Urteil des FG Münster vom 31.03.2004

FG Münster (Wesentliche Beteiligung, Unechte Rückwirkung, Wiedereinsetzung in den Vorigen Stand, Verfassungskonforme Auslegung, Einspruch, Beteiligter, Einkünfte, Vorverfahren, Anteil, Entstehung)

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Münster, 8 K 7113/01 F
31.03.2004
Finanzgericht Münster
8. Senat
Urteil
8 K 7113/01 F
Die Einspruchsentscheidung vom 04.12.2001 wird aufgehoben.
Unter Änderung des Einkommensteuerbescheides vom 13.10.2003 wird
die Einkommensteuer für 1999 auf 0,00 DM herabgesetzt.
Unter Änderung des Bescheides zum 31.12.1999 über die gesonderte
Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Einkommensteuer
vom 30.01.2001 in der Fassung der geänderten Bescheide vom
13.05.2002, 20.03.2003, 28.08.2003 und 13.10.2003 wird der verbleiben-
de Verlust auf 428.238,00 DM festgestellt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung ohne Sicherheitsleistung
vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Si-
cherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des Kostenerstattungsan-
spruchs des Klägers abwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicher-heit
in derselben Höhe leistet.
T a t b e s t a n d :
Zu entscheiden ist, ob dem Kläger (Kl.) ein im Jahre 1999 erzielter Veräußerungsgewinn
steuerfrei zu belassen ist, den er aus dem Verkauf seiner Anteile an einer
Kapitalgesellschaft erzielt hat, oder ob dieser Veräußerungsgewinn steuerpflichtig ist, weil
der Gesetzgeber die für die Steuerpflicht maßgebende Grenze einer wesentlichen
Beteiligung (§ 17 Einkommensteuergesetz -EStG-) ab dem Veranlagungszeitraum 1999,
dem Streitjahr, von bisher 25 v. H. auf 10 v. H. herabgesetzt hat.
Die Kl. werden gemeinsam zur Einkommensteuer veranlagt. Der Kl. war bis in das Jahr
1999 hinein Anteilseigner der "A AG". Bis Mitte August 1998 betrug sein Anteil 18,5 %.
Durch Verkäufe von Aktien reduzierte sich dieser Anteil zu diesem Zeitpunkt, also noch im
Jahre 1998, auf 8 %. Mit Vertrag vom 16.02.1999 veräußerte der Kl. seine verbliebenen
93.000 Aktien an der genannten Gesellschaft für 930.000,00 DM an seine Ehefrau. Seine
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Anschaffungskosten hatten 465.000,00 DM betragen, so dass ein Veräußerungsgewinn in
Höhe von 465.000,00 DM entstand.
Der Beklagte (Bekl.) hatte zunächst die Einkommensteuer für das Jahr 1999 mit Bescheid
vom 23.06.2000 im Wesentlichen antragsgemäß festgesetzt. Infolge eines Verlustvortrages
aus dem Jahre 1998 betrug die Einkommensteuer zum damaligen Zeitpunkt 0,00 DM. In
der Folgezeit ergingen am 25.07.2000 und 30.01.2001 geänderte
Einkommensteuerbescheide, mit denen die Einkommensteuer jeweils bei 0,00 DM
verblieb, jedoch die Berechnungsgrundlagen zur Einkommensteuer geändert worden
waren. Im Rahmen des dazu erfolgten Schriftwechsels hatte der Kl. den
Veräußerungsvorgang angezeigt, der erstmalig in den Besteuerungsgrundlagen für die
Einkommensteuerfestsetzung vom 30.01.2001 seinen Niederschlag gefunden hatte. Ein
Einspruchsverfahren gegen die Einkommensteuerfestsetzung wurde durch Rücknahme
des Einspruches im November des Jahres 2001 abgeschlossen.
Mit Bescheid vom 30.01.2001 hatte der Bekl., ausgehend von einem verbleibenden
Verlustabzug zum 31.12.1998, auch einen verbleibenden Verlustabzug zum 31.12.1999
festgestellt. Das hiergegen gerichtete Einspruchsverfahren, mit dem der Kl. eine Erhöhung
des verbleibenden Verlustabzuges zum 31.12.1999 erstrebte, weil er den Gewinn aus der
Veräußerung der Aktien nicht als steuerpflichtig ansah, war ohne Erfolg. Mit
Einspruchsentscheidung vom 04.12.2001 wurde der Einspruch als unbegründet
zurückgewiesen.
Mit der daraufhin erhobenen Klage verfolgt der Kl. sein Begehren weiter.
Im Rahmen des Klageverfahrens ergingen am 13.05.2002 und am 20.05.2003 geänderte
Bescheide zur Feststellung des verbleibenden Verlustes zum 31.12.1999. Ferner war am
20.02.2003 auch ein geänderten Einkommensteuerbescheid aus anderen Gründen
erlassen worden, mit dem die Einkommensteuerfestsetzung jedoch bei 0,00 DM verblieb.
Aufgrund weiterer Änderungen von Beteiligungseinkünften ergingen am 28.08.2003 und
13.10.2003 weitere Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 1999, die unter denselben
Daten wiederum geänderte Bescheide zum 31.12.1999 über die gesonderte Feststellung
des verbleibenden Verlustes zur Einkommensteuer nach sich zogen. Die geänderten
Einkommensteuerbescheide für 1999 beließen die Einkommensteuer nicht mehr bei 0 DM,
sondern setzten sie auf 3.094,34 DM (Bescheid vom 28.08.2003) bzw. 1.404,01 DM
(Bescheid vom 13.10.2003) fest. Dementsprechend wurden mit den
Verlustfeststellungsbescheiden vom 28.08.2003 und 13.10.2003 die verbleibenden
Verlustabzüge zum 31.12.1999 auf jeweils 0 DM festgestellt.
Die Kl. hatten gegen den geänderten Einkommensteuerbescheid vom 28.08.2003, der in
seinen Erläuterungen u. a. den Hinweis enthält, dass "das laufende Klageverfahren gegen
den Verlustfeststellungsbescheid auf den 01.01.1999" durch diese Festsetzung nicht
erledigt sei, zunächst Einspruch eingelegt. Diesen Einspruch haben sie am 13.10.2003
zurückgenommen, nachdem der Bekl. den telefonischen Hinweis gegeben hatte, die Frage
der Steuerpflicht des Veräußerungsgewinnes sei bereits beim Finanzgericht anhängig, so
dass ein Einspruch nicht notwendig sei. Gegen den Einkommensteueränderungsbescheid
für 1999 vom 13.10.2003 wurde zunächst kein Einspruch eingelegt. Auf Antrag des Kl.
wurde der Einkommensteueränderungsbescheid für 1999 vom 13.10.2003 jedoch von der
Vollziehung ausgesetzt. Mit Schriftsatz vom 30.03.2004 hat der Bevollmächtigte der Kl.
nunmehr gegen den Einkommensteuerbescheid vom 13.10.2003 ausdrücklich Einspruch
eingelegt und Wiedereinsetzung beantragt.
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Die Kl. meinen, dass nicht nur die geänderten Bescheide zur Feststellung des
verbleibenden Verlustes nach § 68 FGO Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens
geworden seien, sondern auch die beiden Änderungsbescheide vom 28.08.2003 und
13.10.2003 zur Einkommensteuer 1999, mit denen erstmals eine Steuer festgesetzt worden
ist, die mehr als 0 DM beträgt. Auf die formelle Rücknahme des Einspruches gegen den
Bescheid vom 28.08.2003 komme es daher nicht an. Hilfsweise müsse jedoch auch
insoweit und bzgl. des Einkommensteueränderungsbescheides vom 13.10.2003
Wiedereinsetzung gewährt werden. Der Bekl. habe durch sein Verhalten signalisiert, dass
über die Frage der Steuerpflicht des Veräußerungsgewinnes nach § 17 EStG im
anhängigen Klageverfahren noch zu entscheiden sei. Einsprüche seien daher aus
damaliger Sicht nicht notwendig gewesen. Wegen der dadurch offenen
Einkommensteuerfestsetzung für 1999 könne damit in jedem Fall auch im Rahmen des
Verfahrens zur Feststellung des verbleibenden Verlustes trotz formell positiver
Einkommensteuerfestsetzung für 1999 noch entschieden werden.
Zur Frage der Versteuerung des Gewinnes aus der Beteiligung verweist der Kl. im
Wesentlichen darauf, dass zum Zeitpunkt der gesetzlichen Herabsetzung der
Wesentlichkeitsgrenze im Sinne des § 17 EStG mit Wirkung zum 01.01.1999 eine
wesentliche Beteiligung an der Gesellschaft nicht mehr bestanden habe. Ein
Veräußerungsgewinn dürfe daher steuerlich nicht erfasst werden. Das ergebe sich zum
Einen direkt aus dem Wortlaut des § 17 Abs. 1 EStG, wonach ein Veräußerungsgewinn nur
dann steuerpflichtig ist, wenn der Anteilseigner zu dem nach dem jeweiligen Zeitpunkt
geltenden Recht wesentlich beteiligt ist. Zum Anderen würde die gegenteilige Auffassung,
die Wesentlichkeitsgrenze auf frühere Zeiträume auszudehnen, einen Verstoß gegen das
verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot darstellen. Wegen weiterer Einzelheiten wird
auf die Klageschrift vom 21.12.2001 und die Schriftsätze an das Gericht und den Bekl. vom
30.03.2004 Bezug genommen.
Der Kl. beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 04.12.2001 aufzuheben sowie unter
Änderung des geänderten Bescheides vom 13.10.2003 zur Einkommensteuer 1999 die
Einkommensteuer auf 0,00 DM herabzusetzen und unter Änderung des Bescheides über
die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zur Einkommensteuer zum
31.12.1999 vom 30.01.2001 in der Fassung der geänderten Bescheide vom 13.05.2002,
20.02.2003 und 28.08.2003 und 13.10.2003 den verbleibenden Verlust zum 31.12.1999 auf
428.238,00 DM festzustellen, die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das
Vorverfahren für notwendig zu erklären und hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Bekl. beantragt, die Klage abzuweisen, hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Er meint, neben den geänderten Bescheiden zur Feststellung des verbleibenden
Verlustabzuges seien auch die Änderungsbescheide zur Einkommensteuer 1999 vom
28.08.2003 und 13.10.2003 Gegenstand des Klageverfahrens geworden. Die Festsetzung
einer positiven Einkommensteuer sei an die Stelle des bis dahin allein streitigen
Bescheides zum 31.12.1999 über die Feststellung des verbleibenden Verlustes getreten (§
68 FGO). Zur materiell-rechtlichen Seite trägt er im Wesentlichen vor, dass nach der
geänderten Wesentlichkeitsgrenze in § 17 EStG, die ab dem 01.01.1999 gilt, von einer
wesentlichen Beteiligung des Kl. ausgegangen werden müsse. Zwar sei die Beteiligung
des Kl. im Streitjahr 1999 mit 8 Prozent nominell unter der neuen Wesentlichkeitsgrenze
(Relevanzschwelle) von 10 %. Dieses sei jedoch nicht entscheidend, denn nach dem
Gesetzeswortlaut sei eine wesentliche Beteiligung auch dann gegeben, wenn der
Veräußerer innerhalb der letzten 5 Jahre mit mindestens 10 v. H. am Stammkapital der
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Gesellschaft beteiligt gewesen sei. Dieses treffe für den Kl. zu, denn seine Beteiligung
habe bis Mitte August 1998 18,5 % betragen. Wegen des Gesetzeswortlautes sei es,
unerheblich dass diese Beteiligung danach, noch vor der Gesetzesänderung, auf unter 10
% abgesenkt worden sei. Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der
Einspruchsentscheidung vom 04.12.2001 verwiesen.
Im Übrigen wird auf die die Bescheide zur Einkommensteuer 1999, die Bescheide zum
31.12.1999 über die Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges und auf die
Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 31.03.2004 Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Klage ist zulässig und begründet.
Zu Recht gehen die Beteiligten davon aus, dass der Bescheid vom 28.08.2003 zur
Änderung der Einkommensteuerfestsetzung für 1999 auf einen Betrag, der größer als 0 DM
ist, ohne ein weiteres Vorverfahren Gegenstand des vorliegenden Klageverfahrens
geworden war (§ 68 FGO). Da der Einkommensteueränderungsbescheid für 1999 vom
13.10.2003 an die Stelle des Bescheides vom 28.08.2003 getreten ist, ist dieser Bescheid
(ebenfalls) nach § 68 FGO Gegenstand der gerichtlichen Prüfung.
Damit kann auch über die streitige materiell-rechtliche Frage zu § 17 FGO sowohl bei der
Überprüfung der Einkommensteuerfestsetzung für 1999 als auch bei der Überprüfung der
Rechtmäßigkeit des unter Berücksichtigung des § 68 FGO zuletzt geltenden Bescheides
vom 13.10.2003 über den verbleibenden Verlustabzugs zum 31.12.1999 entschieden
werden. Die Rechtsprechung (vgl. BFH-Urteil vom 09. Dezember 1998 IX R 62/97, BFHE
187, 523, BStBl. II 2000, 3), nach der keine Feststellung eines verbleibenden Verlustes
mehr erfolgen kann, wenn eine Einkommensteuerfestsetzung für das betreffende Jahr mit
einem positiven Gesamtbetrag der Einkünfte nicht mehr änderbar ist, steht daher der
Überprüfung des Bescheides vom 13.10.2003 über die Feststellung des verbleibenden
Verlustabzuges zum 31.12.1999 nicht entgegen. Hinsichtlich des letztgenannten
Bescheides würde das im Übrigen auch dann geltend, wenn man die
Einkommensteuerfestsetzung für 1999 nicht nach § 68 FGO als Gegenstand des
Klageverfahrens ansieht, denn auch in diesem Fall wäre die Einkommensteuerfestsetzung
für 1999 noch als offen anzusehen.
Entgegen der Auffassung des Bekl. ist jedoch der Veräußerungsgewinn aus dem im Jahre
1999 durchgeführten Verkauf der Beteiligung des Kl. an der "Gesellschaft für
Kommunalleasing AG" kein steuerpflichtiger Gewinn im Sinne des § 17 EStG, denn der Kl.
war kein wesentlicher Beteiligter im Sinne des § 17 EStG. Die Herabsetzung der
Wesentlichkeitsgrenze (Relevanzschwelle) ab dem 01.01.1999 auf 10 v. H. begründet im
Streitfall bei verfassungskonformer Auslegung dieser Neuregelung keine Steuerpflicht für
den Gewinn des Kl., weil er auch zuvor unter Geltung der bisherigen
Wesentlichkeitsgrenze (Beteiligung von mehr als 25 v. H.) kein wesentlich Beteiligter
dieser Gesellschaft war. Die Einkommensteuerfestsetzung für 1999 und die Feststellung
des verbleibenden Verlustabzuges zum 31.12.1999, die von der gegenteiligten
Rechtsauffassung ausgehen, verletzen den Kl. daher in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz
1 FGO).
I.
Die Klage ist zulässig.
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Das betrifft nicht nur die Anfechtung der Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges
zum 31.12.1999, sondern auch die Anfechtung der Einkommensteuerfestsetzung für 1999.
Unerheblich ist, dass hinsichtlich der Einkommensteuerfestsetzung für 1999 ein
außergerichtliches Vorverfahren fehlt, denn die Zulässigkeit ergibt sich insoweit aus § 68
FGO.
Nach § 68 FGO wird der neue Verwaltungsakt Gegenstand des Verfahrens, wenn der
angefochtene Verwaltungsakt nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung geändert
oder ersetzt wird. Die Begriffe Änderung und Ersetzung sind weit auszulegen. Diese
Auslegung hat sich am Sinn des § 68 FGO zu orientieren (vgl. Tipke-Kruse, Kommentar zur
Abgabenordnung und zur Finanzgerichtsordnung, Stand: November 2003, § 68 FGO, Tz.
11 und Gräber, 5. Aufl., Kommentar zur Finanzgerichtsordnung 2002, § 68 FGO, Tz. 60). §
68 FGO soll verhindern, dass der Kl., der einen Änderungs- oder Ersatzbescheid während
des Klageverfahrens erhält, sich erneut in das außergerichtliche Rechtsbehelfsverfahren
begeben muss. Die Regelung stellt für den Kl. eine Schutznorm dar. Die Finanzbehörde
soll nicht durch Ersetzen oder Änderung bewirken können, dass der Kl. aus dem
gerichtlichen Verfahren gedrängt wird und zum verfahrensrechtlichen Ausgangspunkt
(außergerichtliches Vorverfahren) zurückkehren muss. Darüber hinaus dient die Regelung
der Verfahrensvereinfachung, -konzentration und -beschleunigung (vgl.Tipke-Kruse, § 68
FGO, Tz. 3). Eine Ersetzung oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes kann
dann angenommen werden, wenn dieselbe Steuersache durch beide Verwaltungsakte
betroffen ist - diese Voraussetzungen sind hier auch durch die im Klageverfahren
ergangenen Änderungsbescheide vom 13.05.2002, 20.05.2003, 28.08.2003 und
13.10.2003 zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31.12.1999 erfüllt.
Ausreichend ist aber auch, dass die Regelungsbereiche zweier Verwaltungsakte teilweise
identisch sind (vgl. Gräber, § 68 FGO, Tz. 75).
Im Streitfall ersetzen die Einkommensteuerfestsetzungen vom 28.08.2003 und 13.10.2003
den bis dahin angefochtenen Bescheid über die Feststellung des verbleibenden
Verlustabzuges zum 31.12.1999 vom 30.01.2001 in der Fassung der geänderten
Bescheide vom 13.05.2003 und 20.02.2003 teilweise - die danach ergangenen
Änderungsbescheide vom 28.08.2003 und 13.10.2003 treten dann gemäß § 68 FGO
wiederum an die Stelle des vorher ergangenen Bescheides. Zwar ist der vordergründige
Regelungsbereich der Einkommensteuerfestsetzung die Festsetzung der Steuerschuld.
Grundlage dieser Festsetzung sind aber die Besteuerungsgrundlagen, u. a. der
Gesamtbetrag der Einkünfte. Dieser kann wiederum Auswirkungen auf die
Verlustfeststellung nach § 10 d EStG haben.
Zwar gilt das nicht für einen Einkommensteuerbescheid, der eine
Einkommensteuerfestsetzung auf 0,00 DM enthält, denn derartige Festsetzungen entfalten
keine bindende Wirkung für eine Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges (vgl.
BFH-Urteil vom 9. Mai 2001, XI R 25/99, BFHE 195, 545, BStBl. II 2002, 817 und vom 14.
Juni 2000, XI R 4/00, BFH/NV 2000, 1465).
Anderes gilt jedoch, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte in dem
Einkommensteuerbescheid des Streitjahres, für das eine Feststellung des verbleibenden
Verlustes begehrt wird, positiv ist. In diesem Fall kann nach der Rechtsprechung des BFH
keine Feststellung des verbleibenden Verlustes erfolgen, wenn die entsprechende
Einkommensteuerfestsetzung nicht mehr änderbar ist (vgl. BFH-Urteil vom 9. Dezember
1998, XI R 62/97, BFHE 187, 523, BStBl. II 2000, 3 sowie Urteile der Finanzgerichte
Münster vom 28. August 1997, 13 K 6054/96 F, EFG 1997, 1435 und des
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Niedersächsischen Finanzgerichtes vom 25. April 1996, XII 82/95, EFG 1997, 276). Aus
diesem Grunde entfällt durch einen Einkommensteuerbescheid, der abweichend von einem
früheren Bescheid einen positiven Gesamtbetrag der Einkünfte enthält und damit auch zu
einer Änderung des Bescheides über die Feststellung des verbleibenden Verlustes für das
betreffende Jahr führt, inhaltlich gesehen, auch der zuvor im Klageverfahren angefochtene
Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustes insoweit teilweise, als der bis
dahin geltende Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustes noch von
einem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte und damit von einem festzustellenden Verlust
ausgeht. Eine derartige geänderte Einkommensteuerfestsetzung ersetzt daher insoweit den
bisherigen Bescheid über die Feststellung des verbleibenden Verlustes (§ 68 FGO).
II.
Die Klage ist auch begründet.
Der Gewinn des Kl. aus der Veräußerung seiner Beteiligung im Jahre 1999 an der "A AG"
unterliegt, entgegen der Auffassung des Bekl., nicht der Besteuerung nach § 17 Abs. 1
EStG. Die Prüfung dieser materiell-rechtlichen Frage hat hier selbst dann zu erfolgen, wenn
man die Auffassung des Senats nicht teilt, dass die Änderungsbescheide vom 28.08.2003
und 13.10.2003 zur Einkommensteuer 2003 gemäß § 68 FGO Gegen-stand des
Klageverfahrens geworden sind, denn in diesem Falle sind die Fragen zu § 17 Abs. 1 EStG
im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit des geänderten Bescheides vom
13.10.2003 über die Feststellung des verbleibendes Verlustabzuges zum 31.12.1999 zu
prüfen und zu entscheiden. Die Rechtsprechung, wonach keine Feststellung eines
verbleibenden Verlustes mehr erfolgen kann, wenn der Gesamtbetrag der Einkünfte in dem
Einkommensteuerbescheid des betreffenden Streitjahres positiv ist und wenn diese
Einkommensteuerfestsetzung nicht mehr änderbar (vgl. BFH-Urteil vom 09. Dezember
1998, XI R 62/97, BFHE 187, 523, BStBl. II 2000, 3), steht dem nicht entgegen, denn die
Einkommensteuerfestsetzung für 1999 wäre auch ohne Anwendung des § 68 FGO als
änderbar anzusehen, weil sie auch dann nicht bestandskräftig geworden ist. Zwar wurde
vom Bevollmächtigten des Kl. ein Einspruch gegen den
Einkommensteueränderungsbescheid für 1999 vom 28.08.2003, mit dem erstmals eine
positive Einkommensteuer festgesetzt worden ist, wieder zurückgenommen. Auch liegt
innerhalb der gesetzlichen Monatsfrist kein weiterer Einspruch gegen den
Änderungsbescheid zur Einkommensteuer vom 13.10.2003 vor. Die Monatsfrist zur
Einlegung von Einsprüchen gegen die genannten Einkommensteuerfestsetzungen sind in
diesem Fall jedoch als gewahrt anzusehen, denn dem Kl. wäre nach § 110 AO
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Zwar wird von berufsmäßigen
Vertretern, zu denen die Bevollmächtigten des Kl. zählen, erwartet, dass sie das
Verfahrensrecht grundsätzlich kennen. Ein Verfahrensrechtsirrtum ist daher grundsätzlich
als schuldhafter Irrtum anzusehen, der eine Wiedereinsetzung ausschließt. Anderes gilt
jedoch, wenn Unklarheiten über das einzuschlagende Verfahren bestehen, die
Gesetzeslage unübersichtlich ist und es der Betroffene aufgrund vertretbarer rechtlicher
Erwägungen unterlässt, sein Recht innerhalb der gesetzlichen Frist geltend zu machen
(vgl. nur Tipke/Kruse, § 110 AO Tz. 42 und 43 m. w. N.). Im Streitfall müssten diese
Voraussetzungen bejaht werden, wenn man nicht den Weg über § 68 FGO geht. Das gilt
hier umso mehr, als selbst der Bekl. in seinem ersten Änderungsbescheid zur
Einkommensteuer 1999 vom 28.08.2003 ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass das
Klageverfahren zur Feststellung des verbleibenden Verlustabzuges zum 31.12.1999
dadurch nicht erledigt ist, sondern auch materiell-rechtlich noch offen ist, zumal der Bekl.
diese, seine Auffassung auch dadurch beibehalten hat, dass er eine entsprechende
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telefonische Auskunft gegeben hat und den Bescheid über die
Einkommensteuerfestsetzung für 1999, die einen positiven Steuerbetrag ausweist, von der
Vollziehung ausgesetzt hat. Damit hat der Senat in jedem Fall über die Frage zu
entscheiden, ob der Kl. nach der Neufassung des § 17 Abs. 1 EStG durch den Verkauf
seiner Beteiligung auch wesentlich Beteiligter im Sinne dieser Regelung war.
Gemäß § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der bis zum Veranlagungszeitraum 1998 geltenden
Fassung ist eine wesentliche Beteiligung gegeben, wenn der Veräußerer an der
Gesellschaft zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar beteiligt war. In der für
den streitigen Veranlagungszeitraum 1999 geltenden Fassung des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I 1999,
402) gilt bereits eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung von mindestens 10 v. H. als
wesentliche Beteiligung. In einer erneut geänderten Fassung, die ab dem
Veranlagungszeitraum 2001 Geltung erlangt hat, hat der Gesetzgeber das Merkmal der
wesentlichen Beteiligung ganz fallen gelassen. Er sieht nunmehr Gewinne aus der
Veräußerung von Beteiligungen in Höhe von mindestens 1 v. H. als steuerpflichtig an (§ 17
Abs. 1 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuersenkungsgesetzes vom 23. Oktober 2000
Bundesgesetzblatt I 2000, 1433, nochmals teilweise geändert durch das Gesetz zur
Änderung des Steuersenkungsgesetzes vom 19.12.2000, Bundesgesetzblatt I 2000, 1812).
Im vorliegenden Fall entscheidet sich die Frage, ob der Veräußerungsgewinn von 465.000
DM ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn ist oder nicht, danach, wie man die neue
Gesetzesfassung auslegt. Betrachtet man alleine § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG, ist der Gewinn
als steuerfrei zu behandeln, denn der Kl. unterschreitet im Veranlagungszeitraum die nach
§ 17 Abs. 1 Satz 4 EStG maßgebende Beteiligungshöhe
(Wesentlichkeitsgrenze/Relevanzschwelle) von mindestens 10 v. H.; er war seit August
1998 nur mit 8 v. H. beteiligt. Nimmt man den Teilwortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG
hinzu, wonach der Gewinn zu erfassen ist, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten 5
Jahre wesentlich Beteiligter war, kann der Veräußerungsgewinn des Kl. unter Umständen
als steuerpflichtig angesehen werden. Zwar war der Kl. nach der bis 1998 geltenden
Fassung kein wesentlich Beteiligter, weil seine Beteiligung die bis dahin geltende
Relevanzschwelle von mehr 25 v. H. nicht erreicht und zwar auch nicht in den Jahren vor
1998. Die bis 1998 bestehende Beteiligungshöhe von 18,5 v. H. überschreitet aber zum
Einen die Relevanzschwelle von 10 v. H. der ab dem Veranlagungszeitraum 1999
geltenden Fassung. Zum anderen liegt diese Überschreitung auch innerhalb der 5-
Jahresfrist des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG. Gegen diese, am reinen Wortlaut orientierte
Auslegung der Neufassung des § 17 Abs. 1 EStG spricht jedoch, dass der Gesetzgeber die
Relevanzschwelle erst ab dem 01.01.1999 herabgesetzt hat. Folgt man mit der
Finanzverwaltung der reinen Wortlautauslegung würde im Streitfall ein Gewinn im Jahre
1999 steuerlich erfasst, obwohl der Kl. bis zu seinem Verkauf am 16.02.1999 nach der bis
dahin geltenden Gesetzeslage davon ausgehen konnte, die Veräußerung sei steuerfrei - er
war ja bis dahin weder mit seinen 8 v. H. zum Verkaufstag noch mit der davor bestehenden
Beteiligung im Jahre 1998 in Höhe von 18,5 v. H. wesentlich Beteiligter im Sinne des § 17
EStG. Die Regelung des § 52 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes
1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I 1999, 402) zur allgemeinen
zeitlichen Anwendung neuer bzw. geänderter steuerrechtlicher Regelungen löst diesen
Widerspruch nicht, denn sie enthält für diese Problemfälle keine Übergangsregelung.
Nach der zu § 17 Abs. 1 EStG in der bis 1998 geltenden Fassung wird eine wesentliche
Beteiligung bereits dann angenommen, wenn die (damals geltende Beteiligungshöhe von
mehr als 25 v. H.) zu irgendeinem Zeitpunkt innerhalb der letzten fünf Jahre vor der
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Veräußerung erreicht oder überschritten worden ist (vgl. z. B. BFH-Beschluss vom 18.
Januar 1999, VIII B 80/98, BFHE 187, 565, BStBl. II 1999 486 und BFH-Urteile vom 20.
April 1999, VIII R 58/97, BFHE158, 362, BStBl. II 1999, 650 und vom 10. November 1992,
VIII R 40/89, BFHE 173, 17, BStBl. II 1994, 222, 224 m. w. N). Zweck dieser Regelung ist,
die Besteuerung eines wesentlich Beteiligten der Besteuerung eines Mitunternehmers
anzugleichen. Mit der zeitlichen Begrenzung soll ein gewisser Ausgleich für die Erfassung
von Mehrwerten geschehen, die sich innerhalb der Fünfjahresfrist nach Absinken der
Beteiligung auf 25 v. H. und darunter gebildet haben.
Die Finanzverwaltung und mit ihr der Bekl. berufen sich letztlich auch auf diese
Rechtsprechungsgrundsätze, um ihre Auffassung zu rechtfertigen, die Neuregelung sei
nach dem reinen Wortlaut auch in den Fällen anzuwenden, in denen weder nach der
früheren Gesetzeslage noch im Veräußerungsjahr selbst eine wesentliche Beteiligung
bestand, sondern in denen,wie im Streitfall, eine wesentliche Beteilgung nur deshalb
angenommen werden kann, weil die niedrigere Wesentlichkeitsgrenze/Relevanzgrenze
des § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in dem 5-jährigen Zeitraum des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG vor
dieser Neuregelung überschritten ist (vgl. R 140 (2) und H 140 (2) der amtlichen
Einkommensteuerhandbücher 2000 und 2001). Auch das Finanzgericht Nürnberg (Urteil
vom 5. September 2003, IX 229/2002, EFG 2004, 105) geht grundsätzlich von dieser
wörtlichen Auslegung aus. Das Urteil betrifft allerdings einen Fall, in dem der Kl. mit 20 v.
H. im Veranlagungszeitraum 1999 beteiligt war. Verfassungsrechtliche Bedenken sieht das
Finanzgericht Nürnberg nicht. Es nimmt eine tatbestandliche Rückanknüpfung (sog.
unechte Rückwirkung) an, bei der in dem von ihm entschiedenen Streitfall ein
schutzwürdiges Vertrauen des Kl. ebenfalls nicht gegeben ist. Verwiesen wird darauf, dass
der Beschluss über das Steuerentlastungsgesetz (4. März 1999) vor dem
Veräußerungsvorgang (notarieller Vertrag vom 11. März 1999) schon gefasst worden war.
Eine grundlegend andere Auslegung als die der Finanzverwaltung wird dagegen von allen
anderen Finanzgerichten vertreten, die bisher Entscheidungen zu diesem Problemkreis
veröffentlicht haben (vgl. Finanzgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. Dezember
2000, 9 V 85/00, EFG 2001, 292, Finanzgericht Düsseldorf, Beschluss vom 6. Juli 2001, 7
V 3499/01 A (E), EFG 2001, 1216, Finanzgericht München, Beschluss vom 11. Februar
2002, 13 V 3920/01, EFG 2002, 556 und Finanzgericht München, Beschluss vom 28. April
2003, 2 V 474/03, EFG 2003, 1162). Nach der Auffassung dieser Gerichte enthält das
Merkmal der wesentlichen Beteiligung "innerhalb der letzten fünf Jahre" einen Rückbezug
auf die Beteiligungsverhältnisse der letzten fünf Jahre und wirkt damit auf abgeschlossene
Jahre zurück. Dieses Tatbestandsmerkmal soll wegen der verschärfenden Besteuerung
des Gesetzgebers durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 vom 24. März 1999
(Bundesgesetzblatt I 1999, 402) in der Weise ausgelegt werden, dass die Frage der
wesentlichen Beteiligung innerhalb der letzten fünf Jahre für jeden abgeschlossenen
Veranlagungszeitraum der fünf Jahre vor der Veräußerung nach der in diesem
Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen sei. Diese
Auslegung sei aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten, weil nur dadurch
gewährleistet werde, dass die einkommensteuerliche Qualifikation der wesentlichen
Beteiligung sich nicht nachträglich belastend verändert. Teilweise wird die gesetzliche
Änderung als belastende Anknüpfung des Gesetzgebers an einen abgeschlossenen
Tatbestand und damit an eine bisher schon eingetretene Rechtsfolge angesehen (sog.
echte Rückwirkung).
Der Senat folgt im Ergebnis der herrschenden Meinung auf finanzgerichtlicher Ebene. Das
Tatbestandsmerkmal der "wesentlichen Beteiligung innerhalb der letzten 5 Jahre" in § 17
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Abs. 1 Satz 1 EStG ist für jeden abgeschlossenen Veranlagungszeitraum nach der in
diesem Veranlagungszeitraum jeweils geltenden Beteiligungsgrenze zu bestimmen. Nur
diese Auffassung berücksichtigt in ausreichendem Maße, dass durch dieses
Tatbestandsmerkmal in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG i. V. m. der neuen Wesentlichkeitsgrenze
von 10 v. H. in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG nach dem Steuerentlastungsgesetz
1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I 1999, 402) für die
Veranlagungszeiträume vor 1999 die Qualifikation einer Beteiligung als wesentliche
Beteiligung auch dann noch nachträglich belastend verändert wird, wenn die Beteiligung
im Jahre 1999 verkauft wurde, sie aber durch die bis dahin geltende Regelung des § 17
Abs. 1 EStG nicht steuerverstrickt war. Der Senat sieht sich mit dieser Auslegung nicht im
Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes zu der bis zum
Veranlagungszeitraum 1998 geltenden Fassung des § 17 Abs. 1 EStG, denn diese
Rechtsprechung erging nur zu Sachverhalten, in denen keine nachträgliche, belastende
Veränderung durch den Gesetzgeber vorgenommen wurde. Vielmehr hatte es
Steuerpflichtige selbst in der Hand, ob er durch eine Erhöhung seiner Beteiligung auf mehr
25 v. H. oder den Erwerb einer derart hohen Beteiligung eine Steuerverstrickung seiner
Beteiligung bewirkte, die dann bei einem Verkauf die Erfassung des
Veräußerungsgewinnes zur Folge hatte. Die uneingeschränkte Übernahme der am
Wortlaut des § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG orientierten strengen Rechtsprechung des
Bundesfinanzhofes auf Fälle, in denen der 5-Jahreszeitraum in abgeschlossene
Veranlagungszeiträume reicht, die vor der Herabsetzung der Wesentlichkeitsgrenze in § 17
Abs. 1 Satz 4 EStG auf 10 v. H. liegen, würde nach Auffassung des Senats den Willen des
Gesetzgebers missachten. Dieser hat zwar mit der ab 1999 geltenden Gesetzesänderung
in § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG die Wesentlichkeitsgrenze auf 10 v. H. herabgesetzt.
Gleichwohl hat er aber für die bis dahin verwirklichten Veranlagungszeiträume die
Wesentlichkeitsgrenze gerade nicht verändert. § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG in der geänderten
Fassung (Wesentlichkeitsgrenze bei 10 v. H.) gilt nach § 52 Abs. 1 EStG in der Fassung
des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I
1999, 402) erst ab dem Veranlagungszeitraum 1999. Die Finanzverwaltung unterstellt mit
ihrer anderen Auffassung gleichsam, der Gesetzgeber habe für alle Beteiligungsverkäufe
ab dem Jahre 1999 mit der neuen Wesentlichkeitsgrenze von 10 v. H. zugleich auch die
früher geltende Wesentlichkeitsgrenze für die Jahre 1994 bis 1998 von mehr als 25 v. H.
auf 10 v. H. herabsetzen wollen. Dieses hält der Senat nicht für zutreffend. Das gilt umso
mehr, als der Hauptzweck der 5-Jahresfrist in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG die
Missbrauchsbekämpfung durch gezielte, sukzessive Veränderungen des
Beteiligungsanteiles vor einem Verkauf ist. Dieser Hauptzweck bleibt auch bei der vom
Senat vorgenommenen, verfassungskonformen Auslegung gewahrt, denn der
Steuerpflichtige kann seine Beteiligungsverhältnisse vor 1999 ebenfalls nicht nachträglich,
rückwirkend ändern. Die Auffassung der Finanzverwaltung würde dagegen bei
Lebenssachverhalten, wie sie im Streitfall zu beurteilen sind, zu einer verfassungsrechtlich
unzulässigen, belastenden Rückwirkung führen.
Nach der überkommenen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes entscheidet
sich die Frage der echten oder unechten Rückwirkung danach, ob zum Zeitpunkt der
Entstehung der Steuer, also mit Ablauf jeweils des 31.12. eines Jahres, auf einen davor
abgelaufenen Veranlagungszeitraum zurückgegriffen wird (echte Rückwirkung=
Rückbewirkung von Rechtsfolgen) oder ob lediglich ein Sachverhalt im laufenden
Veranlagungszeitraum durch den Gesetzgeber anders geregelt wird (sog. unechte
Rückwirkung= tatbestandliche Rückanknüpfung). Während die echte Rückwirkung
grundsätzlich unzulässig ist, ist bei der unechten Rückwirkung die Abwägung
vorzunehmen, ob die öffentlichen Belage überwiegen oder das Vertrauen des Bürgers auf
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die bestehende Rechtslage und die Verlässlichkeit der bis zur Änderung geltenden
Rechtsordnung überwiegt. Auch der Bundesfinanzhof folgt dieser grundsätzlichen
Unterscheidung zwischen echter und unechter Rückwirkung (vgl. BFH-Beschluss vom 16.
Dezember 2003, XI R 46/02, BFHE 203, ..., BStBl. II 2004, 284 - vorhergehend BFH-
Beschluss vom 05. März 2001, IX B 90/00, BFHE 195, 205, BStBl. II 2001, 405 -
Vorlagebeschluss zur Frage der Verfassungsmäßigkeit der Besteuerung privater
Grundstücksveräußerungsgeschäfte nach § 23 Abs. 1 EStG). Darüber hinaus wird dem
Vertrauensschutz des Bürgers in eine bestehende Rechtslage, auf die er sich eingerichtet
hat, ein besonders hoher Stellenwert eingeräumt. Selbst wenn man wegen der in § 36 Abs.
1 EStG gesetzlich bestimmten Entstehung der Einkommensteuer mit dem Ablauf des
jeweiligen Kalenderjahres in den Fällen, in denen das für den laufenden
Veranlagungszeitraum maßgebende Einkommensteuerrecht noch im Laufe dieses
Veranlagungszeitraumes geändert wird, von einer unechten Rückwirkung (tatbestandliche
Rückanknüpfung) auszugehen hat, genießt der Betroffene Steuerpflichtige einen starken
Vertrauensschutz, wenn der Gesetzgeber in einen ansonsten (bis auf die formelle
Entstehung der Steuerschuld) abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden
Sachverhalt belastend eingreift, denn ein derartiger Eingriff ist besonders einschneidend.
Das gilt unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige im Vertrauen auf die für ihn im
laufenden Jahr erkennbare Gesetzeslage Dispositionen getroffenen hat oder nicht, denn
der Gesetzgeber verstößt durch die Gesetzesänderung auch gegen das
verfassungsrechtliche Gebot der Rechtssicherheit. Dieser, als rechtsstaaliches
Kontinuitätsgebot bezeichnete Vertrauensgrundsatz ist in die Abwägung einzubeziehen, ob
das Änderungsinteresse des Staates das Vertrauen des Steuerpflichtigen überwiegt (vgl.
nur BFH-Beschluss vom 16. Dezember 2001, IX R 46/02, BFHE 203, ... BStBl. II 2004, 284
m. w. N. insbesondere zu den Grundsätzen der Rückwirkungsproblematik).
Im Streitfall würde eine unechte Rückwirkung/tatbestandliche Rückanknüpfung
anzunehmen sein, wenn man die von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung zur
Auslegung des § 17 Abs. 1 Satz 1 und 4 EStG in der Fassung dese
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I 1999,
402) folgen würde, da die Steuerschuld für 1999 erst mit Ablauf des 31.12.1999 entstanden
war. Die Beteiligungshöhe der 5 Jahre vor dem Veranlagungszeitraum 1999 abgelaufenen
Jahre 1994 bis 1998, für die nach der Auslegung der Finanzverwaltung eine wesentliche
Beteiligung nicht mehr nach früherem Recht erst bei einem Anteil von mehr als 25 v. H.
anzunehmen wäre, sondern bereits bei einem Anteil zwischen 10 v. H. und 25 v. H., lässt
sich für den Steuerpflichtigen nicht mehr ändern. Ein bisher steuerfreier, im Jahre 1999
durch Verkauf realisierter Wertzuwachs wird erstmals auch dann der Besteuerung
unterworfen, wenn er im Verkaufsjahr 1999 oder später die neue Wesentlichkeitsgrenze
nach § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG von 10 v. H. gar nicht erreicht. Für den zu beurteilenden
Lebenssachverhalt des Streitfalles kommt, wie für alle Verkaufsfälle bis zum 04.03.1999 -
dem Datum der Beschlussfassung des Bundestages über die neue Wesentlichkeitsgrenze
- noch hinzu, dass die Beteiligung bereits vor der Beschlussfassung des Bundestages
verkauft worden war. Der zu beurteilende Grundsachverhalt war auch insoweit bereits
abgeschlossen. Zum Zeitpunkt des Verkaufes galt noch die bisherige Gesetzesfassung mit
der höheren Wesentlichkeitsgrenze von mehr als 25 v. H.. Damit konnte und durfte der Kl.
davon ausgehen, dass ein Gewinn aus dem Verkauf nicht der Besteuerung unterliegt. Der
bei einer Zugrundelegung der Auffassung der Finanzverwaltung bestehende
gesetzgeberische Eingriff würde sich daher besonders einschneidend auswirken.
Das öffentliche Interesse an der Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze beschränkt sich
dagegen im Wesentlichen darauf, durch Verbreiterung der Besteuerungsgrundlage höhere
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Steuereinnahmen zu erzielen. Nach Auffassung des Senats wiegt dieses öffentliche
Interesse deutlich weniger als das Interesse des Steuerpflichtigen, dass an den für ihn
abgeschlossenen, nicht mehr änderbaren Lebenssachverhalt nachträglich keine
Besteuerungsfolge geknüpft wird. Sein Vertrauen in den Fortbestand der Rechtslage, dass
die in den abgeschlossenen Veranlagungszeiträumen bis 1998 bisher nicht
steuerverstrickte Beteiligung auch in Zukunft für diesen Veranlagungszeitraum als nicht
steuerverstrickt behandelt wird, ist schützenswerter, als das allgemeine öffentliche
Interesse, ab 1999 mehr Steuereinnahmen erzielen zu können. Der weitere Zweck der
Absenkung der Wesentlichkeitsgrenze (Relevanzschwelle) auf 10 v. H., eine Angleichung
an andere gesetzliche Regelungen zu erreichen, führt ebenfalls nicht dazu, eine unechte
Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung) verfassungsrechtlich als zulässig
anzusehen. Weiterer Zweck war nämlich, die Beteiligungsgrenze an die in § 9 Nr. 2 a
Gewerbesteuergesetz (besonderer Kürzungsbetrag bei der Berechnung der
Gewerbesteuer) und in § 26 Abs. 2 Körperschaftsteuergesetz (antragsgebundene
Anrechnungsregelung bei der Besteuerung ausländischer Einkunftsanteile) - vgl. insoweit
FG Nürnberg, Urteil vom 15. September 2003, IV 229/2002, EFG 2004, 105, 107 - geltende
Grenze (jeweils 10 %) anzugleichen. Bei diesem Zweck liegt es auf der Hand, dass dieser
auch ohne die weite, am reinen Wortlaut orientierte Auslegung der Neuregelung des § 17
Abs. 1 EStG erreicht werden kann.
Als Ergebnis kann festgestellt werden, dass § 17 Abs. 1 EStG in der Fassung des
Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (Bundesgesetzblatt I 1999,
402) hinsichtlich des Tatbestandsmerkmales in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch unter
Berücksichtigung seines Wortsinnes zwei Auslegungsmöglichkeiten eröffnet. Zum Einen
die Auslegungsmöglichkeit der Finanzverwaltung, die zur Überzeugung des Senats zu
einer verfassungswidrigen Besteuerung führen würde und zum Anderen die Auslegung, die
auf finanzgerichtlicher Ebene vorherrscht und mit der ein verfassungswidriges Ergebnis
vermieden wird (sogenannte verfassungskonforme Auslegung). Bei dieser Sachlage ist der
verfassungskonformen Auslegung der Vorzug zu geben. Auch für Veräußerungen von
Beteiligungen ab dem Jahre 1999 gilt daher, dass für die Frage, ob in den 5 Jahren vor der
Veräußerung eine wesentliche Beteiligung in den bis zum 31.12.1998 abgelaufenen
Veranlagungszeiträumen bestanden hat, die bis zu diesem Zeitpunkt gesetzlich festgelegte
Wesentlichkeitsgrenze von mehr als 25 v. H. gilt.
Für den Streitfall bedeutet das, dass der Veräußerungsgewinn von 465.000,00 DM nicht
der Besteuerung unterliegt, weil die Wesentlichkeitsgrenze nicht überschritten wurde. Im
Veranlagungszeitraum 1999, in dem die Wesentlichkeitsgrenze auf 10 % abgesenkt
worden ist, lag die Beteiligung des Kl. unter 10 %. In den davor liegenden Jahren, in denen
eine wesentliche Beteiligung erst bei mehr als 25 % anzunehmen ist, lag die Beteiligung zu
keinem Zeitpunkt über diesem Wert.
Setzt man bei der Einkommensteuerfestsetzung für 1999 den Gewinn aus den privaten
Veräußerungsgeschäften von 465.000,00 DM nicht an, sinkt die Einkommensteuer auf 0,00
DM - das zu versteuernde Einkommen nach Berücksichtigung des Verlustabzuges laut
Einkommensteuerbescheid vom 13.10.2003 beträgt 36.762,00 DM. Dementsprechend
verbleibt als festzustellender Verlust zum 31.12.1999 ein Betrag in Höhe von (465.000,00
DM - 36.762,00 DM =) 428.238,00 DM. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs.
1 FGO. Die Entscheidung zur Vollstreckbarkeit folgt aus § 155 FGO i. V. m. § 708 Nr. 11
und § 711 ZPO.
Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen. Die im Streitfall
aufgeworfenen Fragen sowohl zur verfahrensrechtlichen wie auch zur materiell-rechtlichen
Seite sind nicht geklärt.