Urteil des LAG Hamm vom 08.02.2005

LArbG Hamm: geschäftsführer, abfindung, fristlose kündigung, gespräch, strafbare handlung, stationäre behandlung, ordentliche kündigung, auflösung, anschlussberufung, kündigungsfrist

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Vorinstanz:
Schlagworte:
Normen:
Leitsätze:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Rechtskraft:
Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 2287/04
08.02.2005
Landesarbeitsgericht Hamm
19. Kammer
Urteil
19 Sa 2287/04
Arbeitsgericht Hamm, 4 Ca 1035/04
Kündigung wegen Trunksucht
§ 1 KSchG
Eine negative Zukunftsprognose rechtfertigt eine Kündigung wegen
Trunksucht in der Regel nicht, ohne dass es bereits in der Vergangenheit
zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
gekommen ist.
Die Revision wird nicht zugelassen
Auf die Berufung des Klägers und die Anschlussberufung des Beklagten
wird unter Zurückweisung der Berufungen im Übrigen das (Teil-)Urteil
des Arbeitsgerichts Hamm vom 30.09.2004 - 4 Ca 1035/04 - teilweise
abgeändert und wie folgt unter Aufhebung der erstinstanzlichen
Kostenentscheidung neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
durch die Kündigung vom 26.04.2004 weder fristlos noch fristgerecht
aufgelöst worden ist.
Das Arbeitsverhältnis wird zum 31.10.2004 aufgelöst.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Abfindung in Höhe von
30.000,00 € zu zahlen.
Die Beklagte hat 4/5 und der Kläger 1/5 der Kosten des
Berufungsverfahrens zu tragen.
T a t b e s t a n d
Die Parteien streiten über eine von der Beklagten auf verhaltens- und personenbedingte
Gründe gestützte außerordentliche Kündigung vom 26.04.2004, wobei der Kläger
hilfsweise eine Wiedereinstellung und die Beklagte hilfsweise die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung begehrt.
Die Beklagte, bei der etwa fünfzehn Arbeitnehmer beschäftigt sind, stellte den am
16.08.1962 geborenen verheirateten Kläger, der eine fünfjährige Tochter hat, zum
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16.07.1984 ein. Der Kläger wurde Chefbuchhalter. Sein durchschnittliches monatliches
Bruttoeinkommen betrug zuletzt 3.000,-- €.
Im Jahre 2002/2003 begründete der Geschäftsführer der Beklagten die J1xxxxx-I1xxxxx-
GmbH, deren Geschäftsführer der Kläger wurde. In diesem Zeitraum wurde dem Kläger
auch zur ausschließlichen Nutzung ein Büroraum zugewiesen.
Im Jahre 2002 und am 27.10.2003 erhielt der Kläger eine Abmahnung wegen
Alkoholkonsums, letztere weil der Kläger am 24.10.2003 nach Alkohol gerochen und eine
lallende Aussprache gehabt habe.
Ab dem 28.10.2003 wurde der Kläger zwecks Entgiftung stationär behandelt. Am
10.11.2003 erschien der Kläger wieder zur Arbeit.
Am 02.04.04 forderte der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger in einem Gespräch auf,
sich eine neue Stelle zu suchen und am 08.04.2004 verließ der Kläger gegen 11.30 Uhr
alkoholisiert seinen Arbeitsplatz.
Für die Zeit ab dem 13.04.2004 erhielt der Kläger Freizeitausgleich für geleistete
Überstunden. Während dieses Freizeitausgleichs wurde der Kläger ab dem 19.04.04 vier
Tage stationär behandelt.
Auf Bitten des Klägers kam es am 26.04.2004 frühmorgens zu einem Gespräch zwischen
ihm und dem Geschäftsführer der Beklagten, in dem der Kläger jedenfalls um eine
Gehaltserhöhung bat.
Mit Schreiben vom gleichen Tag kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem
Kläger "aufgrund des Gespräches" mit sofortiger Wirkung.
Unter dem 27.04.2004 teilte der Geschäftsführer der Beklagten dem Kläger im Namen der
Beklagten und der J1xxxxx-I1xxxxx GmbH folgendes mit:
"Wie wir jetzt feststellen konnten, haben Sie in größerem Umfang unerlaubt
Geschäftsunterlagen aus unseren Geschäftsräumen entfernt. Damit haben Sie eine
strafbare Handlung begangen.
Wir fordern sie heute auf, sämtliche mitgenommenen Geschäftsunterlagen sofort
zurück zu geben. Diese erwarten wir bis spätestens 29.04.2004."
Der Kläger ließ der Beklagten durch seine Ehefrau am 28.04.05 zahlreiche
Geschäftsunterlagen überbringen.
Unter dem 28.04.2004 wurde der Kläger nochmals aufgefordert, sämtliche Unterlagen
zurückzugeben, da bei Durchsicht der zurückgegebenen Geschäftsunterlagen aufgefallen
sei, dass diese nicht vollständig seien.
Mit der bei Gericht am 06.05.2004 eingegangenen Klage hat der Kläger sich gegen die
Kündigung gewandt und mit Klageerweiterungen Gehalt und Gehaltsabrechnungen für die
Zeit nach Ausspruch der Kündigung geltend gemacht.
Er behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten habe ihn immer wieder mit
Schimpfwörtern bedacht und sich kränkend über seine Ehefrau geäußert. Wenn er sich
gegen die Beleidigungen des Geschäftsführers der Beklagten habe wehren wollen, sei ihm
stets bedeutet worden, dass er solange gemobbt werde, bis er von alleine gehe. Dies habe
dann letztendlich auch dazu beigetragen, dass er mehr und mehr dem Alkohol
zugesprochen habe.
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Seine Tätigkeit habe er immer einwandfrei verrichtet.
Er sei es gewesen, der dem Geschäftsführer der Beklagten geraten habe, Forderungen der
Beklagten nicht mehr durch fremde Inkassounternehmen einziehen zu lassen, sondern
selbst ein Inkassounternehmen zu gründen.
Da ein solches Inkassounternehmen nur in einem abgeschlossenen Büro betrieben
werden dürfe, sei ihm Anfang 2003 mit Bestellung zum Geschäftsführer des
Inkassounternehmens ein eigener Büroraum zugewiesen worden. Ab diesem Zeitpunkt
habe sich zwar seine Tätigkeit für die Beklagte vermindert, er sei jedoch nach wie vor
maßgeblich für die Beklagte tätig geworden. So habe er z.B. die Gewinn- und
Verlustrechnungen regelmäßig kontrolliert, die erforderlichen Gespräche mit der Bank, dem
Steuerberater, dem Finanzamt, der Berufsgenossenschaft, den Krankenkassen und im
Sommer 2003 mit einer Firma geführt, die Interesse gezeigt habe, die Beklagte
aufzukaufen. Zur Abwicklung der Bankgeschäfte habe die Beklagte ihm auch weiterhin
eine bevorrechtigte A-Vollmacht erteilt, die ihn berechtigt habe, mit einem weiteren
nachrangig Bevollmächtigten im Namen der Beklagten Bankgeschäfte abzuwickeln.
Am 02.04.2004 habe der Geschäftsführer ihm gesagt, er solle sich eine neue Stelle suchen,
wenn er nicht gemobbt werden wolle.
Am 18.04.2004 habe er sich wegen Herzrhythmusstörungen und nicht wegen
Alkoholproblemen in eine stationäre Behandlung begeben.
In dem Gespräch am 26.04.2004 habe er neben einer Gehaltserhöhung nur die
Einstellungen der Beleidigungen durch den Geschäftsführer gefordert. Über Weiteres sei
nicht gesprochen worden.
Der Kläger hat beantragt,
festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehen-de Arbeitsverhältnis
nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 26.04.2004 aufgelöst worden ist,
sondern in ungekündigtem Zustand fortbesteht.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat behauptet, in den letzten Jahren sei der Kläger immer häufiger alkoholisiert zur
Arbeit gekommen.
Seit Anfang 2002 sei der Kläger von seiner Tätigkeit als Chefbuchhalter freigestellt worden,
weil er trotz Zuweisung eines eigenen Raumes, in dem er ungestört habe arbeiten können,
mit der Arbeit nicht mehr zurecht gekommen sei.
Als der Kläger nach der stationären Entgiftungsmaßnahme am 10.11.2003 wieder
begonnen habe zu arbeiten, sei es so erschienen, als habe der Kläger sein Alkoholproblem
doch etwas in den Griff bekommen, weshalb ihm ihr Geschäftsführer angeboten habe, eine
längere Entziehungskur zu machen, um völlig vom Alkohol herunter zu kommen. Dies habe
der Kläger abgelehnt.
Am 02.04.2004 habe ihr Geschäftsführer dem Kläger angeboten, sich eine neue Stelle zu
suchen und ihm zugesichert, die gesetzliche Abfindung zu zahlen. Zu diesem Zweck seien
sie übereingekommen, dass der Kläger ab dem 13.04.2004 Freizeitausgleich für
Überstunden erhalten sollte.
Als der Kläger am 08.04.2004 wieder alkoholisiert gewesen sei, sei sofort der Verdacht
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aufgekeimt, dass der Kläger sein Alkoholproblem trotz der Therapie noch nicht im Griff
gehabt habe.
Während der Freistellung des Klägers wegen geleisteter Überstunden, sei es am 18.04.04
zu einem schweren Rückfall des Klägers anlässlich eines Fußballspieles seines örtlichen
Heimatvereines gekommen, bei dem der Kläger derartig dem Alkohol zugesprochen habe,
dass er nicht mehr ansprechbar gewesen sei.
Auch hätten während der Freistellung des Klägers ab dem 13.04.2004 Kunden der
J1xxxxx-I1xxxxx GmbH angerufen und sich nach ihrem Fall erkundigt, wobei festgestellt
worden sei, dass ihre Akten nicht auffindbar gewesen seien. Der Kläger habe jedoch
gesagt, dass die Akten ordnungsgemäß geführt und in der Firma seien. Telefongespräche
mit den Kunden hätten jedoch ergeben, dass sie Unterlagen abgegeben hätten, die auch
im System nicht eingespeichert worden seien.
Am 26.04.2004 habe der Kläger wieder arbeiten müssen. Als ihr Geschäftsführer bei dem
Gespräch am frühen Morgen eine Gehaltserhöhung abgelehnt habe, habe der Kläger eine
Abfindung über der gesetzlich vorgeschriebenen Regelabfindung gefordert mit dem
Hinweis, dass es für ihren Geschäftsführer zum Unglück würde, wenn er sich nicht
entsprechend verhalte, wobei er bedenken möge, dass er – ihr Geschäftsführer - es zu
einem nicht unerheblichen Wohlstand gebracht habe, im Glashaus sitze und er – der
Kläger – als Buchhalter genug wisse.
In dem Gespräch am 26.04.2004 habe ihr Geschäftsführer auch das Thema der nicht
auffindbaren Unterlagen angesprochen, woraufhin der Kläger gesagt habe, die Unterlagen
seien in Ordnung und er verstünde die Kunden nicht. Der Geschäftsführer habe ihm jedoch
nicht mehr vertraut. Insbesondere seien die Akten von vier Kunden nicht auffindbar
gewesen. Dies alles habe sie dann zur fristlosen Kündigung veranlasst.
Es habe sich dann auch herausgestellt, dass der Kläger in erheblichem Umfang entgegen
seiner Beteuerung doch Geschäftsunterlagen mitgenommen habe. In seiner Trunkenheit
habe er Akten einfach verschwinden lassen. Erst nachdem Kunden das
Inkassounternehmen hätten haftbar machen wollen, wenn die Forderungen nicht
eingezogen würden oder Ausfälle entstünden, habe der Kläger reagiert und zwei Tage
nach der ausgesprochenen Kündigung die Akten durch seine Ehefrau zurückbringen
lassen. Dabei sei aufgefallen, dass diese Unterlagen nicht vollständig sein konnten und der
Kläger auch insoweit manipuliert habe, weshalb sie sich mit den Kunden habe in
Verbindung setzen müssen, um die Akten in einen ordentlichen Zustand zu bringen.
Das alkoholbedingte Fehlverhalten des Klägers habe sich auch nach der Kündigung
fortgesetzt. So sei der Kläger nicht nur zum Gütetermin alkoholisiert erschienen, sondern
habe auch insgesamt dreimal alkoholisiert ihren Prozessbevollmächtigten angerufen und
ihm nahe gelegt, er möge auf ihren Geschäftsführer einwirken, eine weit über dem
Regelbetrag liegende Abfindung zu zahlen, um nicht alles zu verlieren, wenn er – der
Kläger – auspacken würde, wobei er angefügt habe, dass dies keine Drohung gegen den
Geschäftsführer sei. In gleicher Weise habe er ihren Verlagsleiter angerufen.
Das Arbeitsgericht Hamm hat mit Urteil vom 30.09.2004 – 4 Ca 1035/04 – entschieden,
dass die Kündigung zwar nicht als fristlose, aber krankheitsbedingt aufgrund einer
Alkoholabhängigkeit des Klägers als fristgerechte Kündigung wirksam sei, da zum
maßgeblichen Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund noch nicht vorhandener
Bereitschaft des Klägers, sich einer Therapie zu unterziehen, mit alkoholbedingter
Arbeitsunfähigkeit bzw. Leistungseinschränkung zu rechnen gewesen sei. Die mit einer
fortschreitenden Alkoholerkrankung einhergehende Unzuverlässigkeit und Fehlerhäufung
ließen sich mit der Position des Klägers als Chefbuchhalter ebenso wenig vereinbaren, wie
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der durch überhöhten Alkoholgenuss verursachte Kontrollverlust. Es sei davon
auszugehen, dass die wiederholten Arbeitsunfähigkeiten zu einer dauernden
Arbeitsunfähigkeit anwüchsen und die Persönlichkeitsstörung des Klägers zunehmen
würden.
Das Urteil ist dem Kläger am 09.11.2004 zugestellt worden. Mit bei Gericht am 06.12.2004
eingegangenem Schriftsatz, der der Beklagten am 27.12.2004 zugestellt worden ist, hat der
Kläger Berufung eingelegt und diese gleichzeitig begründet.
Mit bei Gericht am 19.01.2005 eingegangenem Schriftsatz hat die Beklagte
Anschlussberufung eingelegt.
Der Kläger ist der Ansicht, dass die fristlose Kündigung bereits gemäß § 626 Abs. 2 BGB
unwirksam sei, da der Beklagten die Kündigungsgründe, auf die sie sich stütze, bereits
länger als 14 Tage vor Ausspruch der Kündigung bekannt gewesen seien.
Da die Beklagte nicht zum Ausdruck gebracht habe, dass die Kündigung jedenfalls als
fristgerechte Kündigung wirksam werden solle, sei auch eine Umdeutung in eine
fristgerechte Kündigung nicht möglich.
Im Übrigen gebe es auch für eine fristgerechte Kündigung keine Gründe.
Der Kläger behauptet weiterhin, dass er seine arbeitsvertraglichen Pflichten stets
beanstandungsfrei erfüllt und erledigt habe.
Auch der Steuerberater habe seine Tätigkeit nicht beanstandet.
Nur so sei es auch zu erklären, dass er ab dem 01.01.2003 neben seiner bisherigen
Tätigkeit für die Beklagte zusätzlich als alleiniger Geschäftsführer der J1xxxxx-I1xxxxx
GmbH eingesetzt worden sei, er im Sommer 2003 mit der Führung der Verhandlungen über
den Verkauf der Beklagten beauftragt worden sei und er eine vorrangige Bankvollmacht
gehabt habe. Die Beklagte trage selbst vor, dass sie den Eindruck gewonnen habe, dass er
nach der Therapiemaßnahme Ende Oktober/Anfang November 2003 das Alkoholproblem
in den Griff bekommen habe.
Genauso wenig wie es in der Vergangenheit zu Beeinträchtigungen des Betriebsablaufs
gekommen sei, sei dies für die Zukunft zu erwarten gewesen.
Er habe den Geschäftsführer der Beklagten auch weder bedroht noch habe er
Kundenakten verschwinden lassen. Er habe lediglich Geschäftsunterlagen mitgenommen,
um sie zu Hause zu bearbeiten.
Der Kläger vertritt die Ansicht, dass die Beklagte jedenfalls verpflichtet sei, ihn wieder
einzustellen, da er sich in der Zeit vom 27.10. bis 05.11. nochmals stationär wegen seiner
Alkoholprobleme habe behandeln lassen und danach an einer teilstationären
Entwöhnungsbehandlung teilgenommen habe. Auch wolle er sich einer Selbsthilfegruppe
anschließen.
In der letzten mündlichen Verhandlung haben die Parteien übereinstimmend erklärt, dass
nur unter dem 26.04.00 eine Kündigung ausgesprochen wurde.
Der Kläger beantragt unter Zurücknahme der Feststellungsklage (Klage, soweit
Gegenstand des Berufungsverfahrens) im Übrigen,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 30.09.2004 – 4 Ca 1035/04 –
teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien
durch die Kündigung der Beklagten vom 26.04.2004 weder fristlos noch fristgerecht
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aufgelöst worden ist,
und hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, sein Angebot auf Abschluss eines Arbeitsvertrages
zu den Bedingungen des bisherigen Arbeitsverhältnisses anzunehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen,
und im Wege der Anschlussberufung,
das Urteil des Arbeitsgerichts Hamm vom 30.09.2004 – 4 Ca 1035/04 –
teilweise abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen,
und hilfsweise
das Arbeitsverhältnis zum 31.10.2004 aufzulösen gegen Zahlung einer
Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.
Der Kläger beantragt,
die Anschlussberufung und den hilfsweise gestellten Auflösungsantrag
zurückzuweisen.
Sie behauptet, der Kläger sei mit seiner Arbeit in der Buchhaltung nicht mehr zurecht ge-
kommen und immer mehr Termine hätten sich verzögert (Beweis: Zeugnis des Verlagslei-
ters, zweier Mitarbeiter und des Steuerberaters). In einem Fall sei es sogar zu einer Steuer-
veranlagung durch das Finanzamt im Wege der Schätzung gekommen, weil der Kläger sei-
ne Buchungsarbeiten nicht habe rechtzeitig fertig stellen können. Der Steuerberater habe
nur mit großen Mühen dieses wieder gerade rücken können.
So sei ihm nur noch die Tätigkeit als Geschäftsführer der Firma J1xxxxx-I1xxxxx GmbH
übertragen worden. Als solcher habe er nicht unkontrolliert arbeiten können. Da es sich um
ein Inkassounternehmen handele, habe ihm ein Volljurist als Konzessionsträger beigestellt
werden müssen, wobei ein Rechtsanwalt als Konzessionsträger tätig geworden sei.
Es sei auch nicht richtig, dass ausschließlich der Kläger im Sommer 2003 die
Verkaufsverhandlungen geführt habe. Abgesehen davon, dass der Kläger hier einige
Zahlen für den Geschäftsführer der Beklagten zusammengestellt habe, sei es um keine
nennenswerten verantwortlichen Tätigkeiten gegangen.
Der Kläger habe auch nicht mehr den Zahlungsverkehr abgewickelt, was auch nicht
erforderlich gewesen sei, da der Bruder des Geschäftsführers ebenfalls eine bevorrechtigte
Bankvollmacht gehabt habe.
Bei dem Gespräch am 26.04.2004, zu dem der Kläger alkoholisiert erschienen sei, seien
ihrem Geschäftsführer im Zusammenhang mit den Drohungen und den aufgefallenen
Nachlässigkeiten bezüglich der verschwundenen Akten die alkoholbedingten
Ausfallerscheinungen bewusst geworden. Mit dem Arbeitsgericht sei auch davon
auszugehen, dass jedenfalls zum Zeitpunkt der Kündigung eine negative
Zukunftsprognose berechtigt gewesen sei, zumal der Kläger noch zum Gütetermin
alkoholisiert erschienen sei und noch im November 2004 Therapiemaßnahmen erforderlich
gewesen seien.
Der Kläger könne im Hinblick auf die von ihm selbst vorgelegten ärztlichen
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Bescheinigungen bezüglich seiner stationären Behandlung im Oktober/November 2004
und der sich anschließenden teilstationären Behandlung ab dem 16.11.2004 auch nicht
mehr bestreiten, dass er alkoholabhängig sei.
Aufgrund dessen, dass der Kläger ihren Geschäftsführer ernsthaft am 26.04.2004 bedroht
habe und, wenn auch alkoholbedingt, Akten der Firma J1xxxxx-I1xxxxx GmbH habe
verschwinden lassen, sei auch eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt gewesen.
Offensichtlich habe der Kläger die Unterlagen mit nach Hause genommen, um neben der
Tätigkeit im Inkassobüro parallel auf eigene Faust Akten zu bearbeiten, möglicherweise
zwecks Erzielung von Nebeneinkünften. Zumindest liege dieser Verdacht nahe.
Aufgrund der eingetretenen Umstände sei es ihr nicht mehr zumutbar, den Kläger als
Buchhalter mit der Wahrnehmung und Betreuung ihrer Vermögensinteressen zu
beauftragen, so dass das Arbeitsverhältnis jedenfalls mit Auslaufen der Kündigungsfrist
gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen sei. Die Regelabfindung betrage unter
Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit und des durchschnittlichen Einkommens des
Klägers 30.000,-- €.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf ihre Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Berufung des Klägers ist begründet und die Anschlussberufung unbegründet, soweit
der Kläger die Feststellung begehrt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung weder
fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden ist.
Der Auflösungsantrag der Beklagten ist jedoch begründet.
I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 26.04.2004 ist gemäß § 626 Abs. 1
BGB unwirksam.
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne
Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund
derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnis bis
zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Das Vorliegen eines wichtigen Grundes ist in zwei Stufen zu prüfen.
Zunächst ist festzustellen, ob der Sachverhalt unabhängig von den besonderen Umständen
des Einzelfalles generell geeignet ist, einen wichtigen Grund darzustellen.
In einem zweiten Schritt ist festzustellen, ob unter Einbeziehung aller Umstände des
Einzelfalles eine Interessenabwägung ergibt, dass die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unzumutbar ist (vgl. BAG, Urteil
vom 17.05.1984 – 2 AZR 3/83 – AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; Erf.
Komm./Müller-Glöge, 4. Aufl., § 626 BGB Rdnr. 34).
2. Die Beklagte kann die außerordentliche Kündigung nicht auf ihre Behauptung stützen,
der Kläger habe in dem Gespräch am 26.04.2004 ihrem Geschäftsführer angedroht, dass er
– der Kläger – seine Kenntnisse als Buchhalter nutzen werde, um ihm zu schaden, wenn er
nicht bereit sei, eine Abfindung zu zahlen, die über die im Gesetz vorgesehene
Regelabfindung hinausgehe.
Trifft diese Behauptung zu, ist dies allerdings ein Erpressungsversuch, welcher grundsätz-
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lich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann (vgl. BAG, Urteil vom 11.03.1999
– 2 AZR 507/98 – AP Nr. 149 zu § 626 BGB), jedenfalls solange keine konkreten
Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Kläger wegen einer Alkoholisierung zu diesem
Zeitpunkt schuldunfähig war.
Der Kläger hat vorgetragen, dass er bei dem Gespräch lediglich um eine Gehaltserhöhung
gebeten und sich gegen ständige Beleidigungen gewandt habe und bestritten, dem
Geschäftsführer gedroht zu haben.
Die Beklagte hat für den von ihr behaupteten Verlauf des Gesprächs am 26.04.2004 keinen
Beweis angetreten. Ein Arbeitgeber ist aber für die von ihm vorgebrachten
Kündigungsgründe darlegungs- und beweispflichtig (vgl. ErfK/Müller-Glöge, 5.Aufl. RN 301
zu § 626 und auch BAG, Urteil vom 24.11.1983 – 2 AZR 327/82 und BAG, Urteil vom
06.08.87 – 2 AZR 226/87 AP Nr. 76 und 97 zu § 626 BGB)
Sofern die Beklagte dafür Beweis angetreten hat, dass der Kläger sich in ähnlicher Weise
auch noch nach der Kündigung gegenüber ihrem Geschäftsführer, dem Verlagsleiter und
ihrem Prozessbevollmächtigten geäußert habe, kann dies die außerordentliche Kündigung
vom 26.04.2004 nicht rechtfertigen, da maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die
Wirksamkeit einer Kündigung der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ist. Nach der
Kündigung aufgetretene Umstände können allenfalls dann Berücksichtigung finden, wenn
sie Rückschlüsse auf die Umstände vor Ausspruch der Kündigung zulassen (vgl. auch
BAG, Urteil vom 05.07.1990 - 2 AZR 154/90 – AP Nr. 26 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).
Drohungen des Klägers nach Ausspruch der Kündigung sind jedoch kein Indiz dafür, dass
der Kläger auch bereits vor der Kündigung entsprechend gedroht hat, zumal die Situation
vor und nach der Kündigung eine andere war. Nach Ausspruch der Kündigung bestand
eine größere Veranlassung, über die Frage einer Abfindung zu sprechen als vor der
Kündigung. Insbesondere dürfte nach Ausspruch der Kündigung der Kläger verbitterter
gewesen sein und von daher auch seine Hemmungen geringer, die Beklagte durch
Drohungen zu einer von ihm gewünschten Abfindungszahlung zu bewegen.
3. Die Beklagte kann die außerordentliche Kündigung auch nicht darauf stützen, dass der
Kläger Geschäftsunterlagen der J1xxxxx-I1xxxxx-GmbH, deren Geschäftführer er war, habe
verschwinden lassen.
Grundsätzlich kann die unbefugte Mitnahme von Geschäftsunterlagen eine
außerordentliche Kündigung rechtfertigen.
Der Kläger hat hierzu allerdings vorgetragen, dass er Akten, die er bearbeitet habe, mit
nach Hause genommen habe und er diese spätestens unmittelbar nach der Kündigung
durch seine Ehefrau habe zurückbringen lassen. Gerade für einen Geschäftsführer dürfte
es auch nicht unüblich sein, dass er Geschäftsunterlagen mit nach Hause nimmt, um sie
dort zu bearbeiten.
Ein Arbeitgeber muss einen Kündigungsgrund im einzelnen nachvollziehbar und
widerspruchsfrei vortragen und auch die vom Arbeitnehmer geltend gemachten
Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe widerlegen (vgl. ErfK/Müller-Glöge, 5.Aufl.
RN 301 zu § 626; KR – Fischermeier, 6. Aufl. § 626 BGB RN 380f; APS-Dörner, 2. Aufl. §
626 BGB RN 175 und auch BAG, Urteil vom 24.11.1983 – 2 AZR 327/82 und BAG, Urteil
vom 06.08.87 – 2 AZR 226/87 AP Nr. 76 und 97 zu § 626 BGB sowie zur erforderlichen
Widerspruchsfreiheit BAG, Urteil vom 13.06.2002, AP Nr. 4 zu § 284 ZPO).
Diese Voraussetzungen erfüllt das Vorbringen der Beklagten bezüglich der
Geschäftsunterlagen nicht.
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Die Beklagte hat in keiner Weise dargelegt, dass sie dem Kläger untersagt hatte,
Geschäftsunterlagen mit nach Hause zu nehmen, um sie dort zu bearbeiten bzw. der
Kläger davon ausgehen musste, dass ihm dies nicht gestattet war.
Die Beklagte hat auch keine konkreten Anhaltspunkte dafür vorgetragen, aus denen sich
ergeben könnte, dass der Kläger Unterlagen verschwinden lassen wollte oder, wie sie
zuletzt behauptet hat, sie neben der Tätigkeit im Inkassobüro parallel auf eigene Faust
bearbeiten wollte, um so möglicherweise Nebeneinkünfte zu erzielen.
Sie hat nicht angegeben, welche wann eingereichte Unterlagen der von ihr angegebenen
Kunden sie vermisste, auf die sie den Kläger vor Ausspruch der Kündigung angesprochen
haben will - wobei sie auch nicht unter Beweisantritt dargelegt hat, wer wann den Kläger
auf welche Unterlagen angesprochen hat -, ob diese Unterlagen sich unter den
zurückgebrachten Unterlagen befanden, welche Unterlagen sie weiterhin vermisst
entsprechend ihrem Schreiben vom 29.04.04 und warum dies darauf zurückzuführen sein
muss, dass der Kläger sie verschwinden ließ.
Widersprüchlich ist es, wenn die Beklagte in der Berufungserwiderung "von aufgefallenen
Nachlässigkeiten hinsichtlich der verschwundenen Akten" spricht, behauptet, dass der
Kläger Akten alkoholbedingt habe verschwinden lassen und zuletzt vorträgt, dass der
Kläger die zurückgebrachten Unterlagen offensichtlich mit nach Hause genommen habe,
um neben der Tätigkeit im Inkassobüro parallel auf eigene Faust Akten zu bearbeiten, um
so möglicherweise Nebeneinkünfte zu erzielen.
Der Umstand, dass der Kläger die von seiner Ehefrau überbrachten Unterlagen sofort nach
dem Aufforderungsschreiben vom 27.04.2004 herausgegebenen hat, deutet zudem darauf
hin, dass der Kläger sich bezüglich dieser Unterlagen nicht weigern wollte, sie
herauszugeben.
Das Fehlen von Unterlagen hat die Beklagte im Kündigungsschreiben auch als
Kündigungsgrund nicht erwähnt und den Kläger im Kündigungsschreiben auch nicht zur
Herausgabe von Geschäftsunterlagen aufgefordert, obwohl sie behauptet, dass ihr
Geschäftsführer bei dem vorangegangenen Gespräch am Morgen desselben Tages den
Eindruck gewonnen habe, dass der Kläger entgegen seinen Angaben verantwortlich für
das Fehlen von Geschäftsunterlagen sei.
II. Die Kündigung vom 26.04.2004 ist auch nicht als fristgerechte Kündigung wirksam, wenn
sie auch als solche umgedeutet werden könnte, zumal der Kläger selbst vorträgt, dass die
Beklagte ihm immer wieder durch ihren Geschäftsführer zu verstehen gegeben habe, dass
sie sich in jedem Fall von ihm trennen wolle.
1. Auf das Arbeitsverhältnis findet das Kündigungsschutzgesetz gemäß den §§ 1, 23
KSchG Anwendung, da zum Zeitpunkt der Kündigung das Arbeitsverhältnis bereits mehr
als sechs Monate, nämlich bereits seit fast 20 Jahren bestand und zum Zeitpunkt des
Ausspruchs der Kündigung im Betrieb der Beklagten etwa 15 Arbeitnehmer
vollzeitbeschäftigt waren.
2. Die Kündigung ist auch gemäß § 1 Abs. 2 KSchG sozial ungerechtfertigt, da sie nicht
durch Gründe bedingt ist, die im Verhalten oder der Person des Klägers liegen.
Die Beklagte kann die ordentliche Kündigung nicht auf den Alkoholmissbrauch des Klägers
stützen.
a) Nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten liegt eine Alkoholabhängigkeit des
Klägers vor. Dafür sprechen auch die erforderlich gewordenen stationären Behandlungen
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und die vom Kläger überreichten ärztlichen Bescheinigungen.
Eine Alkoholabhängigkeit ist als eine Krankheit anzusehen, woraus folgt, dass auf eine
Kündigung, die im Zusammenhang mit dieser Alkoholsucht des Arbeitnehmers steht, die
Grundsätze anzuwenden sind, die das Bundesarbeitsgericht für die krankheitsbedingte
Kündigung entwickelt hat (vgl. BAG, Urteil vom 09.04.1987 – 2 AZR 210/86 – AP Nr. 18 zu
§ 1 KSchG 1969 Krankheit).
b) Die Überprüfung einer krankheitsbedingten Kündigung hat in drei Stufen zu erfolgen.
Danach setzt eine sozial gerechtfertigte Kündigung zunächst eine negative Prognose hin-
sichtlich des voraussichtlichen weiteren Gesundheitszustandes voraus. Die entstandenen
und prognostizierten Fehlzeiten müssen zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieb-
lichen Interessen führen. In der dritten Stufe, bei der Interessenabwägung ist dann zu
prüfen, ob die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu einer
unzumutbaren Belastung führt (BAG, Urteil vom 09.04.1987 – 2 AZR 210/86 – AP Nr. 18 zu
§ 1 KSchG 1969 Krankheit).
c) Hiernach reicht es nicht allein aus, dass zum Zeitpunkt der Kündigung bezüglich einer
bestehenden Erkrankung, sofern keine neuen Umstände hinzutreten, eine Besserung des
Krankheitsbildes nicht absehbar und deshalb die Prognose negativ ist, sondern es müssen
aufgrund der Erkrankung bereits erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen eingetreten
sein, so dass ein weiteres Zuwarten vom Arbeitgeber billigerweise nicht erwartet werden
kann.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn eine Kündigung wegen bereits feststehender
zukünftiger dauernder Arbeitsunfähigkeit oder nach bereits langandauernder
Arbeitunfähigkeit wegen völlig ungewisser Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit
ausgesprochen wird, so dass auch bei einem weiteren Abwarten mit der Kündigung kaum
Chancen auf eine Wiederaufnahme der Arbeit durch den Arbeitnehmer bestehen würden
und deshalb aufgrund einer Interessenabwägung nicht bereits eine erhebliche
Beeinträchtigung betrieblicher Interessen eingetreten sein muss (vgl. auch BAG, Urteil vom
28.02.1990 – 2 AZR 401/89 – und vom 21.05.1992 – 2 AZR 399/91 - AP Nr.25 und 30 zu §
1 KSchG 1969 Krankheit).
Gerade bei einer Alkoholerkrankung ist die Frage von Bedeutung, ob bereits so erhebliche
Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen eingetreten sind, dass vom Arbeitgeber
ein weiteres Abwarten billigerweise nicht mehr verlangt werden kann, da bei einer
Alkoholabhängigkeit es längere Zeit dauern kann, bis der Betroffene sich auch selbst
seiner Erkrankung, ihrer langfristigen Auswirkungen und ihrer Unbeherrschbarkeit ohne
eine längere Therapie und völlige Abstinenz bewusst wird und auch bereit ist, sich der
erforderlichen Therapie zu unterziehen und die Kraft aufzubringen, der Sucht und der damit
immer wieder verbundenen Versuchung zu widerstehen. So wird die Therapiebereitschaft
auch dadurch ausgelöst, dass der Krankheitszustand sich verschlechtert und dadurch der
Leidensdruck wächst.
d) Die Beklagte hat jedoch, soweit ihr Vorbringen ausreichend substantiiert ist, keine so
erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen in der Vergangenheit
dargelegt, dass sie bereits auch unter Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit und der
Unterhaltspflichten des Klägers eine Kündigung rechtfertigen.
Sie hat substantiiert lediglich vorgetragen, dass der Kläger trotz einer vorangegangenen
Abmahnung im Jahre 2002 am 24.10.2003 alkoholisiert zum Dienst erschienen sei, vom
28.10.2003 bis 10.11.2003 wegen einer Entgiftungsmaßnahme gefehlt habe und am
08.04.2004 alkoholisiert gewesen sei.
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Soweit der Kläger ab dem 19.04.2004 für vier Tage stationär behandelt wurde, war dies
während seiner Freistellung aufgrund geleisteter Überstunden, so dass insofern keine
zusätzliche Gehaltsfortzahlung anfiel. Die Beklagte hat auch nicht ausdrücklich behauptet,
dass diese Behandlung wegen der Alkoholabhängigkeit des Klägers erforderlich wurde
und hat erst recht keinen Beweis hierfür angetreten.
Ferner hat sie für den von ihr behaupteten Verlauf des Gesprächs am Morgen des 26.04.04
keinen Beweis angetreten.
e) Wenn die Beklagte zusätzlich behauptet, dass der Kläger aufgrund seiner
Alkoholprobleme seine Aufgaben als Buchhalter nur noch unzulänglich und verspätet
ausgeführt habe, müsste dies bereits vor 2002 gewesen sein, da die Beklagte dem Kläger
nach ihrem Vorbringen bereits Anfang 2002 die Buchhaltungstätigkeit entzog und ihn nur
noch als Geschäftsführer der Inkassofirma einsetzte.
Die Beklagte hat dies auch nicht ausreichend konkretisiert. Sie hat nicht dargelegt, wann
dem Kläger bei welchen Vorgängen welche Fehler und welche verlängerten
Bearbeitungszeiten unterlaufen sind. So war es dem Kläger auch nicht möglich, zu
bestimmten Vorgängen Stellung zu nehmen und ist in keiner Weise nachvollziehbar, ob die
von der Beklagten vorgenommene Bewertung der Leistungen des Klägers zutreffend ist.
f) Gegen eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen in der
Vergangenheit aufgrund einer nicht ausreichenden Verlässlichkeit des Klägers spricht
auch, dass dem Kläger die Bankvollmacht belassen wurde und er zumindest teilweise bei
den Verhandlungen bezüglich des Verkaufes des Anzeigenverlages von der Beklagten
hinzugezogen wurde. Dem steht nicht das Vorbringen der Beklagten entgegen, dass der
Kläger nach Entziehung der Buchhaltungstätigkeit keinen Zahlungsverkehr mehr
abgewickelt habe, nicht ausschließlich als zuständiger Mitarbeiter die
Verkaufsverhandlungen geführt habe und es sich abgesehen davon, dass er einige Zahlen
zusammengestellt habe, um keine nennenswerte verantwortliche Tätigkeit gehandelt habe,
zumal die Beklagte hierzu keine konkreten Angaben macht.
Ferner spricht gegen eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen durch
die Erkrankung des Klägers vor Ausspruch der Kündigung zumindest seit der
vierzehntägigen Entgiftungsmaßnahme im Oktober/November 2003, dass die Beklagten
nach ihrem Vortrag erst am 08.04.2004 den Verdacht geschöpft hat, dass der Kläger sein
Alkoholproblem mit der Entgiftungsmaßnahme nicht in Griff bekommen habe.
g) Als wesentliche Beeinträchtigung käme deshalb nur noch der Umstand in Betracht, dass
der Kläger Akten mit nach Hause genommen hat.
Wie jedoch bereits ausgeführt, reicht der Vortrag der Beklagten insoweit nicht aus, um
nachvollziehen zu können, ob insofern eine Pflichtverletzung vorlag und ggf. wie
schwerwiegend sie war.
III. Das Arbeitsverhältnis war jedoch gemäß § 9 KSchG auf Antrag der Beklagten gegen
Zahlung einer Abfindung zu dem Zeitpunkt aufzulösen, an dem es bei sozial
gerechtfertigter Kündigung geendet hätte, nämlich zum 31.10.2004, da aufgrund des
Verhaltens des Klägers nach Ausspruch der Kündigung Gründe vorliegen, die eine dem
Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen ihm und der Beklagten nicht
erwarten lassen.
1. An die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers sind hohe
Anforderungen zu stellen, nicht jedoch ist es erforderlich, dass für den Arbeitgeber die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist, weil er dann das Arbeitsverhältnis
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auch außerordentlich nach § 626 BGB kündigen könnte (vgl. APS-Biebel, § 9 KSchG,
Rdnr. 49 und KR-Spilger, 7. Aufl., § 9 KSchG Rdnr. 52; von-Hoyningen-Huene/Link, 13.
Aufl., § 9 KSchG Rdnr. 37 und BAG, Urteil vom 14.01.1993, NZA 1994, 309).
Erforderlich ist ein Verhalten des Arbeitnehmers, dass beim Arbeitgeber mit Recht die
Besorgnis aufkommen lassen kann, die weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer sei
gefährdet. Ein Verschulden des Arbeitnehmers ist nicht erforderlich (APS-Biebel, aaO.;
BAG, Urteil vom 30.06.1969, AP Nr. 56 zu § 1 KSchG).
2. Insofern ist das Vorbringen der Beklagten von Bedeutung, dass der Kläger nach
Ausspruch der Kündigung mehrmals bei ihrem Prozessbevollmächtigten als auch bei dem
Verlagsleiter angerufen hat und auf die Zahlung einer über dem Regelbetrag liegenden
Abfindung mit dem Hinweis gedrängt hat, dass der Geschäftsführer sonst alles verlieren
werde, wenn er – der Käger - auspacken würde.
Dieses Vorbringen der Beklagten muss gemäß § 139 ZPO als unstreitig gelten, da der
Kläger zu diesem Vorbringen der Beklagten bezüglich der Telefongespräche nach
Ausspruch der Kündigung mit dem Verlagsleiter und dem Prozessbevollmächtigten der
Beklagten nicht Stellung genommen hat, sondern nur zu den Gesprächen mit dem
Geschäftsführer der Beklagten.
Wenn der Kläger bei den Telefongesprächen alkoholisiert war, ist es in gleicher Weise
nachvollziehbar, dass die Beklagte aufgrund dieser Äußerungen des Klägers ihm nicht
mehr vertraut, zumal der Kläger wiederholt solche Anrufe getätigt hat und für die Beklagte
es auch sehr unangenehm sein kann, wenn der Kläger sich in alkoholisiertem Zustand an
Behörden oder Dritte wendet.
3. Als Abfindung ist ein Betrag in Höhe von 30.000,-- € angemessen.
a) Der Erhöhung des Höchstbetrages der Abfindung bei älteren, länger beschäftigten
Arbeitnehmern gemäß § 10 Abs. 2 KSchG lässt sich entnehmen, dass das Lebensalter des
Arbeitnehmers und die Dauer des Arbeitsverhältnisses gewichtige Bemessungsfaktoren
bei der Bemessung der Abfindung sind. Auch können sonstige Sozialdaten
Berücksichtigung finden. Als Bemessungsfaktor für die Höhe der Abfindung kommt auch
das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung in Betracht. Eine höhere Abfindung wird
regelmäßig gerechtfertigt sein, wenn die Kündigung offensichtlich unwirksam war.
Dagegen ist in der Regel eine Herabsetzung der Abfindung gerechtfertigt, wenn der
Arbeitnehmer durch pflichtwidriges Verhalten die Kündigung veranlasst hat (APS-Biebel, 2.
Aufl., § 10 KSchG, Rdnr. 21 ff. und KR-Spilger, 7. Aufl., § 10 KSchG, Rdnr. 45 ff.).
b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist eine Abfindung etwa in Höhe eines halben
Monatsgehaltes pro Beschäftigungsjahr und damit ein Betrag in Höhe von 30.000,-- €
angemessen.
Durch diese Höhe wird zunächst die Betriebszugehörigkeit des Klägers berücksichtigt.
Darüber hinaus fällt das Alter des Klägers nicht besonders ins Gewicht, da der Kläger in
Anbetracht seiner Betriebszugehörigkeit noch relativ jung ist. Andererseits ist der Kläger für
zwei Personen unterhaltspflichtig.
Hinsichtlich der Umstände, die zur Kündigung und schließlich zur Auflösung des
Arbeitsver-hältnisses geführt haben, war einerseits zu berücksichtigen, dass dem Kläger
eine nicht unerhebliche Schuld an den Umständen trifft, die die Auflösung des
Arbeitsverhältnisses rechtfertigen, andererseits aber auch die Beklagte durch ihren
Geschäftsführer für die Zu-spitzung der Auseinandersetzung zwischen ihr und dem Kläger
verantwortlich ist, da als unstreitig angesehen werden muss, dass ihr Geschäftsführer den
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Kläger vor Ausspruch der Kündigung nicht immer mit dem notwendigen Respekt behandelt
hat. Denn zu dem diesbe-züglichen Vorbringen des Klägers hat die Beklagte in keiner
Weise Stellung genommen. Zudem steht das zu beanstandende Verhalten des Klägers
nach Ausspruch der Kündigung in Zusammenhang mit der von der Beklagten bereits zuvor
gewünschten Beendigung des Arbeitsverhältnisses und wird dem Verhalten des Klägers
nach Ausspruch der Kündigung
bereits dadurch Rechnung getragen, dass die Beklagte sich mit ihrem Auflösungsantrag
durchsetzen kann.
Die Kosten des Berufungsverfahrens waren gemäß § 92 ZPO den Parteien entsprechend
ihres Obsiegens und Unterliegens aufzuerlegen.
Hierbei war zu berücksichtigen, dass entsprechend dem Antrag des Klägers festzustellen
war, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung weder fristlos noch fristgerecht
aufgelöst worden ist. Das Obsiegen der Beklagten hinsichtlich ihres Antrages auf
Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Auslaufens der Kündigungsfrist
gegen Zahlung einer Abfindung fällt insofern nur zu einem kleineren Teil ins Gewicht und
ist mit 1/5 angemessen berücksichtigt.
ber die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens konnte noch nicht entschieden werden, da
das Arbeitsgericht erst über einen Teil der Klageanträge entschieden hat.
Mangels grundsätzlicher Bedeutung des Rechtsstreits war die Revision nicht zuzulassen.
Wolffram
Vogel
Seuster