Urteil des LG Detmold vom 12.01.2011

LG Detmold (rampe, verhältnis zu, gefahr, treffen, zpo, verbindung, schädigung, anlage, bestand, abstand)

Landgericht Detmold, 10 S 108/10
Datum:
12.01.2011
Gericht:
Landgericht Detmold
Spruchkörper:
Zivilkammer V
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 S 108/10
Vorinstanz:
Amtsgericht Lemgo, 17 C 65/10
Schlagworte:
Verkehrssicherungspflicht für eine Laderampe
Normen:
BGB § 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1
Tenor:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 10.06.2010 verkündete Urteil
des Amtsgerichts Lemgo wird auf ihre Kosten nach einem
Gegenstandswert von 4.500,-- € zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe:
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I.
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Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a
Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 544 Abs. 1 S. 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.
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II.
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Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.
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1. Das Amtsgericht hat Schmerzensgeldansprüche der Klägerin zu Recht abgelehnt.
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Es besteht weder ein Anspruch aus §§ 311 Abs. 2, 280 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB noch
aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB, da die Beklagte keine ihr gegenüber der Klägerin
obliegende Pflicht verletzt hat.
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Die sich aus §§ 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB im Rahmen der Vertragsanbahnung
ergebende Verpflichtung zur Rücksichtnahme auf Interessen und Rechtsgüter der
Klägerin entspricht im konkreten Fall der allgemeinen, auf den Zustand ihrer
Verkaufsräume bezogenen Verkehrssicherungspflicht der Beklagten i.S.d. § 823 Abs. 1
BGB.
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Danach war die Beklagte nicht verpflichtet, an der verwendeten Rampe einen Handlauf
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anzubringen.
Grundsätzlich ist derjenige, der eine Gefahrenlage gleich welcher Art schafft,
verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine
Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung
umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen
Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor
Schäden zu bewahren. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten
Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu
gefährden, wäre utopisch. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist
im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst
dann, wenn sich für einen sachkundigen Dritten die naheliegende Möglichkeit ergibt,
dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren
Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr nur
die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, die Schädigung anderer tunlichst
abzuwenden.
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Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige
Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende
Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus,
diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger,
vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für
ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm
den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, NJW 2008, S. 3775, 3776 m.w.N.).
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a) Es bestand keine ausdrücklich gesetzlich normierte Verpflichtung der Beklagten zur
Anbringung von Handläufen an der streitgegenständlichen Rampe.
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(1) Eine solche Verpflichtung ergibt sich nicht aus § 55 Abs. 4 S. 4 BauO NRW. Die
Norm enthält zwar die Verpflichtung, Rampen beidseitig mit festen und griffsicheren
Handläufen zu versehen. Allerdings handelt es sich bei der nur temporär eingesetzten
streitgegenständlichen Rampe nicht um eine bauliche Anlage i.S.d. §§ 1 Abs. 1, 2 Abs.
1 BauO NRW, da sie keine direkte Verbindung mit dem Erdboden i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 2
BauO NRW aufweist und – anders als z.B. eine Treppe (dazu OLG Hamm, Urt. v.
28.10.1999, 6 U 29/99, NJW-RR 2000, S. 695) – auch nicht indirekt durch Verbindung
mit dem Gebäude mit dem Erdboden verbunden ist. Sie ist auch kein – einer baulichen
Anlage gleichstehendes – Gerüst i.S.d. § 2 Abs. 1 S. 3 Nr. 6 BauO NRW, da Gerüste
temporäre Einbauten sind, die zur Durchführung von Bauarbeiten und
Instandhaltungsmaßnahmen benötigt werden (Heintz in
Gädtke/Temme/Heintz/Czepuck, BauO NRW, 11. Aufl. 2008, § 2 Rn. 94).
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(2) § 67 Abs. 5 SBauVO NRW enthält – unabhängig davon, ob die SBauVO NRW im
Hinblick auf die Größe der Verkaufsräume, § 59 SBauVO NRW, überhaupt anwendbar
ist – nur die Verpflichtung, Treppen für Kunden beidseitig mit festen und griffsicheren
Handläufen auszustatten. Eine entsprechende Verpflichtung für sonstige begehbare
Flächen enthält § 11 Abs. 1 S. 1 SBauVO NRW nur für Versammlungsstätten, nicht für
Verkaufsräume.
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(3) § 3a Abs. 1 S. 1 ArbStättV, auf den die Klägerin weiterhin verweist, ist deswegen
nicht einschlägig, weil die Klägerin nicht zum nach § 1 S. 1 ArbStättV geschützten
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b) Auch nach den vorgenannten allgemeinen Grundsätzen war die Anbringung eines
Handlaufs nicht erforderlich.
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(1) Zwar ist die Gefahr, dass ein Kunde von einer seitlich nicht abgegrenzten Rampe
wie der streitgegenständlichen herunterstürzt, nicht völlig fernliegend. Allerdings durfte
die Beklagte darauf vertrauen, dass Personen, die sich auf der erkennbar nicht
abgegrenzten Rampe nicht hinreichend sicher fühlten, entweder vom Betreten des
Ladens während des vorübergehenden Einsatzes der Rampe Abstand nehmen oder die
Rampe unmittelbar nach Durchqueren der Ladentür verlassen würden, um nach rechts
über eine mit Handlauf versehene, fest eingebaute Schräge die Theke zu erreichen.
Dass die letztgenannte Möglichkeit bestand, hat das Amtsgericht nach Ansicht der
Lichtbilder der Örtlichkeit und persönlicher Anhörung der Klägerin festgestellt. Diese
Feststellung wird mit der Berufung nicht angegriffen.
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(2) Vor diesem Hintergrund hätte die Anbringung eines Handlaufs an der Rampe einen
für die Beklagte unzumutbaren Aufwand bedeutet. Denn zum Einen wäre die erstmalige
Installation eines Handlaufs mit weiteren Kosten verbunden, zum Anderen hätte der bei
jeder Nutzung der Rampe erforderliche zusätzliche Aufbau eines Handlaufs einen
zusätzlichen Arbeitsaufwand bedeutet. Beides steht, auch im Hinblick auf die geringe
Nutzungsdauer – die Rampe wird nach dem unwidersprochenen Vorbringen der
Beklagten im Termin am 12.01.2011 nur zwei bis drei Mal pro Woche für einen Zeitraum
von jeweils 20 bis 30 Minuten eingesetzt –, in keinem angemessenen Verhältnis zu der
von der Rampe ausgehenden, leicht zu erkennenden und zu vermeidenden Gefahr.
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(3) In der konkreten Situation musste die Beklagte auch nicht mit einem plötzlichen
seitlichen Ausweichschritt, wie ihn die Klägerin vorträgt, rechnen. Denn für diese hätten,
wenn sie meinte, jemandem ausweichen zu müssen, anstelle eines sofortigen,
unbedachten Schritts zur Seite mehrere andere Handlungsmöglichkeiten bestanden. So
hätte sie sich z.B. zunächst an der nach innen geöffneten Tür festhalten und umschauen
oder den kurzen noch verbleibenden Weg zur Theke zurücklegen können, um dort die
Rampe zu verlassen.
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(4) Schließlich kommt es nicht darauf an, ob vor oder neben der Rampe Warnschilder
aufgestellt waren. Denn die Rampe hob sich – worauf bereits das Amtsgericht zutreffend
hingewiesen hatte – optisch deutlich erkennbar vom übrigen Boden ab, so dass es
keines weiteren Hinweises bedurfte.
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2. Mangels eines Anspruchs in der Hauptsache bestehen auch die geltend gemachten
Nebenforderungen nicht.
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3. Die Kostenentscheidung und die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit
folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
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