Urteil des KG Berlin vom 25.11.2008

KG Berlin: wiedereinsetzung in den vorigen stand, protokollierung, behandlung, missbrauch, rechtspflege, link, sammlung, quelle, kontrolle, begriff

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Gericht:
KG Berlin 11.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
11 W 1/09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Norm:
§ 11 Abs 2 RPflG
Rechtspfleger: Rechtsbehelf gegen die Weigerung zur
Protokollierung von Anträgen oder Erklärungen
Leitsatz
Anfechtbarkeit der Weigerung des Rechtspflegers, Anträge und Erklärungen aufzunehmen (§
11 Abs. 2 RPflG).
Tenor
Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts
Berlin vom 25. November 2008 – 4a O 675/05 – aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Behandlung und Entscheidung an das Landgericht
Berlin zurückverwiesen.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
I.
Der Antragsteller beantragte Ende 2007 die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine
beabsichtigte Schadensersatzklage. Über dieses Gesuch ist noch nicht endgültig
entschieden. Versuche des Antragstellers, zur Aufnahme seiner prozessualen
Erklärungen und Anträge in diesem Verfahren die Rechtsantragsstelle des Landgerichts
in Anspruch zu nehmen, scheiterten am 24. September sowie 10. und 16. Oktober 2008.
Die jeweils zuständigen Rechtspfleger weigerten sich, Erklärungen des Antragstellers
aufzunehmen. Dieser beantragte daraufhin, den Dienst habenden Rechtspfleger in der
Rechtsantragsstelle zu verpflichten, seine Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle
aufzunehmen bzw. die Verwaltung des Landgerichts Berlin zu verpflichten, den
Rechtspfleger entsprechend anzuweisen.
Mit Beschluss vom 25. November 2008 – 4a O 675/05 – hat das Landgericht diese
Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Gegen die Weigerung des Rechtspflegers sei nur
die Dienstaufsichtsbeschwerde gegeben.
Gegen diesen ihm am 8. Dezember 2008 zugestellten Beschluss hat der Antragsteller
mit Schreiben vom 14. Dezember 2008, zugegangen am 18. Dezember 2008,
Beschwerde eingelegt. Er meint, die Weigerung sei gemäß § 11 RPflG anfechtbar. Wegen
der besonderen Schwere der Rechtsmaterie müsse eine Protokollierung möglich sein.
Das Landgericht hat der Beschwerde aus den Gründen des Beschlusses vom 25.
November 2008 nicht abgeholfen und die Sache vorgelegt.
II.
1. Die Beschwerde ist gemäß §§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 ZPO zulässig und begründet. Die
Entscheidung leidet unter einem wesentlichen Verfahrensmangel.
a) Der angefochtene Beschluss ist verfahrensfehlerhaft ergangen. Über die Anträge des
Antragstellers hätte im Verfahren nach § 11 Abs. 2 RPflG entschieden werden müssen.
Danach ist zunächst der Rechtspfleger zur Entscheidung über die Erinnerung berufen (§
11 Abs. 2 S. 2 RPflG). Erinnerungen, denen er nicht abhilft, legt er dem Richter zur
Entscheidung vor (§ 11 Abs. 2 S. 3 RPflG). An einer solchen Nichtabhilfeentscheidung
fehlt es hier.
aa) Gegen die Weigerung des Rechtspflegers, Anträge oder Erklärungen nach § 24 RPflG
aufzunehmen ist die befristete Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 RPflG statthaft (vgl.
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aufzunehmen ist die befristete Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 1 RPflG statthaft (vgl.
, in: Rechtspflegergesetz, 6. Aufl. 2002, § 24 Rdn. 16 m.w.N.; , in:
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 129a Rdn. 20; ,
in: Thomas/Putzo, ZPO, 29. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 1; , in: Saenger, ZPO, 2.
Aufl. 2007, § 129a Rdn. 2; , ZPO, 8. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 2; , in:
Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 6; , in: Stein/Jonas, ZPO,
22. Aufl. 2005, § 129a Rdn. 15; offen gelassen von KG v. 26. Januar 1995 – 1 VA 14/94,
NJW-RR 1995, 637). Der von der Vorinstanz sowie Teilen der Literatur (vgl. , in:
Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 129a Rdn. 4; Greger; in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, §
129a Rdn. 2; , in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 129a Rdn. 15)
vertretenen Gegenauffassung, im Falle einer Weigerung sei mangels „Entscheidung“
lediglich die Dienstaufsichtsbeschwerde und nicht die Erinnerung gegeben, vermag der
Senat nicht zu folgen.
(1) Bei der Weigerung des Rechtspflegers, Erklärungen zu Protokoll der Geschäftsstelle
aufzunehmen, handelt es sich um eine gemäß § 11 Abs. 2 RPflG anfechtbare
Entscheidung. Im Falle einer Verweigerung der Aufnahme von Erklärungen zu Protokoll
der Geschäftsstelle ist es – ausgehend vom Grundsatz eines fairen Verfahrens –
geboten, dem Betroffenen die Wahrnehmung der ihm kraft Gesetzes zustehenden
Verfahrensrechte durch eine gerichtliche Überprüfungsmöglichkeit zu sichern und diesen
nicht auf die (sekundär bestehende) Gewährung rechtlichen Gehörs bzw.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand durch das erkennende Gericht zu verweisen.
Der Begriff der „Entscheidung“ in § 11 Abs. 2 RPflG ist im Hinblick auf die
verfassungsrechtlichen Vorgaben in § 19 Abs. 4 GG weit auszulegen. Die
Rechtsschutzgarantie des § 19 Abs. 4 GG macht es notwendig, die Weigerung des
Rechtspflegers durch die Gerichte überprüfen zu lassen. Ist ein Rechtsmittel nach den
allgemeinen verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht gemäß § 11 Abs. 1 RPflG zulässig,
steht dem Beschwerten die Möglichkeit der Erinnerung nach § 11 Abs. 2 RPflG zur
Verfügung, über die nach Maßgabe der Sätze 3 und 4 dieser Vorschrift das Gericht des
Rechtspflegers entscheidet, wenn dieser ihr nicht abhilft (vgl. BVerfG v. 8. Januar 2001 –
1 BvR 2170/00, NJW-RR 2001, 1077 Rdn. 4 m.w.N.). Dieser Handhabung trägt Art. 19 Abs.
4 GG Rechnung und berücksichtigt, dass der Gesetzgeber (vgl. BTDrucks 13/10244, S. 7)
bei Änderung des Rechtspflegergesetzes durch das Gesetz vom 6. August 1998 (BGBl. I
S. 2030) den Rechtsbehelf der Erinnerung für die Fälle, in denen Entscheidungen des
Rechtspflegers nach den allgemeinen Regeln des Verfahrensrechts nicht anfechtbar
sind, gerade aus verfassungsrechtlichen Gründen beibehalten hat (vgl. BVerfG a.a.O.).
(2) Einer gerichtlichen Überprüfung steht nicht entgegen, dass der Rechtspfleger gemäß
§ 24 RPflG Aufgaben der Geschäftsstelle und nicht solche des Richters wahrnimmt. Auch
die Tätigkeit des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle unterliegt einer gerichtlichen
Kontrolle. Gemäß § 573 Abs. 1 S. 1 ZPO ist gegen Entscheidungen des Urkundsbeamten
der Geschäftsstelle die Erinnerung möglich. Unerheblich ist, dass nach § 24 Abs. 3 RPflG
die Vorlage an den Richter (§ 5 RPflG) ausgeschlossen ist. § 5 RPflG regelt lediglich die
Möglichkeit, auf den Rechtspfleger übertragene Aufgaben unter bestimmten
Voraussetzungen dem Richter vorzulegen, enthält aber keine Bestimmung für die Frage
des Rechtsschutzes.
b) Da der angefochtene Beschluss keine Gründe der Rechtspfleger, die begehrten
Protokollierungen abzulehnen, nennt, war der Senat an einer eigenen Entscheidung
gehindert. Eine rechtliche Überprüfung des Begehrens des Antragstellers setzt voraus,
dass konkret dargetan wird, aus welchen Gründen die Protokollierung versagt worden ist.
Daran fehlt es.
Vorsorglich weist der Senat darauf hin, dass eine Protokollierung überhaupt nur in engen
Ausnahmefällen abgelehnt werden kann und die Wertung unverständlich gebliebener
oder querulatorischer Erklärungen grundsätzlich dem Prozessgericht zu überlassen ist
(vgl. a.a.O. § 129a Rdn. 6). Eine Ablehnung wegen einer etwaigen (trotz
Hilfeleistung des Urkundsbeamten nicht behebbaren) Unverständlichkeit, Verworrenheit,
Fehlen jeden vernünftigen Anlasses (Querulanten) oder übermäßigen Umfangs der
Erklärung kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Das ist dann der Fall, wenn in der
Inanspruchnahme der Protokollierung ein Missbrauch der Rechtspflege liegt (vgl.
a.a.O. § 129a Rdn. 13).
2. Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben und die Sache gemäß § 572 Abs. 3
ZPO zur erneuten Behandlung und Entscheidung an das Landgericht zurückzuverweisen,
weil weitere Ermittlungen nötig sind (vgl. zur Möglichkeit der Zurückverweisung
, in: Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 67. Aufl. 2009, § 572 Rdn.
14; , in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdn. 28). Zudem kann
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14; , in: Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2007, § 572 Rdn. 28). Zudem kann
auch, wenn – wie hier – das Erstgericht eine Beschwerde zu Unrecht als unzulässig
verworfen hat, entsprechend § 538 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur anderweitigen Entscheidung
zurückverwiesen werden (vgl. , in: Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 572 Rdn. 31).
III.
Die Kostentscheidung beruht auf § 21 Abs. 1 S. 1 GKG.
IV.
Die Rechtsbeschwerde ist nicht gemäß § 574 Abs. 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache
hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die
Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Rechtsbeschwerdegerichts (§ 574 Abs. 3 u. 2 ZPO).
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