Urteil des FG Niedersachsen vom 25.03.2013

FG Niedersachsen: übertragung eines betriebs, übertragung des betriebs, treu und glauben, berechnung der steuer, bewirtschaftung, forstwirtschaft, vermögensübertragung, einkünfte, anwendungsbereich

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Versorgungsleistungen
Die Überlassung eines Betriebs zur Bewirtschaftung ist als Übertragung zu
werten
Niedersächsisches Finanzgericht 4. Senat, Urteil vom 25.03.2013, 4 K 338/11
Tatbestand
Streitig ist, ob Versorgungsleistungen aufgrund eines
Wirtschaftsüberlassungsvertrags als Sonderausgabe abziehbar sind.
Der Kläger erzielt aus der Bewirtschaftung des im Eigentum seines Großvaters
stehenden Hofes Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft. Durch
Wirtschaftsüberlassungsvertrag vom xx.xx. 1989 hatte dieser die
Bewirtschaftung des Hofes seinem Sohn A. überlassen. Nach § 3 des Vertrags
verpflichtete sich der Wirtschaftsübernehmer zur Übernahme aller den Hof
betreffenden Steuern und Lasten sowie des Kapitaldienstes der bei
„Pachtbeginn“ vorhandenen Belastungen, der Feuerversicherungsprämie für
Gebäude und Inventar, der Beiträge zum Wasser- und Bodenverband sowie
zum Berufsverband und der laufenden Gebäudeunterhaltung. Außerdem hatten
„die Verpächter“ das Recht der freien Mitbenutzung aller Einrichtungen des
Hauses sowie das Recht des freien Ein-, Aus- und Umgangs im Hause und auf
der ganzen Stelle. Für den Fall, dass sie einen eigenen Haushalt gründen
sollten, hatten sie Anspruch auf Lieferung im Betrieb gewonnener Lebensmittel
in ausreichender Menge und guter Qualität. Wegen der weiteren Einzelheiten
der getroffenen Vereinbarungen wird auf den Inhalt des
Wirtschaftsüberlassungsvertrags (Blatt 73 bis 78 der Gerichtsakte) Bezug
genommen.
Nachdem zunächst B, ein anderer Sohn des Hofeigentümers, anstelle seines
Bruders die Bewirtschaftung des Hofes übernommen hatte, trat durch eine
weitere Nachtragsvereinbarung vom xx. xx. 2008 der Kläger als
Wirtschaftsübernehmer in den Vertrag ein. Wegen der weiteren Einzelheiten wird
auf den Inhalt der Nachtragsvereinbarungen (Blatt 71 und 72 der Gerichtsakte)
Bezug genommen.
In der Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 2009 erklärte der Kläger
nach § 13a des Einkommensteuergesetzes (EStG) ermittelte Einkünfte aus
Land- und Forstwirtschaft in Höhe von x.xxx EUR. Außerdem machte er
Versorgungsleistungen aufgrund des Wirtschaftsüberlassungsvertrags in Höhe
von x.xxx EUR als Sonderausgaben geltend. Durch Einkommensteuerbescheid
vom 7. April 2011 setzte der Beklagte (das Finanzamt – FA -) die
Einkommensteuer 2009 unter Ansatz von Einkünften aus Land- und
Forstwirtschaft, jedoch ohne Berücksichtigung der dauernden Lasten fest. Die
Berücksichtigung der Versorgungsleistungen lehnte das FA unter Hinweis
darauf ab, dass es sich um einen Neuvertrag handele, bei dem die Leistungen
nach dem Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11.
März 2010 nicht mehr berücksichtigt werden könnten.
Den hiergegen eingelegten Einspruch vom 19. April 2011 wies das FA durch
Einspruchsbescheid vom 31. Oktober 2011 im Streitpunkt als unbegründet
zurück. Zur Begründung führte es aus: Wie in Tz. 22 des BMF-Schreibens vom
11. März 2010 klargestellt werde, stellten Leistungen aufgrund von ab dem 1.
Januar 2008 abgeschlossenen Wirtschaftsüberlassungsverträgen keine nach §
10 Abs. 1 Nr. 1a EStG abziehbaren Versorgungsleistungen dar. Die
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Aufwendungen seien auch nicht als Betriebsausgaben nach § 4 Abs. 4 EStG
abziehbar, weil der Wirtschaftsüberlassungsvertrag nicht wie unter fremden
Dritten abgeschlossen worden sei. Einkommensteuerrechtlich liege eine
unentgeltliche Nutzungsüberlassung vor. Der Vertrag solle die Versorgung der
überlassenden Großeltern sichern. Die Aufwendungen des Klägers stellten
daher nach § 12 Nr. 1 EStG nichtabziehbare Unterhaltsleistungen dar. Aus
anderen Gründen setzte das FA die Einkommensteuer herab.
Am 9. Dezember 2011 hat der Kläger Klage erhoben. Zu deren Begründung
führt er aus:
Bis zu der zum 1. Januar 2008 in Kraft getretenen Neufassung des § 10 Abs. 1
Nr. 1a EStG durch das Jahressteuergesetz 2008 seien Leistungen aufgrund von
Wirtschaftsüberlassungsverträgen ebenso wie solche aufgrund von
Betriebsübergabeverträgen als dauernde Lasten abziehbar gewesen. Dies sei
zuletzt in dem BMF-Schreiben vom 16. September 2004 klargestellt worden. In
dem BMF-Schreiben vom 11. März 2010 werde erstmals die Auffassung
vertreten, dass bei Vertragsabschlüssen ab 1. Januar 2008 keine abziehbaren
Versorgungsleistungen mehr vorlägen, weil es an der in der Neufassung des §
10 Abs. 1 Nr. 1a EStG vorausgesetzten „Übertragung“ des Betriebs fehle. Diese
Auslegung entspreche jedoch nicht dem Zweck der gesetzlichen Neuregelung.
Wie sich aus der Begründung des Regierungsentwurfs ergebe, habe diese das
Ziel verfolgt, den Anwendungsbereich der Vorschrift auf den betrieblichen
Bereich als eigentlichen Kernbereich der Vermögensübertragung gegen
Versorgungsleistungen zu begrenzen. Dies mache es nicht erforderlich, die
bisherige Gleichbehandlung von Betriebsübertragungs- und
Wirtschaftsüberlassungsverträgen aufzugeben. Im Übrigen sei das BMF-
Schreiben vom 11. März 2010 nach den Grundsätzen von Treu und Glauben
nicht anwendbar, weil es erst mehr als zwei Jahre nach Inkrafttreten der
gesetzlichen Neuregelung und nach Abschluss des im Streitfall zu beurteilenden
Wirtschaftsüberlassungsvertrags veröffentlicht worden sei. Falls die
Aufwendungen nicht als Sonderausgaben berücksichtigt werden könnten, seien
sie jedenfalls als Betriebsausgaben abziehbar.
Der Kläger beantragt,
unter Änderung des Einkommensteuerbescheids 2009 vom 19. April
2011 in der Gestalt des Einspruchsbescheids vom 31. Oktober 2011 die
Einkommensteuer auf den Betrag herabzusetzen, der sich ergibt, wenn
dauernde Lasten in Höhe von x.xxx EUR als Sonderausgaben bzw. als
Betriebsausgaben bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft
abgezogen werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der seinem Einspruchsbescheid zugrunde liegenden Auffassung fest
und führt ergänzend aus: Die nach der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG
vorausgesetzte Übertragung des Betriebs liege im Streitfall nicht vor. Anders als
bei einer Vorwegnahme der Erbfolge werde der Betrieb dem Übernehmer bei
einem Wirtschaftsüberlassungsvertrag noch nicht endgültig, sondern nur
probeweise übergeben. Auch die Berufung des Klägers auf den Grundsatz von
Treu und Glauben gehe fehl. Durch das BMF-Schreiben vom 11. März 2010
werde die sich nach der gesetzlichen Neufassung ergebende Rechtslage
lediglich erläutert. Übergangsregelungen aus Billigkeitsgründen seien nicht
getroffen worden und im Hinblick auf die im Gesetzgebungsverfahren
durchgeführten Anhörungen von Verbänden und Kammern auch nicht
erforderlich gewesen.
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Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet. Die von dem Kläger aufgrund des
Wirtschaftsüberlassungsvertrags erbrachten Versorgungsleistungen sind als
Sonderausgaben abziehbar.
1. Nach § 10 Abs. 1 Nr. 1a Satz 1 und Satz 2 Buchstabe b EStG in der Fassung
des Artikels 1 des Jahressteuergesetzes 2008 vom 20. Dezember 2007 (BGBl. I
S. 3150) sind auf besonderen Verpflichtungsgründen beruhende, lebenslange
und wiederkehrende Versorgungsleistungen, die nicht mit Einkünften in
wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung außer
Betracht bleiben, als Sonderausgaben abziehbar, wenn sie im Zusammenhang
mit der Übertragung eines Betriebs oder Teilbetriebs gewährt werden. Die
Neufassung ist nach § 52 Abs. 23f Satz 1 EStG auf alle Versorgungsleistungen
anzuwenden, die auf nach dem 31. Dezember 2007 vereinbarten
Vermögensübertragungen beruhen.
a) Nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 10 Abs. 1 Nr.
1a Satz 1 EStG waren als Sonderausgaben abziehbar auf besonderen
Verpflichtungsgründen beruhende Renten und dauernde Lasten, die nicht mit
Einkünften in wirtschaftlichem Zusammenhang stehen, die bei der Veranlagung
außer Betracht bleiben. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH)
waren nach dieser Vorschrift insbesondere Versorgungsleistungen im
Zusammenhang mit einer vorweggenommenen Erbfolge abziehbar.
Bestimmend hierfür war die Erwägung, dass sich die übergebende Generation
in Gestalt der Versorgungsleistungen einen Teil der künftig von der
übernehmenden Generation zu erwirtschaftenden Erträge des übergebenen
Vermögens vorbehält, so dass die Übernahme der Versorgungsleistungen
weder ein zu Anschaffungskosten führendes Entgelt für die Übertragung des
Vermögens darstellt noch den Charakter einer nichtabziehbaren Zuwendung im
Sinne des § 12 Nr. 2 EStG hat (vgl. Beschlüsse des Großen Senats des BFH
vom 5. Juli 1990 GrS 4-6/89, BFHE 161, 317, BStBl. II 1990, 847, und vom 12.
Mai 2003 GrS 1/00, BFHE 202, 464, BStBl. II 2004, 95, und GrS 2/00, BFHE
202, 477, BStBl. II 2004, 100, sowie die dazu ergangene Folgerechtsprechung,
z.B. BFH-Urteil vom 16. Juni 2004 X R 22/99, BFHE 206, 400, BStBl. II 2004,
1053). Gegenstand einer Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen
konnte nicht nur die Übertragung von Betriebsvermögen, sondern auch die
Übertragung von Privatvermögen, insbesondere Kapital- und Grundvermögen,
sein (BFH-Beschluss in BFHE 202, 464, BStBl. II 2004, 95).
Den Versorgungsleistungen im Zusammenhang mit einer vorweggenommenen
Erbfolge wurden nach der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Rechtslage
Leistungen gleichgestellt, die der Nutzungsberechtigte bei einem sogenannten
Wirtschaftsüberlassungsvertrag an den Hofeigentümer zu erbringen hatte,
sofern es sich dabei nicht um Unterhaltsleistungen handelte (BFH-Urteile vom
18. Februar 1993 IV R 50/92, BFHE 170, 557, BStBl. II 1993, 548, und IV R
106/92, BFHE 170, 553, BStBl. II 1993, 546). Ein
Wirtschaftsüberlassungsvertrag in diesem Sinne liegt vor, wenn ein Landwirt
einem - typischerweise erbberechtigten - Angehörigen ohne Vereinbarung eines
fremdüblichen Entgelts das alleinige Nutzungsrecht am gesamten land- und
forstwirtschaftlichen Vermögen, das volle Verfügungsrecht über das lebende
und tote Inventar und die alleinige Entscheidungsbefugnis für alle zur Führung
des Betriebs erforderlichen Maßnahmen bis zum Eintritt des Erbfalls oder
zumindest für einen nicht nur vorübergehenden Zeitraum einräumt (BFH-Urteil
vom 5. Februar 1976 IV R 31/74, BFHE 118, 37, BStBl. II 1976, 335).
Maßgebend für die Gleichstellung des Wirtschaftsüberlassungsvertrags mit der
Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen war die Überlegung,
dass es sich auch bei diesem um einen familienrechtlichen Vertragstypus mit
erbrechtlichen Bezug handelt, dem in aller Regel die Vermögensübertragung in
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Vorwegnahme der künftigen Erbregelung folgt oder der durch den Erbfall selbst
beendet wird (BFH-Urteil in BFHE 170, 553, BStBl. II 1993, 546, unter 2. b) und
es sich bei den von dem Nutzungsberechtigten übernommenen Leistungen
deshalb nicht um ein Entgelt für die Nutzungsüberlassung, sondern um Erträge
aus der Nutzung des überlassenen Vermögens handelt, die sich der
Hofeigentümer vorbehalten hat (BFH-Urteil in BFHE 170, 557, BStBl. II 1993,
548, unter 2. b).
b) Entgegen der Auffassung des FA hat sich durch die Neufassung des § 10
Abs. 1 Nr. 1a EStG an der Abziehbarkeit der aufgrund von
Wirtschaftsüberlassungsverträgen erbrachten Leistungen nichts geändert. Die
gegenteilige Auffassung in Tz. 22 des BMF-Schreibens vom 11. März 2010
(BStBl. I 2010, 227), dass eine begünstigte Vermögensübertragung im
Zusammenhang mit Versorgungsleistungen in diesen Fällen erst bei der
späteren tatsächlichen Übertragung des Hofs und Betriebs vorliege, wird dem
Zweck der gesetzlichen Neuregelung nicht gerecht. Diese war - wie sich aus der
Begründung zu Art. 1 Nr. 5 des Regierungsentwurfs des Jahressteuergesetzes
(Bundesratsdrucksache 544/07, Seite 66) ergibt - darauf gerichtet, das
Rechtsinstitut der Vermögensübergabe gegen Versorgungsleistungen auf
seinen Kernbereich, nämlich die Übertragung von Betriebsvermögen,
zurückzuführen, und zur Verhinderung von Mitnahmeeffekten und
missbräuchlichen Gestaltungen die Übertragung von Privatvermögen
(insbesondere Grundbesitz und Wertpapiervermögen) aus dem
Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 1a EStG auszuschließen. Die Absicht,
die Möglichkeit des Sonderausgabenabzugs von Versorgungsleistungen auch
im betrieblichen Bereich gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage
einzuschränken, lässt sich der Gesetzesbegründung nicht entnehmen. Dies
spricht dafür, unter der „Übertragung“ eines Betriebs im Sinne des § 10 Abs. 1
Nr. 1a Satz Buchstabe b nicht nur dessen Übereignung, sondern alle
Rechtsvorgänge zu verstehen, bei denen die Führung des Betriebs ohne
Gewährung eines fremdüblichen Entgelts in der Weise auf einen Dritten
übertragen wird, dass diesem die aus der Bewirtschaftung erzielten laufenden
Einkünfte zuzurechnen sind (ebenso Giere, in Felsmann,
Einkommensbesteuerung der Land- und Forstwirte, Anmerkung A 693a).
Diese Voraussetzungen sind - wie zwischen den Beteiligten unstreitig ist - bei
dem von dem Kläger mit seinem Großvater geschlossenen
Wirtschaftsüberlassungsvertrag erfüllt. Die Höhe der von dem Kläger aufgrund
des Vertrags erbrachten Versorgungsleistungen ist zwischen den Beteiligten
ebenfalls nicht streitig. Schließlich stellten diese auch keine nach § 12 Nr. 2
EStG nichtabziehbaren Unterhaltsleistungen dar. Solche liegen regelmäßig nur
dann vor, wenn der Wert der Gegenleistung bei überschlägiger und großzügiger
Berechnung weniger als die Hälfte des Werts der Versorgungsleistungen beträgt
(BFH-Urteile in BFHE 170, 553, BStBl. II 1993, 546, unter III., in BFHE 70, 557,
BStBl. II 1993, 548, unter 2.). Dafür fehlt im vorliegenden Fall jeder Anhaltspunkt.
2. Die Einkommensteuer ist daher auf den Betrag herabzusetzen, der sich unter
Abzug von Versorgungsleistungen in Höhe von x.xxx EUR als Sonderausgaben
ergibt (§ 100 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO -). Die
Berechnung der Steuer kann dem FA übertragen werden (§ 100 Abs. 2 Satz 2
FGO). Die Kosten sind dem FA als dem unterlegenen Beteiligten aufzuerlegen
(§ 135 Abs. 1 FGO). Die Anordnungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeben
sich aus § 708 Nr. 10 und § 711 der Zivilprozessordnung i.V.m. § 151 Abs. 1
und 3 FGO). Die Zulassung der Revision beruht auf § 115 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2
Nr. 1 FGO. Die Frage, wie Versorgungsleistungen aufgrund von
Wirtschaftsüberlassungsverträgen nach der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 1a
EStG zu beurteilen sind, hat grundsätzliche Bedeutung.