Urteil des LG Bochum vom 03.08.2005

LG Bochum: vertragliche haftung, verschulden, schmerzensgeld, klinik, sorgfalt, verkehr, parese, transportunternehmen, rehabilitation, behandlungsvertrag

Landgericht Bochum, 6 O 150/05
Datum:
03.08.2005
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
6. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
6 O 150/05
Nachinstanz:
Oberlandesgericht Hamm, 3 U 182/05
Tenor:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 25.000,00 Euro nebst
Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten oberhalb des
Basiszinssatzes der EZB seit dem 02.05.2005 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 17 % und die
Beklagte 83%.
3. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von
120 % des je-weils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Voll-streckung der Beklagten durch
Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des gesam-ten vollstreckbaren
Betrages abwenden, falls nicht die Beklagte vor Beginn der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu
vollstreckenden Betra-ges leistet.
T a t b e s t a n d
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Die am ##### geborene Klägerin verlangt von der Beklagten Schmerzensgeld aufgrund
eines Vorfalls vom 20.08.2004.
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Die Klägerin befand sich aufgrund einer Chemotherapie nach Magenkrebserkrankung
vom 02.08.2004 an in stationärer Behandlung im T- Hospital, dessen Trägerin die
Beklagte ist. Am 20.08.2004 sollte sie zur Vornahme eines urologischen Konsils ins N-
Hospital verbracht werden. Zur Durchführung des Transports wurde durch den
behandelnden Arzt eine Beförderung mit einem Behelfskrankenwagen angeordnet und
die Streitverkündete als Betreiberin eines Liegemietwagenunternehmens beauftragt.
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Die Mitarbeiter C und C1 der Streitverkündeten wollten den Transport der Klägerin
schließlich durchführen. Als sie jedoch die Klägerin – auf einer Liege mit
schräggestelltem Kopf-/Rückenteil liegend – in den Liegend-Transportwagen
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einschieben wollten, schlug diese mit dem Kopf am Dach des Wagens an.
Hierdurch erlitt die Klägerin eine inkomplette Querschnittssymptomatik mit totaler
Parese beider Beine und des linken Armes sowie teilweiser Parese des rechten Armes.
Wegen der Einzelheiten der erlittenen Verletzung wird auf den mit Schriftsatz vom
01.08.2005 überreichten Bericht der Klinik I vom 24.11.2004 verwiesen. Die Klägerin
wurde deshalb noch am 20.08.2004 zur Weiterbehandlung ins L-Krankenhaus verlegt,
dort an der verletzten Halswirbelsäule operiert und am 02.09.2004 zur Rehabilitation in
die Klinik I in I1 verlegt. Aus der Rehabilitation wurde sie Anfang Dezember 2004 nach
Hause entlassen.
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Nach Ansicht der Klägerin haftet die Beklagte für die aufgrund des Vorfalls
eingetretenen kausalen Schäden. Der Stationsarzt hätte aufgrund des
Gesundheitszustandes der Klägerin eindeutig einen Krankentransport verordnen
müssen, weil nur hier eine Betreuung durch qualifiziertes Personal gewährleistet sei.
Bei der Streitverkündeten sei kein fachlich geschultes Personal vorhanden. Darüber
hinaus sei bekannt, dass die Streitverkündete ungeeignet für Transporte wie den
vorliegenden sei, so dass eine Beauftragung dieser nicht den medizinischen Standards
entspreche und rechtwidrig sei.
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Das Verhalten der Mitarbeiter der Streitverkündeten müsse sich die Beklagte zurechnen
lassen, weil der Krankentransport in unmittelbarem Zusammenhang mit der Behandlung
der Klägerin stehe, in deren Rahmen der Transport nach I2 angeordnet worden sei.
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Seit dem Vorfall sei die Klägerin aufgrund der fast uneingeschränkten Unbeweglichkeit
der Gliedmaßen an den Rollstuhl gefesselt und auf eine Gehhilfe angewiesen. Sie sei
daher nicht mehr in der Lage, die notwendigen Verrichtungen des täglichen Lebens
ohne Hilfe durchzuführen. Aufgrund des allein durch den Vorfall vom 20.08.2004
verursachten und durch die Lähmung eingetretenen Dauerschadens in Form einer
hochgradigen Pflegebedürftigkeit nebst psychischer und physischer Beeinträchtigungen
sei ein Schmerzensgeld von 30.000,00 Euro angemessen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld,
mindestens jedoch 30.000,00 Euro zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5
Prozentpunkten oberhalb des Basiszinssatzes der EZB seit dem 02.05.2005 zu
zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie bestreitet, dass der Vorfall vom 20.08.2004 auf ein schuldhaftes Verhalten der
Mitarbeiter der Streitverkündeten zurückzuführen ist. Dies sei auch zulässig, weil sie
selbst nichts Näheres von dem Vorfall wisse.
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Sie ist des weiteren der Auffassung, sie habe für ein etwaiges Verschulden der
Mitarbeiter der Streitverkündeten weder nach § 278 BGB noch nach § 831 BGB
einzustehen. Sie verfüge über eine Liste, in der Krankenkassen verschiedene
Transportunternehmen in der jeweiligen Region empfehlen. In dieser sei auch die
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Streitverkündete genannt, weshalb diese von der Beklagten auch regelmäßig mit
derartigen Transporten beauftragt werde. Dementsprechend habe sich die Beklagte
darauf verlassen dürfen, dass die Streitverkündete für den streitgegenständlichen
Transport geeignet sei.
Darüber hinaus sei die Streitverkündete nicht Erfüllungsgehilfin der Beklagten. Zwar
hafte sie im Rahmen der für den Patienten bestehenden Fürsorgepflicht
selbstverständlich dafür, dass die von ihr angeordnete Krankenbeförderung in einer Art
und Weise vonstatten gehe, welche der konkreten Situation und insbesondere dem
gesundheitlichen Zustand des Patienten angemessen sei. Der Transport in ein anderes
Krankenhaus zur Durchführung einer Konsiliaruntersuchung könne jedoch – ebenso
wie die Konsiliaruntersuchung an sich – nicht von dem Behandlungsvertrag mit umfasst
sein. Insoweit sei ein eigenständiger Personenbeförderungsvertrag zwischen der
Klägerin und der Streitverkündeten zustande gekommen.
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Die Verordnung einer Krankenbeförderung mittels Behelfskrankenwagen, d.h.
Liegendtransport ohne medizinisch technische Ausstattung und medizinisch-fachliche
Betreuung, sei zwar geboten, aber auch ausreichend gewesen. Außerdem bestehe
insoweit kein Zusammenhang zwischen einer vermeintlich fehlerhaften ärztlichen
Anordnung zur Beförderung mit dem Behelfskrankenwagen und dem bei der Klägerin
eingetretenen Schaden.
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Schließlich sei das geltend gemachte Schmerzensgeld unter Berücksichtigung der
vorgetragenen Beeinträchtigungen nicht gerechtfertigt. Insoweit sei nicht
auszuschließen, dass die Beeinträchtigungen ggf. ganz oder teilweise Folge der
primären Krebserkrankung seien.
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Wegen der weitergehenden Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird gem. § 313 II
2 ZPO auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug
genommen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlich Umfang begründet. Im Übrigen ist sie
unbegründet.
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Der Klägerin steht gegenüber der Beklagten gem. §§ 280 I, 278, 253 II BGB ein
Schmerzensgeldanspruch in Höhe von 25.000,00 Euro zu.
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Die Mitarbeiter der Streitverkündeten haben schuldhaft eine ihnen obliegende Pflicht
verletzt. Im Rahmen des Beförderungsvertrages hatten sie dafür Sorge zu tragen, die
Klägerin wohlbehalten an den ihnen vorgegebenen Bestimmungsort zu verbringen
(Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2005, § 631 Rn 248). Dies ist vorliegend nicht
geschehen, was gleichzeitig eine Pflichtverletzung beweist.
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Dabei haben die Mitarbeiter C und C1 beim Einschieben der Klägerin in den
Krankentransport die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen (§ 276
BGB). Soweit die Beklagte bestreitet, dass der Vorfall vom 20.08.2005 auf ein
schuldhaftes Verhalten der Mitarbeiter der Streithelferin zurückzuführen ist, so ist dies
unerheblich. Nach § 280 I 2 BGB wird bei einer vertraglichen Pflichtverletzung ein
Verschulden vermutet. Es wäre hier also Sache der Beklagten, darzulegen und
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nachzuweisen, dass die Mitarbeiter der Streitverkündeten gerade nicht schuldhaft
gehandelt haben. Zudem dürfte auch ein Beweis des ersten Anscheins dafür sprechen,
dass die beiden Fahrer nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet haben, als
sie die Klägerin in das Fahrzeug schieben wollten.
Soweit die Beklagte meint, sie könne zu den tatsächlichen Geschehnissen am
20.08.2004 nichts Näheres sagen, geht dies jedenfalls unter Berücksichtigung des §
280 I 2 BGB nicht zu Lasten der Klägerin.
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Die Beklagte muss sich das schuldhafte Verhalten der für die Streitverkündete tätigen
Mitarbeiter C und C1 gem. § 278 BGB zurechnen lassen. Diese sind bei ihrer Tätigkeit
Erfüllungsgehilfen der Beklagten gewesen. Erfüllungsgehilfe ist, wer nach den
tatsächlichen Gegebenheiten des Falles mit dem Willen des Schuldners bei der
Erfüllung einer diesem obliegenden Verbindlichkeit als seine Hilfsperson tätig wird
(Palandt-Heinrichs, 63. Aufl. 2004, § 278 Rn 7).
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Der Transport der Klägerin zu der Konsiliaruntersuchung war Bestandteil des sich aus
dem Behandlungsvertrag zwischen den Parteien ergebenden Pflichtenkreis der
Beklagten. Im Rahmen dieses Vertrages war die Beklagte gegenüber der Klägerin
verpflichtet, die notwendige Konsiliaruntersuchung vornehmen zu lassen und damit
auch den dafür erforderlichen Transport zu organisieren und durchzuführen. Hierfür
spricht bereits, dass die Beklagte diejenige war, die den Transport in Auftrag gab, ohne
dass die Klägerin in irgend einer Weise Einfluss darauf oder auf die Durchführung des
Transports hatte.
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Darüber hinaus müsste sich die Beklagte als Krankenhausträgerin im Rahmen eines
totalen Krankenhausvertrages sogar ein etwaiges Verschulden eines konsiliarisch
hinzugezogenen Arztes zurechnen lassen (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 15.03.1990,
Az. 14 U 38/87), so dass dies erst Recht auch für ein etwaiges Verschulden des
beauftragten Transportunternehmens gelten muss.
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Da nach § 278 BGB fremdes Verschulden zugerechnet wird, kommt es auf ein etwaiges
eigenes (Auswahl-)Verschulden der Beklagten hier nicht an. Inwiefern die Beklagte also
bei der Auswahl der Streitverkündeten als Transportunternehmen die im Verkehr
erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen hat, ist daher vorliegend für eine vertragliche
Haftung der Beklagten unerheblich.
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Unter Berücksichtigung der von der Klägerin unstreitig durch den Vorfall am 20.08.2004
erlittenen Verletzungen ist nach Auffassung der Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe
von 25.000,00 Euro ausreichend und angemessen. Hierbei ist zwar die nicht
unerhebliche Vorerkrankung der Klägerin mit zu berücksichtigen, die nach den Angaben
im Bericht der Klinik I bereits dazu geführt hat, dass die Klägerin unabhängig von dem
streitgegenständlichen Vorfall bereits gesundheitlich nicht unerheblich beeinträchtigt
war. Unstreitig war die Klägerin jedoch zuvor in ihrer Beweglichkeit in keiner Weise
eingeschränkt. Diese Beeinträchtigungen sind objektiv nachvollziehbar und nicht
substantiiert bestritten auf die am 20.08.2004 erlittenen Verletzung zurückzuführen.
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Soweit die Beklagten geltend macht, dass nicht auszuschließen sei, dass die
inzwischen eingetretene Pflegebedürftigkeit zumindest auch auf die Vorerkrankung
zurückzuführen sei, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Das ausgeurteilte
Schmerzensgeld rechtfertigt sich bereits aufgrund der jedenfalls nicht auf die
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Vorerkrankung zurückzuführenden massiven Bewegungseinschränkungen.
Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 291, 288 I BGB.
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Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 I 1, 708 Nr. 11, 709 S.1, 2, 711 ZPO.
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