Urteil des KG Berlin vom 28.08.2008

KG Berlin: eröffnung des verfahrens, ablauf der frist, verfügung, untersuchungshaft, präsidium, vollzug, kaution, betrug, urkundenfälschung, tatverdacht

1
2
Gericht:
KG Berlin 3.
Strafsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 Ws 229/08, 1 AR
1172/08 - 3 Ws
229/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 203 StPO, § 210 Abs 2 StPO,
Art 3 Abs 1 GG
Eröffnungsverfahren: Zulässigkeit einer Untätigkeitsbeschwerde
der Staatsanwaltschaft bei Verschleppung der
Eröffnungsentscheidung
Leitsatz
Analog § 210 Abs.2 StPO ist eine sofortige Beschwerde (Untätigkeitsbeschwerde) der
Staatsanwaltschaft bei Nichtbescheidung des mit Anklageerhebung gestellten Antrags auf
Eröffnung des Hauptverfahrens ausnahmsweise zulässig, wenn die über einen Zeitraum von
zweieinhalb Jahren erfolgte Zurückstellung der Entschließung über die Eröffnung unter keinem
denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist und als willkürlich erscheint.
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft Berlin wird festgestellt, dass die 33.
große Strafkammer des Landgerichts Berlin gehalten ist, unverzüglich in die sachliche
Prüfung einzutreten, ob das Hauptverfahren zu eröffnen ist.
Gründe
Dem Angeschuldigten T. wird in der am 10. Februar 2006 erhobenen Anklage der
Staatsanwaltschaft Berlin vom 24. Januar 2006 vorgeworfen, sich teils allein, teils
gemeinschaftlich mit den übrigen Angeschuldigten handelnd in 43 Fällen des Betruges,
davon in zwei Fällen des Versuchs, sowie in einem weiteren Fall (Fall 39) der
gewerbsmäßigen Urkundenfälschung schuldig gemacht zu haben. In zwei der
Betrugsfälle ist der Angeschuldigte C. angeklagt (Fälle 8 und 22), im Fall 21 der
Angeschuldigte B., in den Fällen 37, 38, 43 und 44 der Angeschuldigte A. und im Fall 25 -
versuchter Betrug - auch der Angeschuldigte A. C.. Über den in der Anklageschrift
gestellten Antrag der Staatsanwaltschaft, das Hauptverfahren zu eröffnen und die
Anklage zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht Berlin - große Strafkammer -
zuzulassen, hat das Landgericht bisher nicht entschieden. Die dagegen gerichtete
Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist zulässig und begründet.
Zwar steht der Staatsanwaltschaft gemäß § 210 Abs. 2 StPO die sofortige Beschwerde
nur für den Fall zu, dass das Gericht die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt oder
abweichend von dem Antrag der Staatsanwaltschaft die Verweisung an ein Gericht
niederer Ordnung ausgesprochen hat. Das bloß zeitlich begrenzte Zuwarten mit der
Entschließung über die Eröffnung des Hauptverfahrens ist grundsätzlich nicht einer
ablehnenden Entscheidung gleichzustellen, denn der entscheidende Grund für deren
Anfechtungsmöglichkeit liegt gerade in ihrer verfahrensabschließenden Wirkung. Daran
fehlt es, wenn es lediglich um den zeitlichen Aufschub der Entscheidung geht. Anderes
gilt nach der Rechtsprechung aber, wenn das Hinausschieben der Entscheidung
zwangsläufig einen endgültigen Verfahrensabschluss nach sich zieht, wie etwa bei dem
drohenden Eintritt der Verjährung als einem endgültigen Verfahrenshindernis. Denn in
einem solchen Fall erscheint die Gleichsetzung von zeitlicher Zurückstellung und
ablehnender Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens mit der Folge der
Anfechtbarkeit geboten, weil der materielle Inhalt und die Wirkung der Unterlassung
dann darin bestehen, dass das Hauptverfahren nicht mehr eröffnet werden kann (vgl.
OLG Dresden NJW 2005, 2791 unter Hinweis auf BGH NJW 1993, 1279; OLG Frankfurt NJW
2002, 453; NStZ 2002, 220; VerfGH Berlin, Beschluss vom 18. Juli 2006 – VerfGH 43/03 -
[juris]; OLG Stuttgart NStZ-RR 2003, 284). Darum handelt es sich vorliegend nicht.
Insbesondere droht keine Verjährung. Tatzeit ist August 2001 bis September 2004 und
die Verjährung ist wirksam unterbrochen worden. Der Bundesgerichtshof hat jedoch in
seiner bereits erwähnten Entscheidung ausgeführt, für den von ihm entschiedenen Fall
könne dahinstehen, ob die Untätigkeitsbeschwerde auch zulässig sei, wenn die
3
4
5
könne dahinstehen, ob die Untätigkeitsbeschwerde auch zulässig sei, wenn die
vorübergehende Zurückstellung der Entschließung über die Eröffnung des
Hauptverfahrens unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu rechtfertigen ist
und als willkürlich erscheint, weil ein derartiger Fall nicht vorliege. In dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 16. November 2004 (NStZ-RR 2005, 92) heißt es, das
Oberlandesgericht habe, indem es auf die grundlose Untätigkeit der
Strafvollstreckungskammer, eine Überprüfungsentscheidung der Sicherungsverwahrung
zum Ablauf der Frist des § 67 e Abs. 2 StGB zu treffen, mit einem Verweis auf die
Unzulässigkeit einer reinen Untätigkeitsbeschwerde reagiert habe, die
Grundrechtsverletzung des Beschwerdeführers vertieft. Es hätte erwägen müssen, dass
ein der endgültigen Ablehnung der Entscheidung gleichstehendes Gewicht auch der
grundlosen Missachtung einer zur verfahrensrechtlichen Absicherung des Grundrechts
aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG vorgesehenen Frist zukommen kann. An diese Entscheidung
anknüpfend hat das OLG Jena (NJW 2006, 3794) Grundrechtsverletzungen als
Ausnahmefall für die Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde angesehen. So verhält es
sich auch bei dem hier vorliegenden Verstoß gegen das in Art. 3 GG verankerte
Willkürverbot.
Willkür liegt vor, wenn die Entscheidung schlechthin unhaltbar und unter keinem
denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich der Schluss aufdrängt, dass sie auf
sachfremden Erwägungen beruht, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt worden
ist, das heißt, dass bei objektiver Würdigung der Gesamtumstände die Annahme
geboten ist, die vom Gericht vertretene Rechtsauffassung sei im Bereich des schlechthin
Abwegigen anzusiedeln (vgl. VerfGH Berlin, Beschlüsse vom 25. April 1994 - VerfGH
34/94 - LVerfGE 2, 16 (18), 11. Januar 1995 - VerfGH 81/94 - LVerfGE 3, 3 (7) und 12.
Dezember 1996 - VerfGH 38/96 - LVerfGE 5/58 (60); ständige Rechtsprechung; BVerfG
87, 273 (278 f.), 89, 1 (13 f.); Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 16 GVG Rdn. 6 m.N.).
Vorliegend ist das Zuwarten der Strafkammer mit der Entscheidung über die Eröffnung
des Verfahrens objektiv willkürlich, die Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft
daher zulässig.
Zum Zeitpunkt der am 10. Februar 2006 erfolgten Anklageerhebung befand sich der
Hauptangeschuldigte T. seit dem 6. Dezember 2005 aufgrund des Haftbefehls des
Amtsgerichts Tiergarten in Berlin vom 13. Oktober 2005 - 349 Gs 3555/05 - wegen der
angeklagten Taten in Untersuchungshaft. Tatzeit ist - wie bereits erwähnt - der Zeitraum
von August 2001 bis September 2004. Die Gesamtschadenssumme ist beträchtlich. Der
Angeschuldigte C. hat sich laut Anklage weithin geständig eingelassen. T. hat die Taten
bestritten. A. und A. C. haben sich nicht zur Sache eingelassen; der Angeschuldigte B:
hat sich zum Teil eingelassen. Der damalige Strafkammervorsitzende hat unverzüglich
die Anklage zustellen lassen und Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Schriftsatz vom 2.
März 2006 hat sich der Verteidiger des Angeklagten T: umfassend zu den gegen T:
erhobenen Vorwürfen geäußert und beantragt, den Haftbefehl aufzuheben, hilfsweise
außer Vollzug zu setzen. Am 8. März 2006 fand dann ein Haftprüfungstermin statt, in
dem die Strafkammer den Angeschuldigten T. vom weiteren Vollzug der
Untersuchungshaft gegen eine Kaution in Höhe von 15.000,-- Euro verschonte. Ferner
gab sie ihm unter anderem auf, sich täglich bei dem für seinen Wohnsitz zuständigen
Polizeiabschnitt zu melden. Der Angeschuldigte T. wurde am 28. März 2006 nach
Hinterlegung einer Kaution in Höhe von 15.000,-- Euro aus der Untersuchungshaft
entlassen. Am 31. März 2006 wurde der Strafkammer eine Anklage der
Staatsanwaltschaft Berlin vom 24. Oktober 2005 - (259 Ds) 61 Js 4734/05 (816/05), unter
anderem gegen T. wegen Betruges in Tateinheit mit Urkundenfälschung (Tatzeit:
Dezember 2001), zur Kenntnis gebracht, verbunden mit der Mitteilung, dass das
Amtsgericht den Hauptverhandlungstermin auf den 3. Mai 2006 anberaumt habe. Durch
Beschluss vom 17. Mai 2006 änderte das Landgericht die Meldeauflage gegen den
Angeschuldigten T. dahingehend ab, dass dieser sich nur noch dreimal wöchentlich auf
dem für seinen Wohnsitz zuständigen Polizeiabschnitt zu melden habe. Auf eine
Sachstandsanfrage der Staatsanwaltschaft vom 7. Juni 2006 („Eröffnungsbeschluss?
Hauptverhandlungstermin?“) erwiderte ein Beisitzer der Strafkammer durch Verfügung
vom 28. Juni 2006 lapidar, über die Eröffnung sei bisher noch nicht entschieden. Durch
Verfügung vom 8. August 2006 bat die Staatsanwaltschaft bei der Strafkammer erneut
um Sachstandsmitteilung unter Hinweis darauf, dass im Haftprüfungstermin vor mehr
als fünf Monaten sowohl die Eröffnung des Hauptverfahrens als auch Nachermittlungen
angekündigt worden seien. Es werde gebeten, dem Verfahren Fortgang zu geben.
Darauf antwortete ein Beisitzer der Strafkammer am 29. August 2006, über
Nachermittlungen und über eine Eröffnung des Hauptverfahrens sei bislang wegen
vordringlicher anderer Sachen noch nicht entschieden worden. Auf eine
Sachstandsanfrage des Amtsgerichts Tiergarten - 259 Ds 816/05 - teilte der Beisitzer
der Strafkammer 33 am 10. Oktober 2006 dem Amtsgericht mit, über die Eröffnung des
6
7
8
9
10
der Strafkammer 33 am 10. Oktober 2006 dem Amtsgericht mit, über die Eröffnung des
Hauptverfahrens sei noch nicht entschieden und ein Hauptverhandlungstermin sei für
den Fall der Eröffnung noch nicht in Aussicht genommen. Am 14. Dezember 2006 legte
die Staatsanwaltschaft Berlin gegen den Haftverschonungsbeschluss der Strafkammer
vom 8. März 2006 Beschwerde ein mit dem Antrag, diesen aufzuheben und den
erneuten Vollzug des Haftbefehls anzuordnen. Zur Begründung bezog sie sich auf einen
Haftbefehl gegen T. vom 24. November 2006 - 353 Gs 6375/06 - in dem Verfahren (528)
61 Js 694/04 (50/06). Am 20. Dezember 2006 verfügte der frühere
Strafkammervorsitzende, der Beschwerde werde nicht abgeholfen. Am 22. Dezember
2006 verband die Strafkammer das Verfahren (528) 61 Js 694/04 (50/06) gegen den
Angeschuldigten T. mit dem vorliegenden Verfahren. Für das dortige Verfahren befand
sich T. seit dem 6. Dezember 2006 in Untersuchungshaft. Der Tatvorwurf der Anklage
lautet entsprechend dem Haftbefehl gewerbsmäßiger Betrug in Tateinheit mit
Urkundenfälschung in neunzehn Fällen. Diesbezüglich ordnete das Landgericht am 22.
Dezember 2006 die Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen die Auflagen aus dem
Haftverschonungsbeschluss in dem Ursprungsverfahren an. Einer dagegen gerichteten
Beschwerde der Staatsanwalt half das Gericht im Dezember 2006 nicht ab. Am 10.
Januar 2007 erklärte die Staatsanwaltschaft die Rücknahme ihres Rechtsmittels.
Durch Beschluss vom 6. Juni 2007 reduzierte das Landgericht die Meldeauflage
betreffend den Angeschuldigten T. auf einmal wöchentlich. Zur Begründung heißt es
unter anderem, eine Förderung des Verfahrens aufgrund der seit Eingang der Sache
durchgehend hohen Belastung der Kammer mit Haft- bzw. mit vordringlichen
Haftverschonungssachen sei bislang nicht möglich gewesen. Eine kurzfristige Besserung
der Situation sei nicht ersichtlich. Die Kammer werde derzeit von Haftsachen entlastet.
Auf erneute Sachstandsanfrage des Amtsgerichts Tiergarten - 259 Ds 816/05 - vom 21.
Mai 2007 teilte ein Beisitzer der Strafkammer am 19. Juni 2007 mit, über die Eröffnung
des Hauptverfahrens sei noch nicht entschieden.
Mit der Strafkammer bekannt gemachter weiterer Anklage vom 11. April 2008 (34 Js
580/07) wird dem Angeschuldigten T. vorgeworfen, gemeinschaftlich mit einem anderen
im April 2004 einen Betrug begangen zu haben.
In dem Verfahren (515) 61 Js 5311/05 (29/07) wird dem dort Angeschuldigten Bi. zur Last
gelegt, zwischen April und August 2004 jeweils gemeinschaftlich handelnd Betrug in
Tateinheit mit Urkundenfälschung in sieben Fällen begangen zu haben. Die Anklage ist
am 15. November 2007 erhoben worden. Am 19. November 2007 hat die Vorsitzende
der 15. großen Strafkammer des Landgerichts unter Übersendung der dortigen Akten
bei der Strafkammer 33 angefragt, ob das Verfahren übernommen werde. Daraufhin hat
deren Strafkammervorsitzende am 26. November 2007 vermerkt, das dortige Verfahren
solle übernommen und zum hiesigen Verfahren verbunden werden. Daraufhin hat die
Vorsitzende der 15. Strafkammer eine Pflichtverteidigerbestellung vorgenommen, die
Zustellung der Anklage verfügt, eine Pflichtverteidigerbestellung aufgehoben, am 11.
Januar 2008 einen anderen Pflichtverteidiger bestellt und die Akten der 33. Strafkammer
durch Verfügung vom 11. Januar 2008 zugeleitet, wo sie am 22. Januar 2008 eingingen.
Durch Verfügung vom 2. Juni 2008 bat die Staatsanwaltschaft um Übersendung eines
Verbindungsbeschlusses. Eine Verbindung ist indes bisher nicht erfolgt.
Ausweislich eines Vermerks der Staatsanwaltschaft vom 8. Januar 2008 hatte sich die
Strafkammer durch die telefonische Mitteilung eines anderen neuen
Ermittlungsverfahrens gegen den Angeschuldigten T., begangen während der
Haftverschonung in vorliegender Sache, das dann im Hinblick auf das vorliegende
Verfahren nach § 154 Abs. 1 StPO eingestellt wurde, nicht beeindruckt gezeigt und der
frühere Strafkammervorsitzende hatte sinngemäß geäußert, ob T. neue Straftaten
begehe, interessiere ihn nicht; er sei für die ordnungsgemäße Verwaltung seiner
Kammer verantwortlich.
Die Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft vom 9. Juli 2008 ist bei der 33.
Strafkammer am 16. Juli 2008 eingegangen. Mit Schriftsatz vom 16. Juli 2008 hat der
Verteidiger des Angeschuldigten T. die Aufhebung der Haftbefehle, hilfsweise u. a. die
völlige oder teilweise Freigabe der Kaution beantragt. Darüber ist - soweit für den Senat
ersichtlich - bisher nicht entschieden. In einem Vermerk des inzwischen aus der
Strafkammer ausgeschiedenen Vorsitzenden Richters vom 18. Juli 2008 heißt es, die
Belastung der Kammer mit vorrangigen Haftsachen habe eine Terminierung bis zu
seinem Ausscheiden nicht zugelassen. Es folgen Ausführungen zur Terminslage der
Kammer. Durch Verfügung vom 23. Juli 2008 hat die jetzige Strafkammervorsitzende
zum Ausdruck gebracht, dass der Beschwerde nicht abgeholfen werde, dabei auf den
genannten Vermerk des früheren Vorsitzenden der Strafkammer verwiesen und
angeführt, die Kammer habe über die Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht
11
angeführt, die Kammer habe über die Eröffnung des Hauptverfahrens noch nicht
entschieden, aber - wie aus der Existenz der Haftbefehle ersichtlich - jedenfalls bezüglich
des Angeschuldigten T. bisher sogar den dringenden Tatverdacht bejaht. Das Anliegen
der Staatsanwaltschaft richte sich inhaltlich nicht auf die formelle
Eröffnungsentscheidung, sondern eine tatsächliche Förderung des Verfahrens,
insbesondere auf eine - nach Eröffnung - vorzunehmende Terminierung und die
Durchführung der Hauptverhandlung. Die Verhandlungsdauer sei „angesichts eines
fehlenden Geständnisses“ auf mindestens zehn Verhandlungstage zu veranschlagen.
Eine Verhandlung der umfangreichen Sache sei bisher nicht in Betracht gekommen, weil
die Strafkammer durchgehend mit der Verhandlung vorrangiger Haftsachen ausgelastet
gewesen sei, was die Terminierung hiesiger Sache nicht zugelassen habe und auch in
absehbarer Zeit nicht zulassen werde. Es werden dann Ausführungen dazu gemacht,
dass bei der Übernahme des Vorsitzes durch die unterzeichnete Richterin Mitte April
2008 acht Haftsachen anhängig gewesen seien. Am 30. April 2008 sei dem Präsidium
des Landgerichts die Überlastung der Strafkammer angezeigt worden, woraufhin diese
die Strafkammer aus dem Haftring der allgemeinen Strafkammern herausgenommen
habe. Inzwischen seien noch vier Haftsachen anhängig, die voraussichtlich bis Mitte
September 2008 abgeschlossen werden könnten. Insgesamt seien bei der Kammer
einundzwanzig Strafsachen anhängig, die keine Haftsachen seien und bisher nicht
hätten verhandelt werden können, von denen fünf Verfahren älter seien als das
vorliegende. Dem Präsidium des Landgerichts sei das Rechtsmittel der
Staatsanwaltschaft in Vorbereitung seiner Sitzung vom 21. Juli 2008 zur Kenntnis
gegeben worden. Das Präsidium habe sich jedoch nicht in der Lage gesehen, die
Strafkammer weiter zu entlasten, diese vielmehr wieder in den Turnusring genommen.
Dies entspricht dem die Beendigung der Überlastung der Strafkammer 33 feststellenden
Präsidialbeschluss vom 21. Juli 2008. In einem Vermerk vom 25. Juli 2008 legt die
Vizepräsidentin des Landgerichts dar, weshalb die Strafkammer 33 nicht weiter habe
entlastet werden können. In der Präsidiumssitzung vom 21. Juli 2008 sei beschlossen
worden, eine neue allgemeine Strafkammer zu eröffnen, die allerdings ebenfalls
Haftsachen auffangen müsse, um dem Beschleunigungsgrundsatz in allen neu
eingehenden Haftsachen ausreichend Rechnung tragen zu können. Durch Verfügung
vom 6. August 2008 hat der Präsident des Landgerichts nunmehr die vorübergehende
Überlastung der Strafkammer 33 festgestellt und den Geschäftsverteilungsplan des
Landgerichts wegen Eilbedürftigkeit dahin geändert, dass die Strafkammer 33 ab dem 7.
August 2008 aus dem Turnusring 1 herausgenommen werde.
Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots
zulässig. Dem Senat ist bekannt, dass die Geschäftslage des Landgerichts äußerst
angespannt ist. Er erinnert daran, dass für den Fall, dass das Präsidium der Überlastung
einer Strafkammer durch Umstrukturierung des Geschäftsverteilungsplans nicht
ausreichend Rechnung tragen kann, es der Landesjustizverwaltung obliegt, die zur
Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs erforderlichen sachlichen und personellen
Mitteln zur Verfügung zu stellen (vgl. OLG Dresden NJW 1005, 2791). Entscheidend indes
ist Folgendes: Wie der Vermerk des früheren Vorsitzenden der Strafkammer vom 18. Juli
2008 und der Vermerk der jetzigen Strafkammervorsitzenden vom 23. Juli 2008 erhellen,
ist über die Eröffnung des Hauptverfahrens bisher nicht entschieden worden, weil die
Strafkammer keine Möglichkeit gesehen hat, für den Fall der Eröffnung des
Hauptverfahrens alsbald mit der Hauptverhandlung zu beginnen. Dieser Umstand
entband sie jedoch nicht davon, das Verfahren so weit wie möglich zu fördern. In
Haftsachen gilt der besondere Beschleunigungsgrundsatz auch für den Fall, dass
Haftbefehle außer Vollzug gesetzt worden sind (vgl. KG, Beschluss vom 18. August 2003
- 3 Ws 370/03 - m.N.; ständ. Rechtspr. des Kammergerichts). Der Angeschuldigte T.
befand sich seit dem 6. Dezember 2005 in Untersuchungshaft in vorliegender Sache. Im
Haftprüfungstermin vom 8. März 2006 ist er gegen eine Kaution in nicht unerheblicher
Höhe von der Untersuchungshaft verschont und es ist eine ihn stark belastende
Meldeauflage (täglich) angeordnet worden. Die Herabsetzung der Meldeauflage auf
dreimal wöchentlichen vom 17. Mai 2006 belastete ihn nur unwesentlich schwächer und
erst seit dem 6. Juni 2007 muss er sich nur einmal wöchentlich bei der Polizei melden. In
dem zu der hiesigen Sache verbundenen Verfahren (528) 61 Js 694/04 (50/06) ist er am
22. Dezember 2006 haftverschont worden. Dem besonderen Gebot der Beschleunigung
der Sache ist die Strafkammer nicht nachgekommen. Zudem hat sie nicht ausreichend
dem Umstand Rechnung getragen, dass vor allem auch die Angeschuldigten C., B., A.
und A. C. sowie die Staatsanwaltschaft ein Interesse daran haben, endlich zu erfahren,
ob das Gericht die Auffassung der Staatsanwaltschaft teilt, dass das Hauptverfahren zu
eröffnen sei, bzw., wie es sich sonst zu den Anklagevorwürfen verhält. Die Strafkammer
verkennt die Strafprozessordnung grundlegend, indem sie über die Eröffnung bisher
nicht entschieden hat, weil nach Eröffnung derselben nicht alsbald terminiert werden
könnte. Die Entscheidung über die Eröffnung geht nach dem Gesetz einer etwaigen
Terminierung vor. Durch die Entscheidung nach §§ 203 ff. StPO kann sich die Situation
12
13
14
15
Terminierung vor. Durch die Entscheidung nach §§ 203 ff. StPO kann sich die Situation
zudem dergestalt ändern, dass gegen alle oder jedenfalls einzelne Angeschuldigte das
Hauptverfahren entweder überhaupt nicht oder nur zum Teil oder abweichend von den
Anklageschriften eröffnet wird, mit der Folge, dass möglicherweise geständige oder
teilgeständige Einlassungen erfolgen. Jedenfalls geht es nicht an, dass die Entscheidung
über die Eröffnung des Hauptverfahrens durch die Strafkammer weiter bewusst
verschleppt wird. Daran ändert der Umstand nichts, dass das Landgericht gegen T. in
dem Ursprungsverfahren und auch in dem verbundenen Verfahren den dringenden
Tatverdacht zum Teil mehrfach bejaht hat. Vielmehr zeigt dies, dass sich die Kammer
mit der Sache inhaltlich im wesentlichen befasst hat, sonst hätte sie den dringenden
Tatverdacht gegen diesen Hauptangeschuldigten bis heute nicht bejahen können.
Entscheidend ist vor allem, dass die Strafkammer sich gar nicht darauf beruft, infolge
ihrer starken Belastung bisher zeitlich nicht in der Lage gewesen zu sein, über die
Eröffnung des Hauptverfahrens zu entscheiden, sondern lediglich darauf, für den Fall
einer Eröffnung nicht imstande gewesen zu sein, alsbald zu verhandeln. Dieses
Verhalten ist schlechthin unhaltbar, entfernt sich in krasser Weise von der
Strafprozessordnung und ist im Bereich des Abwegigen anzusiedeln. Die Gerichte haben
Strafverfahren soweit zu fördern, wie es ihnen möglich ist.
Der Senat fügt hinzu, dass er auch nach Durchsicht der Akten keinen Grund sieht,
weshalb nach mehr als zweieinhalb Jahren noch nicht über die Eröffnung des
Hauptverfahrens - um die es hier allein geht - entschieden worden ist. Auch
Neuermittlungen sind bisher nicht veranlasst.
Nach alledem ist die Untätigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 210 Abs. 2 StPO
analog) auch begründet.
Eine Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens durch den Senat (§ 309 Abs.
2 StPO) scheidet vorliegend aus (vgl. OLG Frankfurt NJW 2002, 453).
Die Kosten des erfolgreichen Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft gehören zu den
Verfahrenskosten, die die Angeschuldigten für den Fall ihrer Verurteilung nach § 465
Abs. 1 StPO zu tragen hätten; eine Entlastung von ihren notwendigen Auslagen findet
nicht statt (vgl. Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl., § 473 Rdn. 15).
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum