Urteil des FG Münster vom 15.11.2009

FG Münster (sinn und zweck der norm, unternehmen, einfluss, umsatzsteuer, geschäftsführer, restriktive auslegung, wesentliche beteiligung, gesellschaft, gesellschafterversammlung, grundstück)

Finanzgericht Münster, 2 K 32/09 U
Datum:
15.11.2009
Gericht:
Finanzgericht Münster
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 32/09 U
Sachgebiet:
Finanz- und Abgabenrecht
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand
1
Streitig ist, ob die Klägerin zu Recht gemäß § 74 Abgabenordnung (AO) für rückständige
Umsatzsteuern 2006 der U. GmbH in Haftung genommen wurde.
2
Das streitgegenständliche Grundstück E in J., das mit einer Lagerhalle und einem
Bürocontainer bebaut war, war seit Oktober 2003 an die U. GmbH vermietet. Die
Klägerin erwarb das Alleineigentum an diesem Grundstück auf Grundlage eines
notariellen Vertrags vom 28.12.2004 von ihrer Mutter. Die Eigentumsumschreibung im
Grundbuch erfolgte am 28.06.2006. Das Mietverhältnis zwischen der Klägerin und der
U. GmbH über das streitgegenständliche Grundstück endete im Jahr 2007.
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Die alleinige Gesellschafterin der U. GmbH bestellte in ihrer
Gesellschafterversammlung vom 31.12.2004 die Klägerin zur alleinigen
Geschäftsführerin, unter Befreiung von den Beschränkungen des § 181 Bürgerliches
Gesetzbuch (BGB). Gleichzeitig berief sie den bisherigen Geschäftsführer, den Bruder
der Klägerin, ab und erteilte ihm Prokura mit Gesamtvertretungsbefugnis. Diese
Änderungen wurden im Mai 2005 im Handelsregister eingetragen.
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Die U. GmbH gab für das Jahr 2006 keine Umsatzsteuererklärung ab. Daraufhin
schätzte der Beklagte die Besteuerungsgrundlagen im Umsatzsteuerbescheid 2006
vom 02.01.2008, der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung erging. Dieser Bescheid
wurde nicht angefochten. Die U. GmbH blieb für das Jahr 2006 mit der gesamten gegen
sie festgesetzten Umsatzsteuer in Höhe von 2.947,52 € im Rückstand.
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Am 19.02.2008 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der U. GmbH
eröffnet.
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Der Beklagte nahm die Klägerin mit Haftungsbescheid vom 22.02.2008 zunächst für
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rückständige Umsatzsteuern der U. GmbH für das Jahr 2005 sowie für die Monate
November und Dezember 2007 in einer gesamten Höhe von 71.111,44 € gemäß § 74
AO in Anspruch und forderte sie gleichzeitig zur Zahlung auf. Im Einspruchsverfahren
wurde dieser Haftungsbescheid am 08.04.2009 nach § 131 AO geändert; die
Haftungsinanspruchnahme bezog sich nunmehr ausschließlich auf die Umsatzsteuer
2005 in Höhe von insgesamt 33.111,44 € und auf die Umsatzsteuer 2006 in Höhe von
2.947,52 €. Hiergegen legte die Klägerin wiederum Einspruch ein. Dabei beanstandete
sie die Haftungsinanspruchnahme dem Grunde nach; die Höhe der für 2006
festgesetzten Umsatzsteuer griff sie nicht an.
Der Beklagte wies den Einspruch mit Einspruchsentscheidung vom 24.11.2008 zurück.
Im Kopf dieser Einspruchsentscheidung war als Datum des angefochtenen Bescheids
der 08.04.2008 angegeben; unter der Rubrik "Steuerart/Jahr" war angegeben
"Haftungsbescheid über rückständige Umsatzsteuer 2005 der Firma U. GmbH i.L.". Zur
Begründung dieser Einspruchsentscheidung führte der Beklagte aus, die
Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme der Klägerin nach § 74 AO lägen
vor. Insbesondere handele es sich bei der Klägerin um eine nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AO
als wesentlich beteiligt geltende Person. Die Klägerin habe es unterlassen, ihren
Aufgaben als Geschäftsführerin nachzukommen. Dadurch habe sie dazu beigetragen,
dass die fälligen Umsatzsteuern nicht entrichtet worden seien. Wegen der Einzelheiten
wird auf den Text der Einspruchsentscheidung Bezug genommen.
8
Die Klageschrift ist am 23.12.2008 beim Beklagten eingegangen und von diesem an
das Gericht weitergeleitet worden.
9
Das Verfahren wegen Umsatzsteuerhaftung 2005 ist mit Senatsbeschluss vom
08.09.2009 vom hiesigen Klageverfahren abgetrennt worden.
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Die Klägerin bringt gegen ihre Haftungsinanspruchnahme für die rückständigen
Umsatzsteuern 2006 vor, sie habe keinen beherrschenden Einfluss auf das
Unternehmen der U. GmbH ausgeübt. Sie sei einer ganztätigen kaufmännischen
Betätigung bei einem anderen Arbeitgeber nachgegangen. Die laufenden Geschäfte der
U. GmbH habe ihr Bruder als Prokurist geführt. Ihre Zuständigkeit sei lediglich beim
Jahresabschluss und den Steuererklärungen benötigt worden. Da sie keine
Kontovollmacht für das Geschäftskonto gehabt habe, habe sie nicht die tatsächliche
Möglichkeit gehabt, die Steuerzahlungen auszuführen. Ihre schwache Stellung in der U.
GmbH zeige sich auch darin, dass der Mietvertrag über das streitgegenständliche
Grundstück zum 31.03.2007 durch Beschluss der Gesellschafterversammlung
aufgehoben worden sei, obwohl dies nicht vertragskonform gewesen sei. Auf diesen
Sachverhalt habe sie keinen Einfluss nehmen können.
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Im Übrigen habe ein angestellter Geschäftsführer, der nicht zugleich Gesellschafter sei,
niemals einen beherrschenden Einfluss auf die betreffende Gesellschaft; er könne
jederzeit sofort gekündigt bzw. von der Gesellschafterversammlung abberufen werden.
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Im Streitfall sei ihr, der Klägerin, kein positives Tun bzw. Unterlassen vorzuwerfen, das
im Sinne des § 74 Abs. 2 Satz 2 AO zur Nichtentrichtung fälliger Steuern geführt habe.
Die U. GmbH habe ihre fälligen Steuerschulden beim Beklagten nicht unterquotal
gegenüber ihren Verbindlichkeiten bei anderen Gläubigern bedient.
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Die Klägerin beantragt,
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den geänderten Haftungsbescheid über Umsatzsteuer 2006 vom 08.04.2008, in der
Fassung der Einspruchsentscheidung vom 24.11.2008, aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Der Beklagte verweist auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und auf das
Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 15.09.2009 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
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Der Zulässigkeit der Klage steht nicht entgegen, dass der Kopf der
Einspruchsentscheidung die Haftungsinanspruchnahme für Umsatzsteuern 2006 nicht
ausdrücklich benennt, sondern unter der Rubrik "Steuerart/Jahr" den Gegenstand des
Einspruchsverfahrens mit "Haftungsbescheid über rückständige Umsatzsteuer 2005"
kennzeichnet. Es wurde, wie es § 44 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO) verlangt,
auch für die Haftungsinanspruchnahme für rückständige Umsatzsteuern 2006 ein
erfolglos gebliebenes außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren durchgeführt; dieses
schloss mit der Einspruchsentscheidung vom 24.11.2008 ab. Maßgeblich ist insofern
der Inhalt der Einspruchsentscheidung. Dieser umfasst die Haftungsinanspruchnahme
für Umsatzsteuern 2006. Erstens nennt die Einspruchsentscheidung in ihrem Kopf den
08.04.2008 als Datum des angefochtenen Bescheids. Mit Bescheid vom 08.04.2008
erfolgte die Haftungsinanspruchnahme für Umsatzsteuer 2006. Zweitens geht der
Beklagte in den Gründen der Einspruchsentscheidung auf den Inhalt des Bescheids
vom 08.04.2008 im Detail ein und erklärt ausdrücklich, Gegenstand des
Einspruchsverfahrens sei der geänderte Haftungsbescheid vom 08.04.2008.
22
Die Klage ist unbegründet.
23
Der geänderte Bescheid des Beklagten vom 08.04.2008, in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 24.11.2008, ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht
in ihren Rechten. Zu Recht hat der Beklagte die Klägerin für die rückständigen
Umsatzsteuern 2006 der U. GmbH nach § 74 AO in Anspruch genommen.
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Gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 AO haften Personen, die an einem gewerblichen
Unternehmen wesentlich beteiligt sind, mit den in ihrem Eigentum stehenden und dem
gewerblichen Unternehmen dienenden Gegenständen für diejenigen Steuern des
Unternehmens, die sich --wie die Umsatzsteuer-- auf den Betrieb des Unternehmens
gründen. Den Haftungsgrund nach dieser Vorschrift bildet dabei nicht die wesentliche
Beteiligung am Unternehmen als solche, sondern der objektive Beitrag, den der
Gesellschafter durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen
dienen, für die Weiterführung des Gewerbebetriebes geleistet hat (BVerfG-Beschluss
vom 14. Dezember 1966 1 BvR 496/65, BVerfGE 21, 6, BStBl III 1967, 166; BFH-Urteil
vom 10. November 1983 V R 18/79, BFHE 139, 242, BStBl II 1984, 127; vom 13.
25
November 2007 VII R 61/06, BFHE 220, 289, BStBl. II 2008, 790).
Diese Voraussetzungen sind für die Klägerin im Hinblick auf die Umsatzsteuern 2006,
mit denen sich die U. GmbH im Rückstand befand, erfüllt.
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Das streitgegenständliche Grundstück nebst Gebäuden ist ein Gegenstand, der dem
Unternehmen der U. GmbH im Jahr 2006 gemäß § 74 Abs. 1 Satz 1 AO diente. Es war
von der U. GmbH gemietet und wurde von ihr für betriebliche Zwecke, nämlich für Lager-
und Bürozwecke, genutzt.
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Die U. GmbH als Unternehmerin war zu keiner Zeit Eigentümerin des
streitgegenständlichen Grundstücks. Vielmehr war die Klägerin zivilrechtliche
Alleineigentümerin. Maßgeblich ist insofern der Zeitpunkt, in dem der Haftungsbescheid
erlassen wurde. Die nach § 74 AO in Anspruch genommene Person braucht im
Zeitpunkt des Entstehens der Betriebssteuern noch nicht zivilrechtlicher Eigentümer des
betreffenden Gegenstandes zu sein (vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, §
74 Rz. 18 unter Bezugnahme auf BFH-Urteil vom 27. Juni 1957 V 298/56 U,
BFHE 65, 122, BStBl III 1957, 279). Vorliegend erging der Haftungsbescheid am
08.04.2008, nachdem die Klägerin am 28.06.2006 mit der Eintragung ins Grundbuch
das Grundstückseigentum erworben hatte.
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Zudem war die Klägerin eine am Unternehmen der U. GmbH wesentlich beteiligte
Person. Nach § 74 Abs. 2 Satz 2 AO gilt als wesentlich beteiligt auch, wer auf das
Unternehmen einen beherrschenden Einfluss ausübt und durch sein Verhalten dazu
beiträgt, dass fällige Steuern im Sinne des § 74 Abs. 1 Satz 1 nicht entrichtet werden.
Hierdurch sollen Herrschaftsverhältnisse erfasst werden, die ohne entsprechende
Vermögensbeteiligung zustande kommen, aber gleichwohl geeignet sind, dem
hierdurch Begünstigten anstelle des Unternehmens den entscheidenden Einfluss auf
das Unternehmen einzuräumen. Es darf sich aber nicht nur um die Möglichkeit zur
Herrschaft handeln. Die Herrschaft muss tatsächlich in einer Weise ausgeübt werden,
die dazu beiträgt, dass fällige Betriebssteuern nicht entrichtet werden (BT-Drs. VI/1982,
121; ganz h.M. vgl. Boeker in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO, § 74 Rz. 32;
Delcker, BB 1984, 55; Mösbauer, DStZ 1996, 515; Schwarz in Schwarz, AO, § 74 Rz.
11). Diese Merkmale liegen im Streitfall vor.
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Der erkennende Senat teilt die in der Literatur vertretene Ansicht, dass ein
geschäftsführender Nichtgesellschafter einer GmbH in seiner Funktion als
Geschäftsführer grundsätzlich einen beherrschenden Einfluss auf das Unternehmen der
betreffenden GmbH ausübt (vgl. Adamek/Loose, GmbHR 2001, 649). Der
Geschäftsführer einer GmbH ist als solcher berechtigt und verpflichtet, sämtliche
Maßnahmen zu beschließen und auszuführen, die erforderlich sind, um den
Unternehmsgegenstand der GmbH mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen nach
den Grundsätzen ordnungsgemäßer Geschäftsleitung fortwährend zu verwirklichen.
Dabei hat er die Entscheidungszuständigkeit und die Mitwirkungsrechte anderer
Gesellschaftsorgane, namentlich die der Gesellschafter, zu wahren. Innerhalb dieser
Grenzen ist der Geschäftsführer Träger der unternehmerischen Initiativ- und
Entscheidungsmacht in der Gesellschaft und ihrem Unternehmen (Lutter/Hommelhoff in
Lutter/Hommelhoff, GmbHG, § 37 Rz. 3 f. unter Bezgnahme auf OLG Karlsruhe-Urteil
vom 25. August 1995, 15 U 286/94, GmbHR 1996, 208). Der Geschäftsführer ist danach
das Gesellschaftsorgan, das das von der GmbH getragene Unternehmen im
Wesentlichen steuert. Der Umstand, dass ein GmbH-Geschäftsführer der Gesellschaft
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gegenüber verpflichtet ist, Weisungen in Gestalt von Beschlüssen der
Gesellschafterversammlung nach § 37 Abs. 1 GmbHG umzusetzen und dass seine
Bestellung nach § 38 Abs. 1 GmbHG jederzeit widerruflich ist, begrenzt zwar die
Stellung eines GmbH-Geschäftsführers. § 74 Abs. 2 Satz 2 AO verlangt jedoch keine
Exklusivität in dem Sinne, dass allein der betreffende Haftungsschuldner einen
beherrschenden Einfluss auf das betreffenden Unternehmen ausüben müsste. Denkbar
ist auch, dass dieser Einfluss zugleich weiteren Gesellschaftsorgangen bzw. weiteren
natürlichen oder juristischen Personen zukommt.
Die Klägerin hat im Streitfall als Geschäftsführerin der U. GmbH auch tatsächlich einen
beherrschenden Einfluss auf deren Unternehmen ausgeübt.
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Zwar hat die Klägerin nach eigenem Bekunden die Führung der laufenden Geschäfte,
mit Ausnahme der Jahresabschlüsse und der Steuererklärungen, nicht persönlich
wahrgenommen. Sie hat aber dadurch Einfluss auf die Führung des Unternehmens der
U. GmbH genommen, dass sie ihre Aufgaben als Geschäftsführerin in wesentlichem
Umfang an andere Personen deligierte. Sie hat jedenfalls geduldet, dass andere
Personen faktisch ihre Funktionen als Geschäftsführerin übernahmen.
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Dass die Klägerin, wie sie vorträgt, keine Kontovollmacht für das Geschäftskonto gehabt
haben will, kann sie in diesem Zusammenhang nicht entlasten. Eine etwaige
Beschränkung der Vertretungsbefugnis eines Geschäftsführers hat nach § 37 Abs. 2
Satz 1 GmbHG keine rechtliche Wirkung gegenüber dritten Personen. Vollmachten, die
andere Personen für das Geschäftskonto der U. GmbH hatten, standen der rechtlichen
Verfügungsgewalt der Klägerin über dieses Konto nicht entgegen.
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Auch der Umstand, dass die Gesellschafterversammlung, wie die Klägerin vorträgt,
ohne ihren Willen und ohne ihr Zutun im Jahr 2007 den Mietvertrag über das
streitgegenständliche Grundstück beendet haben soll, ist kein Indiz dafür, dass die
Klägerin das Unternehmen der GmbH nicht beherrscht hätte. Wie bereits dargelegt, führt
die gesetzlich vorgesehene Aufgabenverteilung zwischen den Gesellschaftsorganen
einer GmbH nicht dazu, dass ein Geschäftsführer generell keinen beherrschenden
Einfluss auf das Unternehmen der Gesellschaft ausüben kann. Es kann im Übrigen für
Zwecke dieses Rechtsstreits dahinstehen, ob die Gesellschafterversammlung, wie der
Sachvortrag der Klägerin nahelegt, seine Kompetenzen als Gesellschaftsorgan
tatsächlich überschritten hat. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte die
Klägerin dadurch, dass sie dagegen nicht einschritt, wiederum geduldet, dass die
Geschäfte der Gesellschaft faktisch durch andere geführt wurden.
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Die Klägerin hat ferner durch ihr Verhalten dazu beigetragen, dass die Umsatzsteuern
2006 bei Fälligkeit nicht entrichtet wurden. Ein Mitverursachen durch Handeln oder
Unterlassen reicht insofern aus (vgl. Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 74 Rz. 14;
Schwarz in Schwarz, AO, § 74 Rz. 12). Die Klägerin hat es entgegen ihrer in § 34 Abs. 1
Satz 1 AO geregelten Pflicht als gesetzliche Vertreterin der U. GmbH unterlassen, nach
§ 18 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz i.V.m. § 149 Abs. 2 AO bis Ende Mai 2007 eine
Umsatzsteuer-Jahreserklärung 2006 abzugeben. Durch die dadurch entstandene
zeitliche Verzögerung hat sie dazu beigetragen, dass die mit Schätzungsbescheid vom
02.01.2008 festgesetzten Umsatzsteuern 2006 bei Fälligkeit nicht mehr entrichtet
werden konnten.
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Anders als die Klägerin meint, schließt der Umstand, dass der Beklagte mit seinen
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Steueransprüchen nicht unterquotal gegenüber anderen Gläubigern der U. GmbH
befriedigt wurde, ihre Haftungsinanspruchnahme nach § 74 AO nicht aus. Im Gegensatz
zu § 69 AO setzt § 74 AO ein Verschulden des Haftungsschuldners nicht voraus (vgl.
auch FG Nürnberg-Urteil vom 14. März 2000, II 427/1999, II 427/99). Eine restriktive
Auslegung von § 74 AO ist nach Sinn und Zweck der Norm auch nicht geboten.
Haftungsgrund des § 74 AO ist der objektive Beitrag, den der betreffende
Haftungsschuldner durch die Bereitstellung von Gegenständen, die dem Unternehmen
dienen, für die Weiterführung des Gewerbebetriebs geleistet hat (BFH-Urteil vom 13.
November 2007, VII R 61/06, BFHE 220, 289, BStBl II 2008, 790). § 74 AO soll
vermeiden, dass die Vollstreckung von Betriebssteuerschulden eines Unternehmens
ergebnislos bleibt, weil alle pfändbaren Gegenstände einem anderen als dem
Unternehmer gehören und der Unternehmer selbst mit gemieteten oder gepachteten
Betriebsmitteln wirtschaftet. Die Norm erweitert die Haftungssubstanz um die dem
Steuerpflichtigen überlassenen Gegenstände (vgl. Adamek/Loose, GmbHR 2001, 649
m.w.N.).
Der Beklagte hat auch die in § 74 Abs. 1 Satz 2 AO geregelten zeitlichen Grenzen
beachtet. Danach erstreckt sich die Haftung nur auf die Steuern, die während des
Bestehens der wesentlichen Beteiligung entstanden sind. Die Klägerin war im Jahr
2006 alleinige Geschäftsführerin der U. GmbH. Für dieses Jahr entstand die
Umsatzsteuer, für die die Klägerin in Haftung genommen worden ist.
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Die Entscheidung des Beklagten war ermessensfehlerfrei. Einwendungen gegen die
Ausübung des Entschließungs- und Auswahlermessens hat die Klägerin nicht geltend
gemacht. Der Beklagte hat die Haftungsinanspruchnahme der Klägerin nachvollziehbar
damit begründet, dass die U. GmbH nicht freiwillig bereit war zu zahlen, rückständige
Beträge auch durch Vollstreckungsmaßnahmen nicht eingezogen werden konnten und
dass es wegen der Insolvenz der Gesellschaft nicht mehr gesichert sei, dass eine
Beitreibung noch möglich sein würde.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.
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