Urteil des FG Hessen vom 26.11.2009

FG Frankfurt: herstellungskosten, grundstück, dachgeschoss, absicht, einkünfte, sanierung, verpachtung, vermietung, gebäude, haus

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 3.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahr:
2002
Aktenzeichen:
3 K 3807/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 21 Abs 1 S 1 Nr 1 EStG
2002, § 255 Abs 2 S 1 HGB, §
9 Abs 1 EStG 2002
(Veränderung der Dachform als zur Annahme von
Herstellungskosten führende Funktionsänderung)
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob Kosten, die im Zusammenhang mit
Baumaßnahmen an einem zu Vermietungszwecken genutzten Haus entstanden
sind, sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen oder als zeitanteilig
abschreibbare Herstellungskosten darstellen. Dem Rechtsstreit liegt im
Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:
Die Klägerin war während der Jahre 1996 bis 2004 Eigentümerin des Grundstücks
X- Straße … in Y. Das Grundstück ist bebaut mit einem zweigeschossigen Haus
(Baujahr 1950). Zunächst war das Dach des Hauses als Walmdach gestaltet.
Wegen der Einzelheiten der Bauweise wird auf die Pläne Bezug genommen, die in
den das Grundstück betreffenden Einheitswertakten abgelegt sind.
Die Klägerin nutzte das Haus während der vorgenannten Jahre in vollem Umfang
zu Vermietungszwecken. Mieter war zeitweise ein … bzw. eine … .
Im Jahr 1998 erhielt die Klägerin eine Baugenehmigung für die „Aufstockung des
Dachgeschosses“. Ausweislich der vorliegenden Einkommensteuerakten tätigte
sie in den Jahren 2000 und 2001 sowie im Streitjahr 2002 erhebliche
Aufwendungen für die bauliche Umgestaltung des Dachgeschosses.
Im Rahmen ihrer Zusammenveranlagung zur Einkommensteuer 2002 machten die
Kläger in Bezug auf die von der Klägerin erzielten Einkünfte aus Vermietung und
Verpachtung für das genannte Grundstück Baukosten in Höhe von ca. 78.000,00 €
als Erhaltungsaufwendungen geltend. Der Beklagte (das Finanzamt) behandelte
die geltend gemachten Aufwendungen als Herstellungskosten und setzte die
Einkommensteuer entsprechend fest (Bescheid vom ...02.2004).
Gegen den Bescheid legten die Kläger, vertreten durch ihren damaligen
Steuerberater, Einspruch ein. Zur Begründung führten sie zunächst aus: Das Dach
des Hauses habe dringend repariert werden müssen. Ansonsten gebe es keinen
Grund für die angefallenen Baumaßnahmen. Dass hierbei nicht nur Kosten für die
reine Dacherneuerung, sondern auch Kosten für andere Baumaßnahmen
angefallen seien, ergebe sich aus der Natur der Sache (Schreiben des
Steuerberaters vom ...02.2004). Später trugen sie vor: Die Kosten, die „wirklich
ausschließlich die Dachreparatur“ betroffen hätten, beliefen sich auf ca. 30.000,00
€. Dieser Betrag solle nunmehr (statt des ursprünglich geltend gemachten
Betrages in Höhe von 78.000,00 €) bei den sofort abziehbaren
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Betrages in Höhe von 78.000,00 €) bei den sofort abziehbaren
Erhaltungsaufwendungen berücksichtigt werden (Schreiben des
Prozessbevollmächtigten vom ...06.2004).
Das Finanzamt wies den Einspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung
führte es u.a. aus: Die hier betroffenen Baumaßnahmen hätten in Bezug auf das
Gebäude zu einer Erweiterung im Sinne des § 255 Abs. 2 Satz 1 des
Handelsgesetzbuches (HGB) geführt. So hätte sich die im Dachgeschoss des
Gebäudes vorhandene Nutzfläche vergrößert. Der Einwand der Kläger, es liege nur
eine geringfügige Nutzflächenvergrößerung vor, sei nicht stichhaltig
(Einspruchsentscheidung vom ...10.2004).
Gegen die Einspruchsentscheidung richtet sich die vorliegende Klage. Zur
Begründung haben die Kläger, nunmehr vertreten durch den
Prozessbevollmächtigten, eine gutachterliche Stellungnahme des Architekten …
vorgelegt. Hierzu haben sie zunächst vorgetragen: Wie sich aus den Ermittlungen
des Architekten ergebe, hätten sich die Kosten für die Sanierung des Daches auf
ca. 63.000,00 € belaufen. Im Übrigen zeige das Gutachten, dass die
bautechnische Situation nachgerade umgekehrt zu beurteilen sei, wie es das
Finanzamt in der Einspruchsentscheidung tue. So sei Anlass für die
Baumaßnahme allein die sich aus dem Alter naturgemäß ergebende
Notwendigkeit einer gründlichen Dachreparatur gewesen. Diese Reparatur habe
sich als so aufwändig dargestellt, dass man sich entschlossen habe, bei dieser
Gelegenheit zusätzlich nutzbaren Raum zu schaffen und die hierfür anfallenden
Zusatzkosten wegen ihres verhältnismäßig geringen Umfangs in Kauf zu nehmen.
Dabei habe auch die Überlegung eine Rolle gespielt, dass eine Erweiterung des
nutzbaren Raumes durch eine spätere Baumaßnahme mit Sicherheit zu höheren
Kosten geführt hätte (Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom ...01.2005).
Auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts haben die Kläger zur Vorbereitung
der mündlichen Verhandlung weiter vorgetragen: Im Rahmen der Auftragsvergabe
hätten sie von den beteiligten Fachleuten erfahren, dass eine Sanierung des
Daches unter Beibehaltung der bisherigen Bauform möglich sei, dass aber ohne
relevanten Mehrpreis im Vergleich dazu das bisher vorhandene Walmdach durch
ein Satteldach ersetzt werden könne, dass Letzteres zudem funktionelle Vorteile
mit sich bringen und auch vom örtlichen Bauamt bevorzugt werde. Die
vorgenannte Fachinformation habe naturgemäß nicht bewirken können, dass sie,
die Kläger, etwa nun ihre Sanierungsabsicht aufgegeben und stattdessen eine
Herstellungsabsicht gefasst hätten. Insgesamt gesehen sei in tatsächlicher wie in
wirtschaftlicher Hinsicht eine Sanierung erfolgt. Dass sich diese Sanierung teilweise
vielleicht „im Gewand“ einer Herstellung zeige, sei unbeachtlich (Schreiben des
Prozessbevollmächtigten vom ...11.2009).
Im Laufe des Klageverfahrens hat das Finanzamt aufgrund von Feststellungen, die
es im Rahmen einer Außenprüfung in Bezug auf die Einkünfte des Klägers aus
Kapitalvermögen getroffen hat, die Einkommensteuerfestsetzung für das Streitjahr
geändert (Bescheid vom ...09.2007). Hiergegen haben die Kläger keine
Einwendungen erhoben.
Die Kläger beantragen,
den Bescheid vom ...02.2004 über Einkommensteuer 2002 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom ...10.2004 sowie in Gestalt des Änderungsbescheids
vom ...09.2007 in der Weise zu ändern, dass bei den Einkünften aus Vermietung
und Verpachtung betreffend das Grundstück X- Straße … in Y voll abzuziehende
Erhaltungsaufwendungen in Höhe von 63.000,00 € berücksichtigt werden.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zum streitigen Sachverhalt hat es vorgetragen: Die hier betroffenen
Baumaßnahmen seien bereits im Jahr 2000 begonnen worden. In diesem
Zusammenhang sei das Dachgeschoss des Hauses komplett abgetragen, die
Außenmauern durch einen Trempel (um ca. 0,50 m) erhöht und das bisherige
Walmdach durch ein Satteldach (mit Gauben) ersetzt worden. Durch die
Baumaßnahme sei im Dachgeschoss eine zusätzliche Nutzfläche von ca. 60 m²
entstanden. Wegen der rechtlichen Beurteilung des Sachverhalts verweist das
Finanzamt auf seine Ausführungen in der Einspruchsentscheidung.
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Die den Streitfall betreffenden Einkommensteuerakten des Finanzamts sowie die
das streitige Grundstück betreffenden Einheitswertakten waren Gegenstand des
Verfahrens.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
1. Das Finanzamt hat die streitigen Aufwendungen zu Recht den (nur zeitanteilig
abziehbaren) Herstellungskosten zugeordnet.
Aufwendungen, die durch die Absicht veranlasst sind, Einkünfte aus Vermietung
und Verpachtung zu erzielen (§ 21 Abs. 1 EStG), sind dann nicht als
Werbungskosten (§ 9 Abs. 1 EStG) sofort abziehbar, wenn es sich hierbei um
Herstellungskosten handelt. Welche Aufwendungen zu den Herstellungskosten
zählen, bestimmt sich auch für die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
nach § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs – BFH - vom
14.07.2004 IX R 52/02, BStBl II 2004, 949). Danach sind Herstellungskosten solche
Aufwendungen, die durch den Verbrauch von Gütern und die Inanspruchnahme
von Diensten für die Herstellung eines Vermögensgegenstandes, seine
Erweiterung oder für eine über seinen ursprünglichen Zustand hinausgehende
wesentliche Verbesserung entstehen.
Unter dem Gesichtspunkt der Erweiterung (Alternative 2 der genannten Vorschrift)
liegen bei einem Gebäude (nachträgliche) Herstellungskosten vor, wenn nach dem
Zeitpunkt der Fertigstellung etwas Neues geschaffen wird, wenn also - gemessen
an ihrer Funktion - bisher nicht vorhandene Bestandteile eingefügt werden, was
dann wiederum neben der Substanzmehrung auch eine Erweiterung der
Nutzungsmöglichkeiten zur Folge hat (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2004, 949). Eine
Erweiterung in dem vorgenannten Sinne führt stets zur Annahme von
(nachträglichen) Herstellungskosten, und zwar selbst dann, wenn die
Aufwendungen nur geringfügig sind (vgl. BFH-Urteil vom 09.05.1995 IX R 69/92,
BStBl II 1996, 630).
Die Beurteilung der Frage, ob dem Gebäude etwas Neues, also etwas bisher nicht
Dagewesenes, hinzugefügt worden ist, richtet sich nicht nur nach der Funktion des
eingebauten Bestandteils, sondern auch nach der Verkehrsauffassung.
Nachträgliche Herstellungskosten liegen insofern beispielsweise vor, wenn das
Flachdach eines Wohngebäudes durch ein Satteldach in der Weise ersetzt wird,
dass dadurch erstmals ein für Wohnzwecke ausbaufähiges Dachgeschoss
entsteht. Dasselbe gilt, wenn ein Satteldach durch ein Flachdach derart ersetzt
wird, dass ein weiteres Obergeschoss entsteht (vgl. Ehmke in Blümich,
Einkommensteuergesetz/Körperschaftsteuergesetz/Gewerbesteu-ergesetz, § 6
EStG Rn. 392 mit weiteren Nachweisen zur Rechtsprechung des BFH).
Liegen die Merkmale einer Erweiterung nach den objektiven Gegebenheiten vor,
spielt es keine Rolle, ob der Steuerpflichtige bei der Durchführung der betreffenden
Baumaßnahmen die Absicht hatte, etwas Neues in dem vorgenannten Sinne zu
schaffen. Denn die Steuerschuld entsteht nach § 38 der Abgabenordnung (AO),
sobald die tatbestandlichen Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar unabhängig
von einem entsprechenden Verwirklichungswillen des Steuerpflichtigen (Grundsatz
von der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung; vgl. BFH-Urteil vom 27.03.1990
VII R 26/89, BStBl II 1990, 939; siehe hierzu auch: Koenig in Pahlke/Koenig,
Abgabenordnung, 2. Aufl., § 38 Rn. 3).
Der im Streitfall objektiv vorliegende Sachverhalt entspricht den vorstehend
genannten Beispielsfällen aus der BFH-Rechtsprechung. Hier wie dort ist die bisher
vorhandene Dachform durch eine neue, anders gestaltete Dachform ersetzt
worden. Dadurch ist jeweils erreicht worden, dass sich die Nutzungsmöglichkeiten
für die betreffenden Geschossflächen mehr oder weniger stark erweitert haben.
Dies hat das Finanzamt für den Streitfall im Einzelnen dargelegt (Vergrößerung der
Nutzfläche im Dachgeschoss um 60 m²). Außerdem ist der bisher vorhandenen
Bausubstanz etwas Neues hinzugefügt worden (Erhöhung des Trempels um 0,50
m, Errichtung von Dachgiebeln). Vor diesem Hintergrund kann nicht gesagt
werden, nach der Verkehrsanschauung hätte sich an der Funktion des bisherigen
Daches nichts geändert. Vielmehr belegen die in den Akten vielfach vorhandenen
Bilddokumente (Baupläne über den früheren Zustand einerseits und Fotografien
über die Baumaßnahmen und den jetzigen Zustand andererseits) hinreichend
deutlich, dass etwas Neues entstanden ist.
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Die Kläger räumen selbst ein, dass die streitigen Baumaßnahmen - zumindest
teilweise - sich „im Gewand“ einer Herstellung zeigen. Sie verweisen in diesem
Zusammenhang auch auf die „funktionellen Vorteile“, die die neue Dachform im
Vergleich zu der früheren mit sich bringt. Gleichwohl verneinen sie das Vorliegen
von Herstellungskosten mit dem Hinweis, es habe stets nur die Absicht
bestanden, das vorhandene Dach wegen des altersbedingten Reparaturbedarfs zu
sanieren, und nicht die Absicht, etwas Neues herzustellen. Dabei bringen sie
sinngemäß zum Ausdruck, die „funktionellen Vorteile“ und die damit verbundenen
(wenn auch geringen) Mehraufwendungen habe man aus baufachlichen und
wirtschaftlichen Überlegungen heraus in Kauf genommen. Sie lassen hierbei
allerdings außer Acht, dass es nach dem Grundsatz von der Tatbestandsmäßigkeit
der Besteuerung auf den Willen des Steuerpflichtigen nicht ankommt, wenn der
tatsächlich verwirklichte Sachverhalt sich nach außen hin anders darstellt, und
dass insofern andere Absichten letztlich nur als unbeachtliche Motive zu gelten
haben. Deshalb müssen sie sich, so verständlich und wirtschaftlich sinnvoll ihre
Absichten auch waren, an den objektiven Gegebenheiten festhalten lassen.
2. Das Finanzamt hat es auch zu Recht abgelehnt, im Hinblick auf den Teilbetrag,
den die Kläger im Laufe des Einspruchsverfahrens geltend gemacht haben
(30.000,00 € statt ursprünglich 78.000,00 €, Schreiben des damaligen
Steuerberaters vom ...06.2004), sofort abziehbare Erhaltungsaufwendungen
anzunehmen.
Stehen Maßnahmen zur Erweiterung eines Gebäudes, die entsprechend den im
vorstehenden Abschnitt 1. dargelegten Grundsätzen zur Annahme von
Herstellungskosten führen, mit anderen Instandsetzungs- und
Modernisierungsmaßnahmen, die für sich genommen als Erhaltungsmaßnahmen
zu beurteilen wären, in einem engen räumlichen, zeitlichen und sachlichen
Zusammenhang, so sind die betreffenden Aufwendungen in aller Regel als
Herstellungskosten zu beurteilen. Ein sachlicher Zusammenhang in diesem Sinne
liegt vor, wenn die einzelnen Baumaßnahmen bautechnisch ineinander greifen. Die
Aufwendungen sind allerdings dann in (zeitanteilig abziehbare) Herstellungskosten
einerseits und in (sofort abziehbare) Erhaltungsaufwendungen andererseits
aufzuteilen, wenn die dazugehörigen Arbeiten lediglich gleichzeitig vorgenommen
worden sind (vgl. BFH-Urteil vom 09.05.1995 IX R 2/94, BStBl II 1996, 637).
Im Streitfall ist offenkundig, dass die Baumaßnahmen, die für die hier streitige
Dachumgestaltung erforderlich waren, insgesamt als eine bautechnische Einheit
betrachtet werden müssen. Es liegt keine Mehrzahl von bautechnisch
selbstständigen Einzelmaßnahmen vor. Vielmehr gehören alle Baumaßnahmen im
Sinne eines „bautechnischen Ineinandergreifens“ zusammen. Diesbezügliche
Einwendungen haben die Kläger auch nicht erhoben. Auf einen entsprechenden
Hinweis durch das Gericht haben sie in der mündlichen Verhandlung durch den
Prozessbevollmächtigten lediglich vortragen lassen, ihr früherer Steuerberater
habe während des Einspruchsverfahrens den streitigen Werbungskostenabzug aus
verfahrenstaktischen Gründen auf den Teilbetrag von 30.000,00 € beschränkt.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung
(FGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.