Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 18.08.2005

LArbG Mainz: anhörung, dringender tatverdacht, wichtiger grund, begründung der kündigung, verdachtskündigung, fristlose kündigung, untersuchungshaft, arbeitsgericht, prozess, straftat

LAG
Mainz
18.08.2005
4 Sa 386/05
Verdachtskündigung
Aktenzeichen:
4 Sa 386/05
3 Ca 2111/04
ArbG Trier
Entscheidung vom 18.08.2005
Tenor:
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 05.04.2005 - 3 Ca 21111/04 -
abgeändert:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der
Beklagten vom 17.11.2004 nicht aufgelöst worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Beklagten auferlegt.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Parteien streiten um die Berechtigung einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen
Verdachtskündigung. Der Kläger ist seit Oktober 1985 als Gemeindearbeiter bei der Beklagten
beschäftigt. Aufgrund tariflicher Vorschriften ist er ordentlicher nicht mehr kündbar.
Am 06.11.2004 wurde die Ehefrau des Klägers tot aufgefunden. Der Kläger, welcher in Tatverdacht geriet,
ein Tötungsdelikt zum Nachteil seiner Ehefrau begangen zu haben, wurde am 08.11.2004 vorläufig
festgenommen und befindet sich seit dieser Zeit in Untersuchungshaft. Am 16.11.2004 gab die
Staatsanwaltschaft T. bekannt, der Verdacht habe sich gegen den Kläger erhärtet. Die Beklagte erfuhr
hiervon am 17.11.2004 aus der Tageszeitung. Sie sprach darauf hin ohne vorherige Anhörung des
Klägers mit Schreiben vom 17.11.2004 die außerordentliche Kündigung aus mit der Begründung, der
Kläger stehe unter dringendem Verdacht, ein Tötungsdelikt begangen zu haben. Dieser Verdacht habe
sich aufgrund der durchgeführten DNA-Analyse erhärtet.
Die Kündigung ging dem Kläger am 19.11.2004 zu. Hiergegen richtet sich die am 03.12.2004 beim
Arbeitsgericht Trier eingegangene Kündigungsschutzklage des Klägers. Nachdem die Problematik der
vorherigen Anhörung im Gütetermin erörtert worden war, hat die Beklagte unter dem 23.12.2004 den
Kläger schriftlich in der Untersuchungshaft angehört.
Mittlerweile ist gegen den Kläger ein Urteil des Landgerichts T. ergangen, dem zufolge er wegen Mordes
zu lebenslanger Haft verurteilt worden ist. Das Urteil ist nach Revisionseinlegung durch den Kläger noch
nicht rechtskräftig.
Der Kläger hat beantragt,
1. es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche
Kündigung vom 17.11.2004, zugestellt nicht vor dem 18.11.2004 nicht aufgelöst worden ist, sondern
darüber hinaus fortbesteht,
2. die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat sich auf den Standpunkt gestellt, eine Anhörung sei unzumutbar und daher entbehrlich.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und im Wesentlichen ausgeführt, ein wichtiger Grund für
eine fristlose Kündigung liege vor, wenn ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter ein vorsätzliches
Tötungsdelikt begehe. Dies gelte auch im Falle eines dringenden Tatverdachtes eines vorsätzlichen
Tötungsdeliktes oder sogar Mordes. Der dringende Tatverdacht werde hier bestätigt durch die
Verdachtsgründe gegen den Kläger, die zum Zeitpunkt der fristlosen Kündigung vorlagen. Sie seien so
erdrückend hoch, dass eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verurteilung des Klägers sprach. Eine
vorherige Anhörung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung sei nicht erforderlich. Gegen den Kläger
sei durch Haftbefehl Untersuchungshaft angeordnet worden, der einer Überprüfung des Haftgrundes
vorauszugehen habe. Die Anordnung der Untersuchungshaft dürfe nur erfolgen, wenn unter anderem ein
dringender Tatverdacht bestehe, der durch richterliche Entscheidung festzustellen sei. Es ist nicht
anzunehmen, dass eine nochmalige Anhörung des Klägers durch die Beklagte neue Gesichtspunkte zu
Tage bringen würde, zumal es sich um eine Straftat handele, die sich außerhalb des Bereichs der
Beklagten ereignet habe.
Gegen das dem Kläger am 09.05.2005 zugestellte Urteil richtet sich die am 11.05.2005 eingelegte
Berufung. Der Kläger hat seine Berufung mit am 04.07.2005 eingegangenem Schriftsatz begründet. Der
Kläger bestreitet einen wichtigen Kündigungsgrund, er habe das Tötungsdelikt nicht begangen, im
Übrigen sei er nicht ordnungsgemäß angehört worden. Zwar habe im nachhinein die Beklagte versucht
den Kläger anzuhören, es könne jedoch die streitbefangene Kündigung nicht mehr wirksam machen.
Letztendlich sei der Kläger auch nicht durch die berechtigte Behörde gekündigt worden, Arbeitgeber sei
die Verbandsgemeinde K. und nicht die Beklagte.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des arbeitsgerichtlichen Urteils festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 17.11.2004, zugestellt nicht vor dem 18.11.2004
nicht aufgelöst worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Sie nimmt Bezug auf die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf vom 13.08.1998, wonach eine Anhörungspflicht des betroffenen Arbeitnehmers nur bestehe,
wenn sie auch zumutbar sei. Ihr sei eine vorherige Anhörung vor der Verdachtskündigung nicht
zuzumuten. Im Übrigen sei sie Arbeitgeber.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den
vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren,
verwiesen. Weiter wird verwiesen auf die Feststellungen zum Sitzungsprotokoll vom 18.08.2005.
Entscheidungsgründe:
I.
Die Berufung des Klägers ist zulässig, sie ist insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet
worden (§§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG i. V. m. § 520 ZPO).
Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
II.
Die außerordentliche Kündigung vom 17.11.2004 ist rechtsunwirksam.
Die Kündigung ist nicht durch einen wichtigen Grund bedingt.
Die Beklagte hat sich zur Begründung der Kündigung ausschließlich auf den dringenden Tatverdacht
bezogen, der Kläger habe seine Ehefrau vorsätzlich getötet bzw. ermordet. Sie hat nicht die Tatbegehung
als solche zur Begründung einer außerordentlichen Kündigung herangezogen. Die Erklärung im
Kündigungsschreiben vom 17.11.2004 ist eindeutig. Sie ist von der zuständigen Arbeitgeberin, das ist
ausweislich der vorliegenden Arbeitsverträge ausschließlich die Ortsgemeinde der Beklagten und nicht
etwa die Verbandsgemeinde, ausgesprochen worden. Damit erweist sich die Auffassung des Klägers,
nicht die richtige Arbeitgeberin habe das Arbeitsverhältnis gekündigt, als unzutreffend. Gleichwohl ist die
außerordentliche Kündigung nicht durch einen wichtigen Grund bedingt.
Die Auffassung des Arbeitsgerichts mag zutreffend sein, dass im Falle eines vorsätzlichen Tötungsdeliktes
eines Beschäftigten im öffentlichen Dienst, es dem Arbeitgeber in der Regel unzumutbar ist, ihn weiter zu
beschäftigen und dass dies unter Umständen auch dann anzunehmen ist, wenn lediglich der dringende
Tatverdacht, der hier durch Tatsachen erhärtet ist, vorliegt.
Die Wirksamkeit der in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts anerkannten Verdachtskündigung
setzt aber voraus, dass der Arbeitgeber alles zur Aufklärung des Sachverhaltes Zumutbare getan hat.
Hierzu gehört regelmäßig eine vorherige Anhörung desjenigen, gegen den der Verdacht einer strafbaren
Handlung besteht. Die vorherige Anhörung ist grundsätzlich Wirksamkeitsvoraussetzung für eine
Verdachtskündigung. Es entspricht der Besonderheit des wichtigen Grundes der Verdachtskündigung, die
Erfüllung der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers zur Voraussetzung für die Zulässigkeit einer
Verdachtskündigung zu erheben. Verletzt der Arbeitgeber diese Pflicht schuldhaft, kann er sich im Prozess
nicht auf den Verdacht einer strafbaren Handlung berufen. Die Anhörungspflicht soll gewährleisten, dass
der Arbeitgeber die Einlassung des verdächtigten Arbeitnehmers bei seiner Willensbildung
berücksichtigen kann. Deshalb kann sie grundsätzlich nicht von einem erst nachträglich ermittelnden
Ergebnis einer hypothetischen Anhörung abhängig gemacht werden. Lediglich wenn der Arbeitnehmer
von vornherein nicht bereit ist, sich zu dem gegen ihn erhobenen Vorwürfen substantiiert zu äußern und
so nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken, kann dem Arbeitgeber keine schuldhafte
Verletzung der Anhörungspflicht vorgeworfen werden. Die Anhörung wäre dann nur ein überflüssiger
Versuch zur Aufklärung des Sachverhaltes gewesen, weil sie zur Willensbildung des Arbeitgebers nichts
Substantielles hätte beitragen können.
Diese Annahme liegt einmal dann vor, wenn dem Arbeitgeber bekannt ist, dass der Arbeitnehmer die
Vorwürfe pauschal bestreitet. Die von vornherein fehlende Bereitschaft des Arbeitnehmers durch eine
konkrete Stellungnahme an der Aufklärung mitzuwirken, kann sich aber auch aus dem späteren Verhalten
ergeben. Nur insoweit sind auch nach Ausspruch der Kündigung oder im Prozess ermittelte Umstände zu
berücksichtigen, sofern sie sich nicht als völlig neue, nach der Kündigung eintretende Tatsachen sondern
als Indizien für eine vom Arbeitgeber von vornherein bezweifelte Aufklärungsbereitschaft darstellen.
Unerheblich ist dagegen, wie der Arbeitgeber oder später das Gericht die Einlassung sachlich beurteilt
hätte.
Ist also der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit, sich zu den Verdachtsgründen substantiiert zu
Ist also der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit, sich zu den Verdachtsgründen substantiiert zu
äußern, trifft den Arbeitgeber kein Verschulden an der unterbliebenen Anhörung. Gleiches gilt, wenn die
Anhörung für ihn unzumutbar ist (vgl. BAG Urt. v. 30.04.1987 - 2 AZR 283/86 - in NZA 1987, 699-700).
Unter Beachtung vorbezeichneter Kriterien war die Anhörung des Klägers im vorliegenden Falle nicht
entbehrlich, wie vom Arbeitsgericht angenommen. Zwar ist zutreffend, dass ein dringender Tatverdacht
schon die Voraussetzung für die Anordnung einer Untersuchungshaft ist und im Rahmen des
Haftprüfungsverfahrens der Kläger Gelegenheit hatte, zu den Verdachtsgründen Stellung zu nehmen.
Dies kann allerdings nicht gleichgesetzt werden mit den Wirkungen, die eine von der Beklagten
durchgeführte Anhörung des Klägers hätte haben können. Unter Umständen hätte der Kläger Gelegenheit
gehabt, der Beklagte Tatsachen vorzutragen, die die Beurteilung der Unzumutbarkeit der
Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Feststellen einer rechtskräftigen Verurteilung anders hätten
ausfallen lassen.
Der Beklagten war es auch nicht unmöglich, den Kläger in der Untersuchungshaft anzuhören, wie die
problemlos nach dem Hinweis in der Güteverhandlung erfolgte Anhörung des Klägers gezeigt hat.
Auch die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf im Urteil vom 13.08.1998 (- 13 Sa 345/98 -
in NZA RR 1999, 640-641) lässt keine andere Bewertung zu. In jedem Verfahren ging es ersichtlich um
einen manifestierten Tatverdacht bei Delikten zum Nachteil des Arbeitgebers. Wenn unter diesen
Voraussetzungen von einer unterbliebenen Anhörung eine zur Entlastung führende Stellungnahme des
Arbeitnehmers nicht zu erwarten war und unter Berücksichtigung der Inhaftierung eine Anhörung
entbehrlich gewesen sei, betraf dies einen anders gelagerten Sachverhalt. Es ist in der Tat nicht zu
erwarten, dass ein Arbeitnehmer, der eine Straftat zum Nachteil seines Arbeitgebers bestreitet, in der
Anhörung zur Verdachtskündigung für sich überzeugende Umstände vorbringt. Der Sinn und Zweck der
durch Haftbefehl angeordneten Untersuchungshaft berechtigt es, entgegen der Fallgestaltung bei der
Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf, nicht von einem vorherigen Anhörungsverfahren
abzusehen. Wie dargestellt kann nicht die nachträgliche Einlassung des Klägers im Strafverfahren, bei
dem er nach wie vor seine Unschuld behauptet und die Bewertung dieser Aussagen durch die Beklagte
als nicht zutreffend herangezogen werden, da diese eine hypothetische Bewertung der Einlassung im
Anhörungsverfahren darstellen würde, welche gerade nicht zulässig ist.
Nach allem bleibt festzuhalten, dass die ausgesprochene Verdachtskündigung an der notwendigen, weil
zumutbaren fehlenden Anhörung des Klägers scheitert. Die vorherige Anhörung ist
Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung. Ohne diese kann ein wichtiger Grund zur
außerordentlichen Kündigung nicht festgestellt werden.
III.
Das arbeitsgerichtliche Urteil war daher abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der
Parteien durch die außerordentliche Kündigung nicht aufgelöst wurde. Der vom Kläger zusätzlich gestellte
Fortbestandsantrag ist als bloßer Annex ohne eigenständige Beurteilung nicht zu bescheiden gewesen.
Gründe für eine Zulassung der Revision bestehen angesichts der gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2
ArbGG nicht. Insbesondere weicht die Kammer wegen der Einzelfallentscheidung nicht von den
Grundsätzen der Entscheidung des LAG Düsseldorf vom 13.08.1998 ab, ganz abgesehen davon, dass
diese Entscheidung möglicherweise nicht in allen Teilen der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
entspricht.
Die Kostenentscheidung folgt § 91 Abs. 1 ZPO.
Die Kammer weist ausdrücklich darauf hin, dass mit dieser Entscheidung keinesfalls die
Rechtswirksamkeit einer bei erfolgter rechtskräftiger Verurteilung des Klägers ausgesprochenen weiteren
außerordentlichen Kündigung präjudiziert ist.