Urteil des LG Bochum vom 29.04.2009

LG Bochum: veröffentlichung des urteils, gemeinschaftsrecht, behandlung, steuerberater, einspruch, eugh, verjährungsfrist, mandat, gebühr, steuerpflicht

Landgericht Bochum, 3 O 398/08
Datum:
29.04.2009
Gericht:
Landgericht Bochum
Spruchkörper:
3. Zivilkammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
3 O 398/08
Tenor:
Unter Klageabweisung im übrigen wird die Beklagten verurteilt, an den
Kläger zu Händen des Notars S, K, # X, auf sein Notaranderkonto bei
der D, BLZ #, Konto-Nr. #, folgende Beträge zu zahlen:
1. 14.568,46 Euro nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten
über dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2008;
2. 226,40 Euro nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2008;
3. 755,80 Euro nebst Jahreszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über
dem Basiszinssatz seit dem 26.01.2008.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/4 und die Beklagte
zu ¼.
Das Urteil ist für die jeweilige Partei gegen Sicherheitsleistung in Höhe
von 120 % der zur Vollstreckung anstehenden Kosten vorläufig voll-
streckbar.
T a t b e s t a n d :
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Die Beklagte, die über mehrere Jahre für den Kläger steuerberatend tätig war und u.a.
die umsatzsteuerlichen Vorgänge der Veranlagungszeiträume 1996 bis 2001 bearbeitet
hat, wird vom Kläger aus dem Gesichtspunkt der Verletzung steuerberaterlicher
Pflichten im Zusammenhang mit der Behandlung von Umsätzen aus
Geldspielautomaten mit Gewinnspielmöglichkeit in Anspruch genommen, wobei
Gegenstand der Klage in der Hauptsache zwischenzeitlich nur noch Schäden durch die
steuerliche Behandlung besagter Umsätze aus dem Zeitraum 2001 in Höhe von
14.568,33 € sind, während der Kläger weiter behauptete Schäden für die
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Veranlagungszeiträume 1996 bis 2000 nur hilfsweise zur Rechtfertigung seines
Klagebegehrens anführt. Ursprünglich hatte der Kläger im Mahnverfahren kumulativ
sämtliche Schäden geltend gemacht und Forderungen in Höhe von insgesamt
57.511,63 € gestellt, eine ursprüngliche Kostennachricht des Amtsgerichts Hagen vom
07.02.2008 (Bl. 19 d.A.) zunächst aber nicht beantwortet, sondern sich sodann erst
wieder mit einem Fax vom 17.07.2008 gemeldet und um eine neue Kostenanforderung
gebeten, weil er nunmehr die einzelnen Schadensjahre haupt- und hilfsweise staffele
was zu einer Verringerung des Gegenstandswertes führe (Bl. 20 d.A.).
Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte ihre steuerberaterlichen Pflichten
fehlerhaft erfüllt habe, weil sie auf einen Beschluss des Bundesfinanzhofs vom
30.11.2000, veröffentlich BFH/NV 2001, 657, nicht reagiert und insbesondere nicht dafür
gesorgt habe, dass die Bescheide über die Umsatzsteuer, mit denen nach
vorangegangenen Umsatzsteuerjahreserklärungen jeweils der Vorbehalt der
Nachprüfung gem. § 164 Abs. 3 AO aufgehoben worden sei, nicht bestandskräftig
würden.
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Der Kläger stellt dar, dass sich entgegen der nationalen Rechtslage und der
Besteuerungsnorm in § 4 Nr. 9 b) UStG alter Fassung aufgrund der Entscheidung des
Europäischen Gerichtshofs vom 17.02.2005 (veröffentlicht u.a. Bundessteuerblatt II
2005, 617) die Behandlung steuerbarer Umsätze bei – so auch vom Kläger betriebenen
– Geldspielautomaten mit Gewinnmöglichkeit verändert habe, und zwar dergestalt, dass
diese Umsätze nicht mehr steuerbar seien. Der Europäische Gerichtshof
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habe einen Verstoß des nationalen Besteuerungsrechts gegen übergeordnetes
Gemeinschaftsrecht (Art. 13 Teil B f) der 6. EG-Richtlinie (77/388/EWG) festgestellt. Dies
habe die Beklagte noch vor den Zeitpunkten, zu denen die Umsatzsteuerbescheide, die
den Vorbehalt der Nachprüfung aufgehoben hätten, ergangen seien, erkennen und
entsprechend der veränderten Rechtslage gegen die Bescheide zumindest Einspruch
einlegen müssen mit dem Ziel, die Verfahren zunächst bis zu abschließenden
höchstrichterlichen Entscheidungen und eventuellen nationalen gesetzgeberischen
Reaktionen zum Ruhen zu bringen.
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Zur Darstellung der Entwicklung macht der Kläger zunächst Ausführungen in Bezug auf
den früheren Streitstand über die Bemessungsgrundlage steuerbarer Umsätze in den
Fällen, in denen seinerzeit nach dem Kasseninhalt besteuert worden sei
(Vorlagebeschluss des FG Hamburg an den EuGH, DStR 93, 43), stellt dann aber
darauf ab, dass der Bundesfinanzhof mit der Entscheidung vom 30.11.2000 bereits
davon ausgegangen sei, dass für die Aufstellung von Geldspielgeräten mit
Gewinnmöglichkeit keine Umsatzsteuer entstehe. Hintergrund war der Umstand, dass
Spielbanken nicht der Besteuerung unterlagen und dass man insoweit im Hinblick auf
die Geldspielgeräte mit Gewinnmöglichkeiten eine Diskrepanz zur Rechtslage bei
Automatenaufstellern mit entsprechenden Geräten gesehen habe, wobei der BFH den
Konflikt dahin gelöst habe, eine Umsatzsteuerpflicht generell abzulehnen, um somit die
Automatenaufsteller im Ergebnis den Spielbanken gleichzustellen. Der Kläger legt
weiter dar, dass sich im zeitlichen Anschluss (nicht im thematischen Anschluss) das
Finanzgericht Münster mit dem Urteil vom 26.10.2001, veröffentlicht DStRE 2002, 704,
ebenfalls für die mangelnde Steuerbarkeit der betreffenden Geldspielumsätze
entschieden habe, was die Aufmerksamkeit der Beklagten zu diesem Zeitpunkt
ebenfalls hätte erregen müssen. Anschließend sei es dann zum Vorlagebeschluss des
Bundesfinanzhofs vom 06.11.2002 (VR 7/02) an den EuGH, veröffentlicht DStRE 2003,
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179, gekommen und schließlich zur Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom
17.02.2005, der den Verstoß des nationalen Umsatzsteuerrechts mit der
übergeordneten zitierten Gemeinschaftsrichtlinie festgestellt habe. Die Beklagte habe
sich auf diesen Verstoß gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht unmittelbar berufen
können und gestützte darauf sodann Einsprüche einlegen können. Die Entwicklung sei
für sie zu verfolgen gewesen, wenn sie die erforderlichen Entscheidungen hinreichend
beachtet hätte. Da der Bundesfinanzhof mit Entscheidung vom 23.11.2006 festgestellt
habe, dass eine rückwirkende Steuerbefreiung nicht mehr eintreten könne, sei der
Schaden endgültig entstanden.
Der Kläger macht unter Abänderung der ursprünglichen Anspruchskumulation wie im
Mahnverfahren – wie bereits dargestellt – zwischenzeitlich hauptsächlich den Schaden
aus der Versteuerung von Umsätzen des Zeitraums 2001 geltend, den er zu Nr. 1 der
Klageanträge aus der Anspruchsbegründung vom 09.10.2008 mit 14.568,46 € beziffert.
Wegen der Darstellung wird auf die Anspruchsbegründung nebst Anlagematerial Bezug
genommen. Das gleiche gilt für die hilfsweise vom Kläger angebrachten
Schadensbeträge – resultierend aus den Zeiträumen 1996 bis 2000.
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Mit dem Klageantrag zu 2) verfolgt der Kläger Ersatz der ihm entstandenen
Aufwendungen durch die Tätigkeit des Steuerberaters G, der die Schadensbeträge
eruiert und dafür ausweislich der Honorarnote vom 16.11.2007 (Anlage K 16, Bl. 110
d.A.) betreffend das Jahr 2001 netto 1.132,00 € Gebühren verlangt habe .
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Schließlich verlangt der Kläger mit der Klage zu 3) Ersatz für die Kosten durch die
außergerichtliche Inanspruchnahme seines jetzigen Prozessbevollmächtigten bei der
Verfolgung der Ansprüche u.a. durch Schriftsatz vom 19.11.2007 mit
Leistungsaufforderung entsprechend der Darstellung Seite 18 des Schriftsatzes vom
09.10.2008, auf die verwiesen wird.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn zu Händen des Notars S, K, # X, auf sein
Notaranderkonto bei der D, BLZ # Konto-Nr.: #,
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1. 14.568,46 Euro
2. 1.132 Euro
3. 755,80 Euro
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jeweils nebst Zinsen in Höhe von 8 % Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit (das ist der 26.01.2008) zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, dass ihr bereits eine Verletzung der Pflichten als Steuerberaterin
nicht vorzuwerfen sei. Zunächst einmal sei nicht zu beanstanden, dass sie in den
Umsatzsteuervoranmeldungen entsprechend dem nationalen Recht die entsprechenden
steuerbaren Umsätze angenommen habe, da zunächst das nationale Recht zu
beachten gewesen sei und bis zur eindeutigen Klärung der Rechtslage entsprechend
der Vorgang zu behandeln gewesen sei. Sie meint auch, es stehe noch nicht endgültig
fest, ob überhaupt dem Kläger der behauptete Schaden endgültig entstanden sei, da die
Frage der Rückerstattung letztendlich noch nicht geklärt sei. Sie ist weiterhin unter
Bezugnahme auf eine Entscheidung des OLG Hamm vom 23.05.2007 – 25 U 42/06 –
(Anlage B 3) der Auffassung, dass sich frühestens mit der Veröffentlichung des BFH-
Beschlusses vom 30.11.2000 eine Änderung der Rechtslage abgezeichnet habe,
wogegen diese Entscheidung allerdings in der vom Steuerberater nicht zu beachtenden
Zeitschrift BFH/NV erfolgt sei. Letztlich sei die Rechtsfrage erst mit dem Urteil des
Bundesfinanzhofes vom 12.05.2005 entschieden worden. Der steuerliche Berater habe
nur das Bundessteuerblatt und die von der Steuerberaterkammer herausgegebene
Zeitschrift Deutsches Steuerrecht (DStR) zu lesen, weitere Zeitschriften habe die
Beklagte nicht abonniert und müsse dies auch nicht. Erst das Urteil des Europäischen
Gerichtshofes und das nachfolgende Urteil des Bundesfinanzhofes vom 12.05.2005
seien in der Zeitschrift DStR veröffentlicht worden, was sie, die Beklagte dann auch zum
Anlass genommen habe, ihre Mandanten diesbezüglich über die Änderung der
Rechtslage und daraus zu ziehende Konsequenzen zu informieren. Zu diesem
Zeitpunkt hätten aber die dem Kläger gegenüber obliegenden Pflichten ihrerseits bereits
geendet, da das Mandatsverhältnis bereits beendet gewesen sei.
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Weiterhin verweist die Beklagte darauf, dass etwaige Schadensersatzansprüche des
Klägers, selbst wenn ihr eine Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre, bereits verjährt seien,
was sie im einzelnen mit näherer Begründung ausführt, auf die verwiesen wird.
Schließlich beanstandet die Beklagte im einzelnen mit weiter Begründung die
Gebührenansätze des Steuerberaters G (Klage zu 2) und im Hinblick auf
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die außergerichtlichen Kosten (Klage zu 3) den Ansatz des 1,3-fachen der Gebühr statt
des 0,65–fachen. Weiter verweist die Beklagte auf den unzutreffenden Ansatz eines
Zinssatzes von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz unter Bezugnahme auf § 288
Abs. 2 BGB.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten
Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Das Gericht hat den Parteien im Hinblick auf die von ihm eingeschätzte Rechtslage im
Termin umfassend mündliche Hinweise erteilt, auf deren Protokollierung verzichtet
worden ist und die sich in den nachfolgenden Entscheidungsgründen widerspiegeln.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist im wesentlichen Umfang mit Abstrichen bei der verlangten Höhe des
Zinssatzes und beim Klageantrag zu 2) begründet. Die Beklagte haftet dem Kläger für
eingetretene Schäden aus dem Gerichtspunkt der Verletzung steuerberaterlicher
Pflichten gemäß § 280 Abs. 1 S. 1, 249 BGB. Da nach Ansicht des Gerichts der
hauptsächlich geltend gemachte Schaden in Bezug auf die Umsätze im Jahre 2001
erfolgreich geltend gemacht wird, beschränken sich die Darstellungen im Urteil
grundsätzlich auf die diesbezüglichen Rechtsfragen.
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Die Rechtslage bei der Behandlung von Umsätzen aus Geldspielautomaten mit
Gewinnmöglichkeit war eindeutig erst mit der Entscheidung des Europäischen
Gerichtshofes vom 17.02.2005 (C 757/02 und C 462/02 Bundessteuerblatt II 2005, 617)
aufgrund des Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofes vom 06.11.2002 (VR 7/02),
veröffentlicht DStRE 2003, 179. Mit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes
stand fest, dass das bis dahin geltende nationale Recht des § 4 Nr. 9 b UStG a.F.,
nämlich die Versteuerung von Umsätzen aus Geldspielautomaten mit
Gewinnmöglichkeit, gegen höherrangiges Gemeinschaftsrecht verstieß, nämlich Artikel
13 Teil B f) der 6. EG-Richtlinie (77/388/EWG). Da die zitierte Entscheidung des EuGH
erst im Jahre 2005 veröffentlicht wurde, konnte die Beklagte sie noch nicht
berücksichtigen, als der für die Umsätze 2001 relevante Bescheid der Finanzbehörde
am 25.03.2004 ging (Anlage K 15, Blatt 108 d.A.), mit dem in Bezug auf die am
06.11.2002 eingegangene Umsatzsteuer-Jahreserklärung der Vorbehalt der
Nachprüfung gemäß § 164 Abs. 3 AO aufgehoben wurde. Dieser Bescheid war deshalb
relevant, da mit Eintritt seiner Bestandskraft eine Änderung der
Umsatzsteuerjahreserklärung nicht mehr möglich war. Es kommt demnach darauf an, ob
die Beklagte bereits vor dem besagten Zeitpunkt Anlass hatte, rechtzeitig, nämlich
spätestens mit Erlass des vorbezeichneten Bescheides vom 25.03.2004, den Kläger auf
eine evtl. sich abzeichnende Änderung der Rechtslage in der Steuerbarkeit von
Umsätzen aus Geldspielautomaten hinzuweisen und in Erfüllung ihrer
steuerberaterlichen Pflichten zur Gewährung bestmöglichen effektiven Rechtschutzes
auf die Notwendigkeit der Einlegung eines Einspruchs gegen den vorbezeichneten
Bescheid hinzuweisen (zum Pflichtenkreis: BGH, Urteil vom 07.05.1992, IX ZR 151/91;
BGH, Urteil vom 20.11.1997, IX ZR 62/97; BGH, Urteil vom 16.02.1995, Az.: IX ZR
15/94; OLG Stuttgart, Urteil vom 23.02.1990, Az. 2 U 296/88), und zwar unter
Darstellung der Kostenlage und der Kosteneffizienzgesichtspunkte bei der Einlegung
des Einspruchs. Nach Ansicht des Gerichts hatte indessen die Beklagte Anlass zu einer
entsprechenden Beratungsleistung gegenüber dem Kläger, die bei Annahme der
Vermutung beratungsgerechten Verhaltens dazu geführt hätte, dass der Kläger sich für
die Einlegung des Einspruchs entschieden hätte. Die dadurch ausgelösten
Gebührentatbestände hätten nämlich im Vergleich zur wesentlich stärker zu Buche
schlagenden steuerlichen Ersparnis bei Wegfall der steuerbaren Umsätze vernünftiger
Weise die Einlegung des Einspruchs als erfolgreich erscheinen lassen.
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Bis zu den bereits zitierten höchstrichterlichen Entscheidungen gab es in den Jahren
zuvor Anhaltspunkte auf eine Veränderung der Steuerbarkeit der Umsätze aufgrund der
Entscheidung des Bundesfinanzhofes am 30.11.2000, die jedoch nur in der
Entscheidungssammlung BFH/NV 2001, 657 veröffentlicht worden ist. Die Beklagte
lässt mit guter Begründung darauf hinweisen, dass es nicht zu ihren
Informationspflichten gehört habe, ihre laufenden Recherchen auf diese
Entscheidungssammlung auszurichten. Auch das erkennende Gericht tendiert in diese
Richtung, weist aber zugleich darauf hin, dass es letztendlich für die Entscheidung der
hier anstehenden Rechtsfragen auf diesen Gesichtspunkt nicht ankommt. Soweit es auf
die Veröffentlichungszeitpunkte ankommt, aus der Sicht des Beraters und der ihm zur
Verfügung stehenden Erkenntnisquellen die relevante zeitliche Betrachtungsweise, gab
es nach der Entscheidung des Bundesfinanzhofes das Urteil des Finanzgerichtes
Münster vom 26.10.2001 (5 K 4280/00 U), das – relevant – in der Zeitschrift DStRE
2002, 704 veröffentlicht war, und zwar unter der plakativen Überschrift "Umsätze mit
Geldspielautomaten sind steuerfrei", die beim Lesen der Zeitschrift ohne weiteres für
den steuerlichen Berater eine nicht mehr zu übersehende Signalwirkung hatte. Jene
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Entscheidung des Finanzgerichtes Münster war instanzlich die Vorentscheidung zur
späteren Revisionsentscheidung des Bundesfinanzhofes vom 06.11.2002 (VR 7/02),
DStRE 2003, 179. (Dabei handelte es sich um den Vorlagebeschluss an den
Europäischen Gerichtshof.) Der Veröffentlichung des Finanzgerichtes Münster war
bereits zu entnehmen, dass gegen die Entscheidung des Finanzgerichts Revision
eingelegt worden war und dass diese unter dem Aktenzeichen des BFH VR 7/02 geführt
wurde. Für den Berater, der angesichts der Entscheidung des Finanzgerichts Münster
die Chance gesehen hat, dass sich die Rechtslage im Hinblick auf die steuerbaren
Umsätze ändern könnte, bot die Entscheidung des Finanzgerichts in veröffentlichter
Form genügend Anhaltspunkte dafür, unter dem Aktenzeichen des Bundesfinanzhofes
weiter zu recherchieren, wobei allgemein zur Verfügung stehende und auch beim
Steuerberater vorauszusetzende Recherchemöglichkeiten etwa im Internet oder über
entsprechende Datenbanken die Möglichkeit eröffneten, das entsprechende
Vorlageverfahren beim Bundesfinanzhof später zu identifizieren, wenn die Rechtslage
im Auge behalten würde.
Die Entscheidung des Finanzgerichtes Münster war nach Überzeugung des
erkennenden Gerichts bereits eine von der Beklagten zu beachtende Entscheidung,
denn den Entscheidungen des bezirklich zuständigen Finanzgerichts kommt im
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zweigliedrigen finanzgerichtlichen Instanzenzug mindestens die Bedeutung zu, die etwa
Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Zivilrechtsweg beizumessen ist. Dem
Stellenwert entsprechend wird häufig – so auch hier – in DStR veröffentlicht, wobei die
hier anstehende Thematik besonders prägnant war und einen ganzen Berufszweig in
der Unterhaltungsindustrie traf, damit einen hohen Stellenwert hatte.
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Die Entscheidung des Finanzgerichtes selbst war allerdings für die Beklagte noch kein
Anlass, bei den Umsatzsteuer-Voranmeldungen steuerbare Umsätze aus den
Geldspielautomaten nicht zu deklarieren, da sie sich damit zunächst in Widerspruch zu
dem (noch als geltend angenommenen) nationalen Recht im Umsatzsteuerrecht gesetzt
hätte. Zum damaligen Zeitpunkt wäre es (worauf die Beklagte zutreffend hinweist und
wie es auch das Oberlandesgericht Hamm gesehen hat) bedenklich gewesen, bereits
von einer Nichtsteuerbarkeit der Umsätze auszugehen. Mit anderen Worten löste das
Finanzgericht Münster mit seiner Entscheidung praktisch eine warnende Wirkung aus.
Die Rechtslage war fortan vom steuerlichen Berater aufmerksamer und detaillierter zu
verfolgen, da die etwaigen Auswirkungen bei einer Änderung der Rechtslage bis hin
zum Wegfall der Steuerpflicht als erheblich einzustufen waren. Die Beklagte musste
also die Fortentwicklung der Rechtssprechung in den Folgemonaten und Folgejahren
besonders aufmerksam verfolgen, wenngleich sie in den Umsatzsteuer-
Voranmeldungen als solche keine Veränderungen vorzunehmen hatte. Soweit die
Beklagte des Weiteren inhaltlich auf Entscheidungen des OLG Hamm im Urteil vom
23.05.2007 abstellt, kann sie für die hier in Frage stehenden Anschlussfragen daraus
keine entlastende Wirkung herleiten, denn das Oberlandesgericht hatte sich in zeitlicher
Hinsicht mit einer anderen Rechtslage und insbesondere einer anderen
Rechtssprechungslage zu beschäftigen, als sie hier in Frage steht. Die Vorgänge hier
betreffen zeitlich spätere Vorgänge, weil sie sich auf die Rechtslage zum Zeitpunkt des
Erlasses des bereits zitierten Bescheides vom 25.03.2004 konzentrieren.
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Damit wäre die Beklagte nach Ansicht des Gerichts bereits aufgrund der
Veröffentlichungshinweise des Finanzgerichtes Münster in der Lage gewesen, den
Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes vom 06.11.2002 aufzufinden. Letztlich kann
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jedoch auch die Frage der Recherchemöglichkeiten dahingestellt bleiben, denn
schließlich wurde der Vorlagebeschluss selbst (VR 7/02) in der Zeitschrift DStRE 2003,
179 veröffentlicht. Spätestens damit bestanden für die Beklagte ausreichende
Erkenntnismöglichkeiten und es bestand Anlass zu reagieren. Inhaltlich bot der
Vorlagebeschluss des Bundesfinanzhofes genügend Anhaltspunkte, einer etwaigen
Nichtsteuerbarkeit der besagten Umsätze Bedeutung beizumessen und die
Erfolgsaussichten durchaus gut einzustufen, den Mandanten entsprechend zu beraten
und auf die Möglichkeit der Einspruchseinlegung bei vergleichsweise geringem
Kostenrisiko aber erheblicher steuerlicher Ersparnis hinzuweisen.
Vergeblich verweist die Beklagte darauf, dass sie nach Veröffentlichung des Urteils des
Europäischen Gerichtshofes vom 17.02.2005 wegen der Mandatsbeendigung keinen
Anlass gesehen habe, noch einmal mit dem Kläger Kontakt aufzunehmen, da
inzwischen das Mandat geendet habe. Wann das Mandat nun tatsächlich endete
(aufgrund eines neuen Schriftsatzes des Klägers streitig, aber nicht Gegenstand der
Entscheidungsfindung) kann dahingestellt bleiben, denn nicht erst zum Zeitpunkt der
Veröffentlichung des Europäischen Gerichtshofes hatte die Beklagte Anlass, sich an
den Kläger mit der Möglichkeit einer Einspruchseinlegung zu wenden. Vielmehr
bestand Anlass dazu bereits nach Bekanntwerden des Vorlagebeschlusses des
Bundesfinanzhofes vom 06.11.2002 im Jahre 2003.
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Im übrigen ist das erkennende Gericht der Auffassung, dass die Beklagte auch bei
Mandatsbeendigung weiter verpflichtet gewesen wäre, den Kläger (oder aber den
neuen steuerlichen Berater) auf die Notwendigkeit der Geltendmachung des
Rechtsbehelfes hinzuweisen, und zwar in Bezug auf Umsatzsteuer-Voranmeldungen,
die sie selbst gefertigt hatte. Insoweit geht das Gericht grundsätzlich von ähnlichen
Erwägungen aus, wie sie auch für die anwaltliche Haftung gelten. Hintergrund ist der
Umstand, dass bei Mandatswechsel in der Steuerberatung sehr häufig (insbesondere
dann, wenn der Mandant mit Leistungen des Steuerberaters nicht zufrieden war) die
Befürchtung besteht, dass allein aufgrund des Wechsels des Beraters Zustände
geschaffen werden, die der Verfolgung der steuerlichen Interessen des Mandanten
widrig entgegenstehen. Es passiert beispielsweise nach Erfahrung des entscheidenden
Gerichts gerade in Bezug auf Haftpflichtprozesse gegen Steuerberater nicht selten, dass
es zum Streit über die Herausgabe von Handakten oder Datenmaterial kommt und das
Zurückbehaltungsrechte geltend gemacht werden, die dazu führen können, dass die
notwendige, aber fehlende Kenntnis von Datenmaterial der wirksamen Ausübung von
Rechten entgegensteht. Derartige Konstellationen können schnell eintreten, wenn der
Mandant die Bezahlung von Honorarrechnungen zurückhält und der Berater
entsprechend auf Zurückbehaltungsrechte zugreift. Der neue steuerliche Berater kann
schnell in die prekäre Situation geraten, dass er wegen Unkenntnis des Datenmaterials
aus der Vergangenheit nicht in der Lage ist zu überblicken, in Bezug auf welche
steuerbaren Vorgänge, Bescheide und anderes er welche Maßnahmen ergreifen muss.
Geht es dabei um Vorgänge, die noch der ausgeschiedene steuerliche Berater
bearbeitet hat und die bei drohenden Fristversäumnissen weiter bearbeitet werden
müssen, muss insbesondere dann, wenn in Bezug auf solche Vorgänge von dem alten
Berater keine Rechte des Mandanten wirksam ausgeübt werden können oder werden
dürfen (§ 242 BGB) Maßnahmen getroffen werden, um die Rechtsverfolgung zu
gewährleisten. Aus Sicht des Gerichts ist dies nur möglich, wenn der ausgeschiedene
Berater auch nach Mandatsende erhebliche Veränderungen in der Rechtslage im Auge
behält und entsprechend vorsorglich Hinweise erteilt. Dies gilt umso mehr im
vorliegenden Fall, in dem es um den Wegfall des kompletten steuerlichen Umsatzes
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gehen kann. Das ursprüngliche Mandat beinhaltet insoweit Nachwirkungen, da sich hier
aufgrund des Eintritts in der Änderung der Rechtslage Umstände ergeben, die für die
Weiterbehandlung und das Schicksal der Umsatzsteuer-Voranmeldungen aus der
früheren beratenden Tätigkeit von entscheidender Bedeutung sind.
Zusammenfassend bestand die Pflichtverletzung der Beklagten demnach darin, dass
sie aufgrund der Veröffentlichung des Vorlagebeschlusses des Bundesfinanzhofes vom
06.11.2002 an den Europäischen Gerichtshof (DStRE 2003, 179) dem Mandanten nicht
empfahl gegen den zu erwartenden Bescheid vom 25.03.2004, mit dem der Vorbehalt
der Nachprüfung aufgehoben wurde, Einspruch einzulegen. Der Vermutung
beratungsgerechten Verhaltens entsprechend hätte sich der Kläger für die
Einspruchseinlegung im Hinblick auf die Chance erheblicher Ersparnisvorteile
entschieden. Die Kausalität der Pflichtverletzung im Verhältnis zum eingetretenen
Schaden ist daher anzunehmen. Weiterhin ist davon auszugehen, dass sich die
Finanzbehörde darauf eingelassen hätte, das Verfahren ruhend zu stellen (wie es später
in entsprechend vergleichbaren Fällen tatsächlich auch geschehen ist). Auf diese Weise
wäre die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für den hier in Frage stehenden
Umsatzsteuerzeitraum relevant geworden und die Steuerpflicht wäre entfallen, der
Eintritt des Schadens wäre vermieden worden. Die Schadenshöhe als solche, die der
Kläger mit Anlagen belegt hat, ist unbestritten. Daher ist zur Klage zu 1) von dem
erkannten Betrag auszugehen.
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Die Beklagte kann sich nicht auf den Eintritt der Verjährung berufen.
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Ansprüche gegen den steuerlichen Berater verjährten früher gemäß § 68
Steuerberatungsgesetz StBerG a.F. in drei Jahren. Stellt man für den Zeitpunkt der
Pflichtverletzung zunächst auf den unterlassen Einspruch gegen den
Umsatzsteuerbescheid vom 25.03.2004 ab, der als am 28.03.2004 zugestellt galt, würde
die sog. Primärverjährung bis zum 28.03.2007 laufen (dabei stellt das Gericht zunächst
einmal auf die Betrachtungsweise der Beklagten ab – ungeachtet des Streits zwischen
den Parteien, ob überhaupt der 28.03.2007 maßgeblich ist). Nach altem
Verjährungsrecht traf die Beklagte als sekundäre Beratungspflicht die Hinweispflicht auf
die drohende Verjährung der gegen sie gerichteten Ansprüche (sog. sekundäre
Pflichtverletzung), wobei sie nach Ansicht des Gerichts mit der Veröffentlichung der
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 17.2.2005 (Bundessteuerblatt II
2005, 617) Anlass hatte, auf die drohende Verjährung hinzuweisen. Denn aufgrund
dieser Entscheidung stand nunmehr der Verstoß nationalen Rechts gegen
höherrangiges Gemeinschaftsrecht fest. Im Ergebnis würde sich daher wegen
sekundärer Pflichtverletzung die Verjährungsfrist bis in das Jahr 2008 hinein
"verlängern".
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Aufgrund des langen Laufs dieser Verjährungsfrist nach altem Recht gilt
Übergangsrecht gemäß Artikel 229 § 12 I EGBGB, wobei (von allgemeinen Regelungen
des EGBGB abweichend) der maßgebliche Stichtag der 15.12.2004 ist. Die
Verjährungsfrist läuft dann kürzer als nach altem Recht am 14.12.2007 ab.
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Den Antrag auf Erlass des Mahnbescheides ließ der Kläger unter dem 14.12.2007
anbringen, wobei die Verjährung gehemmt wurde, § 202 Abs. 1 S. 3 BGB, 167 ZPO. Die
Hemmung der Verjährung endete nicht gem. § 202 Abs. 2 BGB. Die letzte Handlung des
Gerichts war, wie im Termin mit den Parteien anhand des Akteninhalts erörtert, die
Vorschussanforderung vom 07.02.2008 (Blatt 19 d. GA). Zwar bat der Klägervertreter
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dann erst unter dem 17.07.2008 um die neue Kostennachricht, da er nunmehr die
Ansprüche nicht mehr kumulierend geltend machte, sondern nach Haupt- und
Hilfsansprüchen unter Reduzierung des Streitwertes staffelte. Dieser Antrag vom
17.07.2008 ging jedoch noch vor Ablauf von 6 Monaten nach der Vorschussanforderung
vom 07.02.2008 am 21.07.2008 bei Gericht ein. Im Ergebnis sind damit die zur
Entscheidung anstehenden Ansprüche nicht verjährt. Die Klage ist zu Ziffer 1) des
Klageantrags begründet, wobei allerdings im Hinblick auf die geltend gemachten
Prozesszinsen die Beklagte zu Recht darauf verweist, dass gemäß § 288 Abs. 2 BGB
nur 5 Prozentpunkte über den Basiszinssatz maßgebend sind. Insoweit war die darüber
hinausgehende Klage abzuweisen.
Eine deutliche Kürzung des geltend gemachten Klageanspruchs zu 2) ist angebracht im
Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten Kosten für die Tätigkeit des neuen
steuerlichen Beraters G bei der Ermittlung und Feststellung des Schadens, somit bei
den Kosten notwendiger Rechtsverfolgung. Die Materie ist insoweit kompliziert für den
Laien, so dass sich der ohnehin sich steuerlicher Beratung bedienende Kläger auch
insoweit steuerlich beraten lassen durfte, um seine Ansprüche zu verfolgen. Jedoch sind
die Kostenansätze gemäß § 22 StBerGebV nicht zu rechtfertigen.
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Dazu kann zunächst auf die Ausführungen des Beklagten verwiesen werden. Eine
(schriftliche) gutachterliche Ausführung zur Feststellung des Schadens hat die
Klägerseite mit der Rechnung nicht vorgelegt, wie sie auch sonst auf die Einwände der
Beklagten insoweit nicht eingegangen ist (§ 138 I – III ZPO). Soweit es die Tätigkeit des
Beraters G angeht, hat sich dieser ausweislich der vorgelegten Rechnung nur mit der
Berechnung der Umsatzsteuer"erstattungen" befasst, nicht ein Rechtsgutachten zu
Haftungsfragen erstellt, was ggfs. den höheren Gebührenansatz hätte rechtfertigen
können. Bei der reinen Feststellung zu viel gezahlter Umsatzsteuerbeträge sind daher
die Überlegungen, die die Beklagte angestellt hat, zutreffend. Diese Feststellungen
bedeuteten keinen besonderen Aufwand, der gemäß § 22 zu vergüten wäre. Vielmehr
handelt es sich um eine Tätigkeit, die dem Gebührenrahmen des § 24 Abs. 1 Nr. 8
StBerGebV vergleichbar ist und mit 1/10 bis 8/10tel abgegolten wird, wobei im
Allgemeinen die Mittelgebühr in Höhe 4/10tel angemessen erscheint. Bei einem Wert
von 14.568,00 Euro ergibt dies netto 226,40 Euro; die Klägerseite beschränkt sich auf
eine Nettoabrechnung.
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Auch hierauf sind nur 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz an Zinsen zu zahlen.
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Bezüglich der Klage zu 3) hat die Klägerseite nach eben so hohem Wert den Betrag
richtig auf 755,80 Euro berechnet bei Ansatz des 1,3-fachen der Gebühr. Insoweit wird
auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (NSW ZPO § 91 vom 22.01.08 – VIII ZP
57/07 – verwiesen. Die Geschäftsgebühr entsteht in besagter Höhe, nur die spätere
gerichtliche Verfahrensgebühr wird entsprechend gemindert. Auch hierauf sind Zinsen
in Höhe von nur 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu entrichten.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, wobei zu berücksichtigen war, dass der
Kläger mit Einreichung der Anspruchsbegründung gewollt den Streitwert reduzieren
wollte und nunmehr nur noch einmalig die Zahlung von 14.568,46 Euro (sowie
notwendige Kosten der Rechtsverfolgung, 1.132,00 Euro) bezogen auf die
Umsatzsteuervorgänge 2001 geltend gemacht hat. Da das Rechtschutzbegehren
diesbezüglich eingeschränkt worden ist, im Mahnverfahren die Ansprüche jedoch
kumulierend geltend gemacht wurden, ergibt sich bei der Kostenberechnung eine
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entsprechende Quotierung, wie erkannt.
Die Vollstreckbarkeitsentscheidungen beruhen auf § 709 S. 1 ZPO.
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