Urteil des EuGH vom 17.07.2008

Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Diskriminierungsverbot, Nichtstaatliche Organisation, Berufliche Wiedereingliederung

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
17. Juli 2008
)
„Art. 39 EG – Begriff des ‚Arbeitnehmers‘ – Gemeinnützige nichtstaatliche Organisation –
Doktorandenstipendium – Arbeitsvertrag – Voraussetzungen“
In der Rechtssache C‑94/07
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht vom
Arbeitsgericht Bonn (Deutschland) mit Entscheidung vom 4. November 2004, beim
Gerichtshof eingegangen am 20. Februar 2007, in dem Verfahren
Andrea Raccanelli
gegen
Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V.
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano sowie der Richter A. Borg Barthet
und E. Levits (Berichterstatter),
Generalanwalt: M. Poiares Maduro,
Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. April
2008,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V., vertreten
durch Rechtsanwalt A. Schülzchen,
– der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch V. Kreuschitz
und G. Rozet als Bevollmächtigte,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne
Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 39 EG und Art. 7 der
Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit
der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2).
2
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Raccanelli und
der Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. (im Folgenden:
MPG) über das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen Herrn Raccanelli und
dem zur MPG gehörenden Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn (im
Folgenden: MPI).
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrecht
3
Art. 1 der Verordnung Nr. 1612/68, der in deren Titel I („Zugang zur Beschäftigung“)
steht, lautet:
„(1) Jeder Staatsangehörige eines Mitgliedstaats ist ungeachtet seines Wohnorts
berechtigt, eine Tätigkeit im Lohn- oder Gehaltsverhältnis im Hoheitsgebiet eines
anderen Mitgliedstaats nach den für die Arbeitnehmer dieses Staates geltenden Rechts-
und Verwaltungsvorschriften aufzunehmen und auszuüben.
(2) Er hat insbesondere im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats mit dem
gleichen Vorrang Anspruch auf Zugang zu den verfügbaren Stellen wie die
Staatsangehörigen dieses Staates.“
4
In Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68, der in deren Titel II („Ausübung der Beschäftigung
und Gleichbehandlung“) steht, heißt es:
„(1) Ein Arbeitnehmer, der Staatsangehöriger eines Mitgliedstaats ist, darf auf Grund
seiner Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich der
Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, insbesondere im Hinblick auf Entlohnung,
Kündigung und, falls er arbeitslos geworden ist, im Hinblick auf berufliche
Wiedereingliederung oder Wiedereinstellung, nicht anders behandelt werden als die
inländischen Arbeitnehmer.
(2) Er genießt dort die gleichen sozialen und steuerlichen Vergünstigungen wie die
inländischen Arbeitnehmer.
(4) Alle Bestimmungen in Tarif- oder Einzelarbeitsverträgen oder sonstigen
Kollektivvereinbarungen betreffend Zugang zur Beschäftigung, Beschäftigung,
Entlohnung und alle übrigen Arbeits- und Kündigungsbedingungen sind von Rechts
wegen nichtig, soweit sie für Arbeitnehmer, die Staatsangehörige anderer
Mitgliedstaaten sind, diskriminierende Bedingungen vorsehen oder zulassen.“
Nationales Recht
5
Nach dem nationalen Recht versteht man unter einem „BAT/2-Arbeitsvertrag“ oder einer
„BAT IIa/halbe-Stelle“ einen Vertrag, der auf der Grundlage der zur maßgeblichen Zeit
geltenden Vergütungsgruppe IIa des Bundesangestellten-Tarifvertrags (BAT)
geschlossen worden ist und eine Arbeitszeit von 50 % einer vollen Stelle umfasst.
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
6
Die MPG hat die Rechtsform eines gemeinnützigen Vereins nach dem deutschen
Privatrecht. Sie unterhält in Deutschland und in anderen europäischen Staaten
zahlreiche wissenschaftliche Forschungsinstitute.
7
Diese – „Max-Planck-Institute“ genannten – Forschungsinstitute betreiben im Dienst der
Allgemeinheit
Grundlagenforschung
in
den
Natur-,
Bio-,
Geistes-
und
Sozialwissenschaften.
8
Die MPG praktiziert zwei Arten wissenschaftlicher Nachwuchsförderung, in deren
Rahmen die Forschenden insbesondere eine Promotion vorbereiten können, nämlich
den Stipendienvertrag und den Arbeitsvertrag.
9
Die beiden Arten der Doktorandenförderung unterscheiden sich hauptsächlich dadurch,
– dass der Stipendiat keine Verpflichtung hat, eine Arbeitsleistung gegenüber dem
jeweiligen Institut zu erbringen, sondern ausschließlich an seiner Doktorarbeit
arbeiten kann, während
– derjenige, mit dem ein Vertrag über eine BAT IIa/halbe-Stelle geschlossen worden
ist, eine Arbeitsverpflichtung gegenüber dem anstellenden Institut hat und dessen
Einrichtungen nur außerhalb seiner Arbeitszeit für seine Doktorarbeit nutzen darf.
10
Darüber hinaus unterscheiden sich die beiden Vertragstypen auch hinsichtlich der
steuerlichen Verpflichtungen der Vertragspartner und deren Anschluss an das System
der sozialen Sicherheit.
11
So sind die Stipendiaten von der Einkommensteuer befreit und nicht dem System der
sozialen Sicherheit angeschlossen. Dagegen sind die Forschungskräfte, die Inhaber
einer BAT IIa/halbe-Stelle sind, steuer- und sozialversicherungspflichtig.
12
Herr Raccanelli, der die italienische Staatsangehörigkeit besitzt, war beim MPI vom 7.
Februar 2000 bis 31. Juli 2003 im Rahmen der Erstellung einer Doktorarbeit tätig.
Grundlage für seine Tätigkeit war ein von ihm persönlich unterzeichnetes Schreiben des
MPI vom 7. Februar 2000.
13
Mit diesem Schreiben gewährte ihm das MPI für die Zeit vom 7. Februar 2000 bis 6.
Februar 2002 ein monatliches Stipendium, um ihm zu ermöglichen, sich auf eine
Promotion in Deutschland und im Ausland mit dem Thema „Entwicklung einer
Bolometer-Kamera für Wellenlängen unterhalb 300 µm“ vorzubereiten.
14
In diesem Schreiben heißt es:
„Die Annahme des Stipendiums verpflichtet Sie, sich voll dem Stipendienzweck zu
widmen. Andere Tätigkeiten bedürfen der vorherigen Zustimmung der Institutsleitung.
Das Stipendium wird als Zuschuss zum Lebensunterhalt, nicht jedoch als Gegenleistung
für Ihre wissenschaftliche Tätigkeit gezahlt.
Die Annahme des Stipendiums verpflichtet Sie zu keiner Arbeitnehmertätigkeit für die
Max-Planck-Gesellschaft. Das Stipendium ist deshalb gemäß § 3 Nr. 44 des
Einkommensteuergesetzes einkommensteuerfrei sowie gem. § 6 Nr. 22 der
Lohnsteuerdurchführungsverordnung
lohnsteuerfrei
und
damit
auch
sozialversicherungsfrei.“
15
Mit Zusatzvertrag vom 29. November 2001 zum „Doktorandenvertrag“ wurde dieser bis
6. August 2002 verlängert und später bis 6. Mai 2003. Für die Zeit vom 7. Mai bis 31. Juli
2003 trafen die Parteien am 19. Mai 2003 eine Vereinbarung, die wie folgt lautet:
„Herr Raccanelli wird in der Zeit vom 7.5.03 bis 31.7.03 als Gast an unserem Institut
anwesend sein. Das Institut stellt ihm einen geeigneten Arbeitsplatz zur Verfügung und
betreut ihn durch seine Mitarbeiter.
Die sonstigen Einrichtungen stehen ihm im Rahmen der Institutsordnung und deren
anhängigen Vorschriften zur Verfügung; er verpflichtet sich, diese Vorschriften
einzuhalten.
Durch den Gastaufenthalt wird kein Arbeitsverhältnis begründet, ebenso unterbleibt die
Zahlung einer Vergütung.
…“
16
Herr Raccanelli reichte beim Arbeitsgericht Bonn Klage ein, mit der er in erster Linie die
Feststellung begehrt, dass zwischen ihm und der MPG in der Zeit vom 7. Februar 2000
bis 31. Juli 2003 ein Arbeitsverhältnis bestand.
17
Er trägt vor, dass er während des betreffenden Zeitraums in gleicher Weise behandelt
worden sei wie deutsche Doktoranden mit einem Vertrag über eine BAT IIa/halbe‑Stelle,
denen solche Verträge – die u. a. den Vorteil eines Anschlusses an das System der
sozialen Sicherheit umfasst hätten – vorbehalten gewesen seien.
18
Die MPG weist dieses Vorbringen zurück.
19
Das vorlegende Gericht geht, ohne sich zu den tatsächlichen Aspekten des
Vertragsverhältnisses zwischen den beiden Parteien im genannten Zeitraum zu äußern,
davon aus, dass der Grad der persönlichen Abhängigkeit von Herrn Raccanelli im
Verhältnis zum MPI für die Annahme eines Arbeitsverhältnisses zwischen beiden nicht
ausreichend sein dürfte.
20
Es wirft die Frage auf, ob die MPG in Anbetracht ihrer Organisation in der Rechtsform
eines privatrechtlichen Vereins an das Diskriminierungsverbot gebunden ist, wie wenn
eines privatrechtlichen Vereins an das Diskriminierungsverbot gebunden ist, wie wenn
sie eine Körperschaft des öffentlichen Rechts wäre.
21
Daher hat es beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende
Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1. Ist der Kläger im Sinne des europäischen Arbeitnehmerbegriffs dann als
Arbeitnehmer anzusehen, wenn er zu nicht mehr Arbeitsleistung herangezogen ist
als Doktoranden mit einem BAT/2-Arbeitsvertrag?
2. Für den Fall, dass Frage 1 zu verneinen ist: Ist Artikel 7 der Verordnung (EWG)
Nr. 1612/68 so auszulegen, dass eine Nichtdiskriminierung nur dann bejaht werden
kann, wenn dem Kläger zumindest ein Wahlrecht zwischen Arbeitsvertrag und
Stipendium vor Beginn seiner Doktorandenzeit bei der Beklagten eingeräumt
worden wäre?
3. Für den Fall, dass Frage 2 so zu beantworten ist, dass dem Kläger die Möglichkeit
zum Abschluss eines Arbeitsvertrags hätte eingeräumt werden müssen, ist die
Frage zu stellen:
Welche Rechtsfolgen ergeben sich im Fall einer Ausländerdiskriminierung?
Zu den Vorlagefragen
Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens
22
Die MPG macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, das
Vorabentscheidungsersuchen sei als unzulässig zurückzuweisen.
23
Das vorlegende Gericht habe nämlich zum einen den Sachverhalt des Rechtsstreits
zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens nicht ermittelt und zum anderen die
Vorlagefragen nicht begründet. Somit verfüge der Gerichtshof nicht über die Angaben,
die er für eine sachdienliche Antwort auf diese Fragen benötige.
24
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs
die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht sachdienlichen Auslegung des
Gemeinschaftsrechts zu gelangen, erforderlich macht, dass dieses Gericht den
tatsächlichen und rechtlichen Rahmen, in den sich die von ihm gestellten Fragen
einfügen, festlegt oder zumindest die tatsächlichen Annahmen erläutert, auf denen diese
Fragen beruhen (Urteile vom 17. Februar 2005, Viacom Outdoor, C‑134/03, Slg. 2005,
I‑1167, Randnr. 22, und vom 14. Dezember 2006, Confederación Española de
Empresarios de Estaciones de Servicio, C‑217/05, Slg. 2006, I‑11987, Randnr. 26).
25
Außerdem müssen die Angaben in den Vorlageentscheidungen nicht nur dem
Gerichtshof sachdienliche Antworten ermöglichen, sondern auch den Regierungen der
Mitgliedstaaten und den anderen Beteiligten die Möglichkeit geben, gemäß Art. 20 der
Satzung des Gerichtshofs Erklärungen abzugeben (Beschluss vom 2. März 1999,
Colonia Versicherung u. a., C‑422/98, Slg. 1999, I‑1279, Randnr. 5, und Urteil vom 8.
November 2007, Schwibbert, C‑20/05, Slg. 2007, I‑0000, Randnr. 21).
26
Ob die vom Arbeitsgericht Bonn gemachten Angaben diesen Anforderungen gerecht
werden, hängt von der Natur und der Tragweite der Vorlagefragen ab (vgl. in diesem
Sinne Urteil Confederación Española de Empresarios de Estaciones de Servicio,
Randnr. 29).
27
Dazu ist festzustellen, dass die erste Vorlagefrage in dem Sinne sehr allgemeiner Natur
ist, dass sie auf eine Auslegung des gemeinschaftsrechtlichen Arbeitnehmerbegriffs, wie
er sich aus Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 ergibt, abzielt.
28
Die vom Arbeitsgericht Bonn hilfsweise vorgelegten Fragen betreffen das
Diskriminierungsverbot des Art. 12 EG.
29
Allerdings verfügt der Gerichtshof, auch wenn das Vorabentscheidungsersuchen
sowohl hinsichtlich der Darstellung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens als auch
in Bezug auf die Gründe für das Ersuchen lückenhaft ist, doch über genug Angaben, um
die
Tragweite
der
Vorlagefragen
bestimmen
und
die
betreffenden
Gemeinschaftsbestimmungen so auslegen zu können, dass diese Fragen sachdienlich
beantwortet werden.
30
Außerdem haben sich sowohl die Kommission der Europäischen Gemeinschaften als
auch, in gewissem Maß, die MPG in der Lage gesehen, auf der Grundlage der vom
vorlegenden Gericht gemachten Angaben Erklärungen vor dem Gerichtshof abzugeben.
31
Unter diesen Umständen ist das Vorabentscheidungsersuchen als zulässig anzusehen.
Zur Beantwortung der Fragen
Zur ersten Frage
32
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob ein
Forscher, der sich in einer Lage wie derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens
befindet, also auf der Grundlage eines mit der MPG geschlossenen Stipendienvertrags
eine Promotion vorbereitet, als Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG anzusehen ist,
wenn er genauso viel Arbeitsleistung zu erbringen hat wie ein Forscher, der eine
Promotion auf der Grundlage eines mit der MPG geschlossenen BAT/2-Arbeitsvertrags
vorbereitet.
33
Insoweit ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs
der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 39 EG ein Begriff des
Gemeinschaftsrechts ist, der nicht eng auszulegen ist. Arbeitnehmer ist jede Person, die
eine tatsächliche und echte Tätigkeit ausübt, wobei Tätigkeiten außer Betracht bleiben,
die einen so geringen Umfang haben, dass sie sich als völlig untergeordnet und
unwesentlich darstellen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht
nach dieser Rechtsprechung darin, dass jemand während einer bestimmten Zeit für
einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringt, für die er als Gegenleistung
eine Vergütung erhält (vgl. insbesondere Urteile vom 3. Juli 1986, Lawrie-Blum, 66/85,
Slg. 1986, 2121, Randnrn. 16 und 17, vom 23. März 2004, Collins, C‑138/02, Slg. 2004,
I‑2703, Randnr. 26, und vom 7. September 2004, Trojani, C‑456/02, Slg. 2004, I‑7573,
Randnr. 15).
Randnr. 15).
34
Die Arbeitnehmereigenschaft des Klägers des Ausgangsverfahrens kann deshalb nur
für den Fall bejaht werden, dass das vorlegende Gericht, das für die Würdigung des
Sachverhalts des Ausgangsverfahrens allein zuständig ist, in diesem Verfahren
feststellen sollte, dass die Grundmerkmale eines Arbeitsverhältnisses, nämlich das
Abhängigkeitsverhältnis und die Zahlung einer Vergütung, vorliegen.
35
Da somit das vorlegende Gericht aufgerufen ist, das Vorliegen der vorstehend in
Randnr. 33 genannten Kriterien zu prüfen, sollte sich folglich seine Prüfung
insbesondere auf den Inhalt des Doktorandenvertrags und des Zusatzvertrags sowie auf
die Modalitäten der Durchführung dieser Verträge beziehen.
36
Während aus dem Vorstehenden folgt, dass Herrn Raccanellis
Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des Art. 39 EG objektiv anhand der oben in
Randnr. 33 genannten Kriterien zu prüfen ist, kann ein Vergleich zwischen der von ihm
geleisteten Arbeit und der Arbeit, die von einem Forscher geleistet wird oder zu leisten
ist, der eine Promotion auf der Grundlage eines mit der MPG geschlossenen BAT/2-
Arbeitsvertrags vorbereitet, keinen Aufschluss über diese Eigenschaft geben.
37
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Forscher, der sich in einer Lage wie
derjenigen des Klägers des Ausgangsverfahrens befindet, also auf der Grundlage eines
mit der MPG geschlossenen Stipendienvertrags eine Promotion vorbereitet, nur dann als
Arbeitnehmer im Sinne des Art. 39 EG anzusehen ist, wenn er seine Tätigkeit während
einer bestimmten Zeit nach der Weisung eines zur MPG gehörenden Instituts ausübt und
als Gegenleistung für diese Tätigkeit eine Vergütung erhält. Es ist Sache des
vorlegenden Gerichts, die tatsächlichen Prüfungen vorzunehmen, deren es zur
Beurteilung der Frage bedarf, ob dies in der bei ihm anhängigen Rechtssache der Fall
ist.
Zur zweiten Frage
38
Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob eine
Diskriminierung nur dann zu verneinen ist, wenn dem Kläger des Ausgangsverfahrens
vor Beginn seiner Doktorandenzeit bei der MPG zumindest ein Wahlrecht zwischen
einem Arbeitsvertrag und einem Stipendium eingeräumt worden wäre.
39
Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Frage, ob Herr Raccanelli, ohne Arbeitnehmer
im Sinne von Art. 39 EG und Art. 7 der Verordnung Nr. 1612/68 zu sein, aufgrund einer
Praxis der MPG das Recht gehabt hätte, zwischen einem Stipendienvertrag und einem
BAT/2-Arbeitsvertrag zu wählen, eine Frage des nationalen Rechts ist, über die der
Gerichtshof nicht zu entscheiden hat.
40
Aus Abschnitt II der Gründe des Vorlagebeschlusses ergibt sich jedoch, dass das
Arbeitsgericht Bonn mit seiner zweiten Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob die
MPG trotz ihrer Organisation in der Rechtsform eines privatrechtlichen Vereins an das
Diskriminierungsverbot gebunden ist, wie wenn sie eine Körperschaft des öffentlichen
Rechts wäre, und ob sie deshalb verpflichtet gewesen wäre, Herrn Raccannelli ein
Wahlrecht zwischen einem Stipendienvertrag und einem Arbeitsvertrag einzuräumen.
41
Insoweit ist zum einen daran zu erinnern, dass nach Art. 39 EG die Freizügigkeit der
Arbeitnehmer innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Abschaffung jeder auf der
Staatsangehörigkeit beruhenden unterschiedlichen Behandlung der Arbeitnehmer der
Mitgliedstaaten in Bezug auf Beschäftigung, Entlohnung und sonstige
Arbeitsbedingungen umfasst (Urteil vom 6. Juni 2000, Angonese, C‑281/98, Slg. 2000, I‑
4139, Randnr. 29).
42
Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass das Diskriminierungsverbot des Art. 39 EG
allgemein gehalten ist und sich nicht spezifisch an die Mitgliedstaaten oder die dem
öffentlichen Recht unterliegenden Einrichtungen richtet.
43
So hat der Gerichtshof entschieden, dass das Verbot einer auf der Staatsangehörigkeit
beruhenden unterschiedlichen Behandlung nicht nur für Akte der staatlichen Behörden
gilt, sondern sich auch auf sonstige Maßnahmen erstreckt, die eine kollektive Regelung
im Arbeits- und Dienstleistungsbereich enthalten (vgl. Urteile vom 12. Dezember 1974,
Walrave und Koch, 36/74, Slg. 1974, 1405, Randnr. 17, und Angonese, Randnr. 31).
44
Er hat nämlich festgestellt, dass die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit
zwischen den Mitgliedstaaten gefährdet wäre, wenn die Abschaffung der Schranken
staatlichen Ursprungs durch Hindernisse zunichte gemacht werden könnte, die sich
daraus ergeben, dass nicht dem öffentlichen Recht unterliegende Vereinigungen oder
Einrichtungen von ihrer rechtlichen Autonomie Gebrauch machen (vgl. Urteile Walrave
und Koch, Randnr. 18, sowie vom 15. Dezember 1995, Bosman, C‑415/93, Slg. 1995,
I‑4921, Randnr. 83).
45
Der Gerichtshof ist daher in Bezug auf Art. 39 EG, der eine Grundfreiheit formuliert und
eine spezifische Anwendung des in Art. 12 EG ausgesprochenen allgemeinen
Diskriminierungsverbots darstellt, zu dem Ergebnis gelangt, dass das
Diskriminierungsverbot auch für alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden
Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen gilt (vgl. Urteile vom 8. April
1976, Defrenne, 43/75, Slg. 1976, 455, Randnr. 39, und Angonese, Randnrn. 34 und 35).
46
Somit gilt das in Art. 39 EG aufgestellte Verbot einer auf der Staatsangehörigkeit
beruhenden unterschiedlichen Behandlung auch für privatrechtliche Vereine wie die
MPG.
47
Auf die Frage, ob die MPG aufgrund dessen verpflichtet war, Herrn Raccanelli ein
Wahlrecht zwischen einem Stipendienvertrag und einem Arbeitsvertrag einzuräumen, ist
zu antworten, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine
Diskriminierung darin besteht, dass unterschiedliche Vorschriften auf vergleichbare
Situationen angewandt werden oder dass dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche
Situationen angewandt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 29. April 1999, Royal Bank
of Scotland, C‑311/97, Slg. 1999, I‑2651, Randnr. 26). Es ist Sache des vorlegenden
Gerichts, festzustellen, ob aufgrund der Anwendung unterschiedlicher Vorschriften auf
vergleichbare Situationen unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens die
mögliche Verwehrung der genannten Wahlmöglichkeit zu einer Ungleichbehandlung von
inländischen und ausländischen Doktoranden geführt hat.
48
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass ein privatrechtlicher Verein wie die
MPG gegenüber Arbeitnehmern im Sinne des Art. 39 EG das Diskriminierungsverbot
beachten muss. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob unter
Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens eine Ungleichbehandlung von
inländischen und ausländischen Doktoranden stattgefunden hat.
Zur dritten Frage
49
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welche Rechtsfolgen
sich aus einer Diskriminierung eines ausländischen Doktoranden ergeben, die darin
liegt, dass dieser nicht die Möglichkeit hatte, einen Arbeitsvertrag mit der MPG zu
schließen.
50
Insoweit ist festzustellen, dass weder Art. 39 EG noch die Verordnung Nr. 1612/68 den
Mitgliedstaaten oder Vereinen wie der MPG eine bestimmte Maßnahme im Fall einer
Verletzung des Diskriminierungsverbots vorschreibt, sondern ihnen nach Maßgabe der
unterschiedlichen denkbaren Sachverhalte die Freiheit der Wahl unter den
verschiedenen Lösungen belässt, die zur Verwirklichung des Ziels der jeweiligen
Bestimmungen geeignet sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. April 1984, Von
Colson und Kamann, 14/83, Slg. 1984, 1891, Randnr. 18, und vom 11. Oktober 2007,
Paquay, C‑460/06, Slg. 2007, I‑8511, Randnr. 44).
51
Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen vorbringt, wäre es daher Sache
des vorlegenden Gerichts, in Ansehung der anwendbaren innerstaatlichen
Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen Haftung zu beurteilen, welche
Art von Wiedergutmachung der Kläger des Ausgangsverfahrens beanspruchen könnte.
52
Unter diesen Umständen ist auf die dritte Frage zu antworten, dass es, sollte der Kläger
des Ausgangsverfahrens mit der Berufung auf einen durch seine etwaige
Diskriminierung entstandenen Schaden durchdringen, Sache des vorlegenden Gerichts
wäre, in Ansehung der anwendbaren innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet
der außervertraglichen Haftung zu beurteilen, welche Art von Wiedergutmachung er
beanspruchen könnte.
Kosten
53
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem
bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher
Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen
vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:
1
. Ein Forscher, der sich in einer Lage wie derjenigen des Klägers des
Ausgangsverfahrens befindet, also auf der Grundlage eines mit der Max-
Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e. V. geschlossenen
Stipendienvertrags eine Promotion vorbereitet, ist nur dann als Arbeitnehmer
im Sinne des Art. 39 EG anzusehen, wenn er seine Tätigkeit während einer
im Sinne des Art. 39 EG anzusehen, wenn er seine Tätigkeit während einer
bestimmten Zeit nach der Weisung eines zu diesem Verein gehörenden
Instituts ausübt und als Gegenleistung für diese Tätigkeit eine Vergütung
erhält. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die tatsächlichen Prüfungen
vorzunehmen, deren es zur Beurteilung der Frage bedarf, ob dies in der bei
ihm anhängigen Rechtssache der Fall ist.
2 . Ein privatrechtlicher Verein wie die Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung
der Wissenschaften e. V. muss gegenüber Arbeitnehmern im Sinne des
Art. 39 EG das Diskriminierungsverbot beachten. Es ist Sache des
vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob unter Umständen wie denen des
Ausgangsverfahrens eine Ungleichbehandlung von inländischen und
ausländischen Doktoranden stattgefunden hat.
3 . Sollte der Kläger des Ausgangsverfahrens mit der Berufung auf einen durch
seine etwaige Diskriminierung entstandenen Schaden durchdringen, wäre es
Sache des vorlegenden Gerichts, in Ansehung der anwendbaren
innerstaatlichen Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der außervertraglichen
Haftung zu beurteilen, welche Art von Wiedergutmachung er beanspruchen
könnte.
Unterschriften
Verfahrenssprache: Deutsch.