Urteil des KG Berlin vom 12.10.2007

KG Berlin: ausschluss, rechtsverletzung, subunternehmer, unternehmen, wiederholung, anwendbares recht, vergabeverfahren, aufschiebende wirkung, unterlassen, bekanntmachung

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Gericht:
KG Berlin
Vergabesenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 Verg 18/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 97 Abs 2 GWB, § 98 Abs 2
GWB, § 107 Abs 2 GWB, § 107
Abs 3 GWB, § 110 Abs 1 GWB
Vergabenachprüfungsverfahren: Unterlassen eines Antrags auf
vorläufigen Rechtsschutz; Zulässigkeit des eigenen Angebots
des Nachunternehmers eines Bieters; Zulässigkeit des
vorgesehenen Einsatzes desselben Nachunternehmers durch
verschiedene Bieter; Erklärungspflichten der Parteien;
Anwendung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der
Transparenz
Tenor
Die Entscheidung der Vergabekammer des Landes Berlin vom 12.10.2007 (VK-B2-29/07)
wird aufgehoben.
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung des Senats und unter Einbeziehung des Angebots der Antragstellerin
ab dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen.
Im Übrigen werden der Nachprüfungsantrag und die sofortige Beschwerde der
Antragstellerin zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten
der Beigeladenen zu 2.) haben die Antragstellerin zu 3/4 und die Antragsgegnerin zu 1/4
zu tragen.
Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. haben die Antragstellerin und die
Antragsgegnerin zu je 1/2 zu tragen.
Gründe
A.
Die Antragsgegnerin beabsichtigt im Rahmen der Fernwärmenetzerweiterung u.a. die
Unterquerung der Havel (Los. Nr. 3). Sie leitete ein Vergabeverfahren durch Aufruf zum
Wettbewerb um Teilnahme am Verhandlungsverfahren durch Bekanntmachung im
Supplement des Amtsblatts der Europäischen Gemeinschaften vom 27.10.2006
(zunächst für die Lose 1 und 2) ein. Das Los Nr. 3 war Gegenstand der ergänzenden
Bekanntmachung vom 4.11.2006 (s. Vergabeakte S. 10004). Wegen des weiteren Gangs
des Vergabeverfahrens wird auf die Darstellung im Beschluss der Vergabekammer vom
12.10.2007 Bezug genommen.
Auf das Schreiben der Antragsgegnerin vom 31.07.2007, dass der Zuschlag an die
Bietergemeinschaft W.(Beigeladene zu 1.) erteilt werden solle, da diese das wirtschaftlich
günstigste Angebot abgegeben habe (Verfahrensakte Bl. 14), unternahm die
Antragstellerin zunächst nichts, während die weitere Bietergemeinschaft G. (Beigeladene
zu 2.) am 09.08.2007 ein Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer des Landes
Berlin einleitete. Sie rügte eine fehlerhafte Angebotswertung zu dem Kriterium
“Lieferfähigkeit (Termin)” und eine fehlende Eignung der erstplatzierten
Bietergemeinschaft W.. Insbesondere machte sie geltend, dass die Bieterin W.die
geforderte Zertifizierung für Fernwärme-Rohrleitungsarbeiten FW 601 nicht vorgelegt
haben könne. Die Vorlage durch einen Subunternehmer könne nach dem Inhalt der
Bekanntmachung und der Bedeutung dieser Arbeiten nicht genügen. Jedenfalls müsse
der Bieter nach § 5 Nr. 7 VOB/A-SKR (neu) zwingend den Nachweis der Verfügbarkeit des
fachkundigen Nachunternehmers erbringen.
Einen Antrag der hiesigen Antragstellerin vom 12.09.2007 auf Beiladung in dem
Verfahren der Bietergemeinschaft G. (VK-B2-25/07) hat die Vergabekammer mit
Beschluss vom 25.09.2007 zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete sofortige
Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 08.10.2007 (2 VERG 14/07) als unzulässig
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Beschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 08.10.2007 (2 VERG 14/07) als unzulässig
verworfen. Mit Beschluss vom 25.09.2007 hat die Vergabekammer (VK-B2-25/07) dem
Nachprüfungsantrag der Bietergemeinschaft G. insoweit stattgegeben, als sie die
Antragsgegnerin verpflichtet hat, das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der
Rechtsauffassung der Vergabekammer und unter Einbeziehung der Antragstellerin G. ab
dem Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu wiederholen. Den Antrag auf
Aufhebung des Vergabeverfahrens hat die Vergabekammer zurückgewiesen. Zur
Begründung hat sie ausgeführt, dass die Antragsgegnerin bei der Wertung des (zweiten)
Auswahlkriteriums “Lieferfähigkeit (Termin)” gegen das Gleichbehandlungsgebot und
das Transparenzgebot verstoßen habe, da sie für dieses Kriterium allen Bietern 100 %
zugebilligt und durch eine nivellierende Betrachtung der Angebote eine nachvollziehbare
Wertung unterlassen habe. Einer Aufhebung der Ausschreibung bedürfe es jedoch nicht,
da das Verfahren bis zum Abschluss der Eignungsprüfung der Bewerber mangelfrei
durchgeführt worden sei und eine Rechtsverletzung durch Wiederholung des Verfahrens
ab Angebotsabgabe vermieden werden könne. Die Anordnung nur einer Neuwertung
genüge hingegen nicht zur Herstellung eines rechtmäßigen Verfahrens, da die
Antragsgegnerin bei Angebotsaufforderung fehlerhaft Nebenangebote zugelassen habe.
Denn diese seien in der Vergabebekanntmachung ausgeschlossen worden, zudem fehle
es an der Formulierung von Mindestanforderungen für Nebenangebote.
Dieser Beschluss der Vergabekammer ist mangels Beschwerde der Beteiligten
bestandskräftig. Die sofortige Beschwerde der hiesigen Antragstellerin, mit der sie trotz
fehlender Beiladung im Verfahren VK-B2-25/07 eine Beschwerdebefugnis nach § 116
GWB gegen die Sachentscheidung für sich in Anspruch genommen hat, ist nach Hinweis
des Senats auf ihre Unzulässigkeit zurückgenommen worden (2 VERG 16/07).
Die hiesige Antragstellerin hat am 10.09.2007 den vorliegenden (eigenen)
Nachprüfungsantrag, gerichtet auf Ausschluss des Angebots der Bietergemeinschaft
W.und erneute Entscheidung über die Zuschlagserteilung, gestellt und diesen allein
damit begründet, dass sie am 31.08.2007 erfahren habe, dass der Zuschlag an W.noch
nicht erteilt sei und deshalb den “Verdacht” habe, dass diese Bieterin möglicherweise
nicht alle geforderten Eignungsnachweise vorgelegt habe. Hr. G. vom Unternehmen B.
N.V. habe daher bei der Antragsgegnerin angerufen und geäußert, dass ein Zuschlag
bei Fehlen aller Nachweise rechtswidrig sei.
Mit Schriftsatz vom 18.09.2007 hat die Antragstellerin sodann ihren Vortrag ergänzt und
erweitert. Die telefonische Rüge sei am 31.08.2007 erfolgt. Hr. G. habe in diesem
Telefonat die Vermutung geäußert, dass die Bietergemeinschaft W.keine Zertifizierung
nach FW 601 oder gleichwertige nationale Zertifikate vorgelegt habe. Hr. G. habe
ebenfalls am 31.08.2007 telefonisch von dem laufenden Nachprüfungsverfahren
erfahren. - Am 11.09.2007 habe Hr. G. von G. (Hr. B. sen.) erfahren, dass (auch) diese
Antragstellerin das Fehlen der Zertifizierung FW 601 gerügt habe. Daher sei eine
nochmalige Rüge der Antragstellerin als unnötige Förmelei ohnehin entbehrlich gewesen.
Ferner hat die Antragstellerin im Schriftsatz vom 18.09.2007 folgende neue Rügen
erhoben:
Die Subunternehmerin N. GmbH der Bietergemeinschaft W.habe sich “noch an anderen
Angeboten als Subunternehmer beteiligt”. Darin liege liege ein Verstoß gegen den
Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 Abs. 1 GWB), da der Geheimwettbewerb nicht gewährleistet
sei. Das Angebot W.müsse daher ausgeschlossen werden.
Etwa eine Woche vor dem “Submissionstermin” habe an der Startbaugrube eine
Besprechung über Machbarkeit und Lage der Baugrube in Ellipsenform unter Beteiligung
des Geschäftsführers der Firma W., R., stattgefunden. Davon habe Hr. G. in einem
Telefonat mit Hr. B. sen. (Fa. L.) am 12.09.2007 erfahren. Darin liege ein Verstoß gegen
den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB), weshalb das Angebot
W.ausgeschlossen werden müsse.
W.habe die geforderten Nachweise über die zur Verfügung stehende technische
Ausrüstung und äquivalente Referenzobjekte mit der Bewerbung im Jahr 2006 nicht
vorgelegt.
Die Bietergemeinschaft W.sei unzuverlässig. Gegen vier Manager der M. B.GmbH seien
wegen folgenden Sachverhalts Strafbefehle ergangen, gegen die kein Einspruch
eingelegt worden sei: Die B.GmbH habe 15 Filialen für I. Deutschland gebaut und dabei 1
% der Auftragssumme an Mitarbeiter von I. als Schmiergeld gezahlt. Die Zahlungen
seien als Begleichung von Scheinrechnungen einer “P. M. ” deklariert worden und
letztlich von I. selbst getragen worden. Der Sachverhalt sei in einem Bericht in “Der
Spiegel”, Heft … /2006, S. …, dargestellt worden (s. Verfahrensakte Bl. 83). Hr. G. habe
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Spiegel”, Heft … /2006, S. …, dargestellt worden (s. Verfahrensakte Bl. 83). Hr. G. habe
am 17.09.2007 “Kenntnis von den Tatsachen erhalten” und am gleichen Tag
telefonische Rüge erhoben. Wegen dieser schweren Verfehlung und mangels
ersichtlicher Selbstreinigung im Hause B.sei die Bietergemeinschaft auszuschließen.
Mit Beschluss vom 12.10.2007 hat die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag als
offensichtlich unzulässig verworfen. Der Antragstellerin fehle bereits die Antragsbefugnis
nach § 107 Abs. 2 GWB, da der Vortrag (auch im Schriftsatz vom 18.09.2007) auf bloßen
Vermutungen und nicht hinreichend belegten Beanstandungen beruhe. In Bezug auf die
vermeintliche Unzuverlässigkeit der B.GmbH seien zwar Tatsachen vorgetragen; jedoch
seien dem vorgelegten Artikel Verurteilungen wegen bestimmter Straftaten,
insbesondere solche des Katalogs nach § 5 Nr. 2 Abs. 1 lit. a)-g) VOB/B-SKR (neu), nicht
zu entnehmen. Es fehle auch an einer ordnungsgemäßen und rechtzeitigen Rüge nach §
107 Abs. 3 GWB. Die Antragstellerin hätte bei der Antragsgegnerin nach Zugang des
Absageschreibens Informationen einholen können, um ihre Zweifel an der Eignung von
W.aufzuklären. Ein Bieter könne sich auf den späten Zeitpunkt der Kenntnisnahme nicht
berufen, wenn er das Vergabeverfahren für abgeschlossen hielt und mehr als sechs
Wochen nach Erhalt des Absageschreibens anfängt zu recherchieren, inwieweit ein
Verstoß vorliegen könne.
Die Antragstellerin hat gegen den ihr am 26.10.2007 zugestellten Beschluss am
29.10.2007 sofortige Beschwerde eingelegt. Zur Begründung trägt sie vor:
An die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB seien keine zu hohen Anforderungen zu
stellen. Auch wenn die Vergabekammer meine, dass die Rüge “ins Blaue” erfolgt sei,
müsse sie durch Einsichtnahme in die Vergabeakte prüfen, ob ein Anfangsverdacht
vorliege. Der Beschluss der Vergabekammer vom 25.09.2007 im Parallelverfahren
bestätige, dass es zu schwerwiegenden Vergaberechtsverstößen gekommen sei.
In Bezug auf den Vortrag zu einer Beteiligung der Nachunternehmerin N. GmbH an
weiteren Angeboten sei die Antragstellerin zu einer Offenlegung ihrer Informationsquelle
nicht verpflichtet.
§ 10 Nr. 3 VOB/A-SKR belege nicht die Zulässigkeit von Ortsterminen vor
Angebotsabgabe, sondern regele nur die Verlängerung der Angebotsfrist, wenn eine
Ortsbesichtigung sich als erforderlich herausstelle und die Frist daher nicht eingehalten
werden könne. Zwecks Gleichbehandlung hätte die Antragsgegnerin die übrigen Bieter
darauf hinweisen müssen, dass auch ihnen die Möglichkeit einer Ortsbesichtigung
zustehe.
Hinsichtlich der Rüge eines fehlenden Nachweises der technischen Ausrüstung sowie
äquivalenter Referenzobjekte durch W.seien die Anforderungen des § 108 Abs. 2 GWB
erfüllt, da die Antragstellerin Indizien und Tatsachen für ihre Annahme genannt habe.
Ein zwingender Ausschlussgrund von W.wegen Unzuverlässigkeit ergebe sich aus § 5 Nr.
2 Abs. 1 lit. e) VOB/A-SKR (neu) (somit: Kenntnis des Auftraggebers von rechtskräftiger
Verurteilung wegen Bestechung).
Von dem Spiegel-Artikel Heft .../2006 habe die Antragstellerin am 15.09.2007 Kenntnis
erlangt, nachdem ihr Prozessbevollmächtigter anlässlich einer Internetrecherche zufällig
auf diesen gestoßen sei. Am 17.09.2007 habe Hr. G. die Antragsgegnerin (Hr. O. )
angerufen und gerügt, dass ein zwingender Ausschlussgrund vorliege.
Die Auffassung der Vergabekammer, dass zulässige Rügen nach § 107 Abs. 3 GWB nicht
vorlägen, sei auch mit der Rechtsprechung des EuGH nicht vereinbar. Danach komme
es auf die Wahrung der Rügeobliegenheit nicht an, wenn ein Verstoß gegen Vergabrecht
feststehe (EuGH, NZBau 2003, 284, 287 Rn 66 -Santex-).
Die Wertung des Angebots von W.im Kriterium “Lieferfähigkeit (Termin)” mit 100 % sei
fehlerhaft gewesen, da darin als Endtermin der 14.09.2008 genannt und der
vorgegebene Termin (31.08.2008) damit überschritten sei. Die Wertung des Angebots
der Antragstellerin und auch der Bietergemeinschaft G. mit 100 % sei hingegen nicht zu
beanstanden. Die Vergabekammer habe daher im Beschluss vom 25.09.2007 im
Parallelverfahren aus dem Wertungsfehler die falschen Schlussfolgerungen gezogen. Der
Verstoß könne bereits dadurch beseitigt werden, dass der Antragsgegnerin aufgegeben
wird, das Kriterium 2 beim Angebot von W.mit 0 % anzusetzen. Konsequenz sei, dass
der Zuschlag der Antragstellerin erteilt werden müsse.
Der Senat hat mit Beschluss vom 14.01.2008 die Zustellung des Nachprüfungsantrags
an die Antragsgegnerin angeordnet, die am 11.02.2008 zu Händen ihres
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an die Antragsgegnerin angeordnet, die am 11.02.2008 zu Händen ihres
Verfahrensbevollmächtigten erfolgt ist, sowie die Bietergemeinschaften W.und G.
beigeladen.
Die Antragstellerin beantragt,
den Beschluss der Vergabekammer des Landes Berlin vom 12.10.2007 -VK-B2-
29/07- aufzuheben sowie
die Antragsgegnerin zu verpflichten, das Angebot der Bietergemeinschaft
W.B.auszuschließen und die Antragsgegnerin für den Fall, dass sie an dem
Beschaffungsvorhaben festhält, zu verpflichten, den Zuschlag an die Antragstellerin zu
erteilen,
hilfsweise, die Entscheidung über die Zuschlagserteilung erneut ohne
Berücksichtigung des Angebots der Bietergemeinschaft W.B.vorzunehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
1. die sofortige Beschwerde zurückzuweisen,
2. der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der
zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragsgegnerin aufzuerlegen.
Die Beigeladene zu 2. beantragt,
1. auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin den Beschluss der
Vergabekammer des Landes Berlin vom 12.10.2007 (VK-B2-29/07) aufzuheben,
2. das Vergabeverfahren in den Stand vor der Aufforderung zur Angebotsabgabe
zurückzuversetzen und im Übrigen den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen,
3. die Kosten des Nachprüfungsverfahrens -einschließlich der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen zu 2.- der Antragstellerin und der Antragsgegnerin jeweils zur
Hälfte aufzuerlegen.
Die Antragsgegnerin trägt vor:
Die sofortige Beschwerde sei unzulässig. Der Antragstellerin fehle das
Rechtsschutzbedürfnis, da sie einen Antrag nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB unterlassen
habe und die Antragsgegnerin daher in naher Zeit den Zuschlag erteilen könne.
Die Antragsgegnerin verteidigt die Vergabekammerentscheidung. Nach deren
Feststellungen habe die Bietergemeinschaft W.alle geforderten Nachweise und
Referenzen vorgelegt. Die N. GmbH sei, soweit ersichtlich, nur bei W.als
Subunternehmer genannt worden, eine Mehrfachbeteiligung wäre jedoch auch
unschädlich. Von einer angeblichen Besprechung an der Startbaugrube sei “nichts
bekannt”.
Dass Strafbefehle gegen Mitarbeiter der B.GmbH ergangen seien, ergebe sich aus dem
vorgelegten Artikel nicht. Ermittlungen jedoch begründeten noch keine Eignungszweifel.
Die neue Bewertung des Kriteriums “Lieferfähigkeit (Termin)” sei von der
Vergabekammer im Beschluss vom 25.09.2007 (VK-B2-25/07) bereits angeordnet
worden. Es fehle daher an einer Beschwer der Antragstellerin.
Die Beigeladene zu 2. macht geltend, dass eine Entscheidung im vorliegenden
Nachprüfungsverfahren der bestandskräftigen und zutreffenden Entscheidung der
Vergabekammer vom 25.09.2007 in VK-B2-25/07 entsprechen müsse und weist ferner
darauf hin, dass nach dem Urteil des EuGH vom 24.01.2008 keine Unterkriterien
angewandt werden dürften, die der Auftraggeber nicht vor Angebotsabgabe zur Kenntnis
gegeben habe.
B.
I. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist zulässig, insbesondere statthaft und
rechtzeitig eingelegt (§§ 116 I 2, 117 I GWB).
Entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin fehlt nicht das Rechtsschutzbedürfnis für eine
Beschwerde. Es folgt bereits daraus, dass eine die Antragstellerin (formell und materiell)
beschwerende Entscheidung ergangen ist, gegen die sie sich wendet. Insbesondere kann
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beschwerende Entscheidung ergangen ist, gegen die sie sich wendet. Insbesondere kann
aus dem Unterlassen eines Antrags nach § 118 Abs. 1 S. 3 GWB nicht entnommen
werden, dass der Antragstellerin an effektivem Rechtsschutz nicht ernsthaft gelegen sei.
Zwar führt das Unterlassen des Antrags dazu, dass (trotz der Nachholung der
Zustellung des Nachprüfungsantrags durch den Senat) das Zuschlagsverbot des § 115
Abs. 1 GWB nicht greift; denn dieses endet mit Ablauf der Beschwerdefrist, und die
aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den den Nachprüfungsantrag
zurückweisenden Beschluss der Vergabekammer endet nach § 118 Abs. 1 S. 2 GWB zwei
Wochen nach Ablauf der Beschwerdefrist, sofern eine Verlängerung nach § 118 Abs. 1 S.
3 GWB nicht angeordnet worden ist (vgl. Storr in: Loewenheim/Meessen/Riesenkampff,
Kartellrecht, Bd. 2, GWB, 2006, § 118 Rn 8; Hunger in: Kulartz/Kus/Portz, Kommentar
zum GWB-Vergaberecht, 2006, § 118 Rn 9, 27). Jedoch besteht keine Obliegenheit zur
Beantragung vorläufigen Rechtsschutzes, zumal die Möglichkeit der
Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 114 Abs. 2 S. 2 GWB auch im Fall eines
wirksamen Zuschlags während des Nachprüfungsverfahrens verblieben wäre.
II. Die sofortige Beschwerde hat nur insoweit Erfolg, als wegen eines Wertungsmangels
im Kriterium “Lieferfähigkeit (Termin)” eine Wiederholung des Verfahrens ab dem
Zeitpunkt der Aufforderung zur Angebotsabgabe anzuordnen ist. Hingegen ist weder ein
Zuschlag an die Antragstellerin anzuordnen, noch ein Ausschluss der
Bietergemeinschaft W.vom weiteren Verfahren.
1) Aus dem Verfahren VK-B2-25/07, an dem die hiesige Antragstellerin nicht beteiligt
war, folgt nichts gegen den Rechtsschutz im vorliegenden Verfahren. Eine irgendwie
geartete Bindungswirkung der ohne Beteiligung der Antragstellerin ergangenen
Entscheidung kommt nicht in Betracht. Auch der Rechtsschutz im Vergabeverfahren
wirkt nur inter partes.
Auch ist das Rechtsschutzbedürfnis hier nicht zweifelhaft, da die Antragstellerin mit dem
Ausschluss von W.und der eigenen Zuschlagserteilung etwas Anderes/Weitergehendes
verlangt, als die Vergabekammer im Parallelverfahren angeordnet hat (nämlich die
Wiederholung des Verfahrens ab Angebotsaufforderung).
2) Das in den Anträgen zunächst zum Ausdruck kommende Begehren nach Ausschluss
von W.und Zuschlag an die Antragstellerin, hilfsweise nach Neuwertung ohne
Berücksichtigung von W., ist bereits deshalb nicht begründet, weil die Antragstellerin
keinen Anspruch nach § 97 Abs. 7 GWB auf Ausschluss von W.hat. Auf die Frage, ob und
inwieweit ein Anspruch auf Zuschlagserteilung an den Antragsteller überhaupt in
Betracht kommt, kommt es daher an dieser Stelle nicht an.
a) fehlende Zertifizierung “FW 601":
In Bezug auf diese Rüge ist der Antrag bereits unzulässig, da die Antragstellerin nur eine
Vermutung äußert und eine Rechtsverletzung nicht i.S.von § 107 Abs. 2 S. 1 GWB
“geltend macht”.
Auch im Vergabenachprüfungsverfahren ist eine auf Geradewohl oder ins Blaue hinein
aufgestellte Behauptung unzulässig und unbeachtlich (BGHZ 169,131 = VergabeR 2007,
59, 65/66). Nach § 108 Abs. 2 GWB ist eine Sachverhaltsdarstellung des Antragstellers
erforderlich. Aus diesen Vorschriften folgt, dass der Bieter nicht mit pauschalen und
unsubstantiierten Behauptungen Nachprüfungsanträge stellen kann in der Erwartung,
die Amtsermittlung werde zum Nachweis eines Verstoßes führen; er hat zumindest
Indizien oder tatsächliche Anhaltspunkte aufzuzeigen, die ihn zu dem Schluss bewogen
haben, die Vergabestelle habe sich rechtswidrig verhalten (OLG München ZfBR 2007,
718, 719; OLGR Dresden 2003, 325, 328; Möllenkamp in: Kulartz/Kus/Portz, a.a.O., § 107
Rn 34; Schweda in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen
Kartellrecht, Bd. 1 (GWB), § 108 Rn 4). Insoweit kann man von dem Erfordernis einer
schlüssigen Behauptung sprechen, da der Tatsachenvortrag des Antragstellers geeignet
sein muss, die Missachtung von vergaberechtlichen Regeln darzutun (vgl. BGH a.a.O., S.
62). Somit kann ein Bieter trotz des Untersuchungsgrundsatzes (§ 110 Abs. 1 GWB) ein
Rechtsschutzverfahren nur zulässig einleiten, wenn er greifbare Anhaltspunkte für eine
Rechtsverletzung hat; der Untersuchungsgrundsatz kommt erst nach zulässiger
Antragstellung zum Tragen (s. OLG München ZfBR 2007, 718, 719). Dass die
Anforderungen an die Antragsbefugnis nach § 107 Abs. 2 GWB zur Gewährung effektiven
Primärrechtsschutzes nicht überspannt werden dürfen (BVerfG NZBau 2004, 564, 565,
für eine weite Auslegung der Merkmale des Interesses am Auftrag und des drohenden
Schadens), ändert nichts daran, dass das Nachprüfungsverfahren auf bloßen Verdacht
hin nicht eingeleitet werden kann.
Danach ist ein Antrag insbesondere unzulässig, wenn der Antragsteller das Vorliegen der
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Danach ist ein Antrag insbesondere unzulässig, wenn der Antragsteller das Vorliegen der
Eignung und Eignungsnachweise eines Mitbieters pauschal und ohne Anhaltspunkte in
Frage stellt (s. OLG München a.a.O.). So liegt es hier.
Denkbar sind zwei Sachverhalte, die einen Grund zum Ausschluss der Bieterin W.wegen
Nichtvorlage der Zertifizierung ergeben könnten. Zum einen, dass W.keinerlei
Zertifizierung vorgelegt haben, zum anderen, dass eine solche für einen
Subunternehmer vorliegt, dies jedoch nicht ausreicht. Das Vorbringen der Antragstellerin
ist bereits deshalb pauschal und unzureichend, da nicht erkennbar wird, von welcher
Möglichkeit sie ausgeht, in welchen konkreten Umständen sie also die Rechtsverletzung
sieht. Sollte sie jegliches Fehlen rügen wollen, wäre dies eine Behauptung ins Blaue, die
durch keine Anhaltspunkte belegt wird; denn der Umstand, dass W.und B.nicht im
Bereich der Fernwärmerohrverlegung tätig sind, lässt eben die Möglichkeit der Vorlage
des Zertifikats eines Subunternehmers unberührt, so dass die Branchenabweichung bei
W.kein Indiz für den fehlenden Nachweis ist.
Dass ein Nachweis für einen Subunternehmer zwar vorliege, aber irrelevant sei, wird
jedoch von der Antragstellerin nicht geltend gemacht.
Die Rüge wäre im Übrigen auch unbegründet. Denn tatsächlich haben W.- sogleich in
ihrer Bewerbung um die Ausschreibungsunterlagen vom 14.11.2006 - erklärt, den
Rohrleitungsbau durch den Subunternehmer N. GmbH ausführen zu lassen, und zugleich
eine Zertifizierung nach FW 601 für diesen beigelegt. Dass dies den Anforderungen an
den Nachweis der Fachkunde des Subunternehmers erfüllte, kann nicht zweifelhaft sein.
Der Subunternehmereinsatz war in der Bekanntmachung nicht ausgeschlossen worden;
unter III.2.1, Ziffer 5. wird dieser ausdrücklich zugelassen (“überwiegende Abwicklung des
Auftrags mit firmeneigenem Personal-Subunterneh-mer dürfen ihrerseits keine
Subvergaben durchführen”). Aus Art oder Bedeutung der Arbeiten kann ein
ungeschriebener Ausschluss nicht gefolgert werden. Vielmehr ist die Subvergabe
grundsätzlich zulässig, was sich aus gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben ergab (s. Art.
54 Abs. 4 RiLi 2004/17/EG vom 31.03.2004 und EuGH VergabeR 2004, 465, 471 Rn 43 -
Siemens AG Österreich-) und nunmehr -nach Ablauf der Umsetzungsfrist zum
31.01.2006- auch in der seit dem 01.11.2006 anwendbaren VOB/A-SKR § 5 Nr. 7 S. 1
und § 7 Nr. 4 seinen ausdrücklichen Niederschlag im deutschen Recht findet. Aber auch
nach dem vor dem 01.11.2006 geltenden nationalen Recht war die Subvergabe zulässig
und konnte sich der Bieter auf die Eignung des Subunternehmers berufen, so dass
dahinstehen kann, ob vorliegend die VOB/A-SKR in der vor oder nach dem 01.11.2006
geltenden Fassung anwendbar ist, und ersterenfalls, ob wegen Ablaufs der
Umsetzungsfrist die Regelung der RiLi 2004/17/EG nicht ohnehin unmittelbar
anzuwenden war. Denn § 4 Nr. 8 VOB/B lässt den Einsatz von Nachunternehmern zu,
und Art und Umfang des Nachunternehmereinsatzes sind nur auf Anforderung
mitzuteilen, s. Rusam in: Heiermann/Riedl/Rusam, Kommentar zur VOB, 10. Aufl., § 25
VOB/A Rn 35; OLG Frankfurt NZBau 2001, 101, 105. Welcher Anteil von Eigenleistung
vom Bieter nach altem Recht erbracht werden musste, damit ein zulässiger
Nachunternehmereinsatz vorlag und nicht eine unzulässige Generalübernehmerleistung
(vgl. OLG Frankfurt a.a.O., S. 104: 1/3 der Bauleistung; ebenso Rusam a.a.O., Einf. § 8
VOB/A Rn 24), kann dahinstehen. Denn evident ist, dass die Rohrverlegung im Verhältnis
zur Tunnelerstellung den geringeren Teil ausmacht (nach W.nur 20 %, s. Erklärung als
Beigeladene vom 31.08.2007 im Verfahren VK-B2-25/07, Vergabeakte Bl. 389). Eine
darauf bezogen Rüge hat die Antragstellerin auch nicht erhoben.
b) Mehrfachbeteiligung des Subunternehmers N. GmbH:
Auch insoweit ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, da die Voraussetzungen des § 107
Abs. 2 S. 1 GWB nicht gewahrt sind. In tatsächlicher Hinsicht erfolgt der Vortrag der
Antragstellerin ins Blaue, da eine mehrfache Beteiligung der N. GmbH als
Subunternehmer auch in Angeboten anderer Bieter ohne jeden Anhaltspunkt behauptet
wird. Die Frage allerdings, ob auf Grundlage der behaupteten Tatsache eine
Rechtsverletzung (hier also: ein zwingender Ausschlussgrund) gegeben wäre, gehört
nicht mehr zur Zulässigkeitsprüfung. Denn für diese genügt, dass eine Rechtsverletzung
“möglich”, also nicht von vornherein ausgeschlossen ist. Die Zulässigkeitsprüfung dient
nicht dazu, die Rechtsansicht des Antragstellers abschließend zu beurteilen (vgl. BVerfG
NZBau 2004, 564, 566).
In materieller Hinsicht wäre die Rüge jedoch auch unbegründet. Der
Wettbewerbsgrundsatz (§ 97 I GWB) steht Verhaltensweisen von Unternehmen
entgegen, die auf einen Scheinwettbewerb hinauslaufen, und erfordert, dass die
Vergabestelle hiergegen durch Angebotsausschluss einschreitet. Unzulässig ist danach,
wenn ein Unternehmen bei Angebotsabgabe Kenntnis von der Kalkulation eines anderen
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wenn ein Unternehmen bei Angebotsabgabe Kenntnis von der Kalkulation eines anderen
Bieters hat, oder sich gar auf verschiedene Weise mehrfach an der Ausschreibung
beteiligt (vgl. Brauer in: Kulartz/Kus/Portz, a.a.O., § 97 Rn 11; Bungenberg in:
Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, a.a.O., § 97 Rn 10; Wagner in: Langen/Bunte,
a.a.O., § 97 Rn 7, 9).
Der Umstand, dass verschiedene Bieter für bestimmte Arbeiten den Einsatz desselben
Nachunternehmers vorsehen, ist danach aber unschädlich. Selbst die Konstellation,
dass der Subunternehmer eines Bieters daneben sich mit einem eigenen Angebot
beteiligt, dürfte zulässig sein (so OLG Bremen VergabeR 2001, 94, 97; OLG Düsseldorf
VergabeR 2007, 229, 232; Wagner, a.a.O., § 97 Rn 9); denn der Bieter, der sich des
Nachunternehmers bedient, kann in seiner Kalkulation durch den Umstand der auch
eigenen Beteiligung des Nachunternehmers nicht beeinflusst werden, und der
Nachunternehmer kennt nur die Kalkulation des Konkurrenten (seines potentiellen
Auftraggebers) in Bezug auf den von der Subvergabe betroffenen Leistungsteil.
Erst recht ist es zulässig, dass die Angebote verschiedener Bieter den Einsatz desselben
Nachunternehmers vorsehen. Es fehlt bereits an der Voraussetzung, dass ein Angebot
in Kenntnis der Kalkulationsgrundlage eines anderen Bieters erstellt wird, da ein Wissen
der Bieter von der Mehrfachbeteiligung nicht vorausgesetzt werden kann. Das Wissen
des Nachunternehmers (von dem entsprechenden Teil der Kalkulation) kann den
jeweiligen Bietern nicht zugerechnet werden.
Die von der Antragstellerin herangezogene Entscheidung OLG Düsseldorf, VergabeR
2007, 229 betraf eine andere Fallgestaltung, nämlich eine Angebotsabgabe durch
konzernrechtlich verbundene Unternehmen (einmal durch das herrschende
Unternehmen als Bieter und ein weiteres mal durch das beherrschte Unternehmen
unter Einsatz des herrschenden Unternehmens als Nachunternehmer). Das OLG
Düsseldorf hat tragend darauf abgestellt, dass es damit an einer
Unternehmensverschiedenheit fehle. Es hat hingegen ausdrücklich ausgeführt, dass der
bloße Einsatz eines Bieters als Nachunternehmer eines anderen noch nicht zum
Ausschluss führt (a.a.O., S. 232).
c) Besprechung an Baugrube vor dem Termin zur Angebotsabgabe:
Die Antragstellerin macht geltend, dass die Bietergemeinschaft W.unter Verstoß gegen
den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 97 Abs. 2 GWB) bevorzugt worden sei, indem ca.
eine Woche vor dem Termin zur Angebotsabgabe (sie hat im Verhandlungstermin vor
dem Senat klargestellt, dass sie diesen Zeitpunkt mit “Submissionstermin” meinte) ein
Gespräch an der vorgesehenen Startbaugrube stattgefunden habe, bei dem neben
Vertretern der Antragsgegnerin und des Landes Berlin als einzige Bieterin die Firma
W.durch ihren Geschäftsführer vertreten gewesen sei. Es sei um Lage und Machbarkeit
einer Ellipsenbaugrube gegangen. Der Vortrag genügt den Anforderungen des § 107
Abs. 2 S. 1 GWB und ist insbesondere nicht ins Blaue erfolgt, da die Antragstellerin die
Quelle ihrer Kenntnis (Telefonat mit Hr. B. sen. am 12.09.2007) konkret mitteilt.
Eine Rüge nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB war entbehrlich, da Kenntnis erst nach Einleitung
des Nachprüfungsverfahrens, die mit Schriftsatz vom 10.09.2007 erfolgte, eintrat (vgl.
BGH VergabeR 2007, 59, 65).
In tatsächlicher Hinsicht dürfte das Vorbringen der Antragstellerin mangels
substantiierten Bestreitens der Antragsgegnerin als zutreffend anzusehen sein.
Ungeachtet des Untersuchungsgrundsatzes (§ 110 Abs. 1 GWB) gilt auch im
Nachprüfungsverfahren, dass jede Partei eines förmlichen Streitverfahrens eine
Mitwirkungs- und Wahrheitspflicht trifft, aus der Erklärungspflichten resultieren (vgl. BGH
VergabeR 2007, 59, 65; NZBau 2005, 290, 292). Nicht anders als unter der Geltung des
§ 138 ZPO muss es der Antragsgegnerin daher verwehrt sein, sich mit Nichtwissen zu
der behaupteten Besprechung in ihrem Beisein zu erklären. Ihr Vortrag, von einer
solchen sei “nichts bekannt”, genügt daher nicht.
Der Senat vermag jedoch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes in
rechtlicher Hinsicht nicht zu erkennen.
Nach § 97 Abs. 2 GWB sind die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren gleich zu
behandeln. Daraus folgt insbesondere, dass der Auftraggeber für die Angebotsabgabe
gleiche zeitliche und inhaltliche Vorgaben machen muss; er muss den Bietern daher die
gleichen Informationen zukommen lassen und ihnen die Chance geben, innerhalb
gleicher Frist und zu gleichen Anforderungen Angebote abzugeben (vgl. OLG Celle
VergabeR 2002, 299; OLGR München 2005, 673; Wagner in: Langen/Bunte, a.a.O., § 101
Rn 58 und § 97 Rn 29; zum Erfordernis gleicher Angebotsfrist vgl. auch § 10 Nr. 2 lit. c)
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Rn 58 und § 97 Rn 29; zum Erfordernis gleicher Angebotsfrist vgl. auch § 10 Nr. 2 lit. c)
VOB/A-SKR n.F. = § 9 Nr. 2 lit. b) VOB/A-SKR a.F.).
Eine § 97 Abs. 2 GWB verletzende Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte liegt
jedoch grundsätzlich nicht vor, wenn der Auftraggeber nur mit demjenigen Bieter, der
darum nachgesucht hat, innerhalb der Angebotsfrist eine Ortsbesichtigung durchführt.
Das Ersuchen um einen Ortstermin stellt nicht nur ein formales
Unterscheidungskriterium der Sachverhalte dar, sondern rechtfertigt auch bei wertender
Betrachtung grundsätzlich die unterschiedlichen Verhaltensweisen. Denn der Wunsch
(nur) eines Bieters nach einer Ortsbegehung kann vielfältige Ursachen haben, die bei
den anderen Bietern nicht zutreffen und muss den Auftraggeber daher nicht notwendig
zu der Annahme veranlassen, dass allen Bietern nur nach einer Ortsbesichtigung eine
sachgerechte Angebotserstellung möglich sei. So ist denkbar, dass bei gleichem
Angebotsinhalt einige Bieter eine Besichtigung für sinnvoll halten, während andere sich
in der Lage sehen, die Machbarkeit des Projekts oder zumindest ihr (Kalkulations-)Risiko
allein anhand der vorliegenden Angaben hinreichend zu beurteilen. Ferner können die
Angebotsinhalte im Einzelnen differieren, mit der Folge, dass nur für manche
Ausführungsarten die Kenntnis der Örtlichkeit objektiv erheblich ist, während dies bei
anderen nicht der Fall ist. Schließlich kann das Verlangen nach einem Ortstermin dazu
dienen, lediglich ein Alternativangebot vorzubereiten, so dass er für andere Bieter von
vornherein keinen relevanten Informationsgewinn brächte, jedoch wohl aus Gründen des
Geheimwettbewerbs die Möglichkeit der Durchführung nur eines Ortstermins
ausgeschlossen wäre, was zu einem erheblichen organisatorischen Mehraufwand auf
Seite des Auftraggebers führen würde.
Danach ist es grundsätzlich Sache jedes Bieters, sein Bedürfnis nach weiteren
Informationen selbst zu verfolgen und um einen Ortstermin zu bitten (der freilich zwecks
Gleichbehandlung nach § 97 Abs. 2 GWB gewährt werden muss, wenn auch anderen
Bietern eine solche Gelegenheit gegeben wird). Die Möglichkeit zu Anfragen im Vorfeld
der Angebotsabgabe liegt auf der Hand und wird auch in der VOB/A-SKR 2006
vorausgesetzt (s. §§ 6 Nr. 6 Abs. 1, 7 Nr. 2 Abs. 2 lit. a). Die Antragstellerin könnte daher
nicht etwa geltend machen (was sie auch nicht tut), dass auch sie ein
Informationsbedürfnis gehabt habe, jedoch die Bitte um eine Ortsbesichtigung als
rechtlich ausgeschlossen habe ansehen müssen.
Ausnahmsweise dürfte eine Ungleichbehandlung durch Nichteinladung auch der übrigen
Bieter zur Ortsbesichtigung dann anzunehmen sein, wenn der Auftraggeber aus der
Anfrage eines Bieters erkennen muss, dass eine sachgerechte Angebotsabgabe
überhaupt nur nach einer Ortsbesichtigung möglich ist (vgl. insoweit auch § 10 Nr. 3
VOB/A-SKR 2006). Dafür bestehen vorliegend jedoch keine Anhaltspunkte; in diesem Fall
wäre auch nicht verständlich, dass mit Ausnahme der Bietergemeinschaft W.offenbar
kein Bieter eine Ortsbesichtigung für geboten hielt.
Im Übrigen hätte eine § 97 Abs. 2 GWB verletzende Bevorzugung der
Bietergemeinschaft W.nicht deren Ausschluss vom weiteren Vergabeverfahren zur Folge.
Die Beantragung einer Ortsbesichtigung stellt deren Eignung nicht in Frage. Eine
Ungleichbehandlung wäre vielmehr dadurch zu beheben, dass der Antragstellerin durch
Anordnung der teilweisen Wiederholung des Verfahrens unter Beachtung von § 97 Abs. 2
GWB Chancengleichheit gewährt wird.
d) fehlende Nachweise über technische Ausrüstung und Referenzobjekte:
Hinsichtlich dieser Rüge ist der Nachprüfungsantrag wiederum unzulässig, da er nicht
den Anforderungen des § 107 Abs. 2 S. 1 GWB entspricht. Das Fehlen dieser Unterlagen
wird ohne jeden Anhaltspunkt ins Blaue behauptet. In rechtlicher Hinsicht gilt das zu a)
Gesagte entsprechend.
e) Unzuverlässigkeit der Bieterin M. GmbH:
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig. Der Vortrag genügt den nicht zu hohen
Anforderungen des § 107 Abs. 2 S. 1 GWB, da unter Berufung auf den Artikel im Magazin
“Der Spiegel” Heft 35/2006 konkrete Tatsachen, die damit nicht aus der Luft gegriffen
sind, behauptet werden. Dass weder das konkrete verurteilte Delikt noch die Rechtskraft
der Strafbefehle aus der Berichterstattung hervorgehen und von der Antragstellerin
demzufolge damit nicht konkret dargetan werden (können), ist unschädlich, da in Bezug
auf die Rechtskraft jedenfalls keine Behauptung ins Blaue vorliegt (dass inzwischen
jedenfalls Rechtskraft vorliegt, ist denkbar) und ein zwingender Ausschluss wegen
Unzuverlässigkeit auch im Falle einer Verurteilung wegen Vermögensdelikten (und nicht
wegen Bestechung) nicht von vornherein ausgeschlossen erscheint.
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Auch ist der Antragstellerin nach dem Vorbringen ihres Verfahrensbevollmächtigten im
Termin am 13.03.2008 nicht zu widerlegen, dass sie einen Vergabeverstoß erst während
des Nachprüfungsverfahrens am 17.09.2007 erkannt und damit die Rügeobliegenheit
des § 107 Abs. 3 S. 1 GWB nicht verletzt hat.
Ein Anspruch auf Ausschluss der Bietergemeinschaft W.wegen Unzuverlässigkeit und
damit fehlender Eignung nach § 97 Abs. 4, 7 GWB ist jedoch nicht gegeben.
Ein zwingender Ausschlusstatbestand bei rechtskräftiger Verurteilung wegen bestimmter
Straftaten ist erst auf Grund der Richtlinie vom 31.03.2004 in § 5 Nr. 2 Abs. 1 VOB/A-SKR
n.F., der wegen der statischen Verweisung der VgV (vgl. Boesen, Vergaberecht, 2000, §
97 Rn 168; Wagner in: Langen/Bunte, Kommentar zum deutschen und europäischen
Kartellrecht, Bd. 1 (GWB), § 97 Rn 94) erst ab dem 01.11.2006 zu den nationalen
Vergaberegeln zählt, aufgenommen worden. Auf die zweifelhafte Frage, ob die für das
betroffene Unternehmen nachteilige Regelung des Art. 54 Abs. 4 der Richtlinie
2004/17/EG (der auf Art. 45 Abs. 1 RiLi 2004/18/EG verweist) nach Ablauf der
Umsetzungsfrist zum 31.01.2006 unmittelbar anwendbares Recht war (dagegen Müller-
Wrede, VergabeR 2005, 693, 704), kommt es nicht an. Denn für das Vorliegen des
Tatbestands einer Bestechung (so offenbar die Antragstellerin unter Hinweis auf § 5 Nr.
2 Abs. 1 lit. e) VOB/A-SKR n.F.) bestehen keine Anhaltspunkte. Bestechung i.S. von § 334
StGB erfordert eine Vorteilsgewährung an einen Amtsträger für die Vornahme einer
Diensthandlung. Die Vorwürfe gegen Manager der Firma B., die in dem Artikel referiert
werden, betreffen jedoch Schmiergeldzahlungen an Mitarbeiter von I., ein privates
Unternehmen.
Somit kommt nur der fakultative Ausschlusstatbestand einer “nachweislich begangenen
schweren Verfehlung des Unternehmers, die seine Zuverlässigkeit als Bewerber in Frage
stellt” (§ 5 Nr. 2 lit. c VOB/A-SKR a.F. = § 5 Nr. 3 lit. c VOB/A-SKR n.F.) in Betracht. Zwar
soll nach BGH BauR 2002, 79, 80 die Ermessensausübung auch dem Schutz der
anderen Bieter dienen. Jedoch ist die Zuverlässigkeit nach diesem Tatbestand
leistungsbezogen, d.h. im Sinne einer Prognose für den konkreten Auftrag, zu beurteilen
(vgl. OLG Frankfurt VergabeR 2004, 642, 645; OLG Schleswig VergabeR 2002, 316, 319;
OLG Düsseldorf NZBau 2003, 578, 580; Wagner in: Langen/Bunte, a.a.O., § 97 Rn 62).
Eine Ermessenreduzierung auf Null mit einem Zwang zum Ausschluss kann danach nur
angenommen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine zuverlässige
Leistungserbringung konkret unwahrscheinlich machen (etwa bei Dienstleistungen, die
hohe persönliche Zuverlässigkeit voraussetzen, die angesichts der Straftaten leitender
Personen konkret fraglich erscheint), oder die ähnliche Straftaten im Rahmen der
hiesigen Auftragsdurchführung erwarten lassen. Anderenfalls muss es dem Auftraggeber
überlassen bleiben, ob er die Zusammenarbeit als zumutbar ansieht. Dies wiederum
wird u.a. davon abhängen, ob er meint, ein Risiko beherrschen zu können.
Wer - zumal vor Jahren, da die Anzeige von Dezember 2004 stammte - einen privaten
(Groß-)Auftraggeber mit Schmiergeldern gefügig gemacht hat, muss deshalb noch nicht
notwendig -selbst wenn eine “Selbstreinigung” noch nicht stattgefunden haben sollte,
vgl. dazu OLG Düsseldorf NZBau 2003, 578, 581- die für die anstehende Abwicklung
eines Bauauftrags erforderliche Zuverlässigkeit vermissen lassen. Eine Zuverlässigkeit in
fachlicher Hinsicht steht insoweit bei einem Bauauftrag ohnehin nicht in Frage; für sie hat
die strafrechtliche Verfehlung keine Aussagekraft. Die Beurteilung, ob sie
Unregelmäßigkeiten im Rahmen der Auftragsvergabe ausschließen und ein
entsprechendes Risiko beherrschen kann, kann hingegen der Vergabestelle überlassen
bleiben. Denn ihre Mitarbeiter wären es, die an dem strafbaren Tun mitwirken müssten.
Der neue (zwingende) Ausschlusstatbestand ist insoweit für die Rechtsanwendung nicht
beachtlich, da er erkennbar generalpräventive Zwecke verfolgt, auf die es für die
Ermessensüberprüfung der Vergabestelle -entgegen der in der mündlichen Verhandlung
bekräftigen Auffassung der Antragstellerin - nicht ankommt, und die nicht dem Schutz
der anderen Bieter dienen (vgl. auch Müller-Wrede, VergabeR 2005, 693, 704).
Nähere Ausführungen zu einer fehlenden Ermessenreduzierung auf Null erübrigen sich,
da die Antragstellerin sich auf eine solche nicht beruft, sondern lediglich auf einen
vermeintlichen Sanktionscharakter des Ausschlussgrundes abstellt. Eine
Tatsachenermittlung von Amts wegen scheidet mangels von Anhaltspunkten aus.
3) Wertungsfehler:
Nicht unmittelbar im Beschwerdeantrag, aber in der Beschwerdebegründung gibt die
Antragstellerin zu erkennen, dass sie sich -hilfsweise für den Fall, dass die
Bietergemeinschaft W.nicht auszuschließen ist- auch gegen die Wertung des Kriteriums
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Bietergemeinschaft W.nicht auszuschließen ist- auch gegen die Wertung des Kriteriums
“Lieferfähigkeit (Termin)” mit 100 % zugunsten von W.wendet. Sie meint, dass das
Kriterium bei dieser Bietergemeinschaft vielmehr mit 0 % und bei ihr selbst mit 100 %
bewertet werden m ü sse , und somit nur eine Zuschlagserteilung an die Antragstellerin
in Betracht komme (Seite 31-33 der Beschwerdeschrift).
a) Unschädlich ist, dass das Vorbringen noch nicht Gegenstand des
Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer war. Es ist zulässig in der
Beschwerdeinstanz eingeführt worden.
Neue Rechtsverstöße können in das Beschwerdeverfahren eingebracht werden, sofern
der Ausschlusstatbestand des § 107 Abs. 3 GWB nicht greift (Hunger in:
Kulartz/Kus/Portz, a.a.O., § 117 Rn 37 f., 42; Storr in: Loewenheim/Meessen/
Riesenkampff, a.a.O., § 117 Rn 11).
Eine Verletzung der Rügeobliegenheit nach § 107 Abs. 3 S. 1 GWB liegt nicht vor. Positive
Kenntnis vom Wertungsmangel hatte die Antragstellerin erst, nachdem ihr die
Entscheidung der Vergabekammer im Verfahren VK-B2-25/07 vom 25.09.2007 am
15.10.2007 und damit nach Einleitung ihres eigenen Nachprüfungsantrags zur Kenntnis
gelangte. Anders als die Bieterin G., der die Antragsgegnerin unter dem 03.08.2007
mitgeteilt hatte, “So hat ihr Angebot für das Kriterium Termin die vollen 40 % erreicht,
da Sie die Termine verbindlich und glaubhaft bestätigt haben” (Bl. 176 der
Vergabeakte), hatte die Antragstellerin nicht einmal Anhaltspunkte für einen
Wertungsmangel. Solche hätten im Übrigen eine Rügeobliegenheit auch noch nicht
ausgelöst, sondern erst die Kenntnis von Umständen, die eine Vermutung bestätigten
(vgl. BGH VergabeR 2007, 59, 65).
b) Die Auswahlentscheidung der Antragsgegnerin zugunsten der Bieterin W.leidet daran,
dass sie eine nachvollziehbare Wertung des mit 40 % gewichteten Kriteriums
“Lieferfähigkeit (Termin)” - in Bezug auf alle Angebote - unterlassen hat. Zwar liegt es
im Beurteilungsspielraum der Antragsgegnerin, ob sie die Terminsicherheit der
Angebote einer abgestuften Wertung unterzieht, oder ob sie die Angebote nur entweder
mit “100 %” oder mit “0 %” bewertet. Aber auch wenn sie sich für das letztgenannte
System entscheidet, muss sie ihre Entscheidung an nachvollziehbaren Umständen
festmachen, die eine qualitative Differenzierung der Angebote erlauben. Der
Antragstellerin kann somit nicht darin gefolgt werden, dass der Wille der Antragsgegnerin
respektiert werden müsse, ein “Ja/Nein”-Kriterium allein an der Angabe des Bieters, den
Endtermin einzuhalten, festzumachen. Denn die Ankündigung der Terminswahrung ist
eine Selbstverständlichkeit. Jeder Bieter, der in Kenntnis des mitgeteilten
Ausführungstermins sein Interesse bekundet (vgl. § 9 Nr. 2 Abs. 5 lit. c, Ziffer III VOB/A-
SKR 2006) erklärt damit stillschweigend die Fähigkeit und Bereitschaft, den Termin
einzuhalten. Wie bereits die Vergabekammer in ihrem Beschluss vom 25.09.2007 im
Parallelverfahren VK-B2-25/07 (Seite 14-16) zutreffend ausgeführt hat, ist daher eine
nachvollziehbare (prognostische) Bewertung der Terminsicherheit anhand objektiver
Kriterien erforderlich. Die Antragsgegnerin muss anhand von Unterkriterien eine
Prognose über die Terminsicherheit des jeweiligen Angebots anstellen und darlegen, ob
es die gestellten (Mindest-)Anforderungen für die Erreichung der vollen Wertung von 100
% erfüllt. Aus Bl. 20163 der Vergabeakte hingegen ist ersichtlich, dass die
Antragsgegnerin sämtliche Angebote insoweit mit 100% bewertet hat, ohne eine
Prognose anzustellen, und letztlich die verbale Anerkennung des vorgegebenen
Fertigstellungstermins (01.09.2008, s. Verdingungsunterlagen vom 22.06.2007, Bl.
20005 der Vergabeakte) hat ausreichen lassen. Damit wurde eine nivellierende
Betrachtung angestellt und eine Wertung unterlassen .
c) Entgegen der Ansicht der Antragstellerin kommt eine Anweisung an die
Antragsgegnerin, ihr Angebot im 2. Kriterium mit 100 % und das der Bietergemeinschaft
W.mit 0 % zu bewerten, und sodann der Antragstellerin den Zuschlag zu erteilen, nicht in
Betracht. Denn damit würde der Senat die bislang unterlassene Wertung erstmals
vornehmen und sich unzulässig an die Stelle der Antragsgegnerin setzen. Es bleibt
ihrem Beurteilungsspielraum überlassen, auf welche Weise sie die unterlassene Wertung
nachholt. Ein Ausnahmefall, in dem unter Beachtung aller bestehenden
Wertungsspielräume der Vergabestelle nur eine Entscheidung rechtmäßig sein kann und
ein Anspruch auf Zuschlageerteilung denkbar wäre (vgl. Möllenkamp in: Kulartz/Kus/
Portz, a.a.O., § 123 Rn 19; Storr in: Loewenheim/Meessen/ Riesenkampff, a.a.O., § 123
Rn 4), ist nicht gegeben. Wie dargelegt, hat die Antragsgegnerin zunächst zu
entscheiden, ob sie eine gestufte Wertung oder eine “Ja/Nein”-Bewertung vornimmt.
Sodann hat sie die erforderlichen Unterkriterien für eine Wertung festzulegen und die
Angebote anhand dieser zu prüfen.
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d) Im Rahmen der eigenen Sachentscheidung des Senats nach § 123 S. 2 GWB, die
vorliegend geboten ist, gilt der auch für die Vergabekammer nach § 114 GWB
maßgebliche Grundsatz, dass die geeigneten Maßnahmen zu treffen sind, um die
Rechtsverletzung zu beseitigen und eine (künftige) Schädigung der betroffenen
Interessen zu verhindern.
Es ist somit die (mildeste) Maßnahme zu treffen, die die Rechtsverletzung zum Nachteil
des Antragstellers beseitigt, zugleich aber zu einer rechtmäßigen Fortsetzung des
Vergabeverfahrens führt und insbesondere auf der Hand liegende Mängel, die zu
weiteren Nachprüfungsverfahren führen könnten, beseitigt (vgl. Maier in:
Kulartz/Kus/Portz, a.a.O., § 114 Rn 12, 13; Byok in: Byok/Jaeger, Kommentar zum
Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 GWB Rn 1073; Heiermann/Zeiss/ Kullack/Blaufuß,
Vergaberecht, 2005, § 114 GWB Rn 4; Boesen, a.a.O., § 114 Rn 15; Reidt in:
Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberecht, 2. Aufl., § 114 Rn 13, 14).
Danach genügt es nicht, eine Neuwertung des nichtpreislichen Kriteriums auf der
Grundlage der bereits vorhandenen Angebote anzuordnen.
Denn zum einen hat der EuGH mit Urteil vom 24.01.2008, C-532/06 Rz. 44(zu Art 36
Abs. 2 RiLi 92/50/EWG vom 18.06.1992 über die Koordinierung der Verfahren zur
Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, der mit § 11 Nr. 1 Abs. 2 VOB/A-SKR 2006
im Wesentlichen übereinstimmt) entschieden, dass die Grundsätze der
Gleichbehandlung und Transparenz gebieten, dass in der Bekanntmachung oder den
Verdingungsunterlagen nicht nur die Wertungskriterien mit Gewichtungskoeffizienten,
sondern auch zur Anwendung kommende Unterkriterien mitgeteilt werden. Die bisher
verbreitete Ansicht, nur Unterkriterien müssten im Vorhinein angegeben werden, die im
Zeitpunkt der Angebotsaufforderung bereits aufgestellt sind, während der Auftraggeber
nicht gehindert sei, nachträglich Unterkriterien zur Wertungsvornahme aufzustellen (vgl.
die Darstellung in OLG München, Beschluss vom 17.01.2008, Verg 15/07 Rz 19), ist
damit überholt.
Folge dieser präzisierten Rechtsprechung des EuGH ist, dass es zwar nach wie vor dem
Ermessen der Antragsgegnerin überlassen bleibt, ob und welche Unterkriterien sie zur
Ausfüllung des Merkmals “Lieferfähigkeit (Termin)” aufstellt. Sie ist jedoch gehindert,
Unterkriterien bei der Wertung heranzuziehen, die sie nicht spätestens mit der
Aufforderung zur Angebotsabgabe mitgeteilt hat. Da kaum ersichtlich ist, wie eine
nachvollziehbare Wertung des vage formulierten Kriteriums “Lieferfähigkeit (Termin)”
erfolgen sollte, wenn nicht anhand von Unterkriterien, die auf insoweit aussagefähige
Umstände abstellen, erscheint es jedoch angeraten, dass die Antragsgegnerin -zur
Vermeidung weiterer Nachprüfungsverfahren im Zusammenhang mit der erneuten
Wertung- Gelegenheit erhält, zur Wertung vorgesehene Unterkriterien den Bietern
nunmehr mitzuteilen. Bereits deshalb ist nicht nur eine Neuwertung anzuordnen,
sondern eine Wiederholung des Vergabeverfahrens ab dem Zeitpunkt der Aufforderung
zur Angebotsabgabe. Bei dieser erneuten Aufforderung zur Angebotsabgabe sind
sämtliche Unterkriterien, die die Antragsgegnerin ihrer Wertung des Kriteriums
“Lieferfähigkeit (Termin)” zugrunde zu legen gedenkt, in den Verdingungsunterlagen
zwingend anzugeben.
Zum anderen ist die Anordnung der Wiederholung des Verfahrens ab dem Zeitpunkt der
Aufforderung zur Angebotsabgabe, wie bereits die Vergabekammer in ihrem Beschluss
vom 25.09.2007 im Parallelverfahren VK-B2-25/07 (S. 19 f.) ausgeführt hat, erforderlich,
da die Antragsgegnerin Nebenangebote zu Unrecht und zudem ohne Mitteilung von
Mindestanforderungen zugelassen hat. Eine bloße Neubewertung auf Grundlage der
vorliegenden Angebote würde diese Vergaberechtsverstöße sehenden Auges
hinnehmen.
Nebenangebote waren in Ziffer II.1.9 der Bekanntmachung ausgeschlossen (“Varianten/
Alternativangebote sind zulässig: Nein”). Dem widersprach die Mitteilung auf Seite 3 des
Anschreibens vom 22.06.2007, dass Nebenangebote mit Ergänzungen oder
Verbesserungsvorschlägen “erwünscht” seien. Die Antragsgegnerin hatte damit bereits
in der Bekanntmachung von ihrem Recht, Nebenangebote auszuschließen (s. § 7 Nr. 2
Abs. 3 VOB/A-SKR a.F.=n.F. für Ausschluss in Vergabeunterlagen) Gebrauch gemacht.
Nach allgemeinen Grundsätzen ist eine Änderung der Ausschreibungsbedingungen, die
schon in der Bekanntmachung enthalten sind, nicht mehr möglich.
Zudem hat die Antragsgegnerin in den Unterlagen zwar Nebenangebote zugelassen,
jedoch unterlassen, Mindestanforderungen an diese mitzuteilen. Nach § 7 Nr. 2 Abs. 3 S.
2 VOB/A-SKR a.F./n.F. sind Mindestanforderungen an Nebenangebote zwar nur
“gegebenenfalls” anzugeben. Jedoch hat der EuGH mit Urteil vom 16.10.2003
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“gegebenenfalls” anzugeben. Jedoch hat der EuGH mit Urteil vom 16.10.2003
(VergabeR 2004, 50, 53, Rz. 29, 33 -Traunfell-ner-) auf Grundlage der
Baukoordinierungsrichtlinie 93/37/EWG entschieden, dass die Grundsätze der
Transparenz und Gleichbehandlung die Mitteilung von Mindestanforderungen erforderlich
machen und anderenfalls auch zugelassene Nebenangebote nicht berücksichtigt werden
dürfen.
Demzufolge ist § 7 Nr. 2 Abs. 3 S. 2 VOB/A-SKR richtlinienkonform dahin auszulegen,
dass ein Zwang zur Angabe von Mindestanforderungen besteht (s. von Rintelen in:
Kapellmann/Messer-schmidt, a.a.O., § 7 VOB/A-SKR Rn 15 a, b; Wagner in:
Langen/Bunte, a.a.O., § 97 Rn 15).
Danach kommt wegen dieses doppelten Mangels eine Berücksichtigung der im
vorliegenden Verfahren abgegebenen Nebenangebote nicht in Betracht. Andererseits
würde es eine Rechtsverletzung gegenüber den Bietern -insbesondere denjenigen, deren
Nebenangebot mit einem niedrigeren Preis endete als das Hauptangebot- darstellen,
das Verfahren ohne Berücksichtigung der Nebenangebote fortzuführen. Denn ihre
Zulassung in den Vergabeunterlagen führte zu einem Vertrauen der Bieter darauf, auch
mit Nebenangeboten einen Vorteil im Preiswettbewerb erlangen zu können.
Somit verbleibt nur die Möglichkeit, wie die Vergabekammer im Parallelverfahren
zutreffend ausgeführt hat, zur Herstellung eines rechtmäßigen Zustands eine neue
Angebotsabgabe durch die wegen ihrer Eignung in die engere Wahl gekommenen Bieter
- ohne Zulassung von Nebenangeboten - zu veranlassen.
e) Das Rechtsschutzinteresse für einen derartigen Ausspruch fehlt nicht etwa deshalb,
weil eine Anordnung mit diesem Inhalt bereits im Beschluss der Vergabekammer vom
25.09.2007 enthalten ist.
In Bezug auf die Anordnung, die zur Wertungsvornahme vorgesehenen Unterkriterien in
den Verdingungsunterlagen mitzuteilen, geht die Entscheidung des Senats über die der
Vergabekammer vom 25.09.2007 hinaus, so dass bereits deshalb das
Rechtsschutzinteresse unter Hinweis auf die frühere Entscheidung nicht in Frage gestellt
werden kann.
Aber auch unabhängig davon folgt aus der Vorentscheidung nichts gegen das
Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin. Denn ihre Befolgung ist für die hiesige
Antragstellerin rechtlich nicht gesichert.
Die nach dem Berliner Verwaltungsvollstreckungsgesetz durchzuführende Vollstreckung
der Vergabekammerentscheidung (§ 114 Abs. 3 GWB) erfolgt nur auf Antrag des
Beteiligten, zu dessen Gunsten die Entscheidung ergangen ist. Dies folgt aus dem
Charakter des Vergabenachprüfungsverfahrens als einem dem subjektiven Rechtsschutz
dienenden Parteiverfahren (vgl. OLG Naumburg NZBau 2005, 485; Maier in:
Kulartz/Kus/Portz, a.a.O., § 114 Rn 87, 89; Summa in: Heiermann/Zeiss/Kullack/Blaufuß,
a.a.O., § 114 Rn 39; wohl auch Byok in: Byok/Jaeger, a.a.O., § 114 Rn 1089; unklar aber
Rn 1091 und 1096; s.a. Senat, VergabeR 2002, 100). Selbst wenn man annehmen wollte,
dass eine Vollstreckung auch -ggf. auf Anregung eines Interessierten- durch die
Vergabekammer vom Amts wegen erfolgen könnte, wäre dies doch keine gesicherte
Rechtslage, die zu einem Ausschluss des Rechtsschutzbedürfnisses führen könnte.
III. Zur Kostenentscheidung:
a) Kosten vor der Vergabekammer:
Die Antragstellerin hat die Kosten (Gebühren und Auslagen) des Verfahrens vor der
Vergabekammer zu tragen, da sie im Verfahren insoweit unterlegen ist (§ 128 Abs. 3
GWB). Vor der Vergabekammer war ihr Begehren nur darauf gerichtet, dass die
Antragsgegnerin die Wertung unter Ausschluss von W.wiederhole. Dieses Begehren
bleibt unbegründet, da die Bietergemeinschaft W.nicht auszuschließen ist.
Eine Kostentragung wegen außergerichtlicher Kosten der Antragsgegnerin nach § 128
Abs. 4 S. 2, 3 GWB hat die Vergabekammer zu Recht nicht ausgesprochen, da der
Nachprüfungsantrag nicht zugestellt worden und die Antragsgegnerin daher nicht
beteiligt war. Das ändert sich nicht rückwirkend dadurch, dass die Zustellung vom Senat
nachgeholt worden ist.
b) Kosten im Beschwerdeverfahren:
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO (zur Anwendung der §§ 91 ff ZPO im
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO (zur Anwendung der §§ 91 ff ZPO im
Beschwerdeverfahren s. BGHZ 169, 131 = VergabeR 2007, 59, 70 m.N.).
Der Senat geht von einem Überwiegenden Unterliegen der Antragstellerin von 3/4 aus.
Das ursprünglich alleinige Begehren auf Neuwertung ohne Beteiligung von W.ist in der
Beschwerde nur noch Hilfsbegehren. In erster Linie möchte die Antragstellerin eine
Zuschlagserteilung an sich erreichen. Das Hilfsbegehren auf Neuwertung (die Anordnung
der teilweisen Wiederholung stellt ihm gegenüber kein Minus dar, sondern folgt aus dem
Entscheidungsermessen des Senats nach §§ 114, 123 GWB) wiederum spaltet sich in
das Begehren auf erneute Entscheidung ohne und -äußerst hilfsweise- mit Beteiligung
von W.. Bei Gewichtung des Hauptantrags mit 1/2 und beider Hilfsanträge mit je 1/4
unterliegt die Antragstellerin mit 3/4 und die Antragsgegnerin mit 1/4.
Die Beigeladene zu 2. hat sich am Verfahren beteiligt und ist daher kostenrechtlich wie
der Antragsteller oder Antragsgegner zu behandeln (s. BGH a.a.O.). Die Beigeladene hat
keine Kosten zu tragen, da ihre Auffassung mit dem Ergebnis des Beschwerdeverfahrens
übereinstimmt. Die Kosten der Beigeladenen zu 2. sind von der Antragstellerin und der
Antragsgegnerin zu tragen, jedoch - abweichend von der Quote im Übrigen - zu je 1/2.
Denn im Verhältnis der Beigeladenen zur Antragstellerin obsiegt erstere mit ihrem
Begehren, dass die Antragstellerin nicht den Zuschlag erhält, und im Verhältnis zur
Antragsgegnerin obsiegt die Beigeladene mit dem Interesse an einer teilweisen
Wiederholung des Vergabeverfahrens. Die Frage der Beteiligung von W., die zwischen
Antragstellerin und Antragsgegnerin zu einer abweichenden Quote führt, ist im
Verhältnis zur Beigeladenen neutral zu werten. Denn freilich hat auch sie ein Interesse
am Ausschluss von W., macht dies jedoch in zutreffender Beurteilung der Rechtslage
nicht geltend.
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