Urteil des LG Darmstadt vom 08.02.2006

LG Darmstadt: squeeze out, unechte rückwirkung, unternehmen, anfechtungsklage, auflage, bekanntmachung, drucksache, tagesordnung, internet, widersprüchliches verhalten

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Gericht:
OLG Frankfurt 12.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
12 W 185/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 3 UMAG, § 243 Abs 2 AktG,
§ 243 Abs 4 AktG, § 245 Nr 1
AktG, § 245 Nr 3 AktG
(Freigabeverfahren für die Verschmelzung der Deutschen
Telekom AG mit der T-Online International AG)
Leitsatz
1. Durch das UMAG eingeführte Änderungen des Aktiengesetzes (hier §§ 243 Abs. 4,
245 Nr. 1 und 3 AktG) sind auch in laufenden Freigabe- und Anfechtungsverfahren zu
berücksichtigen (sog. unechte Rückwirkung).
2. Offensichtlich unbegründet im Sinne des § 16 Abs. 3 UmwG ist eine aktienrechtliche
Anfechtungsklage, wenn sich unter den Bedingungen des Eilverfahrens ihre
Unbegründet mit hoher Sicherheit vorhersagen lässt, ohne dass es auf den hierfür
erforderlichen Prüfungsaufwand ankommt.
3. Verschmelzungsbeschlüsse unterliegen als unternehmerische Grundentscheidung
keiner Inhaltskontrolle auf ihre sachliche Rechtfertigung hin.
4. Gesetzlich vorgesehene Folgen der Verschmelzung sind in der Regel kein
Sondervorteil gemäß § 243 Abs. 2 AktG. Es ist nicht entscheidend, ob überwiegend oder
ausschließlich der Mehrheitsaktionär von der Verschmelzung profitiert. Es kommt
vielmehr darauf an, ob die Verschmelzung zur Durchsetzung sachfremder Ziele
instrumentalisiert wird.
5. Ein gezieltes Ausnutzen kapitalmarkrechtlicher Mechanismen durch den
Mehrheitsaktionär zum Nachteil der Minderheitsaktionäre kann eine
gesellschaftsrechtliche Treuepflichtverletzung beinhalten.
6. Der sogenannte "Top-Down" Ansatz ist bei der Darstellung von
Unternehmensgruppen im Verschmelzungsbericht zulässig. Neben den Angaben zur
Gruppe sind weitere Angaben zu verbundenen Unternehmen der nachgeordneten
Konzerngruppe - unabhängig von dem Wert in Relation zum Wert des
Mutterunternehmens - erforderlich, soweit sie für die Verschmelzung von wesentlicher
Bedeutung sind.
7. Im Freigabeverfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG ist die Rechtsbeschwerde statthaft.
Tatbestand
A.1983 führte die Q, Rechtsvorgängerin der X AG (nachfolgend X1), den
Informations- und E-Commerce Dienst Bildschirmtext (Btx) am Markt ein. Dieser
1992 weiterentwickelte Online-Dienst wurde an die wachsende Zahl der PC-Nutzer
vermarktet und 1995 der Internetzugang „Y“ eingeführt. Ende 1995 gründete die
X1 die Z GmbH und mit dieser zusammen die Z GmbH & Co. KG, auf die sie alle
Vermögenswerte einschließlich Kundenstamm und Know-How übertrug und den
Sitz nach ... verlegte. Ende 1997 wurden durch Austritt der X1 aus der
Kommanditgesellschaft sämtliche Aktiva und Passiva der KG durch Anwachsung
auf die GmbH übertragen und diese in X2 GmbH umfirmiert. Zwischen ihr und ihrer
Alleingesellschafterin X1 bestand bis Ende 1999 ein Beherrschungs- und
Gewinnabführungsvertrag, als sie in eine Aktiengesellschaft umgewandelt und in
Y1 AG umfirmiert wurde. Das auf 1.000.000.000 € erhöhte Grundkapital hielt allein
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Y1 AG umfirmiert wurde. Das auf 1.000.000.000 € erhöhte Grundkapital hielt allein
die X1, als die auf den Namen lautenden Aktien (§ 4 Abs. 2 der Satzung) am 17.
April 2000 zum Börsenhandel zugelassen wurden.
Im Zuge des Börsengangs wurden 114.100.000 Aktien zu je 1 € (davon 7.800.000
an Mitarbeiter) ausgegeben und 92.200.000 und 14.100.000 zu einem im sog.
Bookbuilding-Verfahren ermittelten Kurs von 27 € am Kapitalmarkt verkauft. Im
Verkaufsprospekt der Antragstellerin vom 14. April 2000 wurde neben allgemeinen
Risiken (Seite 15 – 21) auf solche sich aus dem Konzernverbund mit der X1
ergebende (Seite 21 – 23) hingewiesen. U.a. heißt es:
„Da die X1 über die erforderliche Stimmenmehrheit für sämtliche Beschlüsse der
Hauptversammlung, wie etwa Beschlüsse über die Wahl der
Aufsichtsratsmitglieder (die die Vorstandsmitglieder bestellen) und Ausschüttung
von Dividenden, verfügt, wird die X1 in der Lage sein, erheblichen Einfluss auf die
Geschäftstätigkeit und Strategie von Y zu nehmen. Die Anleger selbst werden nur
sehr begrenzten Einfluss (im Wesentlichen das Auskunfts-, Gegenantrags- und
Rederecht) auf die Beschlüsse der Hauptversammlung haben.“(Seite 21)
Der Kurs der um das 20fache überzeichneten Aktie stieg am 2. Mai 2000 auf 48 €
und sank im September 2000 unter den Ausgabepreis. Heute liegt er nach einem
zwischenzeitlichen Tief von 6 € bei etwa 9 €.
Die Antragstellerin und die X1, die nach wie vor mit rund 75 % der Aktien
Mehrheitsaktionärin geblieben war (zur Entwicklung ihres Beteiligungsanteils im
Einzelnen - Verschmelzungsbericht Seite 197), beabsichtigen die Verschmelzung
beider Unternehmen unter Übertragung des Vermögens der Antragstellerin auf
die X1. Diese Entscheidung wurde zusammen mit einem öffentlichen Kaufangebot
der X1, Aktien der Antragstellerin zum Börsenpreis vom Vortag zu erwerben, am 9.
Oktober 2004 bekannt gegeben. Auf Grund dessen konnte die X1 ihre Beteiligung
auf 90,14 % ausbauen.
Am 8. März 2005 wurde der Verschmelzungsvertrag notariell beurkundet, in dem
als Gegenleistung für die Übertragung des Vermögens vorgesehen ist, dass die
Aktionäre für 25 Stückaktien der Antragstellerin 13 Stückaktien der X1 erhalten
sollen. Die durch Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 15.
November 2004 ausgewählte und bestellte Verschmelzungsprüferin, die A…
GmbH …, …, hat in ihrem Prüfungsbericht vom 9. März 2005 erklärt, dass das auf
der Basis der Ertragswerte beider Unternehmen errechnete Umtauschverhältnis
angemessen sei.
Die Antragstellerin hat mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 15. März
2005 zu einer Hauptversammlung am 28. und gegebenenfalls 29. April 2005 in O1
geladen. Mit Bekanntmachung im Bundesanzeiger vom 17. März 2005 hat die
Antragstellerin die Einladung vom 15. März 2005 berichtigt. Am 28. April (10.02
Uhr bis 21.37 Uhr) und 29. April (10.00 Uhr bis 22.12 Uhr) 2005 fand die
Hauptversammlung der Antragstellerin statt, auf der die X1 mit 1.103.255.613 der
anwesenden 1.113.746.265 Stimmen vertreten war. Als Abstimmungsergebnis zu
Tagesordnungspunkt 9 (Beschlussfassung über die Zustimmung zum
Verschmelzungsvertrag mit der X1) wurde niedergelegt, dass eine Mehrheit von
99,46 % der abgegebenen Stimmen dem Vorschlag des Vorstands und
Aufsichtsrats der Antragstellerin zugestimmt hat.
Die Antragsgegner sind Aktionäre der Antragstellerin. Sie waren auf der
Hauptversammlung vertreten, stimmten gegen den Verschmelzungsvertrag und
erklärten jeweils ihren Widerspruch zur Niederschrift. Sie haben bis 30. Mai 2005
beim Landgericht Darmstadt gegen den Verschmelzungsbeschluss Anfechtungs-
(hilfsweise Nichtigkeits-) klagen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat in
den unter dem Aktenzeichen 12 0 301/05 verbundenen Rechtsstreiten bislang
nicht stattgefunden.
Die Antragstellerin hat mit am 12. August 2005 beim Landgericht eingegangenem
Schriftsatz das Freigabeverfahren zur Überwindung der Registersperre eingeleitet.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Anfechtungsklagen unzulässig bzw.
offensichtlich unbegründet seien. Der Beschluss sei wirksam zustande gekommen.
Auch bei Vornahme einer Interessenabwägung sei dem Antrag gem. § 16 Abs. 3
Satz 2 Fall 3 UmwG stattzugeben.
Die Antragstellerin hat beantragt,
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festzustellen, dass die von den Antragsgegnern vor dem Landgericht Darmstadt
erhobenen und unter den Aktenzeichen 12 0 301/05, 12 0 302/05, 12 0 311/05, 12
0 312/05, 12 0 321/05, 12 0 322/05, 12 0 323/05, 12 0 331/05, 12 0 332/05, 12 0
341/05, 12 0 342/05, 12 0 343/05, 12 0 352/05, 12 0 361/05, 12 0 362/05, 12 0
363/05, 12 0 371/05, 12 0 372/05, 12 0 381/05, 12 0 382/05, 12 0 383/05, 12 0
391/05, 12 0 392/05 und 12 0 412/05 geführten Klagen gegen die Wirksamkeit des
Beschlusses der Hauptversammlung der Antragstellerin vom 28. April und 29. April
2005 zu Tagesordnungspunkt 9, mit dem die Hauptversammlung die Zustimmung
zum Verschmelzungsvertrag vom 8. März 2005 zwischen der Antragstellerin und
der X AG beschlossen hat, der Eintragung der Verschmelzung in das
Handelsregister des Sitzes der Antragstellerin sowie der Eintragung der
Verschmelzung in das Handelsregister des Sitzes der X AG nicht entgegenstehen.
Die Antragsgegner und die ihnen beigetretenen Streithelfer haben beantragt, den
Antrag zurückzuweisen.
Die Antragsgegner und ihre Streithelfer halten den Verschmelzungsbeschluss für
anfechtbar, so dass er auf ihre Anfechtungsklagen hin für nichtig erklärt werden
müsse.
Wegen der diesbezüglichen Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Gründe
des angefochtenen Beschlusses und die in erster Instanz zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Durch am 29. November 2005 verkündeten Beschluss hat die 1. Kammer für
Handelssachen des Landgerichts Darmstadt den Antrag der Antragstellerin
zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, der gemäß § 16 Abs. 3 UmwG
zulässige Antrag habe keinen Erfolg, da die Klagen der Antragsgegner nicht
offensichtlich unbegründet seien. Eine Benachteiligung durch die Wahl des
Verschmelzungszeitpunkts sei nicht ganz fern liegend. Zweifelhaft könne
erscheinen, ob der Verschmelzungsbericht ausreichende Angaben zu den
verbundenen Unternehmen enthalte. Zweifelhaft könne auch sein, welche der als
unrichtig, unvollständig oder unzureichend in der Hauptversammlung
beantworteten Fragen als bewertungsbezogen zu qualifizieren seien. Ein die
Aufhebung der Registersperre rechtfertigendes Vollzugsinteresse ergebe die
Abwägung nicht. Wegen der Einzelheiten wird ergänzend auf die Gründe des
Beschlusses Bezug genommen.
Gegen den ihr am 29. November 2005 zugestellten Beschluss hat die
Antragstellerin am 9. Dezember sofortige Beschwerde eingelegt und begründet.
Sie hält den angefochtenen Beschluss für unzutreffend, da die Klagen sämtlicher
Antragsgegner offensichtlich unbegründet seien. Das Landgericht habe bei seiner
Abwägung rechtsfehlerhaft nicht das Interesse der an der Verschmelzung
beteiligten Unternehmen und Anteilsinhaber am Wirksamwerden der
Verschmelzung einbezogen.
Die Antragstellerin beantragt,
unter Abänderung des landgerichtlichen Beschlusses ihrem erstinstanzlichen
Antrag gemäß zu erkennen.
Die Antragsgegner und ihre Streithelfer beantragen,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie verteidigen den angefochtenen Beschluss.
Zu den Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die zwischen den Parteien
gewechselten Schriftsätze verwiesen. Die Akten der zu 12 O 301/05 verbundenen
Anfechtungsklagen lagen vor.
Entscheidungsgründe
B. Die nach § 16 Abs. 3 Satz 5 UmwG statthafte sofortige Beschwerde der
Antragstellerin hat Erfolg.
Die von den Antragsgegnern erhobenen Anfechtungsklagen stehen der Eintragung
des Verschmelzungsbeschlusses in die Handelsregister des Sitzes der
Antragstellerin und der X1 nicht entgegen (§ 16 Abs. 3 Satz 1 UmwG). Die
zulässigen Anfechtungsklagen einzelner Antragsgegner sind offensichtlich
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zulässigen Anfechtungsklagen einzelner Antragsgegner sind offensichtlich
unbegründet (I.), gegenüber den zulässigen und nicht offensichtlich
unbegründeten Anfechtungsklagen der übrigen Antragsgegner ist der Senat nach
Abwägung aller Umstände zu der Überzeugung gelangt, dass das alsbaldige
Wirksamwerden der Verschmelzung für die Antragstellerin und die X1 sowie deren
Aktionäre vorrangig erscheint (II.).
Das Beschwerdegericht entscheidet hier wegen Eilbedürftigkeit selbst in der
Sache. Der vorherigen Herbeiführung einer Abhilfeentscheidung des Landgerichts,
wie sie § 572 Abs. 1 ZPO für die Fälle der sofortigen Beschwerde vorsieht und von
verschiedenen Antragsgegnern beantragt wurde, bedurfte es nicht (OLG Frankfurt,
OLGR 2002, 250, 251; Zöller/Gummer, ZPO, 25. Auflage, RN 3 m.w.N.). Die
Durchführung des Abhilfeverfahrens ist weder für das Beschwerdeverfahren noch
für die Beschwerdeentscheidung selbst eine Verfahrensvoraussetzung, zumal die
Beschwerde – wie es hier der Fall war – unmittelbar beim Beschwerdegericht
eingelegt werden kann. Die Antragsgegner können hierdurch nicht beschwert sein,
weil sie eine Abänderung der sie begünstigenden Entscheidung durch das
Landgericht im Wege der Abhilfe ausweislich ihrer Anträge gerade nicht wollen.
Der Senat entscheidet ohne mündliche Verhandlung. Das Beschwerdeverfahren ist
entscheidungsreif. Der Streitfall ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht
ausgeschrieben. Es ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine mündliche
Verhandlung vor dem Senat zu einer weiteren Klärung sollte führen können,
nachdem das Landgericht eine mündliche Verhandlung durchgeführt hat. Die
Verfahrensvorschriften der Zivilprozessordnung über die Beschwerde sind im
Verfahren nach § 16 Abs. 3 UmwG (sog. Unbedenklichkeits- oder
Freigabeverfahren) anzuwenden (OLG Hamm, AG 2005, 361 - 364, zitiert nach
JURIS, dort Seite 2; OLG Frankfurt, ZIP 2003, 1654, 1655 m.w.N.). Für dieses
Beschwerdeverfahren ist eine mündliche Verhandlung nicht notwendig, sondern
freigestellt (§§ 572 Abs. 2, 128 Abs. 4 ZPO). Abgesehen davon wird für das durch
das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des
Anfechtungsrechts vom 22. September 2005 (UMAG) unter Hinweis auf das
„bewährte gerichtliche Freigabeverfahren aus dem Umwandlungsgesetz“ in § 246a
AktG eingeführte Freigabeverfahren in der Begründung zum Gesetzentwurf darauf
hingewiesen, dass im Beschwerdeverfahren eine mündliche Verhandlung
grundsätzlich nicht stattfinde (BT-Drucksache 15/5092, Seite 28 re. Sp.).
Eine mündliche Verhandlung war hier auch nicht ausnahmsweise aufgrund der von
der Antragstellerin mit der Beschwerdeschrift überreichten neuen „Beweismittel“
erforderlich. Die Antragsgegner hatten hierzu rechtliches Gehör und Gelegenheit,
diese zu widerlegen.
Einwände gegen die „Statthaftigkeit“ des Freigabeverfahrens allgemein oder in
diesem Fall gehen fehl. Zusätzliche negative Voraussetzungen für diesen
eigenständigen Rechtsbehelf (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Bereinigung des
Umwandlungsrechts, Begründung zu § 16, BT-Drucksache 12/6699, Seite 89 und
90) wie die geforderten („keine Komplexität des Falles, keine Schwere der geltend
gemachten Rechtsverletzungen, kein hoher Streitwert, keine Signalwirkung“) kennt
das Gesetz nicht. Es fordert auch der „Justizgewährleistungsanspruch“ nicht, dass
im Freigabeverfahren keine irreversiblen Fakten geschaffen werden dürfen, weil es
nicht geeignet sei, Rechtsfrieden zu schaffen. Genau dies ordnet § 16 Abs. 3
UmwG an, indem er unter den dort bestimmten Voraussetzungen die durch
Anfechtungsklagen eingetretene Registersperre aufheben lässt. „Mit diesem
Verfahren versucht der Gesetzgeber einem vor allem in der Verschmelzungspraxis
der 80er Jahre bedrohlich angewachsenen Erpressungsgeschehen Einhalt zu
gebieten: In zahlreichen Fällen hatten Minderheitsaktionäre gegen
Verschmelzungsbeschlüsse mit dem offenkundigen Ziel geklagt, sich unter dem
Drohpotential der Registersperre den „Lästigkeitswert“ ihrer Klagen abkaufen zu
lassen“ (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage , § 13/7, Seite 392).
I.Die Klagen 12 O 302/05, 12 O 311/05 und 12 O 391/05 (des Klägers B) sind
offensichtlich unbegründet. Die Kläger dieser Verfahren sind nicht
anfechtungsbefugt, weil sie ihre Aktien erst nach Bekanntmachung der
Tagesordnung erworben haben (1.). Hierauf kommt es gemäß § 245 Nr. 1 und 3
AktG an, dessen heute geltende Fassung dieser Entscheidung zu Grunde zu legen
ist (2.).
1. Die Antragsgegner zu 1., 3. und 32. haben nach eigenem Vorbringen in den
Anfechtungsverfahren an der Hauptversammlung teilgenommen und Widerspruch
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Anfechtungsverfahren an der Hauptversammlung teilgenommen und Widerspruch
gegen den Verschmelzungsbeschluss erhoben. Maßgeblich für ihre
Anfechtungsbefugnis ist danach § 245 Nr. 1 AktG, der voraussetzt, dass der eine
Anfechtungsklage erhebende Aktionär seine Aktien schon vor Bekanntmachung
der Tagesordnung erworben hatte. An dieser Voraussetzung fehlt es hier.
Die Antragstellerin hat mit der eidesstattlichen Versicherung des C (Anlage Ast 51)
glaubhaft gemacht, dass die betroffenen Antragsgegner erst in das Aktienregister
eingetragen wurden, nachdem die Einladung der Antragstellerin zur
Hauptversammlung am 15. März 2005 im elektronischen Bundesanzeiger
veröffentlicht worden war. Zum Antragsgegner zu 3. hatte die Antragstellerin
bereits mit ihrer Klageerwiderung in den Anfechtungsverfahren vorgetragen, dass
er die Aktien erst am 19. März 2005 von Dritten erworben habe (Klageerwiderung,
Seite 29). Dem sind die betroffenen Antragsgegner nicht entgegengetreten und
haben keinen früheren Erwerbszeitpunkt ihrer Aktien dargetan, obwohl sie hierzu
auf Grund des Hinweises des Senats vom 11. Januar 2006 Gelegenheit hatten.
2. Nach Auffassung des Senats ist die am 1. November 2005 in Kraft getretene
(Art. 3 UMAG) Neuregelung des § 245 AktG mangels Übergangsregelung auf das
anhängige, von ihm zu entscheidende Freigabeverfahren anzuwenden, auch wenn
es bereits vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung rechtshängig geworden ist,
denn das Berufungs- oder Beschwerdegericht hat das im Zeitpunkt seiner
Entscheidung geltende Recht anzuwenden (Zöller/Vollkommer, 25. Auflage, § 300
ZPO RN 3; BGH, NJW 2005, 1428 - 1429 zitiert nach JURIS RN 7 m.w.N.; hierzu auch
OLG Hamm, NJW-Spezial 2005, 511-512; Leuering, NZG 2005, 999, 1000 m.w.N. in
FN 7 und 8; Simon/Leuering, NJW-Spezial, 2005, 315, 316).
Die Anwendung der gesetzlichen Neuregelung, durch die eine weitere
Voraussetzung für die Begründetheit einer aktienrechtlichen Anfechtungsklage
eingeführt wurde, auf bereits erhobene, aber noch nicht rechtskräftig beschiedene
Anfechtungsklagen, führt nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen echten
Rückwirkung, die auf einen gegenwärtigen, noch nicht abgeschlossenen
Sachverhalt einwirkt. Es handelt sich vielmehr um eine unechte Rückwirkung, die
verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig ist (BVerfGE 95, 64, 86; 30, 392, 402).
Zwar werden durch die neue Norm die betroffenen Rechtspositionen nachträglich
entwertet, dies wirkt sich jedoch nur für die Zukunft aus, weil gegenwärtige, noch
nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen betroffen sind
(BVerfGE 101, 239, 263).
Es kann offen bleiben, ob die vorbezeichneten Antragsgegner nach der seinerzeit
geltenden Fassung des § 245 AktG bei Erhebung der Anfechtungsklagen
anfechtungsbefugt waren, denn weder die bloße Anfechtungsbefugnis noch deren
Ausübung durch Erhebung einer Anfechtungsklage konnte einen
Vertrauenstatbestand im Sinne eines endgültig abgeschlossenen Sachverhalts
begründen. Es handelt sich bei der aktienrechtlichen Anfechtung von
Hauptversammlungsbeschlüssen nicht um ein eigenes Gestaltungsrecht der
Anfechtungskläger, weil die begehrte Rechtsfolge erst mit einer rechtskräftigen
gerichtlichen Entscheidung eintritt. Auf Grund ihrer Anfechtungsklage erwächst den
Antragsgegnern eine abschließende Rechtsposition erst mit Rechtskraft der auf
ihren Anfechtungsantrag ergehenden Entscheidung. Gesetzliche Änderungen bis
zu diesem Zeitpunkt entfalten deswegen nur eine unechte Rückwirkung (vgl. zum
vergleichbaren Fall der Vaterschaftsanfechtung BGH, NJW 2005 a.a.O., RN 14).
Aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip
folgt nichts anderes. Denn diese vom Gesetzgeber angeordnete unechte
Rückwirkung ist zur Erreichung des Gesetzeszweckes geeignet und erforderlich,
und die Bestandsinteressen der Betroffenen überwiegen die Veränderungsgründe
des Gesetzgebers nicht (BVerfGE 101, 239, 263). Das Vertrauen auf den
Fortbestand einer gesetzlichen Vorschrift ist regelmäßig nicht geschützt. Die
bisherige Regelung zur Anfechtungsbefugnis – Zulässigkeit auch in Fällen des
Erwerbs der Aktien nach Bekanntmachung der Tagesordnung einer
Hauptversammlung - lief dem gesetzgeberischen Ziel zuwider, zum einen das für
die Aktionäre wichtige Schutzinstrument der Anfechtungsklage zu bewahren, aber
zugleich eine missbräuchliche Ausnutzung des Anfechtungsrecht zu unterbinden
und Schaden von den betreffenden Gesellschaften abzuwenden. Deshalb knüpft §
245 Nr. 1 und 3 AktG in der neuen Fassung an die Bekanntmachung der
Tagesordnung an. Wer nach deren Bekanntmachung Aktien kauft, weiß, welche
Beschlüsse zu erwarten sind und ist weniger schutzbedürftig. Das bisherige Gesetz
konnte dagegen zu Fehlanreizen führen, da es die Möglichkeit eröffnet hatte, nach
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konnte dagegen zu Fehlanreizen führen, da es die Möglichkeit eröffnet hatte, nach
Bekanntmachung der Tagesordnung gezielt Aktien zu kaufen, um damit
Anfechtungsklagen zu betreiben (BT-Drucksache 15/5092, Seite 26 f.).
Im Übrigen ist das Vertrauen der betroffenen Antragsgegner auf eine ihnen auf
Grund kurzfristig erworbener Aktien verbleibende Anfechtungsbefugnis auch
deshalb begrenzt, weil die Gesetzesänderung seit dem Jahre 2001 in der
Diskussion ist. Der am 16. Juni 2005 verabschiedete Text des UMAG folgt dem
Regierungsentwurf vom 14. März 2005, der auf Empfehlungen des
Abschlussberichts der Regierungskommission Corporate Governance vom Juli
2001 (BT-Drucksache 14/7517 vom 14. August 2001) beruht.
Die Antragsgegner zu 5., zu 14., zu 15., zu 20. und zu 29. haben nach dem
Hinweis des Senats den Aktienerwerb vor Bekanntmachung der Tagesordnung
dargelegt und glaubhaft gemacht. Dem ist die Antragstellerin nicht entgegen
getreten.
II. Gegenüber den übrigen Anfechtungsklagen ist der Senat zu der Überzeugung
gelangt, dass das alsbaldige Wirksamwerden der Verschmelzung für die
Antragstellerin und die X1 sowie deren Aktionäre vorrangig erscheint (§ 16 Abs. 3
Satz 2 UmwG). Hierzu hat der Senat die Schwere der nicht offensichtlich
unbegründeten Rügen (2.) gegenüber den aus der Verzögerung entstehenden
Nachteilen (3.) abgewogen (4.).
1. Folgende in den Anfechtungsklagen gegen die Wirksamkeit des
Verschmelzungsbeschlusses vorgebrachte Rügen (1.1. Nichtigkeitsgründe, 1.2.
Verfahrensfehler, 1.3. Inhaltsmängel) sind unberücksichtigt gelassen, weil sie
offensichtlich unbegründet sind.
Nicht vorhandene Rechtsverletzungen nämlich sind von vorneherein
auszuscheiden, weil sie ebenso wie im Ganzen offensichtlich unbegründete Klagen
nicht ins Gewicht fallen können (vgl. OLG Düsseldorf, ZIP 1999, 793 – zitiert nach
JURIS RN 14; Lutter/Bork, § 16 RN 20; Kallmeyer/Marsch-Barner, § 16 RN 44).
Der Senat folgt der Definition des Merkmals der „offensichtlichen
Unbegründetheit“ in der Erläuterung der Regierungsbegründung zum UMAG (BT-
Drucksache 15/5092, Seite 29):
„Für die Freigabekriterien gilt bei allen Freigabeverfahren folgendes: Bei der
Auslegung des Kriteriums „offensichtlich unbegründet“ kommt es nicht darauf an,
welcher Prüfungsaufwand erforderlich ist, um die Unbegründetheit der
Anfechtungsklage festzustellen. Maßgeblich ist das Maß an Sicherheit, mit der sich
die Unbegründetheit der Anfechtungsklage unter den Bedingungen des
Eilverfahrens prognostizieren lässt. Offensichtlich unbegründet ist eine
Anfechtungsklage dann, wenn sich mit hoher Sicherheit die Unbegründetheit der
Klage vorhersagen lässt, der für diese Prognose erforderliche Prüfungsaufwand des
Prozessgerichts ist nicht entscheidend.“
Dieses Verständnis wird von der überwiegenden Auffassung in der neueren
Rechtsprechung und Literatur geteilt. Weil für kursorische Rechtsprüfungen auch
im summarischen Verfahren kein Raum ist, muss das Ergebnis der Prüfung so
eindeutig sein, dass eine andere Beurteilung nicht oder kaum vertretbar erscheint
(OLG Hamm, a.a.O., Seite 3; OLG Stuttgart, DB 2003, 33-36, zitiert nach JURIS,
dort RN 36; OLG Stuttgart, ZIP 2003, 2363; OLG Hamburg AG 2003, 696; OLG
Hamburg, ZIP 2003, 1344; OLG Köln, ZIP 2004, 760; OLG Düsseldorf ZIP 2004,
359; Kallmeyer/Marsch-Barner, a.a.O., § 16 RN 41, dort m.w.N. in FN 2; Hüffer,
a.a.O. § 319 RN 18; a.A. Lutter/Bork, a.a.O., § 16 RN 19 a, dort in FN 1 m.w.N.).
Für die folgenden Positionen ist das Prüfungsergebnis in diesem Sinne eindeutig:
1.1. Nichtigkeitsgründe nach § 241 AktG
Der Verschmelzungsbeschluss ist nicht nichtig.
1.1.1. Die sich auf die Verschmelzung beziehenden Vorschriften des
Umwandlungsgesetzes sind verfassungsgemäß und die Anerkennung auf ihnen
beruhender Rechtsakte begründet keinen Grundrechtsverstoß. Das
Bundesverfassungsgericht hat Einschränkungen der aus der mitgliedschaftlichen
Stellung des Aktionärs erwachsenden Leitungsbefugnisse durch
gesellschaftsformändernde Konzernbildungsmaßnahmen seit jeher für
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gesellschaftsformändernde Konzernbildungsmaßnahmen seit jeher für
verfassungsrechtlich zulässig erachtet, sofern der Gesetzgeber die Interessen der
gegen ihren Willen zum Ausscheiden gezwungenen oder eingegliederten
Minderheitsaktionäre wahrt (BVerfGE 14, 263 – Feldmühle; bestätigt durch
BVerfGE 100, 289 – DAT/Atlanta). Der Gesetzgeber hat im Aktienrecht und
Umwandlungsrecht Rechtsbehelfe gegen Missbrauch wirtschaftlicher Macht
geschaffen und Entschädigungsregelungen für den Verlust von Rechtspositionen
vorgesehen. Das hat das Landgericht mit zutreffender Begründung, der sich der
Senat anschließt, ausgeführt.
1.1.2. Die Hauptversammlung ist nicht unter Verstoß gegen § 121 Abs. 2, 3, oder
4 AktG einberufen worden (§ 241 Nr. 1 AktG). Der Vorstand hat die Einberufung
ausgesprochen und sie ist mit Angabe von Zeit, Ort, Teilnahme- und
Stimmrechtsbedingungen in dem elektronischen Bundesanzeiger (§ 25 Abs. 1
AktG, § 3 der Satzung) bekannt gemacht worden.
1.1.3. Die Beurkundungsvorschriften des § 130 Abs. 1, 2, 4 AktG sind eingehalten
(§ 241 Nr. 2 AktG).
Der Verschmelzungsbeschluss ist in einer Niederschrift beurkundet, die notariell
aufgenommen ist. Die ... Notarin hatte - obwohl es nach §§ 11 Abs. 3 BNotO, 2
BeurkG unerheblich ist - für ihr Tätigwerden in O1 die Ausnahmegenehmigung des
Präsidenten des Oberlandesgerichts Köln (XVI D 48 - 7) gemäß § 11 Abs. 2 BNotO.
Das Abstimmungsergebnis darf – wie geschehen - in einer in Bezug genommenen
Anlage festgehalten werden (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG). Dies hat das Landgericht
zutreffend entschieden, der Senat nimmt hierauf Bezug.
Die Niederschrift (Seite 42 in Verbindung mit Anlage 21) enthält die Feststellung
des – rechtmäßigen - Vorsitzenden der Hauptversammlung über die
Beschlussfassung. Den Vorsitz in der Hauptversammlung (Versammlungsleitung)
führte satzungsgemäß (§ 16 Abs. 1) der Vorsitzende des Aufsichtsrats D. Auch der
in der Satzung und nicht von der Hauptversammlung bestimmte
Versammlungsleiter kann wegen grober Verletzung seiner Pflichten bei der
Versammlungsleitung durch die Hauptversammlung abberufen werden (Fischer in
Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2. Auflage 2004, §
11 RN 22). D ist jedoch nicht von der Hauptversammlung abberufen worden, ein
Antrag auf seine Abwahl erreichte nur 0,17 % der Stimmen (Seite 17 der
Niederschrift).
Ob über diesen Antrag fehlerhaft abgestimmt worden ist, weil die Stimmen der
Hauptaktionärin, deren Vorstandsvorsitzender D zugleich ist, nicht hätten
mitgezählt werden dürfen, kann dahinstehen. Zwar wären trotz Stimmverbots
abgegebene Stimmen nach § 134 BGB nichtig. Der aus diesem Grunde falsch
festgestellte Hauptversammlungsbeschluss wäre jedoch nicht seinerseits nichtig,
sondern lediglich anfechtbar (Hüffer, Aktiengesetz, 6. Auflage, § 136 RN 24; Fischer
a.a.O. § 13 RN 111). Anfechtbare Beschlüsse, die nicht angefochten wurden, sind
wirksam. Dass gegen den die Abwahl des Versammlungsleiters ablehnenden
Hauptversammlungsbeschluss – fristgemäß - Anfechtungsklage erhoben worden
sei, trägt keine Partei vor. Aus dem selben Grund kann dahinstehen, ob der – nicht
notwendig gewesene – Beschlussvorschlag der Verwaltung einem rechtmäßig
zustande gekommenen Aufsichtsratsbeschluss entsprach.
Im Übrigen hat das Landgericht zutreffend entschieden, dass kein Fall des
Stimmverbots nach § 136 AktG vorliegt und eine erweiternde Auslegung dieser
Vorschrift ausscheidet. Hierauf nimmt der Senat Bezug.
1.1.4. Der auf Verschmelzung durch Übertragung gerichtete
Verschmelzungsbeschluss ist, weil ausdrücklich vom Gesetz vorgesehen (§§ 2 Nr.
1, 3 Abs. 1 Nr. 2, 13 Abs. 1 UmwG), mit dem Wesen einer Aktiengesellschaft
vereinbar und verletzt durch seinen Inhalt weder Gläubigerschutzvorschriften noch
sonstige öffentliche Interessen (§ 241 Nr. 3 AktG).
1.1.5. Der Verschmelzungsbeschluss verstößt nicht durch seinen Inhalt gegen die
guten Sitten (§ 241 Nr. 4 AktG). Er ist lediglich darauf gerichtet, dem
Verschmelzungsvertrag zuzustimmen, was sittlich indifferent ist. Auch der
Verschmelzungsvertrag selbst verstößt nicht gegen das „Anstandsgefühl aller
billig und gerecht Denkenden“ (RGZ 48, 114, 124; BGHZ 10, 228, 232), also im
öffentlichen Interesse bestehende, jedoch nicht als Rechtsnormen geltende
Schutzregeln (K. Schmidt in Großkommentar zum Aktiengesetz, 4. Auflage, § 241
RN 66). Soweit Aktionäre Eingriffe in ihre Positionen geltend machen, sind sie auf
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RN 66). Soweit Aktionäre Eingriffe in ihre Positionen geltend machen, sind sie auf
ihr Anfechtungsrecht verwiesen (K. Schmidt a.a.O.), was im Folgenden geprüft
werden wird.
1.2. Verfahrensfehler nach § 243 Abs. 1 AktG 1.2.1. Der Verschmelzungsbeschluss
verstößt nicht gegen § 124 Abs. 4 Satz 1 AktG, weil mit der Tagesordnung die
Anlagen 6 und 7 bekannt gemacht worden sind, in denen sich jeweils in § 6 Nr. 3
eine fehlerhafte bzw. unsinnige Formel befand und in Anlage 7 § 5 kein 4. Absatz
enthalten war.
Zu Recht hat das Landgericht einen solchen Verstoß verneint, weil die Formel für
die Entscheidungsfindung der Aktionäre über den Verschmelzungsvertrag nicht
von wesentlicher Bedeutung war; hierauf wird Bezug genommen.
§ 124 Abs. 2 Satz 2 AktG verlangt lediglich, bei der Einberufung der
Hauptversammlung mit der Tagesordnung den wesentlichen Inhalt des Vertrages,
dem die Hauptversammlung ihre Zustimmung geben soll, bekannt zu machen
(vgl. BGH NJW 1992, 2760, 2763). Die beanstandete Formel in den Anlagen 6 und
7 zur Ermittlung des relativen Erfolgsziels als Voraussetzung zur Ausübung von
Aktienoptionsrechten gehört nicht zum wesentlichen Inhalt des
Verschmelzungsvertrages. Zum Einen dienen die Anlagen 6 und 7 nur dazu, in
Ausführung des § 23 UmwG eine bereits bestehende Regelung unverändert auf die
nach der Verschmelzung wirksam werdenden Verhältnisse zu übertragen, zum
Anderen ist diese Formel nach § 4 Abs. 2 d. des Vertrages in Verbindung mit § 17
Abs. 2 der Optionsbedingungen (Verzicht auf die Erfüllung der Erfolgsziele) völlig
ohne Bedeutung.
Redaktionelle Versehen wie ein Nummerierungsfehler der Absätze, sei es im
Ursprungsexemplar und/oder im Bekanntmachungstext der genannten Anlage 6,
liefern keinen Anfechtungsgrund, sondern können – entsprechend § 319 ZPO -
jederzeit berichtigt werden.
1.2.2. Die jedem Aktionär schriftlich vorliegende Tagesordnung musste nicht zu
Beginn der Hauptversammlung als Ganzes verlesen werden. Für ein solches
Erfordernis findet sich weder im Gesetz noch in der Satzung eine Grundlage. Es
war ausreichend, dass der Vorsitzende jeden Tagesordnungspunkt aufrief. Im
Übrigen trifft die Argumentation des Landgerichts zu.
1.2.3. Der Verschmelzungsbeschluss ist nicht wegen Verletzung der §§ 131 Abs. 1
Satz 1 AktG, 64 Abs. 2 UmwG durch Nicht- oder Falschbeantwortung folgender
Fragen in der Hauptversammlung anfechtbar.
Zu Recht hat das Landgericht ausgesprochen, dass die Anfechtungsklagen nach
dem nunmehr geltenden § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG (zur Anwendbarkeit des neuen
Rechts vgl. oben I.2.) in Verbindung mit § 15 UmwG nicht auf in der
Hauptversammlung erteilte unrichtige, unvollständige oder unzureichende
Informationen über das Umtauschverhältnis der Aktien und der sie bestimmenden
Faktoren gestützt werden können. Man mag das als rückwirkende Änderung der
„Spielregeln“ empfinden. Der Gesetzgeber hat jedoch in Aufnahme der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht das Auskunftsrecht des Aktionärs
als solches eingeschränkt, sondern lediglich die prozessuale Behandlung der
Folgen diesbezüglicher Verletzungen in das gesellschaftsrechtliche
Spruchverfahren verwiesen. Soweit ihm zusätzliche Auskünfte zu
Bewertungsfragen unrichtig, unvollständig oder unzureichend erteilt wurden, kann
er diesen Umstand ergänzend in seiner Antragsbegründung nach § 4 Abs. 2
SpruchG anführen (Begründung des UMAG-Entwurfs zu Nr. 20, BT-Drucksache
15/5092 Seite 26 re. Sp.). Missbräuchliche Auskunftsverweigerung kann weiterhin
im Verfahren nach § 132 AktG verfolgt werden, um genauere Grundlagen für
Einwendungen im Spruchverfahren zu gewinnen.
Dieser Ausschluss des Anfechtungsrechts nach § 243 Abs. 4 Satz 2 AktG betrifft
alle auf bewertungsrelevante Umstände bezogenen Fragen. Es handelt sich hierbei
um die weitgehend identischen Fragestellungen aus den Anfechtungsklagen 12 O
343/05, 12 O 371/05, 12 O 391/05 und 12 O 392/05, die auf Finanzkennzahlen der
an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger und ihrer Tochtergesellschaften
zielen. Ob und in welchem Umfang sie unbeantwortet oder nur „haarscharf vorbei“
beantwortet sind, kann deshalb dahinstehen.
Das in der Klage 12 O 312/05 als unbeantwortet gerügte Auskunftsverlangen nach
§ 131 Abs. 4 AktG ist dadurch hinreichend beantwortet worden, dass der Vorstand
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§ 131 Abs. 4 AktG ist dadurch hinreichend beantwortet worden, dass der Vorstand
der Antragstellerin mitteilte, bei Gesprächen im Vorfeld der Hauptversammlung
habe er keine Fragen beantwortet, sondern jenen Aktionärsvertretern mitgeteilt, er
werde dies auf der Hauptversammlung tun. Damit ist das auf
Informationsgleichstand gerichtete Begehren erfüllt.
Die in der Klage 12 O 323/05 (ebenso in 12 O 312/05) als unbeantwortet gerügte
Frage nach den Auswirkungen der erwarteten Wachstumssynergien auf das
ausschüttungsfähige Ergebnis der X1 (c./Seite 15) brauchte nicht beantwortet zu
werden, weil sie ein zukünftiges Ereignis zum Gegenstand hatte, das von
unbekannten Faktoren abhängt. Die Frage (e./Seite 15) wurde erst nach dem
rechtmäßigen (siehe unten 1.2.4.) Schluss der Debatte gestellt.
Die in der Klage 12 O 381/05 als unbeantwortet gerügte Frage nach dem
wesentlichen Inhalt der Darlehensverträge ist unstreitig beantwortet worden. Die
gegebene Antwort genügte den Anforderungen des § 131 Abs. 2 AktG. Die
Anforderungen an die Genauigkeit der Antwort hängen von der Genauigkeit der
Frage ab. Allgemein gehaltene Fragen können allgemein beantwortet werden.
Wenn ein Aktionär mit der Antwort nicht zufrieden ist, muss er nachfragen (Hüffer,
§ 131 RN 21).
1.2.4. Der Verschmelzungsbeschluss verstößt nicht gegen §§ 118 Abs. 1, 131 Abs.
1 Satz 1 AktG, 64 Abs. 2 UmwG wegen unzulässiger Beschränkung des Frage- und
Rederechts in der Hauptversammlung. Durch die Maßnahmen des
Versammlungsleiters in der fast 24stündigen Hauptversammlung sind keine
Rechte der klagenden Aktionäre verletzt worden.
Die technische Abwicklung der Hauptversammlung ist ausschließlich
Angelegenheit des Versammlungsleiters (Henn, Handbuch des Aktienrechts, 7.
Auflage RN 818). Er übt - und zwar ohne Kontrolle durch die Hauptversammlung -
die üblicherweise Hausrecht genannte Ordnungsgewalt nach den Grundsätzen der
Gleichbehandlung, der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit aus (Henn,
a.a.O. RN 811; Semler/Volhard, Arbeitshandbuch für die Hauptversammlung, 2.
Auflage, § 11 RN 71). Der Leiter einer Hauptversammlung hat alle Rechte, die er
braucht, um einen ordnungsmäßigen Ablauf der Hauptversammlung
herbeizuführen. Typische Bestandteile der Ordnungsgewalt sind die Beschränkung
der Redezeit, die Entziehung des Wortes, der Verweis aus dem Saal und die
Anordnung des Schlusses der Debatte (BGHZ 44, 245, 248; Henn a.a.O.). Dies ist
verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG NJW 2000, 349).
Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze zeigen die Antragsgegner in ihren
Anfechtungsklagen keine Rechtsverstöße auf:
Die Redezeitbegrenzung gegen 13.15 Uhr des zweiten Hauptversammlungstages
auf 10 Minuten war verhältnismäßig. Der Versammlungsleiter war verpflichtet, für
die Erledigung aller ausstehenden Tagesordnungspunkte zu sorgen und dabei
mögliche weitere Verzögerungen einzukalkulieren.
Ebenfalls verhältnismäßig im Sinne einer gleichmäßigen Verteilung der knappen
verbleibenden Zeit und damit notwendig war die Redezeitbegrenzung gegen 14.30
Uhr des zweiten Hauptversammlungstages auf 5 Minuten.
Dasselbe gilt für die Schließung der Rednerliste um 14.30 Uhr. Sie war 30 Minuten
zuvor angekündigt worden, so dass jeder anwesende Aktionär ausreichend Zeit
hatte, sich zu überlegen, ob er noch einen Redebeitrag leisten und sich vorsorglich
auf die Rednerliste setzen lassen wollte.
Die Anordnung des Schlusses der Debatte um 17.35 Uhr war rechtmäßig. Dies
folgt schon daraus, dass alle auf der Rednerliste eingetragenen Aktionäre ihre
Beiträge geleistet hatten. Deshalb kann keine Rede davon sein, dass ein Teil der
Aktionäre daran gehindert wurde, zu Wort zu kommen.
Die Rechtmäßigkeit des Saalverweises des Aktionärs E ist für die Frage der
Rechtmäßigkeit des Zustandekommens des Verschmelzungsbeschlusses ohne
Bedeutung, weil nur er sich auf eine Verletzung seiner Teilnahmerechte berufen
kann. Er hat mit seiner Klage (12 O 351/05) den Verschmelzungsbeschluss jedoch
nicht angefochten und ist aus diesem Grund auch nicht am Freigabeverfahren
beteiligt.
Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass an den Versammlungsleiter einer
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Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass an den Versammlungsleiter einer
Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft hinsichtlich seiner „Befangenheit“
nicht die von den Prozessordnungen für Richter und Sachverständige geforderte
strenge Unparteilichkeit gilt, denn er trifft keine Sachentscheidungen. Dass der
von der Satzung als Versammlungsleiter bestimmte Vorsitzende des Aufsichtsrats
vom Mehrheitsaktionär ausgesucht wird, ist Folge des Mehrheitsprinzips.
1.2.5. Der Verschmelzungsbeschluss ist nicht in Folge der Art der Behandlung der
Sonderprüfungsanträge rechtsfehlerhaft. 1.2.5.1. Der Sonderprüfungsantrag der
Aktionärin F GmbH ist zu Recht nicht zur Abstimmung gestellt worden. Er enthielt
mit dem Auftrag an den Sonderprüfer zur Geltendmachung von
Schadensersatzansprüchen einen unzulässigen Inhalt. Die Rüge, der
Versammlungsleiter habe keinen rechtlichen Hinweis darauf gegeben, dass der im
Antrag enthaltene Zusatz unzulässig sei, geht fehl. Das Gegenteil ergibt sich aus
der notariellen Niederschrift (Seite 39 – 41).
1.2.5.2. Der Sonderprüfungsantrag des Aktionärs G ist zur Abstimmung gestellt
und mit Mehrheit abgelehnt worden. Da dieser ablehnende Beschluss nicht
angefochten wurde, ist er bestandskräftig. Auf sein möglicherweise fehlerhaftes
Zustandekommen kann deshalb ein Angriff auf den Verschmelzungsbeschluss
nicht gestützt werden.
1.2.5.3. Der Sonderprüfungsantrag des Aktionärs H ist zur Abstimmung gestellt
und mit Mehrheit abgelehnt worden. Dieser Beschluss ist mit der Klage 12 O
362/05 angefochten worden.
Die Rüge, die Hauptaktionärin hätte bei der Abstimmung sich nicht beteiligen
dürfen, weil sie einem Abstimmungsverbot unterlag, geht jedoch fehl. Ein Fall des
Stimmrechtsverbots nach § 136 AktG lag nicht vor. Sicherlich wird eine
erweiternde Auslegung des Stimmrechtsverbots für den Fall in Betracht zu ziehen
sein, dass der Mehrheitsaktionär die Rechte der Minderheitsaktionäre auf
Sonderprüfung nach § 142 AktG vollends vereiteln kann. Dies ist hier jedoch nicht
der Fall gewesen. Für den Sonderprüfungsantrag sind 1.892.417 Stimmen
abgegeben worden, so dass der gesetzlich vorgesehene Weg (§ 142 Abs. 2 AktG),
trotz Mehrheitsablehnung mit einem anteiligen Grundkapital von 1.000.000 € eine
Sonderprüfung über das Gericht einzuleiten, möglich gewesen ist. 1.2.6. Die Rüge
falscher Zahlen auf Stimmblöcken hat das Landgericht zutreffend zurückgewiesen,
hierauf nimmt der Senat Bezug.
1.2.7. Mögliche technische Defekte bei der Beschallung der Nasszellen des Ortes
der Hauptversammlung berühren die Rechtmäßigkeit des
Verschmelzungsbeschlusses nicht.
1.2.8. Der Verschmelzungsbeschluss verstößt nicht wegen fehlerhafter Bestellung
der Verschmelzungsprüfer gegen das Gesetz. Die Prüferbestellung erfolgte im
Verfahren 3-05 O 282/04 durch Beschluss der Kammer für Handelssachen des
Landgerichts Frankfurt am Main. Dieser ist rechtskräftig und deshalb zu Grunde zu
legen.
1.2.9. Ebensowenig berührt die durch die Verschmelzungsprüfer vorgenommene
Parallelprüfung die Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsbeschlusses.
Eine solche Parallelprüfung ist zulässig. Durch die Verweisung in § 11 Abs. 1 UmwG
u. a. auf § 320 Abs. 2 Satz 2 HGB sieht das Gesetz die Möglichkeit vor, dass der
gerichtlich bestellte Prüfer bereits vor Abschluss der Arbeiten an dem
Prüfungsgegenstand das Recht hat, Prüfungshandlungen vorzunehmen.
Das vermutete kollusive Zusammenwirken der Bewerter und Prüfer zu Lasten der
Minderheitsaktionäre lässt sich allein auf den möglicherweise engeren Kontakt bei
einer Parallelprüfung nicht stützen. Die Richtigkeit der Prüfung hängt nicht von
deren Zeitpunkt ab, sondern von der Kompetenz und Unabhängigkeit der Prüfer
(OLG Stuttgart, NZG 2004, 146, 148). Dass es bei einer parallelen Prüfung zu
Besprechungen zwischen dem Prüfer und dem Bewertungsgutachter kommen
kann, steht der Unabhängigkeit des Prüfers und damit der Verwendbarkeit seines
Berichts ebenfalls nicht entgegen (OLG Stuttgart, a.a.O.; OLG Düsseldorf, NZG
2004, 328, 333; OLG Hamm, OLGR 2005, 418, 419)
1.3. Inhaltsmängel nach § 243 Abs. 1 AktG 1.3.1. Der Verschmelzungsbeschluss
unterliegt als unternehmerische Grundentscheidung (Kallmeyer/Marsch-Barner,
a.a.O. § 8 RN 8) keiner Inhaltskontrolle auf seine sachliche Rechtfertigung hin.
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Das Landgericht hat deshalb diese Überprüfung zutreffend abgelehnt. Das
entspricht der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung
(Kallmayer/Marsch-Barner, a.a.O., § 13 RN 12 m. w. N.; Lutter/Drygalla, UmwG, 3.
Auflage, § 13 RN 32 ff. m.w.N.; Hüffer, AktG, 6. Auflage, § 243 RN 27), der sich der
Senat anschließt. Die Vorstellung, ein Verschmelzungsbeschluss könne daraufhin
überprüft werden, ob überhaupt, mit wem und in welchem Umfang und zu welchen
Bedingungen eine Verschmelzung durchgeführt werden soll, ist unzutreffend
(Lutter/Drygala, a.a.O. RN 37).
Auch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht der Aktionäre untereinander, die eine
unverhältnismäßige Benachteiligung der schwächeren Partei vermeiden soll,
gebietet keine generelle materielle Kontrolle von Verschmelzungsbeschlüssen auf
Erforderlichkeit, Geeignetheit und Verhältnismäßigkeit. Der Gesetzgeber hat den
Ausgleich typischer Konfliktsituationen in den Verschmelzungsvorschriften im
Umwandlungsgesetz abstrakt vorweggenommen und unter Abwägung der
Interessen der Minderheitsaktionäre gegenüber den Interessen der
Mehrheitsaktionäre differenzierte Maßnahmen zum Minderheitenschutz
(Mehrheitserfordernis, Verschmelzungsbericht, Verschmelzungsprüfung durch
gerichtlich bestellte Prüfer unter Strafdrohung, Spruchverfahren für
Angemessenheit des Umtauschverhältnisses) vorgesehen. Durch eine zusätzliche
Inhaltskontrolle würde die Möglichkeit der Gesellschafter, der Gesellschaft das
investierte Vermögen wieder zu entziehen, unzulässigerweise gebunden werden
(vgl. BGH - II ZR 75/87 – ... - BGHZ 103, 184 ff, wonach Beschlüsse über die
Auflösung von Kapitalgesellschaften keiner Inhaltskontrolle unterliegen).
1.3.2. Zutreffend hat das Landgericht auch diejenigen Rügen als offensichtlich
unbegründet abgelehnt, die geltend machen, die X1 als Hauptaktionärin erstrebe
mit der Verschmelzung einen unzulässigen Sondervorteil im Sinne des § 243 Abs.
2 AktG. Hierauf nimmt der Senat Bezug.
In der gerügten „Verschaffung des Emissionserlöses“ bzw. der „Befreiung von
Darlehensrückzahlungspflichten“ liegt kein Sondervorteil. Diese Folgen ergeben
sich unmittelbar aus dem gesetzlich angeordneten Vermögensübergang (§ 20
Abs. 1 Nr. 1 UmwG) und fließen dadurch jedem Gesellschafter entsprechend
seiner Beteiligung an dem übernehmenden Rechtsträger zu (OLG Düsseldorf, ZIP
2001, 1717, 1720; vgl. auch die ausdrückliche Regelung bei der
Mehrheitseingliederung - § 320 b Abs. 2 Satz 1 AktG und dem sog. „Squeeze-out“
- § 327 f Abs. 1 Satz 1 AktG). Die Durchsetzung der Mehrheitsherrschaft oder der
Egoismus des damit verfolgten Zieles macht allein noch keinen verbotenen
Sondervorteil (K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Auflage, § 28 I 4b).
Dies steht auch in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu
Auflösungsbeschlüssen (BGHZ 103, 184 ff – Linotype), bei denen es für einen
Sondervorteil nicht genügt, dass einer der Gesellschafter wirtschaftlich stärker
profitiert als ein anderer, solange die Auflösung gesetzeskonform verläuft. Dies ist
auf die Umwandlung durch Verschmelzung übertragbar. Danach ist es rechtlich
nicht entscheidend, ob im Ergebnis überwiegend oder ausschließlich der
Mehrheitsaktionär von einer Maßnahme profitiert. Es kommt vielmehr darauf an,
ob die Maßnahme zur Durchsetzung sachfremder Ziele instrumentalisiert wird.
Das Landgericht hat hier zutreffend eine sachwidrige Bevorzugung oder
Zweckentfremdung abgelehnt, da den Aktionären Aktien der X1 in einem
angemessenen Verhältnis angeboten werden müssen, so dass diese nach der
Verschmelzung weiterhin und zwar als Aktionäre der übernehmenden X1 beteiligt
sind. Bei den gerügten Vorteilen in Bezug auf die Mehrheitsaktionäre handelt es
sich um Folgen des Verschmelzungsvorgangs, die Resultat der Verschmelzung
und nicht Sondervorteil im Sinne des § 243 Abs. 2 AktG sind.
Soweit die Rügen auf eine Unterbewertung, eine „Verwässerung“ der Aktien oder
ein fehlerhaftes Umtauschverhältnis abzielen, sind diese im Spruchverfahren
gerichtlich zu überprüfen (vgl. hierzu auch BT-Drucksache 15/5092, Seite 26).
1.3.3. Der Verschmelzungsbeschluss ist nicht wegen Missbrauchs bzw. Verletzung
von gesellschaftsrechtlichen Treupflichten der Mehrheitsaktionärin X1 gegenüber
den Minderheitsaktionären rechtswidrig.
Zwar ist das Bestehen solcher Treuepflichten zwischen den Gesellschaftern einer
Aktiengesellschaft inzwischen anerkannt (BGHZ 103, 184, 194 - Linotype. Denn
auch bei der Aktiengesellschaft hat ein Mehrheitsgesellschafter die Möglichkeit,
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auch bei der Aktiengesellschaft hat ein Mehrheitsgesellschafter die Möglichkeit,
durch Einflussnahme auf die Geschäftsführung die gesellschaftsbezogenen
Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, so dass auch hier als
Gegengewicht die gesellschaftsrechtliche Pflicht zu fordern ist, auf diese Interessen
Rücksicht zu nehmen (BGH a.a.O. Seite 195).
1.3.3.1. In der Verschmelzung als solcher liegt keine Treuwidrigkeit, weil es sich um
eine vom Gesetzgeber akzeptierte Form der konzernrechtlichen Integration
handelt, wie § 62 UmwG gerade für Verschmelzungen des abhängigen auf das
herrschende Unternehmen zeigt. Konzernverschmelzungen sind im Grundsatz
zulässig und rechtmäßig (Lutter/Grunewald, UmwG, 3. Auflage, § 27 RN 7). Das
Aktieneigentum der Minderheitsaktionäre ist von Anfang an mit der Möglichkeit
belastet gewesen, durch Mehrheitsentschlüsse eine Entwicklung zu nehmen, die
den Wünschen und vielleicht auch den Interessen der einzelnen Aktionäre nicht
entspricht (BGHZ 82, 188, 192). Aus der Größe der Mehrheitsgesellschafterin oder
dem Umstand, dass deren Mehrheitsgesellschafterin die Bundesrepublik
Deutschland ist, lassen sich keine gesteigerten Pflichten ableiten. Ein Missbrauch
muss deshalb durch andere Umstände als die typischen Folgen der Umwandlung
der Gesellschaft begründet sein. Die beschlossene Verschmelzung muss von der
Mehrheit dazu benutzt werden, weitere – nicht durch die Umwandlung bedingte
oder ihre Gründe veranlasste – Veränderungen der bestehenden
Gesellschaftsstruktur durchzusetzen und die Minderheitsaktionäre in nicht
erforderlicher oder unverhältnismäßiger Weise zu beeinträchtigen
(Lutter/Grunewald, a.a.O, RN 39; BGH II ZR 189/90, AG 1992, 58).
1.3.3.2. Der auf einen solchen Missbrauch der Mehrheitsmacht zielende Vorwurf,
die X1 habe die Antragstellerin „unter Ausnutzung einer euphorischen Stimmung“
nur zu dem Zweck an die Börse gebracht, sich den Emissionserlös zu verschaffen
und sie bei niedrigem Börsenkurs wieder zu integrieren („perfider Gesamtplan“,
„verwerfliches Szenario“), würde zwar das Tatbestandsmerkmal erfüllen, er beruht
aber auf keinen tatsächlichen Anhaltspunkten. Die Antragstellerin hat zu Recht die
Unsubstantiiertheit dieses Vortrags gerügt, da keine tatsächlichen
Anknüpfungspunkte vorgetragen und glaubhaft gemacht werden.
Der Senat vermag einen solchen treuwidrigen Gesamtplan auch nicht aus den
unstreitigen und offenkundigen Tatsachen herzuleiten. Die wirtschaftlichen
Rahmendaten in den Jahren 1999/2000, bevor die sog. „…“ platzte, waren
vollkommen andere als in den Jahren 2004/2005. Es ist abwegig anzunehmen, die
X1 habe ihre Strategieplanungen gezielt auf der Reduzierung des Börsenkurses
ihrer 80%igen Internettochter aufgebaut. Der starke Einbruch der Börsenkurse
(vgl. die Kurseinbrüche anderer deutscher Großunternehmen nach unstreitigem
Vortrag der Antragstellerin Seite 27 ihrer Klageerwiderung im
Anfechtungsverfahren) hat alle Aktionäre getroffen. Der Kurseinbruch der Aktien
der Antragstellerin von 27 € auf 9 € ist bedauerlich, aber nicht Folge einer
treuwidrigen Handlung der X1.
Gegen einen solchen Gesamtplan spricht im übrigen auch, dass die X1 im
Dezember 2002 ca. 10 % des Grundkapitals (120.000.000 Aktien) zu einem Preis
von 6,10 € je Aktie verkaufte, so dass sich ihre Beteiligung von 81,7 % auf 71,9 %
reduzierte (Verschmelzungsbericht, Seite 197).
1.3.3.3. Ein Missbrauch der Verschmelzung lässt sich auch nicht aus den
Umständen des Börsengangs im Jahre 2000 herleiten. Sie ergeben keine gewollte
treuwidrige Gewinnmaximierung zum Nachteil der Kleinaktionäre.
Einige Antragsgegner haben argumentiert, das Risiko einer Rückverschmelzung
mit der X1 sei nicht erkennbar gewesen, hätte aber kommuniziert werden müssen,
da mit dem Börsengang ein Vertrauenstatbestand in die Eigenständigkeit der
Antragstellerin geschaffen worden wäre. Sie zielen darauf ab, dass auch das
Ausnutzen kapitalmarktrechtlicher Mechanismen zum Nachteil der Minderheit eine
Treupflichtverletzung zu Lasten des Minderheitsaktionärs beinhalten könne (hierzu
Hofmann/Krolop, AG 2005, 866 ff.). In diese Richtung zielt auch der Einwand, der
Wert der Aktie der Antragstellerin habe sich in einer Talsohle befunden und sei
gerade im Anstieg begriffen, weshalb der Verschmelzungszeitpunkt treuwidrig sei.
Auch diese Argumente vermögen den Senat nicht zu überzeugen. Der Zeitablauf
von 4 ½ Jahren zwischen dem Börsengang und der Ankündigung der
Verschmelzungsabsicht reicht nicht dafür aus, den Strategiewechsel von „going
public“ zu „going private“ als gezielte Benachteiligung der Minderheitsaktionäre
erscheinen zu lassen. In der Literatur wird zwar der Missbrauch für den Fall eines
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erscheinen zu lassen. In der Literatur wird zwar der Missbrauch für den Fall eines
sog. „Squeeze-out“ diskutiert, wenn der Hauptaktionär die Minderheitsaktionäre
erst kurz zuvor zum Ankauf der Aktien veranlasst hat (vgl. Fundstellen bei OLG
Düsseldorf WM 2004, 727 ff., zitiert nach JURIS, dort Seite 5). In Zeiten rasanter
Entwicklungen in der Informationstechnologie kann jedoch bei 4 ½ Jahren von
einem „kurz zuvor“, das ein widersprüchliches Verhalten indizieren würde, nicht die
Rede sein. Das Oberlandesgericht Düsseldorf (a. a. O.) hat denn auch im Fall eines
„Squeeze-out“ 4 Jahre nach dem Börsengang keine hinreichenden Anhaltspunkte
für eine Treuepflichtverletzung oder einen Rechtsmissbrauch gesehen, so auch
das Landgericht Düsseldorf im Fall eines „Squeeze-out“ 5 Jahre nach dem
Börsengang (LG Düsseldorf, ZIP 2004, 1755, 1757).
Gegen ein gezieltes Ausnutzen von Kapitalmarktschwankungen zu Lasten der
Minderheitsaktionäre sprechen auch die von der Antragstellerin für ihre
Reintegration in die Muttergesellschaft vorgetragenen und glaubhaft gemachten
plausiblen Gründe, wobei zu beachten ist, dass die Missbrauchskontrolle keine
weitere Ebene für eine materielle Beschlusskontrolle eröffnet und ein weiter
unternehmerischer Entscheidungsspielraum besteht.
Die Antragstellerin begründet die Verschmelzungsabsicht mit Veränderungen des
Telekommunikationsmarktes. Das Wettbewerbsumfeld sei mit der
Ausgangssituation zum Zeitpunkt des Börsengangs nicht mehr vergleichbar, zu
der man die klassischen Produkte der Telekommunikationsunternehmen und das
Internet als weitgehend getrennte Märkte betrachtet habe. Im Jahr 2000 sei aus
Kundensicht selbstverständlich gewesen, dass die Internet-Nutzung auf einem
gesonderten Vertrag mit der Beklagten beruhe. Diese Kundensicht habe sich
grundlegend verändert. Der Anteil der privaten Haushalte mit Internet-Anschluss
sei in Westeuropa zwischen Dezember 2001 und Dezember 2004 von 33 % auf 50
%, der Anteil der Internet-Breitbandanschlüsse von 3 % auf 19 % gestiegen, ein
weiteres Ansteigen sei zu erwarten. Aus diesem Grund hätten europaweit auch
zahlreiche andere Telekommunikationsunternehmen ihre früher selbständigen
Internettöchter integriert, da der Kunde erwarte, dass Telefonie und Internet „aus
einer Hand“ angeboten würden (Verschmelzungsbericht Seite 209 f.). In
Deutschland solle aus den gleichen Überlegungen die I... AG im Wege der
Verschmelzung mit der J... AG zusammengeführt werden (Anlagen B 10 und B 11).
Ebenso wie die Konkurrenten (zu K... S.A. und zu L... S.A. vgl. zur
Glaubhaftmachung Anlagen B 8, B 9, B 12 und B 13) habe sich die X1 zur
Verschmelzung entschieden, um durch Reintegration der Online-Sparten auf die
veränderte Situation zu reagieren. Durch die Verschmelzung werde eine
Wachstumssynergie der X-Gruppe (Verschmelzungsbericht Seite 213) erwartet.
Gründe für die Verschmelzung seien im wesentlichen die verbesserte Nutzung von
Geschäftschancen durch die fortschreitende Verzahnung der Leistungen der X1
und der Antragstellerin, die Steigerung der Effizienz durch die Zusammenführung
der Geschäftsmodelle, die Verbesserung der Kundenansprache, effektivere
Bearbeitung des Marktes und Erhöhung der Kundenbindung und Zufriedenheit
sowie Vereinfachung von Organisation und Geschäftsprozessen
(Verschmelzungsbericht, Seite 211 f). Es solle eine bessere Aufstellung am Markt,
insbesondere in dem Bereich DSL-Kunden, erreicht werden (Anlagen Ast 66, 67).
Die Richtigkeit der unternehmerischen Einschätzungen ist an dieser Stelle nicht zu
prüfen. Dass sie der Entscheidung zur Rückverschmelzung zu Grunde lagen,
haben die Antragsgegner zwar angezweifelt, aber nicht widerlegt. 1.3.4. Die
Anfechtbarkeit des Verschmelzungsbeschlusses folgt nicht aus den gerügten
Mängeln des Verschmelzungsvertrages.
Es kann offen bleiben, ob der Verschmelzungsvertrag formwirksam beurkundet
worden ist, da die formwirksame Beurkundung nicht Voraussetzung für die
Rechtmäßigkeit des Verschmelzungsbeschlusses ist. Dieser kann gemäß § 4 Abs.
2, § 13 Abs. 3 Satz 2 UmwG gefasst werden, bevor der Verschmelzungsvertrag
wirksam abgeschlossen wurde. Es genügt, wenn ein Entwurf vorliegt. Eine
Beurkundung könnte erforderlichenfalls nachgeholt werden
(Kallmeyer/Zimmermann, § 6 RN 2).
Eine gesetzeswidrige Einflussnahme der X1 gemäß § 311 AktG ist nicht gegeben.
Der Verschmelzungsvertrag wird nur mit Zustimmung der Anteilsinhaber wirksam,
§ 13 Abs. 1 UmwG (Kallmeyer/Marsch-Barner, § 5 RN 73). Er legt, gegebenenfalls
als Entwurf, fest, mit welchem Inhalt den Anteilsinhabern vorgeschlagen wird, der
Verschmelzung zuzustimmen. Auch mit der Ausübung ihres Stimmrechts hat die
X1 keine nachteilige Maßnahme veranlasst. Dagegen spricht, dass der
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X1 keine nachteilige Maßnahme veranlasst. Dagegen spricht, dass der
Verschmelzungsbeschluss nicht der Inhaltskontrolle auf seine sachliche
Rechtfertigung unterliegt. Auch ist der Minderheitenschutz im Umwandlungsgesetz
gesondert geregelt. Dieses sieht die Möglichkeit der Überprüfung des Ausgleichs
(vgl. § 2 Abs. 1 und Abs. 3 des Verschmelzungsvertrages) gem. § 15 UmwG vor.
Der Verschmelzungsvertrag ist der Antragstellerin nicht von der X1 „diktiert“
worden. Soweit dies von einigen Antragsgegnern gerügt worden ist, enthält ihre
Behauptung „es sei davon auszugehen, dass der Verschmelzungsvertrag nicht
ausgehandelt worden sei“, keinen substantiierten Vortrag. Der
Verschmelzungsvertrag verstößt nicht gegen § 5 Abs. 1 Nr. 8 UmwG. Die
erforderlichen Angaben sind in den §§ 3, 4, 7 und 8 des Verschmelzungsvertrages
enthalten.
1.3.5. Der Verschmelzungsbeschluss verstößt nicht gegen das Gesetz, weil der
Verschmelzungsvertrag kein Barabfindungsangebot enthält.
Ein Barabfindungsangebot ist für den vorliegenden Fall der Verschmelzung zweier
Aktiengesellschaften nicht erforderlich, weil § 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG dies nur für
die Verschmelzung unter Beteiligung von Rechtsträgern verschiedener
Rechtsformen (sog. Mischverschmelzungen) verlangt. Auch der Fall des § 29 Abs.
1 Satz 2 UmwG ist nicht einschlägig, denn die als Ausgleich zu gewährenden
Aktien der X1 unterliegen unstreitig keinen Verfügungsbeschränkungen.
2. Folgende mit den Klagen geltend gemachte Rechtsverletzungen fließen in die
Abwägung ein:
2.1. Fragen Ob die in den Klagen 12 O 323/05 und 12 O 312/05 als unbeantwortet
gerügten Fragen des Aktionärs G nach den strategischen Effekten der
Neuausrichtung und den Wachstumssynergien zureichend beantwortet sind, ist
streitig. Ob insoweit eine Verletzung des § 131 Abs. 1 AktG vorliegt, konnte im
Eilverfahren nicht geklärt werden.
2.2. Verschmelzungsbericht Nicht offensichtlich unbegründet sind verschiedene
gegen den Verschmelzungsbericht erhobene Rügen. Die genauen Anforderungen
an Verschmelzungsberichte sind nicht abschließend geklärt. Die Formulierung in §
8 Abs. 1 UmwG regelt keinen festen Berichtsstandard. Die Erweiterung der
Berichtspflicht in Satz 3 dieser Vorschrift ist problematisch, da unklar ist, welche
Angelegenheiten wesentlich sind. Diese Offenheit der gesetzlichen Regelung
erschwert die rechtssichere Anwendung (Semler/Gehling, a.a.O., § 8 RN 11).
2.2.1. Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass die Rügen hinsichtlich der
Angaben zu verbundenen Unternehmen und aus der ...-Beteiligung der X1 nicht
offensichtlich unbegründet sind. Die Antragstellerin wendet sich im Ergebnis
erfolglos gegen diese Ansicht des Landgerichts.
Der Aktionär muss bei der Abstimmung wissen, was auf ihn als künftigen Aktionär
der X1 zukommen kann. Welcher Umfang der Pflicht zur Berichterstattung bei der
Bewertung von Unternehmensgruppen hieraus folgt, ist strittig. Nach einer
Auffassung sollen bei der Verschmelzung von Unternehmensgruppen
grundsätzlich die Vergangenheitsergebnisse, die Planzahlen und die
dazugehörigen Erläuterungen für die einzelnen Tochtergesellschaften anzugeben
sein. Eine Begrenzung dieser Berichtspflicht wird aus § 8 Abs. 1 Satz 3 UmwG
abgeleitet, wonach diese Angaben auf die „wesentlichen Angelegenheiten“ der
verbundenen Unternehmen zu beschränken seien. Nähere Ausführungen zum
Ertragswert der verbundenen Tochtergesellschaften sollen dann erforderlich sein,
wenn ihr Wert mehr als 10 % der Aktiva des Mutterunternehmens ausmacht oder
wenn sie mit mehr als 10 % zum durchschnittlichen Ergebnis des
Mutterunternehmens beitragen (Lutter/Drygala, § 8 RN 41). Aus dem Wortlaut der
Regelung lassen sich diese Anforderungen an die Berichtspflicht ab einer
bestimmten Größenordnung verbundener Unternehmen allerdings nicht ableiten.
Ob dies zur weiteren Plausibilität des Berichts bei Konzernverschmelzungen führt,
ist fraglich.
Eine andere Auffassung vertritt, dass es bei der Berichterstattung zu
Unternehmensgruppen nicht erforderlich sei, die Planzahlen zu den einzelnen
Gesellschaften oder Unternehmensbereichen gesondert anzugeben. Bei
Unternehmensgruppen mit mehreren hundert Gesellschaften sei eine
Berichterstattung über die einzelnen Gesellschaften der Gruppe im Rahmen eines
Verschmelzungsberichts regelmäßig weder möglich noch erforderlich. Eine
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Verschmelzungsberichts regelmäßig weder möglich noch erforderlich. Eine
Darstellung der einzelnen Gesellschaften und ihrer wesentlichen Kennzahlen sei
auch nicht zweckmäßig, weil die Unternehmensbewertung keine Addition von
Einzelzahlen, sondern ein bewertender und auswertender Vorgang sei. Eine nach
Unternehmensbereichen getrennte Darstellung von Kennzahlen sei nur dann
erforderlich, wenn eine Darstellung der Gesamtzahlen keine ausreichende
Plausibilisierung der Gesamtbewertung ermögliche. Neben den Angaben zur
Gruppe seien weitere Angaben zu verbundenen Unternehmen der
nachgeordneten Konzerngruppe nur erforderlich, soweit sie für die Verschmelzung
von wesentlicher Bedeutung sind. Dies sei gleichzusetzen mit
„Gruppenwesentlichkeit“, z. B. wenn die Inanspruchnahme aus der
Verlustausgleichspflicht in Betracht komme (Semler/Gehling, a.a.O., § 8 RN 42-44
und RN 59 f.; Meyer, a.a.O., § 8 RN 34 und 43-46, wohl unentschieden
Kallmeyer/Marsch-Barner, a.a.O. § 8, RN 27).
Der Senat schließt sich der letztgenannten Ansicht an. In der Rechtsprechung wird
zu § 8 Abs. 1 UmwG die Zulässigkeit dieses sog. „Top-down“ Ansatzes bei der von
der Berichtspflicht zu unterscheidenden Unternehmensbewertung vertreten. Eine
Konzernbewertung wird dabei „von oben herab“ vorgenommen, wobei die
erforderlichen Zahlen der einzelnen Berichtseinheiten vorgelegt und
zusammengefasst werden (OLG Düsseldorf, AG 2003, 688, 691 zu „Veba AG“).
Die zum Verständnis der hier vorgenommenen Top-Down
Unternehmensbewertung erforderlichen Angaben sind in dem Bericht enthalten,
gegliedert nach den operativen Einheiten der X1 und zwar M (Seite 278, 279), N
(Seite 285 f.), Y (Seite 263, 268, 272) und P (Seite 292) sowie Q (Seite 296).
Der Bericht enthält auf Seite 300 ff. eine konsolidierte Planungsrechnung, die aus
den Planungsrechnungen dieser einzelnen Divisionen hergeleitet wurde. Vorab ist
in dem Bericht auf Seiten 174 ff. die Struktur der X1 dargestellt und erläutert, an
der sich der Bericht zur Bewertung orientiert hat.
Bedenken bestehen aber hinsichtlich der nach § 8 Abs. 1 Satz 3 UmwG
geforderten weiteren Angaben zu den wesentlichen Angelegenheiten verbundener
Unternehmen. Konkrete Rügen hierzu sind insbesondere in der Klage 12 O 332/05
von den Antragsgegnern zu 12. und 13. vorgetragen und im Beschwerdeverfahren
nochmals präzisiert worden. Gerügt wurde, dass zu dem verbundenen
Unternehmen N USA Inc. Angaben
- zu den besonderen Risiken aufgrund der Verlustsituation, insbesondere dem
Erfordernis von Verlustausgleichszahlungen,
- zum Risiko einer Steuerzahlung in Höhe von 406.000.000 US$,
- zur Notwendigkeit weiterer außerplanmäßiger Abschreibungen auf UMTS- und
US-Mobilfunk Lizenzen nach entsprechenden Abschreibungen von 2.476.000.000 €
in 2004
fehlen. Zur ... GmbH wurden fehlende Angaben zum negativen Eigenkapital von
934.000.000 €, Verbindlichkeiten von ca. 1.500.000.000 € und eine
Höchstbetragsgarantie der X1 von 600.000.000 € gerügt.
Die Antragstellerin ist den vorgenannten tatsächlichen Angaben nicht entgegen
getreten, so dass sie als unstreitig zu bewerten waren. Ihr glaubhaft gemachter
Vortrag, sämtliche wirtschaftlich relevanten Daten im Zusammenhang mit ... seien
– wie alle anderen relevanten wirtschaftlichen Daten beider beteiligter
Unternehmen - bei der Bewertung berücksichtigt worden (Anlage Ast 64), betrifft
die Frage der ordnungsgemäßen Bewertung der beteiligten Rechtsträger, nicht
aber die hiervon zu unterscheidende Berichtspflicht hierzu. Der
Verschmelzungsbericht erwähnt beispielsweise N USA (Seite 286) hinsichtlich des
gestiegenen Umsatzes und der gestiegenen Umsatzkosten (Seite 288). Es werden
Sonderabschreibungen erwähnt sowie (Seite 290) erhöhte Abschreibungen der N
USA um rund 18 %. Zu ... erwähnt der Bericht die Höhe der geltend gemachten
Schadensersatzforderungen sowie der geforderten Vertragsstrafe (Seite 189).
Dass auch nach Auffassung der Antragstellerin beide Unternehmen für die
Verschmelzung von wesentlicher Bedeutung waren, dokumentiert ihre gesonderte
Erwähnung in dem Verschmelzungsbericht. Die Forderung, dass darüber hinaus
die o. g. Angaben erforderlich gewesen seien, kann deshalb zumindest nicht mit
der erforderlichen Sicherheit als unbegründet bewertet werden.
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2.2.2. Der Einwand einiger Antragsgegner, der Verschmelzungsbericht enthalte
nicht alle erforderlichen Angaben zu den Risiken aus der Beteiligung an der ...
GmbH und aus den Prospekthaftungsklagen, ist ebenfalls nicht offensichtlich
unbegründet.
Die Sachverhalte sind im Verschmelzungsbericht nicht in einem dem Risiko
angemessenen Umfang dargestellt. In dem Bericht sind die wesentlichen
Auswirkungen der Verschmelzung zu erläutern Maßgebend für den Umfang der
Berichtspflicht sind die Umstände der Verschmelzung im Einzelfall. In besonderen
Fällen kann daher auch die Darstellung von Rechtsstreitigkeiten, an denen einer
der Rechtsträger beteiligt ist, geboten sein, wenn es sich um wesentliche
Belastungen oder Auswirkungen handelt. Daraus kann zwar nicht die Pflicht
ableitet werden, Angaben zu jedem Rechtsstreit, der von einer der beteiligten
Aktiengesellschaften geführt wird, zu machen. Wann eine Darstellung von
Rechtsstreitigkeiten geboten ist, ist – soweit ersichtlich - weder in der
Rechtsprechung entschieden, noch Gegenstand einer Diskussion in der Literatur.
Der Senat teilt die Auffassung der Antragstellerin, dass die Einzeldarstellung eines
jeden Risikos nicht erforderlich ist. Ein Kriterium für eine Berichtspflicht ist das
Verhältnis der Forderung zum Unternehmenswert, was bei einer einzelnen
Forderung von beispielsweise 5.000.000 € bei einem ermittelten
Unternehmenswert von 118.771.000.000 € gegen eine Pflicht zur Unterrichtung
spricht. Auch die Antragstellerin hat hier aber die Berichterstattung über die
wesentlichen Risiken aus der Beteiligung ... und den Prospekthaftungsklagen für
erforderlich gehalten. Diese Einschätzung ist angesichts der
Schadensersatzforderungen im Fall ... von ca. 4.590.000.000 € zuzüglich Zinsen
und gegebenenfalls zeitabhängiger Vertragsstrafen zutreffend. Bei den
Prospekthaftungsklagen ergibt sich die Bedeutung bereits aus der umfangreichen
Zahl von Klägern (laut Verschmelzungsbericht allein in Deutschland ca. 12.500)
und ca. 14.000 weiteren Käufern, die Güteverfahren beantragt haben. Soweit eine
Berichtspflicht besteht, muss die Darstellung aus der Sicht eines verständigen
Aktionärs eine geeignete Informationsgrundlage bieten (Semler-Gehling, § 8 RN
11). Dazu gehört, dass die für erforderlich gehaltenen Rückstellungen beziffert
werden. Angaben dazu enthält der Verschmelzungsbericht nicht. Zu den
amerikanischen Sammelklagen, den deutschen Prospekthaftungsklagen und den
beantragten Güteverfahren fehlen darüber hinaus Angaben zur Höhe der
Ansprüche, die geltend gemacht werden. Zu den amerikanischen Sammelklagen
fehlt auch eine Einschätzung des Prozessrisikos. Die Angabe, dass die noch nicht
genehmigte Vergleichsvereinbarung über 120.000.000 US$ ohne Anerkennung
eines Fehlverhaltens der X1 geschlossen worden sei, lässt keinen Rückschluss zu,
und dürfte angesichts der Vergleichssumme nur die für den Vergleich gewählte
Formulierung wiedergeben. Soweit die X1 die Ansprüche laut
Verschmelzungsbericht für unbegründet hält, hat sie diese Einschätzung durch
eidesstattliche Versicherungen glaubhaft gemacht (Anlagen Ast 62, 63). Die
Richtigkeit dieser Einschätzung ist auch von dem Verschmelzungsprüfer
nachvollzogen worden. Eine weiter gehende Auskunftspflicht, z. B. durch rechtliche
Begründung der Angaben zum Prozessrisiko, bestand nicht. Der
Verschmelzungsbericht muss den Aktionären nicht die Möglichkeit bieten, diese
Rechtseinschätzung wie ein Sachverständiger zu kontrollieren (Semler-Gehling, § 8
RN 12).
Soweit in diesem Zusammenhang auch gerügt wurde, mangels gerichtlicher
Entscheidung hätte das Risiko in voller Höhe abgesichert werden müssen, ist
dieser Einwand allerdings als Bewertungsrüge dem Spruchverfahren vorbehalten.
2.2.3. Bedenken bestehen auch im Hinblick auf die Darstellung der Bedeutung des
Börsenkurses für das Umtauschverhältnis.
Einige Antragsgegner haben gerügt, in dem Verschmelzungsbericht hätte die
Gefahr aufgezeigt werden müssen, dass die Aktionäre der Antragstellerin aufgrund
der ermittelten Verschmelzungswertrelation möglicherweise den für sie
maßgeblichen Börsenkurs der Antragstellerin nicht werden realisiere können, es
werde den Aktionären der Antragstellerin eine für sie günstige Wertrelation
suggeriert. Mit diesen Einwendungen rügen die Antragsgegner die Unzulänglichkeit
des Verschmelzungsberichts bei der Begründung des Umtauschverhältnisses, was
im Gegensatz zur Angemessenheit des Umtauschverhältnis im
Anfechtungsverfahren zu prüfen ist. Hier liegt der Schwerpunkt der Berichtspflicht,
denn für die Gesellschafter der Antragstellerin ist vor allem wichtig zu wissen, in
welchem Verhältnis sich ihre Beteiligung an der X1 fortsetzt
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welchem Verhältnis sich ihre Beteiligung an der X1 fortsetzt
(Verschmelzungswertrelation). Der Verschmelzungsbericht führt unter dem Punkt
„Börsenwert“ u. a. aus:
„Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom ....entschieden, dass bei
einigen speziellen Unternehmensbewertungsanlässen der Börsenkurs bei der
Ermittlung der Barabfindung für Minderheitsaktionäre als Mindestwertwert zu
berücksichtigen sei....Im vorliegenden Fall liegen die nach dem
Ertragswertverfahren ermittelten Unternehmenswerte sowohl der Y als auch der X
deutlich über den aus den jeweiligen Marktkapitalisierungen ermittelten Werten
Daher kommt im vorliegenden Fall dem Börsenkurs als Mindestwert keine
Relevanz für die Festlegung des Umtauschverhältnisses zu“
(Verschmelzungsbericht Seite 256).
Diese Ausführungen sind zumindest geeignet, bei Kleinaktionären den Eindruck zu
erwecken, dass die nach dem Ertragswertverfahren ermittelte
Verschmelzungsrelation über dem am Kapitalmarkt für Kleinanleger erzielbaren
Umtauschverhältnis liegen wird. Im konkreten Fall bestand anhand der Aktienkurse
der beteiligten Rechtsträger jedoch die Gefahr, dass dies nicht der Fall sein wird,
das Umtauschverhältnis aus Sicht der Aktionäre mithin ungünstiger ausfallen
könnte, als das Verhältnis der Börsenkurse beider Unternehmen zueinander,
worauf die X1 in ihrem öffentlichen Erwerbsangebot am 9. Oktober 2004 auch
hingewiesen hatte. Ohne diesen Hinweis ist nur unter Heranziehung und Vergleich
des Verhältnisses der Börsenkurse mit der im Bericht genannten
Verschmelzungsrelation ermittelbar, dass das Umtauschverhältnis ungünstiger
sein könnte. Dem Aktionär sind aber zur Plausibilitätskontrolle alle erforderlichen
Informationen zu erteilen. Die Auffassung einiger Antragsgegner, dass dazu auch
ein Hinweis auf das aus Sicht der Aktionäre möglicherweise ungünstige
Umtauschverhältnis zählt, ist jedenfalls nicht offensichtlich unbegründet, da diese
Frage bislang in der Rechtsprechung nicht entschieden wurde.
2.3. Verschmelzungsprüfungsbericht In welchem Umfang sich die möglicherweise
herausstellenden Fehler des Verschmelzungsberichts auf die
Verschmelzungsprüfung und den hierüber abzugebenden Bericht auswirkt, kann
ebenfalls nicht abschließend beurteilt werden.
3. Folgende Umstände sind als aus der Verzögerung der Eintragung der
Verschmelzung resultierende wesentliche Nachteile zu berücksichtigen.
3.1. Bei der Feststellung der drohenden Nachteile sind nicht lediglich solche
Umstände zu berücksichtigen, die die Antragstellerin selbst betreffen würden,
sondern auch diejenigen, die die Antragstellerin für die X1 als nachteilig reklamiert.
Nach dem klaren Gesetzeswortlaut geht es – wie auch das Landgericht zutreffend
betont hat - nicht nur um die Nachteile des Rechtsträgers, dessen Anteilsinhaber
sich klageweise gegen die Verschmelzung gewandt haben, sondern um Nachteile
aller an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger und deren Anteilsinhaber.
Mithin sind also gerade auch die Nachteile zu berücksichtigen, die die X1 aus der
verzögerten Verschmelzung als übernehmende Rechtsträgerin treffen würden.
Soweit verschiedene Antragsgegner unter Hinweis auf Presseberichte über
aktuelle positive Geschäftszahlen der Antragstellerin geltend machen, die
Antragstellerin erleide bei Nichteintragung des Verschmelzungsbeschlusses und
Beibehaltung ihrer rechtlichen Selbständigkeit keine Nachteile, so mag dies
zutreffen, es besagt jedoch nichts über die Nachteile der X1.
3.2. Als Dauer der voraussichtlichen Verzögerung ist der von der Antragstellerin
genannte Zeitraum zugrunde zu legen. Die Annahme, dass bis zum
rechtskräftigen Abschluss der Anfechtungsklagen der 37 durch 104 Streithelfer
unterstützten Antragsgegner noch ca. 5 Jahre vergehen werden, ist realistisch. Der
Rechtsstreit kann regulär drei Instanzen durchlaufen, wobei – unabhängig davon,
wer erst- oder zweitinstanzlich obsiegen würde - eine Zurückverweisung in die
zweite Instanz zum Zwecke der Wiederholung des Berufungsverfahrens mit der
erneuten Möglichkeit der Revision nicht auszuschließen ist. Nimmt man die
Möglichkeit hinzu, dass eine Beweisaufnahme – etwa durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens (nach Erfahrungen des Senats kann sich bei
mangelnder Kooperation der Parteien und/oder ihrer Bevollmächtigten allein die
Suche nach geeigneten Sachverständigen monatelang hinziehen) – durchzuführen
sein mag, könnte sich dieser Zeitraum verdoppeln.
3.3. Als wesentliche Nachteile der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger
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3.3. Als wesentliche Nachteile der an der Verschmelzung beteiligten Rechtsträger
sind in Rechtsprechung und Literatur insbesondere das Ausbleiben einer aufgrund
der Marktsituation zur Vermeidung wesentlicher Entwicklungsnachteile
erforderlichen Umstrukturierung, ausbleibende Synergie- und
Rationalisierungseffekte und die Abwanderung qualifizierten Personals, anerkannt
(vgl. Kallmeyer/Marsch-Barner, a.a.O., § 16 RN 46 m.w.N. zu Lit. und Rspr. in FN 4 -
6, Seite 220 und FN 1 - 4 Seite 221). Dass derartige Nachteile bei der X1 im
kommenden Jahrfünft zu erwarten sind, hat die Antragstellerin glaubhaft dargelegt:
3.3.1. Die Verzögerung der Verschmelzung um ca. 5 Jahre beeinträchtigt die
beabsichtigte bessere Aufstellung der beteiligten Rechtsträger am
Breitbandmarkt. Der Handlungsspielraum und die Gestaltungsmöglichkeit der X1,
sich am Breitbandmarkt jetzt durch ein vollständig integriertes Produkt besser zu
positionieren, wird eingeschränkt. Dies beeinträchtigt insbesondere die
Wettbewerbsfähigkeit der X1.
Entscheidend stellt die Antragstellerin darauf ab, dass die angestrebte
Positionierung am Breitbandmarkt „jetzt“ erfolgen müsse. Dazu sei es notwendig,
das Produktportfolio mit vollständig integrierten Produkten bestehend aus
Festnetztelefon und Internet zu optimieren. Das Landgericht hat diesen Vortrag für
unsubstantiiert gehalten. Dem folgt der Senat nicht.
Die Antragstellerin hat schlüssig dargelegt und glaubhaft gemacht, dass sich in
den letzten Jahren die Internetnutzung über Breitbandtechnik (DSL) verstärkt hat
(Anlage Ast 3 und 4). Breitbandanschlüsse ermöglichen neue Kommunikations-
und Entertainmentangebote, wie Voice over IP und Video on demand (Anlage Ast
5). Dies führt zu einer zunehmenden Überschneidung der Produkte von Internet
Service Providern mit klassischen Telekommunikationsunternehmen. Zum
Wachstumspotential des DSL-Marktes hat die Antragstellerin vorgetragen und
glaubhaft gemacht, (Anlage B 7 zu Ast 1), dass sich der Breitbandmarkt in den
Jahren 2004 bis 2007 von ca. 5,2 Mio. DSL-Haushalten auf ca. 9,7 Mio. DSL-
Haushalte in Deutschland verdoppeln werde. DSL setzt für den Endverbraucher
einen Vertrag über einen DSL-Anschluss und einen DSL-Tarif für den
Internetzugang voraus. Dieser Markt eröffnet sich gegenwärtig und in den
kommenden Jahren dem Wettbewerb. Die bereits gegebene Intensität des
Wettbewerbs lässt sich an dem rasanten Preisverfall für DSL-Flatrates ablesen
(Anlage Ast 8). In Konkurrenz zu den bisherigen DSL-Anbietern sind in jüngerer
Zeit u. a. Mobilfunkanbieter mit dem Angebot von Kombiprodukten getreten sowie
Kabelnetzbetreiber, die nunmehr auch Telefon- und Internetdienstleistungen
anbieten, was die Antragstellerin durch eidesstattliche Versicherungen glaubhaft
gemacht hat (Ast 13, Ast 16). Nach der Einschätzung der Antragstellerin sind
Anbieter von Internet- und Onlinedienstleistungen, die in diesem sich stetig
ändernden Markt bestehen wollen, gezwungen, kombinierte Produkte anzubieten.
Nach der glaubhaft gemachten Erwartung der beteiligten Rechtsträger erreichen
diejenigen Anbieter die meisten Kundensegmente, welche die Wahl zwischen
verschiedenen Formen der Telefonie anbieten (Anlage Ast 22). Diese Einschätzung
wird durch die Marktentwicklung und die Strategie der Wettbewerber bestätigt, die
aktuell verstärkt integrierte Produkte bewerben oder anstreben (Anlagen Ast 23 -
25, Ast 14). Nach der nachvollziehbaren und glaubhaft gemachten Erwartung der
beteiligten Rechtsträger können nach der Verschmelzung Produktinnovationen,
insbesondere von vollständig integrierten Produkten, schneller und mit weniger
Aufwand gestaltet werden. Auch die inhaltliche Ausgestaltung vollständig
integrierter Produkte werde einfacher, da ein einheitliches Unternehmensziel unter
Ausschluss gegebenenfalls gegenläufiger unternehmerischer Ziele verfolgt werde
(Anlage Ast 29), denn bei dem gewollten Fortbestehen der Antragstellerin als
organisatorischer Einheit könnten widerstreitende Interessen durch Weisung des
zuständigen Vorstandsmitglieds überwunden werden können (vgl. hierzu auch
Hüffer, a.a.O., § 76 RN 10).
Einige Antragsgegner haben dagegen eingewandt, die Antragstellerin biete bereits
jetzt vollständig integrierte Produkte an. Dies ist nicht zutreffend. Richtig ist, dass
bereits Produktbündel angeboten werden, d. h. Produkte bei denen der
Internettarif und die Festnetztelefonie in einem Angebot kombiniert werden. Diese
Produkte werden allerdings nicht „aus einer Hand“ angeboten. Der DSL-Tarif für
den Internetzugang ist vielmehr ein Produkt der Antragstellerin, während die
Festnetztelefonie ein Produkt der X1 ist (vgl. beispielhaft Anlage 4, dort Seite 2,
zum Schriftsatz der Antragsgegner zu 1. und zu 2. vom 13. Januar 2006, wo als
Voraussetzung für das Y2 Paket ein Telefonanschluss der X1 genannt ist.) Zwei
rechtlich selbständige Unternehmen unterliegen weiterhin den oben dargelegten
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rechtlich selbständige Unternehmen unterliegen weiterhin den oben dargelegten
Beschränkungen. Darüber hinaus ist bei zwei rechtlich selbständigen
Unternehmen ein freier Datentausch, bezogen auf die Kundendaten, im Konzern
nicht möglich (Simitis, Kommentar zum Bundesdatenschutzgesetz, 5. Aufl., § 3 RN
139 ff.; Anlage Ast 34).
Zur konkreten Kundenentwicklung hat die Antragstellerin dargelegt und glaubhaft
gemacht, dass sie für das verschmolzene Unternehmen aufgrund der schlüssigen
Erwartung einer geringen Rate für Anschlussverluste ( Churnrate ) und eines
höheren Marktanteils für Neukunden von einem um ca. 1 Million erhöhten Bestand
an Kunden bis 2010 ausgeht, wobei die überwiegende Anzahl dieser DSL-Kunden
nach ihrer Prognose in den Jahre 2006 und 2007 zu gewinnen sind (Anlagen Ast 66
und 67). Für das verschmolzene Unternehmen beziffert sie daraus einen glaubhaft
gemachte Vorteil und damit reinen Verzögerungsschaden von 742.000.000 € bis
2010.
Diese zukunftsbezogenen Eintragungsfolgen haben zwangsläufig
Prognosecharakter (Lutter/Bork, § 16 RN 23; OLG Stuttgart, DB 2003, 33, 36), da
sie nicht feststehen, sondern nur mehr oder weniger sicher erwartet werden
können. Dies ist von § 16 Abs. 3 UmwG auch so gewollt, da die Bewertung des
Vollzugsinteresses regelmäßig eine zukunftsorientierte Prognose erfordert. Die
Ausführungen des OLG München stehen dem nicht entgegen (OLG München, ZIP
2005, 615, 616).
Soweit einige Antragsgegner dagegen eingewandt haben, die Erwartung der
Antragstellerin, im dargelegten Umfang zusätzliche Kunden zu gewinnen oder die
Churnrate zu verringern, sei nicht plausibel, ist der Senat davon überzeugt, dass
die Fähigkeit, ein vollständig integriertes Produkt zu entwickeln und anzubieten,
einen wichtigen Wettbewerbsvorteil beinhaltet, was gerade auch durch das
entsprechende Verhalten der Mitbewerber indiziert wird. Es ist nach dem durch
eidesstattliche Versicherungen belegten Vortrag der Antragstellerin auch
plausibel, dass durch ein vom Kunden als vorteilhafter wahrgenommenes Produkt
Anschlussverluste verringert werden und sich ein höherer Anteil an Neukunden
erzielen lässt. Ob die vorgetragenen und glaubhaft gemachten Zahlen im
Einzelnen nachrechenbar sind, war für den Senat nicht so ausschlaggebend wie die
– vorliegend gegebene - Nachvollziehbarkeit der glaubhaft gemachten
unternehmerischen Erwartung eines wesentlichen Wettbewerbsvorteils.
Die eidesstattlichen Versicherungen sind zur Glaubhaftmachung geeignet, auch
wenn sie von Mitarbeitern der X1 abgegeben worden sind (§ 294 ZPO), was einige
Antragsgegner im Hinblick auf die Versicherungen zu Ast 66 und Ast 67 gerügt
haben. Herr S (Ast 66) ist als Bereichsleiter Strategische Projekte Marketing und
Vertrieb bei der X1 tätig. Er berichtet direkt an den Bereichsvorstand Marketing
und Vertrieb M. T (Ast 67) ist als Bereichsvorstand M Finanzen und Controlling
tätig. Er berichtet direkt an den Vorstand Breitband/Festnetz der X1. Bei beiden
Mitarbeitern kann aus ihrem Tätigkeitsbereich ein Detailwissen zu den
beabsichtigten Strukturmaßnahmen erwartet werden. Aus ihren Funktionen für die
X1 folgt für den Senat nicht die Ungeeignetheit dieser eidesstattlichen
Versicherungen.
Zwar haben einige Antragsgegner eingewandt, ein zusätzlicher Abnehmerkreis
ließe sich auch durch eine attraktivere Preisgestaltung erzielen. Dies ist sicher ein
relevantes Kriterium, aber hier nicht entscheidend. Die Antragstellerin hat dem
Preisverfall bereits durch preislich attraktivere Angebote Rechnung getragen, um
ihre Position am Markt zu behaupten. Dies ist von einigen Antragsgegnern selbst
vorgetragen und belegt worden. Allein auf den harten Preiskampf zu setzen, ist
jedoch eine kurzfristige und durch viele unternehmerische Faktoren auch von
außen begrenzbare Methode, im Wettbewerb zu bestehen. In diesem Preiskampf
wird im übrigen auch das verschmolzene Unternehmen konkurrenzfähig bleiben
müssen.
3.3.2. Die mit Strukturänderungen notgedrungen einhergehende Phase der
Verunsicherung der Mitarbeiter auf allen Ebenen wird durch einen jahrelangen
Schwebezustand verstärkt. Die Sorge, je länger sich das Wirksamwerden der
Verschmelzung hinziehe, desto größer werde die Unsicherheit der Mitarbeiter und
vor allem der Führungskräfte der Antragstellerin hinsichtlich ihrer künftigen Rolle
und Tätigkeit verbunden mit der Bereitschaft zum „Wechsel“, hat die
Antragstellerin durch die eidesstattlichen Versicherungen (Anlagen Ast 47 und 48)
und die Zeitungsnotiz der … (Ast 65) glaubhaft gemacht. Negative Effekte wie
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und die Zeitungsnotiz der … (Ast 65) glaubhaft gemacht. Negative Effekte wie
sinkende Mitarbeitermotivation sind für den Senat insoweit offenkundig. Auch ohne
bereits vollzogene Kündigung ist diese Sorge plausibel und glaubhaft (OLG Hamm,
AG 2005, 361, 364).
Zwar haben einige Antragsgegner eine Verunsicherung der Organisation durch
den Schwebezustand der Verschmelzung unter Hinweis auf die Mitteilung der X1
vom 2. November 2005 über einen geplanten Abbau von 32.000 Stellen für
Mitarbeiter des Konzerns bestritten. Der Senat geht davon aus, dass diese
Ankündigung die negativen Auswirkungen auf die Mitarbeitermotivation oder den
Wunsch nach „Abwanderung“ verstärken kann. Dies relativiert das Gewicht der von
den Antragstellern geltend gemachten „Lähmung der Organisation“, lässt diesen
Umstand jedoch nicht als Nachteil entfallen.
Nicht vom Stellenabbau betroffen ist die Beeinträchtigung bzw. „Lähmung“ der
Organisation durch Aufschub oder Verhinderung der geplanten strategischen
Neuausrichtung, wie sie in § 7 Abs. 3 des Verschmelzungsvertrages
(Verschmelzungsbericht, Seite 15) vereinbart wurde. Diese beinhaltet eine
Besetzung der dort beschriebenen Ressorts des Bereichsvorstandes, des neuen
strategischen Geschäftsfeldes Breitband/Festnetz. Bis zur Verschmelzung wird das
Geschäftsfeld M noch durch den Bereichsvorstand und Y durch den Vorstand der
Antragstellerin geführt. Die künftige Organisation und Führungsstruktur kann erst
mit Wirksamwerden der Verschmelzung eingeführt werden. Je länger sich das
Wirksamwerden der Verschmelzung hinzieht, desto größer wird die Unsicherheit
der Führungskräfte (eidesstattliche Versicherung Anlage Ast 47).
Darüber hinaus hat die Antragstellerin auch das Aufschieben von
Investitionsentscheidungen in der technischen Infrastruktur schlüssig vorgetragen
und glaubhaft gemacht (Ast 49 und 50).
3.3.3. Das Landgericht hat zutreffend als verzögerungsbedingten Nachteil das
Ausbleiben von Rationalisierungs- und Kostensynergien im Bereich der
Informations- und Datenverarbeitungssysteme, im Vertrieb, bei den Kosten der
jährlichen Hauptversammlung sowie der externen Berichterstattung berücksichtigt
(eidesstattliche Versicherungen Anlagen Ast 35 bis 45). Allerdings kann dieses
prognostizierte Einsparpotential nicht in vollem Umfang gehoben werden. Zwar hat
die Antragstellerin Einsparungen in Höhe von 113.750.000 € für den Zeitraum bis
2010 glaubhaft gemacht. Dagegen beziffert der Verschmelzungsbericht die Kosten
der Verschmelzung mit ca. 50.000.000 € (Verschmelzungsbericht, Seite 217).
Hierauf haben einige Antragsgegner zu Recht hingewiesen. Die Antragstellerin ist
dem nicht entgegengetreten. Die Verschmelzungskosten verringern zwar das
Einsparpotential, was sich aber bei der Abwägung nicht entscheidend ausgewirkt
hat (vgl. Punkt 4 nachfolgend).
3.3.4. Zu Unrecht verweisen einige Antragsgegner darauf, die erwarteten
Spareffekte ließen sich (zum Teil) auch auf anderem Wege erzielen. Dazu wird
vorgeschlagen, die Antragstellerin könne ihr Konzept innovativ und margenträchtig
vermarkten, wenn sie in Form des Line-Sharings nur den Hochfrequenzbereich des
DSL-Anschlusses nutze. Andere Antragsgegner meinen, eine Kooperation sei als
Übergangslösung geeignet, um Wettbewerbs- und Synergienachteile zu
vermeiden. Ein Antragsgegner meint eine „entsprechende“ Marktposition sei
durch einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag zu erreichen. Weitere
Antragsgegner behaupten, als Alternative hätte sich angeboten, auf die
Antragstellerin die Geschäftsbereiche der X1 zu übertragen, die zur weiteren
Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit durch eine Produktoptimierung durch
vollständig integrierte Produkte notwendig seien.
In der neueren Literatur und obergerichtlichen Rechtsprechung wird darauf
abgestellt, dass es nicht darauf ankomme, ob sich die erwarteten Spareffekte oder
Wettbewerbsvorteile auch auf anderem Wege erzielen lassen. Bei der Beurteilung
im Rahmen des § 16 Abs. 3 UmwG sei die unternehmerische Grundentscheidung
als solche zu respektieren, so dass es nicht darauf ankomme, ob sich die Vorteile
der Verschmelzung auf anderem Wege erzielen ließen (OLG Hamm, a. a. O., Seite
8; OLG Düsseldorf, ZIP 2001, 1717, 1719 f.; OLG Düsseldorf, ZIP 1999, 793-798;
zitiert nach JURIS, dort RN 57; Lutter/Bork, a.a.O., § 16 RN 21). Dieser Auffassung
schließt sich der Senat an.
Auch das Oberlandesgericht Stuttgart folgt dieser Auffassung. Es hat allerdings im
Rahmen einer Ausgliederung geprüft, ob und inwieweit die durch den
Ausgliederungsbeschluss getroffene unternehmerische Grundentscheidung für
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Ausgliederungsbeschluss getroffene unternehmerische Grundentscheidung für
eine Übergangszeit aufgrund zumutbarer konzerninterner organisatorischer
Maßnahmen umgesetzt werden kann, um so die mit der Registersperre
verbundenen Nachteile zu überwinden (OLG Stuttgart, DB 2003, 33-36, zitiert nach
JURIS, dort RN 78 f.). Es kann offen bleiben, ob eine solche Prüfung geboten ist, da
sie hier zu keinem abweichenden Ergebnis führen würde. Soweit eine Kooperation
vorgeschlagen wurde, ist nicht nachvollziehbar, wie diese konkret ausgestaltet sein
soll und in welchem Umfang dadurch während eines Zeitraums von ca. fünf Jahren
die mit der Verschmelzung beabsichtigten und glaubhaft gemachten Vorteile – wie
oben ausgeführt – zu erreichen wären. Daran leiden auch die anderen – wenig
konkreten - Vorschläge der Antragsgegner, die nach ihrem Vortrag nicht als
konzerninterne Übergangslösung, sondern als dauerhafter Ersatz für eine
Verschmelzung erachtet werden. Zu dem Vorschlag „Line-Sharing“ hat die
Antragstellerin unwidersprochen eingewandt, dass die Antragsgegner
unberücksichtigt gelassen haben, dass zusätzlich zum „Line-Sharing“- Entgelt
eine Reihe von weiteren Kosten anfallen, die beim DSL-Resale nicht anfallen, so
beispielsweise Investitionen in sog. Kollokationsräume, Kosten für die Anmietung
oder den Aufbau der Infrastruktur dieser Kollokationsräume, Kosten für die
Übertragungstechnik und Kosten für das von der Regulierungsbehörde
vorgegebene Bereitstellungsentgelt, welches an die X1 zu zahlen ist.
Gegen diese Vorschläge sprechen im übrigen die ausgeführten konzernrechtlichen
Grenzen einer kooperativen Zusammenarbeit (Punkte 3.3.1. und 3.3.3.). Solange
gesonderte Rechtsträger bestehen, ist sowohl nach außen ein völlig einheitliches
Auftreten, als auch konzernintern eine einheitliche Willensbildung sowie eine
Abgrenzung von Kosten und Leistungen aufwendig und nur eingeschränkt möglich.
Darauf hat die Antragstellerin zutreffend hingewiesen und dies auch ausreichend
glaubhaft gemacht.
4. Das alsbaldige Wirksamwerden der Verschmelzung ist unter Berücksichtigung
der Schwere der Rechtsverletzungen (siehe oben unter 2.) zur Abwendung der
Nachteile (siehe oben unter 3.) vorrangig; hiervon ist der Senat nach Abwägung
aller Umstände überzeugt.
Dem Prozessgericht wird im Interesse größtmöglicher Entscheidungsfreiheit ein
weiter Beurteilungsspielraum eingeräumt (Lutter/Bork, § 16 RN 23). Nach dem
(„etwas umständlichen“ - Kallmeyer/Marsch-Barner, § 16 RN 43) Gesetzestext des
§ 16 Abs. 3 Satz 2 UmwG ist eine Abwägung zwischen den Interessen der
beteiligten Rechtsträger und ihrer Anteilsinhaber am alsbaldigen Wirksamwerden
der Verschmelzung und dem Interesse der Anfechtungskläger am Aufschub
vorzunehmen (Kallmeyer/Marsch-Barner a.a.O.). Die Eintragung soll auch dann
möglich gemacht werden, wenn bei (wahrscheinlich) begründeter
Anfechtungsklage die der Gesellschaft durch eine Versagung der Eintragung
drohenden Nachteile den Schaden überwiegen, der dem Anfechtungskläger durch
eine Eintragung entsteht (BT-Drucksache 15/5092, Seite 29, zu den
Freigabekriterien bei „allen Freigabeverfahren“). Hierbei sind sowohl die
wirtschaftlichen Gesichtspunkte als auch die geltend gemachten
Rechtsverletzungen gegeneinander abzuwägen. Dabei ist auf der Seite der
Anfechtungskläger die Schwere der von ihnen behaupteten und nicht offensichtlich
unbegründeten Rechtsmängel ausschlaggebend. Für die übrigen Anteilseigner und
die beteiligten Rechtsträger stehen die wirtschaftlichen Gesichtspunkte im
Vordergrund (BT-Drucks. 12/6699, Seite 89). In die Interessenabwägung sind ohne
Beschränkung auf den Verzögerungsschaden auch die Nachteile einzubeziehen,
die der Gesellschaft bei einem Erfolg der Anfechtungsklage entstehen (BT-Drucks.
15/5092, Seite 29).
Allerdings konnte hier offen bleiben, ob über den reinen Verzögerungsschaden, d.
h. die Nachteile, die allein daraus resultieren, dass die Verschmelzung erst nach
rechtskräftigem Abschluss des Hauptsacheverfahrens wirksam werden kann, auch
noch die Wachstumssynergien schlüssig vorgetragen und glaubhaft gemacht sind,
die von der Antragstellerin in einer Größenordnung von 1.000.000.000 € behauptet
werden (Verschmelzungsbericht Seite 213). Bereits aufgrund des
Verzögerungsschadens erachtet der Senat das Eintragungsinteresse für
überwiegend.
Bei dieser Abwägung hat der Senat unterstellt, dass die oben unter 2.
aufgeführten nicht offensichtlich unbegründeten Rechtsmängel vorliegen (OLG
Stuttgart, DB 2003, 33; LG Berlin, Der Konzern 2003, 483 ff., zitiert nach JURIS,
dort RN 116), denn es geht hierbei nicht um die Erfolgsaussichten der
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dort RN 116), denn es geht hierbei nicht um die Erfolgsaussichten der
Unwirksamkeitsklagen (Kallmeyer/Marsch-Barner, a.a.O. § 16 RN 44).
Diese Mängel können zwar einerseits nicht als unbedeutend eingestuft werden.
Insbesondere der durch einen Prüfer bestätigte Verschmelzungsbericht (ebenso
der Umwandlungsbericht bei Formwechsel, § 192 UmwG) ist ein Kernstück des
Minderheitenschutzes im Umwandlungsrecht. Er soll die Anteilsinhaber durch
ausführliche Vorabinformation in die Lage versetzen, in Kenntnis aller für das
Vorhaben maßgebenden Umstände über die Verschmelzung sachgerecht
abzustimmen (Kallmeyer/Marsch-Barner, a.a.O. § 8 RN 1).
Andererseits handelt es sich bei den nicht offensichtlich unbegründeten Rügen
hinsichtlich des Verschmelzungsberichts und der Nichtbeantwortung einiger der in
der Hauptversammlung gestellten 700 Fragen um sog. formelle
Anfechtungsgründe. Diese haben im Rahmen der Abwägung grundsätzlich
geringere Bedeutung (Kallmeyer/Marsch-Barner, § 16 RN 44). Die Interessen der
klagenden Anteilsinhaber sind vor allem dann weniger bedeutsam, wenn ihre
Belange auch nach der Eintragung der Verschmelzung ausreichend geschützt sind
(Kallmeyer/Marsch-Barner, a.a.O.). Dies ist hier der Fall. Hierbei handelt es sich um
formelle Mängel die gegebenenfalls behebbar wären (vgl. OLG Hamm, AG 2005,
361; OLG Stuttgart ZIP 1997, 75). Der Senat hat weiter berücksichtigt, dass ein
bewusstes Zusammenwirken von Vorstand und Hauptaktionärin zur Umgehung
der dem Schutze der Aktionäre dienenden Berichtspflichten weder schlüssig
vorgetragen, noch ein solcher Plan feststellbar ist.
Wenn der Senat angesichts dessen in der Gesamtabwägung gegenüber den
erheblichen wirtschaftliche Nachteilen (siehe oben 3.) dem Wirksamwerden der
Verschmelzung den Vorrang gibt, so beruht dies auch auf folgenden Gründen:
4.1. Die X1 könnte sich als Großunternehmen der Telekommunikationsbranche
über Jahre hinweg nicht so strukturieren und am Markt ausrichten, wie es die
Unternehmensleitung für erforderlich hält.
Sie würde angesichts der rasanten technischen Entwicklungen im IT-Bereich
unweigerlich gegenüber den Konkurrenzunternehmen am europäischen und
Weltmarkt ins Hintertreffen geraten. Das hätte negative Auswirkungen auf das
internationale Ansehen des Unternehmens und auf seinen Aktienkurs, was die
Interessen seiner Anteilseigner negativ berührt.
4.2. Diese Folgen würden eintreten, obwohl in der Hauptversammlung eine
Aktionärsmehrheit von 99,46 % der Verschmelzung zugestimmt haben.
Die klagenden Antragsgegner hielten zum Zeitpunkt der Hauptversammlung
lediglich 0,057 % der Aktien, 24 der 37 Anfechtungskläger hielten jeder für sich
weniger als 300 Aktien zu je 1 € vom Grundkapital von 1.223.890.578 €, wie die
Antragstellerin durch eidesstattliche Versicherung ihres Mitarbeiters C glaubhaft
gemacht hat (Anlage Ast 52). Solche Zahlen über die Quote der
Mehrheitszustimmung und der Umfang der Beteiligung der klagenden Aktionäre
können in die Abwägung einbezogen werden (Semler/Stengel/Volhard, § 16 RN 38;
Kallmeyer/Marsch-Barner, § 16 RN 46, Landgericht Frankfurt, DB 1999, 2304-2305,
zitiert nach JURIS).
4.3. Die klagenden Aktionäre der Antragstellerin sind ohne die Möglichkeit, mit
Hilfe der Registersperre die von der Mehrheit beschlossene Verschmelzung auf
Jahre hin aufzuhalten, nicht in ihren verfassungsmäßigen Rechten als Aktionäre
verletzt.
Die Aktie verkörpert als gesellschaftsrechtlich vermitteltes Eigentum zwar nicht nur
ein unter dem Schutz des Art. 14 GG stehendes Vermögensrecht, sondern auch
ein Mitgliedschaftsrecht (BVerfGE 14, 263 = NJW 1962, 1667 - ...). Angesichts des
herrschenden aktienrechtlichen Mehrheitsprinzips können jedoch Kleinaktionäre
auf die Unternehmenspolitik regelmäßig, worauf im Verkaufsprospekt vom 14.
April 2000 deutlich hingewiesen wurde, keinen relevanten Einfluss nehmen. Für sie
steht nicht die mitgliedschaftliche Beteiligung, sondern die
Vermögenskomponente im Vordergrund, die Aktie ist für sie vorwiegend
Kapitalanlage (vgl. BGHZ 120, 141, 151).
4.4. Die klagenden Aktionäre der Antragstellerin sind ohne Registersperre
wirtschaftlich nicht schlechter gestellt als mit ihr.
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Sie müssen von Verfassungs wegen so gestellt werden, wie sie vor der
Verschmelzung standen. Die Verschmelzungswertrelation muss so beschaffen
sein, dass sie dem Minderheitsaktionär den Verkehrswert seiner bisherigen Aktien
sichert. Sie haben im Hinblick auf den Grundrechtschutz des Art. 14 Abs. 1 GG
einen Anspruch darauf, das zu erhalten, was ihre gesellschaftliche Beteiligung an
dem arbeitenden Unternehmen wert ist (vgl. BVerfGE 14, 263, 281 f.; BVerfG AG
2000, 321, 322). Dies hat bei Zweifeln an der Verschmelzungswertrelation im
Spruchverfahren zu geschehen, denn § 15 Abs. 1 UmwG soll verhindern, dass die
Aktionäre der übertragenden Gesellschaft, die ihre Mitgliedschaft in dieser
verlieren, wirtschaftliche Nachteile erleiden. Bare Zuzahlungen die im
Spruchverfahren ausgeurteilt würden, wären zu verzinsen.
Sollten sich die Anfechtungsklagen als begründet erweisen, bestünde ferner ein
Schadensersatzanspruch gemäß § 16 Abs. 3 Satz 6 UmwG. Das Argument des
Landgerichts, dieser Schadensersatzanspruch sei relativ wertlos, da insbesondere
die Höhe nur schwer substantiiert dargelegt werden kann, überzeugt nicht. Wer
einen Schaden hat, wird ihn auch darlegen können.
4.5. Es entspricht dem gesetzgeberischen Ziel des § 16 Abs. 3 Satz 2 UmwG, das
durch das UMAG bestätigt worden ist, dass durch aktienrechtliche
Anfechtungsklagen nicht auf Jahre hinaus die Kompetenzordnung im Unternehmen
auf den Kopf gestellt wird. Wie ein Unternehmen am besten zum Erfolg geführt
werden soll, soll nicht ein Gericht auf Antrag überstimmter Aktionäre entscheiden,
sondern nach dem aktienrechtlichen Mehrheitsprinzip die von der
Aktionärsmehrheit ins Amt gebrachte Unternehmensleitung (§ 76 Abs. 1 AktG)
unter Kontrolle des - ebenfalls von der Mehrheit dominierten – Aufsichtsrats (§ 111
Abs. 1 AktG) nach eigenem unternehmerischen Ermessen, das die sachgemäße
Planung und Durchführung von Maßnahmen unter angemessener
Berücksichtigung der Gegebenheiten und Entwicklungen auf dem Kapitalmarkt
ermöglichen muss (BGHZ 125, 239, 246).
III.1. Die Kosten des Freigabeverfahrens in beiden Instanzen fallen den
Antragsgegnern zur Last, weil sie unterlegen sind (§ 91 Abs. 1 ZPO). Sie haften
anteilig nach Kopfteilen (§ 100 Abs. 1 ZPO). Die Streithelfer tragen ihre eigenen
Auslagen jeweils selbst (§ 101 Abs. 1 ZPO).
2. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen (§ 574 Abs. 3, 2 ZPO).
2.1. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gegen diese Beschwerdeentscheidung
nach § 572 Abs. 4 ZPO kommt in Betracht, wenn das Gesetz die Anfechtung der
Entscheidung nicht ausdrücklich ausschließt. Ein solcher Ausschluss ist im Gesetz
nicht vorgesehen.
Die Statthaftigkeit der durch das ZPO-Reformgesetz vom 27. Juli 2001 als
allgemeiner Rechtsbehelf des Zivilstreitverfahrens eingeführten Rechtsbeschwerde
gegen die Beschwerdeentscheidung im Freigabeverfahren ist allerdings umstritten.
In der Literatur wird sie bejaht (Lutter/Bork, § 16 RN 28 ohne weitere Begründung),
oder nicht erwähnt (für nach Inkrafttreten der ZPO-Reform erschienene
Kommentare: Kallmeyer/Marsch-Barner, § 16 UmwG RN 50; Hüffer, § 319 AktG, RN
20). In der Rechtsprechung ist die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde bislang
offen gelassen (OLG Stuttgart, 20 W 7/05) oder abgelehnt worden (OLG München,
AG 2004, 455 - 456, zitiert nach JURIS, dort RN 6 f. für das Freigabeverfahren nach
§ 327 e AktG i.V. mit § 319 Abs. 5 und 6 AktG). Soweit die Statthaftigkeit
abgelehnt wurde, stellt die Begründung darauf ab, dass es sich bei dem
Freigabeverfahren um ein summarisches Verfahren handele, das dem
einstweiligen Rechtsschutz diene. Die Begrenzung des Instanzenzuges nach § 542
Abs. 2 ZPO i. V. m. § 574 Abs. 1 ZPO müsse daher auch in diesem Fall gelten
(OLG München, a.a.O.).
Der Senat ist der Auffassung, dass § 542 Abs. 2 ZPO weder unmittelbar noch
analog auf das im Umwandlungsgesetz geregelte Freigabeverfahren anwendbar
ist. Arrest und einstweilige Verfügung dienen der vorläufigen Sicherung, wobei
selbst die von der Rechtsprechung zugelassene Leistungsverfügung nur die
Grundlage für eine vorläufige Befriedigung des Gläubigers schafft. Das
Freigabeverfahren führt hingegen zur endgültigen Überwindung der Registersperre
gemäß § 16 Abs. 3 Satz 1 UmwG mit der in § 20 UmwG normierten Folge des
endgültigen Wirksamwerdens der Verschmelzung mit der Eintragung in das
Handelsregister. Dies ist mit einer vorläufigen, gegebenenfalls zeitlich begrenzten
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Handelsregister. Dies ist mit einer vorläufigen, gegebenenfalls zeitlich begrenzten
Regelung nicht gleichzusetzen.
Als § 16 Abs. 3 UmwG im Jahre 1994 eingeführt wurde, gab es das Rechtsmittel
der Rechtsbeschwerde als allgemeinen Rechtsbehelf der ZPO nicht. Zwar betonte
die Gesetzesbegründung das Bedürfnis nach besonderer Beschleunigung des
Verfahrens, dem mit Satz 4 dieser Vorschrift Rechnung getragen wurde, wonach
die Glaubhaftmachung ausreicht. Mit Satz 5 sollte dieser Beschleunigungsgedanke
nach der Begründung verstärkt werden, da gegen den Freigabebeschluss eines
Landgerichts nur die sofortige Beschwerde statthaft sein sollte (BT-Drucksache
12/6699, Seite 90). Nach dem Inkrafttreten der ZPO-Reform und damit der
Neuregelung des § 574 ZPO mit der Möglichkeit der Zulassung der
Rechtsbeschwerde blieb das Umwandlungsgesetz jedoch insoweit unverändert.
Dem Gesetzgeber war bei der Neufassung des UMAG die inzwischen eingeführte
Möglichkeit der Rechtsbeschwerde bewusst. Im Gesetzgebungsverfahren wurde
der Beschleunigungsgedanke für das neu eingeführte Freigabeverfahren nach §
246a AktG unter Bezugnahme auf § 16 Abs. 3 UmwG betont. Es wird in der
Entwurfsbegründung als Rechtsmittel nur die sofortige Beschwerde erwähnt. Ob
die Rechtsbeschwerde statthaft ist, wird weder ausgeschlossen noch bejaht. Diese
wird nicht erwähnt (vgl. BT-Drucks. 15/5092, Seite 28, 39). Dagegen hat der
Gesetzgeber in der Neuregelung des § 148 Abs. 2 Satz 6 AktG die
Rechtsbeschwerde ausdrücklich ausgeschlossen. Hieraus schließt der Senat, dass
in § 246a AktG bewusst auf einen Ausschluss der Rechtsbeschwerde verzichtet
worden ist.
2.2. Die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO liegen vor. Die Rechtssache hat
grundsätzliche Bedeutung. Es besteht Anlass zur Rechtsfortbildung. Die
inhaltlichen Anforderungen an die Angaben in dem Verschmelzungsbericht,
insbesondere auch zu den wesentlichen Angelegenheiten der verbundenen
Unternehmen gemäß § 8 Abs. 1 UmwG sind höchstrichterlich nicht geklärt. Der
vorliegende Fall gibt Veranlassung, Leitsätze für die Auslegung dieser
Gesetzesbestimmung aufzuzeigen. Dies gilt auch für die Kriterien der nach § 16
Abs. 3 Satz 2 UmwG vorzunehmenden Abwägung.
Darüber hinaus ist der Senat der Auffassung, dass der Rechtsstreit die Interessen
der Allgemeinheit in besonderem Maße berührt und deshalb ein Tätigwerden des
Bundesgerichtshofs erforderlich macht. Dies ergibt sich insbesondere aus dem
wirtschaftlichen Auswirkungen der Sache auf die Allgemeinheit. Das Verfahren
zeigt modellhaft eine Fülle von Rechtsfragen auf, denen eine über den einzelnen
Fall hinausgehende grundsätzliche Bedeutung zukommt (BGH NJW 2003, 65, 68).
3. Der Beschwerdewert folgt dem Gegenstandswert erster Instanz.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.