Urteil des KG Berlin vom 13.03.2017

KG Berlin: tatsächliche sachherrschaft, körperliche durchsuchung, unmittelbarer besitz, quittung, polizei, geldtransport, mitbesitz, einzahlung, eigentum, unfreiwillig

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Gericht:
KG Berlin 21.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
21 U 12/06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 254 Abs 1 BGB, § 823 Abs 1
BGB, § 854 Abs 1 BGB, § 856
BGB, § 866 BGB
Besitzaufgabe an einer versehentlich liegen gelassenen Sache;
gemeinsamer Mitbesitz des besitzenden Geschäftsbesorgers
und des Eigentümers der in seinen Sachherrschaftsbereich
liegen gebliebenen Sache; Ersatz der Haftungsschäden des
unmittelbaren Mitbesitzers
Leitsatz
Der unmittelbare Besitz an einer versehentlich liegen gelassenen Sache wird nur dann
aufgegeben, wenn eine Wiedererlangung der Sache ausgeschlossen oder zumindest deutlich
erschwert ist. Das ist nicht der Fall, wenn der Besitzer jederzeit rekonstruieren kann, wo die
Sache sich befindet und zumindest die Möglichkeit besteht, sie wieder an sich zu bringen.
Lässt der Geschäftsbesorger einen Gegenstand im Sachherrschaftsbereich des Eigentümers
liegen, ohne dass er seinen unmittelbaren Besitz verliert, können unmittelbarer Besitz des
Geschäftsbesorgers und derjenige des Eigentümers zusammen fallen. Beide sind dann
Mitbesitzer.
Dem unmittelbaren Mitbesitzer sind auch so genannte Haftungsschäden zu ersetzen.
Hiervon umfasst sind Schäden, die dadurch entstehen, dass er Ansprüchen Dritter wegen des
Verlusts der Sache ausgesetzt ist.
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen
das am 13. Dezember 2005 verkündete Urteil der Zivilkammer 19 des Landgerichts
Berlin –19 O 467/04 – geändert:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 43.670,00 nebst 5 % Zinsen über dem
Basiszinssatz seit dem 21. Oktober 2004 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien jeweils zur Hälfte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in
Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages nebst 10 % abzuwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von € 87.340,00 aus
unerlaubter Handlung.
Am 19.09.2003 führte die Klägerin für die L. einen Geldtransport durch und befüllte unter
anderem einen Geldautomaten in der S,. in B.-M. mit Geld, das sie von der L. erhalten
hatte. Außerdem nahm sie Geld entgegen, dass in den Automaten von Kunden der
S.filiale eingezahlt worden war. Über die eingezahlten und eingenommenen Beträge
erstellte der Automat einen Beleg.
Die Klägerin setzte ihre Mitarbeiter M. S., A. K. und A. M. für den Transport ein. Die
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Die Klägerin setzte ihre Mitarbeiter M. S., A. K. und A. M. für den Transport ein. Die
Zeugen S. und K. hielten sich zwischen ca. 20.44 und 21.06 Uhr im Vorraum der S.filiale
auf. Sie ließen eine Geldtasche dort zurück. Der Zeuge M. vermerkte nach ihrer
Rückkehr zum Fahrzeug die Rückgabe der Geldtasche, indem er die Angaben auf dem
von den Kollegen mitgebrachten Lieferschein abschrieb, ohne sich aber darüber zu
vergewissern, dass die Tasche tatsächlich zurückgelangt war.
Gegen 22.55 Uhr betrat der Beklagte die Filiale, tätigte verschiedene Geldgeschäfte und
verließ schließlich um etwa 22.58 Uhr die Bank mit der Geldtasche in der Hand. Weder
die Tasche noch deren behaupteter Inhalt von € 87.340,00 fanden sich wieder.
Die Klägerin beglich den seitens der L. geltend gemachten Schaden in Höhe von €
87.340,00 an diese. Die Versicherung der Klägerin trat für den Schaden nicht ein, weil
der Selbstbehalt höher als der hier geltend gemachte Schaden ist.
Der Vorgang im Vorraum der Filiale wurde von Videokameras aufgezeichnet, die die
Mitarbeiter der Klägerin nicht beeinflussen konnten. Der Tisch, auf dem sich die
Geldtasche befand, wurde nicht gefilmt. Insoweit wird auf die Vermerke der Polizei vom
24.09., 25.09. und 01.10.2003 sowie auf die Übersichtsaufnahmen zur Position der
einzelnen Kameras verwiesen, Bd. I, Bl. 60 ff., 115, 125 und 159 ff. der Akten der
Staatsanwaltschaft Berlin - 94 Js 4334/03 -. Die in der Zeit zwischen ca. 21.06 und 22.59
Uhr getätigten Verfügungen am Geldautomaten wurden ebenfalls festgehalten. Auf den
Inhalt des elektronischen Journals wird Bezug genommen, Bd. I, Bl. 11, 17; Bd. II, Bl. 23 f.,
39 der Beiakten. Wie die Bestückung im sogenannten Cash Recycling System von der
Klägerin organisiert wird und wie diese sich theoretisch abspielen sollte, ergibt sich aus
den Seiten 2 bis 4 des klägerischen Schriftsatzes vom 29.04.2005, Bl. 80 ff. d. A.
Wieviel Geld die Tasche vor Bestückung des Geldautomaten enthielt, ob sie ursprünglich
verplombt war und was in der Filiale im Einzelnen geschah, insbesondere ob das Geld
sich noch in der Tasche befand, als der Beklagte die Filiale verließ und was er mit der
Tasche anschließend gemacht hat, ist zwischen den Parteien streitig. Wegen der
Stückelung des Geldes, dessen Gewicht, der Belege über Einzahlung und Entnahme
sowie die Berechnung des Schadens wird auf S. 2 des klägerischen Schriftsatzes vom
10.12.2004, auf die Seiten 3 und 4 des Schriftsatzes der Prozessbevollmächtigten der
Klägerin vom 29.04.2005 nebst der Anlagen K 4 bis 6, sowie auf das Schreiben des
Polizeipräsidenten in Berlin an die Klägerin vom 08.10.2003 nebst handschriftlichem
Eintrag verwiesen, Bl. 27, 81 f., 87 ff. d. A. sowie Bd. I, Bl. 184 f. der Beiakte.
Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen und wegen des Ergebnisses der
durch Beschluss vom 14.06.2005 angeordneten Beweisaufnahme wird auf das
Sitzungsprotokoll des Landgerichts vom 04.10.2005, Bl. 120 ff. d.A., und auf die
angefochtene Entscheidung verwiesen.
Das Landgericht hat die Klage durch am 13.12.2005 verkündetes Urteil abgewiesen mit
der Begründung, es stehe nicht fest, wieviel Geld sich zu dem Zeitpunkt, zu dem der
Beklagte die Tasche an sich nahm, darin befunden habe. Denn es fehlten
Videoaufzeichnungen zwischen 22.39 und 22.52 Uhr. Es sei daher nicht auszuschließen,
dass ein unehrlicher Dritter den Inhalt der Tasche an sich genommen habe.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie wiederholt im Wesentlichen ihr
bisheriges Vorbringen. Sie habe - unwidersprochen erst nach Abschluss der ersten
Instanz - erfahren, dass die Videoaufzeichnungen durch Bewegungsmelder ausgelöst
werden, so dass eine lückenlose Dokumentation der Vorgänge im Geldautomatenraum
vorhanden sei. Im Übrigen stellt sie klar, dass sie den Inhalt der Ermittlungsakten zum
Gegenstand ihres Vortrages macht.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Abänderung des am 13.12.2005 verkündeten Urteils des
Landgerichts Berlin zu verurteilen, an sie € 87.340,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 %
über dem Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er rügt Verspätung hinsichtlich des neuen Vortrages der Klägerin hinsichtlich der
Bewegungsmelder.
Die Akten der Staatsanwaltschaft Berlin – 94 Js 4334/03 – lagen vor und waren wie
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Die Akten der Staatsanwaltschaft Berlin – 94 Js 4334/03 – lagen vor und waren wie
bereits in der ersten Instanz Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
II.
1. Die statthafte Berufung der Klägerin ist Form- und fristgerecht eingelegt und
begründet worden, §§ 517, 519, 520 ZPO.
2. Die Berufung ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen
Anspruch aus § 823 I BGB.
Danach ist zum Schadensersatz verpflichtet, wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben,
den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines
anderen widerrechtlich verletzt.
Ein Anspruch aus Eigentumsverletzung kommt nicht in Betracht, da die L. und nicht die
Klägerin Eigentümerin des Geldes war. Jedoch sind auch der Besitz und der Mitbesitz als
sonstiges Recht durch § 823 I BGB geschützt (Sprau in Palandt, BGB, 65. Auflage, § 823
Rn. 13). Die Klägerin war solange unmittelbare Besitzerin bzw. Mitbesitzerin des Geldes,
wie sie willentlich die tatsächliche Sachherrschaft darüber ausgeübt hat. Das war der Fall,
bis der Beklagte das Geld an sich nahm.
a) Die Klägerin war unmittelbare Mitbesitzerin der Tasche mit dem darin befindlichen
Geld.
Zunächst war die Klägerin unmittelbare Besitzerin des in die Filiale mitgenommenen
Geldes und auch desjenigen, das sie aus dem Ankauf entgegennahm. Denn hierüber
übte sie willentlich die tatsächliche Sachherrschaft aus.
Sie hat den Besitz aber auch nicht aufgegeben, als ihre Mitarbeiter bzw. Besitzdiener
das Geld in der S.kasse liegen ließen, § 856 BGB. Denn dies geschah nicht mit dem
Willen, die Sachherrschaft an dem Geld aufzugeben, sondern unfreiwillig. Nach § 856
BGB wird der unmittelbare Besitz nur dann beendet, wenn der Gegenstand verloren geht
oder ein entsprechendes Ereignis eintritt, durch das eine Wiedererlangung
ausgeschlossen oder zumindest deutlich erschwert wird (vgl. Bassenge in Palandt, aaO,
§ 856 Rn. 3, 4; Bund in Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2000, § 856 Rn. 22). Die
Klägerin konnte jederzeit rekonstruieren, wo sich die Geldtasche befand. Auch hatte sie
Zugang zur Filiale und hätte sie ohne Schwierigkeiten wieder an sich bringen können.
Damit ist sie unmittelbare Besitzerin an Tasche und Geld geblieben. Zugleich ist die L.
unmittelbare Mitbesitzerin geworden, da sie die tatsächliche Gewalt und auch den
entsprechenden Herrschaftswillen an allen in ihren Räumlichkeiten befindlichen
Gegenständen hat (§§ 854, 866 BGB).
Damit fallen der unmittelbare Besitz der Klägerin als Geschäftsbesorgerin und derjenige
der Eigentümerin zusammen. Grundsätzlich ist es sinnlos, der Geschäftsbesorgerin
Besitz einzuräumen, wenn die Eigentümerin selbst im unmittelbaren Besitz der Sache
ist. Anders ist es aber, wenn der Besitzverlust der Klägerin unfreiwillig und der
Besitzerwerb der Eigentümerin unbewusst ist. Denn Sinn der Nebenpflicht zur
Verwahrung des Geldes aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag zwischen L. und Klägerin
ist es gerade, dass die Eigentümerin sich solange nicht um den Verbleib ihres Geldes
kümmern muss, wie sie dieses in „sicheren“ Händen weiß, die Klägerin also
verantwortlich war. Das war sie für das liegen gebliebene Geld.
b) Der Beklagte hat auch den unmittelbaren Mitbesitz der Klägerin an dem Geld verletzt,
indem er die Tasche an sich nahm.
Denn es steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass sich in der Tasche zu dem
Zeitpunkt, als der Beklagte sie mitnahm, € 87.340,00 befanden. Die hierfür darlegungs-
und beweispflichtige Klägerin hat den Beweis erbracht, dass sich in der Tasche beim
Betreten der Bank € 114.000,00 und beim Verlassen der Bank noch € 87.340,00
befanden.
Berufungsrechtlich nachprüfbar ist, ob sich das erstinstanzliche Urteil gem. § 286 ZPO
mit dem Inhalt der Verhandlungen und den Beweisergebnissen umfassend und
widerspruchsfrei auseinandergesetzt hat, die Beweiswürdigung mithin vollständig ist (zur
Revision: BGH, Urteil vom 12.11.1991, VI ZR 7/91, NJW 1992, S. 563). Das Landgericht
hatte keinen Anlass, sich ausführlich mit dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu
befassen, da es sein Urteil nicht in erster Linie darauf gestützt hat, ob und wieviel Geld
sich in der Tasche befand, als der Beklagte diese mitnahm.
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aa) Zunächst gilt die Tatsache, dass sich ursprünglich € 114.000,00 in der Tasche
befanden, gem. § 138 III ZPO als zugestanden. Die Klägerin hat dargelegt, dass der
Zeuge S. die in ihrer Berliner Zentrale unter Aufsicht standardmäßig mit € 114.000,00
bestückte und verplombte Geldtasche gegen Quittung entgegennahm. Sie hat eine
entsprechende Quittung eingereicht. Hierauf hat der Beklagte den gesamten, sich über
mehrere Seiten erstreckenden „Bestückungsvortrag“ weiterhin mit Nichtwissen
bestritten. Das ist zu pauschal, weil nicht deutlich wird, welche Tatsachen er im Einzelnen
angreifen möchte.
Aus seinen übrigen Erklärungen geht hervor, dass der Beklagte die Verplombung mit
Nichtwissen bestreitet. Diese ist jedoch durch die Aussagen der Zeugen S. und K.
bewiesen und damit auch, dass sich das Geld noch in der Tasche befand, als die Zeugen
die Bank betraten. Der Zeuge S. hat sowohl in seiner Vernehmung vor dem Landgericht
als auch in seiner polizeilichen Vernehmung bekundet, dass er die Tasche erstmals in
der Filiale entplombt hat. Dies hat auch der Zeuge K. in seiner polizeilichen Vernehmung
bestätigt. Dass er sich vor dem Landgericht nicht mehr daran erinnerte, macht seine
Aussage nicht unglaubhaft. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass er sich wegen des
Zeitablaufs, vielleicht aber auch, weil ihm die ganze Angelegenheit unangenehm war,
nicht mehr daran erinnerte oder erinnern wollte. Daraus lassen sich aber keine Schlüsse
zugunsten oder zu Lasten des Beklagten ziehen.
bb) Das Geld befand sich auch in der Tasche, als der Beklagte diese an sich nahm.
(1) Nach der Aussage der Zeugen S. und K. steht fest, dass sie den Geldautomaten
entsprechend der von diesem ausgeworfenen und von der Klägerin vorgelegten Quittung
mit € 34.000,00 bestückt haben. Der Zeuge K. bekundete vor der Polizei, dass der
Zeuge S. Geldscheinbündel nach Vorgabe der ausgedruckten Quittung bereitlegte, mit
denen er (K.) selbst anschließend den Automaten bestückte. Dies stimmt mit den
Angaben des Zeugen S. in seinen beiden Vernehmungen überein. Ebenso sagten beide
Zeugen übereinstimmend aus, dass der Zeuge S. das Retourgeld zurück in die Tasche
gelegt habe, nachdem der Zeuge K. das Geld aus der Ankaufkassette, in die Tasche
gefüllt hatte.
Auch diese Einlassungen der Zeugen sind glaubhaft. In ihrer polizeilichen Vernehmung
schildern beide Zeugen die Einzelheiten plausibel und machen auch aus
Erinnerungslücken und Fehlern keinen Hehl. Für den Zeugen S. gilt dies auch für seine
Aussage vor dem Landgericht, während diejenige des Zeugen K. wenig ergiebig ist. So
ist der Vorgang des Befüllens der Tasche mit Ankauf- und Restgeld aus der Bestückung
des Automaten nicht ordnungsgemäß abgelaufen, wie der Klägervertreter ihn in seinem
Schriftsatz vom 29.04.2005 vorgetragen hat. Denn weder haben die Zeugen S. und K.
eine Safebag, die sie extra verplombt haben, für das Ankaufgeld verwendet, noch haben
sie sich gegenseitig wie vorgesehen hinreichend kontrolliert. Auch hat der Zeuge M.
nicht aus eigener Anschauung quittiert, dass die Tasche in den Wagen zurückgelangt ist.
Gerade weil die Zeugen aber den vorgeschriebenen Verfahrensablauf nicht so
geschildert haben, wie er sein sollte, sondern Nachlässigkeiten eingeräumt haben,
erscheint ihre Aussage glaubhaft. Dagegen spricht auch nicht, dass die Zeugen K. und
S. in ihren polizeilichen Vernehmungen widersprüchliche Angaben dazu gemacht haben,
ob sie sich gegenseitig abgetastet haben und der Zeuge S. zudem im Gegensatz zu
seiner gerichtlichen Vernehmung bei der Polizei zunächst meinte, er habe die Filiale
abgeschlossen. Hierdurch entsteht kein Zweifel am Kern der Aussagen den Inhalt der
Geldtasche betreffend. Vielmehr sind solche Widersprüchlichkeiten eher darauf
zurückzuführen, dass insbesondere der noch bei der Klägerin beschäftigte Zeuge S.
nicht noch mehr Fehler zugeben wollte.
Über die Stückelung sowie Höhe der Einzahlung und Höhe des entgegengenommenen
Ankaufsgeldes (€ 7.340,00) konnten die Zeugen keine oder keine genauen Angaben
machen. Diese werden jedoch durch die entsprechenden Quittungen unter anderem des
Geldautomaten belegt, die die Klägerin als Anlagen K 4 bis K 6 vorgelegt hat. Es ist nicht
ersichtlich, dass der Geldautomat nicht ordnungsgemäß funktionierte. Dies behauptet
auch der Beklagte nicht.
Das Gericht hat keinerlei Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit der Zeugen zu zweifeln,
weshalb eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht in Betracht kam.
Es ist nicht ersichtlich, dass einer oder mehrere der Mitarbeiter der Klägerin das Geld
oder einen Teil davon entwendet haben. Geplant war der Vorfall nicht. Alle Zeugen
haben übereinstimmend bekundet, dass der Zeuge M. - aufgrund eines betriebsinternen
Irrtums - zum ersten Mal auf eine solche Tour mitgekommen sei. Herr S. sei ebenfalls
eingesprungen. Die Arbeitsabläufe seien daher auch nicht richtig aufeinander
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eingesprungen. Die Arbeitsabläufe seien daher auch nicht richtig aufeinander
abgestimmt gewesen, wie die Zeugen S. und K. aussagten. Es war auch nicht
auszuschließen, dass eine körperliche Durchsuchung stattfinden würde, wenn das Fehlen
der Tasche bemerkt würde oder, dass der Zeuge M. nach der Tasche fragen würde,
deren Zurückbringen er quittieren sollte. Hinzu kommt, dass die Mitarbeiter die gesamte
Zeit über von Überwachungskameras gefilmt wurden, was sie auch wussten und worauf
sie keinen Einfluss nehmen konnten. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass ihnen
klar war, dass ein Teil der Aufzeichnungen überspielt werden würde oder zwei
Videokameras nicht aktiv waren.
(2) Demgegenüber sind die Aussagen des Beklagten zum Inhalt der Tasche und zum
Motiv des Mitnehmens in sich widersprüchlich und nicht glaubhaft. In seiner ersten
Beschuldigtenvernehmung vom 23.09.2006 (Bd. 1, Bl. 29 der Beiakten), behauptet er, er
habe die gelbe Tasche genommen, sie nach draußen getragen und um die Ecke auf
einen Mülleimer gestellt, weil sie ihn gestört habe. Sie sei alt und verdreckt gewesen und
es habe sich nur ein Draht daran befunden. Er könne schwören, dass die Tasche leer
gewesen sei. Wie sich das Geschehen im Einzelnen abgespielt hat, schildert er nur sehr
unvollkommen, während die Geschehnisse um diesen Abend herum recht genau
wiedergegeben werden. Insbesondere wird nicht deutlich, was er denn beim ersten Mal,
als er zur Tasche ging, 25 Sekunden lang dort gemacht hat. In seiner
Beschuldigtenvernehmung vom 24.09.2006 (Bd. 1, Bl. 86 der Beiakten) hingegen gibt
der Beklagte - auf Vorhalt der Polizei, es sei anhand der Aufzeichnungen zu erkennen,
dass die Tasche gefüllt gewesen sei - an, die Tasche sei federleicht gewesen, ihr Inhalt
habe sich nach etwas Plastikartigem angefühlt. Bei seiner Einlassung vor dem
Haftrichter am 24.09.2003 (Bd. 1, Bl. 100 f. der Beiakten) gibt der Beklagte an, die
Tasche sei ganz leicht gewesen, so dass es für ihn den Anschein hatte, dass zwar „was
drin war, aber eben nicht € 87.000,00 in der bankautomatentypischen Stückelung“.
Damit hat er offenbar seine Angaben dem Beweisstand angepasst.
(3) Aus dem Vermerken der Polizeibeamten, die die Videoaufzeichnungen ausgewertet
haben, ergibt sich eine Aufzeichnungslücke zwischen 22.39 und 22.53 Uhr nicht. Diese
Vermerke (wie auch den übrigen Inhalt der Beiakten) hat die Klägerin zum Gegenstand
ihres Vorbringens gemacht. Dabei kann dahinstehen, ob die Aufnahmen nur durch
Bewegungsmelder ausgelöst worden sind oder ob die Kameras lückenlos aufgezeichnet
haben, was sich nach den polizeilichen Vermerken vermuten lässt. Denn in beiden Fällen
steht fest, dass zwischen 21.06 Uhr, nachdem die Mitarbeiter der Klägerin die Bank
verlassen hatten, und 22.54 Uhr, als der Beklagte hineinging, nur die Eheleute F. und
Frau J. die Bank betreten haben, ohne jedoch die Geldtasche zu bemerken oder sie
anzufassen.
Der Vermerk vom 24.09.2003 (Bd. 1, Bl. 60 f. der Beiakten) gibt die Aufzeichnungen
wieder, die die Zeiten von 20.48 bis 21:05 Uhr und von 22.40 bis 23.00 Uhr abdecken,
während die Vermerke vom 01.10.2003 (Bd. 1, Bl. 159 ff. der Beiakten) die Zeiten von
21.05 bis 22.39:59 Uhr, von 22.52:50 und 23.58:59 Uhr und von 23:59:02 bis 00.15:00
Uhr betreffen. Aus den Übersichtsaufnahmen aus dem Innenraum der S.filiale geht
hervor, dass es vier Videokameras gab, von denen zwei inaktiv waren oder deren Filme
wieder überspielt wurden. Daher ist der Tisch, auf dem sich die Geldtasche befand, nicht
gefilmt worden. Die Tür wurde jedoch lückenlos beobachtet und es ist auch erkennbar,
dass sich niemand außer dem Beklagten zu dem Tisch begeben hat, auf dem die
Geldtasche stand. Die Aufzeichnungen des elektronischen Journals bestätigen, dass
keine weiteren Kunden in der Zeit zwischen 21.06 und 22.55 Geldgeschäfte getätigt
haben. Die Zeitangaben der einzelnen Kameras und des Journals differieren zwar
geringfügig voneinander. Hierdurch wird die Lückenlosigkeit der Aufzeichnung aber nicht
beeinträchtigt.
Im Einzelnen ergibt sich aus den Vermerken, dem elektronischen Journal und den
polizeilichen Zeugenvernehmungen, dass das Ehepaar F. gegen 22.10.06 Uhr die Filiale
betrat, verschiedene Verfügungen traf und die Filiale gegen 22.15.07 Uhr wieder verließ.
Keiner der Eheleute schaute zu irgendeinem Zeitpunkt zur Geldtasche. Gegen 22.42.39
Uhr ging dann Frau J. in die Bank und verließ diese gegen 22.43.41 Uhr wieder, nachdem
sie erfolglos versucht hatte, Geld abzuheben. Auch sie ging nicht zur Tasche.
c) Die Wegnahme der Tasche mit dem darin befindlichen Geld führte zum Verlust des
unmittelbaren Mitbesitzes.
d) Der Beklagte handelte auch rechtswidrig und schuldhaft. Zwar ist ihm Vorsatz nicht
nachzuweisen, da nicht feststeht, dass er den Inhalt der Geldtasche kannte. Auch ist
nicht zu widerlegen, dass er die Tasche auf einem vor der Bank befindlichen Mülleimer
entsorgte. Jedoch hat er fahrlässig i.S.d. § 276 BGB gehandelt, indem er die in einem
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entsorgte. Jedoch hat er fahrlässig i.S.d. § 276 BGB gehandelt, indem er die in einem
besonders gesicherten Bereich in einem Geldinstitut vorgefundene, ersichtlich nicht
leere, weil etwa 950 Gramm schwere Tasche (vgl. Bd I, Bl. 184 f. der Beiakte), einfach
wegwarf. Nach seinem eigenen Bekunden sah er nicht in die Tasche hinein und handelte
damit hinsichtlich des Inhalts fahrlässig. Der Beklagte durfte nicht davon ausgehen, dass
jemand die Tasche bewusst zurückgelassen hatte und hätte bei gehöriger Sorgfalt den
Verlust deren Inhalts voraussehen und verhindern können.
e) Der Klägerin ist ein auf der Pflichtverletzung beruhender Schaden in Höhe von €
87.340,00 entstanden. Dem Besitzer sind auch sogenannte Haftungsschäden zu
ersetzen, d.h. Ansprüche, denen der Besitzer ausgesetzt ist, weil er für den Untergang
der Sache verantwortlich ist (Hag in Staudinger, BGB, Bearbeitung 1999, § 823 Rn. B
167). Der Schaden der Klägerin besteht darin, dass sie dem berechtigten Anspruch der
LBB aus § 280 I BGB wegen Pflichtverletzung aus dem Geschäftsbesorgungsvertrag
ausgesetzt war und daraufhin € 87.340,00 bezahlt hat.
f) Die Klägerin trifft jedoch ein hälftiges Mitverschulden gem. § 254 I BGB. Denn insoweit
hat sie bei der Entstehung des Schadens mitgewirkt. Sie hat ihre Organisationspflicht
erheblich verletzt, indem sie ein nicht eingespieltes und auch nicht ordentlich instruiertes
Team auf den Geldtransport geschickt hat. Unstreitig hatte der Zeuge M. noch nie einen
Geldtransport durchgeführt und war hierfür auch nicht geschult worden. Vielmehr sollte
er ursprünglich Geldautomaten warten, wie es auch seiner Aufgabe im Unternehmen der
Klägerin entsprach und war nur aufgrund eines Buchungsversehens für die Tour
eingesetzt worden. Die konkreten Aufgaben, mit denen er betraut war, hatte ihm
niemand erklärt.
Die Klägerin hat ihr Personal jedenfalls hinsichtlich dieses Geldtransportes nicht
gewissenhaft ausgesucht und eingearbeitet. Dadurch hat sie die ihr in eigenen
Angelegenheiten obliegende Sorgfalt fahrlässig außer Acht gelassen. Der durch
Unerfahrenheit der Mitarbeiter sowie mangelnde gegenseitige Kontrolle entstandene
Schaden war vorhersehbar und vermeidbar. Insbesondere wäre der Verlust der
Geldtasche rechtzeitig bemerkt worden, wenn der Zeuge M. deren Rückgabe wie
vorgesehen ordnungsgemäß quittiert hätte.
Für die Bemessung der Mitverschuldensquote ist zunächst das jeweilige Maß der
Verursachung zu berücksichtigen (Heinrichs in Palandt, aaO, § 254 Rn. 61). Hier haben
beide Parteien gleichermaßen zur Schadensentstehung beigetragen. Hätte die Klägerin
ihren Mitarbeiter M. ordentlich angeleitet oder einen erfahrenen oder zumindest
sorgfältig angelernten Mitarbeiter für die Fahrt ausgewählt, wäre der Verlust der
Geldtasche rechtzeitig bemerkt worden. Andererseits hat der Beklagte den endgültigen
Verlust der Tasche samt Inhalt herbeigeführt.
Das beiderseitige Verschulden entspricht sich ebenfalls. Die Klägerin ist mit dem
Transport äußerst hoher, nicht in ihrem Eigentum stehender Geldsummen betraut und
muss daher besonders sorgfältig damit umgehen. Insofern trifft sie ein erhebliches
Verschulden an dem Verlust des Geldes. Dem Beklagten hingegen musste sich
geradezu aufdrängen, dass er die Tasche mit dem am Gewicht deutlich erkennbaren
Inhalt nicht hätte wegwerfen dürfen.
3. Die Zinsentscheidung beruht auf §§ 280 I, II, 286 I, 2, 288 I BGB.
4. Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 92 I 1 ZPO sowie §§ 708 Nr. 10,
711 ZPO.
5. Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt,
die weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch aus Gründen der Fortbildung des Rechts
oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des
Revisionsgerichts erfordert, § 543 II ZPO.
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