Urteil des LG Bonn vom 29.03.2004

LG Bonn: auszahlung der versicherungsleistung, reiseveranstalter, erlass, rechtsverletzung, anzahlung, vermögensvorteil, stillschweigend, zugang, forderungsverzicht, rückforderungsrecht

Landgericht Bonn, 6 S 23/04
Datum:
29.03.2004
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 S 23/04
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 14 C 323/03
Schlagworte:
Reiserücktrittskostenversicherung
Normen:
§ 812 I 2 ( 1.Alt.) BGB
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Zum Wegfall des rechtlichen Grundes für die Leistung einer
Reiserücktrittversicherung, wenn der - verhinderte - Reisende durch
eigene Verhandlungen mit dem Reiseveranstalter einen teilweisen
Erlass der Stornokosten erreicht.
Tenor:
Soweit der Beklagte verurteilt worden ist, an die Klägerin 222,41 EUR
nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 28.02.2003 zu zahlen, wird auf die Berufung des Beklagten das
Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 18.12.2003 - 14 C 323/03 -
aufgehoben.
Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz und die außergerichtlichen
Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin zu 20% und der
Beklagte zu 80%. Die Gerichtskosten des Berufungsverfahrens, die nur
nach einem Streitwert von 889,65 EUR zu erheben sind und die im
Übrigen niedergeschlagen werden, trägt der Beklagte allein.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe:
1
I.
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten die Rückzahlung von Leistungen aus einer
Reiserücktrittskostenversicherung, die sie an ihn ausgezahlt hat. Die Klageforderung
belief sich zunächst auf 1.112,06 EUR und ist bereits in erster Instanz durch eine mit
Schriftsatz vom 12.09.2003 erklärte Teilklagerücknahme auf 889,65 EUR reduziert
worden. Mit Urteil vom 18.12.2003, auf dessen tatsächliche Feststellungen Bezug
genommen wird, hat das Amtsgericht Bonn den Beklagten verurteilt, an die Klägerin
1.112,06 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz
seit dem 28.02.2003 zu zahlen. Zur Begründung hat das Amtsgericht ausgeführt, der
Beklagte sei durch die an ihn ausgezahlten Versicherungsleistungen zu Unrecht
bereichert, da ihm kein Schaden entstanden sei.
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Gegen dieses Urteil, das dem Beklagten am 23.12.2003 zugestellt worden ist, hat dieser
am 22.01.2004 Berufung eingelegt und diese am 13.02.2004 begründet. Der Beklagte
rügt zum einen, dass das Amtsgericht ihn auch insoweit verurteilt hat, als die Klägerin
die Klage bereits in erster Instanz zurückgenommen hatte. Zum anderen sei das
Amtsgericht zu Unrecht davon ausgegangen, dass er nach § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt.
BGB zur Erstattung der erhaltenen Versicherungsleistungen verpflichtet sei. Der
Beklagte habe auf Grund des eingetretenen Versicherungsfalls die in den
Versicherungsbedingungen festgelegten Leistungen vertragsgemäß erhalten. Der
rechtliche Grund für diese Vermögensverschiebung sei auch nicht deshalb nachträglich
weggefallen, weil der Beklagte die restlichen Stornokosten nicht an den
Reiseveranstalter entrichten musste. Der Vermögensvorteil, der dem Beklagten dadurch
entstanden sei, beruhe allein auf einem Entgegenkommen des Reiseveranstalters und
stehe in keinem rechtlichen Zusammenhang mit den zwischenzeitlich längst beendeten
Vertragsbeziehungen der Parteien.
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Der Beklagte beantragt,
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das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung insoweit zurückzuweisen, als der Beklagte verurteilt worden ist, an
die Klägerin 889,65 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem
Basiszinssatz seit dem 28.02.2003 zu zahlen
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Sie meint, der Beklagte beanstande zu Recht, dass das Amtsgericht über den
Klageantrag hinausgegangen ist. Im Übrigen sei das angefochtene Urteil jedoch
zutreffend.
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II.
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Die zulässige - insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete (§§ 517,
519 f. ZPO) - Berufung ist teilweise begründet. In dem aus dem Tenor ersichtlichen
Umfang beruht das angefochtene Urteil auf einem Verfahrensfehler, den der Beklagte
nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO geltend gemacht hat (§§ 513 Abs. 1 1. Alt., 529 Abs.
2 Satz 1 ZPO); im Übrigen sind Berufungsgründe - insbesondere die geltend gemachte
rechtsverletzung - nicht gegeben insbesondere beruht das Urteil insoweit nicht auf einer
Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1 ZPO).
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Soweit der Beklagte zur Zahlung von mehr als 889,65 EUR verurteilt worden ist, hat das
Amtsgericht der Klägerin unter Verstoß gegen § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO etwas
zugesprochen, was diese nicht beantragt hatte. Ausweislich der Sitzungsniederschrift
vom 02.12.2003 hatte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht
"auf den Antrag wie im Schriftsatz vom 30.06.2003 [...] bzw. auf den erneuten Schriftsatz
vom 12.09.2003" Bezug genommen. Das ist so zu verstehen, dass die Klägerin unter
Berücksichtigung der mit Schriftsatz vom 12.09.2003 erklärten Teilklagerücknahme
beantragt hatte, den Beklagten zur Zahlung von 889,65 EUR nebst Zinsen zu
verurteilen.
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Zu Recht hat das Amtsgericht hingegen angenommen, dass der Beklagte nach § 812
Abs. 1 BGB verpflichtet ist, an die Klägerin 889,65 EUR zu zahlen. Nach Auffassung der
Kammer folgt der Anspruch allerdings aus § 812 Abs. 1 Satz 2 1. Alt. BGB und nicht aus
Satz 1 1. Alt. der Vorschrift:
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Der Beklagte hat durch eine Leistung der Klägerin 2.900,- DM erlangt.
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Diese Vermögensverschiebung hatte zunächst in dem zwischen den Parteien
geschlossenen Versicherungsvertrag einen rechtlichen Grund. Denn nach § 1 Nr. 1 der
Versicherungsbestimmungen für Reiseversicherungen der Klägerin (VB-ERV 1998)
musste diese dem Beklagten als versicherter Person die vertraglich geschuldeten
Stornogebühren erstatten, wenn der Beklagte aus einem der in der Vertragsbestimmung
aufgeführten Gründe vor Reiseantritt von der Reise zurücktritt. Dass der Rücktritt des
Beklagten von der gebuchten Reise aus einem solchen Grund erfolgte und dass er dem
Reisveranstalter wegen des Rücktritts - jedenfalls zunächst - Stornogebühren in Höhe
von 3.625,- DM schuldete, ist unstreitig. Die Klägerin musste ihm deshalb unter
Berücksichtigung des in § 4 VB-ERV 1998 vereinbarten Selbstbehalts 2.900,- DM
erstatten.
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Dass der Beklagte die Stornokosten bis auf einen Betrag von 1.450,- DM nicht gezahlt
hat, stand dem zunächst nicht entgegen. Denn § 1 Nr. 1 VB-ERV 1998 kann nicht so
verstanden werden, dass die Auszahlung der Versicherungsleistung von einer Zahlung
der "vertraglich geschuldeten Stornogebühren" durch den Versicherungsnehmer
abhängt. Auch der Umstand, dass es sich um eine Schadensversicherung handelt, die
den Versicherer nur zum Ersatz von Schäden verpflichtet (§ 1 Abs. 1 Satz 1 VVG),
rechtfertigt keine andere Bewertung. Denn alleine dadurch, dass der Beklagte dem
Reiseveranstalter die Stornokosten schuldete und dass sein Vermögen deshalb mit
einer Verbindlichkeit belastet war, ist ihm ein Schaden entstanden.
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Hinsichtlich der Versicherungsleistung, die auf den nicht gezahlten Betrag der
Stornokosten entfällt, ist der rechtliche Grund jedoch später weggefallen. Zwischen den
Parteien ist unstreitig, dass der Reiseveranstalter diese Kosten ausgebucht hat. Der
Beklagte hat insoweit in erster Instanz selbst vorgetragen, der Reisveranstalter habe ihm
mitgeteilt, dass er ihm eine Gutschrift erteilt habe. Auf Grund dieser Mitteilung ist
zwischen den Parteien ein Vertrag zu Stande gekommen, durch den der
Reiseveranstalter dem Beklagten die nicht gezahlten Stornogebühren erlassen hat (§
397 Abs. 1 BGB). Vor dem Hintergrund der mit dem Reiseveranstalter geführten
Verhandlungen, in denen sich der Beklagte um eine Kulanzlösung bemüht hatte, konnte
er diese Mitteilung nur so verstehen, dass der Reiseveranstalter die noch nicht
gezahlten und nunmehr gutgeschriebenen Stornokosten endgültig nicht mehr geltend
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machen würde. Der Beklagte selbst geht im Übrigen davon aus, dass der
Reiseveranstalter die restlichen Stornogebühren nicht mehr mit Erfolg gegen ihn geltend
machen kann.
Der Beklagte hat das auf den Abschluss eines Erlassvertrags gerichtete
Vertragsangebot des Reiseveranstalters stillschweigend angenommen. Hiervon ist
schon deshalb auszugehen, weil er selbst in den bereits erwähnten Verhandlungen auf
den für ihn günstigen Forderungsverzicht hingewirkt hatte. Der Zugang der
Annahmeerklärung war entbehrlich (§ 151 Satz 1 BGB).
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Der Erlass der nicht gezahlten Stornogebühren hatte zur Folge, dass der Beklagte diese
dem Reiseveranstalter vertraglich nicht mehr schuldete und dass somit die in § 1 Nr. 1
VB-ERV 1998 normierten Voraussetzungen für eine Eintrittspflicht der Klägerin
nachträglich wegfielen. Art. 7 der von der Klägerin vorgelegten Vertragsbedingungen
steht dem daraus resultierenden Rückforderungsrecht der Klägerin nicht entgegen
(Anlage zur Klagebegründung vom 30.06.2003). Denn bei dieser Vertragsbestimmung
handelt es sich ausschließlich um eine Regelung über die Fälligkeit des Anspruchs. Ein
anderes Ergebnis ist auch nicht durch die Überlegung gerechtfertigt, dass die Klägerin
an den mit dem Reiseveranstalter geführten Verhandlungen keinen Anteil hatte. Denn
der Vermögensvorteil, den der Beklagte der Klägerin erstatten muss, ist bereits durch
die Auszahlung der Versicherungsleistung entstanden, wenn auch zunächst mit
rechtlichen Grund.
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Lediglich hinsichtlich der Versicherungsleistungen, die auf die vom Beklagten an den
Reiseveranstalter geleistete Anzahlung in Höhe von 1.450,- DM entfallen, ist der
rechtliche Grund nicht nachträglich weggefallen. Für die Anzahlung schuldete die
Klägerin dem Beklagten unter Berücksichtigung des Selbstbehalts von 20% eine
Versicherungsleistung in Höhe von 1.160,- DM. Gezahlt hat die Klägerin insgesamt
2.900,- DM. Den Differenzbetrag von 1.740,- DM oder 889,65 EUR muss der Beklagte
ihr erstatten.
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Der Zinsanspruch folgt aus § 288 Abs. 1 BGB.
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Bei der auf § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO beruhenden Kostenentscheidung war die von der
Klägerin erklärte Teilklagerücknahme zu berücksichtigen. Die Gerichtskosten für das
Berufungsverfahren waren in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang
niederzuschlagen, da diese Kosten nicht entstanden wären, wenn dem Amtsgericht der
festgestellte Verfahrensfehler nicht unterlaufen wäre (§ 8 Abs. 1 Satz 1 GKG). Die
Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus einer entsprechenden
Anwendung von § 710 ZPO; von Anordnungen nach § 711 ZPO wird nach § 713 ZPO
abgesehen, da ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist (§§
543 Abs. 1, 544 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO). Die Voraussetzungen für die
Zulassung der Revision sind nicht gegeben (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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Streitwert für das Berufungsverfahren: 1.112,06 EUR, für die Gerichtskosten jedoch nur
889,65 EUR
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