Urteil des FG Düsseldorf vom 30.01.2009

FG Düsseldorf: firma, lieferung, unternehmer, spanien, eugh, juristische person, aufzeichnung, steuerbefreiung, ungültigkeit, vollziehung

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Finanzgericht Düsseldorf, 5 V 3471/08 A(U)
30.01.2009
Finanzgericht Düsseldorf
5. Senat
Beschluss
5 V 3471/08 A(U)
Die Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 vom 23.6.2008 werden
ausgesetzt bis einen Monat nach Ergehen einer das Einspruchsverfahren
abschließenden Entscheidung.
Im übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens haben der Antragsgegner zu 96,5 v.H. und
die Antragstellerin zu 3,5 v.H. zu tragen.
Der Streitwert wird auf 43.516,- EUR festgesetzt.
Gründe:
I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob Getränkelieferungen der Antragstellerin nach
Spanien nach Ungültigkeit einer zunächst gültigen Umsatzsteuer-Identifizierungsnummer –
USt.-Id.-Nr. – des Lieferungsempfängers als innergemeinschaftliche Lieferungen
umsatzsteuerfrei zu belassen sind.
Die Antragstellerin betreibt in der Rechtsform einer GmbH einen Im- und Export-Handel,
insbesondere mit in Dosen und Flaschen abgefüllten Softdrinks.
Seit dem Jahr 2005 unterhielt die Antragstellerin Geschäftsbeziehungen zu einer Firma "G"
S.L. mit Sitz in Spanien und belieferte diese Firma mit Getränken. Zu Beginn dieser
Geschäftsbeziehungen – am 11.5.2005 und am 13.7.2005 – ließ sich die Antragstellerin die
von der Firma "G" mitgeteilte USt.-Id.-Nr. vom Bundeszentralamt für Steuern qualifiziert
bestätigen.
Vom 2. Quartal 2005 bis April 2006 belieferte die Antragstellerin die Firma "G" mit
Getränken und behandelte diese Getränkelieferungen als umsatzsteuerfrei gemäß § 4 Nr.1
b) i.V.m. § 6 a Abs.1 Nr.1 Umsatzsteuergesetz – UStG -.
Die Getränkelieferungen wurden in Form von Reihenlieferungen abgewickelt.
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Nach – unbestrittener - Darstellung der Antragstellerin wurden die Getränkelieferungen
regelmäßig wie folgt abgewickelt: Die bei der spanische Firma "G" für den Ein- und Verkauf
im Softdrinkbereich zuständige Mitarbeiterin habe per Fax an die Antragstellerin jeweils die
Getränkelieferungen in Auftrag gegeben. Ebenfalls per Fax habe dann die Antragstellerin
gegenüber der Firma "G" den Auftrag bestätigt, den gewünschten Liefertermin und die
Lieferanschrift erfragt und eine Proformarechnung erteilt. Die Antragstellerin habe daraufhin
die Speditionsfirma "A-GmbH" mit dem Transport beauftragt, welche die Ware bei der
Lieferfirma der Antragstellerin in Empfang genommen und "frei Haus" an die benannten
Abnehmerfirmen der "G" S.L. in Spanien ausgeliefert habe. Zu den Abnehmern der Firma
"G", denen seitens dieser Firma Rechnungen mit spanischer Umsatzsteuer erteilt worden
seien, habe die Antragstellerin selbst keine vertraglichen Beziehungen unterhalten.
Alle Vorgänge vom Auftragseingang über die Abwicklung des jeweiligen Auftrags bis zur
Bezahlung der Ware durch die Firma "G" könne die Antragstellerin belegmäßig
nachweisen und die Vorgänge seien außerdem vollständig buchmäßig erfasst.
Nach dem Auftreten von Zahlungsschwierigkeiten seitens der belieferten spanischen Firma
stellte die Antragstellerin die Lieferungen im April 2006 ein und stellte beim Bundesamt
eine erneute Anfrage zur Gültigkeit der von der Firma "G" mitgeteilten USt.-Id.-Nr.. Diese
Nachfrage ergab die Ungültigkeit der USt.-Id.-Nr. bereits seit dem 10.11.2005.
Im Rahmen einer bei der Antragstellerin durchgeführten Umsatzsteuer-Sonderprüfung, die
ausschließlich die innergemeinschaftlichen Lieferungen der Antragstellerin zum
Gegenstand hatte (Prüfungsbericht vom 31.3.2008) gelangte der Prüfer zu der Auffassung,
dass die Steuerfreiheit für die Getränkelieferungen an die Firma "G" in Spanien in der Zeit
ab dem 10.11.2005 zu versagen sei, weil die Antragstellerin danach keinen vollständigen
Buchnachweis mehr geführt habe. Hierzu gehöre nämlich auch die Aufzeichnung einer im
Zeitpunkt der jeweiligen Lieferung gültigen USt.-Id.-Nr.. Ab dem 10.11.2005 habe die Firma
"G" jedoch nicht mehr über eine gültige USt.-Id.-Nr. verfügt. Die Antragstellerin könne sich
auch diesbezüglich nicht auf die positiven Bestätigungsanfragen berufen, die sie zu Beginn
ihrer Geschäftsbeziehungen zu der Firma "G" beim Bundesamt für Finanzen gestellt habe,
da ein Unternehmer, der die Steuerfreiheit für innergemeinschaftliche Lieferungen für sich
in Anspruch nehmen wolle, sich bei jeder einzelnen Lieferung über die Voraussetzungen
der Inanspruchnahme der Steuerfreiheit hierfür – und damit auch über die Gültigkeit der
mitgeteilten USt.-Id.-Nr. - vergewissern müsse.
Der Antragsgegner, das Finanzamt – FA -, folgte den Feststellungen des Prüfers, änderte
die zunächst erklärungsgemäß unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ergangenen
Umsatzsteuerbescheide 2005 und 2006 und versagte in den am 23.6.2008 ergangenen
Änderungsbescheiden die Steuerfreiheit für die Getränkelieferungen an die spanische
Firma "G" S.L. für die Zeit ab dem 10.11.2005.
Hiergegen hat die Antragstellerin Einspruch erhoben, über den das FA bislang noch nicht
absachließend entschieden hat. Gleichzeitig hat die Antragstellerin einen Antrag auf
Aussetzung der Vollziehung der beiden Bescheide gestellt, den das FA mit Schreiben vom
21.8.2008 abgelehnt hat.
Zur Begründung ihres daraufhin gestellten gerichtlichen Aussetzungsantrages trägt die
Antragstellerin vor:
Unter Berücksichtigung der neueren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes –
EuGH - und des Bundesfinanzhofs – BFH – seien die Lieferungen an die Firma "G" in
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Spanien umsatzsteuerfrei zu belassen, auch nachdem deren mitgeteilte USt.-Id.-Nr. von
den spanischen Finanzbehörden ungültig gestellt worden sei. Die Ungültigkeit der USt.-Id.-
Nr. sei seitens der spanischen Behörden zu Unrecht verfügt worden, nachdem die Firma
"G" wohl in Spanien ihren steuerlichen Verpflichtungen nicht nachgekommen sei. Dies
habe jedoch nichts an der Unternehmereigenschaft der Firma "G" geändert, die alleine
Voraussetzung für die Erteilung einer USt.-Id.-Nr. sei. Außerdem vermutet die
Antragstellerin, dass die USt.-Id.-Nr. der spanischen Firma erst im 1. Quartal 2006
rückwirkend für den 9.11.2005 aberkannt worden sei. Nach deutschen Maßstäben sei die
Aberkennung der USt.-Id.-Nr. unzulässig erfolgt, weil die Firma "G", auch wenn sie ihren
steuerlichen Verpflichtungen in Spanien nicht nachgekommen sei, hierdurch nicht ihre
Unternehmereigenschaft eingebüßt habe. Aus diesem Grund habe den Abnehmern der
Firma "G" in Spanien auch nicht der Vorsteuerabzug versagt werden können, wie die
Antragstellerin auf eigenes Betreiben hin festgestellt habe.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass sämtliche Voraussetzungen für die
Steuerfreiheit der innergemeinschaftlichen Lieferungen erfüllt seien. Die Waren seien
unstreitig nach Spanien gelangt, bei der Abnehmerfirma habe es sich um eine
Unternehmerin gehandelt und außerdem hätten die Lieferungen auch grundsätzlich der
innergemeinschaftlichen Erwerbsbesteuerung unterlegen.
Die Antragstellerin beruft sich im übrigen auf ihre Gutgläubigkeit hinsichtlich der Gültigkeit
der mitgeteilten USt.-Id.-Nr. und meint, es habe für sie keine Verpflichtung bestanden, sich
bei jeder Lieferung erneut die Gültigkeit der mitgeteilten USt.-Id.-Nr. bestätigen zu lassen.
Die Antragstellerin beantragt,
die Umsatzsteueränderungsbescheide 2005 in Höhe von 199.480,16 EUR
(einschließlich der Zinsen zur Umsatzsteuer 2005) und 2006 in Höhe von 235.681,32 EUR
(einschließlich der Zinsen zur Umsatzsteuer 2006) vom 23. 6.2008 von der Vollziehung
auszusetzen.
hilfsweise, die Beschwerde zuzulassen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Das FA ist der Ansicht, dass die Antragstellerin sich deshalb nicht mit Erfolg auf die
Steuerfreiheit der hier streitigen Getränkelieferungen berufen könne, weil sie den hierfür
notwendigen Buchnachweis, zu dem auch gemäß § 17 c Abs.1 Satz 1 Umsatzsteuer-
Durchführungsverordnung – UStDV – die Aufzeichnung der gültigen USt.-Id.-Nr. des
Abnehmers gehöre, nicht erbracht habe. Im vorliegenden Fall habe ab dem 9.11.2005
keine gültige USt.-Id.-Nr. der Firma "G" mehr bestanden.
Auf Gutgläubigkeit könne sich die Antragstellerin deshalb nicht berufen, weil sie sich
regelmäßig – und nicht nur bei Beginn der Geschäftsbeziehungen – darüber habe
vergewissern müssen, dass die von der Abnehmerfirma mitgeteilte USt.-Id.-Nr. weiterhin
gültig sei.
II.
Der Aussetzungsantrag ist bezüglich der Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer 2005 und
2006 unzulässig, im übrigen bezüglich der Steuernachforderungen zur Umsatzsteuer 2005
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und 2006 in vollem Umfang begründet.
1. Soweit sich der Antrag auf die Zinsen zur Umsatzsteuer 2005 und 2006 bezieht, ist er
unzulässig, weil die Antragstellerin nur geltend macht, dass die Umsatzsteuer für die
Streitjahre nicht zutreffend festgesetzt worden sei. Gegen die hieraus resultierenden
Zinsberechnungen sind jedoch keine gesonderten Einwendungen erhoben worden.
Bezieht sich ein Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Umsatzsteuerbescheides
nicht nur auf die Umsatzsteuerfestsetzung, sondern zugleich auf die Festsetzung der
Zinsen zur Umsatzsteuer und wendet sich der Antragsteller gegen die letztgenannten
Festsetzungen (Folgefestsetzung) nur mit den gegen die Umsatzsteuerfestsetzung
vorgebrachten Einwänden, so ist der Antrag hinsichtlich der Folgefestsetzungen
unzulässig. Ein Rechtsschutzbedürfnis für den Antrag der Antragstellerin besteht somit
nicht (vgl. FG Düsseldorf, Beschluss vom 26.07.1995 14 V 3298/95 A(E), EFG 1995, 1073;
FG München, Beschluss vom 12.04.2001 13 V 422/01, n. v.).
2. Im übrigen ist der Aussetzungsantrag zulässig und auch begründet, da der Senat
ernstliche Zweifel an der Versagung der Steuerfreiheit für die Getränkelieferungen der
Antragstellerin an die spanische Firma "G" S.L. in den angefochtenen
Umsatzsteuerbescheiden 2005 und 2006 hat.
Nach § 69 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2 FGO soll die Vollziehung eines angefochtenen
Steuerbescheids auf Antrag ausgesetzt werden, wenn ernstliche Zweifel an der
Rechtmäßigkeit des Bescheids bestehen. Die Rechtmäßigkeit eines Steuerbescheids ist
ernstlich zweifelhaft, wenn bei Prüfung der Sach- und Rechtslage aufgrund der präsenten
Beweismittel, der gerichtsbekannten Tatsachen und des unstreitigen Sachverhalts
erkennbar wird, dass aus gewichtigen Gründen Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der
Beurteilung von Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Sachverhaltsfragen
besteht und sich bei abschließender Klärung dieser Fragen der Bescheid als rechtswidrig
erweisen könnte (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 17. Mai 1978 I R 50/77,
Bundessteuerblatt - BStBl - II - 1978, 579; Gräber/Koch, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl.
1997, § 69 Anm. 77 f., m.w.N.).
Der Senat hat hiernach ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung der
Steuerfreiheit für die innergemeinschaftliche Lieferungen an die spanische Firma "G", die
seitens des FA ausschließlich mit der Ungültigkeit der dieser Firma erteilten USt.-Id.-Nr. ab
dem 9.11.2005 begründet wird.
In seinem Urteil V R 59/03 vom 6. Dezember 2007 (a.a.O.) hat der BFH unter Bezugnahme
auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes - EuGH - zu den
Voraussetzungen für die Steuerfreiheit innergemeinschaftlicher Lieferungen wie folgt
ausgeführt:
"1. Eine - gemäß § 4 Nr. 1 Buchst. b UStG steuerfreie - innergemeinschaftliche Lieferung
liegt nach § 6a Abs. 1 Satz 1 UStG vor, wenn bei einer Lieferung die folgenden
Voraussetzungen erfüllt sind:
1. Der Unternehmer oder der Abnehmer hat den Gegenstand der Lieferung in das übrige
Gemeinschaftsgebiet befördert oder versendet;
2. der Abnehmer ist
a) ein Unternehmer, der den Gegenstand der Lieferung für sein Unternehmen erworben hat,
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b) eine juristische Person, die nicht Unternehmer ist oder die den Gegenstand der
Lieferung nicht für ihr Unternehmen erworben hat, oder
c) bei der Lieferung eines neuen Fahrzeuges auch jeder andere Erwerber
und
3. der Erwerb des Gegenstandes der Lieferung unterliegt beim Abnehmer in einem anderen
Mitgliedstaat den Vorschriften der Umsatzbesteuerung.
a) Diese Vorschrift steht im Einklang mit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe des Art.
28c Teil A Buchst. a Unterabs. 1 der im Streitjahr geltenden Sechsten Richtlinie des Rates
vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die
Umsatzsteuern 77/388/EWG (Richtlinie 77/388/EWG). Danach befreien die Mitgliedstaaten
u.a. die Lieferungen, die durch den Erwerber nach Orten außerhalb des Inlandes, aber
innerhalb der Gemeinschaft versandt oder befördert werden, wenn diese Lieferungen an
einen anderen Steuerpflichtigen bewirkt werden, der als solcher in einem anderen
Mitgliedstaat als dem des Beginns des Versandes oder der Beförderung des
Gegenstandes handelt.
Nach der Rechtsprechung des EuGH setzt die innergemeinschaftliche Lieferung - in
Übereinstimmung mit den nationalen Grundsätzen - neben den Anforderungen an den
Abnehmer voraus, dass die Befugnis, wie ein Eigentümer über den Gegenstand zu
verfügen, auf den Erwerber übergegangen ist und der gelieferte Gegenstand vom
Lieferstaat in einen anderen Mitgliedstaat physisch verbracht worden ist (EuGH-Urteile vom
27. September 2007 Rs. C-409/04, Teleos u.a., UR 2007, 774 Randnrn. 42, 70; vom 27.
September 2007 Rs. C-184/05, Twoh, UR 2007, 782 Randnr. 23). Hingegen ist nicht
erforderlich, dass der innergemeinschaftliche Erwerb tatsächlich besteuert worden ist
(EuGH-Urteil Teleos u.a. in UR 2007, 774 Randnrn. 69 ff.).
b) Nach § 6a Abs. 3 Satz 1 UStG müssen die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vom
Unternehmer nachgewiesen sein. Das Bundesministerium der Finanzen (BMF) kann mit
Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung bestimmen, wie der Unternehmer
den Nachweis zu führen hat (§ 6a Abs. 3 Satz 2 UStG).
Dazu ist in § 17a Abs. 1 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung 1993 (UStDV)
geregelt worden, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen der Unternehmer im
Geltungsbereich dieser Verordnung durch Belege nachweisen muss, dass er oder der
Abnehmer den Gegenstand der Lieferung in das übrige Gemeinschaftsgebiet befördert
oder versendet hat; dies muss sich aus den Belegen eindeutig und leicht nachprüfbar
ergeben (sog. Belegnachweis).
Ferner bestimmt § 17c Abs. 1 Satz 1 UStDV, dass bei innergemeinschaftlichen Lieferungen
der Unternehmer im Geltungsbereich dieser Verordnung die Voraussetzungen der
Steuerbefreiung einschließlich Umsatzsteuer-Identifikationsnummer des Abnehmers
buchmäßig nachweisen muss; die Voraussetzungen müssen gemäß § 17c Abs. 1 Satz 2
UStDV "eindeutig und leicht nachprüfbar aus der Buchführung zu ersehen" sein (sog.
Buchnachweis).
c) Zum Nachweis einer innergemeinschaftlichen Lieferung hat der EuGH ausgeführt:
"Hinsichtlich der Nachweise, die die Steuerpflichtigen für eine Mehrwertsteuerbefreiung zu
führen haben, ist festzustellen, dass die Sechste Richtlinie keine Vorschrift enthält, die sich
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unmittelbar mit dieser Frage befasst. Sie bestimmt lediglich in Art. 28c Teil A erster
Halbsatz, dass die Mitgliedstaaten die Bedingungen für die Befreiung
innergemeinschaftlicher Lieferungen von Gegenständen festlegen" (EuGH-Urteil Collée in
UR 2007, 813 Randnr. 24, IStR 2007, 747, HFR 2007, 1256, BFH/NV Beilage 2008, 34).
"Art. 22 der Sechsten Richtlinie regelt zwar bestimmte formelle Pflichten der
Steuerschuldner in Bezug auf Aufzeichnungen, Rechnungen, Steuererklärungen und die
der Finanzverwaltung vorzulegende Aufstellung. Nach Abs. 8 dieses Artikels können die
Mitgliedstaaten jedoch weitere Pflichten vorsehen, die sie als erforderlich erachten, um
eine genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu
verhindern ...
Aus der ständigen Rechtsprechung ergibt sich, dass die Maßnahmen, die die
Mitgliedstaaten nach Art. 22 Abs. 8 der Sechsten Richtlinie erlassen dürfen, um eine
genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern,
nicht über das hinausgehen dürfen, was zur Erreichung dieser Ziele erforderlich ist ... Sie
dürfen daher nicht so eingesetzt werden, dass sie die Neutralität der Mehrwertsteuer in
Frage stellen, die ein Grundprinzip des durch das einschlägige Gemeinschaftsrecht
geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems ist" (EuGH-Urteil Collée in UR 2007,
813 Randnrn. 25, 26, IStR 2007, 747, HFR 2007, 1256, BFH/NV Beilage 2008, 34).
Der Grundsatz der Neutralität erfordert es, dass "die Mehrwertsteuerbefreiung gewährt wird,
wenn die materiellen Anforderungen erfüllt sind, selbst wenn der Steuerpflichtige
bestimmten formellen Anforderungen nicht genügt hat. Anders verhielte es sich nur, wenn
der Verstoß gegen die formellen Anforderungen den sicheren Nachweis verhinderte, dass
die materiellen Anforderungen erfüllt wurden" (EuGH-Urteil Collée in UR 2007, 813
Randnr. 31, IStR 2007, 747, HFR 2007, 1256).
"Bei der Ausübung ihrer Befugnisse müssen die Mitgliedstaaten ... die allgemeinen
Rechtsgrundsätze beachten, zu denen u. a. die Grundsätze der Rechtssicherheit und der
Verhältnismäßigkeit gehören" (EuGH-Urteil Twoh in UR 2007, 782 Randnr. 25).
d) Hieraus ergibt sich, dass die Verpflichtung des Unternehmers nach § 6a Abs. 3 UStG,
die Voraussetzungen einer innergemeinschaftlichen Lieferung nach Maßgabe der §§ 17a,
17c UStDV nachzuweisen, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist (vgl. bereits Urteile
des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 18. Juli 2002 V R 3/02, BFHE 199, 80, BStBl II 2003,
616, unter II. 2. b; vom 1. Februar 2007 V R 41/04, BFH/NV 2007, 1059, unter II. 2. b).
Die Nachweispflichten sind aber keine materiellen Voraussetzungen für die Befreiung als
innergemeinschaftliche Lieferung. Soweit die bisherige Rechtsprechung (BFH-Beschlüsse
vom 2. April 1997 V B 159/96, BFH/NV 1997, 629; vom 5. Februar 2004 V B 180/03,
BFH/NV 2004, 988; BFH-Urteil vom 30. März 2006 V R 47/03, BFHE 213, 148, BStBl II
2006, 634, unter II. 2. a) von anderen Grundsätzen ausgegangen ist, hält der Senat
angesichts der dargelegten neueren Rechtsprechung des EuGH daran nicht mehr fest.
Die Regelungen des § 6a Abs. 3 UStG und §§ 17a, 17c UStDV bestimmen vielmehr
lediglich, dass und wie der Unternehmer die Nachweise zu erbringen hat.
Daraus folgt: Kommt der Unternehmer seinen Nachweispflichten nicht nach, ist
grundsätzlich davon auszugehen, dass die Voraussetzungen einer
innergemeinschaftlichen Lieferung (§ 6a Abs. 1 UStG) nicht erfüllt sind. Etwas anderes gilt
ausnahmsweise nur dann, wenn trotz der Nichterfüllung der – formellen -
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Nachweispflichten aufgrund der objektiven Beweislage feststeht, dass die
Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen. Dann ist die Steuerbefreiung zu
gewähren, auch wenn der Unternehmer die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen
Nachweise nicht erbrachte."
Nach dieser Rechtsprechung, welcher der Senat folgt, dürfte im vorliegenden Fall trotz
Fehlens einer gültigen USt.-Id.-Nr. in der Buchführung und damit trotz insoweit
unvollständigen Buchnachweises von der Steuerfreiheit der streitigen Exportgeschäfte
auszugehen sein.
Der Senat unterstellt in diesem summarischen Verfahren die Richtigkeit der
Sachverhaltsdarstellung der Antragstellerin bezüglich der Durchführung der
Getränkelieferungen, da der mitgeteilte Sachverhalt vom FA auch nicht weiter bestritten
wurde. Hiernach ist davon auszugehen, dass die Getränkelieferungen – wie von der
Antragstellerin dargelegt – in Form von Reihengeschäften an von der Firma "G" zuvor
mitgeteilte Abnehmer mittels einer von der Antragstellerin beauftragten Spedition
durchgeführt wurden und von der Antragstellerin auch ein – bis auf die Aufzeichnung einer
im Zeitpunkt der Lieferungen gültigen USt.-Id.-Nr. – vollständiger Buch- und Belegnachweis
i.S. der Vorschriften der UStDV erbracht wurde.
Es handelt sich hierbei um Versendungslieferungen, da zwischen der Antragstellerin und
ihrer spanischen Abnehmerin – der Firma "G" – Lieferungen "frei Haus" vereinbart waren
und nach den vorliegenden Unterlagen die Spedition offensichtlich auch von der
Antragstellerin beauftragt wurde.
Davon ausgehend, dass somit – mit Ausnahme der Aufzeichnung einer gültigen
spanischen USt.-Id.-Nr. der Abnehmerfirma - sämtliche Voraussetzungen des Buch- und
Belegnachweises gemäß §§ 17a und 17c UStDV für die Steuerfreiheit
innergemeinschaftlicher Lieferungen bei dem hier zu beurteilenden Sachverhalt erfüllt sind,
hat der Senat angesichts der oben zitierten neueren Rechtsprechung des BFH und EuGH
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Versagung der Steuerfreiheit für diese
Lieferungen durch das FA.
Nach dem vom FA nicht bestrittenen Sachvortrag der Antragstellerin lagen mithin sämtliche
Voraussetzungen des § 6a Abs.1 Nrn. 1 – 3 UStG für die Annahme steuerbefreiter
innergemeinschaftlicher Lieferungen vor: Die Lieferungen erfolgten nachweislich im Wege
der Versendung an einen anderen Unternehmer in einem EG-Mitgliedsland, die
Lieferungen wurden seitens der Firma "G" für ihre unternehmerische Betätigung – nämlich
zum Weiterverkauf innerhalb Spaniens – bezogen und der Erwerb der gelieferten
Gegenstände unterlag auch grundsätzlich der Erwerbsbesteuerung in Spanien.
Aus diesen Gründen dürfte hier der vom BFH in seinem Urteil V R 59/03 (a.a.O.)
aufgezeigte Ausnahmefall, dass nämlich trotz Nichterfüllung der – formellen -
Nachweispflichten aufgrund der objektiven Sachlage feststeht, dass die Voraussetzungen
des § 6a Abs. 1 UStG vorliegen, einschlägig sein. Deshalb dürfte hier die Steuerbefreiung
zu gewähren sein, auch wenn die Antragstellerin die nach § 6a Abs. 3 UStG erforderlichen
Nachweise nicht vollständig erbracht hat.
Hiernach dürfte es auf die Frage des Vertrauensschutzes wegen Gutgläubigkeit gar nicht
mehr ankommen.
Selbst wenn man aber – aufgrund des Fehlens des vollständigen Buchnachweises – unter
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Berufung auf die – durch das oben zitierte Urteil V R 59/03 vom 6. Dezember 2007 (a.a.O.) -
überholte Rechtsprechung des BFH (u.a. BFH-Beschlüsse vom 2. April 1997 V B 159/96,
BFH/NV 1997, 629; vom 5. Februar 2004 V B 180/03, BFH/NV 2004, 988; BFH-Urteil vom
30. März 2006 V R 47/03, BFHE 213, 148, BStBl II 2006, 634, unter II. 2. a) die Ansicht
vertreten wollte, dass die in §§ 17a und 17c UStDV normierten Buch- und
Belegnachweispflichten materielle Voraussetzungen für die Befreiung eines Umsatzes als
innergemeinschaftliche Lieferung seien, so dürfte selbst dann der in § 6a Abs.4 UStG
normierte Vertrauensschutzgedanke die Steuerfreiheit der hier streitigen Umsätze
rechtfertigen:
Nach § 6a Abs. 4 Satz 1 UStG ist eine Lieferung, die der Unternehmer als steuerfreie
innergemeinschaftliche Lieferung behandelt hat, obwohl die Voraussetzungen nach § 6a
Abs. 1 UStG nicht vorliegen, gleichwohl als steuerfrei anzusehen, wenn die
Inanspruchnahme der Steuerbefreiung auf unrichtigen Angaben des Abnehmers beruht
und der Unternehmer die Unrichtigkeit dieser Angaben auch bei Beachtung der Sorgfalt
eines ordentlichen Kaufmanns nicht erkennen konnte.
Diese Vorschrift dürfte hier – wenn man nicht schon die Voraussetzungen für die
Umsatzsteuerbefreiung in diesem Sachverhalt ausnahmsweise auch ohne Aufzeichnung
einer gültigen USt.-Id.-Nr. des Lieferungsempfängers als erfüllt betrachtet – einschlägig
sein:
Zwar ist nach dem unstreitigen Sachverhalt davon auszugehen, dass die Firma "G"
gegenüber der Antragstellerin zu Beginn der Geschäftsbeziehungen keinerlei unrichtige
Angaben bezüglich ihres Unternehmens und der Gültigkeit der ihr erteilten USt.-Id.-Nr.
gemacht hat, auf der die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung beruhen könnte. Unrichtige
Angaben hinsichtlich der Gültigkeit der USt.-Id.-Nr. dürften der Firma "G" hier aber deshalb
vorzuwerfen sein, weil es diese Firma in der Folgezeit nach dem 9.11.2005, nachdem die
zunächst erteilte USt.-Id.-Nr. ungültig geworden war, es unterlassen hat, ihre
Geschäftspartnerin, die Antragstellerin, auf die Ungültigkeit dieser USt.-Id.-Nr. hinzuweisen.
Die fortdauernde weitere Benutzung der mittlerweile ungültigen USt.-Id.-Nr. dürfte insoweit
inzident die falsche Angabe der Firma "G" beinhalten, die verwendete USt.-Id.-Nr. sei
weiterhin gültig.
Entsprechend stellt sich die Frage, in welchem Umfang und mit welchem Aufwand die
Antragstellerin die ihr von ihrer Abnehmerin mitgeteilten Angaben – in diesem Fall zur
Erteilung der USt.-Id.-Nr. – überprüfen musste, um ihrer kaufmännischen Sorgfaltspflicht
Genüge zu tun.
Vertritt man, wie offensichtlich hier das FA, die Ansicht, bei innergemeinschaftlichen
Lieferbeziehungen müsse der inländische Unternehmer im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht
sich vor jeder Lieferung von Neuem über die Gültigkeit der ihm von seinem
Geschäftspartner mitgeteilten USt.-Id.-Nr. vergewissern, so spricht für diese Auffassung
zwar, dass ein solches stetiges Abfrageerfordernis keinen besonderen zusätzlichen
Aufwand erfordern würde, sondern in kürzester Zeit ohne weitere Kosten und Mühe durch
Online-Abfrage beim Internetauftritt des Bundeszentralamtes für Steuern möglich ist (siehe:
http://evatr.bff-online.de/eVatR/).
Auf der anderen Seite ist jedoch auch zu berücksichtigen, dass im hier zu beurteilenden
Fall für die Antragstellerin im Hinblick auf die Regelung des § 27a UStG zur Erteilung einer
deutschen USt.-Id.-Nr. keinerlei Anlass dafür bestanden haben dürfte, an der
Unternehmereigenschaft der Firma "G" in Spanien und damit an der einzigen hier
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maßgeblichen Voraussetzung für die Erteilung einer gültigen USt.-Id.-Nr. zu zweifeln. Denn
alleine die Umsätze der Firma "G" aus den Geschäften, welche sie im Streitzeitraum mit der
Antragstellerin einerseits und ihren eigenen Abnehmern in Spanien andererseits tätigte,
weisen eindeutig auf die Unternehmereigenschaft der Firma "G" hin. Sollte der Firma "G"
somit – wie die Antragstellerin aufgrund eigener Nachforschungen in Spanien behauptet,
die Gültigkeit ihrer USt.-Id.-Nr. tatsächlich aufgrund der Nichterfüllung ihrer steuerlichen
Pflichten entzogen worden sein und möglicherweise auch noch rückwirkend - so dürfte ein
deutsches Unternehmen mit einer solchen Verwaltungspraxis in Anbetracht der deutschen
Vorschrift des § 27a UStG zur Erteilung einer USt.-Id,.-Nr. und in Ansehung von Art. 22
Abs.1 c) Richtlinie 77/388/EWG wohl nicht rechnen müssen.
Hinzu kommt, dass weder aus den Vorschriften des UStG (§ 18e UStG) noch aus der
Richtlinie 77/388/EWG dem Unternehmer explizit die Pflicht auferlegt wird, sich vor jedem
innergemeinschaftlichen Umsatz über die Gültigkeit der mitgeteilten USt.-Id.-Nr. des
Geschäftspartners zu vergewissern. Es wäre insoweit sicherlich aus Sicht der deutschen
Exportwirtschaft sinnvoll, in diesem Bereich den Unternehmern seitens der
Finanzverwaltung oder des Gesetzgebers klare Vorgaben hinsichtlich des Erfordernisses
einer Gültigkeitsabfrage i.S. des § 18e UStG an die Hand zu geben, soweit man eine
laufende Abfrage vor jeder einzelnen innergemeinschaftlichen Lieferung für erforderlich
erachtet.
In diesem summarischen Verfahren neigt das Gericht der Auffassung zu, dass die
Antragstellerin ihre kaufmännische Sorgfaltspflicht bereits durch die zweifache qualifizierte
Abfrage der Gültigkeit der ihr mitgeteilten USt.-Id.-Nr. der Firma "G" zu Beginn der
Geschäftsbeziehungen erfüllt hat. Hierdurch hat sie sich zu Beginn der
Geschäftsbeziehung darüber vergewissert, dass ihr die spanische Abnehmerfirma
zutreffend die ihr erteilte USt.-Id.-Nr. – und nicht z.B. die eines anderen Unternehmens –
benannt hat. Hingegen gab es aus Sicht der Antragstellerin in Ansehung des deutschen
Umsatzsteuerrechts und der Vorschriften der Richtlinie 77/388/EWG keinerlei
Anhaltspunkte, in der Folgezeit an der weiteren Gültigkeit der mitgeteilten USt.-Id.-Nr. zu
zweifeln, da das Fortbestehen der Unternehmereigenschaft der Firma "G" - als
grundsätzliche Voraussetzung für die Erteilung einer USt.-Id.-Nr. - schon aufgrund ihrer
eigenen Geschäftsbeziehung zu dieser Firma eindeutig ´vorlag. Denn dass eine Firma, die
in dem hier entscheidungserheblichen Streitzeitraum Warenein- und –verkäufe in
Millionenhöhe tätigt, unternehmerisch handelt, dürfte auf der Hand liegen. Deshalb gab es
aus Sicht der Antragstellerin keinerlei Hinweise darauf, dass ihrer spanischen
Geschäftspartnerin in dem hier streitigen Zeitraum die einmal erteilte USt.-Id.-Nr. wieder
entzogen werden könnte, obwohl sich an deren Unternehmereigenschaft eindeutig nichts
geändert hatte.
Anders wäre der Fall möglicherweise zu beurteilen, wenn ein Unternehmer lediglich
vereinzelt Lieferumsätze an einen innergemeinschaftlichen Abnehmer erbringen würde, die
aus sich heraus nicht – wie hier der Fall - bereits dessen Unternehmereigenschaft
implizieren. In diesem – hier nicht einschlägigen – Fall wäre der Steuerpflichtige sicherlich
im Rahmen seiner Sorgfaltspflicht gehalten, sich jeweils über die Unternehmereigenschaft
seines Geschäftspartners und die fortdauernde Gültigkeit der mitgeteilten USt.-Id.-Nr. zu
vergewissern.
Das Gericht sieht somit die Voraussetzungen für die Annahme steuerbefreiter
innergemeinschaftlicher Lieferungen in Anbetracht der oben zitierten BFH-Rechtsprechung
als erfüllt an. Selbst wenn man in diesem Fall die jeweilige Aufzeichnung einer gültigen
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USt.-Id.-Nr. als materielle Voraussetzung für die Steuerbefreiung für erforderlich hielte,
dürfte der Antragstellerin die Vertrauensschutzregelung des § 6a Abs.4 UStG zugute
kommen.
Dem Aussetzungsantrag war daher - soweit er sich auf die Umsatzsteuernachforderungen
und nicht auf die Zinsen bezieht - mit der Kostenfolge des § 136 Abs.1 Satz 1 FGO
stattzugeben.