Urteil des LAG Köln vom 13.10.2004

LArbG Köln (Sinn Und Zweck der Norm, Kündigungsfrist, Betriebsrat, Unternehmen, Arbeitsgericht, Insolvenz, Gläubigerversammlung, Gutachter, Geschäftsführer, Absicht)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Sachgebiet:
Leitsätze:
Tenor:
Aktenzeichen:
Landesarbeitsgericht Köln, 7 (5) Sa 273/04
13.10.2004
Landesarbeitsgericht Köln
7. Kammer
Urteil
7 (5) Sa 273/04
Arbeitsgericht Bonn, 6 Ca 2573/03
Betriebsstilllegung, Insolvenzverwalter, Interessenausgleich,
Wiedereinstellungsanspruch, Sozialauswahl
§ 1 Abs. 2 und Abs. 3 KSchG, § 125 Abs. 1 S. 1 und 2 InsO, §§ 242, 315
BGB
Arbeitsrecht
1. Der Annahme einer ernsthaften Absicht zur endgültigen
Betriebsstilllegung steht es nicht entgegen, wenn der Insolvenzverwalter
keine sofortige vollständige Betriebsschließung anordnet, sondern den
Betrieb mit eingeschränkter Mannschaft bis zum Ende der längsten
Kündigungsfristen erklärtermaßen unter anderem auch deshalb noch
weiterführt, um nicht von vornherein die rein abstrakte Hoffnung zu
zerstören, dass eine Veränderung der Umstände doch noch zu einer
Rettung des (Teil-)Betriebes führen könnte.
2. „Wesentliche Änderungen der Sachlage“ im Sinne von § 125 Abs. 1 S.
2 InsO sind nur solche, die zwischen dem Abschluss des
Interessenausgleichs und dem Zugang der auf dem Interessenausgleich
beruhenden Kündigungserklärungen eintreten.
3. Im laufenden Insolvenzverfahren kommt ein
Wiedereinstellungsanspruch eines wegen der Absicht zur
Betriebstilllegung gekündigten Arbeitnehmers grundsätzlich auch dann
nicht in Betracht, wenn sich nachträglich und wider Erwarten, aber noch
während des Laufs der Kündigungsfrist doch noch ein
Unternehmenskäufer findet, der den Betrieb fortführt (Fortführung von
BAG - 8 AZR 198/03 - vom 13.05.2004).
4. Kommen für einen wider Erwarten fortbestehenden Arbeitsplatz
mehrere Wiedereinstellungsbewerber in Betracht, so richtet sich die
Auswahl unter ihnen nicht allein nach § 1 Abs. 3 KSchG, sondern
umfassend nach §§ 242, 315 BGB. Die Anwendbarkeit des § 125 I S. 1
Nr. 2 InsO auf den Wiedereinstellungsanspruch erscheint daher
zweifelhaft.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Bonn vom 13.01.2004 in Sachen
6 Ca 2573/03 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
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Die Revision wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten über zwei betriebsbedingte arbeitgeberseitige Kündigungen sowie
einen vom Kläger geltend gemachten Wiedereinstellungsanspruch.
Der am geborene, verheiratete Kläger, der drei Kindern zum Unterhalt verpflichtet ist, war
seit dem 02.04.1990 bei der Gemeinschuldnerin als Druckereiarbeiter beschäftigt. Er
erzielte einen Verdienst in Höhe von 2.657,33 € brutto monatlich. Die Gemeinschuldnerin
hatte am 22.12.2000 als Neugründung das Unternehmen der insolventen J W S GmbH
erworben. Bei der Gemeinschuldnerin waren im Juni 2003 außer dem Geschäftsführer 39
Personen beschäftigt.
Am 01.07.2003 wurde über das Vermögen der Gemeinschuldnerin das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Beklagte, welcher seit dem 26.06.2003 bereits als vorläufiger
Insolvenzverwalter fungierte, zum Insolvenzverwalter bestellt. Zum damaligen Zeitpunkt
befand sich die Gemeinschuldnerin mit den Löhnen und Gehältern bereits seit April 2003 in
Rückstand. Am 01.07.2003 stellte der Beklagte die Belegschaft bis auf 12 Arbeitnehmer
von der Arbeitsleistung frei. Mit den nicht freigestellten Arbeitnehmern vereinbarte der
Beklagte für die Zeit vom 01.07. bis 15.07.2003 einen Gehaltsverzicht, der durch einen sog.
Besserungsfall auflösend bedingt sein sollte. Der Vereinbarung zufolge sollte der
Besserungsfall eintreten, wenn
"a) innerhalb des gesamten Monates Juli 2003 ein Umsatz von 150.000,00 € erzielt
wird und
b) die Umsatzerlöse dem Insolvenzverwalter zugeflossen sind".
Auf den vollständigen Text der Gehaltsverzichtsvereinbarung (Bl. 83 f. d. A.) wird Bezug
genommen.
Am 03.07.2003 kündigte der Beklagte den Mietvertrag über die Geschäftsräume der
einzigen Betriebsstätte der Gemeinschuldnerin gemäß §§ 119 InsO, 580 a Abs. 2 BGB zum
frühest möglichen Zeitpunkt, dies war der 31.12.2003.
Am 09.07.2003 vereinbarte der Beklagte mit dem bei der Gemeinschuldnerin bestehenden
Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste, auf dessen vollständigen Text (Bl.
76 ff. d. A.) Bezug genommen wird. In Ziffer 2 des Interessenausgleichs vom 09.07.2003
heißt es auszugsweise wie folgt:
"Nach den Ermittlungen des Insolvenzverwalters steht in diesem Verfahren keine über
die Deckung der Verfahrenskosten hinausgehende Masse zur Verfügung. Aussichten auf
Fortführung des Unternehmens bestehen zur Zeit nicht. Der Insolvenzverwalter hat sich
entschlossen, alle bestehenden Arbeitsverhältnisse zu kündigen, da der Betrieb nach den
aktuellen Erkenntnissen stillgelegt werden muss. Die Namen aller betroffenen
Arbeitnehmer, die hierdurch ihren Arbeitsplatz verlieren, ergibt sich aus der Anlage 1, die
Teil dieses Interessenausgleichs ist.
Es besteht nach Einschätzung des Insolvenzverwalters zur Zeit nur die Möglichkeit,
den Betrieb vor der Stilllegung zu retten, wenn der Geschäftsbetrieb noch zumindest zur
Abarbeitung der derzeit vorliegenden Aufträge aufrechterhalten werden kann, um ihn dann
eventuell zu veräußern. In Abstimmung mit dem Betriebsrat wurden daher die in der Anlage
1 gekennzeichneten Arbeitnehmer von der Arbeitsleistung freigestellt und die nicht
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freigestellten Arbeitnehmer haben mit der als Anlage 2 beiliegenden Erklärung einen bis
zum 15.07.2003 befristeten und auflösend bedingten Gehaltsverzicht ausgesprochen. Die
weitere Vorgehensweise nach dem 15.07.2003 (weiterarbeiten mit oder ohne
Gehaltsverzicht oder Freistellung auch der übrigen Arbeitnehmer) wird im Einverständnis
mit dem Betriebsrat durch den Insolvenzverwalter anhand der dann bestehenden
Umsatzlage entschieden und neu verhandelt.
Auch nach ausführlicher Erläuterung der Lage zwischen dem Insolvenzverwalter und
dem Betriebsrat sieht der Betriebsrat keine mögliche Alternative, anders zu verfahren." (Bl.
76 f. d. A.)
Die Namensliste als Anlage zu dem Interessenausgleich vom 09.07.2003 enthält alle zum
damaligen Zeitpunkt bei der Gemeinschuldnerin beschäftigten Arbeitnehmer.
Am 11.07.2003 erstattet der Beklagte die Massenentlassungsanzeige.
Die nicht freigestellten Arbeitnehmer blieben auch über den 15.07.2003 hinaus weiter tätig.
Sie erhielten im Hinblick auf den Eintritt des in der Gehaltsverzichtsvereinbarung
definierten "Besserungsfalls" für die Zeit ab dem 01.07.2003 ihre fortlaufende Vergütung
aus der Masse.
Mit Schreiben vom 18.07.2003 sprach der Beklagte, wie im Interessenausgleich vom
09.07.2003 vorgesehen, allen Belegschaftsmitgliedern der Gemeinschuldnerin
fristgerechte betriebsbedingte Kündigungen aus mit den jeweils individuellen
Kündigungsfristen, längstens jedoch mit der dreimonatigen Kündigungsfrist des § 113
Satz 2 InsO zum 31.10.2003. Eine solche Kündigung erhielt auch der Kläger.
Am 25.08.2003 zeigte der Beklagte beim zuständigen Insolvenzgericht die
Masseunzulänglichkeit an (Bl. 23 – 25 d. A.). Auf den Inhalt des Anzeigeschreibens und
das dort genannte Zahlenwerk wird Bezug genommen.
Haupteinzelgläubigerin der Gemeinschuldnerin war die Kreissparkasse K , an die auch das
gesamte Anlagevermögen sicherungsübereignet war. Auf Veranlassung der
Hauptgläubigerin beauftragte der Beklagte nach einem ersten Gespräch am 28.08.2003 am
05.09.2003 den Wirtschaftsprüfer und Steuerberater L , der über besondere Kenntnisse und
Erfahrungen in der Druckbranche verfügte, mit der Erstellung eines Gutachtens über die
etwaige Möglichkeit einer Fortführung des Unternehmens über den 31.10.2003 hinaus und
einer Planungsrechnung für die Folgezeit. Die Gläubigerversammlung vom 18.09.2003
beschloss, es bis zum Ablauf der Kündigungsfristen am 31.10.2003 zunächst bei dem
gegebenen Status quo zu belassen, und ermächtigte den Beklagten, nach Vorlage des
Gutachtens und auf dessen Grundlage die endgültige Entscheidung darüber zu treffen, ob
es bei der Betriebsschließung zum 31.10.2003 bleiben oder der Betrieb darüber hinaus
fortgeführt werden sollte. Das Mitte Oktober 2003 vorgelegte Gutachten gelangte zu dem
Ergebnis, dass bei Aufgabe einzelner Produktionsbereiche und erheblichen
Einsparmaßnahmen, insbesondere einer erheblichen Reduzierung im Personalbereich, die
Möglichkeit bestehe, das Unternehmen weiterzuführen, ohne Verluste zu erwirtschaften.
Nunmehr trat der Beklagte in erneute Verhandlungen mit dem Betriebsrat ein, die zum
Abschluss des Interessenausgleichs mit Namensliste vom 29.10.2003 führten. Auf den
vollständigen Text dieses Interessenausgleichs (Bl. 110 ff. d. A.) und das zugehörige
Protokoll (Bl. 120 ff. d. A.) wird Bezug genommen.
In § 1 Ziffer 1 des Interessenausgleichs vom 29.10.2003 wird die nunmehr geplante
Betriebseinschränkung im Einzelnen beschrieben. Gemäß § 1 Ziffer 1 e) des
Interessenausgleichs sollte die Abteilung Weiterverarbeitung II/Hinterklebung, in welcher in
der Vergangenheit der Kläger eingesetzt gewesen war, von bisher vier auf nunmehr zwei
Mitarbeiter reduziert werden. Dasselbe galt gemäß § 1 Ziffer 1 d) des Interessenausgleichs
für die Abteilung Weiterverarbeitung I/Collatoren. Nach dem Inhalt des
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Interessenausgleichs vom 29.10.2003 sollten 13 Arbeitsplätze über den 31.10.2003 hinaus
bestehen bleiben. Die hierzu erforderlichen Mitarbeiter sollten nach den Regeln einer
Sozialauswahl, wie sie in Abschnitt III des Protokolls zum Interessenausgleich vom
29.10.2003 niedergelegt wurden, ausgewählt und sodann zum 01.11.2003 ein
Wiedereinstellungsangebot erhalten. Diejenigen Mitarbeiter, die kein
Wiedereinstellungsangebot erhalten und zum 31.10.2003 (rsp. in zwei Sonderfällen zum
29.02.2004) endgültig ausscheiden sollten, wurden in die dem Interessenausgleich als
Anlage 1 beigefügte Namensliste aufgenommen (Bl. 118 d. A.). Diese Mitarbeiter, unter
ihnen auch der Kläger, erhielten sodann, wie ebenfalls in dem Interessenausgleich bereits
vorgesehen, unter dem 30.10.2003 vorsorglich eine weitere betriebsbedingte Kündigung
zum 31.01.2004.
Für die Abteilung Weiterverarbeitung II/Hinterklebung des Klägers sollten nach der auf
Grund des Interessenausgleichs vom 29.10.2003 getroffenen Sozialauswahl die Mitarbeiter
M M und T wieder eingestellt werden. Bei dem Mitarbeiter M M handelt es sich um den
Betriebsratsvorsitzenden, welcher am 22.05.1963 geboren ist. Der Mitarbeiter M steht seit
dem 01.08.1980 im Arbeitsverhältnis zur Gemeinschuldnerin, bzw. deren
Rechtsvorgängerin und ist ledig. Der Mitarbeiter T ist am geboren, seit dem 03.07.1995
beschäftigt, verheiratet und einem Kind gegenüber unterhaltsverpflichtet. Nach der in
Abschnitt III Ziffer1 a) bis c) des Protokolls zum Interessenausgleich niedergelegten
Punktetabelle zur "sozialen Gewichtung" kam der Kläger auf 68 Punkte, der Mitarbeiter T
auf 63 Punkte.
Für die Abteilung Weiterverarbeitung I/Collatoren, sollten die Mitarbeiterin I R und der
Mitarbeiter H H wieder eingestellt werden. I R , die ebenfalls Betriebsratsmitglied ist,
wurde am geboren, ist verheiratet und seit 01.08.1991 im Unternehmen beschäftigt. Der
Mitarbeiter H wurde am 06.07.1949 geboren, ist seit dem 20.01.1971 beschäftigt und
ebenfalls verheiratet.
Am 08.08.2003 erhob der Kläger Klage gegen die Kündigung vom 18.07.2003. Am
31.10.2003 beantragte der Kläger beim Arbeitsgericht hilfsweise seine Wiedereinstellung
zum 01.11.2003. Mit Klageerweiterung vom 11.11.2003 wandte sich der Kläger sodann
gegen die weitere Kündigung des Beklagten vom 30.10.2003.
Der Kläger hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 18.07.2003 sei nicht gemäß
§ 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt. Ein Entschluss des Beklagten zur endgültigen
Betriebsschließung habe im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung nicht vorgelegen.
Dies ergebe sich bereits aus dem Inhalt des Interessenausgleichs vom 09.07.2003. Der
Beklagte habe von Anfang an die Möglichkeit im Auge gehabt, den Betrieb – ggf. mit
reduzierter Mannschaft – auch über den 31.10.2003 hinaus weiterführen zu können. Der
Kläger hat behauptet, noch während des laufenden Insolvenzverfahrens sei der Betrieb mit
neuen Flachbildschirmen ausgestattet worden. Auch habe der ehemalige Geschäftsführer
auch nach dem 01.07.2003 noch weitere Akquisitionstätigkeit entfaltet. Solche Indizien
sprächen ebenfalls gegen eine endgültige Stilllegungsabsicht.
Weiter hat der Kläger die Ansicht vertreten, dass sich der Beklagte im Hinblick auf den
Interessenausgleich vom 09.07.2003 auch nicht auf die Vermutungswirkung des
§ 125 InsO berufen könne. Insofern habe sich die Sachlage nämlich in der Zeit bis zum
Ausspruch der Kündigungen am 18.07.2003 im Sinne von § 125 Abs. 2 InsO geändert;
denn nach dem 15.07.2003 sei die Entscheidung getroffen worden, die nicht freigestellten
Arbeitnehmer auch weiterhin tätig werden zu lassen. Der sog. Besserungsfall im Sinne der
von den weiterbeschäftigten Mitarbeitern abgegebenen Gehaltsverzichtserklärung sei
eingetreten. Auch die Zahlen aus dem Gutachten L belegten, dass per Ende Juli 2003
bereits wieder Umsatzerlöse von 215.716,02 € feststellbar gewesen seien, während der
Beklagte für den 18.07.2003 noch Direktaufträge zur Bearbeitung zu einem Umsatz von
lediglich 91.254,47 € netto festgestellt habe. Die Umsatzsteigerung zum Monatsende habe
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der Beklagte per 18.07.2003 bereits voraussehen können.
Weiter hat der Kläger die Auffassung vertreten, dass er im Falle der Wirksamkeit der ersten
Kündigung jedenfalls einen Wiedereinstellungsanspruch für sich reklamieren könne. Im
Rahmen der Sozialauswahl sei er, der Kläger, mit Herrn T und Herrn M , aber auch mit den
in der Abteilung Weiterverarbeitung I/Collatoren beschäftigten I R und Herrn H
vergleichbar. Die Sozialauswahl sei insoweit nicht korrekt erfolgt, insbesondere im Hinblick
auf den Mitarbeiter T . Auch die weitere Kündigung vom 30.10.2003 scheitere jedenfalls an
der fehlerhaften Sozialauswahl.
Der Kläger hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung
des Beklagten vom 18.07.2003 nicht zum 31.10.2003 aufgelöst ist;
2. hilfsweise: Den Beklagten zu verurteilen, das Angebot des Klägers auf
einvernehmliche Aufhebung der Kündigung vom 18.07.2003 und Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bzw. Wiedereinstellung ab dem 01.11.2003 zu den bisherigen
Arbeitsbedingungen anzunehmen;
3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch durch die
Kündigung des Beklagten vom 30.10.2003 nicht zum 31.01.2004 aufgelöst wird.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat vorgetragen, Anfang Juli 2003 habe keinerlei Fortführungsaussicht für das
Unternehmen bestanden. Festen monatlichen Lohnkosten in Höhe von 125.000,00 €
zuzüglich rückständiger Löhne habe eine nur unzureichende Auftragslage bei fehlender
Anfangsliquidität gegenübergestanden. Das Unternehmen habe im Jahre 2002 zuletzt
einen Verlust von ca. 330.000,00 € erwirtschaftet. Zum Zeitpunkt des Ausspruchs der
Kündigung habe die der Masse zur Verfügung stehende Liquidität insgesamt 23.606,88 €
betragen. Direktaufträgen per Stand 18.07.2003 in Höhe von 91.254,47 € netto hätten zum
gleichen Zeitpunkt laufende Verbindlichkeiten in Höhe von 166.496,61 €
gegenübergestanden. Mit Einvernehmen des Betriebsrats habe nur die Ausproduktion von
Aufträgen bisheriger Auftraggeber nach Möglichkeit bis zum 31.10.2003 aufrechterhalten
sollen. Nur hierüber sei per 15.07.2003 nochmals entschieden worden. Interessenten für
einen möglichen Kauf des Unternehmens seien nicht vorhanden gewesen. Eine letzte vage
Hoffnung, dass sich vielleicht doch noch ein Interessent für die Fortführung des
Unternehmens finden könne, wäre jedoch von vornherein zerschlagen worden, wenn sofort
alle Arbeitnehmer freigestellt worden wären.
Der Beklagte hat sich auf die Vermutungswirkung des § 125 InsO berufen und hierzu
ausgeführt, dass sich zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem
Ausspruch der Kündigungen keinerlei Änderung der Sachlage ergeben habe. Bei der
Überprüfung per 15.07.2003 sei es lediglich darum gegangen festzustellen, ob die
Vergütungen der nicht freigestellten Mitarbeiter aus der Masse aufgebracht werden
könnten. Nichts anderes ergebe sich auch aus dem Interessenausgleich selbst.
Weiter hat der Beklagte sich auch gegen einen Wiedereinstellungsanspruch des Klägers
gewandt. Dem stehe die Namensliste des Interessenausgleichs vom 29.10.2003 entgegen.
Die Sozialauswahl sei korrekt erfolgt und keineswegs grob fehlerhaft. Der Mitarbeiter T
habe nur geringfügig weniger Sozialpunkte im Sinne von Abschnitt III 1 a) bis c) des
Protokolls zum Interessenausgleich, sei aber unter anderen Gesichtspunkten besonders
schutzwürdig. Die Mobilität des Mitarbeiters T sei nämlich erheblich eingeschränkt, da er
infolge einer schweren traumatischen Erkrankung seiner Ehefrau bei der Betreuung seines
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Kindes ständig auf die Hilfe in der Nähe lebender Verwandter angewiesen sei. Aus diesem
Grunde hätten die Betriebspartner die Sozialauswahl zu seinen Gunsten durchgeführt.
Darüber hinaus hat der Beklagte geltendgemacht, dass der Kläger mit den in der Abteilung
Weiterverarbeitung I/Collatoren weiterbeschäftigten Mitarbeitern schon vom Aufgabenkreis
her nicht vergleichbar sei.
Letztlich sei auch ein Unwirksamkeitsgrund bezüglich der vorsorglichen Kündigung vom
30.10.2003 nicht gegeben.
Das Arbeitsgericht Bonn hat mit Urteil vom 13.01.2004 die Klage abgewiesen. Auf
Tatbestand und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils wird zur Vermeidung
von Wiederholungen Bezug genommen. Das arbeitsgerichtliche Urteil wurde dem Kläger
am 09.02.2004 zugestellt. Er hat hiergegen am 09.03.2004 Berufung eingelegt und diese
am 07.04.2004 begründen lassen.
Der Kläger hält daran fest, dass schon die Kündigung vom 18.07.2003 unwirksam sei. Das
Arbeitsgericht habe verkannt, dass eine zur Kündigung berechtigende
Stilllegungsentscheidung immer dann noch nicht vorliege, wenn noch unklar sei, ob bei
Ablauf der Kündigungsfrist Beschäftigungsmöglichkeiten weggefallen seien würden. Auch
dann, wenn ein Insolvenzverwalter damit rechnen müsse, dass die Gläubigerversammlung
eine vorläufige Fortführungsentscheidung treffe, fehle es an einer endgültigen
Stilllegungsentscheidung. Schon der Wortlaut des Interessenausgleichs vom 09.07.2003
erwähne jedoch bereits "die Möglichkeit, den Betrieb vor der Stilllegung zu retten, wenn der
Geschäftsbetrieb noch zumindest zur Abarbeitung der derzeit vorliegenden Aufträge
aufrechterhalten werden kann, um ihn dann eventuell zu veräußern". Dabei habe der
Interessenausgleich selbst vorgesehen, am 15.07.2003 die Sachlage nochmals daraufhin
zu überprüfen, ob, wenn auch mit reduzierter Mannschaft, vorläufig weitergearbeitet werden
könne, um die Option einer späteren Veräußerung aufrechtzuerhalten. Damit stehe bereits
auf Grund des Interessenausgleichs selbst fest, dass im Zeitpunkt seines Abschlusses
noch kein endgültige Stilllegungsentscheidung getroffen worden sei. Im Übrigen begründe
auch der Umstand, dass der Betrieb später tatsächlich über den 31.10.2003 hinaus
fortgeführt worden sei, eine tatsächliche Vermutung, die gegen eine ernsthafte
Stilllegungsabsicht spreche.
Der Kläger hält auch seine Ansicht aufrecht, wonach die Vermutungswirkung des § 125
Abs. 1 Satz 1 InsO nicht eingreife, da sich die Verhältnisse nach Abschluss des
Interessenausgleichs vom 09.07.2003 im Sinne von § 125 Abs. 1 Satz 2 InsO bis zum
Ausspruch der streitigen Kündigung wesentlich geändert hätten. Ab 16.07.2003 seien
nämlich die Mitarbeiter, die zuvor lediglich unter Lohnverzicht weiterbeschäftigt worden
seien, wieder bezahlt worden, weil der in dem auflösend bedingten Lohnverzicht avisierte
sog. Besserungsfall einer Umsatzsteigerung eingetreten sei.
Der Kläger wiederholt auch seine Behauptung, dass die Büros der nicht freigestellten
Mitarbeiter mit neuen Flachbildschirmen ausgestattet worden seien und der ehemalige
Geschäftsführer weiter am Markt werbend für die Gemeinschuldnerin tätig geworden sei.
Schließlich ist der Kläger der Auffassung, dass ihm im Falle einer Wirksamkeit der
streitigen Kündigung vom 18.07.2003 jedenfalls ein Wiedereinstellungsanspruch zustehe.
Die insoweit getroffene soziale Auswahl sei zu seinen Lasten fehlerhaft. Dabei sei eine
Vergleichbarkeit auch mit Frau R und Herrn H aus der Abteilung
Weiterverarbeitung I/Collatoren gegeben, da er, der Kläger während seiner langjährigen
Tätigkeit auch bereits auf diesen Arbeitsplätzen eingesetzt gewesen sei. Insbesondere
aber sei der Mitarbeiter T weniger schutzwürdig. Der Beklagte müsse sich insoweit an das
im Protokoll zum Interessenausgleich vorgesehene Punktesystem halten.
Der Kläger beantragt nunmehr,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 13.01.2004, Az.: 6 Ca 2573/03
abzuändern und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen mit der
Maßgabe, dass in dem Hilfsantrag zu 2. die Wendung "ab dem 01.11.2003" gestrichen
wird.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte und Berufungsbeklagte hält das arbeitsgerichtliche Urteil für zutreffend und
verteidigt die Entscheidungsgründe. Er führt aus, sowohl im Zeitpunkt des Abschlusses des
Interessenausgleichs vom 09.07.2003 als auch am 15.07.2003 und am 18.07.2003 sei auf
Grund der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens klar gewesen, dass mit Ablauf des
31.10.2003 die Beschäftigungsmöglichkeiten aller Arbeitnehmer wegfallen würden. Er, der
Beklagte habe auch alles getan, um die Stilllegung zum 31.10.2003 vollziehen zu können.
Entgegen der Ansicht des Berufungsklägers, so der Beklagte und Berufungsbeklagte, sei
zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Ausspruch der Kündigungen
auch keine neue Sachlage eingetreten. Es sei lediglich, wie schon im Interessenausgleich
vorgesehen, überprüft worden, ob die bis dahin nicht freigestellten Arbeitnehmer noch bis
zum Ablauf der Kündigungsfristen weiterbeschäftigt werden könnten. Es sei nur darum
gegangen zu überprüfen, ob er, der Beklagte überhaupt die Gehälter der nicht freigestellten
Mitarbeiter bis Ende Oktober 2003 würde zahlen können. Dies habe nichts damit zu tun,
dass die Betriebsstilllegung infrage gestellt worden wäre.
Bei einer Entscheidung, noch im Juli 2003, auch die restlichen Arbeitnehmer freizustellen
und den Betrieb schon zu diesem Zeitpunkt stillzulegen, wäre auch die letzte vage
Hoffnung, den Betrieb eventuell doch noch veräußern zu können, falls wider Erwarten ein
Interessent auftauchen sollte, zunichte gewesen. Kein Unternehmen kaufe ein stillgelegtes
und damit totes Unternehmen. Dies ändere aber nichts an der Tatsache, dass objektiv zum
ausschlaggebenden Zeitpunkt keine andere Entscheidung als die zur Stilllegung im
Raume gestanden habe und auch objektiv geboten gewesen sei. Mit den Möglichkeiten,
die der Gutachter L später im Oktober 2003 aufgezeigt habe, habe im Juli 2003 niemand
gerechnet und rechnen können.
Entgegen der Ansicht des Berufungsklägers begründe der Umstand, dass der Betrieb
später über den 31.10.2003 hinaus fortgeführt worden sei, auch keine gegen eine
Stilllegungsabsicht sprechende Vermutung. Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht
am 27.09.1984 entschiedenen Fall (2 AZR 309/83) habe es im Zeitpunkt des Ausspruchs
der Kündigungen weder Verhandlungen mit Dritten über eine eventuelle Veräußerung des
Betriebes gegeben, noch sei auch nur ein Interessent für eine solche Veräußerung
vorhanden gewesen. Eine Option, den Betrieb über den 31.10.2003 weiterzuführen, habe
außer in der vagen Hoffnung des Beklagten und des Betriebsrates nicht bestanden und
sich in keiner Weise in irgendwelchen Tatsachen niedergeschlagen. Würde jede Absicht
einer Betriebsstilllegung eines unwirtschaftlichen Unternehmens bereits durch den bloßen
Wunsch des Arbeitgebers infrage gestellt, den Betrieb aufrechterhalten zu können, so
könnte wohl auch in der Insolvenz kein Unternehmen stillgelegt werden, da jeder
Insolvenzverwalter lieber Arbeitsplätze erhalte, als vernichte. Auch der Gutachter L habe
bestätigt, dass, wenn er bereits im Juli 2003 beratend hinzugezogen worden wäre, auch er
auf Grund der damals gegebenen Umsatz- und Ertragslage des Unternehmens die
Entscheidung zur Stilllegung getroffen haben würde.
Auf Grund all dessen müsse es auch bei der Vermutungswirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1
InsO bleiben. Der im Juli 2003 erzielte Umsatz habe lediglich dazu geführt, insoweit
Liquidität herzustellen, dass die Löhne der zwölf nicht freigestellten Arbeitnehmer hätten
gezahlt werden können. Es habe ein Auftragsbestand in Höhe von 91.254,47 € aus
Direktaufträgen vorgelegen. Im Nachhinein hätten sich für den Zeitraum Juli bis
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Oktober 2003 Gesamtumsätze von 754.501,31 € errechnet. Diese hätten somit mit
durchschnittlich monatlich rund 189.000,00 € genau an dem laut Gutachten L angegebenen
"BreakevenPoint" von ca. 190.000,00 € gelegen, also noch unter dem von dem Gutachter
angesetzten Planumsatz von 215.000,00 €.
Der Beklagte bestreitet nachhaltig, dass während des Laufs der Kündigungsfrist Büros mit
neuen Flachbildschirmen ausgestattet worden seien und dass der ehemalige
Geschäftsführer weitere Akquisitionstätigkeiten durchgeführt habe.
Aus den genannten Verhältnissen ergebe sich, dass er, der Insolvenzverwalter, auch nicht
mit einer vertretbaren Fortführungsentscheidung der Gläubigerversammlung habe rechnen
können oder müssen. Tatsächlich sei auch die Gläubigerversammlung vom 18.09.2003
grundsätzlich von dem Stilllegungsbeschluss zum 31.10.2003 ausgegangen und habe
lediglich der vorläufigen eingeschränkten Fortführung bis zum Zeitpunkt der Vorlage des
Gutachtens L zugestimmt.
Auch ein Wiedereinstellungsanspruch des Klägers besteht nach Auffassung des Beklagten
nicht. Dem stehe ebenfalls die Vermutungswirkung des § 125 InsO, nunmehr bezogen auf
den Interessenausgleich vom 30.10.2003, entgegen. Die Sozialauswahl sei nicht falsch
und schon gar nicht grob fehlerhaft. Die Mitarbeiter R und M genössen als
Betriebsratsmitglieder Sonderkündigungsschutz. Herr H sei – unabhängig von der nicht
gegebenen Vergleichbarkeit seines Arbeitsplatzes – bei der Sozialauswahl weitaus
schutzbedürftiger. Herr T sei auf dem Arbeitsmarkt schwerer zu vermitteln, da er elf Jahre
älter sei als der Kläger und überdies eine schwer kranke Ehefrau habe, die sich nicht allein
um das gemeinsame Kind kümmern könne. Zwischen dem Kläger und Herrn T habe nur
ein geringer Punktunterschied von 68 zu 63 Punkten bestanden, so dass die Annahme
einer "groben Fehlerhaftigkeit" von vornherein ausscheide. Die Auswahlentscheidung
zwischen dem Kläger und Herrn T sei letztendlich auf Grund aller besonderen Umstände
ausführlich mit dem Betriebsrat erörtert und in der im Interessenausgleich niedergelegten
Weise entschieden worden.
Wegen weiterer Einzelheiten wird insbesondere auch auf die erstinstanzlichen Schriftsätze
des Beklagten vom 12.12.2003 und 12.01.2004 sowie des Klägers vom 17.11.2003 und
06.01.2004 nebst jeweiliger Anlagen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I.
wurde innerhalb der in § 66 Abs. 1 ArbGG vorgeschriebenen Fristen eingelegt und
begründet.
II.
jedoch keinen Erfolg haben. Wie das Arbeitsgericht so ist auch das Berufungsgericht zu der
Überzeugung gelangt, dass das zwischen dem Kläger und der Gemeinschuldnerin bzw.
deren Rechtsvorgängerin im Jahre 1990 begründete Arbeitsverhältnis auf Grund der
betriebsbedingten Kündigung des beklagten Insolvenzverwalters vom 18.07.2003 gemäß
§ 1 Abs. 2 KSchG wirksam zum 31.10.2003 beendet worden ist.
1. Die Kündigung vom 18.07.2003 gegenüber dem Kläger ist rechtswirksam, weil im
Zeitpunkt ihres Ausspruchs absehbar war, dass auf Grund der zu diesem Zeitpunkt
beabsichtigten Betriebsschließung über den 31.10.2003 hinaus kein betriebliches
Bedürfnis nach einer Weiterbeschäftigung des Klägers und einer Aufrechterhaltung seines
Arbeitsverhältnisses gegeben sein würde.
a. Die Stilllegung des gesamten Betriebes durch den Arbeitgeber zählt zu den dringenden
betrieblichen Erfordernissen gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG, die eine Kündigung sozial
rechtfertigen können. Unter Betriebsstilllegung ist dabei die Auflösung der zwischen
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Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebsgemeinschaft zu verstehen, die ihre
Veranlassung und zugleich ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Arbeitgeber
die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, den bisherigen
Betriebszweck dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht
unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen (BAG NZA 1997, 251 ff.).
b. Dabei muss der Arbeitgeber
endgültig
jedoch nicht gehalten, eine Kündigung erst nach Durchführung der Stilllegung
auszusprechen. Auch eine
beabsichtigte
in Betracht. Grundsätzlich brauchen betriebliche Kündigungsgründe noch nicht tatsächlich
eingetreten zu sein, sondern es genügt, wenn sie sich konkret und greifbar abzeichnen
(BAG a.a.O.). Sie liegen dann vor, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung auf
Grund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung davon auszugehen ist, zum
Zeitpunkt des Kündigungstermins werde mit einiger Sicherheit ein die Entlassung
erforderlich machender betrieblicher Grund eingetreten sein (BAG a.a.O.; BAG AP Nr. 74
zu § 613 a BGB; BAG AP Nr. 53 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; BAG
vom 07.03.1996, 2 AZR 298/95).
c. Im vorliegenden Fall ist gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 InsO zu vermuten, dass die den
Kläger treffende Kündigung seines Arbeitsverhältnisses durch den Beklagten vom
18.07.2003 durch das dringende betriebliche Erfordernis einer endgültig beabsichtigten
Betriebsstilllegung bedingt ist, die der Weiterbeschäftigung des Klägers über den Ablauf
der Kündigungsfrist hinaus entgegenstand. Am 09.07.2003 hat der Beklagte mit dem bei
der Gemeinschuldnerin bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich
abgeschlossen, in dessen Ziffer 2 Abs. 2 folgendes festgehalten ist:
"Nach den Ermittlungen des Insolvenzverwalters steht in diesem Verfahren keine über
die Deckung der Verfahrenskosten hinausgehende Masse zur Verfügung. Aussichten auf
Fortführung des Unternehmens bestehen zur Zeit nicht. Der Insolvenzverwalter hat sich
entschlossen, alle bestehenden Arbeitsverhältnisse zu kündigen, da der Betrieb nach den
aktuellen Erkenntnissen stillgelegt werden muss. Die Namen aller betroffenen
Arbeitnehmer, die hierdurch ihren Arbeitsplatz verlieren, ergibt sich aus der Anlage 1, die
Teil dieses Interessenausgleichs ist".
Auf der als Anlage 1 dem Interessenausgleich beigefügten Liste der von der
Betriebsschließung betroffenen, zu kündigenden Arbeitnehmer befindet sich auch der
Name des Klägers.
Der Interessenausgleich vom 09.07.2003 mit Namensliste ist - unstreitig -formwirksam
zustande gekommen.
d. Es war somit nunmehr Sache des Klägers und Berufungsklägers, die aus § 125 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 InsO folgende Vermutungswirkung zu entkräften. Wie das Arbeitsgericht
gelangt auch das Berufungsgericht zu dem Ergebnis, dass dem Kläger und
Berufungskläger dies nicht gelungen ist.
aa. Entgegen der Auffassung des Klägers und Berufungsklägers wird die in Ziffer 2 Abs. 2
des Interessenausgleichs vom 09.07.2003 dokumentierte Stilllegungsabsicht des
Beklagten nicht bereits durch den weiteren Inhalt des Interessenausgleichs selbst widerlegt
oder in entscheidungserheblicher Weise relativiert.
aaa. Allerdings ist dem Berufungskläger im Ausgangspunkt der Überlegungen darin recht
zu geben, dass nur der "endgültige Entschluss" einer Betriebsstilllegung eine im Hinblick
darauf ausgesprochene Beendigungskündigung sozial zu rechtfertigen vermag (BAG
NZA 1997, 251 ff.). Eine Kündigung wegen Betriebsschließung ist danach noch nicht
gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber den Stilllegungsbeschluss lediglich erwägt oder
plant, aber noch nicht gefasst hat (BAG NZA 2002, 1206). An einer endgültigen
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abschließenden Planung in diesem Sinne fehlt es somit, wenn noch über die Alternative
der Fortführung des Betriebes verhandelt wird (BAG a.a.O.; LAG Düsseldorf ZIP 2003,
415 f.).
bbb. Im Gegensatz zur Auffassung des Berufungsklägers belegen die Formulierungen in
Ziffer 2 Abs. 3 des Interessenausgleichs vom 09.07.2003 jedoch nicht, dass der Beklagte
zum Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs in Wirklichkeit noch keinen
endgültigen Stilllegungsbeschluss im Sinne der bisherigen höchstrichterlichen
Rechtsprechung zur betriebsbedingten Kündigung getroffen hatte.
Zwar kann Ziffer 2 Abs. 3 des Interessenausgleichs vom 09.07.2003 entnommen werden,
dass "die Möglichkeit, den Betrieb vor der Stilllegung zu retten", im Zeitpunkt des
Abschlusses des Interessenausgleichs noch nicht gänzlich aus dem Vorstellungsbild des
Beklagten ausgeschieden war. Darüber hinaus geht aus Ziffer 2 Abs. 3 des
Interessenausgleichs sogar hervor, dass sich der Beklagte in seinen Entscheidungen über
die Art und Weise der von ihm zu verantwortenden Betriebsführung teilweise auch von
dieser "Möglichkeit, den Betrieb vor der Stilllegung zu retten", weiter leiten ließ: Dieser
Gesichtspunkt war mit ausschlaggebend dafür, dass der Insolvenzverwalter nicht die
sofortige vollständige Betriebsstilllegung verfügte, sondern beschloss, den Versuch zu
unternehmen, den Betrieb mit einer kleineren Anzahl nicht freizustellender Arbeitnehmer
noch bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiterzuführen, sofern eine verantwortbare
Möglichkeit bestand, die dafür aufzubringenden Vergütungen zu erwirtschaften.
Weder Ziffer 2 Abs. 3 des Interessenausgleichs selbst, noch dem sonstigen Sachvortrag
der Parteien ist jedoch zu entnehmen, dass es sich bei der in Ziffer 2 Abs. 3 des
Interessenausgleichs erwähnten "Möglichkeit, den Betrieb vor der Stilllegung zu retten", um
mehr als eine bloß
abstrakte
keinerlei konkreten und sachlich greifbaren Anhaltspunkten beruhte. Weder befand sich der
Beklagte im Zeitpunkt des Abschlusses des Interessenausgleichs oder im Zeitpunkt des
Ausspruches der Kündigung in Verhandlungen mit Dritten über eine eventuelle
Veräußerung und damit verbundene Fortführung des Betriebes, noch waren solche
Drittinteressenten überhaupt nur erkennbar. Ebenso wenig hing ein endgültiger Entschluss
über eine Fortführung des Betriebes noch vom Ergebnis eines laufenden
Ausschreibungsverfahrens wie in dem Sachverhalt der Entscheidung des BAG vom
12.04.2002 (NZA 2002, 1205 ff.) oder von vergleichbaren Umständen ab. Irgendwelche
konkreten oder sonst greifbaren sachlichen Anhaltspunkte, die im Zeitpunkt des
Abschlusses des Interessenausgleichs oder des Ausspruchs der Kündigung auf eine
realistische Alternative einer etwaigen (Teil-)Betriebsfortführung hingedeutet hätten, waren
vielmehr seinerzeit weder für den Betriebsrat noch für den Beklagten erkennbar.
Auch war zu dem damaligen Zeitpunkt noch keineswegs daran gedacht, ein externes
Sachverständigengutachten über betriebswirtschaftlich denkbare Optionen einer
eingeschränkten Unternehmensfortführung einzuholen und einen endgültigen (Teil-
)Stilllegungsbeschluss vom Ergebnis eines solchen Gutachtens abhängig zu machen. Zu
dieser Überlegung kam es - auf Veranlassung des Hauptgläubigers der
Gemeinschuldnerin - erst viel später. Wie der Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat,
fand die erste Kontaktaufnahme zu dem Gutachter L am 28.08.2003 statt und wurde der
Gutachtenauftrag am 05.09.2003 erteilt.
ccc. Bei alledem ist zu bedenken, dass die Entscheidung des Insolvenzverwalters über das
weitere Vorgehen insbesondere zu Beginn eines Insolvenzverfahrens stets auf einer
Prognose
beinhaltet per definitionem stets auch die theoretische Möglichkeit, dass der nach
menschlichem Ermessen, bzw. "vernünftiger betriebswirtschaftlicher Betrachtung" (BAG
a.a.O.) im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung als unwahrscheinlich anzusehende
Fall in Wirklichkeit später doch eintritt. Dementsprechend betont die Rechtsprechung des
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BAG zwar, dass es bei der Rechtfertigung einer betriebsbedingten Kündigung wegen
beabsichtigter
endgültig anzusehenden Stilllegungsentschluss ankommen muss, hat jedoch auch in der
Vergangenheit keine überzogenen Anforderungen an die Prognosevalidität gestellt. In der
Entscheidung vom 10.10.1996 formuliert das BAG, es komme darauf an, dass "zum
Zeitpunkt des Kündigungstermins
mit einiger Sicherheit
Eintritt eines die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben" sei
(NZA 1997, 251 ff.).
ddd. Danach wird jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden die Endgültigkeit einer
Entscheidung zur Betriebsschließung nicht dadurch in Frage gestellt, dass ein
Insolvenzverwalter keine sofortige vollständige Betriebsschließung anordnet, sondern den
Betrieb mit eingeschränkter Mannschaft bis zum Abschluss der längsten Kündigungsfristen
unter anderem auch deshalb noch weiterführt, um nicht von vornherein die abstrakte
Hoffnung zu zerstören, dass eine Veränderung der Umstände doch noch zu einer Rettung
des (Teil-) Betriebes führen könnte.
bb. Dabei bestanden im vorliegenden Fall im Zeitpunkt des Abschlusses des
Interessenausgleichs und des Ausspruchs der Kündigung nicht nur keinerlei konkrete
Anhaltspunkte für eine realistische Fortführungsmöglichkeit des Betriebes über den Ablauf
der längsten Kündigungsfristen hinaus, sondern im Gegenteil lagen greifbare
Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte es mit seiner Betriebsschließungsabsicht ernst
meinte. So hat der Beklagte insbesondere bereits am 03.07.2003 mit der kürzest möglichen
Kündigungsfrist den Mietvertrag über die einzige Betriebsstätte der Gemeinschuldnerin
zum 31.12.2003 gekündigt.
cc. Eine Interpretation des Interessenausgleichs vom 09.07.2003, die aus den
Formulierungen in Ziffer 2 Abs. 3 den Schluss ziehen würde, dass eine für den Ausspruch
betriebsbedingter Kündigungen ausreichende "endgültige"
Betriebsstilllegungsentscheidung noch nicht getroffen worden wäre, würde nach
Überzeugung des Berufungsgerichts auch mit der typischen Aufgabenstellung und
Interessenlage eines Insolvenzverwalters nicht in Einklang stehen.
aaa. Die Aufgabe eines Insolvenzverwalters besteht einerseits darin, im Interesse der
Gläubiger der Gemeinschuldnerin für eine bestmögliche Befriedigung von deren offenen
Ansprüchen zu sorgen. Auf der anderen Seite ist der Insolvenzverwalter jedoch auch kraft
seiner Funktion aufgefordert, so viele Arbeitsplätze wie möglich bei dem insolventen
Unternehmen zu retten. Ob es jedoch im Ergebnis zu einer sanierenden oder letztlich doch
nur zu einer zerschlagenden Insolvenz kommen kann, zeigt sich oft erst im Laufe des
Insolvenzverfahrens (BAG v. 13.5.2004, 8 AZR 198/03). Solange eine sanierende,
arbeitsplatzerhaltende Insolvenz nicht völlig ausgeschlossen ist, ist der Insolvenzverwalter
gehalten, Maßnahmen zu unterlassen, die eine noch theoretisch mögliche Sanierung
unmöglich machen, sofern solche Maßnahmen nicht im Interesse der Gläubiger zwingend
geboten sind.
bbb. Hätte der Insolvenzverwalter den Betrieb sofort im zeitlichen Zusammenhang mit dem
Abschluss des Interessenausgleichs vollständig stillgelegt und eine Aus- bzw.
Weiterproduktion bis zum Ablauf der längsten Kündigungsfristen verhindert, so wären auch
die nur rein theoretisch bestehenden Hoffnungen, doch noch einen Interessenten für eine
dauerhafte Betriebsfortführung zu finden, weiter erheblich beeinträchtigt worden, ohne dass
dies durch zwingende Gläubigerinteressen geboten gewesen wäre.
ccc. Unabhängig davon besteht ohnehin ein berechtigtes Interesse jedes betriebsbedingt
kündigenden Arbeitgebers, nach Möglichkeit die bis zum Auslaufen der Kündigungsfristen
noch anfallenden Vergütungsverbindlichkeiten, die auch bei einer Freistellung unter dem
Gesichtspunkt des Annahmeverzuges nicht vermieden werden könnten, noch im eigenen
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Betrieb zu erwirtschaften. Würde jedoch allein schon die Überlegung, dass bei einer -
eingeschränkten - Fortführung des Betriebes bis zum Auslaufen der Kündigungsfristen sich
wider Erwarten vielleicht doch noch eine Möglichkeit zur nachhaltigen Sanierung und
Fortführung des Betriebes auftun könnte, arbeitsrechtlich dazu führen, dass deshalb eine
Betriebsstilllegungsabsicht zu verneinen ist, so würde dies in vielen Fällen vorschnell die
Konsequenz einer zerschlagenden Insolvenz besiegeln.
e. Die Vermutung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 InsO, dass die Kündigung des
Arbeitsverhältnisses des Klägers vom 18.07.2003 durch dringende betriebliche
Erfordernisse bedingt und die Kündigung somit sozial gerechtfertigt ist, wird auch durch
§ 125 Abs. 1 Satz 2 InsO vorliegend nicht außer Kraft gesetzt.
aa. Wie aus Sinn und Zweck der Norm folgt, kommt es für die Anwendbarkeit von § 125
Abs.1 S.2 InsO nur auf solche "wesentlichen Änderungen der Sachlage" an, die zwischen
dem Abschluss des Interessenausgleichs und dem Zugang der auf dem
Interessenausgleich beruhenden Kündigungserklärung eintreten (BAG EzA § 1 KSchG
Interessenausgleich Nr.8; ErfK/Ascheid, § 125 InsO Rz.10). Spätere Änderungen können,
auch wenn sie als "wesentlich" erscheinen mögen, nur noch die Frage nach einem
etwaigen Wiedereinstellungsanspruch aufwerfen (HWK/Annuß, § 125 InsO Rz.13).
bb. Zwischen dem Abschluss des Interessenausgleichs am 09.07.2003 und dem Zugang
der Kündigungen vom 18.07.2003 haben sich entgegen der Ansicht des Berufungsklägers
die Verhältnisse nicht "wesentlich geändert".
aaa. Der Beklagte hat zum 15.07.2003 überprüft, ob er seine zuvor getroffene
Entscheidung, 12 der 39 Arbeitnehmer der Gemeinschuldnerin während des Laufs der
Kündigungsfristen
nicht
um die Frage einer Beschäftigung während der Dauer der Kündigungsfrist, nicht aber
darüber hinaus.
bbb. Auch ist ein "Besserungsfall" nur insoweit eingetreten, als der Beklagte nunmehr die
von ihm am 09.07.2003 noch nicht zu beantwortende Frage, ob er als Insolvenzverwalter in
der Lage sein würde, die Vergütung der während der Kündigungsfrist nicht freigestellten
Mitarbeiter zu erwirtschaften, nunmehr bejahen zu können glaubte. Zwischen dem
09.07.2003 und dem 18.07.2003 wurde nur die in Ziffer 2 Abs. 3 des Interessenausgleichs
schon vorstrukturierte Entscheidung getroffen, dass die von Anfang an nicht freigestellten
Mitarbeiter auch weiterhin bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ihre Arbeitsleistung würden
verrichten können. Da, wie bereits ausführlich dargestellt, die in Ziffer 2 Abs. 3 des
Interessenausgleichs getroffene Regelung die Vermutungswirkung von § 125 Abs. 1 Satz 1
Ziffer 1 InsO nicht in Frage zu stellen geeignet ist, vermag auch der bloße Vollzug dieser
Regelung zum 15.07.2003 keine im Vergleich zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Interessenausgleichs wesentlich geänderte Sachlage zu begründen.
f. Andere Gesichtspunkte, die die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigung vom
18.07.2003 zum 31.10.2003 in Frage stellen könnten, sind nicht ersichtlich.
2. Zutreffend hat das Arbeitsgericht ebenfalls erkannt, dass der Kläger keinen Anspruch auf
Wiedereinstellung in ein Arbeitsverhältnis zum Beklagten besitzt, obwohl der Beklagte
Mitte Oktober 2003 auf der Grundlage des nunmehr vorliegenden Gutachtens L seine
ursprüngliche Entscheidung, den Betrieb zum 31.10.2003 vollständig zu schließen,
revidiert und eine vorläufige Fortsetzung des Betriebes mit einem 13-köpfigen Personal
über den 31.10.2003 hinaus beschlossen hatte.
a. In der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung des BAG war anerkannt, dass dem
betriebsbedingt gekündigten Arbeitnehmer ein Wiedereinstellungsanspruch zustehen
kann, wenn sich zwischen dem Ausspruch der betriebsbedingten Kündigung und dem
Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ergibt
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(BAG AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung Nr. 1, Nr. 2, Nr. 4 und Nr. 5; BAG AP
§ 1 KSchG 1969 Soziale Auswahl Nr. 45; BAG NZA 2000, 1097 ff.). Die
Rahmenbedingungen für einen derartigen Wiedereinstellungsanspruch waren im
vorliegenden Fall zunächst grundsätzlich gegeben: Der Kläger wurde zum 31.10.2003
gekündigt, weil der Beklagte ursprünglich beabsichtigt hatte, spätestens zum 31.10.2003
den Betrieb der Gemeinschuldnerin vollständig stillzulegen. Noch vor Ablauf der
Kündigungsfrist, nämlich Mitte Oktober 2003, entschied der Beklagte sodann, den Betrieb
in stark eingeschränkter Form mit insgesamt 13 Arbeitsplätzen über den 31.10.2003 hinaus
fortzusetzen. Auch in der Abteilung Weiterverarbeitung II/Hinterklebung, in der der Kläger
zuletzt beschäftigt gewesen war, bestanden nach der geänderten Entscheidung des
Beklagten aus Oktober 2003 zwei von vier Arbeitsplätzen fort.
b. In seiner Entscheidung vom 28.06.2000 (NZA 2000, 1097 ff.) hat das BAG den
Wiedereinstellungsanspruch aus einer vertraglichen, den Vorgaben des
Kündigungsschutzgesetzes und der staatlichen Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG
Rechnung tragenden Nebenpflicht hergeleitet. Schon nach seiner bisherigen
Rechtsprechung hat das BAG die Schlussfolgerung gezogen, dass eine differenzierende
Behandlung in den Fällen geboten sei, in denen berechtigte Interessen des Arbeitgebers
der Wiedereinstellung entgegenstehen (BAG a.a.O.; ferner BAG AP § 1 KSchG 1969
Wiedereinstellung Nr. 1).
c. In seiner Entscheidung vom 13.05.2004 (8 AZR 198/03) hat das BAG nunmehr
entschieden, dass bei einem laufenden Insolvenzverfahren kein
Wiedereinstellungsanspruch eines wegen der Entscheidung des Insolvenzverwalters zur
vollständigen Betriebsschließung gekündigten Arbeitnehmers in Betracht kommt, wenn
sich nachträglich und wider Erwarten, aber noch während des Laufs der Kündigungsfrist
doch noch ein Unternehmenskäufer findet und es dann in der Folgezeit zu einem
Betriebsübergang kommt. Das BAG hat diese Entscheidung insbesondere damit
begründet, dass jedenfalls bei einem Betriebsübergang während eines
Insolvenzverfahrens das Interesse des Insolvenzverwalters an einer beschleunigten und
rechtssicheren Abwicklung der Beendigungsstreitigkeiten das Interesse des Arbeitnehmers
an einer Wiedereinstellung überwiege, so dass weder aus dem nationalen Recht noch aus
europäischem Recht ein Wiedereinstellungsanspruch abgeleitet werden könne. Dies gelte
unabhängig davon, ob es sich um eine zerschlagende oder sanierende Insolvenz handele.
d. Diese neueste höchstrichterliche Rechtsprechung spricht dafür, dass auch im
vorliegenden Fall ein Wiedereinstellungsanspruch des Klägers aufgrund der besonderen
Interessenlage in einem Insolvenzverfahren bereits "dem Grunde nach" nicht in Betracht
kommt. Zwar hat das BAG in der Entscheidung vom 13.5.2004 maßgeblich u.a. darauf
abgestellt, dass in dem dortigen Fall zwar der Unternehmenskaufvertrag schon während
der Kündigungsfrist abgeschlossen, der Betriebsübergang jedoch erst vier Tage nach
deren Ablauf faktisch vollzogen wurde. Dies dürfte jedoch einen entscheidungserheblichen
Unterschied nicht begründen können; denn spätestens im Zeitpunkt des Abschlusses des
Unternehmenskaufvertrages, also noch während des Laufs der Kündigungsfrist, stand fest,
dass der für die Rechtfertigung der Kündigung herangezogene Grund der
Betriebsschließung nicht mehr eintreten würde. Nach der bisherigen Rechtsprechung zum
Wiedereinstellungsanspruch kommt es jedoch nur darauf an, dass sich noch während des
Laufs der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung
herausstellt (BAG AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellungsanspruch Nr.1 und Nr.6;
HWK/Quecke, § 1 KSchG Rz.82).
e. Selbst wenn man jedoch "dem Grunde nach" einen Wiedereinstellungsanspruch des
Klägers in Betracht zieht, scheitert ein solcher auf der Grundlage der bisherigen
höchstrichterlichen Rechtsprechung dann letztlich daran, dass der Beklagte eine den
§§ 242, 315 BGB genügende Auswahlentscheidung getroffen hat, die für den Kläger
geeigneten verbleibenden Arbeitsplätze anderweitig zu besetzen.
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aa. Ob die Auswahlentscheidung, die der Arbeitgeber zu treffen hat, wenn entgegen
ursprünglicher Erwartung ein Teil der gekündigten Arbeitsplätze, aber eben nicht alle
aufrechterhalten bleiben, sich an den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG zu orientieren
hat, hat das BAG zunächst offengelassen (BAG AP § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung
Nr. 4). In seiner Entscheidung vom 28.06.2000 hat das BAG sodann ausgeführt, dass die
Auswahlentscheidung sich nicht allein nach den Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG zu richten
hat, sondern gemäß § 242 BGB unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des
jeweiligen Einzelfalls zu treffen ist (BAG NZA 2000, 1097 ff.).
bb. Der Beklagte hat, als er sich Mitte Oktober 2003 entschloss, den Betrieb doch nicht
vollständig zum 31.10.2003 stillzulegen, sondern zunächst mit 13 Arbeitsplätzen
fortzuführen, mit dem Betriebsrat der Gemeinschuldnerin unter dem 29.10.2003 erneut
einen Interessenausgleich abgeschlossen. In diesem Interessenausgleich haben die
Betriebspartner die notwendige Auswahlentscheidung, welche Arbeitnehmer wieder
eingestellt werden sollten, einvernehmlich geregelt und dem Interessenausgleich erneut
eine Namensliste beigefügt, welche die Namen der nicht wieder einzustellenden
Arbeitnehmer enthält. Auf dieser Liste befindet sich der Name des Klägers.
cc. Es kann dahingestellt bleiben, ob die dem Interessenausgleich vom 29.10.2003
beigefügte Namensliste im Hinblick auf die Auswahlentscheidung der wieder
einzustellenden Arbeitnehmer die Wirkung des § 125 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 InsO hervorruft,
wonach die soziale Auswahl nur im Hinblick auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das
Lebensalter und die Unterhaltspflichten und auch insoweit nur auf grobe Fehlerhaftigkeit
nachgeprüft werden kann. Eine unmittelbare Anwendung des § 125 Abs. 1 InsO scheidet
aus, weil es hierin nach dem Wortlaut der Vorschrift um Arbeitnehmer geht, "denen
gekündigt werden soll". Wenn sodann nach der neueren höchstrichterlichen
Rechtsprechung des BAG die Auswahlentscheidung bei einem
Wiedereinstellungsanspruch nicht allein den Kriterien des § 1 Abs. 3 KSchG folgt, sondern
darüber hinaus umfassend die Grundsätze aus § 242 BGB zu beachten sind (BAG
NZA 2000, 1097 ff.), so erscheint auch die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung
von § 125 Abs. 1 Ziffer 2 InsO auf die Wiedereinstellungsauswahl zumindest zweifelhaft.
dd. Einer abschließenden Klärung dieser Frage bedarf es hier jedoch nicht; denn die vom
Beklagten im Einvernehmen mit dem Betriebsrat gemäß Interessenausgleich vom
29.10.2003 getroffene Auswahlentscheidung genügte auch dann, wenn der Beklagte sie
alleine getroffen hätte, sowohl den Anforderungen des § 1 Abs. 3 KSchG, als auch den
Grundsätzen der §§ 242, 315 BGB. Der Umstand, dass der Beklagte die
Auswahlentscheidung im ausdrücklichen Einvernehmen mit dem gewählten Betriebsrat
getroffen hat, begründet darüber hinaus eine zusätzliche Plausibilitätsvermutung,
unabhängig davon, ob § 125 Abs. 1 InsO eingreift oder nicht.
aaa. Nach der Auswahlentscheidung, die der Beklagte mit dem Betriebsrat getroffen hat,
sollten in der Abteilung Weiterverarbeitung II/Hinterklebung die Mitarbeiter M M und T ,
nicht jedoch der Kläger und ein weiterer, hier nicht interessierender Mitarbeiter
weiterbeschäftigt werden. Der Mitarbeiter M M ist knapp acht Jahre älter als der Kläger
(geboren 22.05.1963) und verfügt über eine knapp zehn Jahre längere
Betriebszugehörigkeit. Diese markanten Vorteile des Mitarbeiters M in den Kategorien
Lebensalter und Betriebszugehörigkeit wiegen den Umstand auf, dass der Mitarbeiter M
ledig ist, während der Kläger verheiratet ist und für drei Kinder zu sorgen hat. Schon vor
dem Hintergrund der Sozialdaten wäre die Entscheidung zu Gunsten des Mitarbeiters M M
vertretbar. Hinzu kommt noch, dass es sich bei M M um den Betriebsratsvorsitzenden
handelt, der im Falle einer Kündigung Sonderkündigungsschutz genösse. Jedoch auch bei
der Entscheidung über einen Wiedereinstellungsanspruch spricht das Interesse der
verbleibenden Restbelegschaft an der Kontinuität der Betriebsratsarbeit zusätzlich für die
Auswahlentscheidung zu Gunsten des M M .
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bbb. Aber auch die Entscheidung, statt des Klägers den Mitarbeiter T wieder einzustellen,
erscheint im Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Mitarbeiter T ist zwar nur für ein Kind
unterhaltsverpflichtet, während der Kläger drei Kinder hat. Überdies betrug die
Betriebszugehörigkeit des Mitarbeiters T im möglichen Wiedereinstellungszeitpunkt
01.11.2003 acht Jahre und knapp vier Monate gegenüber 13 Jahren und sieben Monaten
beim Kläger. Auf der anderen Seite ist der Mitarbeiter T aber ziemlich genau 11 Jahre älter
als der Kläger und hat auf Grund dessen mit 43 Jahren bereits deutliche Nachteile bei den
Vermittlungschancen auf dem Arbeitsmarkt gegenüber dem erst 32-jährigen Kläger. Schon
allein bei Berücksichtigung nur der einschlägigen Sozialdaten hält die Berufungskammer
somit die Entscheidung des Beklagten und des Betriebsrats zu Gunsten des Mitarbeiters T
für vertretbar und nicht ermessensfehlerhaft.
ccc. Dem kann der Kläger auch nicht entgegenhalten, dass der Beklagte sich durch die in
Ziffer III 1 a) bis c) des Protokolls zum Interessenausgleich vom 29.10.2003 festgelegte
Sozialdatenpunktetabelle selbst gebunden habe. Nach dieser Tabelle erzielte der Kläger
zwar geringfügig mehr Sozialpunkte als der Mitarbeiter T (68 zu 63). In Abschnitt III 1 d) ist
jedoch ausdrücklich festgehalten, dass "die endgültige Auswahl auch unter Einbeziehung
solcher Gesichtspunkte erfolgt, die unter a) bis c) nicht genannt sind, jedoch für den
betroffenen Arbeitnehmer eine besondere soziale Härte bedeuten. Dabei kommen
insbesondere Umstände in Betracht, die eine Arbeitsvermittlung deutlich erschweren." Das
Ergebnis der Verhandlungen des Beklagten mit dem Betriebsrat bindet den Beklagten
somit gerade nicht zu Gunsten des Klägers und zu Ungunsten des Mitarbeiters T ; denn
ungeachtet der sozialen Gewichtung auf Grund der Kriterien in Abschnitt III 1 a) bis c) des
Protokolls zum Interessenausgleich haben sich die Betriebspartner in Anwendung von
Abschnitt III 1 d) des Protokolls ausdrücklich dafür entschieden, nicht dem Mitarbeiter T ,
sondern dem Kläger die Wiedereinstellung zu versagen.
ee. Ebenso wenig ist zu beanstanden, dass der Beklagte für die Abteilung
Weiterverarbeitung I/Collatoren nicht den Kläger berücksichtigt hat, sondern die zuvor in
dieser Abteilung tätigen I R und H H .
aaa. Das Arbeitsgericht hat bereits zu Recht verneint, dass der Kläger überhaupt seine
Vergleichbarkeit mit diesen Mitarbeitern ausreichend dargelegt hätte.
bbb. Selbst wenn man aber eine Vergleichbarkeit zu Gunsten des Klägers unterstellte,
wäre dennoch nicht zu beanstanden, dass der Beklagte - wiederum in ausdrücklichem
Einvernehmen mit der Betriebsvertretung - den Mitarbeitern I R und H bei der
Wiedereinstellung den Vorzug gegeben hat.
Die verheiratete Mitarbeiterin R hat zwar im Gegensatz zum Kläger keine Kinder zu
versorgen. Bei nur geringfügig kürzerer Beschäftigungsdauer (Eintritt 01.08.1991
gegenüber 02.04.1990) spricht der Altersgesichtspunkt jedoch ganz wesentlich zu Gunsten
der Mitarbeiterin R . Die am 01.11.1948 geborene Mitarbeiterin war nämlich im Zeitpunkt
der Wiedereinstellungsentscheidung bereits 55 Jahre alt und damit neben dem 32-jährigen
Kläger auf dem Arbeitsmarkt nahezu chancenlos. Zusätzlich spricht im übrigen auch für die
Mitarbeiterin R der Grundsatz der Kontinuität der Betriebsratsarbeit.
Erst recht könnte der Kläger - eine Vergleichbarkeit wiederum einmal vorausgesetzt - unter
sozialen Aspekten nicht verlangen, gegenüber dem Mitarbeiter H H bevorzugt zu werden.
Auch dieser Mitarbeiter hat zwar im Gegensatz zum Kläger keine Kinder zu versorgen. Er
ist aber andererseits nicht nur mehr als 21,5 Jahre älter als der Kläger, sondern verfügt
auch über eine um 19,5 Jahre längere Betriebszugehörigkeit.
f. Ein Wiedereinstellungsanspruch des Klägers käme schließlich auch nicht etwa deshalb
in Betracht, weil einer derjenigen Mitarbeiter, mit denen sich der Kläger für vergleichbar
hält, das Wiedereinstellungsangebot des Beklagten nicht angenommen hätte. Derartiges
hat der Kläger nicht vorgetragen.
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g. Das zwischen dem Kläger und der Rechtsvorgängerin der Gemeinschuldnerin
begründete Arbeitsverhältnis hat somit auf Grund der rechtswirksamen Kündigung des
Beklagten vom 18.07.2003 zum 31.10.2003 sein Ende gefunden. Ein
Wiedereinstellungsanspruch des Klägers bestand nicht.
3. Auf die vorsorglich und hilfsweise ausgesprochene weitere Kündigung des Beklagten
vom 30.10.2003 kommt es nicht an.
III.
Im Hinblick auf § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG hielt es das Berufungsgericht für erforderlich, die
Revision zuzulassen.
(Dr. Czinczoll) (Voges) (Rehfisch)