Urteil des FG Hessen vom 18.01.2006

FG Frankfurt: lieferung, vollziehung, vorsteuerabzug, firma, software, aussetzung, handelsregister, aufzeichnung, hauptsache, anforderung

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Gericht:
Hessisches
Finanzgericht 6.
Senat
Entscheidungsdatum:
Streitjahre:
2000, 2001
Aktenzeichen:
6 V 3026/05
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG
1999, § 69 Abs 3 S 1 FGO, §
69 Abs 2 S 2 FGO, § 14 Abs 1
S 2 Nr 3 UStG 1999, Art 22
Abs 3a EWGRL 388/77
(Rechtmäßigkeit der Versagung des Vorsteuerabzugs
wegen fehlender Gerätenummern in den Rechnungen bei
massenhafter Lieferung von elektronischen Bauteilen zu
Preisen von ca. 400 DM je Stück ernstlich zweifelhaft i.S.
des § 69 FGO)
Tatbestand
Gegenstand des Unternehmens der Antragstellerin ist die Entwicklung und der
Vertrieb von Hard- und Software. Die Umsätze betrugen zwischen 1989 und 2000
ca. 4 - 8 Millionen DM und stiegen in 2001 stark an auf ca. 33 Mio DM. Daraufhin
prüfte das FA, ob die Antragstellerin in ein Umsatzsteuerkarussell eingebunden
war und veranlasste eine Betriebsprüfung. Nach deren Abschluss erließ das FA am
3.5.2005 Änderungsbescheide für 2000 und 2001, in denen es die Umsatzsteuer
2000 um 20.562 Euro bzw. für 2001 um 79.951 Euro erhöhte.
Grund für die Erhöhung war neben Umsatzerhöhungen die Kürzung der Vorsteuern
aus Rechnungen der Firma A GmbH an die Antragstellerin nach den Angaben der
Antragstellerin in Höhe von 18.586,48 Euro für das Jahr 2000 und Vorsteuern von
53.967,45 Euro für das Jahr 2001, weil das FA die Rechtsauffassung vertrat, die
Leistungsbeschreibung in den Rechnungen sei mangelhaft, weil die
Seriennummern der elektronischen Bauteile nicht aufgezeichnet waren (der BP
Bericht mit Datum 5.4.2005 befindet sich nicht bei den vom FA vorgelegten
Akten).
Die Leistungsbeschreibung in den Rechnungen lauteten nach der Wiedergabe des
FA auf Bl. 23 (Rechnungskopien befinden sich nicht in den vorgelegten Akten) z.B.:
„SD RAM 128 MB PC 100, 1100 Stück“, MS - Windows ME Engl. 56 Stück, MS Office
XP upd. Dt.SBE 100 Stück“ oder „Intel CPU P III 933 MHz Tray, 300 Stück“.
Gegen die Änderungsbescheide hat die Antragstellerin fristgerecht Einspruch
eingelegt, über den das FA noch nicht entschieden hat, sowie Aussetzung der
Vollziehung beantragt. Nach Zurückweisung des Antrags hat die Antragstellerin
gerichtlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gestellt und zur Begründung
ausgeführt:
Die Rechtmäßigkeit der Versagung des Vorsteuerabzugs aus Rechnungen der
Firma A GmbH sei ernstlich zweifelhaft. Die Leistung sei in hinreichender Form
durch Angabe der Art und Menge der Gegenstände beschrieben. Die Angabe der
Seriennummern sei nicht erforderlich. Diese Anforderung entbehre einer
gesetzlichen Grundlage. Die Angabe der Seriennummern sei auch nicht
branchenüblich. Die Rechtsprechung des Finanzgerichts München im Urteil vom
24.2.2002 zu den Anforderungen an die Rechnungsstellung bei hochpreisigen
Uhren sei auf die Lieferung von Massenwaren nicht übertragbar. Die Aus-setzung
sei ohne Sicherheitsleistung zu gewähren, da der Steueranspruch nicht gefährdet
sei.
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Die Antragstellerin beantragt,
die Vollziehung der Umsatzsteueränderungsbescheide 2000 und 2001 vom
3.5.2005 in Höhe von 18.586,48 Euro (2000) sowie Zinsen von 3.411 Euro bzw.
53.967,45 Euro (2001) sowie Zinsen von 6.750 Euro auszusetzen.
Das FA beantragt
den Antrag abzulehnen.
Zur Begründung hat das FA (nach Rücksprache mit der OFD) ausgeführt: Der
Vorsteuerabzug aus Rechnungen der Firma A GmbH sei zu versagen, weil in den
Rechnungen die Seriennummern bzw. die Lizenznummern nicht angegeben
worden seien. An die Leistungsbeschreibung seien erhöhte Anforderungen zu
stellen, weil die A GmbH die in Rechnung gestellte Umsatzsteuerbeträge nicht
erklärt und an das FA abgeführt habe. Sie sei inzwischen wegen
Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht worden. Erhöhte Anforderungen
an die Leistungsbeschreibung seien auch deshalb zu stellen, weil die Geschäfte
bar abgewickelt worden seien und ohne Lieferschein. Zum Nachweis der
Branchenüblichkeit der Aufzeichnung von Gerätenummern hat das FA Rechnungen
vorgelegt, in denen (teilweise) Garantiesiegelnummern enthalten sind.
Entscheidungsgründe
Der Antrag ist im wesentlichen begründet.
1. Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) kann das Gericht der
Hauptsache die Vollziehung eines Verwaltungsakts ganz oder teilweise gemäß §
69 Abs. 2 Sätze 2 bis 6 FGO aussetzen. Die Vollziehung soll ausgesetzt werden,
wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen
Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine
unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur
Folge hätte. Ernstliche Zweifel i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO sind zu bejahen,
wenn bei summarischer Prüfung des angefochtenen Steuerbescheids neben für
seine Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige Gründe zutage treten,
die Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen
Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken.
2. Ob die Versagung des Vorsteuerabzugs allein mit der Begründung erfolgen
kann, in den Rechnungen über Computerbauteile und Software fehlten auf das
einzelne Bauteil hinweisende Gerätenummern oder Lizenznummern, ist nicht
geklärt.
a) Gem. § 15 UStG setzt der Vorsteuerabzug u.a. als voraus, dass die
Umsatzsteuer der für das Unternehmen bezogenen Leistungen „in Rechnungen
im Sinne des § 14 UStG“ gesondert ausgewiesen ist. Nach § 14 UStG müssen
Rechnungen u.a. Angaben über „die Menge und die handelsübliche Bezeichnung
des Gegenstandes der Lieferung „ besitzen. Dies entspricht den Anforderungen
von Art. 22 Absatz 3a der sechsten EG-Richtlinie, wonach jeder Stpfl. für
Lieferungen von Gegenständen eine Rechnung auszustellen hat, die so ausführlich
ist, daß sie „die Anwendung der Mehrwertsteuer und die Überprüfung durch die
Steuerverwaltung“ ermöglicht. Andererseits dürfen nach der Rechtsprechung des
EuGH (Urteil vom 23. Januar 2003 in der Rechtssache C- 25/03) die Anforderungen
nicht dahingehend überspannt werden, dass „ihre Zahl oder ihre technische
Kompliziertheit die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug praktisch unmöglich“
machen. Die Anforderungen an den Inhalt der Rechnung sind für jede Lieferung
gleich. Sie können auch nicht - wie das FA meint - davon abhängen, ob das
Geschäft in bar getätigt worden ist oder die Rechnungssumme überwiesen wurde.
b) Ob zur handelsüblichen Bezeichnung die Angabe der Gerätenummern gehört,
ist streitig. So vertritt zum einen Birkenfeld (USt Handbuch, § 163 Tz.78, Lieferung
November 2004) die Auffassung, in Rechnungen über Mobiltelefone müssten „zur
Abwehr von Karussellgeschäften“ die jedem Gerät vom Hersteller zugeordneten
Gerätenummern in der Rechnung oder einer Anlage zur Rechnung (Lieferschein)
angegeben werden (ebenso Leitmeier/ Zühlke, StBP 2003, 290).
Andererseits hat das Niedersächsische FG (Beschluss vom 12.11.2004 16 V
137/04, Juris, Tz. 53 der Beschlussgründe) die gegenteilige Auffassung vertreten
und zur Begründung ausgeführt, die Angabe der Gerätenummern von Handys
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und zur Begründung ausgeführt, die Angabe der Gerätenummern von Handys
(sog. „IMEI“ Nummern) sei nicht erforderlich, weil bei der Bestellung von
Kontingenten eine Gattungsschuld nach § 279 BGB vereinbart sei und keine
Stückschuld. Daher sei die Lieferantin auch nicht verpflichtet gewesen,
Aufzeichnungen über Strichcodes zu führen.
c) Weiterhin ergibt sich eine eindeutige Klärung der Rechtslage auch nicht aufgrund
der Rechtsprechung des BFH (Beschluss vom 29.11.2002 V B 119/02, BFH/NV
2003, 518), wonach für die Lieferung hochpreisiger Uhren und Armbänder von über
5.000 DM je Stück entschieden wurde, dass zur Leistungsbeschreibung allgemeine
Gattungsbezeichnungen wie „Uhren und Armbänder“ nicht ausreichten . Ob diese
Rechtsprechung auf die massenhafte Lieferung von elektronischen Bauteilen zu
Preisen von ca. 400 DM / Stück übertragbar ist, bleibt zweifelhaft.
d) Schließlich hat das FA die „Handelsüblichkeit“ der Angabe von Gerätenummern
auch nicht hinreichend durch die beigeführten Rechnungen anderer Lieferanten
und der Antragstellerin selbst nachgewiesen. Zwar ist in einigen der Rechnungen
die Angabe einer Garantienummer für jedes einzelne Bauteil enthalten; in anderen
Rechnungen fehlen diese Angaben jedoch. Es ist Sache des FA in dem noch nicht
abgeschlossenen Einspruchsverfahren oder ggf. in einem gerichtlichen
Hauptsacheverfahrens eingehende tatsächliche Feststellungen zur
Handelsüblichkeit zu treffen, nicht jedoch in dem vorliegenden Eilverfahren.
3. Weitere Feststellungen, die gegen die Berechtigung zum Vorsteuerabzug
sprechen, hat das FA nicht vorgetragen. Die Behauptung, es bestünden Zweifel ob
die Lieferungen tatsächlich stattgefunden hätten, ist unsubstantiiert. Im
Aussetzungsverfahren ist es nicht Sache des Gerichts, hierzu erstmalig
Feststellungen zu treffen.
4. Die Beschwerde zum Bundesfinanzhof war wegen grundsätzlicher Bedeutung
zuzulassen.
5.
Die Kosten des Verfahrens waren dem unterlegenen FA ( § 135 Abs. 1
FGO) aufzuerlegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.