Urteil des FG Baden-Württemberg vom 22.10.2009

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FG Baden-Württemberg Urteil vom 22.10.2009, 13 K 40/06
Kein eigener Hausstand eines Ledigen im Haus der Eltern ohne Kostentragung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
1
Der ledige Kläger ist Dipl.-Ing. (FH); er erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und wird zur Einkommensteuer für die Streitjahre 2002 und
2003 veranlagt. In den Einkommensteuererklärungen für 2002 und 2003 machte der Kläger Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung
geltend und gab an, sein Wohnort sei X und sein Beschäftigungsort sei seit dem 01.10.1998 in Y. Ebenfalls seit dem 01.10.1998 unterhalte er
einen eigenen Hausstand in B. (bei Y).
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In den Einkommensteuerbescheiden für 2002 vom 07.02.2006 und für 2003 vom 29.07.2005 wurden die geltend gemachten Aufwendungen für
doppelte Haushaltsführung nicht berücksichtigt, da ein eigener Hausstand in X nicht nachgewiesen worden sei. Statt dessen wurden die geltend
gemachten Familienheimfahrten als Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte berücksichtigt.
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Mit den Einsprüchen wandte sich der Kläger gegen die Nichtanerkennung der doppelten Haushaltsführung. Die Einsprüche wurden mit
Einspruchsentscheidung vom 09.02.2006 als unbegründet zurückgewiesen. Die Einspruchsentscheidung führt u. a. aus: Der Kläger habe nicht
nachgewiesen, dass er einen eigenen Hausstand in X unterhalte. Die gesetzliche Regelung, wonach eine doppelte Haushaltsführung „nur“ bei
Bestehen eines eigenen Hausstands am Lebensmittelpunkt möglich sei, sei auch auf Zeiträume vor 2004 anzuwenden (§ 52 Abs. 12 Satz 4 EStG
2004). Auch nach der früheren Regelung wäre Berücksichtigung nicht möglich gewesen. Damals sei der Abzug der Aufwendungen bei Ledigen
ohne eigenen Hausstand auf 2 Jahre begrenzt gewesen. Der Kläger habe aber nach seinen Angaben in den Steuererklärungen bereits 1998
den doppelten Haushalt begründet, so dass die 2-Jahres-Frist in den Streitjahren 2002 und 2003 abgelaufen gewesen sei.
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Der Kläger hat durch Schreiben der Prozessbevollmächtigten vom 22.02.2006 Klage erhoben. Er bringt u. a. vor: Streitig sei die Frage der
doppelten Haushaltsführung, wobei seitens der Finanzverwaltung wohl die sogenannte Aufspaltungstheorie zum Tragen komme. Der BFH habe
am 05.03.2009 im Verfahren VI R 23/07 - und wohl in vier weiteren Verfahren - über Fragestellungen der doppelten Haushaltsführung eine
Entscheidung getroffen. Es sei von einer Änderung der Rechtsprechung auszugehen.
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Mit Schreiben vom 20.10.2009 bringt der Kläger u. a. vor: Der persönliche Lebensmittelpunkt des Klägers liege in X, wo ihm seit Jahren eigener
Wohnraum im Dachgeschoss des elterlichen Hauses (unentgeltlich) zur Verfügung stehe. Der eigene Wohnraum sei auch äußerlich erkennbar,
da eine eigene Klingel bestehe. Der weitere Wohnsitz in den Streitjahren 2002 und 2003 werde aus beruflichen Gründen unterhalten, da die
Entfernung zum Arbeitgeber in Y eine tägliche Hin- und Herfahrt, wie auch in den Vorjahren, nicht vertretbar erscheinen lasse. Dieser zweite
Wohnsitz befinde sich in eigenen Räumen (Eigentumswohnung). Sowohl nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom
04.12.2002 (2 BvR 400/98) als auch nach neueren Entscheidungen des Bundesfinanzhofs (u.a. Az. VI R 23/07) liege eine Abzugsfähigkeit der
Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung vor.
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Der Kläger stellt den Antrag aus dem Schreiben vom 20.10.2009,
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hilfsweise, die Revision zuzulassen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
10 Er bringt u. a. vor: Der Kläger habe zum Sachverhalt wenig brauchbare Angaben gemacht. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger in den
elterlichen Haushalt eingegliedert gewesen sei und am Arbeitsort erstmals einen eigenen Hausstand begründet habe. Ein „Wegverlegungsfall“
im Sinne der neueren BFH-Rechtsprechung liege nicht vor.
11 In der mündlichen Verhandlung am 22.10.2009 hat der Klägervertreter drei Aufnahmen von der Klingelanlage am Einfamilienhaus der Eltern des
Klägers übergeben und dazu ausgeführt: Das obere Klingelschild („a + b A“) bezeichne den Kläger und dessen Bruder B. Beide hätten je ein
Zimmer im Dachgeschoss des Elternhauses. Daneben befinde sich im Dachgeschoss ein weiteres (gemeinsames) Zimmer, das beide Söhne als
Computer- und Hobbyraum nutzten und das man auch als Wohnzimmer bezeichnen könnte. Daneben sei im Dachgeschoss eine Nasszelle
vorhanden mit Dusche oder Bad, WC und Waschbecken. Lediglich die Küche im Haushalt der Eltern werde mit den Eltern gemeinsam genutzt.
Die Räume im Dachgeschoss stünden dem Kläger unentgeltlich zur Verfügung, d. h. der Kläger zahle keine Miete und keine Nebenkosten. In
zwei finanzgerichtlichen Verfahren (Az. 9 K 110/07 und 9 K 203/07) sei für den Bruder B D. eine doppelte Haushaltsführung anerkannt worden.
12 Wegen weiterer Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Entscheidungsgründe
13 Die Klage ist nicht begründet.
14 Nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG sind notwendige Mehraufwendungen, die einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass
begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen, Werbungskosten. Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach Nr. 5 Satz 2 der Vorschrift vor,
wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen „eigenen“ Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort
wohnt. Hausstand im Sinne der Vorschrift ist der Haushalt, den der Arbeitnehmer am Lebensmittelpunkt führt, also sein Erst- oder Haupthaushalt.
Dabei ist die Wohnung der räumliche Bereich, in dem sich der Haushalt entfaltet. Für die Voraussetzungen einer doppelten Haushaltsführung
gelten die allgemeinen Nachweispflichten des Steuerpflichtigen für Werbungskosten. Der „eigene“ Hausstand muss vom Arbeitnehmer
„unterhalten“ werden. Unterhalten bedeutet die Führung eines Haushalts. Dazu gehört auch, dass der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts
aufkommt (vgl. BFH-Urteil vom 14.06.2007 VI R 60/05, BStBl II 2007, 890).
15 Der „eigene“ Hausstand muss vom Arbeitnehmer „unterhalten“ oder mitunterhalten werden. Unterhalten bedeutet die Führung eines Haushalts.
Dazu gehört auch, dass der Arbeitnehmer für die Kosten des Haushalts aufkommt. Zwar ist die entgeltliche Überlassung einer Wohnung nicht
Voraussetzung einer doppelten Haushaltsführung bei Alleinstehenden. Denn ein Hausstand kann bei Kostentragung im Übrigen auch in einer
unentgeltlich überlassenen Wohnung geführt werden. Jedoch ist das Merkmal der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung ein Indiz für die
Beantwortung der Frage, ob ein eigener Hausstand unterhalten wird (vgl. BFH in BStBl II 2007, 890). Im Streitfall kommt hinzu, dass der Kläger
auch keine Nebenkosten des Hausstands (z. B. Heizung, Strom, Wasser) getragen hat. Angesichts der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung
und der fehlenden Tragung von Nebenkosten ist davon auszugehen, dass der Kläger bei seinen Aufenthalten in X in den Haushalt der Eltern
eingegliedert ist, so dass von einer eigenen Haushaltsführung des Klägers im Einfamilienhaus der Eltern nicht ausgegangen werden kann. Die -
mit dem Bruder gemeinsame - Klingel genügt hierfür nicht.
16 Dass der Kläger im Dachgeschoss des elterlichen Einfamilienhauses keinen eigenen Hausstand unterhalten hat, folgt nicht nur aus dem
fehlenden finanziellen Beitrag des Klägers (vgl. BFH-Beschluss vom 05.07.2007 VI R 44-45/06, BFH/NV 2007, 1878). Mangels einer Küche
ermöglichten die Räumlichkeiten im Dachgeschoss keine eigene Haushaltsführung. Bei diesen Gegebenheiten ist davon auszugehen, dass der
Kläger den elterlichen Haushalts mitbenutzt hat (vgl. BFH-Beschluss vom 06.06.2007 VI B 153/06, BFH/NV 2007, 1868). Da der Kläger somit im
Einfamilienhaus der Eltern weder einen eigenen Hausstand unterhalten noch Kosten hierfür getragen hat, liegt eine steuerlich anzuerkennende
doppelte Haushaltsführung nicht vor.
17 Die Anerkennung einer doppelten Haushaltsführung wäre auch nach der früher für möglich gehaltenen sog. unechten doppelten
Haushaltsführung nicht möglich gewesen. Diese wurde z. B. angenommen, wenn ein lediger Steuerpflichtiger ohne eigenen Hausstand in der
Wohnung seiner Eltern noch den Mittelpunkt der Lebensinteressen hatte, ihm aber wegen einer nur kurzfristigen auswärtigen Beschäftigung
Aufwendungen für eine dort unterhaltene Wohnung entstanden. Im Streitfall lag eine kurzfristige auswärtige Beschäftigung nicht vor, da die
Beschäftigung ununterbrochen seit dem 01.10.1998 bestanden hat.
18 Angesichts dieser Dauer der Auswärtstätigkeit hätte der Kläger auch darlegen und nachweisen müssen, weshalb sein Lebensmittelpunkt in X
verblieben sein soll. Denn bei einem nicht verheirateten Arbeitnehmer spricht, je länger die Auswärtstätigkeit dauert, immer mehr dafür, dass die
eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlegt wurden und der Wohnraum im
Dachgeschoss des Elternhauses nur noch für Besuchszwecke bei den Eltern bereitgehalten wird (vgl. BFH-Urteil vom 09.08.2007 VI R 10/06,
BStBl II 2007, 820), zumal der Kläger am Beschäftigungsort über eine Eigentumswohnung verfügt.
19 Schließlich gibt auch die vom Kläger erwähnte neuere BFH-Rechtsprechung zu Fragen der doppelten Haushaltsführung (vgl. BFH-Urteile vom
05.03.2009 VI R 23/07, BFH/NV 2009, 1176; vom 05.03.2009 VI R 58/06, BFH/NV 2009, 1173) für den Streitfall nichts her. Denn ein sog.
Wegverlegungsfall liegt hier nicht vor. Da somit keine Abweichung von dieser Rechtsprechung vorliegen kann, war auch die Revision nicht
zuzulassen.
20 Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.