Urteil des FG Düsseldorf vom 14.03.2008

FG Düsseldorf: personengesellschaft, buchwert, akte, stadt, einzelfirma, wahlrecht, steuerfestsetzung, einkünfte, kopie, zwischenbilanz

Finanzgericht Düsseldorf, 2 K 2106/06 E
Datum:
14.03.2008
Gericht:
Finanzgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
2. Senat
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
2 K 2106/06 E
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Streitig ist, ob der Beklagte den Einkommensteuerbescheid der Klägerin und ihres
verstorbenen Ehemannes für 1998 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Abgabenordnung
(AO) ändern durfte, weil die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, in die der Ehemann der
Klägerin seine Arztpraxis eingebracht hatte, in ihrer Eröffnungsbilanz das eingebrachte
Betriebsvermögen mit einem höheren als dem von der Klägerin und ihrem verstorbenen
Ehemann erklärten Einbringungswert angesetzt hat.
2
Der Ehemann der Klägerin war Röntgenarzt. Er wurde bis zu seinem Tod zusammen mit
seiner Ehefrau zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist
Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Mannes.
3
Mit Vertrag vom 22.10.1998 vereinbarte der Ehemann der Klägerin mit den
Gesellschaftern der A-GbR (im Weiteren GbR), dass er unter Einbringung seiner
bisherigen radiologischen und nuklearmedizinischen Einzelpraxis "mit Wirkung zum
15.12.1998" in die GbR eintrete. Die Vertragspartner "bewerteten die Einzelpraxis" des
Ehemannes der Klägerin mit 25.000 DM für ihren immateriellen Wert und 100.000 DM
für ihren materiellen Wert, insgesamt 125.000 DM. Dem Ehemann der Klägerin wurde
als Gegenleistung eine Beteiligung i.H.v. 50/10.000stel eingeräumt. Der Ehemann der
Klägerin "verzichtete zu Gunsten" der GbR auf die ab dem 15.12.1998 eingehenden und
vor dem Einbringungszeitpunkt erwirtschafteten Honorare aus seiner privat- und
vertragsärztlichen Tätigkeit. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf die
Vertragskopie in der Akte des Beklagten Bezug genommen.
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Für die Zeit vom 01.01.1998 bis 15.12.1998 ermittelte der verstorbene Ehemann der
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Für die Zeit vom 01.01.1998 bis 15.12.1998 ermittelte der verstorbene Ehemann der
Klägerin gem. § 4 Abs. 3 Einkommensteuergesetz (EStG) einen Gewinn aus seiner
Röntgenarztpraxis i.H.v. 293.455,62 DM. Gemäß einer Schlussbilanz zum "31.12.1998"
standen Aktiva i.H.v. 151.679,86 DM Passiva i.H.v. 255.074,48 DM gegenüber, sodass
sich ein negatives Betriebsvermögen i.H.v. 103.394,62 DM ergab.
5
In ihrer Steuererklärung für 1998 erklärten die Klägerin und ihr Ehemann Einkünfte aus
selbstständiger Arbeit des Klägers als Röntgenfacharzt i.H.v. 132.330 DM und einen
Veräußerungsverlust i.H.v. 17.682 DM. Den laufenden Gewinn i.H.v. 132.329 DM
ermittelten die Klägerin und ihr Ehemann auf Grund des Gewinns für die Zeit vom
01.01.1998 bis zum 15.12.1998 i.H.v. 293.455,62 DM, zu dem Forderungen lt.
Schlussbilanz zum 15.12.1998 i.H.v. 93.809,81 DM und ein aktiver
Rechnungsabgrenzungsposten lt. Schlussbilanz zum 15.12.1998 i.H.v. 138,98 DM
addiert wurden und sonstige Verbindlichkeiten lt. Schlussbilanz zum 15.12.1998 i.H.v.
74.485,52 DM und Rentenverpflichtungen lt. Schlussbilanz zum 15.12.1998 i.H.v.
180.588,96 DM abgezogen wurden, sodass sich ein Gewinn für 1998 i.H.v. 132.329,93
DM ergab.
6
Den Veräußerungsverlust i.H.v. 17.682,41 DM ermittelten die Klägerin und ihr Ehemann
wie folgt:
7
Einbringungswert der Praxis gem. Vertrag
125.000,-- DM
Entnahme Pkw und sonstige
Einrichtungsgegenstände
19.100,-- DM
Insgesamt
144.100,-- DM
abzügl.
BW Praxiseinrichtung lt. Schlussbilanz.
49.455,00 DM
BW Kfz
1,00 DM
BW GWG
2,00 DM
BW Praxiswert
1,00 DM
Forderungen lt. Schlussbilanz
93.809,81 DM
Insgesamt
143.268,81 DM
abzügl.
Kosten der Veräußerung i.H.v.
13.920,-- DM
und
4.593,60 DM
Insgesamt
161.782,41 DM
8
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer der Klägerin und ihres mit ihr zusammen
veranlagten Ehemannes durch Bescheid vom 03.07.2000 unter Berücksichtigung von
Einkünften des Klägers aus freiberuflicher Tätigkeit i.H.v. 114.648 DM fest. Die
Einkünfte i.H.v. 114.648 DM hatte der Beklagte dadurch ermittelt, dass er von dem
erklärten Gewinn aus der Röntgenfacharztpraxis i.H.v. 132.330 DM den erklärten
Veräußerungsverlust i.H.v. 17.682 DM abzog.
9
Mit Änderungsbescheiden vom 26.03.2001, 31.05.2001 und 21.03.2005 wurde die
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Einkommensteuerfestsetzung der Klägerin und ihres mit ihr zusammen veranlagten
Ehemannes aus Gründen, die mit dem Klageverfahren in keinem Zusammenhang
stehen, geändert. Die Änderungen in den Bescheiden vom 31.05.2001 und 21.03.2005
beruhten auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO.
Mit gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändertem Einkommensteuerbescheid für 1998
vom 13.05.2005 setzte der Beklagte die Einkommensteuer der Klägerin und ihres
verstorbenen Ehemannes unter Berücksichtigung von Einkünften aus freiberuflicher
Tätigkeit i.H.v. 132.575 DM und eines Veräußerungsgewinns i.H.v. 76.127 DM fest. Die
Änderung des Einkommensteuerbescheides beruhte darauf, dass das Finanzamt für
Groß- und Konzernbetriebsprüfung A-Stadt dem Beklagten mitgeteilt hat, dass der
Veräußerungsgewinn des verstorbenen Ehemannes der Klägerin sich um Forderungen
i.H.v. 93.809,81 DM erhöht habe, da im Rahmen der Einbringung der Einzelfirma in die
GbR diese Forderungen bei der GbR angesetzt worden seien. Die Großbetriebsprüfung
vertrat die Auffassung, dass der Einkommensteuerbescheid der Klägerin und ihres
verstorbenen Ehemannes gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zu ändern sei, da im
Rahmen der Prüfung der GbR im November 2004 erstmals Bilanzen vorgelegt worden
seien. Zur Begründung dieser Rechtsansicht beruft sich das Finanzamt für Groß- und
Konzernbetriebsprüfung auf die Tz. 20.32 und 24.04 des Umwandlungssteuererlasses.
11
Gegen diesen Änderungsbescheid legte die Klägerin in eigenem Namen und als
Gesamtrechtsnachfolgerin ihres verstorbenen Ehemannes fristgerecht Einspruch ein,
der durch Einspruchsentscheidung vom 13.04.2006 (Donnerstag) als unbegründet
zurückgewiesen wurde.
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In der Einspruchsentscheidung führt der Beklagte u.a. aus, dass die Änderung der
Einkommensteuerfestsetzung für 1998 zu Recht auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO
gestützt worden sei. Werde eine Einzelfirma in eine Personengesellschaft eingebracht,
so habe die Personengesellschaft ein Wahlrecht hinsichtlich des Wertes, mit dem das
eingebrachte Betriebsvermögen in ihrer Bilanz aktiviert werde. Das Betriebsvermögen
könne gem. § 24 Abs. 2 Umwandlungssteuergesetz (UmwStG) mit dem Buchwert oder
mit einem höheren Wert angesetzt werden. Der hierbei gewählte Wertansatz stelle gem.
§ 24 Abs. 3 UmwStG gleichzeitig den Veräußerungspreis für den Einbringenden dar.
Damit sei die Ausübung des Wahlrechts durch die Personengesellschaft auch für die
Besteuerung des Einbringenden bindend. Abweichungen von der zwischen dem
Einbringenden und der Personengesellschaft getroffenen Vereinbarungen seien
insoweit unbeachtlich.
13
Auf Grund der Aktivierung der übernommenen Forderungen in der Bilanz der GbR
gehöre der Wert dieser Forderungen zum Veräußerungspreis, den der Ehemann der
Klägerin erhalten habe. Die Eröffnungsbilanz sei unstreitig während der Betriebsprüfung
der GbR und damit nach Erlass des ursprünglichen Einkommensteuerbescheides der
Klägerin und ihres verstorbenen Ehemannes für 1998 erstellt worden. Da die
Eröffnungsbilanz die Ausübung des Wahlrechts hinsichtlich der Aktivierung des
übernommenen Betriebsvermögens dokumentiere, handele es sich um ein
rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO. Das Finanzamt für Groß-
und Konzernbetriebsprüfung A-Stadt fügte seiner Mitteilung eine Zwischenbilanz der
GbR auf den 16.12.1998 bei, aus der sich u.a. ergibt, dass "Forderungen" i.H.v.
93.809,81 DM aktiviert wurden. Wegen der Einzelheiten der Eröffnungsbilanz wird auf
die Einkommensteuerakte des Beklagten und Bl. 44 der FG-Akte Bezug genommen.
14
Die Einspruchsentscheidung wurde gemäß eines Vermerkes im Rechtsbehelfsvorgang
am 13.04.2006 (Donnerstag vor Ostern) zur Post gegeben.
15
Die Klägerin hat am Donnerstag, dem 18. Mai 2006 Klage erhoben.
16
Sie ist der Ansicht, der Beklagte habe zu Unrecht den Einkommensteuerbescheid für
1998 geändert. Zwar habe die GbR im Rahmen einer Betriebsprüfung erstmals eine
Bilanz auf den 16.12.1998 aufgestellt, diese erstmalige Aufstellung einer Bilanz
rechtfertige aber keine Berichtigung des Steuerbescheids für 1998 gem. § 175 Abs. 1
Satz 1 Nr. 2 AO.
17
Gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO könne eine Steuerbescheid erlassen, aufgehoben
oder geändert werden, soweit ein Ereignis eintrete, das steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit habe (rückwirkendes Ereignis). Unter Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1
Nr. 2 AO sei jeder rechtlich relevante Vorgang zu verstehen. Dazu gehörten Tatsachen
des Lebenssachverhalts, aber auch rechtliche Vorgänge, wie die Einwirkung auf oder
durch Rechtsgeschäfte, Rechtsverhältnisse, Gerichtsentscheidungen oder
Verwaltungsakte.
18
Durch die erstmalige Bilanzaufstellung seitens der GbR werde lediglich der realisierte
Sachverhalt wiedergegeben. Die Aufstellung der Bilanz sei kein Ereignis mit
steuerlicher Rückwirkung. Lediglich eine Bilanzberichtigung bzw. Bilanzänderung
könne zu einer Änderung i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen. Wenn sich das
Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres auf Grund von Bilanzänderung
oder Bilanzberichtigung ändere, so halte die Rechtsprechung § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
AO für anwendbar, wenn die Änderung Auswirkungen auf die Gewinnermittlung des
Folgejahres habe. Eine erstmalige Bilanzaufstellung ziehe dagegen keine Korrektur
gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO nach sich, da der kraft Gesetzes entstandene
Steueranspruch nicht berührt werde. Denn der Tatbestand, an den die gesetzliche
Steuerpflicht knüpfe, sei bereits verwirklicht, ohne dass der Steuerpflichtige dies in der
Bilanz zum Ausdruck bringen müsse. Eine Bilanzänderung solle dagegen zur Korrektur
nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO führen können, wobei die andere
Wahlrechtsausübung, nicht aber die geänderte Bilanz das rückwirkende Ereignis
darstelle.
19
Die durch den Beklagten vorgenommene Änderung der Einkommensteuerfestsetzung
des Jahres 1998 sei auch materiell-rechtlich unzutreffend. Der Einbringungsvertrag vom
22.10.1998 sehe ausdrücklich einen Einbringungswert i.H.v. 125.000 DM vor. Die
streitgegenständlichen Forderungen seien bei Auslegung dieses Vertrages im
Einbringungswert enthalten. Dies ergebe sich daraus, dass der Ehemann der Klägerin
gem. § 5 des Einbringungsvertrages auf diese Forderungen verzichtet habe. Sie seien
demnach bereits im Kaufpreis enthalten.
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Die Tatsache, dass die GbR auf Grund der Abtretung der Forderungen diese in ihrer
nachträglich erstellten Eröffnungsbilanz ausweise, führe zu keiner anderen Bewertung.
Die Behandlung sei zwar folgerichtig, weil die GbR die Anspruchsinhaberin geworden
sei. Eine Erhöhung des Wertes der eingebrachten Praxis ergebe sich schon nach dem
Wortlaut des Vertrages daraus aber nicht.
21
Die Klägerin beantragt,
22
1. den Einkommensteuerbescheid für 1998 vom 13.05.2005 in Gestalt der
Einspruchsentscheidung vom 13.04.2006 ersatzlos aufzuheben,
23
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren für notwendig zu
erklären.
24
Der Beklagte beantragt,
25
die Klage als unbegründet abzuweisen.
26
Zur Begründung seines Antrags beruft sich der Beklagte auf die
Einspruchsentscheidung.
27
Auf Grund eines Hinweises des Berichterstatters, dass der vorliegenden Kopie der
Zwischenbilanz der GbR zum 16.12.1998 der Wertansatz des eingebrachten
Betriebsvermögens im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG nicht entnommen werden
könne, reichte der Beklagte eine Mitteilung der Steuerberater der GbR in Kopie ein,
nach der das vom Ehemann der Klägerin eingebrachte Betriebsvermögen mit
218.809,81 DM bewertet und dem Kapitalkonto des Ehemannes der Klägerin
gutgeschrieben worden sei. Der Höhe nach ergebe sich der Ansatz der Forderungen
aus der Mitteilung des Steuerberaters des verstorbenen Ehemanns der Klägerin, nach
der die Forderung mit 93.809,81 DM zu bewerten seien. Wegen der weiteren
Einzelheiten dieser Auskunft wird auf Blatt 42 ff. der FG-Akte Bezug genommen.
28
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
29
Die Klage ist unbegründet.
30
Der Beklagte hat zu Recht den Einkommensteuerbescheid der Klägerin und ihres mit ihr
zusammen veranlagten Ehemanns für 1998 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert
und einen Veräußerungsgewinn in Höhe von 76.127 DM bei der Steuerfestsetzung
berücksichtigt.
31
1.) Der Beklagte durfte den Einkommensteuerbescheid der Klägerin und ihres
verstorbenen Ehemanns vom 21.03.2005 gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ändern.
32
Gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben
oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, dass steuerliche Wirkung für die
Vergangenheit hat (rückwirkendes Ereignis). Aus dem Bedeutungszusammenhang, in
dem diese Norm steht, ergibt sich, dass der Begriff "Ereignis" alle rechtlich
bedeutsamen Vorgänge umfasst. Dazu rechnen nicht nur solche mit ausschließlich
rechtlichem Bezug, sondern auch tatsächliche Lebensvorgänge. Das Ereignis muss
stattgefunden haben, nachdem der Steueranspruch entstanden ist und für die Fälle der
Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides, nachdem dieser Steuerbescheid
ergangen ist. Die Voraussetzungen des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO liegen nicht vor,
wenn das Finanzamt wie im Fall des § 173 Abs. 1 AO lediglich nachträglich Kenntnis
von einem bereits gegebenen Sachverhalt erlangt. Die nach dem Steuertatbestand
rechtserhebliche Sachverhaltsänderung muss sich darüber hinaus steuerlich in der
Vergangenheit auswirken, und zwar in der Weise, dass nunmehr der veränderte an
Stelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zu Grunde zu legen ist.
Ob einer nachträglichen Änderung des Sachverhalts rückwirkende steuerliche
33
Bedeutung zukommt, d. h. ob eine solche Änderung dazu führt, dass bereits
eingetretene steuerliche Rechtsfolgen mit Wirkung für die Vergangenheit sich ändern
oder vollständig entfallen, bestimmt sich allein nach dem jeweils einschlägigen
materiellen Recht (vgl. BFH-Urteil vom 6. März 2003 XI R 13/02, BFHE 201, 421,
BStBl II 2003, 554; BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II
1993, 897).
Die Erstellung und Einreichung der die Einbringung der Praxis des Ehemanns der
Klägerin in die GbR erfassenden Eröffnungsbilanz zum 16.12.1998 beim für die GbR
zuständigen Finanzamt im November 2004 stellt ein Ereignis mit steuerlicher Wirkung
für die Vergangenheit im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar.
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Der Ehemann der Klägerin hatte sich in dem Vertrag vom 22.10.1998 verpflichtet, die
wesentlichen Grundlagen seiner Praxis in die GbR einzubringen. Er hat für die
Übertragung seiner Praxis eine Gesellschaftsbeteiligung erlangt. Darin liegt nach
ständiger Rechtsprechung des BFH ein tauschähnlicher Vorgang im Sinne einer
Betriebsveräußerung gemäß § 16 EStG (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 1994
III R 39/91, BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458 m. w. N.). Wenn die Voraussetzung des
§ 24 UmwStG erfüllt sind, wird diese Veräußerung insoweit ganz oder teilweise
begünstigt, dass bei den in § 24 UmwStG geregelten Einbringungsvorgängen die stillen
Reserven, die in dem eingebrachten Betriebsvermögen enthalten sind, nicht (bei der
Buchwertfortführung) oder nur teilweise (bei Zwischenwerten zwischen Teilwert und
Buchwert) aufgedeckt werden. Gemäß § 24 Abs. 2 Satz 1 UmwStG darf die
aufnehmende Personengesellschaft das eingebrachte Betriebesvermögen mit seinem
Buchwert, seinem Teilwert oder einem Zwischenwert ansetzen. Der Wert, mit dem das
eingebrachte Betriebsvermögen in der Bilanz der Personengesellschaft einschließlich
der Ergänzungsbilanzen angesetzt wird, gilt gem. § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG als
Veräußerungspreis. Das Wahlrecht im Sinne des § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG wird somit
ausschließlich durch die aufnehmende Personengesellschaft ausgeübt. Nach der
Gesetzeslage besteht weder ein Veto- noch ein Mitspracherecht des Einbringenden,
obwohl der Wertansatz durch die Personengesellschaft unmittelbar seinen steuerlichen
Gewinn beeinflussen kann (vgl. BFH-Urteil vom 25. April 2006 VIII R 52/04, BFHE 214,
40, BStBl II 2006, 847 m. w. N.). Abweichungen von einer vorherigen einvernehmlichen
Festlegung der Bilanzansätze zwischen dem Einbringenden und der aufnehmenden
Gesellschaft sind steuerlich ohne Bedeutung (vgl. BFH-Urteil vom 26. Januar 1994
III R 39/91, BFHE 173, 338, BStBl II 1994, 458).
35
Da § 24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG zwingend vorschreibt, dass der Wert, den die
Personengesellschaft für das eingebrachte Betriebsvermögen in der Eröffnungsbilanz
angesetzt hat, für den Einbringenden als Veräußerungspreis gilt, handelt es sich bei
dem Ansatz in dieser Bilanz bzw. der Einreichung der Bilanz beim Finanzamt um ein
rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO (vgl. Patt in
Dötsch/Patt/Pung/Möhlenbrock, Umwandlungssteuerrecht, 6. Aufl., § 24 UmwStG
Tz 116; BMF-Schreiben vom 25. März 1998 IV B 7-S 1978-21/98, BStBl I 1998, 268,
Rn 24.04 i.V.m. Rn 20.32; Frotscher in Schwarz, AO, § 175 Tz. 67 zu § 20 UmwStG).
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Der Senat kann offen lassen, ob in der Regel Tatbestandsvoraussetzung des § 175
Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist, dass bei Änderungsbescheiden das Ereignis stattgefunden
haben muss, nachdem der zu ändernde Steuerbescheid ergangen ist (vgl. BFH-
Beschlüsse vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897; vom 4.
November 1998 IV B 146/97, BFH/NV 1999, 589; BFH-Urteil vom 6. März 2003
37
XI R 13/02, BFHE 201, 421, BStBl II 2003, 554). Dies kann jedenfalls dann nicht gelten,
wenn die Finanzbehörde – wie im Streitfall - einen Steuerbescheid nur gem. § 175 Abs.
1 Satz 1 Nr. 1 AO im Hinblick auf einen nachträglich ergangenen Grundlagenbescheid
geändert und hierbei ein rückwirkendes Ereignis unberücksichtigt gelassen hat, das
eine Änderung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO rechtfertigt. Denn das Finanzamt ist
bei einer punktuellen Änderung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nach ständiger
Rechtsprechung des BFH nicht verpflichtet, gleichzeitig neue Tatsachen im Sinne des §
173 Abs. 1 Nr. 1 AO zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 12. Januar 1989 IV R 8/88,
BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438; vom 4. Juli 1989 VIII R 217/84, BFHE 157, 427, BStBl
II 1989, 792; BFH-Beschluss vom 23. März 1994 VIII B 50/93, BFH/NV 1994, 786).
Begründet wird dies damit, dass das Finanzamt den Grundlagenbescheid ohne eigene
Sachprüfung übernehmen müsse und ihm nicht zugemutet werden könne, bei jeder
Folgeänderung zu überprüfen, ob neue Tatsachen oder Beweismittel vorlägen, die eine
weitergehende Änderung rechtfertigten (BFH-Urteil vom 12. Januar 1989 IV R 8/88,
BFHE 156, 4, BStBl II 1989, 438). Die herrschende Lehre folgt dieser Auffassung (vgl.
von Groll in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO und FGO, § 173 AO Tz. 214; Frotscher in
Schwarz, AO, § 173 Tz. 43; Rüsken in Klein, AO, 9. Aufl., § 173 Tz. 54; von Wedelstädt
in Beermann/Gosch, AO, FGO, § 173 AO Tz. 49). Die Grundsätze dieser
Rechtsprechung müssen auch bei § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zum Tragen kommen.
Denn ebenso wie es der Finanzverwaltung nicht zuzumuten ist, bei jeder
Folgeänderung gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu überprüfen, ob neue Tatsachen
oder Beweismittel im Sinne des § 175 AO vorliegen, ist ihr nicht zuzumuten, zu prüfen,
ob ein rückwirkendes Ereignis im Sinne des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO vorliegt.
2.) Der Beklagte hat auch zu Recht einen Veräußerungsgewinn des Ehemanns der
Klägerin i.H.v. 76.127 DM bei der Steuerfestsetzung berücksichtigt.
38
Gem. § 16 Abs. 2 EStG ist Veräußerungsgewinn der Betrag, um den der
Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten den Buchwert des
Betriebsvermögens übersteigt. Wird ein Betrieb in eine Personengesellschaft
eingebracht und wird der Einbringende Mitunternehmer der Gesellschaft, so gilt gem. §
24 Abs. 3 Satz 1 UmwStG der Wert, mit dem das eingebrachte Betriebsvermögen in der
Bilanz der Personengesellschaft einschließlich der Ergänzungsbilanzen für ihre
Gesellschafter angesetzt wird, für den Einbringenden als Veräußerungspreis. Die Höhe
des angesetzten Wertes des eingebrachten Betriebsvermögens bei der übernehmenden
Gesellschaft wird somit als Veräußerungspreis und zugleich als Anschaffungskosten
der neuen Anteile fingiert. Da der Gesetzgeber eine Fiktion wählt, liegt darin die
Anordnung, einen bestimmten Sachverhalt ohne weitere Prüfung zu unterstellen, auch
wenn tatsächlich der Sachverhalt unklar ist oder möglicherweise entgegen der
gesetzlichen Fiktion nicht vorliegt. Der Wertansatz des übernehmenden Unternehmens
ist daher im Besteuerungsverfahren des Einbringenden nach ständiger Rechtsprechung
des BFH und herrschender Lehre zu übernehmen und kann grundsätzlich nicht auf
seine Richtigkeit hin überprüft werden (vgl. BFH-Beschluss vom 19. Dezember 2007 I R
111/05 m.w.N.).
39
Der Beklagte hat daher zu Recht statt des von den Klägerin und ihres verstorbenen
Ehemannes bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes bzw. -verlustes
berücksichtigten Einbringungswertes i.H.v. 125.000 DM einen um 93.809,81 DM
höheren Einbringungswert berücksichtigt. Ob die aufnehmende Gesellschaft diesen
Einbringungswert auf Grund der vertraglichen Abrede zu Recht angesetzt hat, ist
entgegen der Annahme der Klägerin – wie oben bereits dargelegt - ohne Bedeutung.
40
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
41
Die Revision ist gem. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der
Rechtssache zuzulassen.
42