Urteil des FG Hamburg vom 15.11.2013

FG Hamburg: entlastung, treu und glauben, vollziehung, energiesteuer, aussetzung, einspruch, verzicht, steuerbetrag, belastung, verzinsung

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Abgabenordnung: Erlass von Aussetzungszinsen
1. Ein Anspruch auf Erlass von Aussetzungszinsen besteht in folgendem Fall nicht: Ein Hauptzollamt
erließ einen Energiesteuerbescheid gem. § 15 Abs. 1 Nr. 1 EnergieStG, gegen den nach erfolglosem
Einspruchsverfahren - soweit hier relevant - erfolglos Klage erhoben wurde. Während des Einspruchs-
und Klageverfahrens war die Vollziehung ausgesetzt. Zwischenzeitlich stellte der Steuerpflichtige einen
Entlastungsantrag nach § 50 EnergieStG, dem - wegen Nachweisanforderungen gem. § 94 EnergieStV -
erst nach Rechtskraft des Urteils stattgegeben wurde. Dem Ansatz, der Energiesteueranspruch des
Beklagten habe nicht der materiellen Rechtslage entsprochen, weil ihm ein materieller
Entlastungsanspruch des Steuerschuldners gegenübergestanden habe, vermochte das Gericht nicht zu
folgen. Der Steueranspruch entsteht kraft Gesetzes unabhängig von der Frage eines möglichen
Entlastungsanspruchs nach § 50 EnergieStG.
2. Zu den Nachweisanforderungen gem. § 94 Abs. 3 EnergieStV.
FG Hamburg 4. Senat, Urteil vom 15.11.2013, 4 K 19/13
§ 237 Abs 4 AO, §234 Abs 2 AO, § 15 Abs 1 Nr 1 EnergieStG, § 50 EnergieStG, § 94 EnergieStV
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Aussetzungszinsen.
Im Zeitraum vom 01.04.2004 bis zum 25.04.2007 verbrachte die Klägerin über ... Mio. l Biodiesel und
Pflanzenöl zu gewerblichen Zwecken aus dem freien Verkehr ... in die Bundesrepublik Deutschland. Die Ware
wurde nicht zur Versteuerung im Bundesgebiet angemeldet.
Mit zwei - unterschiedliche Zeiträume (01.04.2004 bis 31.07.2006 bzw. 01.08.2006 bis 25.04.2007)
betreffenden - Steuerbescheiden vom 16.01.2008 erhob der Beklagte Mineralölsteuer in Höhe von ... € bzw.
... €.
Gegen die Abgabenbescheide legte die Klägerin am 07.02.2008 jeweils Einspruch ein und beantragte die
Aussetzung der Vollziehung. Die Einsprüche wurden mit Einspruchsentscheidungen vom 07.04.2008 und
vom 12.03.2008 zurückgewiesen. Gegen die beiden Steuerbescheide vom 16.01.2008 erhob die Klägerin die
Klagen 4 K 135/10 und 4 K 136/10. Im Verfahren 4 K 135/10 hob das Gericht den den Zeitraum 01.08.2006
bis 24.04.2007 betreffenden Steuerbescheid vom 16.01.2008 auf, soweit darin Energiesteuer für den Zeitraum
vom 01.08.2006 bis zum 31.12.2006 erhoben wurde. Im Verfahren 4 K 136/10 gab das Gericht der Klage
ebenfalls statt. Das Gericht führte in den Entscheidungsgründen beider Urteile aus, der geltend gemachte
Energiesteueranspruch sei zwar grundsätzlich gegeben, allerdings sei Festsetzungsverjährung eingetreten.
Auch in Umsetzung der genannten Urteile forderte der Beklagte die Klägerin mit Bescheid vom 21.01.2011
auf, die verbleibenden Beträge in Höhe von insgesamt ... € Energiesteuer bis zum 07.02.2011 zu entrichten.
Mit Bescheid vom 04.01.2012 setzte der Beklagte im Hinblick auf die Steuerbescheide vom 16.01.2008
Aussetzungszinsen in Höhe von ... € fest. Zur Begründung führte er aus, mit Bescheid vom 11.03.2008 sei
die Vollziehung ab Antragseingang bis einen Monat nach Zustellung eines etwaigen Urteils des
Finanzgerichts Hamburg gewährt worden. Die Aussetzung der Vollziehung habe mit Eintritt der Rechtskraft
des Urteils 4 K 135/10 vom 07.12.2010 mit Ablauf des 17.01.2011 geendet. Zu verzinsen seien die
Teilbeträge, hinsichtlich derer der Einspruch und die Anfechtungsklage gegen den jeweiligen Steuerbescheid
endgültig ohne Erfolg geblieben seien. Wegen der Berechnung wird auf den Bescheid verwiesen.
Am 31.01.2012 legte die Klägerin Einspruch gegen den Bescheid vom 04.01.2012 ein, der mit
bestandskräftiger Einspruchsentscheidung vom 27.09.2012 zurückgewiesen wurde.
Unter dem 23.02.2012 beantragte die Klägerin die Erstattung der gezahlten Aussetzungszinsen. Zur
Begründung verwies sie darauf, dass sie bereits am 26.02.2008 für die Kraftstofflieferungen, für die sie die ...
€ Energiesteuer habe zahlen müssen, eine Entlastung nach § 50 EnergieStG beantragt gehabt habe. Dieser
Antrag sei zunächst abgelehnt worden, im Einspruchsverfahren habe sie jedoch anforderungsgemäß diverse
Nachweisunterlagen vorgelegt, so dass der Beklagte eine Entlastung in Höhe von ... € gewährt habe
(Bescheid vom 26.05.2011). Vor diesem Hintergrund seien die Aussetzungszinsen zu erlassen. Deren
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Festsetzung unter Anwendung des § 237 Abs. 1 S. 1 AO führe zu einem unbilligen Ergebnis, weil ihr nach
Abschluss des Verfahrens vor dem Finanzgericht eine Zinsbelastung verblieben sei, obwohl ihr nahezu der
gesamten Steuerbetrag, zu dessen Entrichtung sie vom Beklagten herangezogen worden sei, kurze Zeit
später erstattet worden sei. Diese Ungerechtigkeit sei unter Heranziehung von § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234
Abs. 2 AO auszugleichen. Billigkeitsgründe lägen insofern vor, als die Einziehung von Aussetzungszinsen
nach § 237 Abs. 1 AO im Zusammenwirken mit der vorherigen Steuerentlastung nach § 50 EnergieStG ihren
Zweck verfehle. Zum anderen verstoße die Einziehung gegen Treu und Glauben, weil der Beklagte die
Entscheidung über die Entlastung nach § 50 EnergieStG treuwidrig hinausgezögert und dadurch das
Entstehen einer Verrechnungslage verhindert habe. Die Anwendung des § 237 Abs. 1 AO laufe im Streitfall
den gesetzgeberischen Zwecken zuwider, wie sich aus einer Gesamtbetrachtung der Vorschriften ergebe.
Aussetzungszinsen zu verlangen, sei nur dann gerechtfertigt, wenn die Steuer nach dem materiellen Recht
letztlich zu entrichten sei, wobei die gesamte, für die Sachverhaltskonstellation relevante materielle
Rechtslage einzubeziehen sei. Dies müsse auch für Entlastungsnormen gelten, die mit den
Besteuerungsnormen in unmittelbarem Zusammenhang stünden. Im Streitfall bestehe ein enger
Zusammenhang zwischen den Regelungen zur Besteuerung von Energieerzeugnissen nach § 15 EnergieStG
und der Entlastungsregelung nach § 50 EnergieStG, wonach Energiesteuern für Biokraftstoffe erlassen
würden. Es handele sich um einen einheitlichen Regelungskomplex. In den Rechtsbehelfsverfahren, wegen
denen die Aussetzung der Vollziehung gewährt worden sei, sei die materielle Rechtslage nur teilweise -
nämlich in Bezug auf die Besteuerung, nicht jedoch in Bezug auf die Entlastung - erfasst worden. Zudem
habe der Beklagte durch das objektiv ungerechtfertigte Fordern von Nachweisen hinsichtlich der
Biokraftstoffeigenschaft die Gewährung der Entlastung nach § 50 EnergieStG treuwidrig verzögert.
Spätestens bei Vorlage der Herstellerbestätigung am 28.05.2008 habe kein Zweifel mehr an der
Entlastungsberechtigung bestanden. Zu diesem Zeitpunkt wäre sodann eine Verrechnungsstundung zu
gewähren gewesen, die eine weitere Entstehung von Aussetzungszinsen verhindert hätte. Zu diesem
Zeitpunkt habe kein eigentlicher Liquiditätsvorteil des Steuerpflichtigen vorgelegen. Behördliches
Fehlverhalten sei ein anerkannter sachlicher Unbilligkeitsgrund im Rahmen von Erlassvorschriften. § 94 Abs.
3 EnergieStV setze als Nachweis eine Herstellererklärung voraus, die sie am 28.05.2008 vorgelegt habe. Der
Gewährung der Entlastung hätte nichts mehr entgegengestanden, die mit den weiteren Anforderungen
verbundene Verzögerung sei der Behörde anzulasten.
Mit Bescheid vom 16.03.2012 lehnte der Beklagte die Erstattung ab. Zur Begründung wies er darauf hin, dass
ein Entlastungsanspruch nach § 50 EnergieStG nicht Gegenstand des finanzgerichtlichen Verfahrens 4 K
135/10 gewesen sei. Die Steuerentlastung für Biokraftstoffe wäre im Rahmen einer Gesamtbewertung
allenfalls dann hinzuzuziehen, wenn bereits bei der Festsetzung der Energiesteuer für 2007 festgestanden
hätte, dass der Klägerin ein Anspruch auf Steuerentlastung zugestanden habe. Dies sei nicht der Fall
gewesen. Die Klägerin habe über Jahre hinweg die gültigen energiesteuerrechtlichen Regelungen nicht
beachtet. Der vorliegende Sachverhalt liege neben dem Regelfall der selbständigen und rechtzeitigen Abgabe
einer Steuererklärung für verbrachte Energieerzeugnisse zu gewerblichen Zwecken und der Beantragung einer
Steuerentlastung. Im Regelfall bedürfe es wegen der Entlastung keiner Anfechtung der Besteuerung, so liege
der Fall hier jedoch nicht. In den Jahren 2004 bis 2007 habe die Klägerin die Abgabe von Steuererklärungen
und entsprechend die Stellung von Entlastungsanträgen unterlassen. Daraus resultiere die vorliegende, vom
Regelfall abweichende Fallgestaltung der Anfechtung der Besteuerung und die zugleich anhängige
Anfechtung der Ablehnung der Entlastung. Etwaige Verzögerungen im Entlastungsverfahren seien ihm nicht
anzulasten. Die am 28.05.2008 vorgelegte Bescheinigung vom Hersteller habe keine Analysezertifikate oder
Untersuchungsergebnisse ersetzen können. Die Bescheinigung habe keine Analyse und kein
Untersuchungsergebnis aufgewiesen, mithin hätten Zweifel an der Entlastungsberechtigung bestanden. Aus
dem gleichen Grund sei eine Stundung des Steueranspruchs nach § 222 AO bis zur Stattgabe der
Entlastungsanträge nicht in Betracht gekommen.
Am 12.04.2012 legte die Klägerin unter Hinweis auf die Antragsbegründung Einspruch ein.
Der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 28.12.2012 zurückgewiesen. Die Erhebung der
Aussetzungszinsen sei nicht unbillig. Die auf die von der Klägerin beglichene Steuerforderung in Höhe von ...
€ entfallenden Aussetzungszinsen entsprächen dem Regelungszweck des § 237 AO. Auf die materielle
Steuerrechtslage könne hier nicht abgestellt werden. In dem von der Klägerin zitierten, vom OVG Münster
entschiedenen Fall, seien die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Abgabenanspruch des
Gläubigers erst nach Erlass des verfrühten und ursprünglich rechtswidrigen Erschließungsbeitragsbescheids
geschaffen worden. Im Streitfall seien die materiell-rechtlichen Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht
erst nachträglich geschaffen worden. Die Energiesteuer sei bereits bei Verwirkung des steuerrechtlichen
Tatbestandes materiell-rechtlich entstanden, einer "Heilung" habe es nicht bedurft. Die Steuerentlastung für
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Bio-kraftstoffe wäre im Rahmen einer Gesamtbewertung allenfalls dann hinzuzuziehen, wenn bereits bei der
Festsetzung der Energiesteuer für das Jahr 2007 festgestanden hätte, dass der Klägerin ein
Entlastungsanspruch zugestanden hätte. Dies sei indes nicht der Fall gewesen. Über Jahre habe sie weder
Steueranmeldungen für die verbrachten Biodiesel- und Rapsölmengen abgegeben, noch einen
Entlastungsantrag mit den erforderlichen Nachweisen gestellt. Schon mangels Kenntnis über das Verbringen
des Kraftstoffs sei er - der Beklagte - nicht in der Lage gewesen, rechtzeitig eine Probenentnahme für die
Überprüfung der Biokraftstoffeigenschaft anzuordnen, die Entlastung sei daher kein "Selbstgänger" gewesen.
Die Nachweisanforderungen seien im Zusammenhang mit § 50 EnergieStG auch nicht ungerechtfertigt
gewesen. Das Bundesfinanzministerium habe mit Erlass vom 13.02.2007 verbindlich vorgegeben, dass von
jedem Entlastungsberechtigten mindestens ein Analysezertifikat pro Quartal angefordert werden müsse. Die
Frist für die Vorlage habe er mehrfach verlängert.
Mit ihrer am 31.01.2013 bei Gericht eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Zur
Begründung bezieht sie sich auf die Begründung des Antrags vom 23.02.2012.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16.03.2012 in der Fassung der
Einspruchsentscheidung vom 28.12.2012 zu verpflichten, auf ihren Antrag vom 23.02.2012 die mit
Bescheid vom 04.01.2012 festgesetzten und bereits entrichteten Aussetzungszinsen in Höhe von ...
€ zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er verweist zur Begründung auf die Einspruchsentscheidung und betont, die letztlich gewährte Entlastung
von der Energiesteuer habe der Erhebung der Energiesteuer nicht von Anfang an als selbstverständlich
gegenübergestellt werden können. Es habe vielmehr bestimmter Nachweise über die Eigenschaften der
verbrachten Energieerzeugnisse bedurft, um dieses als Biokraftstoff anzuerkennen. Ein Billigkeitsgrund für
einen Verzicht auf Aussetzung sei mangels Selbstverständlichkeit der Entlastung nicht gegeben. Selbst bei
überlanger Verfahrensdauer läge kein Grund für einen Verzicht vor.
Ergänzend wird auf die Sachakten des Beklagten und die Gerichtsakten dieses Verfahrens sowie der
Verfahren 4 K 135/10 und 4 K 136/10 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.
I.
Der Ablehnungsbescheid vom 16.03.2012 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 28.12.2012 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie hat keinen Anspruch auf Verpflichtung des
Beklagten, auf ihren Antrag vom 23.02.2012 die mit Bescheid vom 04.01.2012 festgesetzten und bereits
entrichteten Aussetzungszinsen in Höhe von ... € zu erstatten.
Nach § 237 Abs. 4 AO i. V. m. § 234 Abs. 2 AO kann auf Aussetzungszinsen ganz oder teilweise verzichtet
werden, wenn ihre Erhebung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre.
Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den
durch § 102 Satz 1 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist. Die Nachprüfung einer Erlassablehnung ist
daher auf die Prüfung beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des
Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung
nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat.
Das Gericht vermag nicht zu erkennen, dass der Beklagte bei der Ausübung des Erlasses fehlerhaft
gehandelt hat. Erst recht ist der Ermessensspielraum im konkreten Fall nicht derart eingeschränkt, dass das
Ermessen fehlerfrei nur durch Stattgabe des Erlassantrags hätte ausgeübt werden können (sog.
Ermessensreduzierung auf Null, vgl. FG Hamburg, Urteil vom 02.07.2010, 6 K 193/09, m. w. N.).
Dass hinreichende sachliche Billigkeitsgründe i. S. d. § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234 Abs. 2 AO, auf den die
Klägerin ihren Erstattungsantrag stützt, vorliegen, ist nicht zu erkennen.
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§ 237 Abs. 1 Satz 1 AO sieht vor, dass dann, wenn ein Einspruch oder eine Anfechtungsklage gegen eine
Steueranmeldung endgültig keinen Erfolg gehabt haben, der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die
Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, zu verzinsen ist. Dementsprechend stellt
die Festsetzung der Zinsen eine gebundene Entscheidung dar. Lediglich der nach § 237 Abs. 4 i. V. m. § 234
Abs. 2 AO mögliche Verzicht auf Zinsen ist als Billigkeitsmaßnahme nach §§ 163, 227 AO eine
Ermessensentscheidung (BFH, Urteil vom 31.03.2010, II R 2/09).
Dementsprechend kommt ein Verzicht auf Aussetzungszinsen aus Gründen der sachlichen Unbilligkeit nur in
Betracht, wenn die Erhebung der Zinsen im Einzelfall mit Rücksicht auf den § 237 AO zugrunde liegenden
Zweck nicht mehr zu rechtfertigen ist bzw. den gesetzlichen Wertungen zuwider läuft (BFH, Urteil vom
31.03.2010, II R 2/09 m. w. N.). § 237 Abs. 4 AO i. V. m. § 234 Abs. 2 AO eröffnet die Möglichkeit, über die
Grenzen der Rechtsfortbildung hinaus atypische Sachverhalte durch Fortschreibung der im Gesetz
enthaltenen Wertungen zu berücksichtigten und damit Unzulänglichkeiten des generalisierenden
Gesetzgebers auszugleichen (vgl. Loose in Tipke/Kruse, § 227 AO, Rn. 4 und 18, m. w. N.).
Sinn und Zweck der in § 237 AO geregelten Verzinsung ausgesetzter Beträge ist es, den Nutzungsvorteil
wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuer-pflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der
Aussetzung über eine Geldsumme verfügen kann, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid
konkretisierten Recht mit Fälligkeit dem Steuergläubiger zusteht. 237 Abs. 4 AO bezweckt i. V. m. § 234
Abs. 2 AO, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass die Steuern von den einzelnen Steuerpflichtigen
unterschiedlich lange nach ihrer Festsetzung beglichen werden. Liquiditätsvorteile, die dem Steuerpflichtigen
typischerweise entstehen, weil er den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis aufgrund gewährter
Aussetzung der Vollziehung nicht bei Fälligkeit erfüllt, sollen mit Hilfe der Verzinsung ausgeglichen werden.
Ob die möglichen Zinsvorteile tatsächlich gezogen worden sind, ist grundsätzlich unbeachtlich (vgl. BFH,
Beschluss vom 10.03.2006, V B 82/05). Unbeachtlich ist auch, ob auf Seiten des Steuergläubigers
Zinsnachteile entstanden sind, die durch Aussetzungszinsen auszugleichen wären (vgl. BFH, Urteil vom
30.03.2006, V R 60/04 und Beschluss vom 10.03.2006, V B 82/05).
Der von der Klägerin erlangte Liquiditätsvorteil liegt darin, dass sie die festgesetzte Energieteuer über den
Zeitraum der Aussetzung der Vollziehung hinweg nicht hat entrichten müssen, so dass ihr in Höhe des
Unterschiedsbetrags nicht gerechtfertigte Liquidität zumindest insofern zur Verfügung stand, als sie sich den
Zahlbetrag andernfalls anderweitig, gegebenenfalls unter Belastung der ihr eingeräumten Kreditlinien hätte
beschaffen müssen.
Die Festsetzung der Aussetzungszinsen ist weder vor dem Hintergrund, dass der Klägerin - wie sie formuliert
- nahezu der gesamten Steuerbetrag später vom Beklagten gem. § 50 EnergieStG erstattet wurde, noch
wegen einer möglichen Vereitelung der Verrechnungslage durch den Beklagten unbillig.
Richtig ist zwar grundsätzlich, dass der Steuerbetrag und der Zinsanspruch zunächst im Verhältnis der
Akzessorietät zueinander stehen, dass der Anspruch also nur soweit besteht, wie die Steuern auch
entstanden sind. Daran, dass die Energiesteuer in der Höhe, die der Berechnung der Aussetzungszinsen zu
Grunde gelegt wurde, entstanden sind und dass deren Erhebung rechtmäßig war, besteht vor dem
Hintergrund der Entscheidung in dem Verfahren 4 K 135/10 (Urteil vom 07.12.2010) kein Zweifel. Auch die
Klägerin bestreitet dies nicht. Der Umstand, dass der Klägerin für die aus dem freien Verkehr ... in das
Steuergebiet verbrachten Energieerzeugnisse (Biodiesel und Pflanzenöl) ein Entlastungsanspruch nach § 50
EnergieStG zustand, macht die Erhebung der Aussetzungszinsen nicht unbillig. Es geht zwar in jedem Fall
um das nämliche Energieerzeugnis, letztlich aber um unterschiedliche Besteuerungstatbestände. Die
Steuerentlastung nach § 50 EnergieStG wird für nachweislich versteuerte Energieerzeugnisse gewährt, die
bestimmten Voraussetzungen entsprechen. Der Steuerentlastungsanspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in
dem für die Energieerzeugnisse die Steuer in Person des Entlastungsberechtigten entsteht, seine
Geltendmachung ist von einer Antragstellung nach § 94 EnergieStV abhängig. Der vom
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entschiedene Fall (Urteil vom 23.11.2001, 3 A
1928/98), auf den die Klägerin sich bezieht und der dadurch gekennzeichnet war, dass die Rechtswidrigkeit
eines Erschließungsbeitrags erst während des Rechtsbehelfsverfahrens für die Zukunft geheilt worden war,
ist nicht vergleichbar. Im Streitfall war die Festsetzung der Energiesteuer zu keinem Zeitpunkt rechtswidrig,
sie entsprach stets dem materiellen Recht, da die Steuer für die Einfuhren im Jahr 2007 gemäß § 15 Abs. 1
Nr. 1 EnergieStG entstanden war. Dem Ansatz, der Energiesteueranspruch des Beklagten habe nicht der
materiellen Rechtslage entsprochen, weil ihm ein materieller Entlastungsanspruch der Klägerin
gegenübergestanden habe, vermag das Gericht nicht zu folgen. Der Steueranspruch entsteht kraft Gesetzes
unabhängig von der Frage eines möglichen Entlastungsanspruchs nach § 50 EnergieStG. Ein Anspruch auf
Entlastung besteht nur, wenn die Entlastung förmlich beantragt wird und soweit dem Antrag vom zuständigen
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Hauptzollamt stattgegeben wird. Die Stattgabe ist aber keineswegs zwangsläufig, sondern hängt davon ab,
dass das Vorliegen der Voraussetzungen des § 50 EnergieStG vom Antragsteller nachgewiesen wird, was -
im Hinblick auf die noch zu erörternden Anforderungen gem. § 94 Abs. 3 EnergieStV - problematisch sein und
im Einzelfall auch erfolglos bleiben kann. Es mag sein, dass der Gesetzgeber die vorliegende
Fallkonstellation nicht im Blick hatte, dass er - hätte er sie vor Augen gehabt - jedoch eine Regelung
getroffen hätte, die darauf hinausliefe, dass keine Aussetzungszinsen erhoben werden, ist nicht ersichtlich.
Angesichts der anzuwendenden gesetzlichen Vorschriften und deren Systematik sowie angesichts der
tatsächlichen Gesamtumstände, erscheint die Belastung der Klägerin mit Aussetzungszinsen nicht unbillig.
Im Streitfall treten auch keine besonderen Umstände hinzu, die eine andere Bewertung rechtfertigen könnten.
Insbesondere war es nicht so, dass während der Zeit, in der die Vollziehung ausgesetzt war, Umstände
gegeben gewesen wären, aufgrund derer offensichtlich und unzweifelhaft ein Anspruch auf Entlastung gem. §
50 EnergieStG von der Hauptforderung in Betracht gekommen wäre. Die Aussetzung der Vollziehung endete
mit Ablauf des 17.01.2011. Den Entlastungsantrag hatte die Klägerin zwar bereits am 26.02.2008 gestellt,
stattgegeben wurde ihm jedoch erst im Einspruchsverfahren mit Bescheid vom 26.05.2011. Dass der
Beklagte die stattgebende Entscheidung über den Entlastungsantrag treuwidrig durch objektiv
ungerechtfertigte Nachweisanforderungen verzögert hätte, ist nicht zu erkennen. Nach § 94 Abs. 3
EnergieStV hat der Antragsteller die Biokraftstoffeigenschaft durch eine Herstellererklärung oder mit
Zustimmung des Hauptzollamts in anderer geeigneter Form nachzuweisen. Dem Antrag vom 26.02.2008
lagen keinerlei Nachweise an. Vorgelegt wurden lediglich zahlreiche Rechnungen, in denen die Ware zwar als
Rapsöl bzw. Biodiesel bezeichnet war, die jedoch ersichtlich keinerlei Nachweischarakter haben. Erstmals im
Einspruchsverfahren gegen den ablehnenden Entlastungsbescheid legte die Klägerin mit Schreiben vom
28.05.2008 eine Herstellererklärung vor. Ihre Ansicht, damit die Entlastungsvoraussetzungen zwangsläufig
hinreichend dargelegt zu haben, geht jedoch fehl. § 94 Abs. 3 S. 3 EnergieStV verpflichtet den Antragsteller,
auf Verlangen des Hauptzollamts Proben zu entnehmen, diese zu untersuchen und dem Hauptzollamt die
entsprechenden Analysezertifikate oder Untersuchungsergebnisse vorzulegen. Wie sich dem diesen Satz
einleitenden Wort "Daneben" eindeutig entnehmen lässt, handelt es sich um eine zusätzliche Voraussetzung
für die Entlastung, auch wenn sie nur auf "Verlangen des Hauptzollamts" aufgestellt wird. Dass dem
Beklagten dieses "Verlangen" aufgrund bestimmter Umstände des Einzelfalls verwehrt gewesen wäre, ist
nicht ersichtlich. Insbesondere war die Herstellererklärung, in der lediglich bestätigt wurde, dass das Rapsöl
der DIN EN 51605 entspricht, nicht in einer Weise aussagekräftig, die das Verlangen des Beklagten,
Analyseergebnisse vorzulegen, unverhältnismäßig erschienen ließe. Der Spielraum des Beklagten war im
Übrigen aufgrund der Erlasslage, wonach - unabhängig von der Frage, inwieweit im Zeitpunkt der
Antragstellung überhaupt noch Proben gezogen werden können - von jedem Leistungsberechtigten ein
Analysezertifikat pro Quartal angefordert werden muss, reduziert. Der Beklagte verlangte die Vorlage von
Analysezertifikaten mit Schreiben vom 10.03.2008 und im Einspruchsverfahren erneut mit Schreiben vom
24.09.2010. Diesem Verlangen kam die Klägerin jedoch erst - nach wiederholter Stellung von
Fristverlängerungsanträgen - mit Schreiben vom 11.04.2011 nach. In der Folge wurde die Entlastung dann
auch mit Bescheid vom 26.05.2011 zügig gewährt. Angesichts der Problematik der Vorlage der vom
Beklagten nachvollziehbarerweise verlangten Nachweise kann nicht festgestellt werden, dass der
Entlastungsanspruch von Anfang an offensichtlich bestand. Aus den gleichen Gründen kann auch nicht
festgestellt werden, dass der Entlastungsanspruch mit einer Gewissheit bestand, die eine sog.
Verrechnungsstundung hätte rechtfertigen können. Der Beklagte hat in nicht zu beanstandender Weise
weitere Nachweise verlangt, bis zu deren Vorliegen nicht hinreichend sicher vom Vorliegen eines
Entlastungsanspruchs ausgegangen werden konnte.
Abgesehen davon rechtfertigt eine überlange Verfahrensdauer den Erlass von Aussetzungszinsen für sich
genommen ebenso wenig, wie der Umstand, dass staatliche Stellen für die Entstehung und die Höhe der
Zinsen verantwortlich sind, weil etwa eine angemessene Verfahrensdauer überschritten wurde (ständige
Rechtsprechung, vgl. BFH, Urteil vom 31.03.2010, II R 2/09 und Beschluss vom 29.09.2007, IX B 74/09).
Das Vorliegen persönlicher Billigkeitsgründe ist nicht zu erkennen. Anhaltspunkte für eine Erlassbedürftigkeit
der Klägerin, also insbesondere eine Gefährdung ihrer wirtschaftlichen Existenz oder der Fortsetzung ihrer
Erwerbstätigkeit, sind nicht zu erkennen und werden von ihr auch nicht ausdrücklich geltend gemacht.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO. Die Revision ist nicht zuzulassen, da die
Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO nicht vorliegen.