Urteil des LAG Düsseldorf vom 10.04.2008

LArbG Düsseldorf: europäischer gerichtshof für menschenrechte, abmahnung, schule, kopftuch, neutralität, gefährdung, eltern, personalakte, europäisches recht, schutzwürdiges interesse

Landesarbeitsgericht Düsseldorf, 5 Sa 1836/07
Datum:
10.04.2008
Gericht:
Landesarbeitsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 Sa 1836/07
Vorinstanz:
Arbeitsgericht Düsseldorf, 12 Ca 175/07
Schlagworte:
Religionsfreiheit, Neutralitätsgebot, "Kopftuchverbot", Baskenmütze,
Abmahnung
Normen:
Art. 3, 4, 6, 7 GG, § 57 Abs. 4 SchG NRW, §§ 1, 3, 7, 8 AGG, Art. 9
EMRK
Sachgebiet:
Arbeitsrecht
Leitsätze:
1. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NW ist Ausdruck des staatlichen
Neutralitätsgebots. Das in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NW statuierte
Bekundungsverbot knüpft an einen abstrakten Gefährdungstatbestand
an. Es will abstrakten Gefahren vorbeugen, um damit sicherzustellen,
dass konkrete Gefahren für die Neutralität der Schule unterbunden
werden. Trägt eine Sozialpädagogin anstelle des zuvor getragenen
islamischen Kopftuchs eine Baskenmütze, die das Haar, den
Haaransatz und die Ohren komplett verdeckt, verstößt sie damit gegen
das staatliche Neutralitätsgebot des § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NW und
kann deswegen abgemahnt werden.
2. § 57 SchG NW ist mit dem Grundgesetz vereinbar und verstößt
insbesondere nicht gegen das Gleichheitsgebot des Art. 3 GG und die in
Art. 4 GG beschriebene Religionsfreiheit.
3. § 57 Abs. 4 SchG NW steht auch in Einklang mit Art. 9 EMRK.
4. Das Verbot, dauerhaft eine Baskenmütze zu tragen, stellt keine
Benachteiligung im Sinne der §§ 1, 3 AGG dar; jedenfalls ist eine
derartige Benachteiligung gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt.
Tenor:
1) Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts
Düsseldorf vom 29.06.2007 - 12 Ca 175/07 - wird kostenpflichtig
zurückgewiesen.
2) Die Revision wird für die Klägerin zugelassen.
T A T B E S T A N D :
1
Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer Abmahnung.
2
Die am 14.05.1971 geborene Klägerin ist ausgebildete Sozialpädagogin und seit dem
07.10.1997 bei dem beklagten Land beschäftigt. Sie wird derzeit mit Aufgaben aus dem
sozialbetreuerischen Bereich zur Schlichtung von Schulkonflikten an der E.-Forte-
Gesamtschule in E. betraut. Dabei kommt sie mit Schülern unterschiedlicher
Nationalitäten und religiöser Zugehörigkeiten in Kontakt. Das Bruttomonatsgehalt der
Klägerin beträgt bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 38,5 Stunden 2.800,-- €.
3
Seit dem 01.08.2006 finden in Nordrhein-Westfalen neue Regelungen des
Schulgesetzes NRW (SchG NRW) Anwendung, die das Verhalten der Lehrer in der
Schule betreffen.
4
§ 57 Abs. 4 SchG NRW lautet:
5
Lehrerinnen und Lehrer dürfen in der Schule keine politischen, religiösen,
weltanschaulichen oder ähnliche äußere Bekundungen abgeben, die geeignet sind, die
Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den
politischen, religiösen, weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören.
Insbesondere ist ein äußeres Verhalten unzulässig, welches bei Schülerinnen und
Schülern oder den Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass eine Lehrerin oder ein
Lehrer gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung nach Artikel 3 des
Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische
Grundordnung auftritt. Die Wahrnehmung des Erziehungsauftrags nach Artikel 7 und 12
Abs. 6 der Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen und die entsprechende
Darstellung christlicher und abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder
Traditionen widerspricht nicht dem Verhaltensgebot nach Satz 1. Das Neutralitätsgebot
des Satzes 1 gilt nicht im Religionsunterricht und in den Bekenntnis- und
Weltanschauungsschulen.
6
Darüber hinaus findet sich im Schulgesetz NRW noch die nachfolgende Bestimmung:
7
§ 58
8
Pädagogisches und sozialpädagogisches Personal
9
Sonstige im Landesdienst stehende pädagogische und sozialpädagogische
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wirken bei der Bildungs- und Erziehungsarbeit mit. § 57
Abs. 4 und 6 gilt entsprechend.
10
Nach Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung forderte das beklagte Land die
Klägerin mit Schreiben vom 09.08.2006 auf, das islamische Kopftuch, das die Klägerin
18 Jahre - auch in der Schule - getragen hatte, abzunehmen. Dieser Aufforderung kam
die Klägerin am 25.09.2006 nach, ersetzte aber das Kopftuch durch eine Baskenmütze
mit Strickbund, die ihr Haar, den Haaransatz und die Ohren komplett bedeckt.
11
In einem Personalgespräch am 07.11.2006 erklärte die Klägerin gegenüber ihrer
Schulleiterin, dass sie das Kopftuch in der Vergangenheit stets aus religiösen Gründen
getragen hätte. Entsprechende Nachfragen zum Motiv für das Tragen der Baskenmütze
blieben in diesem Gespräch unbeantwortet.
12
Mit Schreiben vom 19.12.2006 erteilte das beklagte Land der Klägerin eine Abmahnung
und drohte ihr für den Fall unveränderten Verhaltens eine Kündigung an.
13
Mit ihrer am 08.01.2007 beim Arbeitsgericht Düsseldorf anhängig gemachten Klage hat
die Klägerin die Entfernung der Abmahnung aus ihrer Personalakte begehrt.
14
Sie hat zunächst die Rechtsauffassung vertreten, dass § 57 Abs. 4 SchG NRW nicht
einschlägig wäre, weil die Vorschrift ausschließlich Lehrerinnen und Lehrer, nicht aber
andere, betreuerisch wirkende Mitarbeiter beträfe. Hinzu komme, dass das Tragen eines
Kopftuches in der genannten Vorschrift nicht erwähnt werde und auch deshalb
gegenüber der Klägerin nicht zur Anwendung kommen könne.
15
Die Klägerin hat weiter darauf verwiesen, dass die Baskenmütze von ihr nicht aus
religiösen Gründen getragen werde; es handele sich vielmehr um einen modischen
Kopfschmuck, der weltanschaulich neutral wäre und in erster Linie dazu diene, dem
Gefühl des Nichtangezogenseins zu begegnen.
16
Die Klägerin hat schließlich gemeint, dass die Abmahnung des beklagten Landes ihr
allgemeines, grundrechtlich geschütztes Persönlichkeitsrecht verletze, zumal eine
konkrete Gefährdung von ihr oder ihrer Baskenmütze nicht ausgehe.
17
Die Klägerin hat beantragt,
18
das beklagte Land zu verurteilen, die ihr mit Schreiben vom 19.12.2006 erteilte
Abmahnung aus ihrer Personalakte zu entfernen.
19
Das beklagte Land hat beantragt,
20
die Klage abzuweisen.
21
Das beklagte Land hat sich zur Rechtfertigung seiner Abmahnung auf § 58 SchG NRW
berufen und die Rechtsauffassung vertreten, dass auch die Klägerin hiernach an das
Verbot des § 57 Abs. 4 SchG NRW gebunden wäre.
22
Das beklagte Land hat in der Baskenmütze ein Surrogat für das vorher aus religiösen
Gründen getragene Kopftuch gesehen. Es hat hierzu vor allem darauf verwiesen, dass
die Klägerin zeitlich lückenlos das islamische Kopftuch durch die äußerst auffällige
Baskenmütze ersetzt hätte, deren verhüllende Wirkung mit der des Kopftuches identisch
sei.
23
Das beklagte Land hat gemeint, dass die Klägerin durch das Tragen der Baskenmütze
auch die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 57 Abs. 4 SchG NRW erfülle. Dabei
komme es letztlich nicht darauf an, wie das Tragen der Mütze - subjektiv - motiviert sei.
Entscheidend müsse vielmehr auf die abstrakte Eignung zur Gefährdung des
Schulfriedens abgestellt werden; hierbei komme es auf den objektiven
Empfängerhorizont an.
24
Im Hinblick auf das zwischen den Parteien diskutierte Tragen des Nonnenhabits durch
zwei Lehrkräfte in Münster und Paderborn hat das beklagte Land ein Vollzugsdefizit und
das Vorliegen einer mittelbaren Diskriminierung verneint. Selbst für den Fall einer -
unterstellten - Ungleichbehandlung müsse jedenfalls von einem sachlichen und damit
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rechtfertigenden Grund ausgegangen werden, der sich aus der Art der Lehrertätigkeit
ergäbe.
Mit Urteil vom 29.06.2007 hat die 12. Kammer des Arbeitsgerichts Düsseldorf - 12 Ca
175/07 - die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen
Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, dass die Abmahnung des
beklagten Landes gerechtfertigt sei und deshalb nicht aus der Personalakte entfernt
werden müsste. Das Tragen der Baskenmütze stelle vielmehr einen Verstoß gegen § 57
Abs. 4 Satz 1 SchG NRW dar, weil die Klägerin bereits gegen das Verbot der religiösen
Bekundung im Sinne der genannten Norm verstieße.
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Die Baskenmütze stelle nämlich zweifelsfrei ein Surrogat für das bisher von der Klägerin
getragene Kopftuch dar und sei damit insoweit geeignet, die Neutralität des beklagten
Landes gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den religiösen
Schulfrieden zu stören. Hierzu reiche eine abstrakte Gefährdung aus, die vorliegend zu
bejahen sei.
27
Das Arbeitsgericht hat weiter ausgeführt, § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW verstoße auch
nicht gegen höherrangiges Recht wie etwa Art. 3 und 4 GG und stehe zudem in
Einklang mit Artikel 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Ein
Vollzugsdefizit hat das Arbeitsgericht ebenfalls vereint und hinsichtlich des Tragens des
Nonnenhabits auf bestehende Sondersituationen verwiesen.
28
Die Klägerin hat gegen das ihr am 27.09.2007 zugestellte Urteil mit einem am
26.10.2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt
und diese mit einem am 27.11.2007 eingegangenen Schriftsatz begründet.
29
Sie wiederholt im Wesentlichen ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und
verweist erneut darauf, dass sie die Baskenmütze allein aus modischen Gründen trage.
Darüber hinaus handele es sich mittlerweile und in erster Linie um eine Frage der
Gewohnheit vor dem biografischen Hintergrund der Klägerin, nachdem diese fast zwei
Jahrzehnte eine Kopfbedeckung getragen hätte.
30
Die Klägerin vertritt danach insgesamt die Auffassung, dass die Baskenmütze
weltanschaulich neutral sei und gerade kein Surrogat für das Kopftuch darstelle. Sie
meint zudem, dass angesichts ständig wechselnder Schülerschaften auch keine
abstrakte Gefährdung des Schulfriedens oder anderer rechtlich geschützter Güter zu
besorgen sei.
31
Die Klägerin bezieht sich schließlich auf ein zu den Akten gereichtes Gutachten von
Herrn Prof. Dr. X. (Bl. 198 bis 241 d. A.) und vertritt die Rechtsauffassung, dass die
Regelung in § 57 Abs. 4 SchG NRW grundgesetz- und europarechtswidrig wäre.
32
Die Klägerin beantragt,
33
das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 29.06.2007 - 12 Ca 175/07 - aufzuheben
und den Beklagten zu verurteilen, die der Klägerin mit Schreiben vom 19.12.2006
erteilte Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen.
34
Das beklagte Land beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
36
Das beklagte Land verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls
seinen Sachvortrag aus der Instanz.
37
Das beklagte Land unterstreicht dabei erneut seine Auffassung, wonach durch das
Tragen der Baskenmütze zeitlich lückenlos nach dem Tragen des islamischen
Kopftuches der religiöse Charakter der Kopfbedeckung betont werde. Der Baskenmütze
komme demgemäß der in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW angesprochene
Bekundungscharakter zu.
38
Das beklagte Land meint schließlich, dass § 57 Abs. 4 SchG NRW auch nicht gegen
höherrangiges Recht verstoße und verweist hierzu auf die einschlägige
Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte und des Bundesverfassungsgerichts.
39
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den
vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den
Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.
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E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
41
I.
42
Die Berufung ist zulässig.
43
Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des
Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und
fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520
ZPO).
44
II.
45
In der Sache selbst hatte das Rechtsmittel keinen Erfolg.
46
Die Klägerin hat gegen das beklagte Land weder aus §§ 1004, 242 BGB noch aus
anderen Rechtsgründen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus ihrer
Personalakte.
47
1. Das beklagte Land hat der Klägerin zu Recht die in Streit stehende Abmahnung
ausgesprochen.
48
1.1 Mit einer Abmahnung übt ein Arbeitgeber seine arbeitsvertraglichen Gläubigerrechte
aus. Er weist den Arbeitnehmer als seinen Schuldner auf dessen vertragliche Pflichten
hin und macht ihn auf die Verletzung dieser Pflichten aufmerksam (Rüge- und
Dokumentationsfunktion). Zugleich fordert er ihn für die Zukunft zu einem vertragstreuen
Verhalten auf und kündigt, weil ihm dies angebracht erscheint, individualrechtliche
Konsequenzen für den Fall einer erneuten Pflichtverletzung an (Warnfunktion). Da eine
zur Personalakte genommene Abmahnung geeignet ist, den Arbeitnehmer in seinem
beruflichen Fortkommen und seinem Persönlichkeitsrecht zu beeinträchtigen, darf ein
verständiger Arbeitgeber nicht ohne ausreichenden Anlass eine Abmahnung erteilen
und sie nur für einen angemessenen Zeitraum aufbewahren. Der betroffene
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Arbeitnehmer kann daher in entsprechender Anwendung der §§ 242, 1004 BGB die
Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus seinen Personalunterlagen
verlangen, wenn das berechtigte Interesse des Arbeitgebers an der Ausübung seines
Gläubigerrechts fehlt. Ein Arbeitnehmer kann folglich die Beseitigung dieser
Beeinträchtigung verlangen, wenn die Abmahnung formell nicht ordnungsgemäß
zustande gekommen ist, sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, sie den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt oder kein schutzwürdiges Interesse des
Arbeitgebers am Verbleib der Abmahnung in der Personalakte mehr besteht. Soweit
dem Arbeitnehmer eine Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen
wird, kommt es nicht darauf an, ob dieser Pflichtenverstoß dem Arbeitnehmer subjektiv
vorwerfbar ist. Es reicht vielmehr aus, wenn der Arbeitgeber einen objektiven Verstoß
des Arbeitnehmers gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten rügt. Eine solche Rüge ist
nicht nur ungerechtfertigt, wenn sie unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, sondern
auch dann, wenn sie auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens
des Arbeitnehmers beruht (BAG 11.12.2001 - 9 AZR 464/00 - AP Nr. 8 zu § 611 BGB
Nebentätigkeit; BAG 30.05.1996 - 6 AZR 537/95 - AP Nr. 2 zu § 611 BGB
Nebentätigkeit).
1.2 Hiernach besteht kein Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 19.12.2006
aus der Personalakte, weil die Abmahnung weder unrichtige Tatsachenbehauptungen
enthält noch auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens der
Klägerin beruht. Insbesondere kann sich das beklagte Land zur Rechtfertigung der
Abmahnung auf § 57 Abs. 4 SchG NRW berufen, der das vom beklagten Land gerügte
Tragen der Baskenmütze durch die Klägerin verbietet.
50
2. § 57 Abs. 4 SchG NRW ist auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbar. Nach §
58 SchG NRW wirken im Landesdienst stehende pädagogische und
sozialpädagogische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Bildungs- und
Erziehungsarbeit mit. § 58 Satz 2 SchG NRW hält darüber hinaus ausdrücklich fest,
dass § 57 Abs. 4 und 6 SchG NRW entsprechend gelten sollen. Die Klägerin ist als
gelernte Sozialpädagogin im Schuldienst des beklagten Landes eingesetzt und nimmt
dort sozialpädagogische Betreuungstätigkeiten wahr. Sie gehört damit zweifelsohne zu
dem in § 58 SchG NRW genannten Personal und ist demgemäß verpflichtet, ihr
Verhalten an den Vorgaben des § 57 Abs. 4 SchG NRW auszurichten.
51
3. § 57 Abs. 4 SchG NRW und insbesondere § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW sind -
entgegen der Auffassung der Klägerin - mit höherrangigem Recht vereinbar. Die
vorbezeichneten Normen verstoßen insbesondere nicht gegen Grundrechte der
Klägerin aus dem Grundgesetz und auch nicht gegen europäisches Recht.
52
3.1 Soweit man in § 57 Abs. 4 SchG NRW ein Verbot für das Tragen des islamischen
Kopftuches in der Schule sieht und soweit sich dieses Verbot auch auf das Tragen einer
Baskenmütze durch die Klägerin bezieht (siehe hierzu unten Ziffer 6 bis 8), verstößt § 57
Abs. 4 Satz 1 SchG NRW nicht gegen Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
53
3.1.1 Die erkennende Berufungskammer folgt zunächst den grundsätzlichen
Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts im so genannten Kopftuchfall (BVerfG,
Urteil vom 24.09.2003 - 2 BvR 1436/02 - NJW 2003, 3111). Das
Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung zu den grundsätzlichen
Anforderungen an das Verbot eines Kopftuchtragens im Schulunterricht Stellung
genommen und dabei zunächst festgestellt, dass das Tragen eines Kopftuchs auch in
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der Schule regelmäßig unter den Schutzbereich der in Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
verbürgten Glaubensfreiheit fällt. Das - islamische - Kopftuch stellt ein Symbol für eine
bestimmte religiöse Überzeugung dar. Wegen der Bedeutung, die Muslime dem
Kopftuch beilegen, gilt es als Sinnbild einer bestimmten Glaubensüberzeugung, als
Ausdruck des Bekenntnisses der Trägerin zum islamischen Glauben und damit als
sichtbares Zeichen für die Ausübung ihrer Religion. Dabei kann nach Meinung des
Bundesarbeitsgerichts (BAG 10.12.2002 - 2 AZR 472/01 - AP Nr. 44 zu § 1 KSchG 1969
Verhaltensbedingte Kündigung) dahinstehen, ob das Kopftuchtragen Ausdruck eines
zwingenden religiösen Gebots des Korans ist, was unter den islamischen Autoritäten
umstritten ist. Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG gewährleistet nämlich als Grundrecht nicht nur
die persönliche Freiheit, nach Maßgabe einer autoritativen oder allgemein anerkannten
Lehre einer Religionsgemeinschaft zu leben, sondern auch die individuelle
Religionsfreiheit als Recht des Einzelnen, sein gesamtes Verhalten an den Lehren
seines Glaubens auszurichten und seiner inneren Glaubensüberzeugung gemäß zu
handeln. Insbesondere überlässt das Grundrecht es dem Einzelnen, welche religiösen
Symbole er anerkennt und verwendet.
3.1.2 Die Anforderungen, die an das Verbot eines Kopftuchtragens im Schulunterricht
mit Blick auf grundgesetzliche Regelungen zu stellen sind, hat das
Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 24.09.2003, a. a. O.) im Einzelnen erläutert.
Danach bedarf es eines Landesgesetzes, bei dem der Gesetzgeber über eine
Einschätzungsprärogative verfügt, ob er eine Lösung wählt, die es ermöglicht, die
zunehmende religiöse Vielfalt in die Schule aufzunehmen und als Mittel für die
Einübung gegenseitiger Toleranz zu nutzen oder ob er wegen des größeren Potentials
möglicher Konflikte an der Schule den Weg geht, der staatlichen Neutralitätspflicht im
schulischen Bereich eine größere Bedeutung beizumessen. Das Land Nordrhein-
Westfalen hat mit Schaffung des § 57 Abs. 4 SchG NRW den zuletzt genannten Weg
beschritten und sich dafür entschieden, der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-
religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen
Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler ein stärkeres Gewicht beizumessen als
der positiven Glaubensfreiheit eines Lehrers.
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3.1.3 Dies ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Das Kopftuchverbot im
Schulunterricht ist Ausfluss der praktischen Konkordanz, d. h. eines verhältnismäßigen
Ausgleichs zwischen den unterschiedlichen und widerstreitenden Grundrechten und
Verfassungswerten. Insoweit stehen sich die individuellen Freiheitsrechte der
Lehrerinnen und die individuellen Freiheitsrechte der Schülerinnen und Schüler sowie
der ihrer Eltern gegenüber. Sie sind in ein verhältnismäßiges Gleichgewicht zu bringen,
bei dem die Befugnis des Staates, die äußere und inhaltliche Gestaltung des
Schulunterrichts festzulegen, sowie die staatliche Neutralitätspflicht zu beachten sind
(Bundesverfassungsgerichtsentscheidung, 24.09.2003, a. a. O.; VG Gelsenkirchen
27.02.2008 - 1 K 1466/07 - n. v.; VG Düsseldorf 14.08.2007 - 2 K 1752/07 - n. v.; VG
Düsseldorf 05.06.2007 - 2 K 6225/06 - n. v.).
56
3.1.4 Nach dem oben Gesagten betreffen religiöse Bekundungen von Lehrkräften deren
positive Religionsausübungsfreiheit. Als mit der Glaubensfreiheit in Widerstreit tretende
Verfassungsgüter kommen dann aber neben dem staatlichen Erziehungsauftrag (Art. 7
Abs. 1 GG), der unter Wahrung der Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität zu
erfüllen ist, das elterliche Erziehungsrecht (Art. 6 Abs. 2 GG) und die negative
Glaubensfreiheit der Schulkinder (Art. 4 Abs. 1 GG) in Betracht (BVerfG 24.09.2003, a. a.
O.). Wird einer Lehrerin untersagt, im Unterricht und bei der allgemeinen
57
Dienstausübung in der Schule religiöse Bekundungen abzugeben, die geeignet sind,
die Neutralität des Landes oder den religiösen Schulfrieden zu gefährden, wird damit
ihre positive Religionsausübungsfreiheit - zumindest zeitweilig - unterbunden. Dies aber
ist eine von ihr hinnehmbare und verhältnismäßige Einschränkung ihrer
Grundrechtsposition. Zum einen wird sie nur zeitlich, räumlich und funktionsmäßig
eingeschränkt. Ausschließlich während der Dienstausübung als Lehrerin muss das
Freiheitsrecht der Lehrkraft zurücktreten, um nicht die gegenläufigen Freiheitsrechte der
Schülerinnen und Schüler sowie deren Eltern und das Gebot staatlicher Neutralität zu
verletzen. Zum anderen kann aber auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass eine
Lehrerin in die Vorgaben und Anforderungen, die der Dienstherr an ihre
Dienstausübung stellt, eingebunden ist und ihre positive Religionsausübungsfreiheit
aus diesem Grunde zumal mit Blick auf die dem Staat gebotene religiös-
weltanschauliche Neutralität Einschränkungen unterliegt. Eine beamtete Lehrkraft kann
nicht auf der einen Seite die aus ihrer beamtenrechtlichen Stellung erwachsenden
positiven Seiten in Anspruch nehmen, während sie die weitere Verpflichtung des
Staates, religiös-weltanschaulich strikt neutral zu sein, nicht aktiv unterstützt, sondern
durch religiöse Bekundungen diese Vorgaben des Dienstherrn offen ablehnt. Dabei ist
auch zu berücksichtigen, dass der Neutralitätspflicht des Staates in dem sensiblen
Bereich der Schule besondere Bedeutung zukommt. In der Schule treffen die Lehrkräfte
auf emotional und bindungsmäßig noch stark beeinflussbare Schülerinnen und Schüler,
die in ihren Anschauungen noch nicht gefestigt sind, Kritikvermögen und Ausbildung
eigener Standpunkte erst erlernen sollen und daher in einer mentalen Beeinflussung
besonders leicht zugänglich sind (BVerfG 16.05.1995 - 1 BvR 1087/91 - BVerfG 93, 1
bis 37; VG Gelsenkirchen, 27.02.2008, a. a. O.).
3.1.5 Die so dargestellten Grundsätze gelten nach Auffassung der erkennenden
Berufungskammer auch dann, wenn das Verhalten von angestellten Lehrerinnen und
Lehrern bzw. solcher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Diskussion steht, die in § 58
SchG NRW angesprochen sind. Auch sie haben den Vorgaben und Anforderungen zu
entsprechen, die ihr Arbeitgeber, nämlich das beklagte Land, an ihre Arbeitsausübung
stellt. Sie sind eingebunden in den staatlichen Erziehungsauftrag und damit auch
eingebunden in die Einschränkungen, die dem Staat aufgrund seiner religiös,
weltanschaulichen Neutralität auferlegt sind. Auch ihnen gegenüber ist es deshalb
gerechtfertigt, die positive Religionsausübungsfreiheit in dem oben dargestellten Sinne
zu beschränken; § 57 Abs. 4 SchG NRW verstößt demgemäß auch insoweit nicht gegen
Art. 4 Abs. 1 und 2 GG.
58
3.2 Das Verbot, in der Schule religiöse Bekundungen abzugeben, verstößt weiter nicht
gegen den Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 3 GG.
59
3.2.1 Hierbei ist zunächst zu berücksichtigen, dass Bekundungen anderer
Glaubensinhalte durch Lehrkräfte an öffentlichen Schulen, von denen Gefährdungen
oder Störungen der staatlichen Neutralität oder des Schulfriedens ausgehen können,
gleichermaßen untersagt sind. So sind insbesondere das Nonnenhabit und die Kippa
ebenfalls von dem Verbot religiöser Bekundungen in § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW
erfasst. Die vorbezeichnete Norm unterscheidet gerade nicht nach bestimmten
Religionen oder Weltanschauungen, sondern stellt einzig und allein auf entsprechende
äußere Bekundungen ab und deren abstrakte Eignung, den Schulfrieden zu gefährden
oder zu stören.
60
Dieser rechtlichen Einschätzung steht § 57 Abs. 4 Satz 3 SchG NRW nicht entgegen. Zu
61
dieser Vorschrift haben in der näheren Vergangenheit mehrere Verwaltungsgerichte in
Nordrhein-Westfalen (VG Gelsenkirchen 27.02.2008, a. a. O.; VG Düsseldorf
14.08.2007, a. a. O.; VG Düsseldorf 05.06.2007, a. a. O.; VG Aachen 09.11.2007 - 1 K
323/07 - n. v.) und das Bundesverwaltungsgericht zum weitestgehend wortgleichen § 38
SchG BW (BVerwG 24.06.2004 - 2 Ca 45/03 - NJW 2004, 3581) Stellung genommen.
Danach ergibt sich eine unzulässige Bevorzugung christlicher Glaubensbekundungen
nicht aus der Klarstellung in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchG NRW, wonach die Wahrnehmung
des Erziehungsauftrags nach Art. 7 und 12 Abs. 6 der Verfassung des Landes
Nordrhein-Westfalen und die entsprechende Darstellung christlicher und
abendländischer Bildungs- und Kulturwerte oder Traditionen nicht dem Verhaltensgebot
nach Satz 1 widerspricht. Der verwendete Begriff des "christlichen" soll nämlich ebenso
wie die entsprechende Bestimmung des § 38 Abs. 2 Satz 3 SchG BW dahingehend
ausgelegt werden, dass eine von Glaubensinhalten losgelöste, aus der Tradition der
christlich abendländischen Kultur hervorgegangene Wertewelt bezeichnet wird, die
erkennbar auch dem Grundgesetz zugrunde liegt und unabhängig von ihrer religiösen
Fundierung Geltung beansprucht (so ausdrücklich: BVerwG 24.06.2004, a. a. O.).
Dasselbe gilt gleichermaßen für die Bezugnahme auf die Art. 7 und 12 Abs. 6 der
Landesverfassung NRW, in denen die allgemeinen und die schulischen
Erziehungsgrundsätze niedergelegt sind. Auch die Verfassung des Landes Nordrhein-
Westfalen bezieht sich hier auf christliche Tugenden und nicht auf spezielle
Glaubensinhalte. In diesen Artikeln ist das Erziehungsziel verankert, in Kindern
Ehrfurcht vor Gott, Achtung vor der Würde des Menschen und Bereitschaft zum sozialen
Handeln zu wecken. Die Jugend soll erzogen werden im Geist der Menschlichkeit, der
Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung
des anderen, zur Verantwortung für Tiere und die Erhaltung der natürlichen
Lebensgrundlagen, in Liebe zu Volk und Heimat, zur Völkergemeinschaft und
Friedensgesinnung (vgl. Art. 7 der Landesverfassung NRW). Nach Art. 12 Abs. 6 Satz 1
der Landesverfassung NRW werden die Kinder in Gemeinschaftsschulen auf der
Grundlage christlicher Bildungs- und Kulturwerte unterrichtet und erzogen. Dass diese
Norm deshalb nicht auf die Vermittlung bestimmter Glaubensinhalte abzielt, findet vor
allen Dingen darin besonderen Ausdruck, dass die Erziehung "in Offenheit für die
christlichen Bekenntnisse und für andere religiöse und weltanschauliche
Überzeugungen" erfolgt (so ausdrücklich: VG Düsseldorf 14.08.2007, a. a. O.).
62
Soweit die Begründung des dem Zweiten Schulrechtsänderungsgesetz vom 27.
63
Juni 2006 zugrunde liegenden Gesetzentwurfs der Fraktion von CDU und FDP vom 31.
Oktober 2005 (LT-Drucks. 14/569, Seite 9) davon ausgeht, dass äußere Symbole und
Kleidungsstücke, die den verfassungsrechtlichen Grundwerten und den Bildungszielen
der Verfassung einschließlich den christlich-abendländischen Bildungs- und
Kulturwerten entsprechen, "etwa die Tracht von Ordensschwestern oder die jüdische
Kippa", zulässig blieben, hat diese Auffassung im Wortlaut des Gesetzes gerade keinen
hinreichenden Niederschlag gefunden. Das VG Düsseldorf (Urteil vom 14.08.2007, a. a.
O.) weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass dann aber aus der
Entstehungsgeschichte und den Gesetzesmaterialien sich ergebende subjektive
Zielvorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten dem objektiven
Gesetzesinhalt nicht gleichstünden. Der Wille der gesetzgebenden Instanzen kann für
die Interpretation nur insoweit bedeutsam sein, als er sich auch im Gesetzestext selbst
wiederfindet. Dies indessen hat der Gesetzgeber bei der Fassung des § 57 Abs. 4 SchG
NRW und insbesondere bei der Formulierung in § 57 Abs. 4 Satz 3 SchG NRW
64
unterlassen. Dann aber muss die zuletzt bezeichnete Vorschrift - auch nach dem Gebot
der verfassungskonformen Auslegung - dahingehend interpretiert werden, dass im
Bereich öffentlicher Schulen zwar die Darstellung christlicher Bildungs- und Kulturwerte
statthaft bleibt, soweit sie sich nicht auf bestimmte Glaubensinhalte bezieht,
Bekundungen, die einem individuellen Glaubensbekenntnis, etwa durch besondere
Kleidung - Ausdruck verleihen, jedoch zu unterbleiben haben (so auch: VG Düsseldorf
14.08.2007, a. a. O.; VG Gelsenkirchen, 27.02.2008, a. a. O.).
3.3 Soweit die Klägerin für sich eine Verletzung ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts
gemäß Art. 2 Abs. 1 GG und der Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG
reklamiert, gilt das oben unter Ziffer 3.1 Gesagte entsprechend. Auch diesen
Grundrechten der Klägerin stehen die negative Glaubensfreiheit der betroffenen
Schülerinnen und Schüler nach Art. 4 GG, das elterliche Erziehungsrecht gemäß Art. 6
Abs. 2 GG und der staatliche Erziehungsauftrag gemäß Art. 7 Abs. 1 GG entgegen und
verdrängen die Grundrechte aus Art. 2 und 12 GG.
65
4. § 57 Abs. 4 SchG NRW steht auch nicht in Widerspruch zu den Vorschriften des
Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG).
66
4.1 Ziel dieses Gesetzes ist es gemäß § 1 AGG, Benachteiligungen unter anderem
wegen des Geschlechts oder der Religion zu verhindern oder zu beseitigen. Die in §§
57 Abs. 4, 58 SchG NRW angesprochenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter fallen auch
grundsätzlich in den persönlichen Anwendungsbereich des AGG, § 6 Abs. 1 Ziffer 1
AGG. Gemäß § 7 Abs. 1 AGG dürfen die in
67
§ 6 genannten Personen nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt
werden. Verboten sind dabei sowohl die unmittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs.
1 AGG wie auch eine mittelbare Benachteiligung gemäß § 3 Abs. 2 AGG.
68
4.2 Indessen kann nach Auffassung der erkennenden Berufungskammer dahingestellt
bleiben, ob hiernach tatsächlich eine Benachteiligung wegen der Religion oder wegen
des Geschlechts vorliegt. Gemäß § 8 Abs. 1 AGG wäre nämlich eine derartige
Benachteiligung gerechtfertigt.
69
Die vorgenannte Norm gestattet eine unterschiedliche Behandlung dann, wenn sie
wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine
wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck
rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. Eine solche Einschränkung ergibt
sich aus dem oben bereits mehrfach angesprochenen Neutralitätsgebot für Lehrerinnen
und Lehrer in Nordrhein-Westfalen. Dieses ist auch und gerade in dem besonders
sensiblen Bereich der Schule, in dem die verschiedenen widerstreitenden Grundrechte
und Verfassungswerte in einem verhältnismäßigen Ausgleich zu bringen sind, ein
wesentliches und entscheidendes berufliches Kriterium, ohne welches diese Tätigkeit
nicht ausgeübt werden kann. Dabei muss es als ausreichend angesehen werden, dass
mit dem Tragen des Kopftuches in einer Weise in den Schulbetrieb eingegriffen wird,
die das - vom Gesetzgeber angemessen ausgefüllte - Neutralitätsgebot verletzt und die
Ordnungs- und Regelungsfunktion des Staates in diesem Bereich unterläuft (VG
Düsseldorf 14.08.2007, a. a. O.; VG Aachen 09.11.2007, a. a. O.).
70
5. Soweit die Klägerin unter Hinweis auf das zu den Akten gereichte Gutachten von
Herrn Prof. Dr. X. einen Verstoß gegen europäische Rechtssetzungsakte annimmt, ist
71
dem die erkennende Berufungskammer nicht gefolgt.
5.1In Betracht zu ziehen ist hierbei vor allem, dass § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW eine
unmittelbare Benachteiligung aus Gründen der Religion nach Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie
2000/78/EG darstellen könnte. Hierzu hat die Berufungskammer aber bereits im
Rahmen der Diskussion des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes ausgeführt, dass
eine möglicherweise vorliegende Benachteiligung gemäß § 8 Abs. 1 AGG gerechtfertigt
wäre. Dieselben Erwägungen gelten auch für das Eingreiffen des Art. 2 Abs. 2 der
Richtlinie 2000/78/EG; auf die entsprechenden Ausführungen oben unter Ziffer 4.2 wird
verwiesen.
72
5.2§ 57 Abs. 4 SchG NRW steht schließlich auch in Einklang mit Art. 9 EMRK. Das
Verbot des "Kopftuchtragens" in öffentlichen Schulen stellt zwar grundsätzlich einen
Eingriff in die Religionsfreiheit nach Art. 9 EMRK dar, der jedoch im Sinne von Art. 9
Abs. 2 EMRK gesetzlich vorgesehen ist. Mit ihm wird ein berechtigtes Ziel verfolgt, der
Eingriff selbst ist nicht unverhältnismäßig und kann deswegen insgesamt keinen
Verstoß gegen Art. 9 EMRK begründen (vgl. hierzu: Europäischer Gerichtshof für
Menschenrechte 15.02.2001 - 42393/98 - [Dahlab/Schweiz] NJW 2001, 2871;
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte 10.11.2005 - 44774/98 - [Leyla
Sahin/Türkei], NJW 2006, 1389; vgl. auch: VG Düsseldorf 14.08.2007, a. a. O.).
73
6. Steht damit fest, dass § 57 Abs. 4 SchG NRW nicht gegen höherrangiges Recht
verstößt, so stellt sich das Tragen eines "islamischen Kopftuches" aus religiösen
Gründen als eine äußere Bekundung dar, die geeignet ist, die Neutralität des Landes
gegenüber Schülerinnen und Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen
oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören, dar; sie ist gemäß §
57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW verboten.
74
6.1 Eine Lehrerin, die in der Schule ein so genanntes islamisches Kopftuch trägt, gibt
damit in eindeutiger Weise zu verstehen, dass sie sich zur Religion des Islam bekennt
und sich gehalten sieht, dessen von ihr als verpflichtend empfundene
Bekleidungsvorschriften zu beachten. Hierin liegt eine Bekundung, nämlich die
bewusste, an die Außenwelt gerichtete Kundgabe einer religiösen Überzeugung. Ob
diese Bekundung vom Schutz der Religions- oder Meinungsäußerung umfasst wird, ist
in diesem Zusammenhang ebenso unbeachtlich wie das ihr zugrunde liegende Motiv,
also die Frage, ob die Bekundung freiwillig ist oder im Sinne eines tradierten
Rollenverständnisses auf einem mehr oder weniger starken äußeren Zwang beruht.
Entscheidend sind die von Dritten wahrgenommenen Erklärungswerte dieser
Bekundung, nicht die Botschaft, die die Mitarbeiterinnen mit dem Tragen des Kopftuchs
vermitteln wollen. Entscheidend ist der so bezeichnete Empfängerhorizont, wobei es
nicht auf die Sicht einzelner ankommt. Es ist vielmehr abzustellen auf die Sicht der
Schüler und Eltern, die durch das Band der allgemeinen Schulpflicht in einer engen
Beziehung zum Staat stehen (BVerwG 24.06.2004, a. a. O.; vgl. zum
"Empfängerhorizont" auch: BVerwG 24.09.2003, a. a. O.).
75
Das Tragen des Kopftuches durch die Klägerin in der Vergangenheit war eine derartige
äußere Bekundung. Sie hat, von ihr selbst auch so eingeräumt, damit in eindeutiger
Weise zu verstehen gegeben, dass sie sich zur Religion des Islam bekenne und sich
gehalten gesehen hat, dessen von ihr als verpflichtend empfundene
Bekleidungsvorschriften zu beachten.
76
6.2. Dem kann die Klägerin nicht entgegen halten, dass sie über lange Jahre
unbeanstandet das Kopftuch getragen hat, dass es zu keinerlei Irritationen oder gar
Beschwerden gekommen ist und dass auch eine aktuelle und konkrete
Gefährdungssituation nicht vorliegt. § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW knüpft nämlich an
einen abstrakten Gefährdungstatbestand an. Nicht erst Bekundungen, welche die
Neutralität des Landes oder den Schulfrieden konkret gefährden oder gar stören, fallen
unter das Verbot. Es soll vielmehr schon abstrakten Gefahren vorgebeugt werden, um
konkrete Gefahren für die Neutralität der Schule oder den Schulfrieden gar nicht erst
eintreten zu lassen. Im Gesetzeswortlaut kommt dies - nach Meinung der erkennenden
Kammer - eindeutig darin zum Ausdruck, dass dieser entsprechende Verhaltensweisen
bereits dann verbietet, wenn sie nur "geeignet" sind, die genannten Schutzgüter zu
gefährden. Eine Betrachtung der konkreten Verhältnisse an einzelnen Schulen, gegen
einzelnen Schülerinnen und Schülern und orientiert an bestimmten schulischen
Situationen ist danach gerade nicht vorgesehen (so ausdrücklich: VG Düsseldorf
14.08.2007, a. a. O.; vgl. auch: BVerwG 24.06.2004, a. a. O.).
77
Durch das Tragen des islamischen Kopftuches hatte die Klägerin in der Vergangenheit
ihr Bekenntnis zu einer bestimmten Religion nach außen verlautbart. Bereits damit war
eine abstrakte Gefährdung der Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen,
Schülern und Lehrern eingetreten und es bestand die - abstrakte - Gefahr, den
Schulfrieden zu gefährden oder zu stören.
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7. Diesem Gefährdungstatbestand kann die Klägerin nicht dadurch entgehen, dass sie
auf das Tragen des islamischen Kopftuches verzichtet und stattdessen eine
Baskenmütze trägt.
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7.1 Es ist bereits mehrfach, vor allem unter Ziffer 6.2 dieses Urteils, darauf hingewiesen
worden, dass Anknüpfungspunkt für die Feststellung, dass ein Verstoß gegen § 57 Abs.
4 Satz 1 SchG NRW vorliegt, die abstrakte Gefährdung der dort genannten
Rechtspositionen ist, wobei insoweit auf den "objektiven Empfängerhorizont"
abzustellen ist (BVerfG 24.09.2003, a. a. O.; BVerwG 24.06.2004, a. a. O.).
Entscheidend ist danach der - objektive - Erklärungswert der Kopfbedeckung, die die
Klägerin im Rahmen ihrer Dienstverrichtung in der Schule anlegt. Erweist sich danach
auch diese Kopfbedeckung als eine solche, mit der symbolhaft auf bestimmte
Glaubensinhalte hingewiesen und diese nach außen offenbart werden, so ist auch dies
gemäß § 57 Abs. 4 Satz 1 SchG NRW verboten.
80
7.2 Genau hiervon ist nach Einschätzung der erkennenden Berufungskammer aber
auch auszugehen, weil sich die Baskenmütze im Ergebnis nur als ein Surrogat für das
nicht mehr benutzte Kopftuch erweist.
81
Für eine derartige Interpretation sprechen verschiedene - objektive - Gesichtspunkte, die
den religiösen Charakter der Kopfbedeckung belegen. So fällt zunächst auf, dass der
Klägerin unter dem 09.08.2006 aufgegeben worden war, das bis dahin getragene
"islamische Kopftuch" abzulegen. Sie war dieser Aufforderung zwar zeitnah am
25.09.2006 nachgekommen. Allerdings hatte sie es - offensichtlich bewusst - vermieden,
zu irgendeinem Zeitpunkt in der Schule zu erscheinen, ohne das Kopftuch oder eine
vergleichbare Kopfbedeckung zu tragen. Die Klägerin hatte naht- und übergangslos das
Kopftuch durch die Baskenmütze ersetzt und damit kaum Zweifel aufkommen lassen,
dass sie nicht nur an ihrem äußeren Erscheinungsbild festhalten wollte. Sie hatte schon
durch dieses Verhalten eindrucksvoll dokumentiert, dass sie den religiösen
82
Bekundungscharakter ihrer Kopfbedeckung nicht ändern wollte. Damit trägt sie zwar
kein traditionell islamisch gebundenes Kopftuch mehr; die von ihr bevorzugte
Baskenmütze erweckt aber bei objektiven Dritten ohne weiteres den Eindruck, dass die
Klägerin sich zum Islam bekennt. So konnte die erkennende Kammer im Termin zur
mündlichen Verhandlung vom 10.04.2008 feststellen, dass die von der Klägerin als
Surrogat für das islamische Kopftuch getragene Baskenmütze vollständig die
Körperteile verhüllt, die auch durch das bisher getragene Kopftuch verhüllt wurden. Im
Termin zur mündlichen Verhandlung trug die Klägerin darüber hinaus neben der
Baskenmütze einen gleichfarbigen Rollkragenpullover, wobei diese
Bekleidungsvariante den Eindruck der erkennenden Kammer noch verstärkte, dass es
sich dabei - eigentlich - um ein Kopftuch handelte. Durch die bewusste Wahl von
Bekleidungsbestandteilen und Kopfbedeckung und dem damit erreichten Ergebnis, die
dem des islamischen Kopftuchs gleichkommen, vermittelte und vermittelt die Klägerin
gegenüber Dritten eindrucksvoll ihr Bekenntnis zum Islam.
Der Klägerin ist es auch im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem
Landesarbeitsgericht nicht gelungen, die dargestellten Argumente, die auf den
religiösen Charakter ihrer Bekundungen hindeuten, zu entkräften. Zwar mag man die
von der Klägerin gewählte Kopfbedeckung, die offensichtlich in verschiedenen Farben
vorrätig gehalten wird, noch als modisch empfinden. Indessen war die Klägerin nicht in
der Lage, nachvollziehbar zu belegen, weshalb sie die Baskenmütze auch in
geschlossen Räumen, unabhängig von jeglichen Witterungseinflüssen und unabhängig
von bestimmten Tageszeiten zu tragen pflegt. In diesem Zusammenhang ist dann aber
auch von besonderer Bedeutung, wie die Klägerin auf etwaige Nachfragen von
Schülerinnen und Schülern reagieren würde, die das zumindest ungewohnte Auftreten
der Klägerin zum Anlass entsprechender Nachfragen machen könnten. Auch in diesem
Zusammenhang ist nicht erkennbar, dass andere als religiöse Gründe hinter der
gewählten Kopfbedeckung stehen und demgemäß auch so zu vermitteln wären.
83
7.3 Die von der Klägerin durch das Tragen der Baskenmütze abgegebene Bekundung
ist dann aber auch geeignet, die Neutralität des Landes gegenüber Schülerinnen und
Schülern sowie Eltern oder den politischen, religiösen oder weltanschaulichen
Schulfrieden zu gefährden oder zu stören.
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Auch in diesem Zusammenhang ist deshalb zunächst - wie im Falle des islamischen
Kopftuchs - darauf hinzuweisen, dass eine ausreichende abstrakte Gefährdung gerade
der weltanschaulich-religiösen Neutralität der Schule und des religiösen Schulfriedens
auch von dem dauerhaften Tragen einer Haare und Ohren bedeckenden Baskenmütze
durch die Klägerin ausgeht. Es bedarf entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin
keiner konkreten Gefährdung, so dass es auch in diesem Zusammenhang nicht darauf
ankommt, dass sie nach ihren eigenen Angaben bislang keine Negativreaktionen auf
die Baskenmütze erhalten hat. Vor dem Hintergrund, dass es immer mal wieder und vor
allen Dingen mit Schuljahresbeginn zu Wechseln in der Schüler- und Elternschaft
kommt und auch nicht auszuschließen ist, dass die Klägerin an eine andere Schule
versetzt werden kann, erschließt sich, dass eine abstrakte Gefährdung der in § 57 Abs. 4
SchG NRW angesprochenen Rechtsinstitute ausreichend sein muss.
85
Hinzu kommt im Falle der Klägerin entscheidend, dass sie als Sozialpädagogin auf
einem Betreuungsgebiet tätig wird, wo politische, religiöse und weltanschauliche
Neutralität von besonderer Bedeutung sein dürften. Die Klägerin ist an ihrer Schule
damit beauftragt, schulische Streitigkeiten und Meinungsverschiedenheiten zu
86
schlichten. Sie kommt dabei täglich mit Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher
Nationalitäten und vor allen Dingen auch unterschiedlicher Religion zusammen. Hier
besteht schon die konkrete Gefahr, dass sie mit der äußerlichen Bekundung ihrer
Religionszugehörigkeit Vorurteile darüber aufkommen lassen könnte, was ihre
Neutralität bei derartigen Schlichtungstätigkeiten betrifft. Es besteht aber auf jeden Fall
die abstrakte Gefahr, dass Schülerinnen und Schüler sich beeinflussen lassen könnten,
wenn und soweit die Klägerin auch weiterhin durch ihre Baskenmütze die Zugehörigkeit
zum Islam betont.
8. Soweit sich die Klägerin im ersten Rechtszug auf ein so genanntes Vollzugsdefizit
beim beklagten Land berufen hat, hat sie dieses Vorbringen im zweiten Rechtszug nicht
mehr aufrecht erhalten. Im Übrigen verweist die Berufungskammer insoweit ergänzend
auf die zutreffenden Ausführungen unter 2. h. des arbeitsgerichtlichen Urteils.
87
9. Anhaltspunkte dafür, dass die streitbefangene Abmahnung vom 19.12.2006 den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt haben könnte, hat die Klägerin nicht
vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Insgesamt erweist sich der Anspruch
auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte als unbegründet.
88
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
89
Die erkennende Kammer hat die Revision für die Beklagte zugelassen, weil sie das
Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung
bejaht hat, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.
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R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :
91
Gegen dieses Urteil kann von der Klägerin
92
REVISION
93
eingelegt werden.
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Für die Beklagte ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.
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Die Revision muss
96
innerhalb einer Notfrist von einem Monat
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nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim
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Bundesarbeitsgericht,
99
Hugo-Preuß-Platz 1,
100
99084 Erfurt,
101
Fax: (0361) 2636 - 2000
102
eingelegt werden.
103
Die Revision ist gleichzeitig oder
104
innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils
105
schriftlich zu begründen.
106
Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem
deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.
107
gez.: Göttlinggez.: Niehausgez.: Pley
108