Urteil des LG Arnsberg vom 16.10.2008

LG Arnsberg: anhörung, bewährung, verzicht, widerruf, laden, strafrichter, schweigen, verurteilter, nichterfüllung, verfahrensmangel

Landgericht Arnsberg, 2 Qs 89/08
Datum:
16.10.2008
Gericht:
Landgericht Arnsberg
Spruchkörper:
2. Große Strafkammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
2 Qs 89/08
Vorinstanz:
Amtsgericht Meschede, 8 Ds 125/08 Bew
Schlagworte:
Gelegenheit zur mündlichen Anhörung
Normen:
§ 453 ABs. 1 StPO
Leitsätze:
Vor dem Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung wegen gröblichen
und beharrlichen Verstoßes gegen Auflagen bzw. Weisung muss das
Gericht dem Verurteilten ausreichend Gelegenheit zur mündlichen
Anhörung geben.
Das Schweigen des Verurteilten auf ein Anschreiben des Gerichts
("Falls Sie eine mündliche Anhörung wünschen, teilen Sie dies bitte
umgehend dem Gericht mit. Sodann wird ein Termin zur Anhörung
bestimmt.") kann nicht als Verzicht auf sein Anhörungsrecht ausgelegt
werden.
Der Verurteilte ist grundsätzlich zu einem vom Gericht bestimmten
Anhörungstermin zu laden. Von der mündlichen Anhörung darf nur bei
einem ausdrücklichen und eindeutigen Verzicht des Verurteilten
abgesehen werden.
Tenor:
Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 25. September 2008
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Meschede vom 16. September
2008 hat die 2. Große Strafkammer des Landgerichts Arnsberg am 16.
Oktober 2008 durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht,
den Richter am Landgericht und
die Richterin am Landgericht
nach Anhörung der Staatsanwaltschaft beschlossen:
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten des Beschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht – Strafrichter
- Me-schede zurückverwiesen.
G r ü n d e :
1
I.
2
Der Beschwerdeführer ist durch Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Meschede vom
25.04.2008 wegen Diebstahls und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt worden, deren
Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist.
3
Wegen eines Verstoßes gegen Auflagen bzw. Weisungen hat die Staatsanwaltschaft
den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung beantragt. Das Amtsgericht hat den
Verurteilten mit Schreiben vom 21.08.2008 darüber in Kenntnis gesetzt und weiter
ausgeführt: "Vor einer Entscheidung über diesen Antrag wird Ihnen Gelegenheit zur
Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zugang dieses Schreibens gegeben. Falls
Sie eine mündliche Anhörung wünschen, teilen Sie dies bitte umgehend dem Gericht
mit. Sodann wird ein Termin zur Anhörung bestimmt."
4
Durch Beschluss vom 16.09.2008 hat das Amtsgericht die Strafaussetzung zur
Bewährung aus dem Urteil vom 25.04.2008 widerrufen. Dagegen richtet sich der
"Einspruch" des Verurteilten.
5
II.
6
Die sofortige Beschwerde ist gemäß § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO, § 56 f StGB statthaft und
fristgerecht gemäß § 311 Abs. 2 StPO eingelegt worden. Sie hat in der Sache zumindest
vorläufig Erfolg.
7
Der angefochtene Beschluss ist wegen eines schwerwiegenden Verfahrensfehlers
aufzuheben. Das Amtsgericht hat die Strafaussetzung zur Bewährung wegen Verstoßes
gegen Auflagen bzw. Weisungen gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 bzw. 3 StGB widerrufen,
ohne dem Verurteilten zuvor ausreichend Gelegenheit zur mündlichen Anhörung
gegeben zu haben.
8
Nach § 453 Abs.1 Satz 3 StPO soll das Gericht dem Verurteilten Gelegenheit zur
mündlichen Anhörung geben, wenn es über einen Widerruf der Strafaussetzung wegen
Verstoßes gegen Auflagen oder Weisungen gemäß § 56 f Abs. 1 Nr. 2 und 3 StGB zu
entscheiden hat. Der Verurteilte soll dadurch Gelegenheit erhalten, den Vorwurf zu
entkräften, er habe gegen Auflagen oder Weisungen gröblich oder beharrlich verstoßen.
Zwar handelt es sich bei der durch das 23. Strafrechtsänderungsgesetzes vom 13. 4.
1986 (BGBl I, 393 ff.) geänderten Bestimmung um eine Sollvorschrift. Diese ist jedoch
dahin aufzufassen ist, dass generell eine mündliche Anhörung für den Fall des
9
Widerrufs einer Strafaussetzung zur Bewährung wegen Verstoßes gegen Auflagen oder
Weisungen zu erfolgen hat. Dadurch sollte nach dem Willen des Gesetzgebers dem
Umstand Rechnung getragen werden, dass ein Verurteilter beachtenswerte Gründe für
die Nichterfüllung von Auflagen oder Weisungen haben kann, aber nicht in der Lage ist,
diese Gründe schriftlich in einer das Gericht überzeugenden Weise darzustellen. Die
Ausgestaltung als Sollvorschrift eröffnet deshalb dem Gericht nicht etwa nur die
Möglichkeit, sondern begründet gleichzeitig seine Pflicht zur mündlichen Anhörung, von
der nur ausnahmsweise aus schwerwiegenden Gründen abgesehen werden kann
(vgl.OLG Hamm, NStZ 1987, 247; Meyer-Goßner, StPO, § 453, Rdnr. 7 m.w.N.)
Als schwerwiegender Grund für die Nichtdurchführung einer mündlichen Anhörung
kommt allenfalls ein Verzicht des Verurteilten auf das Anhörungsrecht in Betracht. Ein
solcher setzte aber voraus, dass der Verurteilte ausdrücklich und eindeutig erklärt, er
wolle nicht mündlich angehört werden. Bestehen hingegen Zweifel an der
uneingeschränkten Ablehnung des Verurteilten, sich einer mündlichen Anhörung zu
stellen, so muss sich das mit dem Widerruf befasste Gericht wegen des
Ausnahmecharakters des Absehens von der mündlichen Anhörung zunächst die
Überzeugung verschaffen, ob der Verurteilte wirklich nicht mündlich angehört werden
will (vgl. OLG Karlsruhe, StV 2003, 344; OLG Schleswig, Beschluss vom 18.12.2006, 2
Ws 516/06).
10
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Zwar hat das Amtsgericht in dem
Schreiben vom 21.08.2008 dem Verurteilten Gelegenheit zur Stellungnahme binnen
zwei Wochen gegeben und hinzugefügt: "Falls Sie eine mündliche Anhörung
wünschen, teilen Sie dies bitte umgehend dem Gericht mit. Sodann wird ein Termin zur
Anhörung bestimmt." Der Verurteilte hat auf dieses – nicht förmlich zugestellte -
Schreiben nicht reagiert. Das Schweigen des Verurteilten kann nicht als Verzicht auf
sein Anhörungsrecht ausgelegt werden. Die Nichtbeantwortung der Frage kann vielerlei
Gründe haben, insbesondere auf Nachlässigkeit oder Gleichgültigkeit beruhen. Ein
ausdrücklicher und eindeutiger Verzicht kann daraus nicht hergeleitet werden. Der
Hinweis des Amtsgerichts an den Verurteilten, er könne einen mündlichen
Anhörungstermin beantragen, würde im Übrigen dem vorbeschriebenen
Regelungsgehalt des § 453 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht gerecht. Der Verurteilte ist
vielmehr grundsätzlich zu einem vom Gericht bestimmten Anhörungstermin zu laden
(OLG Karlsruhe, a. a. O, OLG Schleswig, a.a.O.; LG Saarbrücken, NStZ-RR 00, 245; LG
Berlin, NStZ 1989, 245; Thüringer OLG, Beschluss vom 03.05.2006, 1 Ws 87/06;
Karlsruher Kommentar zur StPO, §§ 453, Rdnr. 7 ff).
11
Der Verfahrensmangel führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur
Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht. Denn in den Fällen der sofortigen
Beschwerde verliert der Verurteilte sonst eine Instanz (einhellige obergerichtliche
Rechtsprechung, vgl. Meyer-Goßner, § 453, Rdnr. 15 m.w.N.; zuletzt OLG Hamm, NStZ-
RR 2008, 189).
12