Urteil des FG Münster vom 26.02.2009

FG Münster: in dubio pro reo, rechtskräftiges urteil, treu und glauben, firma, vorsteuerabzug, steuerhinterziehung, bedingter vorsatz, direkter vorsatz, unternehmer, verwirkung

Finanzgericht Münster, 5 K 320/06 U
Datum:
26.02.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
5. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 320/06 U
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Streitig sind der Vorsteuerabzug sowie der Ablauf der Festsetzungsverjährungsfrist.
2
Der Kläger (Kl.) betrieb im Streitjahr einen Handel mit Kraftfahrzeugen sowie eine
Autovermietung. In den Monaten April, Mai und Juni 1996 erhielt er vier Rechnungen
der Firma B GmbH (im Folgenden: B) mit Sitz in M über die Lieferung von
Kraftfahrzeugen der Marke N. Diese Fahrzeuge hatte der Kl. zuvor telefonisch bei der in
Italien ansässigen Firma L über deren Mitarbeiter GC bestellt, mit der er bereits seit
1994 in Geschäftsbeziehungen gestanden hatte. Die Lieferungen erfolgten unmittelbar
von Italien aus an den Kl. durch einen Spediteur. Die Rechnungsbeträge überwies der
Kl. jeweils auf ein Anderkonto der B bei Rechtsanwalt R in F. Den in den Rechnungen
der B offen ausgewiesenen Umsatzsteuerbetrag in Höhe von insgesamt 138.456,51 DM
machte der Kl. als Vorsteuer im Rahmen seiner Umsatzsteuervoranmeldungen geltend.
3
Noch im ersten Halbjahr 1996 begann die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts M (im
Folgenden: Steuerfahndung) mit Ermittlungen gegen LC, IB, HD, FF und JG. Diese
Personen stellten sich aus Sicht der Steuerfahndung als "Hintermänner" der B dar. Es
bestand der Verdacht, dass es sich bei der B um eine Scheinfirma handelte, die
lediglich als Instrument fungiere, um deutschen Autohändlern als Kunden von
italienischen Fahrzeuglieferanten eine Rechnung mit Vorsteuerausweis auszustellen.
Im Rahmen dieser Ermittlungen wurde der Kl. am 25.6.1996 als Zeuge vernommen,
wobei er die Abläufe wie oben geschildert darstellte.
4
Am 24.10.1996 teilte die Steuerfahndung dem Kl. die Einleitung eines gegen ihn
gerichteten Steuerstrafverfahrens wegen des Verdachts auf Hinterziehung von
Umsatzsteuern in Bezug auf die Vorsteuern aus den Rechnungen der B mit.
5
Durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Z vom 18.12.1997 (W0 KLs 00 Js
00000/00), auf das Bezug genommen wird, wurde JG wegen Beihilfe zur
Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Aus den Urteilsfeststellungen
ergibt sich, dass es sich bei der B um eine nur zu dem Zweck gegründete Firma
handelte, Scheinrechnungen auszustellen, um den Rechnungsempfängern den
Vorsteuerabzug zu ermöglichen. Tatsächlich erhielt die B niemals Fahrzeuglieferungen
der italienischen Händler. Die Einzelheiten der Verträge wurden vielmehr unmittelbar
zwischen den italienischen Firmen und den deutschen Abnehmern vereinbart. Die B
wurde lediglich zur Rechnungsausstellung zwischengeschaltet. Die
Zahlungsabwicklung lief stets über das Anderkonto bei Rechtsanwalt R, der 1996
verstarb. Als einer der Rechnungsempfänger wird der Kl. in den Feststellungen des
Urteils namentlich genannt.
6
LC, IB, und FF wurden durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts Z vom 27.5.1998
(W0 KLs 00 Js 000/00), auf das Bezug genommen wird, ebenfalls wegen Beihilfe zur
Steuerhinterziehung zu Freiheitsstrafen verurteilt. In den Feststellungen dieses Urteils
werden die Abläufe entsprechend den Feststellungen des Urteils vom 18.12.1997
dargestellt. Auch in diesem Urteil wird der Kl. namentlich als Rechnungsempfänger der
B aufgeführt.
7
Bis auf die Ablehnung diverser Anträge auf Akteneinsicht wurde die Steuerfahndung
gegenüber dem Kl. nicht erkennbar im Rahmen des Strafverfahrens tätig. Mit Schriftsatz
vom 29.3.2004 wurde dem Kl. die Einstellung des Strafverfahrens wegen
zwischenzeitlich eingetretener Strafverfolgungsverjährung mitgeteilt.
8
Aufgrund des Fahndungsprüfungsberichts der Steuerfahndung vom 8.9.2004, auf den
Bezug genommen wird, setzte der Bekl. durch Bescheid vom 24.9.2004 die
Umsatzsteuer für das Streitjahr um 70.791,53 € (= 138.456,51 DM) höher fest als in der
bisherigen durch Eingang der Umsatzsteuererklärung am 2.3.1998 bestehenden
Jahresfestsetzung.
9
Seinen hiergegen eingelegten Einspruch begründete der Kl. damit, dass die
Festsetzungsfrist abgelaufen sei. Insbesondere greife die Ablaufhemmung gemäß § 171
Abs. 5 der Abgabenordnung (AO) nicht ein, da die Steuerfahndung das
Ermittlungsverfahren gegenüber dem Kl. für einen Zeitraum von mehr als sechs
Monaten unterbrochen habe. Insoweit verweise nicht nur § 171 Abs. 5 Satz 1 AO,
sondern auch Satz 2 dieser Norm auf § 171 Abs. 4 Satz 2 AO. Es bestehe auch ein
Anspruch auf Vorsteuerabzug, da die B im Handelsregister eingetragen und damit
rechtlich existent sei.
10
Durch Einspruchsentscheidung vom 2.1.2006 wies der Bekl. den Einspruch als
unbegründet zurück. Festsetzungsverjährung sei nicht eingetreten, da sowohl die
Ablaufhemmung des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO eingreife, als auch ohnehin eine
zehnjährige Festsetzungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO gelte, da vorliegend
Steuern hinterzogen worden seien. Ein Vorsteuerabzug sei nicht möglich, da Lieferant
und Rechnungsaussteller nicht identisch seien.
11
Am 26.1.2006 hat der Kl. Klage erhoben. Ergänzend zu seiner bereits im
Einspruchsverfahren abgegebenen Begründung trägt er vor, dass keine Anhaltspunkte
für einen Vorsatz des Kl. im Hinblick auf die vom Bekl. behauptete Steuerhinterziehung
vorlägen. Für ihn sei nicht ersichtlich gewesen, dass es sich bei der B um eine
12
Scheinfirma gehandelt habe. Die Geschäftsabwicklung sei stets problemlos verlaufen.
Er habe auch einmal mit dem Notar gesprochen, der das Anderkonto verwaltet hat.
Dieser habe ihm versichert, es gehe alles in Ordnung. Sein Preisvorteil aus der
Geschäftsbeziehung habe nur etwa 200,- DM pro Fahrzeug betragen und sei teilweise
durch erhöhte Lieferkosten oder Lieferung veralteter Modelle aufgezehrt worden. Mit der
Firma L in Italien hätten lediglich Modellabsprachen stattgefunden.
Der Kl. beantragt,
13
den Änderungsbescheid für 1996 über Umsatzsteuer vom 24.9.2004 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 2.1.2006 dahingehend abzuändern, dass die
Festsetzung erklärungsgemäß erfolgt;
14
hilfsweise für den Unterliegensfall,
15
insbesondere im Hinblick auf die Rechtsfrage, ob § 171 Abs. 4 Satz 2 AO auf den
Fall des § 171 Abs. 5 Satz 2 AO anzuwenden ist, die Revision zuzulassen.
16
Der Bekl. beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18
Er behauptet, die Ermittlungen seien nicht unmittelbar nach Eröffnung des
Strafverfahrens unterbrochen worden. Es bestehe ein enger Zusammenhang mit den
Ermittlungen gegen die Hintermänner der B. Insoweit seien Vernehmungen bis
mindestens zum 14.3.1997 vorgenommen worden. Dem Kl. stünde bereits deshalb kein
Anspruch auf Vorsteuerabzug zu, weil mangels Angaben zum Zeitpunkt der Lieferung
keine ordnungsgemäßen Rechnungen vorlägen (§ 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 des
Umsatzsteuergesetzes – UStG – in der für das Streitjahr geltenden Fassung). Aus den
vorliegenden Lieferscheinen ließe sich keine genaue Zuordnung der einzelnen in
Rechnung gestellten Fahrzeuge vornehmen. Der Preisvorteil des Kl. aus der
Geschäftsbeziehung habe deutlich über 200,- DM pro Fahrzeug gelegen, da ihm durch
die Rechnungsausstellung zusätzlich der Vorsteuerabzug ermöglicht worden sei.
19
Vor dem Senat hat am 26.2.2009 eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Auf die
Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
20
Entscheidungsgründe
21
Die zulässige Klage ist unbegründet. Der Änderungsbescheid vom 24.9.2004 in Gestalt
der Einspruchsentscheidung vom 2.1.2006 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kl.
nicht in seinen Rechten (§ 100 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO).
22
Der Bekl. hat die Umsatzsteuerfestsetzung für das Streitjahr zurecht um 70.791,53 €
erhöht.
23
I. Der Kl. hatte keinen Anspruch auf Abzug der ihm von der B in Rechnung gestellten
Umsatzsteuer in Höhe von 138.456,51 DM als Vorsteuer.
24
Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) kann ein
Unternehmer die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige
25
Leistungen die von einem anderen Unternehmer für sein Unternehmen ausgeführt
worden sind als Vorsteuer abziehen. Voraussetzung ist, dass leistender Unternehmer
und Rechnungsaussteller identisch sind (BFH-Urteil vom 4.9.2003 V R 9, 10/02, BStBl.
II 2004, 627; BFH-Beschluss vom 26.8.2004 V B 243/03, BFH/NV 2005, 255). Für das
Vorliegen der den Rechtsanspruch auf Vorsteuerabzug begründenden Tatsachen trägt
der Unternehmer und nicht das Finanzamt die Feststellungslast (BFH-Beschlüsse vom
24.7.2002 V B 25/02, BFH/NV 2002, 1407; 3.8.2007 V B 73/07, BFH/NV 2007, 2368).
Vorliegend hat der Kl. nach Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen, dass er die
in Rechnung gestellten Fahrzeuglieferungen von der B und nicht unmittelbar von dem
italienischen Lieferanten erhalten hat. Nach seinen eigenen Angaben in seiner
Zeugenaussage vom 25.6.1996 hat der Kl. die Fahrzeuge direkt bei der italienischen
Firma L bestellt und unmittelbar von dort aus bezogen. Die B hat lediglich Rechnungen
erstellt und den Zahlungsverkehr über das Anderkonto bei Rechtsanwalt R abgewickelt.
26
Dass die B tatsächlich keine Fahrzeuglieferungen an den Kl. erbracht hat, steht nach
Überzeugung des Senats aufgrund der Feststellungen der beiden Urteile des
Landgerichts Z vom 18.12.1997 und vom 27.5.1998 fest. Dieser Umstand ist von LC, IB,
FF und JG übereinstimmend eingeräumt worden. Nach feststehender Rechtsprechung
des BFH kann sich ein Finanzgericht die tatsächlichen Feststellungen eines Strafurteils
zu eigen machen, es sei denn die Beteiligten erheben gegen die strafgerichtlichen
Feststellungen substantiierte Einwendungen und stellen entsprechende Beweisanträge,
die das Finanzgericht nach den allgemeinen für die Beweiserhebung geltenden
Grundsätzen nicht unbeachtet lassen kann (BFH-Urteil vom 13.7.1994 I R 112/93, BStBl
II 1995, 198; Beschlüsse vom 5.5.1989 V B 49/88, BFH/NV 1990, 300; vom 1.8.1991 VII
B 31/91, BFH/NV 1992, 257; vom 17.12.1991 VIII B 163/91, BFH/NV 1992, 612 und vom
18.9.1997 X B 92/96, BFH/NV 1998, 472). Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene des
finanzgerichtlichen Verfahrens am Strafverfahren nicht beteiligt war (BFH-Urteil vom
26.4.1988 VII R 124/85, BFHE 153, 463; BFH-Beschluss vom 29.1.1999 V B 112/97,
BFH/NV 1999, 1103). Der Kl. hat gegen die Feststellungen der beiden in das Verfahren
eingeführten Urteile des Landgerichts Z keine substantiierten Einwendungen erhoben.
27
Auf die Frage, ob der Kl. wusste oder hätte wissen können, dass die Tätigkeit der B in
betrügerischer Absicht vorgenommen worden ist, kommt es im Hinblick auf den
Vorsteuerabzug im vorliegenden Fall nicht an. Die Rechtsprechung des EuGH (Urteile
vom 12.1.2006 C-354/03 – Optigen Ltd, C-355/03 – Fulcrum Electronic Ltd, C-484/03
Bond House Systems Ltd, Slg. 2006, I-483 und vom 6.7.2006 C-439/04 – Kittel, C-
440/04 – Recolta Recycling SPRL, Slg. 2006, I-6161) ist insoweit nicht einschlägig.
Nach dieser Rechtsprechung darf einem Unternehmer, an den eine Lieferung
vorgenommen wird, der Vorsteuerabzug nicht versagt werden, wenn er weder wusste
noch wissen konnte, dass der betreffende Umsatz in einen vom Verkäufer begangenen
Betrug einbezogen war. Dieser Rechtsprechung steht es jedoch nicht entgegen, dass
der Vorsteuerabzug deshalb versagt wird, weil die Voraussetzungen des
Vorsteuerabzugs wegen einer fehlenden Leistungsbeziehung nicht erfüllt bzw.
nachgewiesen werden. Der EuGH hatte vielmehr über Fälle zu entscheiden, in denen
gerade alle gesetzlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs vorlagen. Im
vorliegenden Fall fehlt es jedoch an Leistungen an den Kl. durch den
Rechnungsaussteller.
28
II. Der Bekl. hat die Änderung des Umsatzsteuerbescheids zutreffend auf § 164 Abs. 2
AO gestützt. Die ursprüngliche Festsetzung der Umsatzsteuer stand unter dem
29
Vorbehalt der Nachprüfung, da die am 2.3.1998 eingegangene
Umsatzsteuerjahreserklärung gemäß § 168 Satz 1 AO einer Steuerfestsetzung unter
dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht.
Der Vorbehalt der Nachprüfung war zum Zeitpunkt des Erlasses des
Änderungsbescheids noch nicht gemäß § 164 Abs. 4 Satz 1 AO entfallen, da die
Festsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war. Die vierjährige Verjährungsfrist (§ 169 Abs.
2 Satz 1 Nr. 2 AO) begann mit Ablauf des Jahres 1998 (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO) zu
laufen. Ihr Ablauf wurde gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO gehemmt, da dem Kl. bereits am
24.10.1996 die Eröffnung eines Strafverfahrens bekannt gegeben worden war. Die
Ablaufhemmung gilt, solange bis die aufgrund der Ermittlungen zu erlassenden
Steuerbescheide unanfechtbar werden.
30
Die Ablaufhemmung ist nicht gemäß § 171 Abs. 4 Satz 2 AO ausgeschlossen, weil die
Steuerfahndung die Ermittlungen für die Dauer von mehr als sechs Monaten
unterbrochen hat. Ob vorliegend eine derartige Unterbrechung vorliegt oder ob die
gegen die anderen Verdächtigen im Tatkomplex B durchgeführten Ermittlungen für eine
Fortsetzung des Strafverfahrens gegenüber dem Kl. ausreichen, kann dahinstehen, da
die Einschränkung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO nicht auf den Fall des § 171 Abs. 5 Satz
2 sinngemäß anwendbar ist. § 171 Abs. 4 Satz 2 AO betrifft die Außenprüfung. Eine
Außenprüfung fand beim Kl. nicht statt. Gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1, 2. HS AO ist Abs. 4
Satz 2 sinngemäß anzuwenden, wenn die Dienststellen der Steuerfahndung mit der
Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen beginnen. § 171 Abs. 5 Satz 2 AO, der die
Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens betrifft, enthält einen derartigen
ausdrücklichen Verweis nicht. Die Vorschrift lautet: "Das Gleiche gilt, wenn ...". Ob mit
dieser Formulierung auch ein Verweis auf § 171 Abs. 5 Satz 1, 2. HS AO und damit auf
§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO gemeint ist, ist durch Auslegung zu ermitteln, da der Wortlaut
insoweit offen ist. Diese Frage ist – soweit ersichtlich - bisher nicht Gegenstand
gerichtlicher Entscheidungen gewesen.
31
Aus der Auslegung der Norm nach ihrer Systematik und ihrem Zweck ergibt sich, dass
die Einschränkung des § 171 Abs. 4 Satz 2 AO nicht auf die Fälle des § 171 Abs. 5 Satz
2 AO anwendbar ist.
32
Das Gesetz macht den Eintritt der Ablaufhemmung in den Fällen einer Außenprüfung
(§ 171 Abs. 4 AO) und in den Fällen der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen durch
die Steuerfahndung (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO) vom Beginn der jeweiligen Ermittlungen
abhängig. Abgestellt wird auf Ermittlungshandlungen. Um das Vertrauen des
Betroffenen in den Ablauf der Verjährungsfrist zu schützen, treten diese
Ablaufhemmungen erst dann ein, wenn die durchgeführten Maßnahmen für den
Betroffenen als Außenprüfung bzw. als Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen
erkennbar sind (vgl. BFH-Urteile vom 6.7.1999 VIII R 17/97, BStBl. II 2000, 306 zu § 171
Abs. 4 AO und vom 16.4.1997 XI R 61/94, BStBl. II 1997, 595 zu § 171 Abs. 5 Satz 1
AO). Insoweit sind diese beiden Vorschriften systematisch vergleichbar.
33
Demgegenüber stellt § 171 Abs. 5 Satz 2 AO allein auf die Bekanntgabe der Einleitung
des Strafverfahrens gegenüber dem Betroffenen ab. Anders als in den beiden anderen
Fällen kommt es hier nicht auf den Beginn von Ermittlungsmaßnahmen als faktische
Vorgänge, sondern auf die formelle Bekanntgabe der Einleitung im Sinne von § 397
Abs. 3 AO an. Anders als ein Außenprüfungsverfahren ist die Einleitung eines
Strafverfahrens aktenkundig zu machen (§ 397 Abs. 2 AO).
34
§ 171 Abs. 4 Satz 2 AO hat die Zielsetzung, eine unbegrenzte Ablaufhemmung für jene
Fälle auszuschließen, in denen sich die Durchführung einer Außenprüfung über Gebühr
aus Gründen verzögert, die die Finanzbehörde zu vertreten hat (BFH-Beschluss vom
30.3.1999 I B 139/98, BFH/NV 1999, 1145). Die Vorschrift stellt auf eine faktische
Unterbrechung der Außenprüfung ab. Dies entspricht den Voraussetzungen der
Ablaufhemmung, die ebenfalls auf den faktischen Beginn der Prüfungsmaßnahmen
abstellt.
35
Dieses Abstellen auf die faktische Unterbrechung einer Prüfung ist jedoch systematisch
nicht auf die förmliche Einleitung eines Strafverfahrens im Sinne von § 171 Abs. 5
Satz 2 AO übertragbar. Wenn der Eintritt der Ablaufhemmung auf ein formelles Ereignis
– Bekanntgabe gegenüber dem Betroffenen – abstellt, ohne dass es auf den Beginn
konkreter Ermittlungsmaßnahmen gegenüber dem Beschuldigten ankommt, kann die
faktische Unterbrechung von Ermittlungshandlungen nicht zu einem Ausschluss der
Ablaufhemmung führen. Unterbrechungsvoraussetzung ist ein punktuelles Ereignis
(Einleitung des Verfahrens). Auf weitere Voraussetzungen, insbesondere auf
Ermittlungsmaßnahmen, stellt das Gesetz nicht ab. Im Übrigen liegt es in der Natur
eines Strafverfahrens, dass nicht alle Ermittlungsmaßnahmen gegenüber dem
Beschuldigten erkennbar werden.
36
Die Ablaufhemmung war bei Erlass des Änderungsbescheids auch noch nicht beendet.
§ 171 Abs. 5 AO lässt den Erlass von Änderungsbescheiden im Anschluss an eine
Fahndungsprüfung ohne zeitliche Begrenzung zu. Eine analoge Anwendung des § 171
Abs. 4 Satz 3 AO auf die Fälle des Abs. 5 ist nicht vorzunehmen. Als zeitliche Grenze
kommt nur der Eintritt der Verwirkung in Betracht (BFH-Urteil vom 24.2.2002 I R 25/01,
BStBl. II 2002, 586).
37
Eine Verwirkung ist vorliegend jedoch nicht eingetreten. Eine Verwirkung setzt über den
Zeitablauf hinausgehende Umstände voraus, die die verspätete Rechtsausübung als
Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (BFH-Urteile vom 8. Oktober 1986
II R 167/84, BStBl II 1987, 12; vom 9.8.1988 VII R 40/85, BFH/NV 1989, 260, 261 und
vom 24.4.2002 I R 25/01, BStBl. II 2002, 586). Verwirkung ist dann anzunehmen, wenn
die Behörde während eines längeren Zeitraums untätig geblieben ist und der
Steuerpflichtige daraus den Schluss ziehen konnte, dass die Untätigkeit endgültig sein
sollte und der Steuergläubiger auf die Geltendmachung des Steueranspruchs verzichtet
hat (BFH-Urteil vom 2.7.1998 IV R 39/97, BStBl. II 1999, 28). In einem solchen Fall löst
auch eine Untätigkeit der Steuerfahndung für einen Zeitraum von acht Jahren keine
Verwirkung aus (BFH-Urteil vom 9.3.1999 VIII R 19/97, BFH/NV 1999, 1186).
38
Vorliegend ist die Steuerfahndung zwar nach Einleitung des Steuerstrafverfahrens
gegenüber dem Kl. erkennbar für einen Zeitraum von über sieben Jahren nicht tätig
geworden. Es sind jedoch keine Anhaltspunkte vorgetragen oder sonst ersichtlich, dass
der Kl. aufgrund dieses Verhaltens den Schluss ziehen konnte, die Finanzverwaltung
habe auf die Geltendmachung des Steueranspruchs verzichtet.
39
III. Die Festsetzungsfrist war überdies auch nach § 169 Abs. 2 Satz 2 AO am 24.9.2004
noch nicht abgelaufen, da hinsichtlich der der Änderung zugrunde liegenden
Vorsteuerbeträge zur Überzeugung des Senats eine Steuerhinterziehung vorlag.
40
Gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO begeht eine Steuerhinterziehung, wer den
41
Finanzbehörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige
Angaben macht und dadurch Steuern verkürzt. Die Steuerhinterziehung muss
vorsätzlich begangen werden (§ 369 Abs. 2 AO i.V.m. § 15 des Strafgesetzbuches -
StGB). Vorsätzlich in diesem Sinne handelt, wer mit dem Wissen handelt, dass er alle
Tatbestandsmerkmale dieser Strafnorm verwirklicht (direkter Vorsatz) oder aber es zwar
nur für möglich hält, dass er die Tatbestandsmerkmale verwirklicht, dies aber billigt oder
doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz; BFH-Beschluss vom 18.12.1986, I B 49/86,
BStBl. II 1998, 213).
Die Feststellung der Voraussetzungen der Steuerhinterziehung bestimmt sich nicht
nach den Vorschriften der StPO, sondern nach denen der AO und der FGO (BFH-
Beschluss vom 5.3.1979, GrS 5/77, BStBl. II 1979, 570). Dabei ist der Grundsatz "in
dubio pro reo" zu beachten, da im Steuerprozess der Steuergläubiger die
Feststellungslast für die steueranspruchsbegründenden Tatsachen trägt. Insoweit ist
kein höherer Grad von Gewissheit erforderlich als für die Feststellung anderer
Tatsachen (BFH-Urteil vom 7.11.2006, VIII R 81/04, BStBl. II 2007, 364).
42
Vorliegend steht zur Überzeugung des Senats (§ 96 Abs. 1 Satz 1 FGO) fest, dass
sowohl die objektiven, als auch die subjektiven Voraussetzungen einer
Steuerhinterziehung vorliegen. Der Kl. hat durch die Angabe der in den Rechnungen
der B ausgewiesenen Steuer in seinen Umsatzsteuervoranmeldungen und in seiner
Umsatzsteuerjahreserklärung gegenüber dem Bekl. unrichtige Angaben gemacht, die zu
einer zu niedrigen Steuerfestsetzung geführt haben.
43
Dass der Kl. insoweit mindestens mit bedingtem Vorsatz handelte, ergibt sich zur
Überzeugung des Senats aus den objektiven Umständen. Der Kl. stand bereits seit zwei
Jahren mit der italienischen Firma L in Geschäftsbeziehungen. Ohne erkennbaren
Grund und ohne Änderung der Geschäftsabwicklung wurden im streitigen Zeitraum die
Rechnungen von der Firma B ausgestellt, während die Fahrzeuge weiterhin in Italien
bestellt wurden und die Lieferungen weiterhin unmittelbar aus Italien kamen. Die
Behauptung des Kl., mit der Firma L sei lediglich die Modellauswahl abgesprochen
worden, ist durch die Feststellungen des Urteils des Landgerichts Z vom 27.5.1998 (W0
KLs 00 Js 000/00) widerlegt. Danach waren die deutschen Autohändler Käufer der
italienischen Händler, da die Einzelheiten des jeweiligen Vertrages zwischen diesen
Parteien vereinbart wurden. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich und es ist
auch vom Kl. nicht vorgetragen worden, dass die Firma L die Verträge mit dem Kl. als
Vertreter der Firma B abgeschlossen hat. Die Kenntnis des Kl., dass es sich bei der B
nur um eine Scheinfirma handeln konnte, wird auch daran deutlich, dass die Zahlungen
nicht unmittelbar an den Rechnungsaussteller, sondern auf ein Anderkonto erfolgten.
Obwohl diese Anhaltspunkte vorlagen, gab der Kl. gegenüber dem Bekl. die Vorsteuer
in seinen Voranmeldungen und in seiner Jahreserklärung an und nahm damit
mindestens billigend in Kauf, dass die Steuer insoweit zu niedrig festgesetzt wird. Der
Kl. wurde auch bereits 1996 als Zeuge vernommen. Bei dieser Vernehmung ging es um
die Steuerhinterziehungen im Zusammenhang mit der Firma B. Seine falsche
Jahreserklärung für 1996 gab der Kl. erst 1998 ab.
44
Der Bekl. durfte die Steuerfestsetzung selbst für den Fall ändern, dass – wie der Kl.
meint – keine Ablaufhemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO bestand. Zwar entfällt der
Vorbehalt der Nachprüfung mit Ablauf der regelmäßigen Festsetzungsverjährungsfrist
auch dann, wenn wegen Steuerhinterziehung eine verlängerte
Festsetzungsverjährungsfrist gilt (§ 164 Abs. 4 Satz 2 AO). Der Bekl. könnte im Streitfall
45
daher die Änderung nicht auf § 164 Abs. 2 AO stützen, falls keine Ablaufhemmung
gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO bestanden hätte. Die Änderung ist aber dennoch
rechtmäßig, da die Voraussetzungen einer anderen Korrekturnorm (§ 173 Abs. 1 Nr. 1
AO) vorliegen. Die Tatsache, dass es sich bei der Rechnungsausstellerin B nicht um die
Lieferantin, sondern um eine Scheinfirma gehandelt hat, ist dem Bekl. als der für die
Änderung zuständigen Behörde erst nach der ursprünglichen Steuerfestsetzung mit
Übersendung des Fahndungsberichts vom 8.9.2004 bekannt geworden. Die insoweit
fehlerhafte Begründung des Änderungsbescheids führt nicht zu einem Formfehler im
Sinne von § 126 AO (vgl. Tipke/Kruse, Kommentar zur AO und FGO, § 121 AO Rn. 25).
IV. Die Revision ist nicht zuzulassen, da kein Zulassungsgrund im Sinne von § 115 Abs.
2 FGO vorliegt. Die streitige Rechtsfrage zu § 171 Abs. 5 Satz 2 AO i. V. m. § 171 Abs. 4
Satz 2 AO ist zwar höchstrichterlich noch ungeklärt. Dieser Umstand führt aber nicht zur
Zulassung der Revision, denn diese Rechtsfrage ist nicht entscheidungserheblich, weil
auch eine verlängerte Festsetzungsverjährungsfrist gemäß § 169 Abs. 2 Satz 2 AO
vorlag.
46
V. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
47