sind, die Vermutungswirkung zu seinen Lasten zu widerlegen. Dies ist dem
Kläger nicht gelungen. Dass der Kläger zum Zeitpunkt der Kollision bereits gestanden
hat, was der Zeuge bestätigt hat und das Amtsgericht seiner Entscheidung zugrunde
gelegt hat, reicht zur Entlastung allein nicht aus. Dies wäre allenfalls dann anzunehmen,
wenn das Beklagtenfahrzeug während des gesamten Ausparkvorgangs zu keinem
Zeitpunkt zu sehen gewesen wäre und der Kläger deshalb nicht darauf reagieren
konnte. Das würde jedoch voraussetzen, dass der Beklagte zu 1.) mit einer sehr hohen
Geschwindigkeit um die Ecke gefahren und herangekommen wäre und/oder der Kläger
längere Zeit auf der Straße bewegungslos gestanden hätte. Letzteres wird vom Kläger
selbst schon nicht behauptet. Demgegenüber hat der Zeuge nichts dazu ausgesagt, ob
und wieweit der Beklagte zu 1.) für den Kläger bereits während des Rückwärtsfahrens
erkennbar war. Dies konnte er auch nicht, da er aus nachvollziehbaren Gründen
zunächst nur auf den vor ihm fahrenden Kläger und nicht auf den (für ihn) von hinten
kommenden Beklagten zu 1.) geachtet hat. Damit ist jedoch gerade nicht
ausgeschlossen, dass der Kläger das Beklagtenfahrzeug bereits während des
Ausparkens hätte erkennen können und deshalb sein Fahrzeug zur Vermeidung einer
Kollision früher hätte anhalten können. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund,
dass der Zeuge weiter aussagte, dass die Kollision zum Teil auf der Gegenfahrspur
stattgefunden hat und damit naheliegt, dass der Kläger bereits in die Gegenfahrspur
eingefahren ist.
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Soweit weiterhin berücksichtigt wird, dass der Zeuge zudem bekundete, dass der Kläger
sehr langsam und vorsichtig fuhr, zeigt sich, dass der Ausparkvorgang längere Zeit in
Anspruch genommen haben muss. Dann ist es aber kaum vorstellbar, dass der Beklagte
zu 1.) vor und während des Überholvorgangs noch nicht zu sehen gewesen sein soll.
Dies gilt auch unter Berücksichtigung des vom Zeugen bestätigten Umstandes, dass
das Beklagtenfahrzeug erst im hinteren Bereich beschädigt wurde, da dies nur dann
nachvollziehbar ist, wenn der Kläger erst unmittelbar vor der Kollision zum Stehen
gekommen ist. Dann ist aber erst recht nur schwer vorstellbar, dass der Beklagte zu 1.)
zuvor für ihn nicht erkennbar war. Dabei kann dahinstehen, ob damit schon feststeht,
dass der Kläger während des Ausparkens nicht mehr auf den rückwärtigen Verkehr
geachtet hat; jedenfalls kann dies nicht ausgeschlossen werden, so dass der gegen den
Kläger sprechende Anschein nicht erschüttert ist.
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Demgegenüber stellt das Langsamfahren als für sich allein noch keinen Beweis dafür
dar, dass der Kläger während des Rückwärtsausparkens nach allen Seiten nach
weiterem herankommenden Verkehr Ausschau gehalten hat, wozu er aber aufgrund der
hohen Sorgfaltsanforderungen der §§ 9 Abs. 5, 10 StVO verpflichtet war. Insoweit irrt der
Kläger, wenn er meint, dass er nach dem Anhalten des Zeugen (und möglicherweise
auch eines weiteren Fahrzeugs) nicht mehr damit rechnen musste, dass ein anderes
Fahrzeug dort überholen würde. Diese Annahme legt vielmehr die Vermutung nahe,
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dass der Kläger sich nach dem Anhalten des Zeugen darauf verlassen hat und deshalb
während des Ausparkens nicht mehr auf weitere Fahrzeuge geachtet hat. Dies wäre
jedoch grob pflichtwidrig, da auch nach einem oder mehreren Anhalten anderer
Fahrzeuge kein Vorrang für den Ausparkenden entsteht, sondern der Ausparkende
weiterhin jedem anderen Fahrzeug auf der Straße Vorrang einräumen muss, so dass
der Kläger hier dem überholenden Beklagten zu 1.) uneingeschränkt Vorrang
einzuräumen hatte.
Damit ging das Amtsgericht nach Durchführung der Beweisaufnahme zu Recht davon
aus, dass der Kläger für sein pflichtwidriges Verhalten beim Rückwärtsausparken
einstehen muss. Diese Pflichtverletzung hat das Amtsgericht im Rahmen der gemäß §
17 Abs. 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungsbeiträge zutreffend
berücksichtigt. Insoweit ist ein Verstoß gegen §§ 9 Abs. 5, 10 StVO aufgrund der
besonders hohen Sorgfaltsanforderungen als höher zu bewerten als das Verschulden
des Beklagten zu 1.). Die vorgenommen Quotelung ist daher nicht zu beanstanden.
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Die Höhe des ersatzfähigen Schadens ist ebenso unstreitig wie die Höhe der
vorgerichtlichen Zahlung, so dass der ursprünglich entstandene Anspruch auf Ersatz
eines Drittels des erlittenen Schadens bereits vorgerichtlich durch Erfüllung erloschen
ist.
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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