Urteil des LG Bonn vom 14.05.2004

LG Bonn: agb, allgemeine geschäftsbedingungen, post, beförderung, paket, vertretungsmacht, vertragsschluss, frachtvertrag, beschränkung, anfechtung

Landgericht Bonn, 10 O 17 / 04
Datum:
14.05.2004
Gericht:
Landgericht Bonn
Spruchkörper:
10. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
10 O 17 / 04
Schlagworte:
Frachtvertrag, Deutsche Post, AGB der Deutschen Post PAKET /
EXPRESS NATIONAL, Vollmachtsbeschränkung, qualifiziertes
Verschulden
Normen:
§§ 56, 407, 428, 429, 431, 435 HGB; 305 b, 305 c BGB, Abschnitt 2 Abs.
2, Abschnitt 6, Abschnitt 8 der AGB der Deutschen Post PAKET /
EXPRESS NATIONAL
Sachgebiet:
Recht (allgemein - und (Rechts-) Wissenschaften
Leitsätze:
1.
Die Deutsche Post schließt mit Privatpersonen auch bei Einlieferung
von sog. Verbotsgut im Sinne von Abschnitt 2 Abs. 2 der AGB der
Deutschen Post PAKET / EXPRESS NATIONAL einen Vertrag über die
Beförderung dieses Verbotsgutes.
2.
Die Vertretungsmacht der Mitarbeiter der Deutschen Post kann im
Außenverhältnis zum gutgläubigen Kunden in Allgemeinen
Geschäftsbedingungen nicht dahingehend eingeschränkt werden, dass
diese Frachtverträge über Verbotsgut nicht schließen können.
3.
Legt die Deutsche Post im Prozess nicht dar, welche organisatorischen
Vorkehrungen sie ergriffen hat, um den Verlust des Paketes zu
vermeiden, so ist von einem qualifizierten Verschulden im Sinne von §§
435, 428 HGB auszugehen.
Tenor:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 25.000 zzgl. Zinsen in
Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem
12.04.2003 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils
zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d :
1
Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen des
Abhandenkommens eines am
2
19. August 2002 bei der Beklagten eingelieferten Pakets.
3
An diesem Tage übergab die Klägerin in der Filiale F einem
dort beschäftigten
4
Mitarbeiter der Beklagten das Paket zur Beförderung, wobei sie
die von der,
5
Beklagten angebotene "Transportversicherung 25.000 Euro" in
Anspruch nahm.
6
Zwischen den Parteien wurde die Geltung der Allgemeinen
7
Geschäftsbedingungen der Deutschen Post PAKET/
EXPRESS NATIONAL
8
(AGB PAKET/ EXPRESS NATIONAL) -im Folgenden: "AGB" -
vereinbart.
9
Diese lauten, soweit sie für den Rechtsstreit von Relevanz sind,
wie folgt:
10
"2 Vertragsverhältnis - Begründung und Abschlüsse
11
(1) Beförderungsverträge kommen vorbehaltlich der Regelung in Absatz 2 durch die
Übergabe von Sendungen durch oder für den Absender und deren Übernahme in
die Obhut der Deutschen Post oder von ihr beauftragter Unternehmen (Einlieferung
bzw. Abholung) nach Maßgabe der vorliegenden AGB zustande. [...]
12
(2) Die Deutsche Post schließt keinen Vertrag über die Beförderung folgender
Sendungen (ausgeschlossene Sendungen); Mitarbeiter der Deutschen Post sind
nicht berechtigt, Beförderungsverträge über folgende Sendungen zu schließen:
13
[...]
14
5. Sendungen mit einem tatsächlichen Wert von mehr als 25.000 Euro; die
Haftungsbeschränkungen gemäß Abschnitt 6 bleiben von dieser Wertgrenze
unberührt;
15
[...]
16
(3) Entspricht eine Sendung hinsichtlich ihrer Beschaffenheit (Größe, Format,
Gewicht, Inhalt usw.) oder in sonstiger Weise nicht den in Abschnitt 1 Abs. 2
genannten Bedingungen oder diesen AGB, so steht es der Deutschen Post frei,
17
1. die Annahme der Sendung zu verweigern oder
18
2. eine bereits übergebene/übernommene Sendung zurückzugeben oder zur
Abholung bereitzuhalten
19
[...]
20
(4) Erlangt die Deutsche Post erst nach Übergabe der Sendung Kenntnis davon,
dass die Sendung ausgeschlossene Güter enthält, oder verweigert der Absender
auf Verlangen der Deutschen Post bei Verdacht auf ausgeschlossene Güter
Angaben dazu, erklärt die Deutsche Post bereits jetzt die Anfechtung des
Beförderungsvertrages wegen Täuschung. [...]
21
6 Haftung
22
(2) [...] Die Deutsche Post haftet ferner nicht für ausgeschlossene Sendung gemäß
Abschnitt 2 Absatz 2."
23
7 Versicherung
24
(2) Vom Versicherungsschutz sind insbesondere nicht gedeckt:
25
1. Sendungen, die gemäß Abschnitt 2 Abs. 2 von der Beförderung ausgeschlossen
sind. [...]
26
8 Verjährung
27
Alle Ansprüche im Geltungsbereich dieser AGB verjähren in einem Jahr. Ansprüche
nach Abschnitt 6 Abs. 1 und nach § 435 HGB i.V. § 414 Abs. 1 S.2 2.Hs HGB
verjähren in drei Jahren. Die Verjährung beginnt mit dem Ablauf des Tages, an dem
die Sendung abgeliefert wurde oder hätte abgeliefert werden müssen.
28
Die Klägerin behauptet - was die Beklagte mit Nichtwissen bestreitet -, dass sich in dem
abhanden gekommenen Paket neun antike Städteansichten sowie acht antike
Landkarten befunden hätten, welche die Klägerin kurz zuvor - unstreitig - an die
Empfängerin des Pakets zu einem Preis von EUR 25.500 verkauft hatte. Die Klägerin
behauptet weiter, der Verkaufspreis entspreche dem Marktpreis. Zum Beleg für den
Verkaufspreis legt die Klägerin die auf den 15. August 2002 datierte Rechnung an die
Empfängerin in Anlage K 2 vor. Die Klägerin behauptet ferner, sie habe sich bei
Einlieferung des Pakets bei dem Mitarbeiter der Beklagten erkundigt, wie sie das Paket
am besten und sichersten verschicken könne. Dieser habe nach dem Wert des Inhalts
gefragt, den die Klägerin mit EUR 25.500 zutreffend angegeben habe. Daraufhin habe
der Mitarbeiter der Klägerin angeraten, die "Transportversicherung 25.000 Euro"
abzuschließen. Bei Verlust des Pakets werde ihr dann zwar nicht der volle Betrag
erstattet, aber ein Betrag in Höhe von EUR 25.000.
29
erstattet, aber ein Betrag in Höhe von EUR 25.000.
Die Klägerin beantragt,
30
die Beklagte zu verurteilen, an sie EUR 25.000 zzgl. 5% Zinsen
über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 12.04.2003 zu
zahlen.
31
Die Beklagte beantragt,
32
33
die Klage abzuweisen.
34
Die Beklagte ist der Ansicht, zwischen den Parteien sei kein Frachtvertrag zustande
gekommen: Gem. Abschnitt 2 Abs. 2 Nr. 5 der AGB sei das Paket von der Beförderung
ausgeschlossen. Hieran ändere der Abschlusses der "Transportversicherung 25.000
Euro" nichts. Denn gem. Abschnitt 7 Abs. 2 Ziffer 1 AGB seien ausgeschlossene
Sendung im Sinne von 2 Abs. 2 der AGB vom Versicherungsschutz nicht gedeckt.
Zudem seien die Mitarbeiter der Beklagten auch nicht bevollmächtigt,
Beförderungsverträge über ausgeschlossene Sendungen abzuschließen, was sich
ebenfalls aus Abschnitt 2 Abs. 2 der AGB ergebe. Es käme daher allenfalls eine
persönliche Haftung des das Paket entgegennehmenden Mitarbeiters als Vertreter ohne
Vertretungsmacht in Betracht.
35
Ferner erhebt die Beklagte die Einrede der Verjährung.
36
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des
Zeugen M.
37
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der
Einzelheiten des Sach-
38
und Streitstandes wird auf das Sitzungsprotokoll vom 26. April
2004 und die
39
gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
40
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
41
Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf
Schadensersatz aus §§ 425 Abs. 1, 428, 435 HGB.
42
I.
43
Durch Einlieferung des Paketes bei der Beklagten ist zwischen den Parteien ein
Frachtvertrag im Sinne von § 407 Abs. 1 HGB zustande gekommen.
44
1.
45
Dem steht Abschnitt 2 Abs. 2 Ziffer 5 der AGB nicht entgegen. Zwar schließt die
Beklagte danach keine Verträge über die Beförderung von Sendungen mit einem
46
tatsächlichen Wert von mehr als EUR 25.000. Dies hinderte indes den Vertragsschluss
nicht. Denn die Beklagte hat von dem Vorbehalt in Abschnitt 2 Abs. 3 Ziffer 1 ihrer AGB,
wonach sie die Annahme solcher Sendung verweigern kann, keinen Gebrauch gemacht
und damit das auf die Beförderung der ausgeschlossenen Sendung gerichtete
Vertragsangebot der Klägerin nicht abgelehnt.
2.
47
Der Frachtvertrag verpflichtete die Beklagte auch unabhängig vom Inhalt der Sendung
zur Beförderung des eingelieferten Pakets.
48
Zu der Frage, welche Auswirkungen Abschnitt 2 Abs. 2 der AGB auf den Inhalt des
Frachtvertrages hat, werden unterschiedliche Ansichten vertreten:
49
a.
50
Die 3. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Bonn vertritt in gefestigter
Rechtsprechung die Auffassung, dass die Beklagte aus dem Frachtvertrag zwar
Beförderung, nicht aber die Beförderung der in Abschnitt 2 Abs. 2 ausgeschlossenen
Güter schulde. Liefere der Kunde nun dennoch - und damit vertragswidrig -
ausgeschlossene Güter ein, so hafte der Kunde der Beklagten auf Schadensersatz; er
habe die Beklagte daher so zu stellen, als hätte er über den Inhalt des Paketes
aufgeklärt und die Beklagte die Beförderung verweigert (vgl. etwa: LG Bonn, Urteil vom
3. Juli 2003, Az.: 14 O 150/02).
51
b.
52
Demgegenüber ist das Oberlandesgericht Köln ohne nähere Begründung anderer
Ansicht: Durch die Einlieferung der Sendung werde ein Frachtvertrag geschlossen,
ohne dass hiermit eine (konkludente) Erklärung über den Inhalt verbunden sei (OLG
Köln, Urteil vom 11. November 2003, Az.: 3 U 44/03).
53
c.
54
Das Gericht schließt sich für den Bereich des Privatkundenverkehrs der Ansicht des
Oberlandesgerichts Köln an. Jedenfalls bei Verträgen mit Privatkunden ist davon
auszugehen, dass Abschnitt 2 Abs. 2 der AGB gem. § 305b BGB durch die vertraglichen
Individualabreden verdrängt wird: Zwar haben Allgemeine Geschäftsbedingungen auch
und gerade die Funktion, die Individualabrede zu konkretisieren. Auslegungsfähigen
und auslegungsbedürftigen Individualabreden kommt keineswegs stets der
Bedeutungssinn zu, der ihnen gänzlich ohne die Einbeziehung von Allgemeinen
Geschäftsbedingungen zukäme. Statt des nächstliegenden Bedeutungssinns kann
ihnen aufgrund von Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Inhalt zuerkannt werden,
wie er mit den AGB-Bestimmungen in Einklang steht. Allgemeine
Geschäftsbedingungen vermögen also in den "Begriffshof" von
Individualvereinbarungen Konturen einzuziehen (Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, § 4
Rdnr. 10). Andererseits darf der in § 305b BGB angeordnete Vorrang der
Individualabrede auch bei konkludenten Vertragserklärungen nicht leerlaufen. Denn in
dieser Vorschrift ist der anerkannte Grundsatz niedergelegt, daß vertragliche
Vereinbarungen, welche die Parteien für den Einzelfall getroffen haben, nicht durch
davon abweichende AGB durchkreuzt, ausgehöhlt oder ganz oder teilweise zunichte
55
gemacht werden können (BGH, Urteil vom Urteil vom 13. Januar 1982, WM 1982, 447
[450]).
Das Gericht vertritt die Ansicht, dass man jedenfalls bei Verträgen mit Privatpersonen für
die Ermittlung des Umfangs der Konkretisierungsmöglichkeiten durch AGB auf die in §
305c BGB getroffene Wertung zurückgreifen muss. Nach § 305c BGB werden
Bestimmungen, die nach den Umstände, insbesondere nach dem äußeren
Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des
Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, nicht Vertragsbestandteil. Für den
vorliegenden Zusammenhang bedeutet dies: Umso mehr sich die von den Allgemeinen
Geschäftsbedingungen gegebene Sinndeutung der Individualerklärungen der
Randzone des "Begriffshofs" nähert, desto eher wird man verlangen müssen, dass auf
die AGB-Bestimmung hingewiesen wird. Ob dies stets besonders und hervorgehoben
geschehen muss (so: Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, § 4 Rdnr. 10), ist in
Grenzfällen eher fraglich. Jedenfalls aber wird man für eine wirksame Konkretisierung in
Allgemeinen Geschäftsbedingungen verlangen müssen, dass der Kunde nach den
Umständen des Vertragsschlusses Anlass dazu hat, die Allgemeinen
Geschäftsbedingungen im Hinblick auf solche Konkretisierungen einzusehen. Der
Vertragsschluss muss also - will der Verwender seine "Konkretisierungsbefugnis" in
AGB nicht verlieren - in einer Weise geschehen, die geeignet ist, dem Kunden sein
Interesse am Inhalt der Allgemeinen Geschäftsbedingungen bewusst zu machen. Das
Procedere bei Vertragsschluss muss ihm nahelegen, dass entsprechende
Konkretisierungen in AGB-Bestimmungen enthalten sein könnten. Hat er hingegen
aufgrund der Umstände bei Vertragsschluss keinen Anlass dazu, mit entsprechenden
AGB-Bestimmungen zu rechnen, so werden diese auch nicht zum Vertragsinhalt.
56
Vorliegend deutete bei Einlieferung nichts auf den Ausschluss bestimmter Sendungen
von der Beförderung hin. Im Gegenteil: Das übliche Procedere bei Einlieferung von
Paketsendungen ist davon geprägt, dass die Mitarbeiter der Beklagten dem Inhalt von
Paketen keinerlei Bedeutung beimessen; so wird nach dem Inhalt eines Paketes
regelmäßig nicht gefragt; die Mitarbeiter der Beklagten nehmen diese schlicht entgegen.
Vor diesem Hintergrund aber kommt dem Inhalt einer eingelieferten Sendung beim
Vertragsschluss eine derart untergeordnete Bedeutung zu, dass jedenfalls Privatkunden
keinen Anlass haben, anzunehmen, die Beklagte würde dem Inhalt der Pakete in den
Allgemeinen Geschäftsbedingungen Bedeutung beimessen. Der allgemeine Hinweis
auf die Geltung Allgemeiner Geschäftsbedingungen reicht dafür nicht aus.
57
d.
58
Das Ergebnis wird gestützt durch die Regelung in Abschnitt 2 Abs. 4 Satz 1 der AGB.
Dort erklärt die Beklagte "bereits jetzt" für den Fall, dass die Einlieferung von
ausgeschlossenen Gütern nachträglich entdeckt wird, die Anfechtung des Vertrages
wegen Täuschung. Dafür bestünde aber keine Veranlassung, wenn ein Vertrag - so wie
die Beklagte meint - aufgrund von Abschnitt 2 Abs. 2 gar nicht zustande gekommen
wäre.
59
2.
60
Der Frachtvertrag ist auch nicht durch eine von der Beklagten erklärte Anfechtung gem.
§§ 123 Abs. 1, 142 Abs. 1 BGB unwirksam.
61
Soweit die Beklagte in Abschnitt 2 Abs. 4 Satz 1 ihrer AGB "bereits jetzt", also zum
Zeitpunkt der Einlieferung der Sendung, die Anfechtung des Frachtvertrages wegen
Täuschung erklärt hat, ist dies unwirksam, weil eine Anfechtungserklärung - wie jede
Gestaltungserklärung - nicht unter einer Bedingung abgegeben werden kann. Dies ist
indes vorliegend der Fall, da die Anfechtung unter der Bedingung der nachträglichen
Kenntniserlangung über die Aufgabe von ausgeschlossenen Sendungen, abgegeben
wird (OLG Köln, Urteil vom 11. November 2003, Az.: 3 U 44/03). Bedingung der
Anfechtungserklärung ist in Abschnitt 2 Abs. 3 Satz 1 der AGB die Kenntniserlangung
und nicht bereits die Einlieferung, was sich aus dem eindeutigen Wortlaut der AGB-
Bestimmung ergibt. Die Bedingung ist aber im Zeitpunkt der Einlieferung noch nicht
eingetreten und nicht etwa nur noch nicht erkannt (vgl. OLG Köln vom 21. Oktober 2003,
Az.: 11 S 6/03). Zudem hat die Beklagte auch eine Arglist der Klägerin nicht
vorgetragen. Für eine solche ist auch nichts ersichtlich.
62
3.
63
Der Vertragsschluss scheiterte auch nicht an der fehlenden Bevollmächtigung des die
Sendung entgegennehmenden Mitarbeiters der Beklagten.
64
a.
65
Die Vertretungsmacht der Mitarbeiter der Beklagten ergibt sich aus § 56 HGB. § 56 HGB
begründet im Interesse des Verkehrsschutzes eine Vermutung für die Erteilung und
einen bestimmten Umfang einer Vollmacht des Ladenangestellten (BGH, Urteil vom 24.
September 1975, NJW 75, 2191; BGH, Urteil vom 4. Mai 1988, NJW 88, 2110). Dieser
gilt als bevollmächtigt zu Verkäufen und Empfangnahmen, die im jeweiligen Ladenlokal
gewöhnlich geschehen. Die Gewöhnlichkeit richtet sich dabei nach der jeweiligen
Branche. "Verkäufe" ist untechnisch gemeint: § 56 HGB deckt also nicht nur die
Vertretungsmacht zum Abschluss von Kaufverträgen, sondern vorliegend auch den
Abschluss von Frachtverträgen durch Mitarbeiter der Beklagten.
66
b.
67
Diese Vertretungsmacht ist seitens der Beklagten in Abschnitt 2 Abs. 2 ihrer AGB nicht
wirksam beschränkt worden. Als Beschränkung des § 56 HGB verstößt die AGB-
Bestimmung gegen § 307 BGB. Sofern (darüber hinaus) durch den Abschnitt 2 Abs. 2
der AGB den Kunden die Kenntnis von einer Beschränkung der Vertretungsmacht im
Innenverhältnis zwischen Beklagter und ihren Mitarbeitern vermittelt werden soll, reicht
dieser Hinweis nicht aus, um das Vertrauen der Kunden in eine Vertretungsmacht zu
erschüttern.
68
(1)
69
Abschnitt 2 Abs. 2 der AGB unterliegt, soweit dadurch die Vollmacht des § 56 HGB
eingeschränkt werden soll, der Kontrolle anhand der §§ 305 ff BGB.
70
Vielfach wird indes die Ansicht vertreten, die Anwendbarkeit des AGB-Rechts scheitere
daran, dass es bei Vollmachtsbeschränkungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen
an einer Vertragsbedingung im Sinne des § 305 Abs. 1 BGB fehle; vielmehr handele es
sich um eine einseitige Erklärung, die keiner Annahme durch den Bevollmächtigten
bedürfe und nur das Innenverhältnis zwischen Vertreter und Vertretenem betreffe (vgl.
71
Weigel, MDR 1992, 728 [729]; Fricke, VerR 1993, 399 [402]; Ulmer/Brandner/Hensen,
AGBG, 7. Auflage, § 4 Rdnr. 32). Dem ist der Bundesgerichtshof entgegengetreten:
Zwar treffe es zu, daß mit der Ausgestaltung des Umfangs einer Vollmacht des
Vollmachtgebers grundsätzlich nur seine eigenen Verhältnisse regele, nicht aber die der
Vertragsgegenseite. Dies verfange jedoch nicht, wenn die Vollmacht eine gesetzliche
Ausgestaltung erfahren habe und der Verwender hiervon in seinen Allgemeinen
Geschäftsbedingungen abweiche (vgl. BGH, Urteil vom 10. Februar 1999, NJW 1999,
1633 [1635] zur Empfangsvollmacht eines Versicherungsagenten). Ähnlich argumentiert
ein Teil der Literatur: Die formularmäßige Beschränkung in AGB greife unmittelbar in die
gesetzlich geschaffene Vertrauensstellung der Geschäftspartners ein; sie betreffe
demgemäß nicht nur die eigenen Verhältnisse des Verwenders, sondern habe
unmittelbar Auswirkungen auf den Geschäftspartner (vgl. z.B. Beckmann, NJW 1996,
1378 [1379]; Schirmer, RuS 1995, 273 [273]; Schwenker, NJW 1992, 343 [346]).
Nach Ansicht des Gerichts bedarf dieser Meinungsstreit keiner Entscheidung, da man in
der Sache über zwei unterschiedliche Funktionen von vollmachtbeschränkenden AGB-
Bestimmungen streitet und sich daher im Ergebnis die beiden Ansichten nicht
widersprechen: Während die einen der AGB-Bestimmung eine rechtsgeschäftliche
Dimension beilegen, diese also als eine Einschränkung von Vertrauensschutznormen
prüfen, sehen die anderen darin lediglich einen Hinweis auf eine Beschränkung der
Vertretungsmacht im Innenverhältnis zum Vertreter (vgl. auch BGH, Urteil vom 14. Juli
1994, NJW-RR 1995, 80-81, wo der Bundesgerichtshof allein diese Dimension betont).
Dies aber steht nicht in Widerspruch zueinander: Vielmehr kann eine
vollmachtsbeschränkende AGB-Bestimmung beide Funktionen erfüllen: Zum einen
kann damit beabsichtigt sein, den Vertrauensschutz der Kunden rechtlich zu
beschneiden, also die Vertrauensschutznormen einzuschränken oder gar
abzubedingen; zum anderen kann beabsichtigt sein, den Vertrauensschutz durch
Kundgabe der wahren Rechtslage faktisch zu zerstören.
72
(2)
73
Vorliegend bleibt die AGB-Bestimmung indes gänzlich funktionslos:
74
Soweit mit der Bestimmung § 56 HGB eingeschränkt werden soll, verstößt die
Bestimmung gegen § 307 BGB und ist nichtig. Denn mit der gesetzlichen Festlegung
des Umfangs der Vertretungsmacht in § 56 HGB trägt der Gesetzgeber den
Bedürfnissen des Verkehrs Rechnung, deren Beeinträchtigung mit wesentlichen
Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu vereinbaren ist (vgl.
Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, § 9 AGBG, Rdnr. S 35; vgl.: BGH, Urteil vom 25.
Februar 1982, WM 1982, 445 [446]; OLG Stuttgart BB 1984, Urteil vom 19. Oktober 1984
2218 [2218 f]).
75
Auch ist allein eine Klausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht geeignet,
durch Kundgabe der Beschränkungen der Vollmachten (im Innenverhältnis) den
Vertrauensschutz aus § 56 HGB zu zerstören. Denn der Verkehr pflegt Allgemeine
Geschäftsbedingungen bei Vertragsschluss nicht einzusehen und ist dazu auch nicht
verpflichtet. Es kann daher nicht ausreichen, daß an irgendeiner Stelle in den AGB auf
die Beschränkung der Vertretungsmacht hingewiesen wird. Will der Verwender die
Vermutung des § 56 HGB widerlegen und dem Kunden im Sinne des § 54 Abs. 3 HGB
bösgläubig machen oder will er die Umstände ausräumen, die für das Bestehen einer
Duldungs- oder Anscheinsvollmacht sprechen, so muß man dafür verlangen, daß der
76
Verwender einen deutlich sichtbaren Hinweis anbringt, aus dem sich die Beschränkung
der Vollmacht unmißverständlich ergibt (vgl. zu dem Parallelproblem der
Schriftformklauseln: Lindacher JR 1982, 1 [3] und Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, §
4 RdNr. 40 sowie Ulmer/Brandner/Hensen, AGB-Gesetz, § 4 RdNr. 35).
II.
77
Das von der Klägerin eingelieferte Paket hatte auch den angegebenen Inhalt. Dies steht
nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Der
Zeuge M hat in glaubhafter Weise bekundet, dass er bei Verpacken des Pakets
zugegen war. Er hat dies nachvollziehbar damit begründet, dass er als Sammler und
früherer Eigentümer der Grafiken dazu da war, das fachgerechte Verpacken der
Grafiken sicherzustellen. Weiter hat der Zeuge ausgesagt, dass er gemeinsam mit der
Klägerin zur Filiale der Beklagten gegangen sei. Dabei hat er von sich aus offen gelegt,
dass er nicht mehr genau wisse, ob dies noch an dem gleichen Tag oder einen Tag
später gewesen sei. An der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen zu zweifeln hat
das Gericht keinen vernünftigen Anlass. Die Aussage ist in sich geschlossen und frei
von Widersprüchen; der Zeuge hat ersichtlich ohne Begünstigungstendenz ausgesagt
und sich erkennbar um die Wahrheit bemüht.
78
III.
79
Die Schadenshöhe ergibt sich aus der von der Klägerin vorgelegten Rechnung (Anlage
K 2). Gem. § 429 Abs. 3 Satz 2 HGB wird vermutet, dass dann, wenn das Gut
unmittelbar vor Übernahme zur Beförderung verkauft worden ist, der in der Rechnung
des Verkäufers ausgewiesene Kaufpreis abzüglich darin enthaltener
Beförderungskosten dem Marktpreis entspricht.
80
IV.
81
Die Beklagte haftet unabhängig von der "Transportversicherung 25.000 Euro"
unbegrenzt. Die Haftung wegen Sendungsverlustes ist nämlich nicht auf die
Höchstbeträge des § 431 Abs. 1 HGB beschränkt, so dass die Beklagte für den Verlust
voll haftet. Die Haftungsbegrenzung in § 431 Abs. 1 HGB gilt gem. § 435 HGB dann
nicht, wenn der Schaden auf eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die
der Frachtführer oder eine in § 428 HGB genannte Person vorsätzlich oder leichtfertig
und in dem Bewusstsein, dass ein Schaden mit Wahrscheinlichkeit eintreten werde,
begangen hat. Ein solcher Fall qualifizierten Verschuldens liegt vor: Die zahlreichen
Fälle des Verlusts wertvollen Beförderungsguts zeigen, dass eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit dahin besteht, dass nicht ausgeräumte Organisationsmängel zu
solchen Schäden führen und Mitarbeiter der Beklagten, für die diese nach § 428 HGB
einzustehen hat, solche Schäden vorsätzlich verursachen (OLG Köln, Urteil vom 11.
November 2003, Az.: 3 U 44/03; LG Bonn, Urteil vom 21. Oktober 2003, 11 S 6/03). Da
der Verlust der Sendung auch während der Beförderung eingetreten ist, traf die Beklagte
nach ständiger Rechtsprechung die prozessuale Obliegenheit, darzulegen, welche
organisatorischen Vorkehrungen sie ergriffen hat, um den Schaden abzuwenden (OLG
Köln, Urteil vom 5. August 2003, Az.: 3 U 28/03). Davon ist auch die Beklagte als
Massengutfrachtführerin nicht befreit (BGH, Urteil vom 15. November 2001 , TranspR
2002, 458 [458]). An entsprechenden Darlegungen seitens der Beklagten fehlt es indes
gänzlich. Der unterlassene Vortrag der Beklagten begründet daher die tatsächliche
Vermutung qualifizierten Verschuldens (BGH, Urteil vom 21. September 2000, TranspR
82
2001, 29 [33f]; OLG Köln, Urteil vom 11. November 2003, Az.: 3 U 44/03; OLG Hamburg,
Urteil vom 25. November 1995, TranspR 1996, 304; LG Bonn, Urteil vom 21. Oktober
2003, 11 S 6/03). Ist damit von einem bewusst leichtfertigen Organisationsverschulden
auszugehen, obliegt es dem Frachtführer zudem, die gegen die Schadensursächlichkeit
sprechende Umstände darzutun. Gelingt ihm dies nicht, so spricht auch hier eine
weitere Vermutung für ein bewusstes Verhalten (OLG Köln, Urteil vom 11. November
.2003, Az.: 3 U 44/03). Da auch insoweit jegliche Darlegungen fehlen, sind die
Voraussetzungen des § 435 HGB erfüllt.
V.
83
Der Schadensersatzanspruch der Klägerin ist auch nicht verjährt. Denn gem. § 439 Abs.
1 Satz 2 HGB beträgt die Verjährungsfrist in den Fällen des § 435 HGB - dies in
Übereinstimmung mit Abschnitt 8 der AGB der Beklagten - 3 Jahre.
84
VI.
85
Die Haftung der Beklagten ist auch nicht durch Abschnitt 6 Abs. 2 Satz 4 der AGB
ausgeschlossen. Diese Bestimmung ist wegen Verstoßes gegen § 449 Abs. 2 Satz 1
HGB unwirksam, weil sie die Haftung der Beklagten auch für den Fall qualifizierten
Verschuldens ausschließt (OLG Köln, Urteil vom 11. November 2003, Az.: 3 U 44/03; LG
Bonn, Urteil vom 21. Oktober 2003, 11 S 6/03).
86
VII.
87
Auch ist der Schadensersatzanspruch nicht durch ein Mitverschulden der Klägerin gem.
§ 254 Abs. 1 BGB gemindert, da vorliegend die Wertgrenze in Abschnitt 2 Abs. 2 Nr. 5
der AGB nur geringfügig überschritten war, so dass bereits nicht davon ausgegangen
werden kann, dass der eingetretene Verlust
88
gerade auf dieser nur geringfügigen Überschreitung der Wertgrenze beruht.
89