Urteil des LG Bonn vom 24.10.2007

LG Bonn: pfändung, pfandrecht, zustellung, vergütung, zwangsvollstreckung, drittschuldner, insolvenz, dienstleistung, vollstreckbarkeit, arbeitslohn

Landgericht Bonn, 5 S 44/07
Datum:
24.10.2007
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
5. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 S 44/07
Vorinstanz:
Amtsgericht Bonn, 2 C 373/06
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, Arbeitseinkommen, Pfändung
Normen:
§§ 829, 832 ZPO, §§ 130, 131, 143 Inso
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
Die Pfändung von zukünftigen Arbeitseinkommen wird erst wirksam mit
dem Beginn des Zeitabschnitts nach dem die Vergütung bemessen ist,
mithin bei Kalendermonatlicher Bemessung der Vergütung mit Beginn
des jeweiligen Kalendermonats, in welchem die Arbeitsleistung beginnt.
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird unter Zurückweisung seines
weitergehenden Rechtsmittels das am 27.02.2007 verkündete Urteil des
Amtsgerichts Bonn - 2 C 373/06 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 700, -- € nebst Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
07.11.2005 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben der Beklagte zu 2/3 und der Kläger
zu 1/3 zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beide Parteien dürfen die
Vollstreckung seitens des jeweiligen Vollstreckungsgläubigers durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils
vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige
Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von
110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
G r ü n d e :
1
I.
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Der Kläger, der Insolvenzverwalter über das Vermögen des Herrn G ist, nimmt den
Beklagten auf Rückgewähr von insgesamt 1.050,00 € nebst Zinsen in Anspruch, welche
der Beklagte im Wege der Zwangsvollstreckung erlangt hat.
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Wegen des Sachverhalts wird gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen
ausgeführt: Dem Kläger stehe gegenüber dem Beklagten kein Rückgewähranspruch
aus § 143 Abs. 1 S. 1 InsO zu, da keine anfechtbare Rechtshandlung vorliege. Die
Anfechtungstatbestände der §§ 130 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 131 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 InsO
setzten voraus, dass die angefochtene Rechtshandlung innerhalb der letzten 3 Monate
vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden sei. Nach § 140 Abs. 1 InsO gelte eine
Rechtshandlung als vorgenommen, sobald ihre rechtlichen Wirkungen eingetreten
seien. Im Falle der Forderungspfändung im Rahmen der Zwangsvollstreckung seien
zwei anfechtbare Rechtshandlungen gegeben. Dagegen sei nicht von einem
einheitlichen, mehraktigen Rechtsgeschäft auszugehen, welches erst mit Vollendung
des letzten Teilaktes wirksam werde, weil bereits die Pfändung als eigenständige
Rechtshandlung dem Gläubiger die von §§ 130, 131 InsO vorausgesetzte Sicherheit
gewähre. Die rechtlichen Wirkungen des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses
träten nach § 829 Abs. 3 ZPO mit Zustellung des Beschlusses an die Drittschuldnerin
ein. Die Zustellung als erste Rechtshandlung sei nicht innerhalb des Dreimonats-
Zeitraums vor dem Eröffnungsantrag vom 13.09.2004 eingetreten. Der Beschluss sei am
16.04.2003 ergangen, die Zahlungen der Drittschuldnerin, welche eine vorherige
Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses voraussetzten, seien ab Mai
2003 erfolgt. Die einzelnen Zahlungen vom 30.06.2004, 31.07.2004 und 31.08.2004
seien zwar innerhalb der letzten drei Monate vor dem Eröffnungsantrag erfolgt. Sie
berechtigten dennoch nicht zur Insolvenzanfechtung, weil durch sie keine
Gläubigerbenachteiligung im Sinne des § 129 Abs. 1 InsO eingetreten sei. Dies ergebe
sich daraus, dass Pfändung und Überweisung wirksam und insolvenzbeständig seien
und das Vermögen des späteren Gemeinschuldners aufgrund § 832 ZPO bereits mit der
Entstehung des Pfändungspfandrechts gemindert worden sei. Durch die späteren
Zahlungen der Drittschuldnerin habe der Beklagte als Gläubiger nur das erhalten, was
ihm bereits aufgrund des Pfändungspfandrechts zugestanden habe.
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Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der dieser seinen erstinstanzlichen
Zahlungsantrag weiterverfolgt. Er trägt vor: Das Amtsgericht habe verkannt, dass nach §
140 InsO eine Rechtshandlung als in dem Zeitpunkt als vorgenommen gelte, in dem ihre
rechtlichen Wirkungen eintreten würden. Dies sei bei der Pfändung künftiger
Forderungen der Zeitpunkt, in dem die Forderung entstehe. Entsprechend § 614 BGB
sei davon auszugehen, dass der Vergütungsanspruch des Gemeinschuldners erst mit
Erbringung der Arbeitsleistung monatlich neu entstanden sei, mithin die
Vergütungsansprüche für die Monate Juni, Juli und August 2004 jeweils zum
Monatsende und damit innerhalb von drei Monaten vor Eingang des Antrags auf
Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden seien.
6
Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung seines
erstinstanzlichen Vorbringens und beantragt die Zurückweisung der Berufung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden
Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden und
Unterlagen ergänzend Bezug genommen.
8
II.
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Die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers ist im
zuerkannten Umfang begründet, im Übrigen ist sie unbegründet.
10
1.
11
Dem Kläger steht gegen den Beklagten gemäß §§ 143 Abs. 1 S. 1, 131 Abs. 1 Nr. 1 und
2 InsO ein Anspruch auf Zahlung von (lediglich) 700, -- € zu. Aufgrund des Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses vom 16.04.2003 ist zugunsten des Beklagten
hinsichtlich der seitens der Drittschuldnerin an den Beklagten abgeführten
Einkommensanteile des Schuldners für die Monate Juli und August 2004 kein
insolvenzfestes Pfandrecht entstanden, das eine Anfechtung der geleisteten Zahlungen
ausschließt.
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a)
13
Nach § 131 Abs. 1 Nr. 1 und 2 InsO ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem
Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die
er nicht oder nicht in dieser Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die
Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder
nach diesem Antrag vorgenommen worden ist bzw. wenn die Handlung innerhalb des
zweiten oder dritten Monats vor dem Eröffnungsantrag vorgenommen worden ist und der
Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war. Dabei ist nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine während des Dreimonatszeitraums im
Wege der Zwangsvollstreckung erlangte Sicherung oder Befriedigung als inkongruent
anzusehen, weil dem insolvenzrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der
Krise der Vorrang vor dem Prioritätsprinzip der Einzelzwangsvollstreckung nach § 804
Abs. 3 ZPO gebührt (vgl. etwa BGH, BKR 2003, 434). Daher begründet ein erst im
letzten Monat vor dem Eröffnungsantrag oder während des Dreimonatszeitraums vor
dem Eröffnungsantrag – bei Zahlungsunfähigkeit des Schuldners - wirksam gewordenes
Pfandrecht in der Insolvenz kein anfechtungsfestes Absonderungsrecht nach § 50 Abs.
1 InsO. Sofern das Pfandrecht dagegen vorher entstanden und auch aus sonstigen
Gründen nicht anfechtbar ist, kann die anschließende Befriedigung durch Zahlung nicht
mehr angefochten werden, weil sie die Gläubiger nicht benachteiligt (vgl. Kirchhof in:
Münchener Kommentar zur Insolvenzordnung, 1. Aufl., § 140 Rdnr. 17).
14
b)
15
Die Bestimmung des Zeitpunkts der Vornahme einer Rechtshandlung regelt § 140 InsO.
Nach Absatz 1 dieser Bestimmung kommt es auf den Zeitpunkt an, in dem die
rechtlichen Wirkungen der Handlung eintreten. Eine Forderungspfändung ist gemäß §
829 Abs. 3 ZPO grundsätzlich mit Zustellung des Pfändungsbeschlusses an den
Drittschuldner vorgenommen wenn die übrigen Voraussetzungen für das Entstehen
eines Pfandrechts vorliegen, anderenfalls erst mit deren Eintritt (vgl. Kirchhof, a.a.O.).
Die Pfändung einer künftigen Forderung wird erst mit deren Entstehen wirksam (vgl.
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Becker in: Musielak, ZPO, 5. Aufl., § 829 Rdnr. 17; Eickmann u.a., Heidelberger
Kommentar zur InsO, 4. Aufl., § 140 Rdnr. 4). Dementsprechend hat auch der
Bundesgerichtshof entschieden, dass die Pfändung einer künftigen Forderung
anfechtungsrechtlich in dem Zeitpunkt als vorgenommen gilt, in dem die Forderung
entsteht (vgl. BGH, a.a.O.).
c)
17
Nach diesen Grundsätzen hatte der Beklagte vor dem relevanten Dreimonatszeitraum
zwar ein Pfändungspfandrecht an dem seitens der Drittschuldnerin abgeführten
Einkommensanteil für den Monat Juni 2004 in Höhe von 350, -- € erworben, nicht jedoch
an den für die Monate Juli und August 2004 abgeführten Einkommensanteilen von
jeweils 350, -- €.
18
Der Insolvenzantrag ist am 13.09.2004 beim Amtsgericht Neuwied eingegangen. Die
Dreimonatsfrist begann daher nach § 139 Abs. 1 S. 1 InsO am 13.06.2004.
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Zwar ist, wie das Amtsgericht zu Recht angenommen hat, der Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss vom 16.04.2003 der Drittschuldnerin bereits vor dem
13.06.2004 zugestellt worden. Dies ergibt sich daraus, dass die Drittschuldnerin sich
unstreitig unter dem 30.04.2003 an die Prozessbevollmächtigte des Beklagten gewandt
und dieser mitgeteilt hatte, sie werde beginnend mit dem 01.05.2003 monatlich 350, -- €
überweisen, was dann in der Folge auch geschah. Dieses Verhalten der
Drittschuldnerin ist nur dann verständlich, wenn ihr zuvor der Pfändungs- und
Überweisungsbeschluss zugegangen ist, was von den Parteien auch nicht in Zweifel
gezogen wird.
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Im April 2003 waren die Gehaltsansprüche des Insolvenzschuldners für die Monate Juni
bis August 2004 indes noch nicht entstanden, diese sind vielmehr erst mit Beginn des
jeweiligen Monats entstanden, in welchem die Arbeitstätigkeit zu erbringen war. Soweit
die Auffassung vertreten wird, der arbeitsrechtliche Vergütungsanspruch entstehe
bereits mit Abschluss des Arbeitsvertrages, sei aber hinsichtlich künftiger Bezüge noch
nicht durchsetzbar, d.h. nicht fällig (vgl. etwa Weidenkaff: in Palandt, BGB, 66. Aufl., §
611 Rdnr. 50), bzw. die Gehaltsforderung sei ein bereits bestehender, aber durch die
erst zu leistende Arbeit bedingter Anspruch (vgl. BFH, Urteil vom 12.04.2005, VII R 7/03,
abgedruckt in BB 2005, 1488 ff.), folgt die Kammer dem nicht. Zum einen stellen sich
Gehaltsansprüche als das Entgelt für geleistete Arbeitstätigkeit dar. Hinsichtlich des
Anspruchs auf die Vergütung für geleistete Dienste ist aber anerkannt, dass dieser nicht
vor Erbringung der Dienstleistung entsteht (so schon RGZ 142, 291, 295; vgl. auch BGH
DtZ 1997, 156, 157). Hinzu kommt, dass auch bei Ansprüchen aus sonstigen
Dauerschuldverhältnissen das Recht auf die Leistung grundsätzlich erst mit
Inanspruchnahme der jeweiligen Gegenleistung entsteht; so hat der Bundesgerichtshof
entschieden, dass Mietzinsansprüche nicht vor dem Anfangstermin des jeweiligen
Zeitraums der Nutzungsüberlassung entstehen (vgl. BGH DtZ 1997, 156, 157). Nach
Auffassung der Kammer kann für Gehaltsansprüche des Arbeitnehmers nichts anderes
gelten, auch diese entstehen erst in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang, d.h. mit
Beginn des Zeitabschnitts, nach dem die Vergütung bemessen ist, mithin bei
kalendermonatlicher Bemessung der Vergütung mit Beginn des jeweiligen
Kalendermonats, in welchem die Arbeitsleistung zu erbringen ist. Soweit der Kläger
dagegen meint, Gehaltsansprüche entstünden nach § 614 BGB mit dem Ende des
Monats, in welchem die Arbeitsleistung erbracht worden sei, verkennt er, dass § 614
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BGB nur die Fälligkeit des Vergütungsanspruchs regelt und der Dienstverpflichtete in
der Regel vorleistungspflichtig ist.
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Vorschrift des § 832 ZPO, wonach das
Pfandrecht, das durch die Pfändung einer Gehaltsforderung erworben wird, sich auch
auf die nach der Pfändung fällig werdenden Beträge erstreckt, insbesondere kann
hieraus nicht gefolgert werden, das Pfandrecht an künftigen Gehaltsansprüchen
entstehe bereits mit der Zustellung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
Zweck des § 832 ZPO ist es, bei gleichem Drittschuldner eine Vielzahl von Pfändungen
der einzelnen, jeweils nach einem bestimmten Zeitraum neu entstehenden Forderungen
an wiederkehrenden Bezügen zu vermeiden. Dieser Zweck kann gleichermaßen
erreicht werden, wenn das Pfändungspfandrecht an später entstehenden Bezügen mit
dem Entstehungszeitpunkt des Gehaltsanspruchs erworben wird, m.a.W. die
Gehaltsforderung nur belastet mit dem Pfändungspfandrecht entsteht.
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Im Streitfall ist der Gehaltsanspruch des Schuldners für den Monat Juni 2004 sowie das
Pfändungspfandrecht an diesem mithin am 01.06.2004 entstanden und damit bereits vor
dem am 13.06.2006 beginnenden Dreimonatszeitraum des § 131 InsO. Demgegenüber
sind die Gehaltsansprüche für die Monate Juli und August 2004 erst nach dem
13.06.2004 (nämlich am 01.07.2004 und 01.08.2004) entstanden mit der Folge, dass
auch ein Pfandrecht an diesen erst in dem Dreimonatszeitraum begründet worden ist.
Da der Schuldner zu diesem Zeitpunkt unstreitig bereits zahlungsunfähig war, steht dem
Kläger hinsichtlich des an den Beklagten abgeführten Einkommensanteils des
Schuldners für den Monat Juli 2004 ein Anfechtungsrecht nach § 131 Abs. 1 Nr. 2 InsO
und hinsichtlich des Einkommensanteils für den Monat August 2004 ein solches nach §
131 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu.
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2.
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Der Zinsanspruch folgt aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 BGB.
25
3.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 2. Alt. ZPO, diejenige über die
vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 Abs. 1 S. 1 ZPO.
27
4.
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Die Kammer lässt die Revision nach § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zu, da die Rechtssache im
Hinblick auf die Frage, zu welchem Zeitpunkt an gepfändetem, künftigem Arbeitslohn
ein Pfändungspfandrecht entsteht, grundsätzliche Bedeutung hat.
auf, die in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen auftreten können.
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Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 1.050, -- €
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