Urteil des KG Berlin vom 28.06.2005

KG Berlin: eltern, wohl des kindes, anhörung des kindes, gemeinsame elterliche sorge, geeignete stelle, gesetzliche vermutung, psychologisches gutachten, kindeswohl, aufenthalt, jugendamt

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Gericht:
KG Berlin Senat für
Familiensachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
13 UF 115/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 1671 Abs 2 Nr 2 BGB, § 621e
ZPO
Sorgerecht: Aufhebung der gemeinsamen Sorge bei
einvernehmlich praktiziertem Wechselmodell und erfolgter
Einigung über die grundsätzlichen Belange
Leitsatz
Keine Aufhebung der gemeinsamen Sorge bei einvernehmlich praktiziertem Wechselmodell
und bislang immer erfolgter Einigung über die grundsätzlichen Belange des Kindes.
Tenor
Auf die Beschwerde des Vaters wird der Beschluss des Amtsgerichts Tempelhof-
Kreuzberg vom 28. Juni 2005 aufgehoben und der Antrag der Mutter auf Übertragung
der alleinigen Sorge zurückgewiesen.
Ihre außergerichtlichen Kosten des Verfahrens trägt jede Partei selbst. Die gerichtlichen
Kosten erster Instanz tragen die Parteien je zur Hälfte, Gerichtskosten für das
Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben.
Der Beschwerdewert wird auf 3.000 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die elterliche Sorge für ihre am ... 1997 geborene Tochter N.
Die Parteien, die nicht verheiratet waren, haben im Januar 2000 eine gemeinsame
Sorgerechtserklärung abgegeben. Im April 2001 kam es zur Trennung der Parteien, die
Mutter zog aus der gemeinsamen Wohnung aus. Zuvor verständigten sich die Eltern
dahingehend, dass N. sich zunächst im halbwöchentlichen Wechsel bei der Mutter und
dem Vater aufhalten sollte, bis eine andere einvernehmliche oder gerichtliche Regelung
getroffen worden sei. Die Mutter leitete im April 2001 mit ihrem Antrag auf Übertragung
der elterlichen Sorge und Regelung des Umgangs des Kindes mit dem Vater das
Verfahren Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg - 163 F 8584/01 - ein. Im Juli 2001 änderten
die Parteien die bestehende Vereinbarung dahingehend, dass N. nunmehr alle zwei
Wochen ihren Aufenthalt wechselte und die Übergabe im Kindergarten stattfand. Das
Amtsgericht holte ein Sachverständigengutachten ein zur Frage, ob die Aufhebung der
gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl am besten entspreche und wenn ja,
welcher Elternteil zur Ausübung der Alleinsorge dann am besten geeignet und welche
Umgangsregelung im Interesse des Kindes angezeigt sei. Die Gutachterin kam in ihrem
Gutachten vom 2. Juni 2002 zu dem Ergebnis, dass das Kind zwar eine stärkere Bindung
zur Mutter habe, aber die Beschränkung des Vaters auf einen regelmäßigen
vierzehntägigen Umgang am Wochenende dessen Rolle im Leben des Kindes und den
vorhandenen Bindungen zwischen Vater und Tochter nicht gerecht werde. Das
Gutachten schloss sich daher dem vom Vater in einem von diesem initiierten
Abschlussgespräch mit der Gutachterin unterbreiteten Vorschlag an, wonach das Kind
sich 10 Tage im Monat bei ihm und 20 Tage bei der Mutter aufhalten sollte. Am 3. März
2003 einigten sich dann die Parteien vor dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg
dahingehend, dass beginnend ab dem 28. April 2003 N. sich von Montagnachmittag bis
einschließlich den darauf folgenden Montag beim Vater, dann die nächsten 12 Tage bei
der Mutter, dann wieder von Freitagnachmittag bis Montagmorgen beim Vater und
anschließend wieder eine Woche von Montagnachmittag bis den darauf folgenden
Montagmorgen bei der Mutter aufhält. Dies entsprach dem vom Vater vorgeschlagenen
Modell des 10- bzw. 20-tägigen Aufenthalts des Kindes bei den Eltern. Die Eltern einigten
sich ferner über die Ferien, die hälftig aufgeteilt wurden, sowie über die Feiertage und
Geburtstage des Kindes, die Geburtstage der Eltern und Großeltern. Ferner
verständigten sich die Parteien, dass N. mit Beginn des Schuljahres 2003/2004 eine
Privatschule in M. besuchen sollte, für die die Mutter das Schulgeld alleine aufbringt und
im Gegenzug das Kindergeld erhält.
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Die Parteien erklärten daraufhin das Verfahren in der Hauptsache für erledigt und das
Amtsgericht stellte fest, dass das Verfahren sich erledigt habe. Eine gerichtliche
Genehmigung der Vereinbarung ist nicht erfolgt. Ein entsprechender Antrag des Vaters
ist mit Beschluss des Amtsgerichts vom 7. Juli 2005 zurückgewiesen worden.
Die am 3. März 2003 getroffene Vereinbarung wird von den Eltern bis zum heutigen Tag
praktiziert. Die Umsetzung der Vereinbarung begann allerdings zunächst mit
Schwierigkeiten. So gab es Ostern 2003 zwischen den Eltern eine heftige
Auseinandersetzung im Beisein des Kindes, deren Hergang zwischen den Eltern streitig
ist. Nachdem N. während ihres Aufenthalts beim Vater nicht die Vorschule der künftigen
Schule besuchte, sondern weiterhin vom Vater zum bisherigen Kindergarten gebracht
wurde, und es zudem Streitigkeiten um den Geburtstag von N. gab, der im Jahr 2003 in
die Pfingstferien fiel, hat die Mutter am 21.05.2003 mit dem Antrag, ihr die elterliche
Sorge, hilfsweise das Aufenthaltsbestimmungsrecht, zu übertragen, das jetzige
Verfahren eingeleitet. Die Mutter hat während dieses Verfahrens beantragt, im Wege der
einstweiligen Anordnung die Sommerferien 2003 zu regeln, der Vater hat die
Herausgabe der Tochter zur Teilnahme an seinem Geburtstag im Jahr 2004 per
einstweiliger Anordnung beantragt. Beide Anträge sind zurückgewiesen worden.
Das Amtsgericht hat am 2. September 2004 erstmals die Parteien und das Kind
angehört, wobei N. ausweislich des Anhörungsvermerks erklärt hat, dass die Eltern zwar
viel streiten, aber es eigentlich so bleiben könne, wie es sei. Das Jugendamt hatte zuvor
die Auffassung vertreten, dass die gemeinsame elterliche Sorge bei derartigen
Konflikten der Eltern zu kompliziert sei. Das Amtsgericht hat dann erneut die im
Vorverfahren bestellte Sachverständige mit einem Ergänzungsgutachten beauftragt,
wobei die Sachverständige dazu Stellung nehmen sollte, ob die elterliche Sorge
beibehalten werden könne oder die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts auf
die Mutter dem Kindeswohl mehr entspreche und welche Umgangsregelung dann
angezeigt sei. Nachdem der Vater zunächst Einwände gegen die Person der
Sachverständigen hatte, hat das Amtsgericht eine andere Sachverständige bestellt. Der
Vater hat dann sein Einverständnis zur Begutachtung des Kindes nicht erteilt. Als die
Begutachtung dennoch fortgesetzt werden sollte, hat der Vater die mit dem Verfahren
befasste Amtsrichterin erfolgreich wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Der
nunmehr mit dem Verfahren befasste Richter setzte die Begutachtung nicht fort. Er hat
die Eltern und das Kind persönlich angehört und sodann mit Beschluss vom 28. Juni 2006
die elterliche Sorge der Mutter übertragen.
Diese Entscheidung ist damit begründet worden, dass die Eltern nicht in der Lage seien
ohne Streit einen einzelnen Punkt konkret zu verhandeln. Vielmehr habe das Gericht die
Parteien bitten müssen, die Kommunikation während der Anhörung nur über das Gericht
zu führen. Es habe Streit um die Urlaubsregelung gegeben und um den Geburtstag des
Vaters, insoweit seien Anträge auf Erlass einstweiliger Anordnungen gestellt worden.
Auch das Kind habe die mangelnde Einigungsfähigkeit gegenüber dem Gericht in beiden
Anhörungen bestätigt. Die elterliche Sorge sei der Mutter deshalb zu übertragen, weil
zwar beide Eltern grundsätzlich gleich erziehungsgeeignet seien, dass Kind aber erklärt
habe, es lehne die jetzige Situation ab und könne sich nur vorstellen länger bei der
Mutter zu leben und ab und zu den Vater zu besuchen. Eine umgekehrte Regelung habe
das Kind abgelehnt.
Unmittelbar nach dem Anhörungstermin hat der Vater mit N. den Amtsrichter nochmals
aufgesucht und ihm mitgeteilt, N. habe ihm erklärt, dass sie auf Veranlassung der
Mutter gesagt habe, sie wolle lieber bei der Mutter wohnen. In einem anschließenden
Gespräch mit dem Amtsrichter bestätigte N. dies und reagierte auf Nachfragen des
Richters, was sie denn nun wirklich wolle, ausweislich des darüber aufgenommenen
Vermerks unentschlossen und schließlich verzagt.
Gegen diesen ihm am 12. Juli 2005 zugestellten Beschluss hat der Vater am 27. Juli 2005
Beschwerde eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der
Begründungsfrist rechtzeitig am 11. Oktober 2005 begründet und hierzu ausgeführt, es
sei der Wille des Kindes, dass es bei der bisherigen Regelung bleibe. Diese Regelung
werde bereits dem Bedürfnis gerecht, dass das Kind sich mehr bei der Mutter aufhalten
wolle. Im Übrigen habe die Mutter das Kind vor der Anhörung dahingehend beeinflusst,
dass das Kind sich zu ihren Gunsten habe äußern sollen. Das Amtsgericht habe nicht
ohne ein psychologisches Gutachten zum tatsächlichen Willen des Kindes und zur
Klärung der Bindungstoleranz der Mutter entscheiden dürfen. Im Übrigen hätten sich die
Parteien bislang über alle wichtigen Angelegenheit des Kindes verständigen können. Die
Unstimmigkeiten in der Vergangenheit seien Vorfälle zu Beginn der Regelung im Jahr
2003 gewesen. Sie würden nunmehr per SMS oder E-Mail miteinander kommunizieren.
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Der Vater beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.
Die Mutter beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie trägt vor, dass es weiterhin Streitigkeiten und Auseinandersetzungen zwischen den
Parteien gebe, so habe sie in den Sommerferien ihren Urlaubsbeginn um einen Tag
verschieben und kurzfristig neue Flüge buchen müssen, weil der Vater ihr das Kind nicht
am 16. Juli 2005, sondern erst am 17. Juli 2005 übergeben habe. Sie seien sich zudem
nicht darüber einig, wo das Kind leben solle, wie der Umgang gestaltet werde und
Schulbesuch und Betreuungssituationen zu meistern seien.
Der Senat hat gemäß § 50 FGG für das Kind eine Verfahrenspflegerin bestellt. Diese hat
keinen eigenen Antrag gestellt und in ihrem Bericht darauf hingewiesen, dass N. es bei
der gegenwärtigen Situation belassen möchte. Für sie sei das rechtliche Konstrukt ohne
Belang.
Der Senat hat die Parteien und das Kind angehört sowie das Jugendamt beteiligt.
In der Anhörung haben die Parteien erklärt, dass zwischen ihnen der Aufenthalt des
Kindes nicht streitig sei.
II. Die gemäß § 621e ZPO zulässige Beschwerde des Vaters hat Erfolg. Leben die
gemeinsam sorgeberechtigten Eltern - wie hier - nicht nur vorübergehend getrennt, ist
gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB einem Elternteil auf seinen Antrag die elterliche Sorge
allein zu übertragen, wenn dies dem Wohl des Kindes am besten entspricht. Diese
Regelung bedeutet nicht, dass der Fortbestand der gemeinsamen Sorge einen Vorrang
vor der Alleinsorge hat. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung, dass die
gemeinsame Sorge im Zweifel die beste Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung
ist. Die Übertragung der Alleinsorge kommt aber nur dann in Betracht, wenn konkrete
Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass die Beibehaltung der gemeinsamen Sorge
insbesondere wegen fortdauernder Streitigkeiten der Eltern über die Belange des Kindes
zu Belastungen führen, die nicht mit dem Kindeswohl vereinbar sind (vgl. BGH FamRZ
1999, 1646, 1647; 2005, 1167). Nach den Ermittlungen des Senats und dem Ergebnis
der Anhörung der Parteien einschließlich der Verfahrenspflegerin und des Kindes kann
nicht festgestellt werden, dass die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter
derzeit dem Kindeswohl am besten entspricht.
Die Eltern sind sich über den Aufenthalt des Kindes einig. Sie haben dies ausdrücklich in
der mündlichen Anhörung vor dem Senat erklärt. Auch wenn die Mutter wohl weiterhin
der Überzeugung ist, dass es für das Kind besser sei, wenn es seinen permanenten
Aufenthalt bei ihr habe, wird das gegenwärtig praktizierte Modell des wechselseitigen
Aufenthalts des Kindes beim Vater und bei der Mutter von ihr letztlich nicht in Frage
gestellt. Dies wird schon daran deutlich, dass die Mutter nach der Entscheidung des
Amtsgerichts nicht von der bisherigen Handhabung abgewichen ist und das Kind
weiterhin 10 Tage im Monat beim Vater war. Auch der Bericht der Verfahrenspflegerin,
wonach eine Veränderung dieses Modells gegenwärtig N. nur schaden würde, hat dazu
geführt, dass die Mutter das Wechselmodell zurzeit nicht in Frage stellt. Die
Verfahrenspflegerin, die N. bei beiden Elternteilen erlebt hat, hat mitgeteilt, dass N. die
Beibehaltung der gegenwärtigen Regelung möchte. N. fühle sich bei beiden Eltern wohl
und sie könne auch bei dem jeweiligen Elternteil unbefangen über den anderen
sprechen. Auch die Anhörung vor dem Senat ergab, dass N. sich nicht dahingehend
äußerte, dass sie eine Änderung wünsche. Sie vermochte zudem auch Vorteile eines
derartigen Modells für sich aufzeigen. So hat sie weiterhin Kontakt zu ihren
Kindergartenfreunden, die in der Umgebung der ehemals gemeinsamen Wohnung, in
der der Vater geblieben ist, wohnen und die sie zu ihren beim Vater gefeierten
Geburtstagen einlädt. N. gefiel es auch offensichtlich zweimal Geburtstag feiern zu
können, wie sie auch die Ferienregelung in Ordnung fand. Zudem ist zu berücksichtigen,
dass N. diesen wechselnden Aufenthalt nunmehr seit ihrem 4. Lebensjahr kennt und für
sie dies offensichtlich ein Stück Normalität geworden ist. Ob letztendlich dieses Modell
des wechselnden Aufenthalts für N. optimal ist und ihren Bedürfnissen am besten
gerecht wird, kann der Senat nicht beurteilen. Nach seiner Überzeugung kann dies aber
gegenwärtig dahingestellt bleiben, denn wie die Verfahrenspflegerin festgestellt hat, ist
N. beiden Elternteilen sehr verbunden und eine Veränderung würde ihr Sorge und Angst
bereiten. Da Übereinstimmung zwischen den Eltern über den Aufenthalt des Kindes
herrscht, war auch die Einholung eines weiteren kinderpsychologischen Gutachtens
durch den Senat nicht erforderlich.
Die Eltern haben sich ferner über die Aufteilung der Schulferien sowie den Aufenthalt des
Kindes an Feiertagen und Geburtstagen der Eltern und des Kindes verständigt. Die
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Kindes an Feiertagen und Geburtstagen der Eltern und des Kindes verständigt. Die
Gesundheitssorge wird überwiegend von der Mutter wahrgenommen, die als Ärztin
hierzu auch bestens in der Lage ist. Weitere wichtige Belange des Kindes, die einer
grundsätzlichen Regelung und damit einer gemeinsamen Absprache bedürfen, stehen
zurzeit nicht an. Nachdem die Eltern sich auf den Besuch einer privaten Grundschule
verständigt haben, die offensichtlich N. auch sehr gefällt, ist die Frage, welche
weiterführende Schule sie besuchen soll, gegenwärtig nicht akut. Der Vater engagiert
sich zudem sehr in der Schule. Er ist Elternvertreter. Diese Funktion könnte er bei einer
Alleinsorge der Mutter nicht mehr oder nur schwer ausüben.
Der Senat verkennt nicht, dass es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den
Parteien kommt, die zwar für die Eltern im konkreten Einzelfall belastend sein mögen,
die aber die Fähigkeit der Eltern zur Ausübung der gemeinsamen Sorge letztlich nicht in
Abrede stellen können. Dabei haben die zu Beginn der Regelung im Jahr 2003
aufgetretenen Unstimmigkeiten einschließlich einer heftigen Auseinandersetzung der
Parteien zu einer Verstärkung des gegenseitigen Misstrauens geführt. Aber den Parteien
ist es danach wieder gelungen, die erforderlichen Absprachen zu treffen. Die
Auseinandersetzung um die Teilnahme N. an der Geburtstagsfeier des Vaters im Jahre
2004 und um den Übergabetag in den Sommerferien 2005 machen aber deutlich, dass
beide Eltern sich in ihren Handlungen offensichtlich nicht immer am Wohl von N.
orientieren können, sondern die eigenen Befindlichkeiten manchmal im Vordergrund
stehen. Zudem wird die Beziehung der Parteien zueinander durch kleinliches Verhalten,
welches für außenstehenden Dritte kaum nachvollziehbar ist, unnötig belastet. Es ist
nicht verständlich, warum N. z.B. wie offensichtlich jüngst geschehen, nicht für die
Anprobe eines Faschingskostüms in der Woche, wo sie ihren Aufenthalt beim Vater hat,
abends von der Mutter abgeholt werden und dann auch die Nacht bei der Mutter
verbringen kann. Meint der Vater ernsthaft, dass die Beziehung zu seiner Tochter
dadurch in Frage gestellt wird? Es ist für den Senat auffällig, dass der Vater größten Wert
darauf legt, dass die getroffene Aufenthaltsregelung mit einer geradezu
buchhalterischen Genauigkeit eingehalten wird. Der Vater setzt sein sicherlich
verständliches Interesse an einem weitgehenden Kontakt mit N. deren vermeintlichem
Interesse gleich. Ob N. in einem Jahr in den Sommerferien drei und eine halbe Woche bei
der Mutter und dann im nächsten Jahr die exakt genaue Zeit beim Vater verbringt, ist für
das Kind schon aufgrund seines noch kindgemäßen Zeitverständnisses von absolut
untergeordneter Bedeutung. Hier wäre manche großzügigere Handhabung, die den
Bedürfnissen des Alltags im Einzelfall gerecht wird, wünschenswert.
Es scheint auch wenig dem Kindeswohl entsprechend, wenn die Eltern sich nicht über die
Anmeldung in einem Sportverein verständigen können und N. beauftragt wird, ihren
Vater um Zustimmung zu ersuchen. Genauso wenig ist aber nachvollziehbar, warum die
Mutter ihrerseits meint, dass die Stiefmutter des Vaters nun nicht mehr als Großmutter
väterlicherseits angesehen werden könne und deren Geburtstag damit kein
Familiengeburtstag im Sinne der von den Parteien getroffenen Vereinbarung sei. Wenig
sinnvoll erscheint es auch, Absprachen mit dem Vater treffen zu wollen, wenn dieser mit
N. in den Ferien verreist ist. All dies sind Beispiele, wie die Eltern sich gegenseitig
aufgrund ihrer Verletztheit, Enttäuschung und Wut, das Leben schwer machen und nicht
erkennen können, dass die jeweilig eigene Reaktion entsprechende Gegenreaktion
hervorruft. Eine wechselseitige Wertschätzung der Bedeutung für N. und des jeweiligen
Erziehungsbeitrages kann von den Eltern (noch) nicht erbracht werden.
Für N. wäre es wichtig, wenn sich beide Eltern darüber klar werden könnten, welche
Belastung die Streitigkeiten für sie bedeuten. Sie erlebt immer wieder, wie ihre beiden
von ihr geliebten Eltern sich gegenseitig verletzen. Dieses Verhalten schadet N. sehr und
ist ihrem Wohl abträglich. Den Eltern sollte auch bewusst werden, dass sie die
Verantwortung für N. haben und sie dafür sorgen müssen, dass es N. gut geht. Die
Feststellung der Verfahrenspflegerin, dass jede Veränderung des gegenwärtigen
Zustands zur Folge hätte, dass N. sich für die dadurch zwangsläufig geringere Intensität
der Kontakte zu einem Elternteil verantwortlich und letztlich schuldig fühlen würde, zeigt
eine bedenkliche Entwicklung. Auch die Anhörung des Kindes hat den Loyalitätskonflikt
deutlich gemacht. So war N. nicht in der Lage Wünsche zu äußern. Auch angesichts der
für Kinder sicherlich sehr ungewohnten Situation einer Anhörung ist dies ungewöhnlich,
denn den meisten Kindern fällt spontan ein, was sie möchten und seien es auch
vorwiegend materielle Wünsche. Bei N. hatte man aber deutlich den Eindruck, dass sie
sich nicht äußern wollte, um die Gefahr zu vermeiden einen Elternteil dadurch
zurückzusetzen.
Der Senat kann aber nicht feststellen, dass sich an dieser Situation zugunsten des
Kindes etwas durch die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter ändern würde. Die
Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil hat dann zu erfolgen, wenn sich mit
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Übertragung der alleinigen Sorge auf einen Elternteil hat dann zu erfolgen, wenn sich mit
der dann nicht mehr notwendigen Kooperation und Kommunikation der Eltern die
Situation des Kindes spürbar verbessert, weil Auseinandersetzungen der Eltern
vermieden werden und diese erwartete Entwicklung dem Kindeswohl dient (vgl. BGH
a.a.O.). Dies kann aber nur dann eintreten, wenn im Alltag eine Kommunikation und
Kooperation nicht mehr erforderlich ist. Vorliegend steht das praktizierte Wechselmodell
zurzeit aber nicht in Frage. Dies bedeutet, dass die Eltern zwangsläufig miteinander
kommunizieren und kooperieren müssen. So muss beispielsweise jeder Elternteil
darüber informiert werden, was während der Woche, in der sich das Kind nicht bei ihm
aufhält, in der Schule vorgekommen ist, damit die jeweiligen Vorgaben eingehalten
werden können. Dies gilt auch für andere Belange, wie die Gesundheit des Kindes,
Aktivitäten im Sportverein, Einladungen zu Kindergeburtstagen etc. Die Eltern werden
dem vorliegend auch gerecht, weil sie - wenn auch nur auf elektronischem Wege - dies
dem anderen jeweils mitteilen. Die Erwartung der Mutter, dass die Alleinsorge sie von
den (kleinlichen) Auseinandersetzungen mit dem Vater befreien würde, geht daher nach
Auffassung des Senats fehl. Zudem kann die Hoffnung der Mutter, dass sich ihre
persönlich als belastend empfundene Situation entspannt, eine Übertragung der
alleinigen Sorge nicht rechtfertigen, weil allein das Kindeswohl maßgeblich ist. Die
Situation und Lage des Kindes verändert sich aber durch das rechtliche Konstrukt der
Alleinsorge nicht zum Positiven. Vielmehr ist zu befürchten, dass die mit der
Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter einhergehende Aufhebung des
Gleichgewichts der Eltern in der (rechtlichen) Verantwortung für das Kind für das
Kindeswohl vorliegend erhebliche negative Auswirkungen hätte. Sollte der Vater die
gemeinsame Sorge verlieren, dann - davon ist der Senat nicht nur nach der Aktenlage,
sondern auch nach dem Eindruck aus der mündlichen Verhandlung überzeugt, - würde
er für diese von ihm als Niederlage empfundene Situation die Mutter verantwortlich
machen und das Verhältnis der Eltern würde sich deutlich verschlechtern. N. wäre aber
die Leidtragende, weil sie aufgrund des wechselnden Aufenthalts die dann zu
erwartenden (erbitterten) Auseinandersetzungen um alle Belange des Kindes erleben
und wohl kaum aushalten würde, zugleich sich selbst aber auch für diese Entwicklung
verantwortlich fühlen würde. Zwar kann die Reaktion eines Elternteils auf den Entzug der
gemeinsamen Sorge nicht dazuführen, dass es bei der gemeinsamen Ausübung zu
verbleiben hat. Aber wenn wie hier ein gleich gutes Verhältnis des Kindes zu den Eltern
vorhanden ist und durch das erlebte Wechselmodell der Alltag des Kindes von häufigen
Kontakte zu beiden Elternteil geprägt ist, dann ist diese zu befürchtende negative
Entwicklung des Verhältnisses der Eltern zueinander bei einer Aufhebung der
gemeinsamen Sorge sehr wohl in die vorzunehmende Abwägung und Prognose der
zukünftigen Entwicklung des Kindes und damit des Kindeswohls einzubeziehen.
Der Senat kann nur dahingehend an die Eltern appellieren, dass sie sich beide noch
einmal an das Jugendamt oder an eine sonstige geeignete Stelle wenden, um zu lernen,
wie sie miteinander kommunizieren können ohne den anderen zu verletzen oder
entsprechende Reaktionen hervorzurufen. Wenn den Eltern bewusst wird, wie sie durch
ihr jeweiliges Verhalten den Anderen ärgern und wenn sie sich vergegenwärtigen können,
dass sie beide durch die Fixierung auf die unterstellten schlechten Absichten des
Anderen N. Wohl schon lange aus den Augen verloren haben, dann und nur dann wäre
für N. Wohlergehen viel gewonnen. Das rechtliche Konstrukt der Alleinsorge vermag
dagegen im vorliegenden Fall wie dargelegt die bestehenden Probleme im Interesse des
Kindes nicht zu beseitigen. Es hat damit bei der gemeinsamen Ausübung der elterlichen
Sorge durch die Eltern zu verbleiben.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 13a Abs. 1 FGG, 30, 131 Abs. 3 KostO.
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