Urteil des LAG Hamm vom 09.06.2006

LArbG Hamm: einstweilige verfügung, überwiegendes interesse, unwirksamkeit der kündigung, treu und glauben, firma, arbeitsgericht, betriebsübergang, unterlassen, versicherung, verkündung

Landesarbeitsgericht Hamm, 19 Sa 879/06
Datum:
09.06.2006
Gericht:
Landesarbeitsgericht Hamm
Spruchkörper:
19. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
19 Sa 879/06
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Herford, 3 Ga 15/06
Schlagworte:
Einstweilige Verfügung, Beschäftigungsanspruch gegen
Betriebserwerber
Normen:
§§ 935, 940 ZPO, § 613 a BGB
Leitsätze:
führende Parallelsache
Der Arbeitnehmer hat gegen den Betriebserwerber einen im
einstweiligen Verfügungsverfah-ren durchsetzbaren vorläufigen
Beschäftigungsanspruch, wenn
- er im arbeitsgerichtlichen Kündigungsschutzverfahren gegen den
Betriebsveräußerer obsiegt und
- er (wegen Unkenntnis über den Betriebsübergang) keine Möglichkeit
hatte, den
Beschäftigungsanspruch zeitgleich mit der arbeitsgerichtlichen Klärung
der vor dem
Betriebsübergang ausgesprochenen Kündigung durchzusetzen.
Rechtskraft:
Gegen dieses Urteil ist aus Gründen des § 72 Abs. 4 ArbGG weder für
die klagende Partei noch für die beklagte Partei ein Rechtsmittel
gegeben.
Tenor:
verbunden mit Berichtigungsbeschluss vom 27.06.2007
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsge-richts
Herford vom 04.04.2006 - 3 Ga 15/06 - abgeändert:
Die Beklagte wird verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen
Abschluss des Verfahrens LAG Hamm 19 Sa 459/06 als
Maschinenhelfer tatsächlich zu beschäftigten.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
T a t b e s t a n d
1
Die Parteien streiten im einstweiligen Verfügungsverfahren über den
Weiterbeschäftigungsanspruch.
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Der am 21.09.1968 geborene geschiedene Kläger ist seit dem 03.04.1989 als
Maschinenhelfer bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten beschäftigt, wo er zuletzt
einen Bruttomonatsverdienst von 2.200,00 € erzielt hat.
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Die Beklagte betreibt eine Druckerei und beschäftigt etwa 95 Mitarbeiter. Es besteht ein
Betriebsrat.
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Die Beklagte hat zum 01.01.2006 den Betrieb von der Firma D1xxxxxxx K2xxxxxx
GmbH & Co. KG übernommen.
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Die Firma D1xxxxxxx K2xxxxxx GmbH & Co. KG hat das Arbeitsverhältnis mit
Schreiben vom 25.05.2005 zum 31.10.2005 gekündigt. Über den 31.10.2005 hinaus war
der Kläger nicht mehr im Betrieb tätig.
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Der Kläger hat gegen diese Kündigung vor dem Arbeitsgericht Herford unter dem
Aktenzeichen 3 Ca 706/05 (jetzt LAG Hamm 19 Sa 459/06) Kündigungsschutzklage
erhoben und diese mit einem Weiterbeschäftigungsantrag verknüpft.
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Am 09.02.2006 hat der Komplementärgeschäftsführer der Firma D1xxxxxxx K2xxxxxx
GmbH & Co. KG den Kläger auf den Betriebsübergang zum 01.01.2006 hingewiesen.
Dies geschah im Rahmen des Kammertermins vor dem Arbeitsgericht Herford in dem
Kündigungsschutzprozess 3 Ca 706/05. Der Kläger hat durch eidesstattliche
Versicherung vom 16.03.2006, wegen deren Inhalts auf Bl. 14 d.A. Bezug genommen
wird, erklärt, dass er erst am 09.02.2006 erfahren habe, dass der Betrieb der Firma
D1xxxxxxx K2xxxxxx GmbH & Co. KG auf die Beklagte übergegangen ist.
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Angesicht der Erklärung des Komplementärgeschäftsführers der Firma D1xxxxxxx
K2xxxxxx GmbH & Co. KG erwog der Kläger in dem Kammertermin, den
Weiterbeschäftigungsantrag gegen die Beklagte zu richten. Die Beklagte hat zu
erkennen gegeben, sich voraussichtlich auf eine solche Klageänderung oder
Klageerweiterung nicht einlassen zu wollen. Der Kläger hat vor diesem Hintergrund die
angekündigten Klageanträge nicht geändert.
9
Das Arbeitsgericht entschied unter dem 07.03.2006, dass das Arbeitsverhältnis nicht
durch die Kündigung vom 25.05.2005 aufgelöst wurde. Es wies den gegen die Firma
D1xxxxxxx K2xxxxxx GmbH & Co. KG gerichteten Weiterbeschäftigungsantrag zurück.
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Das Urteil wurde dem Kläger am 13.03.2006 zugestellt. Er forderte am 07.03.2006
schriftlich die Beklagte auf, ihn zu beschäftigen. Da bis zum 14.03.2006 die Beklagte
dem Kläger keine Arbeit zugewiesen hatte, beantragte er mit Schriftsatz vom
16.03.2006, der am 20.03.2006 beim Arbeitsgericht einging, den Erlass einer
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einstweiligen Verfügung.
Die Kündigung vom 25.05.2005 erfolgte vor einem betriebsbedingten Hintergrund. Die
Beklagte hat anlässlich des Austausches zweier Druckmaschinen durch modernere und
leistungsfähigere Typen entschieden, alle drei großen Bogenoffsetdruckmaschinen
künftig ausschließlich mit gelernten Druckern zu besetzen. Bis dahin waren die
Offsetmaschinen im Dreischichtbetrieb jeweils von einem Drucker und einem
Druckerhelfer betrieben worden. Vor diesem Hintergrund hat sie die Arbeitsverhältnisse
der bei ihr beschäftigten fünf Druckerhelfer – eben auch das des Klägers – gekündigt
und bis Ende 2005 eine entsprechende Zahl von Druckern eingestellt.
12
Der Kläger hat vorgetragen, dass er nach dem Obsiegen im Kündigungsschutzprozess
einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung gegen die Betriebserwerberin habe. Der
Verfügungsgrund ergebe sich insbesondere aus dem wegen Zeitablaufs drohenden
endgültigen Rechtsverlust.
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Er hat beantragt,
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die Antragsgegnerin zu verpflichten, den Antragsteller bis zum rechtskräftigen
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Abschluss des Verfahrens ArbG Herford – AZ: 3 Ca 706/05 – als Maschinenhelfer
tatsächlich zu beschäftigen.
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Die Beklagte hat beantragt,
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den Antrag zurückzuweisen.
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Sie hat vorgetragen, dass die Eilbedürftigkeit durch das Verhalten des Klägers widerlegt
sei. Dieser hätte nämlich schon im Kammertermin vom 09.02.2006 einen Antrag gegen
die Beklagte auf Beschäftigung richten können.
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Dem Kläger stehe auch kein Verfügungsanspruch zur Seite. Denn die gegen den
Betriebsveräußerer gerichtete Kündigungsschutzklage sei schon unzulässig gewesen.
Jedenfalls sei das Urteil nicht gegen die Beklagte ergangen und auch bisher nicht
umgeschrieben worden.
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Darüber hinaus könne die Beklagte dem Kläger nicht oder nur unter großen Nachteilen
beschäftigen. Denn die frühere Stelle des Klägers als Druckerhelfer sei seit Ende 2005
durch einen neu eingestellten Drucker besetzt worden.
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Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 04.04.2006 den Antrag zurückgewiesen. Zur
Begründung hat es ausgeführt, dass dem Kläger der erforderliche Verfügungsgrund
nicht zur Seite stehe. Der Kläger hätte schon am 09.02.2006 einen Antrag auf Erlass
einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte beantragen können. Sein Zuwarten
bis zum 20.03.2006 widerlege die Eilbedürftigkeit.
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Das Urteil wurde dem Kläger am 28.04.2006 zugestellt. Die hiergegen gerichtete
Berufung und Berufungsbegründung ist am 24.05.2006 beim Landesarbeitsgericht
eingegangen.
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Der Kläger führt aus, dass er keine Möglichkeit gesehen hat, im Kammertermin vom
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09.02.2006 eine Entscheidung gegen die Beklagte auf Beschäftigung zu erreichen.
Denn die Beklagte habe signalisiert, sich auf einen etwaigen Parteiwechsel nicht
einlassen zu wollen.
Es sei nicht zu beanstanden, dass er zunächst die Entscheidung des Arbeitsgerichts
über den Kündigungsprozess abgewartet habe. Er habe dann zeitnah nach der
Verkündung des Urteils den Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die Beklagte
beantragt.
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Er beantragt,
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das Urteil des Arbeitsgerichts Herford vom 04.04.2006 – 3 GA 15/06 – abzuändern
und die Berufungsbeklagte zu verpflichten, den Berufungskläger bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens ArbG Herford
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- 3 Ca 706/05 - derzeit Landesarbeitsgericht Hamm - AZ. 19 Sa 459/06 - als
Maschinenhelfer tatsächlich zu beschäftigen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie meint, dass durch das Warten des Klägers nach der Verkündung des Urteils vom
07.03.2006 die Dringlichkeit seines Anliegens widerlegt sei. Der Kläger hätte zudem im
Kammertermin vom 09.02.2006 Anträge gegen die Beklagte richten können. Das habe
er unterlassen. Dadurch sei die Dringlichkeit widerlegt. Schließlich sei maßgeblich,
dass die Beklagte den Kläger als Druckhelfer gar nicht mehr beschäftigen könne, da die
Besetzung an den Offsetmaschinen verändert sei.
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Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen
Bezug genommen. Insbesondere wird Bezug genommen auf die eidesstattliche
Versicherung des Klägers vom 16.03.2006 (Bl. 14) und die eidesstattliche Versicherung
des klägerischen Prozessbevollmächtigten vom 23.05.2006 (Bl. 51). Die Akte des
Verfahrens 19 Sa 459/06 wurde zugezogen.
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E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
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Die nach der Beschwer (§ 64 Abs. 2 ArbGG) an sich statthafte, form- sowie fristgerecht
eingelegte und begründete Berufung des Klägers (§§ 66 Abs. 1 Satz 1, 64 Abs. 6
ArbGG, §§ 516 ff. ZPO) hat Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger bis zum
rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens 19 Sa 459/06 LAG Hamm als
Maschinenhelfer weiter zu beschäftigen. Die Pflicht folgt aus §§ 935, 940 ZPO.
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Danach ist eine einstweilige Leistungsverfügung zu erlassen, wenn dies zur
Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus
anderen Gründen nötig erscheint.
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I.
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Der danach erforderliche Verfügungsanspruch ist gegeben. Ein auf eine tatsächliche
vorläufige Beschäftigung gerichteter Verfügungsanspruch besteht, wenn eine
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überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür gegeben ist, dass es eine Pflicht des Beklagten
gibt, den Kläger zu beschäftigen (LAG Hamm, v. 12.12.2001 – 10 Sa 1741/01 -).
1. Der gekündigte Arbeitnehmer hat einen arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch
über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsprozesses, wenn die Kündigung unwirksam ist und überwiegende
schutzwerte Interessen des Arbeitgebers einer solchen Beschäftigung nicht
entgegenstehen. Dieser Anspruch ergibt sich aus Artikel 1 und 2 GG sowie dem
Sozialstaatsprinzip. Der arbeitsvertragliche Beschäftigungsanspruch ist auch Teil des
allgemeinen Persönlichkeitsschutzes (BAG, Großer Senat, v. 27.02.1985, AP Nr. 14 zu
§ 611 BGB Beschäftigungspflicht).
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Im Fall des Ausspruchs einer Kündigung begründet die Ungewissheit über den
Ausgang eines Kündigungsprozesses in der Regel ein schutzwertes Interesse des
Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Mitarbeiters nach Ablauf der
Kündigungsfrist. Dieses überwiegt in der Regel das Beschäftigungsinteresse des
Arbeitnehmers.
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Im Fall eines die Unwirksamkeit der Kündigung feststellenden Urteils muss dieses
Interesse des Arbeitgebers aber grundsätzlich gegen das Beschäftigungsinteresse des
Mitarbeiters zurücktreten. Solange ein solches Urteil besteht, kann die Ungewissheit
des Prozessausgangs für sich allein ein überwiegendes Gegeninteresse des
Arbeitgebers nicht mehr begründen. Hinzu kommen müssen dann vielmehr zusätzliche
Umstände, aus denen sich im Einzelfall ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers
ergibt, den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG, v. 27.02.1985, a.a.O.).
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2. Dieser Maßstab gilt in der Regel auch, wenn nach Ablauf der Kündigungsfrist ein
Betriebsübergang erfolgt ist und der Betriebserwerber nicht Partei im
Kündigungsschutzverfahren ist.
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Die Interessenabwägung erfolgt im Lichte des Ausgangs des Kündigungsprozesses, da
die Parteien dort im ordentlichen Verfahren die Gelegenheiten hatten, die zur
rechtlichen Beurteilung der Kündigung aus ihrer Sicht erforderlichen Tatsachen
vorzutragen, dafür Beweis anzutreten und ihre Rechtsauffassung darzustellen. Sie
haben dort eine erste Klärung der Rechtslage erreicht (BAG, v. 27.02.1985, a.a.O.), die
im summarischen Verfahren über den Erlass einer einstweiligen Verfügung bei der
vorzunehmenden Interessenabwägung von erheblichem Gewicht ist (Hessisches
Landesarbeitsgericht, v. 03.03.2005 – 9 Sa (Ga) 2286/04 -).
42
Diese Klärung wirkt auch gegen die Beklagte. Zwar war (und ist) sie nicht Partei des
Kündigungsprozesses. Aus den Regelungen der §§ 265 Abs. 2, 325 ZPO, die auf den
Betriebsübergang Anwendung finden, ergibt sich aber, dass sie als Rechtsnachfolger
das Ergebnis von Prozessen gegen sich wirken lassen muss, die der Veräußerer über
den Zeitpunkt des Betriebsübergangs hinaus mit dem Arbeitnehmer geführt hat (BAG, v.
24.05.2005 – 8 AZR 246/04 -, EzA § 613 a BGB, 2002, Nr. 32). Das gilt entsprechend für
die im Rahmen der Interessenabwägung zu beachtenden Wirkung eines nicht
rechtskräftigen erstinstanzlichen Urteils, das gegen den Veräußerer ergangen ist.
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Unstreitig hat die Beklagte den Betrieb zum 01.01.2006 in Folge eines
Betriebsübergangs nach § 613 a BGB übernommen.
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3. Soweit sich die Beklagte darauf bezieht, dass die gegen den Veräußerer gerichtete
Kündigungsschutzklage unzulässig war, greift sie das erstinstanzliche Urteil an und
beruft sich letztlich auf die Ungewissheit des Prozessausgangs. Genau dieses
Argument steht ihr aber nach Vorliegen des erstinstanzlichen Urteils nicht mehr zur
Verfügung. Im Übrigen hat das Bundesarbeitsgericht die Passivlegitimation des
Veräußerers für die gerichtliche Klärung der Wirksamkeit einer Kündigung bejaht, wenn
die Kündigung vor dem Betriebsübergang erfolgt ist (BAG, v. 18.03.1999, 8 AZR 306/98,
EzA § 613 a BGB Nr. 179; BAG, v. 24.05.2005, a.a.O.).
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4. Die Einrede der Beklagten, dass ihr die Beschäftigung des Klägers infolge der
Einstellung der Drucker und deren Einsatzes auf der bisherigen Stelle des Klägers nicht
mehr möglich sei, geht ins Leere. Es rechtfertigt kein überwiegendes Interesse der
Beklagten an der Nichtbeschäftigung des Klägers. Hinsichtlich einer
"Unmöglichkeitseinrede" ist auf dem im allgemeinen Schuldrecht geltenden Maßstab
des § 275 BGB zurückzugreifen, der regelt, unter welchen Voraussetzungen ein
verpflichteter Schuldner ausnahmsweise von der Leistungspflicht befreit wird.
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Der sich auf die Unmöglichkeit berufene Schuldner muss also im einstweiligen
Verfügungs-verfahren Umstände glaubhaft machen, die eine überwiegende
Wahrscheinlichkeit begründen, dass eine Unmöglichkeitseinrede nach § 275 BGB
begründet ist.
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Das ist nach dem Vortrag der Beklagten nicht gegeben.
48
4.1. Nach § 275 Abs. 1 BGB ist ein Anspruch ausgeschlossen, wenn er für den
Schuldner oder für Jedermann unmöglich ist. Die Beklagte kann dem Kläger aber
faktisch auch weiterhin Tätigkeiten eines Maschinenhelfers zuordnen. Letztlich macht
sie geltend, dass das wirtschaftlich unsinnig ist. Dieses ist aber kein Fall der
Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 BGB.
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4.2. Nach § 275 Abs. 2 BGB kann ein Schuldner eine Leistung verweigern, soweit diese
einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und
der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem
Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner
zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das
Leistungshindernis zu vertreten hat (§ 275 Abs. 2 Satz 2 BGB).
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Die Regelung des § 275 Abs. 2 BGB ist eine eng auszulegende Sondernorm (Palandt-
Heinrichs, BGB, 65 Aufl., § 275 Rz. 29). Sie zielt auf Leistungshindernisse aus der
materiell-ökonomischen Sphäre und gibt dem Schuldner ein
Leistungsverweigerungsrecht, wenn die Leistung angesichts der Erschwernisse von
dem Gläubiger vernünftigerweise nicht erwartet werden kann (Hennsler, Graf v.
Westfalen-Dedeck, Praxis der Schuldrechtsreform, § 275 Rz. 14).
51
Das Leistungsinteresse des Gläubigers (also des Klägers) ist erheblich, da sein auf die
tatsächliche Beschäftigung gerichtetes Begehren durch Zeitablauf unwiederbringlich
untergehen kann.
52
Das auf Seiten der Beklagten zu berücksichtigende Erschwernis besteht zunächst in der
korrespondierend mit der Beschäftigung aufzuwendenden Vergütung. Indes befreit
etwaiges finanzielles Unvermögen, das die Beklagte gar nicht konkret eingewandt hat,
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nicht von Leistungspflicht (Dedeck, a.a.O. Rz. 16). Die darüber hinaus angestellten
Überlegungen der Beklagten blieben auch in der Berufungsverhandlung unkonkret. Sie
sind letztlich organisatorische Aspekte der Arbeitsverteilung. Sie begründen die
Leistungseinrede (§ 275 Abs. 2 BGB) nicht.
II.
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Der Verfügungsgrund ist gegeben. Voraussetzung für den Verfügungsgrund im Rahmen
einer Beschäftigungsverfügung ist es, dass die einstweilige Verfügung zur Abwendung
wesentlicher Nachteile für den Antragsteller notwendig ist. Der Arbeitnehmer muss auf
die faktische Weiterbeschäftigung zur Abwendung erheblicher Nachteile dringend
angewiesen sein (LAG Hamm, v. 12.12.2001 – 10 Sa 1741/01 -).
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1. Die Dringlichkeit folgt aus dem anderenfalls eintretenden endgültigen Rechtsverlust
(LAG Hamm, v. 12.12.2001, a.a.O., Hessisches Landesarbeitsgericht, v. 03.03.2005 – 9
Sa (Ga) 2286/04 -). Eines weitergehenden Nachteils bedarf es grundsätzlich nicht.
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2. Der Kläger hat die Eilbedürftigkeit entgegen der Meinung des Arbeitsgerichts nicht
durch eigenes Verhalten widerlegt.
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2.1. Er hat es zunächst nicht durch das Unterlassen einer Antragstellung gegen die
Beklagte im Kündigungsprozess widerlegt. Zwar gilt die Eilbedürftigkeit grundsätzlich
als widerlegt, wenn der Arbeitnehmer es unterlassen hat, den
Weiterbeschäftigungsantrag in dem von ihm geführten Kündigungsprozess im Wege der
objektiven Klagehäufung zu stellen (LAG Hamm, v. 03.02.1998 – 7 Sa 2318/97 –; GK
ArbGG-Vossen, § 62 Rz. 71 m.w.N.). Das setzt aber voraus, dass er über den Weg der
Klagehäufung einfacher und schneller sein Begehren erreichen konnte.
58
Daran fehlt es vorliegend. Der Kläger konnte die Verurteilung der Beklagten im
Ausgangsverfahren nicht schneller als im einstweiligen Verfügungsverfahren erreichen.
Denn ihm war der Umstand des zum 01.01.2006 erfolgten Betriebsübergangs bis zum
Kammertermin am 09.02.2006 nicht bekannt. Das hat er durch die eidesstattliche
Versicherung vom 16.03.2006 glaubhaft gemacht. Die Beklagte hat keine konkreten
gegenteiligen Angaben glaubhaft gemacht.
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Der Kläger konnte ohne die Zustimmung der Beklagten am 09.02.2006 den
Beschäftigungsanspruch nicht gegen die Beklagte richten und eine erstinstanzliche
Entscheidung erreichen. Denn eine gerichtliche Entscheidung in Form eines streitigen
Urteils wäre nur möglich gewesen, wenn sich die (neue) Beklagte auf den Antrag
eingelassen und selber einen Antrag gestellt hätte. Die Beklagte hat über ihren späteren
Prozessbevollmächtigten indes erkennen lassen, sich nicht einlassen zu wollen. Vor
diesem Hintergrund hat der Kläger keinen Antrag gegen die Beklagte am 09.02.2006
vor dem Arbeitsgericht Herford gestellt.
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Es ist treuwidrig, wenn die Beklagte sich jetzt darauf beruft, dass der Kläger eine solche
Antragstellung versäumt hat. Denn durch ihre vorläufige Einlassung im Kammertermin
vom 09.02.2006 hat sie gerade das Unterlassen einer Antragstellung veranlasst.
61
Auch hätte der Kläger keine Möglichkeit gehabt, ein Versäumnisurteil gegen die
Beklagte zu erreichen. Denn die Voraussetzungen für den Erlass eines
Versäumnisurteils gegen die Beklagte lagen am 09.02.2006 nicht vor. Denn der
62
Beklagten waren die Schriftsätze und Anträge nicht in der nach § 335 Abs. 1 Ziffer. 3
ZPO erforderlichen Frist des § 132 ZPO von einer Woche vor dem Termin mitgeteilt
worden.
2.2. Schließlich hat der Kläger die Eilbedürftigkeit auch nicht durch eine verspätete
Antragstellung widerlegt. Das wird angenommen, wenn der Arbeitnehmer sechs Monate
nach dem Urteil des Landesarbeitsgerichts im Kündigungsprozess hat verstreichen
lassen, bevor er eine einstweilige Verfügung beantragt (LAG Hamm, v. 18.02.1986 – 11
Sa 1656/85 -). Das Landearbeitsgericht Hessen stellt darauf ab, ob die Zeit "länger" war
(LAG Hessen, v. 23.03.1987 – 1 Sa (GA) 316/87 -, NZA 1988, 37). Das
Landesarbeitsgericht Hamm hat in einer weiteren Entscheidung auch drei Monate
Abwarten als zu lang bewertet (v. 03.02.1998 – 7 Sa 2318/07 -). Vorliegend hat der
Kläger nicht unverhältnismäßig lange gewartet. Er hat am Tag der Verkündung des
Urteils im Kündigungsprozess (07.03.2006) die Beklagte zur Beschäftigung aufgefordert
und zwei Tage nach der mit einer Woche knapp bemessenen Frist den Antrag auf
Erlass einer einstweiligen Verfügung gefertigt, der am 20.03.2006 – also 13 Tage nach
dem Urteil im Kündigungsprozess – bei Gericht einging.
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Damit hat der Kläger unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls so zügig
gehandelt, dass der Eindruck der Eilbedürftigkeit nicht widerlegt ist. Nach alledem war
auf die Berufung des Klägers das arbeitsgerichtliche Urteil abzuändern.
64
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 ZPO.
65
Gegen die Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung ist die Revision
nicht zulässig (§ 72 Abs. 4 ArbGG). Das Urteil ist unanfechtbar.
66
Clausen
Rosenberger
Rüffer
67
Fou/Bu.
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Berichtigungsbeschluss
69
wird das Urteil vom 09.06.2006 gemäß § 319 Abs. 1 ZPO wegen offensichtlicher
Unrichtigkeit dahingehend berichtigt, dass
70
in der Parteienbezeichnung der Beklagten die Angabe "Firma D2xxxxxxx
K2xxxxxx GmbH & Co. KG, vertreten durch die persönlich haftende
Gesellschafterin D2xxxxxxx K2xxxxxx B2xxxxxxxxxx GmbH" durch die Angabe
"Firma K2xxxxxx P1xxx.M1xxx GmbH & Co. KG, gesetzlich vertreten durch
die Firma K2xxxxxx GmbH"
71
ersetzt wird.
72
i.V. Ziemann
73
Vorsitzender Richter
74
am Landesarbeitsgericht
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