Urteil des LG Dortmund vom 27.09.2007

LG Dortmund: bemessung der invalidität, feststellungsklage, unfallversicherung, leistungsklage, zusammenrechnung, invaliditätsgrad, sicherheitsleistung, versicherungsleistung, versicherungsnehmer

Landgericht Dortmund, 2 O 255/07
Datum:
27.09.2007
Gericht:
Landgericht Dortmund
Spruchkörper:
2. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 O 255/07
Leitsätze:
In der Unfallversicherung werden bei einer Funktionsbeeinträchtigung
eines Beines die in der Gliedertaxe vereinbarten Invaliditätsgrade für die
Beeinträchtigung der Teilglieder des Beines nicht zusammengerechnet (
Keine Addition von Bein- und Fußwert bei Verletzung von Bein und
Fuß).
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem
Streitwert von 11.050,00 € die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages
vorläufig vollstreckbar
T a t b e s t a n d
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Die Klägerin hat bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB 2000
genommen. Vereinbart ist die Unfallrente Forte mit verbesserter Gliedertaxe.
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Am 18.07.2005 erlitt die Klägerin einen Unfall, bei dem sie sich einen Schien- und
Wadenbeinbruch sowie einen Bänderabriss im Sprunggelenk jeweils links zuzog. Die
Beklagte regulierte bei der Erstbemessung der Invalidität nach einem Beinwert von 3/7
und behielt sich eine Neubemessung vor, die noch nicht abgeschlossen ist. Die
Parteien streiten darüber, ob neben dem Beinwert zusätzlich nach Fußwert (Addition
von Bein- und Fußwert) abgerechnet werden muss. Dies will die Klägerin durch
Feststellungsklage festgestellt wissen.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass, bezogen auf den Unfall der Klägerin vom 18.07.2005, für
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die Berechnung der Höhe der Invaliditätsleistung nach der zwischen den
Parteien im zugrundeliegenden Versicherungsvertrag vereinbarten,
verbesserten Gliedertaxe der besonderen Bedingungen für die
Unfallversicherung mit verbesserten Leistungen (Tarif XXL) sowohl die
Funktionsbeeinträchtigung "Bein bis unterhalb des Knies" als auch "Fuß im
Fußgelenk" zu berücksichtigen ist.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie hält schon die Feststellungsklage für unzulässig und verweist in der Sache auf die
Systematik der Gliedertaxe, die bei der Bewertung der Invalidität für ein in der Funktion
beeinträchtigtes Glied die Zusammenrechnung der Invalidität von Teilgliedern verbietet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen
sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
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Die Klage ist unbegründet.
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Die begehrte Feststellung kann nicht ausgesprochen werden, da sich die Höhe der
Invaliditätsleistung für die Klägerin aus Anlass des Unfalls vom 18.07.2005 nur nach
dem sogenannten Beinwert und nicht nach einer Addition von Bein- und Fußwert
bemisst.
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1. Der Klageerhebung steht nicht entgegen, dass zur Zeit der Entscheidung dieses
Rechtsstreites das Neubemessungsverfahren, welches sich die Beklagte bei ihrer
Erstbemessung der Invalidität vorbehalten hat, noch nicht abgeschlossen ist. Denn
der Klägerin ist es unbenommen, eine als unrichtig empfundene Erstbemessung
der Invalidität anzugreifen, ohne dass dem die Durchführung des
Neubemessungsverfahrens entgegensteht.
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Gegen den Feststellungsantrag hat das Gericht grundsätzlich keine Bedenken.
Zwar könnte die Klägerin ihr Begehren auch in Form einer Leistungsklage
verfolgen. Es gibt jedoch keinen generellen Vorgang der Leistungsklage
gegenüber der Feststellungsklage. Eine Feststellungsklage bleibt dann zulässig,
wenn ihre Durchführung unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit
eine sinnvolle und sachgemäße Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte
erwarten lässt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die beklagte Partei die
Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren
rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf
Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels, bedarf. Dies hat der Bundesgerichtshof
wiederholt angenommen, wenn es sich bei der beklagten Partei um eine Bank,
eine Behörde oder um ein großes Versicherungsunternehmen handelt (BGH NJW-
RR 2005, 619; VersR 2006, 830). Umstände, die die genannte Erwartung
vorliegend erschüttern könnten, hat die Beklagte nicht aufgezeigt.
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2. In der Sache hat das Feststellungsbegehren allerdings keinen Erfolg, weil die
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Bemessung der Invalidität – wie von der Beklagten zugrundegelegt – nach dem
Beinwert zu erfolgen hat, da durch den Unfall vom 18.07.2005 Schien- und
Wadenbein der Klägerin durch einen Bruch betroffen waren sowie zusätzlich das
linke Sprunggelenk durch einen Bänderabriss. Unter Ziffer 2.1.2.2.1 der AUB 2000
der Beklagten haben die Parteien vereinbart, dass bei Verlust oder
Funktionsunfähigkeit der in der Gliedertaxe aufgeführten Körperteile ausschließlich
genau festgelegte Invaliditätsgrade gelten sollen, die durch Einbeziehung des
Tarifes XXL verbessert worden sind. Danach ist bei Verlust oder
Funktionsunfähigkeit eines Beines über der Mitte des Oberschenkels von einer
Invalidität von 80 % auszugehen, bei einem Verlust oder einer
Funktionsunfähigkeit des Beines bis zur Mitte des Oberschenkels von einer
Invalidität von 70 % sowie bei Verlust oder Funktionsbeeinträchtigung von noch
Körper ferneren Teilgliedern von einer entsprechend niedrigeren Invalidität. Diese
Regelung schließt aus, dass bei Verlust eines kompletten Beines die genannten
Invaliditätsgrade für den Verlust des gesamten Beines und für den Verlust der
körperferneren Teilglieder des Beines zusammengerechnet werden, da dadurch
der fest vereinbarte Invaliditätsgrad für den Totalverlust des Gliedes deutlich
überschritten würde. Diese Funktionslogik der Gliedertaxe schließt demnach bei
Verlust eines funktionell höher bewerteten, dem Rumpf näheren Gliedes oder Teil
eines Gliedes den Verlust eines geringer bewerteten und dem Rumpf ferneren
Gliedes ein (Grimm AUB, 4. Aufl., § 2 Rn. 20 S. 158). Nichts anderes gilt, wenn –
wie bei der Klägerin – statt eines Funktionsverlustes eine
Funktionsbeeinträchtigung eingetreten ist. Denn Ziffer 2.1.2.2.1 regelt ausdrücklich,
dass bei Funktionsbeeinträchtigung der in der Gliedertaxe genannten Körperteile
der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes Geltung beansprucht. Damit
schließt die Systematik der Gliedertaxe wie bei einem Verlust eines Gliedes auch
bei einer Funktionsbeeinträchtigung eine Addition der fest vereinbarten
Invaliditätsgrade von Körper näheren und Körper ferneren Teilgliedern aus, so
dass die Versicherungsleistung für die Beeinträchtigung des linken Beines der
Klägerin nicht aus einer Addition von Beinwert und Fußwert zu errechnen ist, wie
es der Klägerin wegen der Verletzung von Bein und Fußgelenk vorschwebt (OLG
Brandenburg R + S 2006, 207; Marlow R + S 2007, 353, 359).
Die von der Klägerin angeführte Rechtsprechung des Bundesgerichtshof zu den
Formulierungen der AUB "Arm im Schultergelenk", "Hand im Handgelenk" sowie
"Fuß im Fußgelenk" ändert an dieser Bewertung nichts, da die Entscheidungen
eine andere Problematik betreffen. Der Bundesgerichtshof hat zu diesen
Formulierungen ausgeführt, dass sie unklar sind, so dass die jeweilige für den
Versicherungsnehmer günstigere Verständnismöglichkeit bei der Bemessung der
Invalidität maßgebend ist, so dass entweder auf die Funktionsbeeinträchtigung
allein des Gelenkes oder aber auf die Funktionsbeeinträchtigung des Gliedes bzw.
Teilgliedes abzustellen ist (BGH VersR 2003, 1163; VersR 2006, 1117; NJW-RR
2001, 810). Die zwischen den Parteien streitige Frage der Zusammenrechnung von
fest vereinbarten Invaliditätsgraden für die Funktionsbeeinträchtigung von
Teilgliedern wird durch die genannten Entscheidungen des Bundesgerichtshof
nicht tangiert.
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Die Klage ist somit mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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