Urteil des FG Niedersachsen vom 13.03.2014

FG Niedersachsen: übertragung eines betriebs, berechnung der steuer, eltern, vermögensübertragung, verpachtung, gehalt, anpassung, einspruch, vollstreckbarkeit, datenschutz

1
2
3
4
5
6
Einkommensteuer 2011
Sonderausgabenabzug von Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit
der Ablösung eines vor dem 1. Januar 2008 begründeten Nießbrauchs an
Wirtschaftsgütern des Privatvermögens.
Niedersächsisches Finanzgericht 4. Senat, Urteil vom 13.03.2014, 4 K 298/13
§ 10 Abs 1 Nr 1a EStG, § 52 Abs 23h EStG
Tatbestand
Streitig ist, ob Altenteilsleistungen als Sonderausgaben abgezogen werden
können.
Die Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr zusammen zur
Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger erzielt aus der Verpachtung
landwirtschaftlich nutzbaren Grundbesitzes Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung, die sich im Streitjahr 2011 auf 19.683 EUR beliefen. Der
Grundbesitz gehörte ursprünglich zu einem land- und forstwirtschaftlichen
Betrieb, der von dem Vater des Klägers zum 1. Januar 199… aufgegeben
worden war. Durch notariellen Vertrag vom 1. Februar 2007 wurde der
Grundbesitz im Wege vorweggenommener Erbfolge vom Vater des Klägers
auf diesen übertragen. Dabei behielt der Vater sich und für den Überlebensfall
seiner Ehefrau - der Mutter des Klägers - ein lebenslängliches
Nießbrauchsrecht an den übertragenen Wirtschaftsgütern vor. Nach dem
Übertragungsvertrag konnten die Nießbrauchsberechtigten jederzeit durch
schriftliche Erklärung auf ihr Nießbrauchsrecht verzichten. Für den Fall des
Verzichts war ihnen „ein monatlich wiederkehrender Betrag zu zahlen, der der
Höhe nach etwa den erzielbaren Netto-Pachteinnahmen des übertragenen
Grundbesitzes entsprechen […] und in der Form einer dauernden Last des
Steuerrechts“ vereinbart werden sollte.
Durch notariellen Vertrag vom 5. Oktober 2010 verzichteten die Eltern des
Klägers diesem gegenüber auf ihr Nießbrauchsrecht und vereinbarten mit ihm
ein jährliches Baraltenteil von 12.000 EUR ab 1. Januar 2011. Für den Fall,
dass sich die Nettopachteinnahmen gegenüber den Verhältnissen des 1.
Januar 2011 um mehr als 10 Prozent ändern sollten, wurde jedem der
Vertragsbeteiligten das Recht eingeräumt, eine Anpassung dieses Betrags zu
verlangen.
In der Einkommensteuererklärung machten die Kläger die im Streitjahr
erbrachten Altenteilsleistungen als Sonderausgaben im Sinne des § 10 Abs. 1
Nr. 1a des Einkommensteuergesetzes (EStG) geltend. Durch
Einkommensteuerbescheid vom 31. Januar 2013 lehnte der Beklagte (das
Finanzamt - FA -) den Abzug ab.
Mit dem am 13. Februar 2013 eingelegten Einspruch machten die Kläger
geltend, dass bei Ablösung eines Nießbrauchsrechts, das in einem vor dem 1.
Januar 2008 geschlossenen Überlassungsvertrag vereinbart worden sei, § 10
Abs. 1 Nr. 1a EStG in der vor dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung
anwendbar bleibe. Daher seien die Altenteilsleistungen im Streitfall ohne
Rücksicht darauf abziehbar, dass sie im Zusammenhang mit der Übertragung
von Privatvermögen vereinbart worden seien.
Durch Einspruchsbescheid vom 31. Oktober 2013 wies das FA den Einspruch
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus:
Gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung
könnten Versorgungsleistungen nur dann als Sonderausgaben abgezogen
werden, wenn sie im Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs oder
Teilbetriebs stünden. Im Streitfall seien die Altenteilsleistungen jedoch im
Zusammenhang mit der Übertragung von Privatvermögen vereinbart worden.
Zwar seien nach Randnummer 85 des Schreibens des Bundesministeriums
der Finanzen (BMF) vom 11. März 2010 (BStBl. I 2010, 227) bei der Ablösung
eines Nießbrauchs gegen Versorgungsleistungen die Vorschriften des § 10
Abs. 1 Nr. 1a EStG in der vor dem 1. Januar 2008 geltenden Fassung weiter
anwendbar, wenn die Ablösung selbst und ihr Zeitpunkt bereits im
Übertragungsvertrag verbindlich vereinbart worden seien. Diese
Voraussetzung sei im Streitfall aber nicht erfüllt, weil der Übertragungsvertrag
vom 1. Februar 2007 keinen konkreten Zeitpunkt für die Ablösung des
Nießbrauchs vorgesehen habe.
Hiergegen richtet sich die am 2. Dezember 2013 erhobene Klage. Zu deren
Begründung führen die Kläger aus:
Der Sonderausgabenabzug der Altenteilsleistungen richte sich im Streitfall
nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der vor dem 1. Januar 2008 geltenden
Fassung. Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 3. Juni 1992 X R
147/88 werde der sachliche Zusammenhang der Altenleistungsleistungen mit
der vorangegangenen Vermögensübertragung durch das zunächst
vereinbarte Nießbrauchsrecht nicht unterbrochen.
Die Kläger beantragen,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2011 vom 31.
Januar 2013 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom
31. Oktober 2013 die Einkommensteuer auf den Betrag
herabzusetzen, der sich unter Berücksichtigung von
Altenteilsleistungen in Höhe von 12.000 EUR als Sonderausgaben
ergibt.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Beurteilung
fest und führt aus:
Eine unter Randnummer 85 des BMF-Schreibens in BStBl. I 2010, 22 fallende
gleitende Vermögensübergabe liege nur vor, wenn die Ablösung des
Nießbrauchs durch Versorgungsleistungen bereits in dem Übergabevertrag
nach Grund und Zeitpunkt festgelegt worden sei. Daran fehle es im Streitfall,
weil es im freien Belieben der Nießbrauchsberechtigten gestanden habe, ob
und wann sie von der Ablösungsmöglichkeit Gebrauch machten.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die Versorgungsleistungen, die der Kläger aufgrund
des Vertrags vom 5. Oktober 2010 an seine Eltern erbracht hat, sind als
Sonderausgaben abziehbar.
1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 EStG in der Fassung des Artikels 1 des
Gesetzes vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I 2007, 3150) - neue Fassung (n.F.)
- sind auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende, lebenslange und
wiederkehrende Versorgungsleistungen, die nicht mit Einkünften in
18
19
20
21
wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer
Betracht bleiben, als Sonderausgaben abziehbar, wenn der Empfänger
unbeschränkt einkommensteuerpflichtig ist. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 2
EStG n.F. gilt dies aber nur für Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit
der Übertragung eines Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft,
die eine Tätigkeit im Sinne der §§ 13, 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 oder des § 18
Abs. 1 EStG ausübt (Buchstabe a), im Zusammenhang mit der Übertragung
eines Betriebs oder Teilbetriebs (Buchstabe b) oder im Zusammenhang mit der
Übertragung eines mindestens 50 Prozent betragenden Anteils an einer
Gesellschaft mit beschränkter Haftung, wenn der Übergeber als
Geschäftsführer tätig war und der Übernehmer diese Tätigkeit nach der
Übertragung übernimmt (Buchstabe c). Keine dieser Voraussetzungen liegt im
Streitfall vor, weil der Vater des Klägers seinen landwirtschaftlichen Betrieb
bereits zum 1. Januar 199… aufgegeben hatte und die von ihm durch Vertrag
vom 1. Februar 2007 auf den Kläger übertragenen Wirtschaftsgüter daher
Privatvermögen waren.
Nach § 52 Abs. 23g Satz 1 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung
(jetzt: § 52 Abs. 23h Satz 1 EStG) ist § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG n.F. auf alle
Versorgungsleistungen anzuwenden, die auf nach dem 31. Dezember 2007
vereinbarten Vermögensübertragungen beruhen. Für Versorgungsleistungen,
die auf vor dem 1. Januar 2008 vereinbarten Vermögensübertragungen
beruhen, ist daher - abgesehen von dem im Streitfall nicht vorliegenden
Ausnahmefall des § 52 Abs. 23g Satz 2 EStG (jetzt § 52 Abs. 23h Satz 2
EStG) - § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG in der Fassung vor der Änderung durch Artikel
1 des Gesetzes vom 20. Dezember 2007 (alte Fassung - a.F. -) weiter
anzuwenden.
2. Entgegen der von dem FA vertretenen Auffassung beruhen die von dem
Kläger an seine Eltern gezahlten Versorgungsleistungen auf dem
Übergabevertrag vom 1. Februar 2007, sodass sich der
Sonderausgabenabzug nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. richtet.
In dem Übergabevertrag selbst waren zwar noch keine Versorgungszahlungen
zugunsten der Eltern des Klägers vereinbart worden. Vielmehr hatte sich der
Vater des Klägers darin den Nießbrauch an den übertragenen
Wirtschaftsgütern verbunden mit dem Recht vorbehalten, zu einem späteren
Zeitpunkt durch Verzicht auf den Nießbrauch den Anspruch auf
Versorgungszahlungen zu begründen. Hierdurch wird der Zusammenhang der
den in dem Vertrag vom 5. Oktober 2010 vereinbarten Versorgungszahlungen
mit der vorangegangenen Vermögensübertragung aber nicht ausgeschlossen.
Hauptanwendungsfall der nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. als
Sonderausgaben abziehbaren dauernden Lasten waren seit jeher
lebenslängliche Versorgungsleistungen, die anlässlich der Übertragung von
Vermögen im Wege vorweggenommener Erbfolge vereinbart wurden (BFH-
Beschluss vom 15. Juli 1991 GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl. II 1992, 78,
unter C. II.3.). Der für die Abziehbarkeit als dauernde Last erforderliche
sachliche Zusammenhang mit der Vermögensübergabe wurde nach der
Rechtsprechung des BFH nicht dadurch unterbrochen, dass sich der
Übergeber zunächst den Nießbrauch an dem übertragenen Vermögen
vorbehalten hatte und der Nießbrauch später durch Versorgungszahlungen
abgelöst wurde. Dies galt nicht nur für den Fall, dass die Ablösung des
Nießbrauchs durch eine Versorgungsrente bereits in dem Übergabevertrag
fest vereinbart war (vgl. BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 14/89, BFHE 169, 25,
BStBl. II 1993, 23), sondern auch dann, wenn diese auf einem erst später
gefassten Entschluss beruhte (BFH-Urteil vom 3. Juni 1992 X R 147/88, BFHE
169, 27, BStBl. II 1993, 98). Denn in beiden Fällen wird mit der Ablösung des
Nießbrauchs durch die Versorgungsrente ein weiterer Schritt zur endgültigen
Vermögensübergabe hin vollzogen, weil der Übergeber der Notwendigkeit
enthoben wird, die Erträge des Vermögens selbst zu erwirtschaften, und
22
23
24
25
26
stattdessen vom Übernehmer des Vermögens versorgt wird. Der
wirtschaftliche Gehalt der ursprünglichen Vereinbarung - die Erträge des
übertragenen Vermögens ganz oder teilweise dem Übergeber vorzubehalten -
wird dadurch nicht verändert.
Die Maßstäbe, nach denen unter der Geltung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F.
der sachliche Zusammenhang der Versorgungsleistungen mit einer
Vermögensübergabe beurteilt wurde, müssen auch für die Beurteilung der
Frage gelten, ob Versorgungsleistungen im Sinne des § 52 Abs. 23g Satz 1
EStG auf einer vor dem 1. Januar 2008 vereinbarten Vermögensübertragung
„beruhen“. Entgegen der in Randnummer 85 des BMF-Schreibens in BStBl. I
2010, 22 vertretenen Auffassung kann die Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a
EStG a.F. bei Ablösung eines Nießbrauchs nach dem 31. Dezember 2007
deshalb nicht auf den Fall beschränkt werden, dass die Ablösung und deren
Zeitpunkt bereits in dem Übertragungsvertrag verbindlich vereinbart wurden.
Dies gilt im Streitfall umso mehr, als der Kläger bei Abschluss des
Versorgungsvertrages vom 1. Februar 2007, mit dem er seinem Vater das
Recht zur Ablösung des Nießbrauchs eingeräumt hatte, darauf vertrauen
durfte, die Erträge des übernommenen Vermögens auch in diesem Fall nur
insoweit versteuern zu müssen, als sie ihm - nach Abzug der
Versorgungsleistungen - endgültig verblieben. Demgegenüber hätte er die
Erträge bei Anwendung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG n.F. auch insoweit zu
versteuern, als er sie in Gestalt der Versorgungsleistungen an seine Eltern
weiterleiten muss. Hierdurch würde der wirtschaftliche Gehalt der
Ablösungsvereinbarung zu Lasten des Klägers verschoben, obwohl dieser bei
Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung überhaupt nicht mehr in der Lage
war, eine von dem Vater begehrte Ablösung des Nießbrauchs abzuwenden.
3. Die Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG a.F. für den
Sonderausgabenabzug der Versorgungsleistungen liegen vor. Wie unter 2.
dargelegt, bilden Versorgungsleistungen in sachlichem Zusammenhang mit
einer Vermögensübergabe den Hauptanwendungsfall der in dieser Vorschrift
genannten „auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende[n] Renten und
dauernde[n] Lasten“. Die Versorgungsleistungen sind auch keine unter das
Abzugsverbot des § 12 Nr. 2 EStG fallenden „Zuwendungen“, weil sie nicht
höher sind als die langfristig erzielbaren Erträge des übernommenen
Vermögens (vgl. Randnummer 19 des BMF-Schreibens vom 16. September
2004, BStBl. I 2004, 922). Schließlich stellen sie - in voller Höhe abziehbare -
dauernde Lasten dar, weil jeder Vertragsbeteiligte im Fall einer ins Gewicht
fallenden Änderung der Pachteinnahmen eine Anpassung des vereinbarten
Betrags verlangen kann und die Zahlungen damit der Höhe nach veränderlich
sind.
4. Unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2011 vom 31. Januar
2013 und des dazu ergangenen Einspruchsbescheids vom 31. Oktober 2013
ist die Einkommensteuer daher auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter
Berücksichtigung von Versorgungsleistungen in Höhe von 12.000 EUR als
Sonderausgaben ergeben (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung -
FGO -). Die Berechnung der Steuer kann dem FA übertragen werden (§ 100
Abs. 2 Satz 2 FGO).
Die Kosten sind dem FA als unterlegenem Beteiligten aufzuerlegen (§ 135
Abs. 1 FGO). Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben sich
aus § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1 und 3
FGO. Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Die
Frage, unter welchen Voraussetzungen an die Stelle eines Nießbrauchs
tretende Versorgungsleistungen auf einer vor dem 1. Januar 2008
vereinbarten Vermögensübertragung, hat grundsätzliche Bedeutung.