Urteil des LG Düsseldorf vom 30.09.2003

LG Düsseldorf: gewerblicher rechtsschutz, stand der technik, negative feststellungsklage, eigenes verschulden, urheberrecht, rechnungslegung, zivilprozessordnung, motorradfahrer, widerklage

Landgericht Düsseldorf, 4a O 402/02
Datum:
30.09.2003
Gericht:
Landgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
4a. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
4a O 402/02
Tenor:
I.
Auf die Widerklage wird die Klägerin verurteilt,
1.
es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung vom Gericht
festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,- Euro - ersatzweise
Ordnungshaft bis zu 6 Monaten - oder einer Ordnungshaft bis zu sechs
Monaten, im Wiederholungsfalle bis zu zwei Jahren, zu vollzie-hen an
dem Geschäftsführer, zu unterlassen,
Integralschutzhelme, insbesondere für Motorradfahrer, mit einer auf
einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen im Wesentlichen um-
gebbaren Helmschale und einem die Unterkieferpartie des Kopfes
umgreifenden Kinnbügel, der schwenkbar an der Helmschale ange-lenkt
ist und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer herunter-
geklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in ei-ne
hochgeklappte Stellung schwenkbar ist,
in der Bundesrepublik Deutschland anzubieten, in Verkehr zu bringen
oder zu gebrauchen,
wenn als Betätigungselement ein Öffnungsschieber für die Entriege-lung
des Kinnbügels vorgesehen ist, dessen Betätigungsrichtung ent-gegen
der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft zur Erzeugung
eines Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen
dessen Öffnungsrichtung;
2.
der Beklagten darüber Rechnung zu legen, in welchem Umfang sie die
zu 1. bezeichneten Handlungen seit dem 25. Juni 2000 begangen hat,
und zwar unter quartalsmäßiger Angabe
a) der einzelnen Lieferungen, aufgeschlüsselt nach Liefermengen, -
zeiten und -preisen und Typenbezeichnungen sowie den Na-men und
Anschriften der Abnehmer,
b) der nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Ge-
stehungskosten und des erzielten Gewinns.
II.
Es wird festgestellt,
dass die Klägerin verpflichtet ist, der Beklagten allen Schaden zu er-
setzen, der ihr durch die zu I.1. bezeichneten, seit dem 25. Juni 2000
begangenen Handlungen entstanden ist und noch entstehen wird.
III.
Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.
IV.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
V.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,- Euro
vorläufig vollstreckbar.
Die Sicherheit kann auch durch die unbedingte Bürgschaft einer in der
Europäischen Union ansässigen, als Zoll- und Steuerbürgin zugelas-
senen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
T a t b e s t a n d :
1
Die Beklagte ist eingetragene Inhaberin des am 29. März 1996
angemeldeten deutschen Patents #### (Anlage K4, nachfolgend:
Klagepatent), dessen Anmeldung am 2. Oktober 1997 offengelegt und
dessen Erteilung am 25. Mai 2000 veröffentlicht worden ist.
2
Das Klagepatent steht in Kraft.
3
Es betrifft einen Integralschutzhelm.
4
Wegen Verletzung des Klagepatents nimmt die Beklagte die Klägerin -
widerklagend - auf Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung
und Feststellung der Schadensersatzpflicht in Anspruch.
5
Gegen eine entsprechende Inanspruchnahme richtet sich die von der
Klägerin zuvor erhobene negative Feststellungsklage, welche die Parteien
zwischenzeitlich übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt
haben.
6
Der Patentanspruch 1 des Klagepatents hat folgenden Wortlaut:
7
Integralschutzhelm, insbesondere für Motorradfahrer, mit einer auf
einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen im wesentlichen
umgebbaren Helmschale (3) und einem die Unterkieferpartie des
Kopfes umgreifenden Kinnbügel(4), der schwenkbar an der Helmschale
(3) angelenkt ist und mit Hilfe eines Betätigungselementes (6, 12) von
einer heruntergeklappten, an der Helmschale (3) arretierten
Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist,
dadurch gekennzeichnet
Öffnungsschieber für die Entriegelung des Kinnbügels (4) vorgesehen
ist, dessen Betätigungsrichtung entgegen der Schwenkrichtung des
Kinnbügels (4) nach unten verläuft zur Erzeugung eines Momentes um
die Schwenkstelle des Kinnbügels (4) entgegen dessen
Öffnungsrichtung.
8
Die nachstehend wiedergegebenen Zeichnungen stammen aus der
Klagepatentschrift und dienen zur Erläuterung der Erfindung anhand eines
Ausführungsbeispiels.
9
Die Figur 1 zeigt einen Schutzhelm im Moment des Hochschwenkens des
Kinnbügels durch den Helmträger. In der Figur 2 ist ein nicht maßstäblicher
Ausschnitt des Schutzhelms nach der Figur 1 in einer Schnittstellung
dargestellt, wobei der Kinnbügel heruntergeklappt und geschlossen ist.
10
Mit patentanwaltlichem Schriftsatz vom 14. Februar 2003 (Anlage B3) trat
die Klägerin einem beim Deutschen Patent- und Markenamt gegen das
Klagepatent anhängigen Einspruchsverfahren bei, über das noch nicht
entschieden worden ist.
11
Die Klägerin bietet im Geltungsbereich des Klagepatents an und vertreibt
XC MX-1
XC MX-1
Bezug genommen wird. Auf mehreren von der Klägerin (Anlage K3) und von
der Beklagten (Anlage B6) in Kopie zur Gerichtsakte gereichten Fotografien
sind die genannten Helme wie folgt abgebildet:
12
Die Beklagte sieht in diesen von ihr angegriffenen Ausführungsformen eine
unberechtigte wortsinngemäße Benutzung des Klagepatents.
13
Mit patentanwaltlichem Schreiben vom 21. Oktober 2002 (Anlage K1)
forderte sie die Klägerin dazu auf, bis zum 15. November 2002 eine
beigefügte Lizenzvereinbarung zu unterzeichnen. Andernfalls werde sie
gegen die Klägerin auf dem Rechtsweg vorgehen.
14
Zum Abschluss des Lizenzvertrages fand sich die Klägerin nicht bereit.
15
Die Klägerin hat mit der vorliegenden Klage ursprünglich negative
Feststellung verlangt, dass die Beklagte nicht dazu berechtigt sei, sie
wegen der angegriffenen Ausführungsformen auf Unterlassung und
Schadensersatz in Anspruch zu nehmen.
16
Nachdem die Beklagte hierauf widerklagend Patentverletzungsklage
erhoben hat, haben die Parteien in der Sitzung vom 11. September 2003 die
negative Feststellungsklage übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt
erklärt.
17
18
Widerklagend beantragt die Beklagte,
19
20
zu erkennen, wie geschehen, mit der Maßgabe, dass sie Feststellung
der Schadensersatzpflicht für seit dem 1. Juni 2000 und Auskunft und
Rechnungslegung auch hinsichtlich der Herstellungsmengen und
Herstellungszeiten verlangt.
21
Die Klägerin beantragt,
22
23
die Widerklage abzuweisen.
24
Sie macht geltend, entgegen dem Klagepatent werde der Kinnbügel bei den
angegriffenen Ausführungsformen nicht mit Hilfe eines
Betätigungselementes geschwenkt.
25
Hinzukomme, dass sich der Kinnbügel beim Herunterziehen des
Öffnungsschiebers nicht entgegen der Öffnungsrichtung des Kinnbügels
verschwenken lasse, was zur Folge habe, dass der
Verriegelungsmechanismus von Kinnbügel und Helmschale beim Betätigen
des Öffnungsschiebers nicht durch das Erzeugen eines Momentes um die
Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung entlastet
werde.
26
Die Beklagte tritt den Darlegungen der Klägerin entgegen.
27
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen
Inhalt der gewechselten Schriftsätze und der zur Gerichtsakte gereichten
Anlagen Bezug genommen.
28
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
29
Die nunmehr allein noch anhängige Widerklage hat bis auf zwei
geringfügige Zuvielforderungen Erfolg. Im Übrigen ist sie unbegründet.
30
Der Beklagten stehen die widerklagend geltend gemachten Ansprüche auf
Unterlassung, Auskunftserteilung, Rechnungslegung und Schadensersatz
nach den Paragraphen 9 Nummer 1, 14, 139 Absatz 1 und 2, 140 Absatz 1
und 2 des Patentgesetzes und den Paragraphen 242, 259 des Bürgerlichen
Gesetzbuches zu, weil die Klägerin mit den von ihr vertriebenen
Integralschutzrechten unberechtigt von dem Klagepatent Gebrauch macht.
31
I.
32
Das Klagepatent betrifft einen Integralschutzhelm, insbesondere für
Motorradfahrer, mit einer auf einem Menschenkopf aufsetzbaren und diesen
im wesentlichen umgebbaren Helmschale und einem die Unterkieferpartie
des Kopfes übergreifbaren Kinnbügel, der schwenkbar an der Helmschale
angelenkt ist und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer
heruntergeklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in
eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist.
33
Hierzu nimmt das Klagepatent auf die europäische Patentanmeldung ####
(Patentschrift als Anlage K4/1 überreicht) Bezug, die einen Schutzhelm
offenbart, dessen Schutzbügel über eine Zug- bzw. Drucktaste mit dem
Daumen einhändig entriegelt und geöffnet werden kann. Mit der Taste steht
ein Seilzug in Verbindung, der in dem Kinnbügel verläuft und einen
Lösungshebel betätigt, der eine Schnappfeder außer Eingriff mit an der
Helmschale befindlichen Verriegelungsbolzen bringt. Hierzu zieht der
Helmträger an der Zugtaste und schwenkt gleichzeitig den Kinnbügel nach
oben.
34
Zu einem solchen Konstruktionsentwurf führt das Klagepatent als nachteilig
aus, dass es unter Umständen zu Verhakungen und zu einem unsauberen
Öffnen des Helms kommen kann, was zur Folge hat, dass das
Hochschwenken des Kinnbügels teilweise unter Kraftanstrengung zur
Überwindung der Verhakung durchgeführt werden muss, und das
Hinzunehmen der zweiten Hand unumgänglich ist.
35
Hiervon ausgehend liegt dem Klagepatent das technische Problem (die
Aufgabe) zugrunde, einen Integralschutzhelm der eingangs genannten Art
bereitzustellen, bei dem sich das Entriegeln und Hochschwenken des
Kinnbügels auf einfache Weise verhakungsfrei durchführen lässt.
36
Zur Lösung des Problems schlägt das Klagepatent in seinem
Schutzanspruch 1 einen Integralschutzhelm mit folgenden Merkmalen vor:
37
1.
38
Es handelt sich um einen Integralschutzhelm, insbesondere für
39
Motorradfahrer;
2.
40
der Integralschutzhelm verfügt über eine auf einem Menschenkopf
aufsetzbaren und diesen im Wesentlichen umgebbaren Helmschale
41
und
42
3.
43
einem die Unterkieferpartie des Kopfes umgreifenden Kinnbügel;
44
4.
45
der Kinnbügel ist schwenkbar an der Helmschale angelenkt und mit
Hilfe eines Betätigungselementes von einer heruntergeklappten, an der
Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in eine hochgeklappte
Stellung schwenkbar;
46
5.
47
als Betätigungselement ist ein Öffnungsschieber für die Entriegelung
des Kinnbügels vorgesehen;
48
6.
49
die Betätigungsrichtung des Öffnungsschiebers verläuft entgegen der
Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten zur Erzeugung eines
Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen
Öffnungsrichtung.
50
Durch die vorbeschriebene Anordnung des Öffnungsschiebers - so das
Klagepatent in seiner allgemeinen Beschreibung weiter - wird eine
Öffnungskraft erzeugt, die ein Moment um die Schwenkstelle des
Kinnbügels entgegen der Öffnungsrichtung bewirkt. Dadurch wird der
Entriegelungsmechanismus entlastet, wodurch es beim Entriegeln nicht zu
Verhakungen durch zu frühes Hochschwenken des Kinnbügels kommt.
Diese Öffnungskraft kann auf einfache Weise durch den an der Unterkante
des Kinnbügels abgestützten Daumen abgefangen werden, der dann nach
dem Entriegeln den Kinnbügel nach oben schwenkt. Hierdurch ist ein
einfaches Hochschwenken des Kinnbügels gewährleistet, ohne dass eine
zweite Hand verwendet werden muss, um beispielsweise Verhakungen zu
überwinden.
51
II.
52
Im Hinblick auf eine Verletzung des Klagepatents stimmen die Parteien
zutreffend darin überein, dass durch die angegriffenen Ausführungsformen
1. bis 3. und 5. wortsinngemäß verwirklicht werden, so dass es hierzu keiner
näheren Erläuterung bedarf.
53
1.
54
Die angegriffenen Ausführungsformen machen auch von dem Merkmal 4.
wortlautgemäßen Gebrauch.
55
Das Merkmal besagt, dass der Kinnbügel schwenkbar an der Helmschale
angelenkt und mit Hilfe eines Betätigungselementes von einer
heruntergeklappten, an der Helmschale arretierten Verriegelungsstellung in
eine hochgeklappte Stellung schwenkbar ist.
56
Entgegen den Darlegungen der Klägerin schreibt das Klagepatent in
seinem Merkmal 4. nicht vor, dass das Verschwenken des Kinnbügels durch
das Betätigungselement bewirkt werden soll. Für eine solche
Betrachtungsweise gibt das Klagepatent in seiner allgemeinen
Beschreibung ebensowenig einen Hinweis, wie in seiner Aufgabenstellung
und Lösung.
57
Wie sich dem Fachmann aus dem Anspruchswortlaut, insbesondere dem
Merkmal 5. erschließt, geht es dem Klagepatent mit dem
Betätigungselement allein darum, den Kinnbügel aus seiner an der
Helmschale arretierten Verriegelungsstellung lösen zu können, so dass er
sich dann in die hochgeklappte Stellung verschwenken lässt. So heißt es in
dem Merkmal 5., dass als Betätigungselement ein Öffnungsschieber
vorgesehen ist, für die Entriegelung des Kinnbügels. In Übereinstimmung
hierzu führt das Klagepatent in seiner allgemeinen Beschreibung aus, dass
der Entriegelungsmechanismus durch Betätigen des Öffnungsschiebers
entlastet wird und dass sich der Kinnbügel nach dem Entriegeln durch den
an seiner Unterkante abgestützten Daumen nach oben schwenken lässt
(Anlage K4, Spalte 1, Zeilen 38 bis 47).
58
Bei den angegriffenen Ausführungsformen lässt sich die Verriegelung des
Kinnbügels an der Helmschale dadurch lösen, dass ein an dem Kinnbügel
befindlicher Öffnungsschieber nach unten gezogen wird. Durch das
Herunterziehen des Öffnungsschiebers wird ein durch den Kinnbügel
verlaufender Hebel betätigt, dessen bügelförmige Enden Öffnungen an der
Helmschale hintergreifen. Beim Betätigen des Hebels wird die von den
bügelförmigen Enden und den von diesen Enden an der Helmschale
hintergriffenen Öffnungen bewirkte Arretierung entriegelt, so dass sich der
Kinnbügel nach oben verschwenken lässt.
59
Diese Konstruktion macht von dem Merkmal 4. des Klagepatents
wortsinngemäßen Gebrauch.
60
2.
61
Durch die angegriffenen Ausführungsformen wird auch das Merkmal 6. des
Klagepatents wortsinngemäß verwirklicht.
62
Das Merkmal schreibt vor, dass die Betätigungsrichtung des
Öffnungsschiebers entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach
63
unten verläuft, zur Erzeugung eines Momentes um die Schwenkstelle des
Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung.
Entgegen dem von der Klägerin geltend gemachten Verständnis setzt eine
Verwirklichung des Merkmals 6. nicht voraus, dass sich der Kinnbügel in der
arretierten Stellung beim Betätigen des Öffnungsschiebers gegen die
Helmschale verschwenken lässt.
64
Eine solche Betrachtungsweise ergibt sich nicht aus dem zur
Schutzbereichsbestimmung des Klagepatents nach dem Paragraphen 14
des Patentgesetzes in erster Linie heranzuziehenden Anspruchswortlaut.
Hierbei kann dahingestellt bleiben, ob der Anspruchswortlaut, nach
welchem durch das Betätigen des Öffnungsschiebers ein Moment um die
Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung erzeugt
werden soll, nach seinem allgemeinen Sprachverständnis ein
Verschwenken des Kinnbügels gegen die Helmschale nahelegt. Denn die
patentrechtliche Beurteilung hat sich nicht am allgemeinen
Sprachgebrauch, sondern daran zu orientieren, wie der Fachmann den
Wortsinn nach dem Gesamtinhalt der Klagepatentschrift unter
Berücksichtigung von Aufgabe und Lösung versteht (Entscheidung des
Bundesgerichtshofs, abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und
Urheberrecht 1999, Seite 909, dort: Seite 911 - Spannschraube - mit
weiteren Nachweisen). Bei der Auslegung des Patentanspruchs ist nicht am
Wortlaut zu haften, sondern darauf abzustellen, welchen technischen
Gesamtzusammenhang der Inhalt der Patentschrift dem Fachmann
vermittelt; nicht die sprachliche Bedeutung der in der Patentschrift
verwendeten Begriffe ist entscheidend, sondern das Verständnis des
unbefangenen Fachmanns (Entscheidung des Bundesgerichtshofs,
abgedruckt in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1999, Seite
909, dort: Seite 912 - Spannschraube). Maßgeblich ist, welchen
Begriffsinhalt das Patent bei unbefangener Erfassung der im Anspruch
umschriebenen Lehre zum technischen Handeln einem vorgeschlagenen
Merkmal zuweist (Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht BGH 2001, Seite 232, -
Brieflocher).
65
Um den Sinngehalt und die Bedeutung des hier streitigen Merkmals 6 zu
verstehen, wird der Fachmann daher zu ermitteln versuchen, was mit
diesem Merkmal erreicht werden soll. Das Verständnis des Fachmanns wird
sich in dieser Hinsicht entscheidend an dem in der Klagepatentschrift zum
Ausdruck kommenden Zweck des genannten Merkmals orientieren
(vergleiche: Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1999, Seite 909, dort: Seite
911 - Spannschraube; Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt
in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 2001, Seite 232 -
Brieflocher; Benkard/Ullmann, Kommentar zum Patentgesetz/
Gebrauchsmustergesetz, 9. Auflage, Paragraph 14 Patentgesetz, Randziffer
72). Dabei wird der Fachmann nicht nur den Wortlaut der Ansprüche,
sondern den gesamten Inhalt der Klagepatentschrift zu Rate ziehen.
66
Unter Heranziehung dieser Auslegungsgrundsätze wird der Fachmann
67
erkennen, dass sich das Klagepatent mit seinem Merkmal 6. von dem aus
dem europäischen Patent #### (Anlage K4/1) bekannten
Integralschutzhelm abgrenzt. Zur Entriegelung des Kinnbügels verfügt der
aus dem europäischen Patent #### bekannte Helm über eine Zug-
beziehungsweise Drucktaste, die mit dem Daumen einhändig entriegelt und
geöffnet werden kann. Mit der Taste in Verbindung steht ein in dem
Kinnbügel verlaufender Seilzug, der einen Lösungshebel betätigt, wodurch
eine Schnappfeder außer Eingriff mit an der Helmschale befindlichen
Verriegelungsbolzen gebracht wird. Hierzu zieht der Helmträger an der
Zugtaste und schwenkt zugleich den Kinnbügel nach oben.
An einem solchen Konstruktionsentwurf beanstandet das Klagepatent als
nachteilig, dass es beim Entriegeln des Kinnbügels zu Verhakungen und
einem unsauberen Öffnen des Helms kommen kann, wodurch das
Hochschwenken teilweise unter Kraftanstrengung zur Überwindung der
Verhakung durchgeführt werden muss (Anlage K4, Spalte 1, Zeilen 12 bis
25).
68
Diesen Nachteil will das Klagepatent dadurch vermeiden, dass die
Betätigungsrichtung des Öffnungsschiebers - entsprechend dem Merkmal 6
- entgegen der Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft, um
ein Moment um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen
Öffnungsrichtung zu erzeugen.
69
Hierzu führt das Klagepatent weiter aus, dass die ein Moment um die
Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen Öffnungsrichtung
bewirkende Öffnungskraft den Entriegelungsmechanismus entlastet,
wodurch es beim Entriegeln nicht zu Verhakungen durch ein zu frühes
Hochschwenken des Kinnbügels kommt. Die Öffnungskraft kann auf
einfache Weise durch den an der Unterkante des Kinnbügels abgestützten
Daumen abgefangen werden, der dann nach dem Entriegeln den Kinnbügel
nach oben schwenkt. Hierdurch ist ein einfaches Hochschwenken des
Kinnbügels gewährleistet, ohne dass eine zweite Hand verwendet werden
muss, um beispielsweise Verhakungen zu überwinden (Anlage K4, Spalte
1, Zeilen 38 bis 51).
70
Mit dem im Sinne des Merkmals 6. um die Schwenkstelle des Kinnbügels
und entgegen dessen Öffnungsrichtung erzeugten Moment beschreibt daher
das Klagepatent eine durch das Herunterziehen des Öffnungsschiebers
gegen die Öffnungsrichtung des verschwenkbaren Kinnbügels wirkende
Kraftentfaltung, durch die verhindert werden soll, dass der Kinnbügel beim
Öffnen der Arretierung vorzeitig nach oben geschoben wird, was die Gefahr
mit sich bringen würde, dass sich der Verriegelungsmechanismus verhakt.
71
Bestätigt wird der Fachmann in diesem Verständnis durch das vom
Klagepatent in seiner Figur 1 beschriebene Ausführungsbeispiel, bei dem
der Kinnbügel so ausgebildet ist, dass er in der Verriegelungsstellung
formschlüssig an der Helmschale anliegt, was der Betrachtungsweise der
Klägerin, wonach das Merkmal 6. ein Verschwenken des Kinnbügels
entgegen dessen Öffnungsrichtung voraussetzt, entgegensteht.
72
Um den Kinnbügel von der Helmschale zu entriegeln, ist bei den
angegriffenen Ausführungsformen an dem Kinnbügel ein Öffnungsschieber
angeordnet. Der Öffnungsschieber lässt sich entgegen der Schwenkrichtung
des Kinnbügels herunterziehen. Infolge dieser Betätigungsrichtung wird
durch das Herunterziehen des Öffnungsschiebers verhindert, dass es zu
einem Hochschwenken des Kinnbügels vor dem Öffnen des
Verriegelungsmechanismus kommt. Hierdurch werden Verhakungen am
Verriegelungsmechanismus durch ein vorzeitiges Hochschwenken des
Kinnbügels vermieden.
73
Solche Ausführungen machen von dem Merkmal 6. des Klagepatents
wortsinngemäßen Gebrauch.
74
III.
75
Aus der Verletzung des Klagepatents ergeben sich folgende Rechtsfolgen:
76
1.
77
Weil die Klägerin den Gegenstand des Klagepatents rechtswidrig benutzt
hat, ist sie der Beklagten zur Unterlassung verpflichtet, Paragraph 139
Absatz 1 des Patentgesetzes.
78
2.
79
Außerdem kann die Beklagte von der Klägerin nach dem Paragraphen 139
Absatz 2 PatG Schadensersatz, allerdings nur unter Beachtung einer
Karenzfrist von einem Monat nach Veröffentlichung der Patenterteilung
(Entscheidung des Bundesgerichtshofs, abgedruckt in Gewerblicher
Rechtsschutz und Urheberrecht 1986, Seite 803 -Formstein), folglich hier für
Benutzungshandlungen verlangen, die ab dem 25. Juni 2000 begangen
worden sind. Denn als Fachunternehmen hätte die Klägerin die
Patentverletzung bei Anwendung der im Geschäftsverkehr erforderlichen
Sorgfalt zumindest erkennen können, Paragraph 276 des Bürgerlichen
Gesetzbuches. Da es überdies hinreichend wahrscheinlich ist, dass der
Beklagten durch die rechtsverletzenden Handlungen der Klägerin ein
Schaden entstanden ist, der von der Beklagten jedoch noch nicht beziffert
werden kann, weil sie den Umfang der rechtsverletzenden
Benutzungshandlungen ohne ihr Verschulden nicht im Einzelnen kennt, ist
ein rechtliches Interesse der Beklagten an einer Feststellung der
Schadensersatzver-pflichtung anzuerkennen, Paragraph 256 der deutschen
Zivilprozessordnung.
80
3.
81
Damit die Beklagte in die Lage versetzt wird, den ihr zustehenden
Schadensersatzanspruch zu beziffern, ist die Klägerin ihr gegenüber zur
Rechnungslegung verpflichtet, Paragraph 242, 259 des Bürgerlichen
Gesetzbuches. Denn die Beklagte sind auf die zuerkannten Angaben
angewiesen, über welche sie ohne eigenes Verschulden nicht verfügt und
die Klägerin wird durch die von ihr verlangten Auskünfte nicht unzumutbar
82
belastet.
Mangels Inlandsbezug kann die Beklagte von der außerhalb des
Geltungsbereichs des Klagepatents geschäftsansässigen Klägerin indes
keine Rechnungslegung zu den Herstellungsmengen und -zeiten
verlangen.
83
4.
84
Nach dem Paragraphen 140b des Patentgesetzes hat die Beklagte über
den Vertriebsweg der rechtsverletzenden Erzeugnisse Auskunft zu erteilen.
Die nach dem Absatz 2 dieser Vorschriften geschuldeten Angaben sind in
der Urteilsformel zu I.2. mit den Angaben zusammengefasst, welche zum
Zwecke der Rechnungslegung vorzunehmen sind.
85
IV.
86
Das gegen das Klagepatent gerichtete Einspruchsverfahren, dem die
Klägerin mit patentanwaltlichem Schriftsatz vom 14. Februar 2003 (Anlage
B3) beigetreten ist, gibt keinen Anlass, das Verfahren im
Verletzungsrechtsstreit nach dem Paragraphen 148 der deutschen
Zivilprozessordnung auszusetzen.
87
Nach ständiger Rechtsprechung der Kammer (beispielsweise abgedruckt in:
Mitteilungen der deutschen Patentanwälte 1988, Seite 91 - Nickel-Chrom-
Legierung; Blatt für Patent-, Muster- und Zeichenwesen 1995, Seite 121 -
Hepatitis-C-Virus), die auch vom Oberlandesgericht Düsseldorf (abgedruckt
in: Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1979, Seite 188 -
Flachdachabläufe) und vom Bundesgerichtshof (abgedruckt in:
Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht 1987, Seite 284 -
Transportfahrzeug) gebilligt wird, stellen der Einspruch gegen das
Klagepatent oder die Erhebung einer Nichtigkeitsklage als solche noch
keinen Grund dar, den Verletzungsrechtsstreit auszusetzen, da dies faktisch
darauf hinauslaufen würde, dem Angriff auf das Klagepatent eine den
Patentschutz hemmende Wirkung beizumessen, die dem Gesetz fremd ist
(Paragraph 58 Absatz 1 Patentgesetz). Die Interessen der Parteien sind
vielmehr gegeneinander abzuwägen, wobei grundsätzlich dem Interesse
des Patentinhabers an der Durchsetzung seines erteilten Patents Vorrang
gebührt. Die Aussetzung kommt deshalb nur in Betracht, wenn mit
überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Widerruf oder eine Vernichtung des
Klagepatents zu erwarten ist. Dies wiederum kann regelmäßig dann nicht
angenommen werden, wenn der dem Klagepatent am nächsten kommende
Stand der Technik bereits im Erteilungsverfahren berücksichtigt worden ist
oder wenn neuer Stand der Technik lediglich belegen soll, dass das
Klagepatent nicht auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht, sich jedoch auch
für eine Bejahung der Erfindungshöhe, die von der wertenden Beurteilung
der hierfür zuständigen Instanzen abhängt, zumindest noch vernünftige
Argumente finden lassen.
88
Ausgehend von diesen Voraussetzungen kommt eine Aussetzung des
Verfahrens schon deshalb nicht in Betracht, weil der dem Klagepatent von
89
der Klägerin entgegengehaltene Stand der Technik im Erteilungsverfahren
von der fachkundig besetzten Prüfungsstelle des Deutschen Patent- und
Markenamts berücksichtigt worden ist, es gleichwohl aber zu einer Erteilung
des Klagepatents gekommen ist.
Das Einspruchsvorbringen der Klägerin rechtfertigt gegenüber dieser
Entscheidung der Prüfungsstelle keine durchgreifenden Bedenken.
90
1.
91
Es ist nicht zu ersehen, dass der Gegenstand des Klagepatents in der
Gesamtheit seiner Merkmale durch den entgegen gehaltenen Stand der
Technik neuheitsschädlich im Sinne der Paragraphen 1 und 3 des
Patentgesetzes vorweggenommen ist.
92
a)
93
Das von der Klägerin zur Einspruchsbegründung herangezogene
europäische Patent #### (Anlage K4/1) betrifft - wie bereits oben dargelegt -
einen Integralschutzhelm mit einer den Kopf des Helmträgers umgebenden
kalottenförmigen Helmschale (3) und einem die Unterkieferpartie des
Kopfes übergreifenden Kinnbügel (5), der schwenkbar nach oben an der
Helmschale angelenkt ist. Zum Entriegeln des Kinnbügels befindet sich an
dessen Vorderseite eine Öffnungstaste (6,6‘), deren Betätigungsrichtung -
sowohl nach der Figur 1, als auch nach den Figuren 2 und 3 - entgegen
dem Merkmal 6. des Klagepatents in Schwenkrichtung des Kinnbügels
verläuft.
94
b)
95
Die von der Klägerin druckschriftlich nicht vorgelegte deutsche
Offenlegungsschrift #### , von dessen Inhalt das Gericht über eine Internet-
Recherche von Amts wegen Kenntnis genommen hat, offenbart einen
Schutzhelm, der aus einer Helmschale (1) und einem daran verriegelbaren
Kinnteil (3) besteht. Zur Entriegelung des Kinnteils ist eine Schwenktaste (8)
vorgesehen. Für den Fall, dass die Schwenktaste blockiert ist oder eine
Entriegelung aus sonstigen Gründen nicht erlaubt, lässt sich die
Verriegelung über einen Drehknopf (9) lösen, der sich beispielsweise mit
Hilfe einer Münze betätigen lässt, wodurch ein mit der Verriegelung
verbundener Seilzug (7) - je nach Ausgestaltung des Drehknopfes - verkürzt
oder nach unten gezogen wird.
96
Einen Öffnungsschieber, dessen Betätigungsrichtung entgegen der
Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft zur Erzeugung eines
Momentes um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen
Öffnungsrichtung lehrt die deutsche Offenlegungsschrift nicht. Die Merkmale
5. und 6. des Klagepatents werden von ihr nicht vorweggenommen.
97
c)
98
Die deutsche Offenlegungsschrift #### (Bestandteil von Anlage B3)
99
schließlich lehrt einen Sturzhelm mit beweglicher Sonnenblende (11). Die
Sonnenblende ist im Bereich ihrer Enden seitlich an den Sturzhelm
angelenkt und im Bereich ihrer seitlichen Gelenke (10, 12) mit dem Helm
durch ein elastisches Glied (13) verbunden. Beim Herunterschwenken der
Sonnenblende tritt eine Arretierung ein, die sich mit Hilfe eines nach oben
zu verschiebenden Knopfes (18) lösen lässt.
Einen an der Helmschale angelenkten, dort arretierbaren Kinnbügel lehrt
die deutsche Offenlegungsschrift nicht. Um die Verriegelung der
Sonnenblende und der Helmschale zu lösen, sieht die Offenlegungsschrift
kein Betätigungselement vor, deren Betätigungsrichtung entgegen der
Schwenkrichtung der Sonnenblende nach unten verläuft.
100
Aus der genannten Offenlegungsschrift lassen sich die Merkmale 3. bis 6.
des Klagepatents nicht ersehen.
101
2.
102
Entgegen dem Einspruchsvorbringen der Klägerin bestehen auch an der
Erfindungshöhe des Klagepatents keine durchgreifenden Bedenken.
103
Keine der von der Klägerin entgegengehaltenen Druckschriften lehrt dem
Fachmann, die Verriegelung des Kinnbügels von der Helmschale mit Hilfe
eines Öffnungsschiebers zu lösen, dessen Betätigungshebel entgegen der
Schwenkrichtung des Kinnbügels nach unten verläuft, zur Erzeugung eines
Moments um die Schwenkstelle des Kinnbügels entgegen dessen
Öffnungsrichtung. Eine solche Funktionsweise hat den erfindungsgemäßen
Vorteil, dass sie zu einer Entlastung des Verriegelungsmechanismus führt
und Verhakungen am Verriegelungsmechanismus durch ein frühzeitiges
Hochschwenken des Kinnbügels verhindert.
104
105
V.
106
Die Kostenentscheidung beruht auf den Paragraphen 91a Absatz 1, 92
Absatz 2 der deutschen Zivilprozessordnung.
107
Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt
haben, hat die Klägerin die hiermit korrespondierenden Kosten nach
Paragraph 91a Absatz 1 der deutschen Zivilprozessordnung zu tragen. Dies
entspricht dem bisherigen Sach- und Streitstand unter Berücksichtigung von
billigem Ermessen. Weil die angegriffenen Ausführungsformen - wie oben
dargelegt - unberechtigt von der Lehre des Klagepatents Gebrauch machen,
hätte die von der Klägerin gegen eine Inanspruchnahme aus der
Patentverletzung gerichtete negative Feststellungsklage keinen Erfolg
gehabt.
108
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus den
Paragraphen 709, 108 der deutschen Zivilprozessordnung.
109
VI.
110
Der Streitwert wird auf 100.000,- Euro festgesetzt (Paragraph 19 Abs. 1 Satz
3 des deutschen Gerichtskostengesetzes).
111